SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff

Transkript

1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff Aller guten Dinge sind drei Eine Zahl und ihre Musik (3) Trios und Triosonaten Sendung: Mittwoch, 15. Juli 2009, Uhr Redaktion: Martin Roth M a n u s k r i p t Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer /

2 Musikstunde mit Christian Schruff 2 Musikstunde mit Christian Schruff "Aller guten Dinge sind drei" Eine Zahl und ihre Musik (3): Trios und Triosonaten Es war irgendwann am Anfang meines Studiums der Musikwissenschaft in Münster, da erzählte uns Studenten ein wunderbar inspirierender Dozent eine Anekdote mit der ihm eigenen diebischen Freude an den Dummheiten mancher lokaler Musikkritiker. Dieser Kritiker hatte sich nämlich darüber mokiert, dass bei einem Konzert die berühmte Triosonate aus dem Musikalischen Opfer von Bach, statt mit drei Musikern, wie es doch schon der Name Triosonate ganz klar fordere, tatsächlich mit fünf Musikern gespielt worden sei. Die Wissenden im Hörsaal lachten, denn natürlich sollte ein Kritiker wissen, dass nichts daran auszusetzen ist, wenn fünf Musiker eine Triosonate spielen. Aber die Zeitungsleser? Oder die Musikfreunde, die gerne Bach hören, aber keine wissenschaftliche Vorbildung haben? Könnte denen nicht auch der Gedanke kommen: Wieso fünf Musiker bei einer Trio-Sonate? Die dritte Musikstunde über die Zahl Drei und ihre Musik wird klären, wie viele Musiker eine Triosonate braucht. Mit etwas Suchen habe ich eine Aufnahme gefunden, bei der auch genau fünf Musiker den letzten Satz aus jener Triosonate aus dem Musikalischen Opfer spielen: auf Violine, Flöte und den basso continuo auf Cello, Bassklarinette und Truhenorgel. Musik 1 CD Track 10 2:51 Johann Sebastian Bach: Sonata sopr il Soggetto Reale a Traversa, Violino e continuo 4. Satz: Allegro Het Collectief FUGA LIBERA, FUG 601 Het Collectief heißt dieses belgische Ensemble. Es spielt vorwiegend Musik des 20. Jahrhunderts. Hier aber hat es einen Ausflug ins Barockzeitalter unternommen, auf seiner CD Ein musikalisches Opfer >revisited<. Fünf Musiker in einem Triosonatensatz. Bach hat für die Besetzung der drei Stimmen der Sonate folgende Angaben gemacht: Sonata sopr ll Soggetto Reale a Traversa, Violino e continuo. Das heißt, diese Sonate über das königliche Thema ist für Traversflöte, Geige und continuo geschrieben. Und beim Continuo, dem kontinuierlich durchlaufenden Bass, dem Generalbass, hat Bach nicht angegeben, auf welchen Instrument der zu spielen sei.

3 Musikstunde mit Christian Schruff 3 Im Barock, dem sogenannten Generalbass-Zeitalter, war man bei der Besetzung dieses Parts zum einen frei, zum anderen höchst erfinderisch und fantasievoll. Genau wie in dieser Aufnahme: Cello, Bassklarinette und Truhenorgel. Ein kleines Trio der Bass-Instrumente haben Sie gerade gehört. Also, wie viele Musiker braucht eine Trio-Sonate? Drei? Mindestens drei? Oder noch mehr? Oder können auch zwei Musiker eine Trio-Sonate spielen? Oder gar einer alleine? Versteh einer diese Musiker!, werden Sie ausrufen, wenn ich Ihnen sage: All das geht! Einer, zwei, drei, vier, fünf oder noch mehr Musiker können eine Trio-Sonate spielen. Den Beweis will ich wiederum mit einem Satz von Bach führen, dem natürlich dritten Satz aus der Triosonate in C-Dur BWV 529. Das Ensemble London Baroque um die Geigerin Ingrid Seifert bietet vier Musiker auf: 2 Geigen, Cello und Cembalo. Musik 2 CD, Track 3:18 Johann Sebastian Bach: Triosonate C-Dur BWV Satz: Allegro London Baroque BIS, CD 1345, LC Der dritte Satz aus Bachs Triosonate C-Dur BWV 529 zu viert gespielt auf zwei Violinen, Cello und Cembalo vom Ensemble London Baroque. Richard Guilt, Geiger des Ensembles, hat das Arrangement vorgenommen. Er hat die beiden Oberstimmen auf die beiden Geigen verteilt. Deren Dialog war sehr gut zu erkennen. Cello und Cembalo spielten gemeinsam die dritte, die Bassstimme. Auch die mischte sich an einigen Stellen in die Imitation ein, so dass die Dreistimmigkeit gut zu hören war. Schauen wir den Bass genau an! Die linke Hand des Cembalisten und das Cello spielten diese Stimme. Die rechte Hand des Cembalisten füllte den Satz nur mit Akkorden auf war aber am imitatorischen Spiel der drei Stimmen nicht beteiligt. Der Bass war in dieser Zeit das Fundament der Musik, darum wurde er oft verstärkt. Dennoch dürften Sie gerade vor allem die beiden Oberstimmen, die beiden Geigen als das Wesentliche empfunden haben. In der nächsten Version spielen denselben Satz nur noch zwei Musiker auf Cembalo und Gambe. Und zwar folgendermaßen verteilt: Die rechte Hand des Cembalisten (es ist Ton Koopman) spielt die höchste Stimme, die Gambe (gespielt von Jordi Savall) übernimmt die zweite Stimme. Und die linke Hand des Cembalisten spielt wieder den Bass.

4 Musikstunde mit Christian Schruff 4 Musik 3 CD, Track 3 3:22 Johann Sebastian Bach: Triosonate C-Dur BWV Satz: Allegro Ton Koopman, Cembalo & Jordi Savall, Gambe ALIAVOX, AV9812 In dieser Version des Triosonatensatzes von Bach, war die Mittelstimme auf der Gambe von den beiden Händen auf dem Cembalo gewissermaßen in die Zange genommen. Das klang anders als vorhin in der Fassung mit zwei Geigen. Die Musik war dennoch fast identisch. Nur die Füllakkorde der rechten Hand des Cembalos, die Sie bei London Baroque gehört haben, konnte Ton Koopman nicht spielen, denn seine rechte Hand hatte ja nun die Oberstimme zu spielen. In der dritten, der letzten Fassung desselben Satzes spielt nun nur noch ein Musiker noch einmal Ton Koopman. Diesmal alle drei Stimmen auf der Orgel. Und das ist die Originalfassung von Bach. Bei einer Trio-Sonate zählt also allein die Zahl der Stimmen im musikalischen Satz. Das sind immer drei, ganz gleich, wie viele Musiker beteiligt sind. Musik 4 CD, Track 3:35 Johann Sebastian Bach: Triosonate C-Dur BWV Satz: Allegro Ton Koopman, Orgel Archiv Produktion, , LC 0113 Damit wäre eine Frage in dieser Musikstunde geklärt: Eine Triosonate hat drei Stimmen, die von einer ganz unterschiedlichen Zahl von Musikern gespielt werden können. Treiben wir diesen Gedanken auf die Spitze: Von den Musikern der Mannheimer Schule kennen wir sogar Orchestertrios. Johann Stamitz hat sie komponiert und in Paris drucken lassen, wo er auch Nachahmer fand. Und auch aus Dresden sind Orchestertrios überliefert. Streng genommen sind Orchestertrios nichts anderes als Triosonaten, also dreistimmige Sätze, die aber chorisch ausgeführt werden. Und das dürfte beim berühmten großen und präzisen Streicherapparat der Mannheimer Hofkapelle einen frappierenden Effekt gemacht haben. Vor allem die dynamischen Effekte wurden ja von allen Ohrenzeugen der Mannheimer Hofkapelle besonders hervorgehoben.

5 Musikstunde mit Christian Schruff 5 Musik 5 CD Track 10 3:15 Johann Stamitz: Orchestertrio B-Dur op. 1, 5 1. Satz: Presto assai Camerata Bern, Ltg. Thomas Füri Archiv Produktion, , LC0113 Jeder Verwirrung bei der Namensgebung ist der Komponist John Cage bei seinen späten Werken entgangen. Die sogenannten Number Pieces, Nummernstücke, haben ganz einfach die Zahl der Mitspieler als Namen. Zwei Stücke heißen Three. Eines ist für drei Blockflötisten geschrieben, das andere Three 2 für drei Schlagzeuger. Die drei Blockflötisten in Three spielen 15 Blockflöten in ständigem Wechsel. Three spielt außerdem mit Dreitongruppen und ist in drei große Abschnitte gegliedert: Anfangs- und Schlussteil bildenden Rahmen für neun (also 3 x 3) Innenteile, die jeweils drei Minuten dauern. Wie viele davon gespielt werden ist freigestellt. Die kürzeste Fassung von Three ist dreiteilig mit Anfang, mindestens einem Mittelstück und Schluss. Konsequenter ist die Zahl Drei wohl selten in allen Parametern eines Musikwerks umgesetzt worden. Hier der Anfang von Three es spielt das Trio dolce. Die Herausforderung für die Spieler besteht darin, die Töne so legato wie möglich zu spielen, aber auch ständig zwischen Sopranino, Sopran-, Alt-, Tenor-, Basset- und Großbass-Flöte zu wechseln... Musik 6 CD Track 8 2:40 John Cage: Three Satz 1 Trio dolce MODE, 186 Drei Musiker sind billiger als ein ganzes Orchester. Und damit komme ich zu einem anderen Aspekt der Trio-Komposition! Als Ludwig van Beethoven 1792 nach Wien kam, um bei Haydn zu studieren, da fand er in Wien die Ergebnisse eines rigorosen Sparkurses vor. Der Adel hatte unter dem Reformkaiser Joseph II. seinen Lebensstil gravierend geändert. Die meisten fürstlichen Hofkapellen waren aufgelöst worden. Man gab sich bescheiden. Kammermusik stand hoch im Kurs. Und wenn sie noch dazu die Hits der Opernbühne in die Gärten des Adels tragen konnte, war das noch besser. So schrieb Ludwig van Beethoven seine Variationen über La ci darem la mano aus Mozarts Don Giovanni für ein Trio aus zwei Oboen und Englischhorn. Gut genug für Wien, aber vom Verleger Breitkopf abgelehnt. Deswegen ist dieses Werk ohne Opuszahl erst nach 111 Jahren wieder aufgefunden worden... Musik 7 CD Track 1 9:15 Ludwig van Beethoven: Variationen über La ci darem la mano WoO28 für Oboentrio

6 Musikstunde mit Christian Schruff 6 Marilyn Zupnik, Kathryn Greenbank, Oboe, Elizabeth Starr, Englisch-Horn ASV, QS 6192 Nur wenige Jahre, ehe Beethoven diese Variationen geschrieben hat, experimentierte Wolfgang Amadeus Mozart gemeinsam mit seinem Freund Anton Stadler an Musik für die noch junge Klarinette und deren Verwandte, das Bassetthorn. Damals hatte Mozart Kontakt zu einem ganzen Familien- und Freundeskreis um Stadler, wo man Klarinette und Bassetthörner spielte. Für diesen Kreis dürfte Mozart insgesamt 25 Stücke für 3 Bassetthörner komponiert haben. In diesen Divertimenti werden die Möglichkeiten dieser neuen Instrumente systematisch ausgelotet. Denn andere Literatur gab es für diese Instrumente damals noch nicht. Im Orchester war die Klarinette noch kaum angekommen. Mozart hatte sie in Mannheim zwar kennengelernt, aber in seiner Musik taucht sie erst auf, als Mozart für Stadler schreiben konnte. Stadler spielte nicht nur Klarinette, er baute diese Instrumente auch. Und so sind die Divertimenti ein Blick in die Werkstatt zweier musikalischer Erfinder. Hört man diese Musik, so kann man sich beinahe vorstellen, wie Stadler mit neuen Instrumenten zu Mozart gekommen ist, und der sofort Musik für den neuen, bislang unbekannten Klang komponierte. An diesem Klang der Bassetthörner faszinierte Mozart vor allem die dunkle, warme Färbung, die er auch später in seinem Requiem verwendet hat. Musik 8 CD Track 6 5:00 Wolfgang Amadeus Mozart: Divertimento für 3 Bassetthörner Nr. 3 B-Dur KV 439b 1. Satz Bläser des Chamber Orchestra of Europe TELDEC, , LC3706 Wenn wir schon bei Trios für exotische Instrumente angekommen sind, dann darf auch ein Beispiel für das Baryton-Trio nicht fehlen. Das Baryton war ein Saiteninstrument. Seine Blüte hatte im späten 18. Jahrhundert. Wir kennen es heute nur noch, weil es das Instrument des Fürsten Esterhazy gewesen ist. Und für den musste Haydn reichlich neue Stücke liefern. Insgesamt 126 solcher Werke hat er geschrieben. Das Baryton ist verwandt mit der Gambe, hat 6 oder 7 Saiten zum Streichen. Aber das Besondere sind Resonanzsaiten, die auf der Rückseite des Halses vom Instrument verlaufen. Über diese Metallsaiten hat Leopold Mozart in seiner Violinschule geschrieben, dass sie mit dem Daumen berühret, und geknippet werden; also zwar, dass zu gleicher Zeit, als man... die Hauptstimme abgeiget, der Daume... den Baß dazu spielet. Musik 9 CD Track 1 5:50 Joseph Haydn: Bayrton-Trio D-Dur Nr Satz Balázs Kakuk, Baryton, Péter Lukacz, Viola, Tibor Párkányi, Cello HUNGAROTON, HCD 31174, LC

7 Musikstunde mit Christian Schruff 7 In dieser Musikstunde sind wir von der Triosonate zu den Trios gekommen, die tatsächlich nur von drei Musikern gespielt werden. Dabei ist die heute geläufigste Form des Trios bislang noch gar nicht aufgetaucht: das Klaviertrio. Mit voller Absicht. Denn dem Klaviertrio begegnen Sie sonst schon häufig genug im Radio oder auch im Konzert. Aber ganz übergehen will ich diese Gattung natürlich nicht. Beethoven fanden sie immerhin so wichtig, dass er mit drei Klaviertrios in seinem opus 1 an die Öffentlichkeit getreten ist. Aber auch in dieser Gattung kamen die entscheidenden ersten Impulse von Joseph Haydn. Musik 10 CD Track 4 3:05 Joseph Haydn: Klavier-Trio G-Dur Hob. XI, 25 alla zingarese Rondo Paul Gulda, Klavier; Alexander Hohenthal, Violine; Margarethe Deppe, Cello MUSICA, , LC06641