"Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (4)

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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde "Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (4) Von Christian Schruff Sendung: Donnerstag, 17. Juli Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 2 SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Donnerstag, "Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (4) Mit Christian Schruff. Heute: Teil 4 der Reihe: Tönet, Ihr Pauken musikalischen Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten. Herzlich willkommen! Mit Riesenschritten geht s heute vor allem durchs 19. und sogar in unser Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert emanzipierte sich die Pauke aus der Bindung Pauke und Trompete. Komponisten haben die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der Pauken entdeckt. Nicht mehr nur das klassische Paukenpaar, sondern 3 oder 4 Pauken wurden gebraucht, um mehr Töne zu spielen als nur den Grundton und die Dominante. Die Pauken wurden auch zum Effektinstrument in der Oper. Bahnbrechende Neuerungen für die Pauken kamen von Ludwig van Beethoven. Musik 1 CD Track 1 ab 19:42 4:30 Violinkonzert D-Dur op Satz: Allegro ma non troppo (ab Kadenz) Gidon Kremer, Violine Chamber Orchestra of Europe Ltg.: Nikolaus Harnoncourt WARNER, , LC04281 Vielleicht haben Sie es nicht sofort erkannt: Beethovens Violinkonzert. Der Geiger Gidon Kremer hat mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Leitung von Nikolaus Harnoncourt eine besondere Kadenz gespielt. Die Pauke, die ja schon das allererste Wort im 1. Satz des Violinkonzerts hat, die Pauke dialogisiert mit der Geige und es kommt ein Klavier dazu. Und zwar deshalb, weil Beethoven selbst diese Kadenz komponiert hat, als er seine Violinkonzert zum Klavierkonzert umgeschrieben hat. Gidon Kremer hat in diese Kadenz für Klavier und Pauken dann die Geige wieder hineingeschrieben...

3 3 Im Violinkonzert op. 61 verwendet Beethoven die beiden Pauken zwar in herausgehobener Partie, aber in der ganz traditionellen Quart-Stimmung. Auch ein Opus davor, in der B-Dur-Sinfonie Nr. 4, hat er den Pauken mehrfach herausgehobene Stellen gegeben. Auch hier sind die Pauken in der typischen Quarte gestimmt der tiefe Ton ist der Ton der Dominante, der höhere Ton, auf der kleineren Pauke, ist der Grundton. Im ersten Satz in B-Dur ist die hohe Pauke also auf B gestimmt, die tiefere auf F. F ist der tiefste Ton, der sich auf Naturfellen spielen lässt. Die Größe von Kälbern hat den Tonraum der Pauke begrenzt, denn Paukenfelle wurden aus Kalbsfellen gemacht. Gegen Ende des 1. Satzes, auf den Rückweg von der Durchführung in die Reprise, also in den letzten Teil des 1. Satzes, spielt die Pauke ein paar Mal solistisch einen Wirbel auf B. Sie zeigt also an, wohin die harmonische Reise geht. Dann spielt sie einen langen Wirbel. Aus dem Pianissimo steigert sich dessen Lautstärke über 25 Takte hinweg bis ins fortissimo, bis zu dem Moment, wo man schließlich aus den Abenteuern der Durchführung gewissermaßen heile zu Hause in der Reprise angekommen ist in B-Dur, der Heimat-Tonart. Musik 2 CD Track 1, ab < 6:48 bis Track 2 > 1:00 5:02 Sinfonie Nr. 4 B-Dur op Satz, Allegro vivace (Ende) & Beginn 2. Satz, Adagio Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Ltg: Paavo Järvi SONY, , LC00316 Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen / Paavo Järvi Mit Beethovens Sinfonie Nr. 4 B-Dur. Wir haben schon in den 2. Satz hineingehört. Dieser langsame Satz der Vierten steht in Es-Dur. Und Beethoven lässt die Pauken mitspielen wir haben sie gerade gehört. In Es-Dur wird auch eine Pauke in B gebraucht und eine für den Grundton Es, der vier Töne darüber liegt. Für Beethovens 4. Sinfonie sind also insgesamt drei Pauken nötig: F und B im 1., 3., und 4. Satz, und im 2. Satz B und Es!

4 4 Die Töne Es, B-Es, B-Es geben das Motto ab für den langsamen Satz, setzen ihn in Gang. Am Beginn wurden sie von den 2. Geigen gespielt. Später übernehmen auch andere Instrumente dieses pochende Motiv, bis es am Schluss als Paukensolo im leisesten Pianissimo erklingt. Musik 3 CD Track 2, ab < 4:52 3:43 Sinfonie Nr. 4 B-Dur op Satz, Adagio Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Ltg: Paavo Järvi SONY, , LC00316 Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen / Paavo Järvi hat die Pauken auf eine ganz neue Art verwendet. Manche Forscher mutmaßen, Beethoven habe, wie der junge Joseph Haydn, auch praktische Erfahrungen an den Pauken gemacht. Jedenfalls probierte Beethoven auch neue Stimmungen aus in der 8. und 9. Sinfonie z.b. in Oktaven. Und Beethoven verlangte virtuose Schlagfiguren von den Paukern. Im Finale seiner Oper Fidelio müssen sie dauernd die Arme kreuzen, um die schnellen 16tel-Repetitionen spielen zu können. Musik 4 CD II, Track 10 (aufblenden!) 4:15 Fidelio Finale 2. Akt Wer ein holdes Weib errungen Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor Wiener Philharmoniker Ltg: Lorin Maazel DECCA, , LC00171

5 5 Dass Beethoven den Gebrauch der Pauken so enorm weiter entwickeln konnte, hängt mit einer Besonderheit zusammen, die die Pauken von den Trommeln unterscheidet. Der Ton der Pauke ist ein bestimmter Ton. Und durch die Spannschrauben rund um das Paukenfell lässt sich die Höhe des Paukentons verändern. Pauken sind also stimmbar. Trommeln haben dagegen eine unbestimmte Tonhöhe. In seiner großen Instrumentationslehre von 1844 hat Hector Berlioz geschrieben: Von allen Schlaginstrumenten halte ich die Pauken für die wertvollsten; wenigstens ist ihre Verwendung am allgemeinsten verbreitet, und die neueren Tonsetzer haben mit ihnen die meisten mahlerischen und dramatischen Wirkungen erzielt. Soweit Hector Berlioz über die Pauken in seiner Großen Abhandlung über die moderne Instrumentation und Orchestration von Das Wort Instrumentierung taucht in der Geschichte übrigens zum ersten Mal auf zur selben Zeit, als seine 5. Sinfonie komponierte. In seiner 8. Sinfonie und später auch in der 9. hat Beethoven die Pauken in Oktaven stimmen lassen ein tiefes und ein hohes F und damit, so Berlioz vortreffliche Wirkungen erzielt. Im Finale der Achten hört man mehrfach abwechselnd das tiefe und hohe F in den Pauken, verstärkt nur vom Fagott. Musik 5 CD Track 8 (ab 2:01) 4:41 Sinfonie Nr. 8 F-Dur op Satz: Allegro vivace Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Ltg: Paavo Järvi RCA, , EAN , LC00316 Der Furor und das rhythmische Drängen sind zwei Eigenschaften, die wir aus so vielen Sätzen Beethovens kennen. Der Gegenwartskomponist Jörg Widmann hat 2008 in seiner Konzertouvertüre Con brio versucht, mit sehr reduzierten Mitteln und mit hörbarem Bezug auf Beethoven ein ähnliches Feuer zu entfachen Con brio bedeutet ja mit Feuer. Man

6 6 könnte dieses Stück für ein Orchester in klassischer Beethoven-Besetzung auch als Paukenkonzert betrachten. Die Pauken stehen von Anfang an im Mittelpunkt dieser Ouvertüre. Der Pauker muss nicht nur auf die Paukenfelle schlagen, sondern auch auf den Korpus, den Kupferkessel mal mit verschiedensten Schlägeln, mal mit dem Bambus-Griff eines Schlägels, manchmal aber auch mit Stricknadeln. Jörg Widmanns Credo lautet: Das wichtigste in meiner Künstlerkarriere ist es, Tradition und Innovation zu verbinden. In der Ouvertüre Con brio ist ihm das besonders gut gelungen. Dieses Auftragswerk für den Bayerischen Rundfunk passt perfekt in diese SWR 2 Musikstunde zum Thema Tönet, ihr Pauken. Musik 6 CD Track 5 11:29 Jörg Widmann Con brio Konzertouvertüre Symphonieorchester des BR Ltg.: Mariss Jansons BR-Klassik, , EAN , LC20232 Wie Komponisten im 20. Jahrhundert die Pauken mit all ihren Möglichkeiten als Solo-Instrumente entdeckt haben, darum wird es morgen gehen, zum Abschluss dieses SWR 2 Musikstunde Tönet, ihr Pauken. Hector Berlioz hat von den mahlerischen und dramatischen Wirkungen geschrieben, die Komponisten im 19. Jahrhundert besonders in der Oper erzielt hätten. Richard Strauss hat die Instrumentationslehre von Berlioz später ergänzt, denn der Instrumentenbau hatte große Fortschritte gemacht und besonders Richard Wagner hatte die Möglichkeiten des Orchesters noch einmal enorm ausgeweitet. Im Pauken-Kapitel hat Strauss ergänzt: Die Gleichgültigkeit, mit der der junge Verdi z.b. im ersten Finale seines Maskenball zu starken Tuttiakkorden die Pauke sogar nicht in die Harmonie passende Töne schlagen lässt, entspricht der praktischen Erkenntnis, daß der Paukenton zu unbestimmt erscheint, um gegen eine geschlossene Akkordmasse

7 7 selbständig störend zu wirken, ist aber nicht ganz nach meinem Geschmack. Schon eher nach dem Geschmack von Richard Strauss war die Behandlung der Pauken durch Richard Wagner. Deshalb hat er zwei Stellen aus der Walküre in die Instrumentationslehre von Hector Berlioz aufgenommen. Eine davon wollen wir hören. Vorher der Kommentar dazu von Richard Strauss: Als einzigen angstvollen Pulsschlag wendet Wagner die Pauke in der Walküre... in der Todesverkündigung an in dieser feierlichen Stille von hervorragendster Wirkung. Musik 7 CD 3/ Track 3 > 5:35 Richard Wagner Walküre 2. Aufzug, 4. Szene Siegmund! Sieh auf mich! (Todesverkündigung - Brünnhilde) Eva Marton, Brünnhilde Reiner Goldberg, Sigmund SO des BR Bernhard Haitink EMI, , LC06646 Die angstvollen Herzschläge Sigmunds in der Pauke, als ihm Brünnhilde seinen nahen Tod verkündet. Den spektakulärsten Auftritt für die Pauken im 19. Jahrhundert habe ich mir bis zum Schluss dieser SWR 2 Musikstunde aufgehoben: 16 Pauken verlangt Hector Berlioz im Dies Irae seiner Großen Totenmesse, seines Requiems, um die Schrecken der Hölle zu illustrieren. 16 Pauken, aufgeteilt in 8 Paukenpaare. Zwei davon sind von je zwei Paukern zu spielen, die übrigens 6 Paare von je einem Pauker. Diese 16 Pauken lassen wahrlich die Erde erbeben, wenn der Chor vom Jüngsten Gericht singt und vom lauten Schall der letzten Posaune.

8 8 Musik 8 CD I, Track 2 (auf Ende als Puffer) 12:47 Hector Berlioz: Grande Messe des Morts, op Dies Irae Wiener Singverein Konzervereinigung Wiener Staatsopernchor Radio Sinfonie Orchester Wien Ltg. Bertrand de Billy OEHMS, OC096, EAN , LC12424 Der Schluss des Dies Irae aus der Grande Messe des Morts, dem Requiem von Hector Berlioz. Das war Teil 4 der SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Tönet, Ihr Pauken!. Folge 5 morgen um dieselbe Zeit. Tschüß, machen Sie s gut.