"Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (1)

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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde "Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (1) Von Christian Schruff Sendung: Montag, 14. Juli Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 2 SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Montag, "Tönet, ihr Pauken" Musikalische Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten (1) Mit Christian Schruff Tönet, Ihr Pauken Willkommen zu Musikalischen Begegnungen mit Pauken und mehr als Trompeten. Teil 1. Pauken, Auf die Pauke hauen, Mit Pauken und Trompeten unsere Sprache ist voll von Redewendungen, in denen das Musikinstrument vorkommt, das man kaum überhören kann: die Pauke. In dieser Woche steht sie im Zentrum der SWR 2 Musikstunde. Musik 1: CD Track Jacques Philidor (le cadet) Marche de Timbales Marie-Ange Petit, Pauken HMF, HMC901298, LC07045 Hier wurde für den Sonnenkönig gepaukt, für Ludwig den XIV. Der schien solche Paukenmärsche besonders zu lieben. Er zahlte seinem persönlichen Timbalier des plaisers, seinem Vergnügungs-Pauker ein stattliches Salär. Die Brüder Philidor haben Unmengen solcher Paukenmärsche für Versailles geschrieben. Und natürlich ist die Pauke am Hof des Sonnenkönigs ein weithin hörbares Macht-Instrument gewesen. Paukenschläge gehen uns Menschen direkt ins Herz. Sie können erschrecken, einschüchtern oder euphorisieren. Pauken gehören zu den ältesten Musikinstrumenten überhaupt. Schildkrötenpanzer wurden mit Tierfellen bespannt, hohle Baumstümpfe wurden mit einem Kalbsfell zum

3 3 Instrument. Im antiken Babylon sind im Jahr 700 vor Christus Kesselpauken auf Bildern dargestellt worden. Ägypter und Israelis kannten sie, und von den alten Griechen stammt der Begriff Tympanon, der noch heute der Fachbegriff für die Pauken im Orchester ist Timpani. Der griechische Gelehrte Plutarch wusste von den Persern zu berichten, dass sie große Gefäße mit Leder bespannten und als Kriegstrommeln benutzten. Dieser Gebrauch hält sich über Jahrhunderte und scheint universell zu sein. Rhythmische und weithin vernehmbare Paukenschläge sind der Soundtrack von Kriegen und hallen auch dann noch nach, wenn der Frieden musikalisch gefeiert werden soll - mit einem Te Deum. Musik 2: CD Tracks Marc-Antoine Charpentier Te Deum 1. Prélude 2. Te Deum laudamus 3. Te aeternum Patrem Les arts florissants Ltg. William Christie HMF, HMC901298, LC , am 3. August, hatten französische Truppen gesiegt über die Niederländer unter Wilhelm von Oranien in der Schlacht bei Steinkerque. Charpentier komponiert sein Te Deum in prächtigem D-Dur. Er bezeichnete diese Tonart als freudig und sehr kriegerisch. Und neben Solisten, Chor und Streichorchester musizierten die Militär-Instrumente mit: Pauken und Trompeten. Wir kennen das Prélude von Charpentier heute als Eurovisions-Fanfare und damit auch als klingendes Symbol des Friedens im einigen Europa. Eine Musik, die für uns heute erhebend klingt und bei der wir uns meist auf Fernsehunterhaltung freuen. In den Ohren der Zeitgenossen aber dürften Pauken und Trompeten eindeutig für das Gegenteil von Frieden gestanden haben für Krieg. Bruits de guerre Kriegslärm so heißt diese kleine

4 4 musikalische Satzfolge von André Philidor, dem älteren Bruder von Jacques Philidor, der auch in Diensten des Sonnenkönigs stand. Musik 3: Tracks André Philidor Bruits de guerre La Simphonie Du Marais Hugo Reyne VIRGIN VERITAS, , LC07873 André Philidor hat die Schlacht von Steinkerque, die Ludwig XIV. gegen Wilhelm von Oranien ausfechten ließ, sogar noch konkreter als musikalisches Schlachtengemälde dargestellt. Und wieder ist der Klang der Kriegspauken durchgängig zu vernehmen während sich die Musiken der verschiedenen kämpfenden Parteien vermischen, bis nur noch eine übrig bleibt und die geschlagenen Truppen zum Rückzug blasen. Musik 4: Track 13 3:01 André Philidor La Bataille: Louis XIV contre Guillaume d'orange La Simphonie Du Marais Hugo Reyne VIRGIN VERITAS, , LC07873 Woher kommt es eigentlich, dass die Pauken in der europäischen Musik so klar, so eindeutig und so dauerhaft mit dem Thema Krieg verbunden sind? Sicher ist das Lautmalerische ein wesentlicher Faktor: Kriegslärm, das Getöse und Knallen von Kanonen und Feuerwaffen lässt sich nun einmal trefflich auf Pauken und Trommeln darstellen. Doch die Geschichte geht tiefer und reicht zurück ins Mittelalter in die Zeit der Kreuzzüge. Die Kreuzritter erlebten bei ihren Gegnern Pauken als Lärm- und Kommando-Instrumente. Diese Kesselpauken wurden immer paarweise gespielt und dabei auf dem Rücken von Pferden oder Kamelen transportiert.

5 5 Die Kreuzritter brachten so die ersten Pauken nach Europa, kleine Kesselpauken, die dann auch in die Musik der Kreuzfahrerzeit Eingang gefunden haben. Musik 5: Track 1 2:16 Anonymus La Quinte estampie real The Early Music Consort Of London David Munrow DECCA, , LC00171 Eine Estampie ist ein mittelalterliches Tanzlied und in dem Wort Estampie steckt das Wort stampfen. Hier eine königliche Estampie, bei der zwei verschieden gestimmte Pauken gespielt wurden gestimmt im Abstand von vier Tönen, einer Quarte also. Diese Quartstimmung aus dem Mittelalter war bis in die Klassik die übliche Stimmung für Pauken. Erst Ludwig van Beethoven wich von dieser Praxis ab und wählte andere Stimmungen für die Pauken davon wird noch die Rede sein in den kommenden SWR 2 Musikstunden dieser Woche mit dem Thema Tönet! Ihr Pauken. Das Paukenpaar wurde im Laufe der Jahrhunderte nach dem Mittelalter zum natürlichen Partner der Instrumente, die im Krieg die Signale übermittelten der Trompeten. Daher rührt die Redewendung mit Pauken und Trompeten, mit der entweder besonderer Pomp ausgedrückt wird oder auch stolzes Scheitern, wenn man mit Pauken und Trompeten untergeht. Pauken und Trompeten und die Männer, die sie spielten, hatten also im Militär und bei Hofe eine herausgehobene Stellung. Trompeter und Heerpauker gaben ihr Wissen untereinander stets nur mündlich weiter. So bekam die Kunst des Paukens und Trompetespielen schnell den Ruf einer Geheimkunst. In Deutschland bildeten sich sogar eine Trompeterzünfte und das Spielen von Trompete und Pauken war nur Mitgliedern dieser

6 6 Zünfte gestattet. Die Strafen bei Zuwiderhandlung waren drakonisch: Wer widerrechtlich Trompete spielt, dem wurden die Zähne ausgeschlagen... Trompeter und Pauker am französischen Königshof gehörten dem Marstall an, gehörten zur Grande Écurie. Im Januar 1675 ließ der Hofkomponist Ludwigs XIV., Jean Baptiste Lully, zum ersten Mal Angehörige der Grande Écurie in der Chambre du Roi mitspielen, in den königlichen Gemächern in seiner Oper Thésée. Thésée ist eine Tragédy lyrique. Das ist die von Lully begründete französische Form der Barockoper. In fünf Akten und einen Prolog wird eine Dreiecks-Liebesgeschichte erzählt, in deren Zentrum Theseus steht, einer der großen Helden der Antike. Auch Göttinnen und Götter bevölkern die Bühne Venus und Mars, Bacchus und Minerva. Sie, Minerva, rückt am Ende mit göttlicher Kraft wieder zurecht, was Medea in ihrer Rache zerstört hat und rettet den Helden Theseus, der ein junger Krieger ist. Und mit Theseus und seinen Kriegern erscheinen bei Lully nun zum ersten Mal Pauken und Trompeten im Opernorchester. Musik 6: CD I, Tracks Jean-Baptiste Lully Thésée Szene 10, 1. Akt Chor & Orchester des Boston Early Music Festival Paul O Dette & Steven Stubbs CPO, , LC08492 Noch auf einem anderen Weg sind die Kesselpauken aus dem Orient nach Westeuropa gekommen, und wieder war es ein kriegerischer Kontext: Zu dem Truppen der osmanischen Sultane hatten immer Elite-Einheiten der Janitscharen gehört. Deren Angehörige wurden meist in Südeuropa bei sogenannten Knabenlesen rekrutiert.

7 7 Als Kinder kamen sie in die Türkei, bekamen neue Namen und wurden islamisiert. So entstand eine Truppe, die allein dem Sultan verpflichtet war und auch seine Diplomaten mit ihrem Pomp begleitete. Das Besondere dieser Truppen war ihre laute Militärmusik, gespielt auf oboenähnlichen Blasinstrumenten und verschiedenen Trommeln, Pauken, Becken und Schellenbäumen. Sinn und Zweck dieser Musik: Sie sollte die Feinde einschüchtern und den Mut der eigenen Krieger steigern. Als die osmanischen Heere die Kaiserstadt Wien belagerten, da schossen sie nicht nur mit Kanonen über und gegen die Stadtmauer, sondern sie unterzogen Wien auch einer Dauer-Beschallung ihrer Janitscharen- Kapellen. Die Wiener sollen zwar zurück musiziert haben, aber das dürfte die Lage nicht wesentlich verbessert haben. Nachdem die Türken dann abgezogen waren, übernahmen die Wiener zwei Dinge von ihren Feinden: Den Kaffee und die türkischen Musik- Instrumente: Pauken, Becken, Schellenbaum kurz Die türkische Batterie. Hören Sie zunächst ein Stück aus dem Repertoire der Janitscharen, komponiert von Ali Ufki, der eigentlich aus Polen stammte und Wojciech Bobowski hieß. Danach dann ein Stück alla turca -Musik aus Christian Cannabichs Mannheimer Ballett Les Fetes du Serailles. Musik 7: Tracks 18 & 1 5:05 Ali Ufki Neva Ceng-i Harbi & Christian Cannabich Les fetes du Serailles Nr. 22: Contredance Pera-Esenmble L arte del mondo Ltg. Werner Ehrhardt LUDI MUSICI, 002, LC15148

8 8 Alla turca -Musik sorgte im 18. Jahrhundert endgültig dafür, dass sich der Kernbestand des Schlagzeugs im Orchester ausformte neben den Pauken, die bereits gemeinsam mit den Trompeten zum Orchester gehörten, kamen nun noch kleine Trommel und Becken dazu. Und bei den beliebten Türkenopern auch der Schellenbaum. Der gehört übrigens auch heute noch zum Kern jeder deutschen Militär-Kapelle und jedes Spielmannszugs. Seit Lullys Thesée waren Pauken und Trompeten Teil des Opernorchesters. Es dauerte nicht einmal zwanzig Jahre, da komponierte Henry Purcell in England, die Noten, die heute als erstes Paukensolo der Musikgeschichte gelten und zwar in der Symphony im 4. Akt seiner Oper The Fairy Queen nach William Shakespeares Sommernachtstraum. Musik 8: Track (2) ca. 3:00 (6:08) Puffer (von Anfang) Henry Purcell The Fairy Queen Symphony, Act IV The London Classical Players Sir Roger Norington VIRGIN, , LC07873 Ihren herausgehobenen Status unter den Musikern haben die Trompeter seit jeher mit dem Alten Testament begründet. Moses erhielt von Gott nämlich nicht nur die Tafeln mit den 10 Geboten, sondern auch zwei Trompeten. Trompeten galten als heilig. Dieser Sonderstatus färbte ab auf die Pauken, die stets im Gespann mit den Trompeten erschienen. Die Heiligkeit und diesen Glanz haben dann gerne auch die weltlichen Herrscher auf sich umgeleitet denn schließlich herrschten sie nach ihrem Verständnis von Gottes Gnaden. Und so sind Trompeten und Pauken auch musikalische Herrscher-Insignien geworden.

9 9 Tönet! Ihr Pauken. Erschallet, Trompeten mit dieser Aufforderung hebt der Eingangschor einer weltlichen Kantate von Johann Sebastian Bach an. Bach bemühte von Leipzig aus um die Anerkennung des sächsischen Herrscherhauses und wurde tatsächlich später zum Königlich Polnischen und kurfürstlich Sächsischen Hofkompositeur ernannt. Erster Schritt zu dieser Ehre war die Huldigungskantate für die Kürfürstin Maria Josepha. Wir kennen heute den Eingangschor in seiner späteren, geistlichen Version aus dem Weihnachtsoratorium. Aber, wie wir ja eben gehört haben: weltliche und göttliche Macht wurden zu Bachs Zeiten als eins gesehen und darum auch mit denselben musikalischen Mitteln verehrt: Mit Pauken und Trompeten. Musik 9: Track 10 7:38 Johann Sebastian Bach Tönet, Ihr Pauken! Erschallet, Trompeten BWV 214 Eingangschor Collegium vocale Gent Philippe Herreweghe HMF, HMC , LC07045