SWR2 Musikstunde. Dona nobis pacem oder Give peace a chance Musik für den Frieden (5) SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Dona nobis pacem oder Give peace a chance Musik für den Frieden (5) Von Jürgen Liebing Sendung: Freitag, 25. Juli Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 2 MUSIKSTUNDE mit Jürgen Liebing Dona nobis pacem oder Give peace a chance Musik für den Frieden Teil 5 Das Bett gilt als ein friedlicher Ort. Das dachten sich auch John Lennon von den Beatles und die japanische Popart-Künstlerin Yoko Ono, als sie 1969 heirateten und zu einer besonderen Hochzeitsreise aufbrachen. Die sollte mehrere Monate dauern und deren Zielorte waren meistens Hotelbetten, was erst einmal so außergewöhnlich nicht war, denn jeder Reisende landet zumindest in der Nacht in einem Hotelbett. Aber sie machten es öffentlich und blieben auch tagsüber im Bett. Dadurch kreierten sie eine neue Form des Protests, das sogenannte Bed-in. In Amsterdam ihr Zimmer in dem Hotel kann man noch heute besichtigen gaben sie Journalisten Auskunft über ihre Absichten. John Lennon sagte Give peace a chance. In Montreal nahmen sie dann am letzten Tag ihres Bed-ins diese Friedensbotschaft im Hotel La Reine Elisabeth auf, und Petula Clark, Timothy Leary Alan Ginsberg und viele andere sangen mit ihnen. So entstand eine neue Hymne der Friedensbewegung. 1) CD Track 1 John Lennon/Yoko Ono 4:57 Give Peace a chance John Lennon & Yoko Ono u.a. EMI LC 00299

3 3 Die Protestform des Bed-ins hat sich dann doch nicht so recht durchsetzen können, außer vielleicht im privaten Bereich. Öffentlich dagegen wurde die Affäre des großen Komponisten Jean-Baptiste Lully mit einem Pagen des Hofs, und wie selbstverständlich landeten die beiden im Bett und das vor den Augen seiner Frau und seiner Tochter. König Ludwig XIV., in dessen Gunst der Komponist bis dahin stand, gefiel das überhaupt nicht, ja er war darüber geradezu erbost. Umso mehr bemühte sich Lully, als es daran ging die Idylle zum Frieden auf ein Libretto von Jean Racine zu vertonen. Es blieb die einzige Zusammenarbeit zwischen dem Dichter und dem Komponisten. Bei dem zitierten Frieden ging es um den von Regensburg, der ein Jahr zuvor zwischen Frankreich, Spanien und dem Heiligen Römischen Reich geschlossen wurde. Es war ein kurzer Krieg, erfolgreich für den französischen König. Aufgeführt wurde diese Idylle für den Frieden im Schloss Sceaux von Marquis de Seignelay, der entscheidenden Anteil an dem guten Ausgang des Krieges hatte. 2) *CD Track 10 Jean-Baptiste Lully 3:12 Idylle sur la Paix Ouvertüre La Simphonie du Marais Ltg. Hugo Reyne ACCORD LC 00280

4 4 Lully hat der Partitur eine Widmung vorangestellt: Sire, ich unterbreite Ihrer Majestät dieses kleine Werk mit umso mehr Vertrauen, als Sie mehrfach geruhte, ihm Ihre Aufmerksamkeit zu schenken und mir sogar versicherten, dass es ihr gefiel. So geht es noch eine gute Weile weiter, bis er endlich zu dem Schluss kommt: Was bleibt mir nach all dem anderes übrig, Majestät, als den Himmel gemeinsam mit jenen Hirten anzuflehen, dass er die Dauer ihres ruhmreichen Lebens der Dauer des Universums angleiche? Diese Wünsche spreche ich jeden Tag aus, als Ihrer Majestät untertänigster und gehorsamster Diener. Lully. Wir wissen, dass das Leben von Ludwig XIV. verglichen mit der Dauer des Universums nicht einmal einen Wimpernschlag währte, und doch half das Lully nichts, denn das Verhältnis zwischen ihm und dem König blieb nachhaltig gestört. Im selben Jahr wurde in Fontainebleau Lullys Ballett Der Tempel des Friedens aufgeführt, in Auftrag gegeben vom Dauphin Louis, dem Sohn des Königs. Aufgeführt wurde es zwei Tage nach der Aufhebung des Edikts von Nantes, mit dem ein friedliches Zusammenleben von Katholiken und Protestanten gewährleistet werden sollte. Alles andere als eine Aktion zur Sicherung des Friedens.

5 5 3) *CD Track 5 Jean-Baptiste Lully 1:11 Le Temple de la Paix Gigue La Simphonie du Marais Ltg. Hugo Reyne ACCORD LC Der Frieden ist alles andere als eine Idylle, und Tempel werden für ihn auch nicht mehr errichtet, wenngleich man die Kathedrale von Coventry als einen solchen ansehen könnte. Im November 1940 wurde die mittelenglische Stadt von deutschen Bombern innerhalb von zwei Nächten beinahe völlig zerstört. Als Ruine blieb auch die Kathedrale übrig. Allein die Außenmauern hatten nach den Bomben und dem anschließenden Brand standgehalten. Mitte der Fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beschloss man, sie neu aufzubauen, aber nicht als Rekonstruktion, sondern als Neubau, allerdings ohne die großen Türme im Westen der Kathedrale. Zwischen der alten und der neuen Kirche befindet sich eine Glaswand, so dass eine optische Verbindung zwischen beiden existiert. Ähnlich wenn auch auf ganz andere Weise wurde die Kaiser Wilhelm-Gedächtnis Kirche in Berlin wieder aufgebaut. Der alte Glockenturm blieb als Ruine bestehen, daneben befinden sich die neue Kirche und der neue Glockenturm.

6 nahm Queen Elisabeth II. in Coventry die Grundsteinlegung vor, und nach sechsjähriger Bauzeit fand am 25.Mai 1962 die Einweihung statt. Aus diesem Anlass komponierte Benjamin Britten, der wie sein Lebensgefährte Peter Pears den Kriegsdienst verweigert hatte, sein War Requiem. Auch wenn es im Titel dem Frieden zu widersprechen scheint, so ist es doch durch seine Anklage des Kriegs eines der bedeutendsten Werke für den Frieden des vergangenen Jahrhunderts. 4) +CD 1 Track 1 Benjamin Britten 5:58 War Requiem Requiem aeternam The Bach Choir, London Symphony Orchestra Chorus, Highgate School Choir London Symphony Orchestra Ltg. Benjamin Britten DECCA LC Benjamin Britten komponierte ein Requiem, denn wenn auch der Zweite Weltkrieg mehr als fünfzehn Jahre vorbei war, so waren doch die Wunden noch längst nicht verheilt. Benjamin Britten kombiniert den Text des Requiems mit Gedichten von Wilfred Owen, der eine Woche vor dem Ende des Ersten Weltkriegs fiel. Und so heißt es nach dem einleitenden Requiem aeternam :

7 7 Was für Totenglocken gebühren denen, die wie Vieh sterben?/ Nur die ungeheure Wut der Geschütze. Seinen Gedichten, die im Lazarett und auf den Kriegsfeldern von Flandern entstanden sind, stellte Wilfred Owen das Motto voran: Mein Thema ist der Krieg und das Mitleid, das der Krieg bringt. Die Poesie liegt im Mitleid. Ein Dichter kann heute nur eins tun: warnen. So verstand auch Benjamin Britten sein War Requiem : als Warnung. Nicht der Frieden konnte gefeiert werden, vielmehr waren die Toten zu betrauern. So ist es nicht verwunderlich, dass das Agnus Dei mit der Bitte um Frieden der kürzeste Teil dieses Requiems ist. 5) +CD 2 Track 3 Benjamin Britten 3:37 War Requiem Agnus Dei Peter Pears, Tenor The Bach Choir, London Symphony Orchestra Chorus, Highgate School Choir London Symphony Orchestra Ltg. Benjamin Britten DECCA LC Die musikalische Struktur zu erörtern, würde hier zu weit führen, aber Benjamin Britten hatte eine wunderbare Idee: Die drei Solopartien waren einmal bestimmt für seinen

8 8 Lebensgefährten Peter Pears, dann für den Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, als Deutscher Angehöriger der verfeindeten Nation, die verantwortlich war für die Zerstörung des Kathedrale von Coventry, und nicht nur dafür, sowie für die russische Sopranistin Galina Wischnewskaja, Angeörige jenes Landes, das wohl am meisten hatte leiden müssen ein besonderes Zeichen. Aber sie erhielt für die Mitwirkung bei der Uraufführung keine Ausreisegenehmigung aus der Sowjetunion. Als sie nachfragte, erhielt sie die Antwort: Weil die Coventry-Kathedrale mit deutschem Geld wieder aufgebaut wurde. Es wäre besser, sie läge noch in Trümmern, um an die Brutalität des Faschismus zu erinnern. Einen früheren Feind sollte man nicht zum Freund machen. 6) +CD 2 Track 6 Benjamin Britten 5:34 War Requiem Let us sleep now Galina Wischnewskaja, Sopran; Peter Pears, Tenor; Dietrich Fischer- Dieskau The Bach Choir, London Symphony Orchestra Chorus, Highgate School Choir London Symphony Orchestra Ltg. Benjamin Britten DECCA LC 00171

9 9 Erst an der späteren Plattenaufnahme konnte Galina Wischnewskaja dann doch teilnehmen. Coventry und Dresden, zwei derjenigen Städte, die während des Zweiten Weltkriegs besonders betroffen worden waren, sind heute Partnerstädte. Die Dresdner Frauenkirche wurde von angloamerikanischen Bombern gleichfalls in diesem Krieg zerstört, und über Jahrzehnte war sie ein Mahnmal für die Gräuel dieses Krieges. Inzwischen ist sie wieder aufgebaut worden, und den Turm schmückt ein Kreuz, das aus England stammt, geschmiedet von Alan Smith. Anlässlich des 50.Jahrestags der Bombardierung Dresdens wurde in der Stadt ein besonderes Requiem aufgeführt, an dem 129 Glocken in 47 Geläuten beteiligt waren. Um dieses Werk zu realisieren, bedurfte es eines großen technischen Aufwands, denn die 80 Mitwirkenden mussten koordiniert und komplizierte Vorbereitungen getroffen werden. Am 12.Februar 1995 um Uhr war es dann so weit. Das von Johannes Wallmann komponierte Werk erklang zum ersten Mal. Natürlich ist es illusorisch ein solches Werk technisch angemessen zu reproduzieren, aber zumindest einen Eindruck vermag die damals entstandene Aufnahme zu vermitteln. Zu dem abschließenden Sanctus meinte Komponist Wallmann: Das Sanctus ist als das Zusammenwirken aller Glocken vielleicht als ein Lebensstrahl, als Ausdruck eines starken Lebenswillens, als ein klanglich wahnsinnig schöner Lobgesang von Chaos und Kosmos, als eine Feier ewigen Lebens zu hören.

10 10 Beginnend mit den Geläuten im Norden und Westen verzieht sich der Klang zum Ende des Sanctus nach Süden und Osten zu den Weltreligionen, in denen sich die Probleme türmen. 6) CD Track 7 Johannes Wallmann 7:10 Glocken Requiem Dresden Sanctus Glocken Dresdens SÄCHSISCHE TONTRÄGER LC Am Ende kehrte der Klang in die Mitte der Stadt zurück, zum tiefen E der großen Glocke der Dresdner Kreuzkirche. Als Wallmanns Werk uraufgeführt wurde, da war die Frauenkirche noch nicht in ihrer alten, barocken Pracht wiedererstanden, ihr Geläut fehlt also in diesem Requiem. Aber auch die Ruine fehlt so manchem als eines der eindrücklichsten Mahnmale für die Sinnlosigkeit dieses Krieges. Begonnen hat diese Woche mit einem Agnus Dei, bei dem die Bitte um Frieden einen breiten Raum einnimmt. Es entstand während des Vietnam-Krieges, und der Komponist war ein Jude, der in einem stark protestantischen Land eine katholische Messe als Auftragswerk für die Eröffnung des John F.Kennedy Center for the Performing Arts komponiert. Die Rede ist von Leonard Bernstein und seiner Mass, die am 8.September 1971 uraufgeführt wurde.

11 11 7) CD 2 Track 11 (5:38) + Anfang von 12 (0:13) Leonard Bernstein 5:51 Mass Agnus Dei Rundfunkchor Berlin Pacific Mozart Ensemble Staats- und Domchor Berlin Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Ltg. Kent Nagano HMG LC Dona nobis pacem oder Give peace a chance, das war in unser Thema in dieser Musikstundenwoche, und es gibt darüber hinaus noch viele musikalische Beispiele, die es wert gewesen wären, hier zitiert zu werden. Als friedlicher Ausklang nun noch ein kleines Stück von Percy Grainger. 8) CD Track 9 Percy Grainger 2:50 Peace Penelope Thwaites, Klavier CHANDOS 9895 LC 07038