Ausgangspunkt: Warum hat kaum ein(e) Volkswirt(in) die Krise vorhergesagt bzw. für möglich erachtet?
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- Sarah Fischer
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1 Was ist Ihre Motivation für diese LVA? Mögliche Motivation zu den beiden Lehrveranstaltungen Kulturgeschichte 1 + 2: Verständnis über die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 bzw. 2008, aktuell die Finanzierungskrise einiger Eurostaaten und die Restrukturierung des Euroraums durch den Fiskalpakt Ausgangspunkt: Warum hat kaum ein(e) Volkswirt(in) die Krise vorhergesagt bzw. für möglich erachtet? Ist das ein Indiz für eine Krise der Volkswirtschaftslehre? Was könnten Gründe dafür sein? (a) Netzwerke: die Wissenssoziologie des Feldes (mainstream economics) (b) Denksysteme, Paradigma der Führenden in diesem Feld Projekt am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft: wie haben ÖkonomInnen in den Medien auf die Krise 2008 reagiert? (Denkweisen, Metaphern, Netzwerke) Ziel der beiden Vorlesungen Kulturgeschichte des Denkens über die Wirtschaft: Informationen zu geben, auf welchen Denkvoraussetzungen das Denken vieler in der VWL beruht? Situation in der Wirtschaftstheorie: ein dominantes Paradigma in den Lehrbüchern die Neoklassik (Lehrbücher der Mikroökonomie) (vgl. dazu mein Buch Mythos Markt, 2009) Was ist ein Paradigma? 1
2 Unser Gegenstandpunkt, unsere (paradigmatische) Sichtweise der Wirtschaft Negativ formuliert Die Vorlesungen werden aus einem kritischen Standpunkt zur Neoklassik gegeben. Zwei Hauptkritiken: 1. Das neoklassische Paradigma ist eine Art Sozialphysik : die Wirtschaft als Maschine, mit mechanischen Regelmäßigkeiten und Gesetzen 2. Das neoklassische Paradigma fördert eine marktradikale (neoliberale) Sichtweise der Wirtschaft Positiv formuliert 1. kulturhistorisch (siehe unten) 2. performativ (performativity of economics): Nachdenken über die gesellschaftlichen Wirkungen des ökonomischen Denkens 3. institutionell: Wirtschaft als System von institutionellen Regelungen o (Die Neoklassik beschreibt die Wirtschaft als System von anonymen Märkten ) 4. politökonomisch: Verknüpfung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, auch mit Machtsystemen o (Die Neoklassik thematisiert in der Regel Machtfragen nicht) 2
3 Warum sind Denkvoraussetzungen wichtig? Alles, was wir tun, hängt von Denkvoraussetzungen ab. Wir leben unsere eigenen Paradigmen. Persönliche Beispiele? Denkvoraussetzungen auf einer gesellschaftlichen Ebene: wie denken die Medien, die öffentliche Meinung, die politischen Parteien, über die Wirtschaft? Gibt es eine gesellschaftlich dominante Art des Denkens über die Wirtschaft? Wie kann man Denkvoraussetzungen ausfindig machen? Eine Möglichkeit ist, auf Kategorien zu achten. Was sind Kategorien? Persönliche Beispiele für Kategorien: Beispiele aus der Kulturgeschichte: Götter in der Antike Objekte im Mittelalter Natur in der Neuzeit à Welt- Bilder 3
4 Was heißt Kulturgeschichte? Der Begriff Kultur Die kulturalistische Wende (cultural turn) in den Sozialwissenschaften Erweiterung des impliziten Rahmens der neoklassischen Handlungstheorie (Haushaltstheorie, Unternehmenstheorie) Das Handlungsmodell des (neoklassischen) Homo Oeconomicus Beispiel: Konsumtheorie (Nachfragetheorie) des Haushalts Haushalt hat bestimmtes Vermögen und Einkommen (Budget) Die Preise für Konsumgüter sind gegeben Er kann verschiedene Konsumgüter wählen Jede Wahl beeinflusst seinen Nutzen (Präferenzniveau) Er wägt das nach Nutzen bzw. Präferenzen ab Er maximiert seinen Nutzen (Präferenzen) Daraus folgt die Nachfrage auf den Konsumgütermärkten (Neoklassik als Theorie des rationalen Handelns) Zustände der Welt Handlungsalternativen Konsequenzen Bewertungen Zielfunktion Die Entscheidung erklärt das Verhalten Zustände der Welt Handlungsalternativen Konsequenzen Bewertungen Zielfunktion Entscheidung Handlung 4
5 Dieses Modell kann man zweifach erweitern: a) Soziologisch: Normen, Regeln à normenorientiertes Handeln b) Kulturwissenschaftlich: Symbolische Ordnungen, Sinnorientierungen, Denk- und Wahrnehmungs- Kategorien, Welt- Bildern, Die Zustände der Welt, die Handlungsalternativen, sind in einer kulturwissenschaftlichen Deutung nicht voraussetzungslos gegeben. Sie sind das Ergebnis von Deutungen. Fakten versus Deutung von Fakten Die Rolle von Deutungen für wirtschaftliches Verhalten Beispiel: der Einfluss von Erwartungen über Finanzentscheidungen Kulturwissenschaftliche Grundannahmen à Der Mensch als sinnproduzierendes bzw. bedeutungsgebendes Wesen à verstehende Ansätze: Hermeneutik [GADAMER, TAYLOR, HABERMAS] à relativistische bzw. konstruktivistische Ansätze: soziale und kulturelle Konstruktionen [LUCKMAN, VON FÖRSTER, GLASERSFELD, FLECK] à phänomenologische Ansätze: eigener Nachvollzug [MERLEAU- PONTY] à Die Bedeutung von Metaphern und Bilder für das Denken [LAKOFF] 5
6 Grundideen der beiden Vorlesungen: die Variabilität der symbolischen Formen im Denken über die Wirtschaft über die Jahrhunderte ein Überblick über Bilder der Wirtschaft, die kulturell bedeutsam waren, bis zum Neoliberalismus heute Ziele der beiden Vorlesungen: einige Voraussetzungen verständlich machen, auf denen das Wahrnehmen und Denken über wirtschaftliche Vorgänge in früheren Jahrhunderten basiert hat. Damit soll eine größere Einsicht gewonnen werden, warum damals bestimmte dominante Ansätze in der ökonomischen Theorie plausibel gewesen sind. Dies soll auch ein Verständnis für die geschichtlichen Hintergründe unseres Wirtschaftssystems (des Finanzkapitalismus) vermitteln, es basiert auf einem Denken des Marktes, das sich im 20. Jahrhundert aus Ansätzen der klassischen und neoklassischen Nationalökonomie im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt hat. Gleichzeitig soll in einigen Aspekten vermittelt werden, welche Art von Denken für das gegenwärtige Wirtschaftssystem und seinen Problemen aus unserer Sicht angemessen ist. 6
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