BAMF-Forschungstag 2012 Forum 7: Wissen im Gepäck. Potenziale von Migranten in historischer und aktueller Perspektive (ForMig)

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1 BAMF-Forschungstag 2012 Forum 7: Wissen im Gepäck. Potenziale von Migranten in historischer und aktueller Perspektive (ForMig) Kurzvorstellung des Forschungsprojekts: Transnationale Wissensmittler. Die Migration tschechoslowakischer Journalisten und ihre Radio Free Europe in München ( ) Die Geschichte dieses Projekts beginnt am 25. Februar 1948, dem Tag, an dem die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei die Macht übernahm. Infolge dieses Ereignisses verließen tausende politisch Andersdenkende das Land. Zwei Jahre später, im Mai 1950, nahm der amerikanische Radiosender Radio Free Europe (RFE) seinen Betrieb auf. Der Sender war aus politischen, wirtschaftlichen und geographischen Gründen damals in München angesiedelt. Im Kontext des Kalten Krieges spielte der Rundfunk eine ganz besondere Rolle: Im Gegensatz zu den traditionellen Printmedien konnten Rundfunkwellen den Eisernen Vorhang überschreiten und die Geschlossenheit der politischen Blöcke wie auch der Gesellschaften durchbrechen. RFE sendete in die Tschechoslowakei, später auch nach Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien und stellte für die Menschen in diesen Ländern eine der wenigen Quellen für eine alternative Berichterstattung zu den von den Kommunisten beherrschten Medien dar. Die Journalisten, die bei RFE arbeiteten, waren demokratisch gesinnte Emigranten, die in ihrer Muttersprache und in ihrer gewohnten Art und Weise über den Rundfunk zu ihren Landsleuten sprachen. Für diese Emigranten war ihre Tätigkeit bei RFE meist auch ein ganz persönliches Anliegen. Sie versorgten ihre Landsleute mit Informationen, die ihnen vorenthalten wurden, z.b. über das Leben im Westen, und setzten sich damit gegen das kommunistische Regime und für die Wiedereinführung demokratischer Verhältnisse in ihrer Heimat ein. Abgesehen von der Motivation der Emigranten war der Sender aber gleichzeitig auch ein wichtiges außenpolitisches Instrument der USA im Ost- West-Konflikt, mit dem die Informationslage in den Gesellschaften des östlichen Europas beeinflusst werden konnten. Von den kommunistischen Regimen wurde RFE als Provokation wahrgenommen, sie versuchten, den Empfang des Senders zu verhindern und belegten die jeweiligen Frequenzen mit Störsendern. Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts steht die Migrantengruppe der tschechischen und slowakischen Journalisten, die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren für RFE in München 1

2 arbeiteten. Diese Gruppe die tschechoslowakische Redaktion hatte gut 100 Mitarbeiter. Was ist so interessant an dieser Migrantengruppe? Es handelt sich um (hoch)qualifizierte Migranten, die journalistisch tätig waren und die mit ihrer Tätigkeit als Wissensmittler über die Grenzen, die damaligen politischen Blockgrenzen, agierten. Migranten, die journalistisch tätig sind, können in ihrer Berichterstattung eine ganz besondere Perspektive einnehmen, denn sie sind sowohl durch ihr Heimatland geprägt, kennen aber auch die Kultur des Landes, in dem sie leben. Wir fragen nach der Rolle, die diese Journalisten als transnationale Wissensmittler spielten, und dies in beide Richtungen: über Radiosendungen ihn ihr Heimatland, die Tschechoslowakei, aber auch ihre Bedeutung bei der Kommunikation von Wissen in Deutschland, in der Interaktion mit der deutschen Gesellschaft. Welche Kontakte und Austauschkanäle bestanden zum Beispiel zwischen den tschechischen und slowakischen Journalisten und der deutschen Bevölkerung? Und wie ging man in Deutschland mit dieser Einwanderergruppe um? Wurden die Kompetenzen der Migranten nachgefragt? Die tschechischen und slowakischen Migranten, die bei RFE arbeiteten, kamen hauptsächlichen im Zuge zweier großer Migrationswellen aus der Tschechoslowakei nach Deutschland: nach der bereits erwähnten kommunistischen Machtergreifung im Februar 1948 und infolge der Niederschlagung des sogenannten Prager Frühlings Verlässliche Zahlen für diese Migrationswellen gibt es nicht, da die amtlichen Statistiken in dieser Frage nicht sehr belastbar sind. Schätzungen gehen davon aus, dass von 1948 bis Mitte der 1950er Jahre bis Menschen aus der Tschechoslowakei abwanderten. Für die Jahre 1968 bis 1970 vermutet man, dass mehr als Personen das Land verließen. Insgesamt geht man davon aus, dass zwischen 1948 bis bis tschechoslowakische Staatsbürger emigrierten. Bei vielen von ihnen führte der Migrationsweg durch Deutschland oder endete in Deutschland. Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre war man in Deutschland nicht vorbereitet auf politische Flüchtlinge aus dem östlichen Europa. Sie wurden in eilig eingerichteten Flüchtlingslagern untergebracht, viele davon in Bayern. In diesen Lagern rekrutierte RFE einen bedeutenden Teil seiner Mitarbeiter der ersten Stunde. Mit Radio Free Europe und einer ganzen Reihe weiterer Exilorganisationen entwickelte sich München in dieser Zeit zum Zentrum politischer Emigranten aus Ostmitteleuropa und Osteuropa in Deutschland. 2

3 Unsere Untersuchungsgruppe ist ein Beispiel für eine Migrantengruppe in Deutschland, die bereits in den ganz frühen Jahren der Bundesrepublik zuwanderte und die wie wohl auch jede andere für die Aufnahmegesellschaft sowohl bisweilen problematisch war bzw. ein Umdenken erforderte, von der andererseits die Deutschland bzw. die deutsche Politik und Gesellschaft aber auch profitierte. Die folgenden ausgewählten, nur sehr kurz angeschnittenen Beispiele sollen dies verdeutlichen. Gleichzeitig vermitteln sie einen Eindruck davon, in welchen Bereichen der Aufnahmegesellschaft der Zuzug von Migrantengruppen Auswirkungen haben kann. Dies gilt für die damalige Zeit, jedoch ebenso für heute. Einerseits: Aus der Sicht der bayerischen Polizei stellte sich RFE vorrangig als Sicherheitsrisiko dar: Osteuropäische Geheimdienste schleusten Spitzel nach München. Es kam wiederholt vor, dass RFE-Mitarbeiter oder ihre Angehörigen bedroht wurden, sowohl auf Personen als auch auf das Gebäude wurden Anschläge verübt, die von osteuropäischen Geheimdiensten initiiert wurden. Radio Free Europe war auch für die deutsche Außenpolitik ein Thema. Insbesondere war der Sender eine unangenehme Angelegenheit für die Regierung Brandt und ihre Neue Ostpolitik, die den Wandel durch Annäherung der BRD an ihre östlichen Nachbarländer verfolgte. Die Verhandlungen zu den Ostverträgen wurden verkompliziert aufgrund der Tatsache, dass RFE von deutschem Boden aus sendete. Die kommunistischen Regierungen forderten, dass der Sender geschlossen werde (was schon aufgrund amerikanischer Interessen nicht durchsetzbar war) und so wurde diese Forderung als Druckmittel in den Verhandlungen genutzt. Politische Emigranten galten als eine Zuwanderergruppe, die dazu tendiert, geschlossene Gemeinschaften zu bilden und nicht an einer Integration ins Aufnahmeland interessiert zu sein. Andererseits: RFE schuf knapp Arbeitsplätze für die Münchener Bevölkerung bzw. in Oberbayern. Vor allem Deutsche waren in den technischen und administrativen Abteilungen des Rundfunksenders angestellt. RFE häufte, wie wohl kaum eine andere Institution, gegenwartsbezogenes Wissen über das östliche Europa an: Archiv und Bibliothek mit der aktuellen Presse der sozialistischen Länder, Informationsbulletins und regelmäßige Presseschauen wurden der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Zeitschrift Hinter dem Eisernen 3

4 Vorhang (später Osteuropäische Rundschau ) wurde von Politikern, Diplomaten, Journalisten, Universitäts- und anderen Bibliotheken im Abonnement bezogen. Die RFE-Journalisten galten als Spezialisten in Sachen Osteuropa, gerade auch, was das aktuelle politische Geschehen in diesen Ländern anging. Sie wurden in dieser Funktion weniger am Anfang, in den 1950er Jahren aber doch ab den 1960er Jahren regelmäßig konsultiert. Das von RFE in den Radiosendungen vermittelte Bild von Deutschland war insgesamt sehr positiv, was der Sendepolitik von RFE entsprach. Es ist zu vermuten, dass dieses vermittelte Bild von (West-)Deutschland auf die RFE-Hörer und ihre Wahrnehmung von Deutschland, die unter dem Einfluss der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs stand, wirkte und auch durch das Bild, das kommunistische Medien von der Bundesrepublik zeichneten, geprägt wurde. Die tschechischen und slowakischen Mitarbeiter von RFE engagierten sich in Berufsverbänden, in deutschen Medien und in der Wissenschaft. Anders als von den Migranten selbst ursprünglich erwartet, blieben viele von ihnen auch nach der Samtenen Revolution von 1989 und nach dem Umzug des Senders nach Prag Mitte der 1990er Jahre in München wohnen. Literaturauswahl: Cummings, Richard H. (2009): Cold War Radio. The Dangerous History of American Broadcasting in Europe McFarland & Company. Heumos, Peter (1989): Die Emigration aus der Tschechoslowakei nach Westeuropa und dem Nahen Osten München. Hill, Crissie Dore (2001): Voices of Hope. The Story of Radio Free Europe and Radio Liberty, in: Hoover Digest 2001 (4). Hoffmann, Roland J. (1996): Die Anfänge der Emigration aus der Tschechoslowakei nach der kommunistischen Machtergreifung vom Februar 1948 und die provisorische Aufnahme der Flüchtlinge in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands. Praha. Johnson, A. Ross/Parta, R. Eugene eds. (2010): Cold War Broadcasting. Impact on the Soviet Union and Eastern Europe. A collection of studies and documents. Central European University Press Budapest New York. Johnson, A. Ross (2010): Radio Free Europe and Radio Liberty. The CIA Years and Beyond. Stanford University Press. Puddington, Arch (2000): Broadcasting Freedom. The Cold War Triumph of Radio Free Europe and Radio Liberty. Lexington. Sedláček, Karel (1993): Volá Svobodná Evropa. Radio Free Europa, Radio Liberty [Radio Free Europe Calling. Radio Free Europe, Radio Liberty]. Praha. 4

5 Šimko, Dušan (2010): Tschechoslowakische Flüchtlinge in West-, Mittel- und Nordeuropa seit In: Bade, Klaus J. u.a. (Hgg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Paderborn München, Kontakt: Anna Bischof LMU München Historisches Seminar Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas Geschwister-Scholl-Platz 1 D München Anna.Bischof@lrz.uni-muenchen.de 5