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1 Manuskript radiowissen SENDUNG: Uhr GESCHICHTE Ab 8. Schuljahr AUFNAHME: STUDIO: TITEL: Die Nibelungen Ein deutscher Mythos AUTOR/IN: Herbert Becker REDAKTION: REGIE: PERSONEN: Petra Herrmann Eva Demmelhuber Zitatorin: Musik Atmo Zuspielungen Besondere Anmerkungen: ED

2 2 1. Musik (Schoßharfe; Georg Kummer: "Das Nibelungenlied") So könnte es geklungen haben, wenn im Mittelalter ein fahrender Sänger auftrat - Walther von der Vogelweide etwa, Hartmann von Aue oder Wolfram von Eschenbach - und für die Damen und Herren eines fürstlichen Hofes Lieder von unerfüllter Liebe oder von den Heldentaten edler Ritter sang. noch 1.Musik (hoch) (Gesang) Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen. Musik (runter) In alten Geschichten wird uns vieles Wunderbare berichtet: von ruhmreichen Helden, von hartem Streit, von glücklichen Tagen und Festen, von Schmerz und Klage, vom Kampf tapferer Recken: Davon könnt auch Ihr jetzt Wunderbares berichten hören. Diese Verse leiten das Nibelungenlied ein. Ungefähr Strophen umfasst das in mittelhochdeutscher Sprache abgefasste Heldenepos. Die Geschichte, die es erzählt, beginnt am Hof der Burgunden in Worms am Rhein.

3 3 Dort lebt die schöne Kriemhild, die Schwester der Könige Gunther, Gêrnôt und Gîselher. Kriemhild erzählt ihrer Mutter Ute, dass sie von einem prächtigen Falken geträumt habe, der ihr von zwei Adlern zerrissen wurde. Die Mutter deutet den Traum. Wie das für mittelalterliche Ohren geklungen hat, sagt Frau Dr. Edith Feistner von der Universität Regensburg: 2. Musik 1. Zuspielung: Interview Fr. Dr. Feistner Der valke den du ziuhest, / daz ist ein edel man in welle got behüeten, / du muost in schiere vloren hân. Zuspielung (runter) Zitatorin: Der Falke, den Du aufziehst, das ist ein edler Mann. Wenn Gott ihn nicht in seinen Schutz nimmt, dann musst du ihn bald wieder verlieren. Als Kriemhild erfährt, dass sie einen Edelmann heiraten, ihn aber bald wieder verlieren soll, teilt sie ihrer Mutter mit, sie wolle lieber ledig bleiben. Aber so einfach ist es nicht. Wenn in einer Sage oder in einem Mythos ein Traumbild oder ein Orakel bestimmte Ereignisse voraussieht, dann treten diese auch ein, ganz egal, was der Mensch dagegen unternimmt.

4 4 Der edle Prinz, den das Schicksal für Kriemhild vorgesehen hat, lebt am Königshof von Xanten. Er heißt Siegfried und ist der Inbegriff des strahlenden Helden. Schon frühzeitig ist er ausgezogen, um alle möglichen Abenteuer zu bestehen. Er hat übermächtige Gegner besiegt, hat Riesen und Recken erschlagen. Als Beute hat er das magische Schwert Balmung mitgebracht, das seinen Besitzer in jedem Kampf erfolgreich sein lässt, ferner eine Tarnkappe, mit der man sich unsichtbar machen kann, und schließlich einen gigantischen Schatz, den Nibelungenhort. Zudem hat er einen Drachen getötet und in dessen Blut gebadet. Dadurch ist er unverwundbar geworden außer an einer Stelle seines Körpers, zwischen seinen Schulterblättern; dort war beim Bad im Drachenblut ein Lindenblatt gelegen. Siegfried hört nun von Kriemhild - und verliebt sich in sie. Dieser Siegfried war dem höfischen Publikum des Mittelalters kein Unbekannter. Die Geschichten von dem jungen Helden hat man sich in ganz Mittel- und Nord-Europa erzählt, und zwar schon seit Jahrhunderten. Der Verfasser des Nibelungenliedes - sein Name ist nicht bekannt - brauchte sie nur zu erwähnen, und jeder wusste Bescheid. Ähnlich war es mit den tatsächlichen - also historischen - Ereignissen, die er zusammen mit den Sagen zu einem Ganzen verwob. Wahr ist, dass es die Burgunden gegeben hat, einen germanischen Stamm, dessen Machtzentrum eine zeitlang in oder bei Worms lag. Aber ganz so nobel, wie das Nibelungenlied vermuten lässt, ging es bei ihnen wohl nicht zu. Der vornehme, aus Gallien stammende Römer Sidonius Appollinaris, der sich eine zeitlang bei ihnen aufhielt, äußert sich jedenfalls ziemlich abfällig über sie: Ich,... des langhaarigen Volkes Tischgenosse, hab germanische Worte auszuhalten,

5 5 muss... wieder und wieder..., was der burgundische Vielfrass vorsingt, loben, der mit ranziger Butter sich den Kopf salbt. Du darfst Augen und Ohren glücklich preisen, glücklich preisen dir auch die Nase, dem nicht früh am Morgen schon zehn Portionen Knoblauch und elendige Zwiebel rülpst entgegen. Zur Zeit des Sidonius waren die Burgunden mit den Römern verbündet.) Sie hatten einen Anführer namens Gundahar. Wahrscheinlich ist er der König Gunther des Nibelungenliedes. Der historische Gundahar hat nämlich etwas getan, wovon zwar im Nibelungenlied an keiner Stelle die Rede ist, was aber dort dennoch einen Niederschlag fand: Er hat versucht, seinen Machtbereich nach Westen auszudehnen; dadurch geriet er mit den Römern in Konflikt und das leitete den Niedergang seines Reiches ein. 2. Zuspielung: Interview Dr. Roth Das ist die historische Wurzel:... sagt Dr. Udo Roth, Germanist und akademischer Rat an der Uni München, Zuspielung: Interview Dr. Roth Der Untergang der Burgunden, die im Gebiet von Worms im 5. Jahrhundert angesiedelt waren und sich dann Richtung Frankreich aufgemacht haben, um Land zu gewinnen. Auf dieser Grundlage Frankreich war in dieser Zeit noch römisch besetzt hat der Feldherr Aetius die Hunnen zu Hilfe gerufen, um die Burgunden zu schlagen. Nach der Niederlage der Burgunden sind sie umgesiedelt worden, ins heutige Frankreich. Die Hunnen! Auch sie kommen im Nibelungenlied vor. Aus den zentralasiatischen Steppen waren sie nach Südrussland und dann weiter nach Europa vorgedrungen. Als gewandte Reiter und hervorragende Bogenschützen waren sie den Völkern, auf die sie

6 6 trafen, kampftechnisch überlegen. Eins nach dem anderen musste ihnen weichen die Völkerwanderung begann. Ihre größte Macht erlangten die Hunnen unter dem berühmtberüchtigten König Attila - der allerdings beim Sieg über die Burgunden keine Rolle gespielt hat. Im Nibelungenlied erscheinen die Hunnen keineswegs als Feinde. Attila heißt hier Etzel - und er ist nicht der Bösewicht, sondern er wird sogar Kriemhilds zweiter Ehemann. Als das Epos um das Jahr 1200 zu Papier gebracht wurde - zu Pergament, besser gesagt - war er ja auch bereits seit mehr als 700 Jahren tot. Was man von ihm wusste oder zu wissen glaubte, hatte mit der Wirklichkeit kaum mehr etwas zu tun. Das hat aber die hohen Herren und die edlen Damen am Hof, die gespannt dem Vortrag des fahrenden Sängers lauschten, nicht im Geringsten gestört. Ihnen kam es darauf an, gut unterhalten zu werden. Sie wollten erfahren, wie es mit Kriemhild und Siegfried weiterging, zum Beispiel, ob sich der Traum der Mutter bewahrheitete. Siegfried zieht von Xanten zum Hof der Burgunden nach Worms, um die Hand der schönen Prinzessin Kriemhild zu erringen. Seine Chance, Mut und Kraft zu beweisen kommt, als Gunther die isländische Königin Brunhild ehelichen möchte. Sie verfügt über außergewöhnliche Körperkräfte und will nur den zum Mann, der sie vorher im Wettkampf besiegt; dabei haben bisher alle Bewerber das Leben verloren. Auch

7 7 Gunther ist ihr nicht gewachsen, doch Siegfried steht ihm zur Seite: dank seiner Tarnkappe unsichtbar besiegt er Brunhild, und sie wird Gunthers Frau. Das Hofgelage währte den vierzehnten Tag, Dass sich unterdessen der Schall nicht unterbrach Von aller Lust und Kurzweil, die jemand gerne sah. Wahrlich hohe Kosten verwandte der König da. Das ist ein Vers, in dem ein wenig davon erzählt wird, wie es auf der Hochzeit zuging; übersetzt von Karl Simrock im 19. Jahrhundert. 3. Musik (Anfang der 4. Aventüre) Mit der Hochzeit endet die zehnte Aventüre - Aventüren nennt man die einzelnen Abschnitte des Nibelungenlieds und eigentlich wäre hier, da nun auch Siegfried und Kriemhild heiraten, ein Happy End erreicht. Aber es folgen noch 29 weitere Aventüren. Nach einer Reihe von Jahren geraten Kriemhild und Brunhild in Streit. Hagen von Tronje, ein Vasall Gunthers, steht auf Brunhilds Seite. Er verspricht Kriemhild, Siegfried im Kampf zu beschützen, und um ihm das zu ermöglichen, markiert sie auf dem Gewand ihres Gatten jene Stelle, an der er verwundbar ist. Als Siegfried sich über eine Quelle beugt, um zu trinken, durchbohrt ihn Hagen mit dem Speer. Kriemhild schwört Rache. 4. Musik: Wagner: Siegfried Trauermarsch (unter dem folgenden Text)

8 8 An dieser Stelle des Vortrages werden die Damen in der Zuhörerschaft schwer geseufzt und vielleicht ein wenig geweint, die Edelmänner finster dreingeblickt haben. Denn ihnen war klar, dass im Folgenden vorwiegend von Krieg und Fehde, von Mord und Totschlag die Rede sein wird. Es kommt, wie es kommen muss: Kriemhild hat nichts anderes mehr im Kopf als Siegfried zu rächen. Dessen Schatz will sie benutzen, um Ritter anzuwerben, weshalb Hagen ihn im Rhein versenkt. Dass sie aber nun Etzel, den König der Hunnen, heiratet und mit ihm auf seine Burg zieht, das kann Hagen nicht verhindern. Wieder vergehen Jahre, da lädt Kriemhild ihre Brüder und deren Gefolgsleute zu einem großen Fest ein. Hagen wittert eine Falle, dennoch nehmen Gunther und seine beiden Brüder die Einladung an. Kaum sind sie auf der Etzelburg angekommen, entfacht Kriemhild ein Gemetzel zwischen den Hunnen und den Burgunden, bei dem Tausende von Rittern den Tod finden. Als die übrig gebliebenen Burgunden in einer Halle eingeschlossen sind, lässt Kriemhild deren Dach anzünden. Nur Gunther und Hagen kommen mit dem Leben davon und werden gefangen genommen. Ihren Bruder lässt Kriemhild töten, dem Mörder ihres Mannes schlägt sie den Kopf eigenhändig ab. Schließlich fällt sie selbst dem Schwert zum Opfer. Bestimmt waren die Zuhörer vom tragischen Verlauf dieser Geschichte tief bewegt und haben noch lange über sie gesprochen. Doch die Zeiten ändern sich. Das Mittelalter mit seiner Art der höfischen Kultur ging zu Ende und den fahrenden Sängern kam das Publikum abhanden.

9 9 Spätestens am Ende des 15. Jahrhunderts, als Amerika entdeckt wurde und die Neuzeit begann, erlahmte das Interesse an den Taten tapferer Recken, die in Drachenblut baden und an den Gelüsten jungfräulicher Königinnen, die ihre Freier umbringen. Das Nibelungenlied geriet in Vergessenheit. Doch dann, im Sommer 1755, betrat der Lindauer Arzt Jacob Oberreit die Bibliothek von Schloss Hohenems in Vorarlberg. Wahllos griff er in ein Regal, zog etwas heraus und begann zu lesen. Am Tag darauf schrieb er einen Brief an einen Freund und erzählte ihm, was er gefunden hatte: Zwei alte eingebundene pergamentene Codices von altschwäbischen Gedichten... von der burgondischen Königin oder Princessin Chriemhild, der Titel aber ist "Adventure von den Gibelungen". Der Freund, ein Experte für mittelhochdeutsche Dichtung namens Johann Jakob Bodmer, war begeistert und veröffentlichte bald darauf einen Teil des Liedes. 25 Jahre später übertrug der Gymnasialprofessor Christoph Heinrich Myller den gesamten Text ins Neuhochdeutsche, ließ ihn drucken und verschickte Exemplare an Friedrich den Großen, an Johann Wolfgang von Goethe und viele andere. Die Resonanz war dürftig. Elendes Zeug,......befand Friedrich,...

10 10...nicht einen Schuss Pulver werth. Und Goethe warf nicht einmal einen Blick in das Druckwerk. Kaum jemand konnte etwas damit anfangen. Man lebte im Zeitalter der Aufklärung, also in einer Epoche, in der rationales Denken und die Wissenschaft hoch im Kurs standen. Niemand hatte Lust, sich mit mittelalterlichen Sagen zu beschäftigen, und mit Tragödien, die vor vielen Jahrhunderten an irgendeinem Königshof stattgefunden haben sollen. Das Nibelungenlied war kein Stoff für die vernunftgläubigen Menschen der Aufklärungszeit. Aber wie gesagt, die Zeiten ändern sich. Das frühe 19. Jahrhundert brachte massive Umwälzungen legte der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Franz II., seine Krone nieder und erklärte, dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reichs gebunden hat, als gelöst ansehen, Und während Frankreich und England große, eigenständige Nationen waren, zerfiel Deutschland in Einzelstaaten.

11 11 Die Folge davon: Die Menschen sehnten sich nach nationaler Größe. Gleichzeitig rief die industrielle Revolution tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen hervor. Die Bauern verarmten, Landflucht und Verstädterung setzten ein, aus Handwerkern wurden Lohnarbeiter... Die Folge davon: Das einfache ländliche Leben der weit zurück liegenden Feudalzeit erschien in einem verklärten, romantischen Licht. Der unbedingte Glaube an Rationalität und Wissenschaft schwand, man wandte sich alten Märchen und Sagen, Gedichten und Volksliedern zu und dem Mystizismus des Mittelalters. Die Romantik löste die Aufklärung als vorherrschende geistige Strömung ab. Das Nibelungenlied wurde nun als literarisches Kleinod betrachtet, das tiefe Einblicke in die deutsche Geschichte und die deutsche Psyche gewährt. 4. Zuspielung: Interview Dr. Roth Und die Humanisten stürzen sich auf diesen Text um ein Nationalbewusstsein zu schaffen, ein deutsches Nationalbewusstsein insbesondere, in Abgrenzung gegen die französischen Einflüsse. Federführend unter den Humanisten war der Professor für deutsche Sprache und Literatur Friedrich von der Hagen brachte er das Nibelungenlied neu heraus.

12 12 5. Zuspielung: Interview Fr. Dr. Feistner Er hat gesagt, man sucht in der vergangenen Dichtung das, was in der Gegenwart fehlt. Deutschland war eine Kulturnation, aber keine Staatsnation. Es ist nach den Niederlagen gegen Napoleon auch politisch sehr stark ins Hintertreffen geraten, und da hat man die patriotischen Wurzeln im Nibelungenlied gesucht und so etwas wie Trost gefunden. Kein anderes Lied schrieb von der Hagen in der Vorrede zu seiner Bearbeitung des Epos mag ein vaterländisches Herz so rühren und angreifen, so ergötzen und stärken, als dieses, worin... Schönheit und Anmuth jugendlicher Heldengestalten, kühner, ritterlicher Scherz, Stolz und Trutz... und holde Zucht,... freundliche Sitte, zarte Scheu und Schaam,... sich darstellen, und worin... grauenvoll zusammengeschlungenes Verhängniß... alles unaufhaltsam in den Untergang reißt, aber in diesem Sturze die herrlichsten männlichen Tugenden offenbart: Gastlichkeit, Biederkeit, Redlichkeit, Treue und Freundschaft bis in den Tod,... Großmuth in des Kampfes Noth, Heldensinn, übermenschliche Tapferkeit, Kühnheit, und willige Opferung für Ehre, Pflicht und Recht; Tugenden, die uns mit...stolz und Vertrauen auf Vaterland und Volk, mit Hoffnung auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Glorie und Weltherrlichkeit erfüllen. Dabei hat von der Hagen möglicherweise etwas übersehen: 6. Zuspielung: Interview Dr. Roth Das sind Tugenden, die aus einer Zeit stammen, die nicht spezifisch deutsch ist.

13 13 7. Zuspielung: Interview Fr. Dr. Feistner Deutsch, in dem Sinn, wie wir uns heut das vorstellen, das gab s ja überhaupt nicht. Das Nibelungenlied entsprach dem Bedürfnis nach nationaler Identität. Es erschien in den Lehrplänen der Schulen und in den Vorlesungsverzeichnissen der Universitäten. Sogar Johann Wolfgang von Goethe, der das Buch vorher nicht angerührt hatte, las es jetzt mit Begeisterung. Auch als es nach der Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Jahr 1871 einen deutschen Nationalstaat gab, ließ sich das Epos immer wieder für ideologische Zwecke einspannen. Das Praktische war, dass man aus dem Text herauslesen konnte, was man wollte. Ausgerechnet die Treue machte man als besonders deutsche Eigenschaft aus und verstand unter diesem Begriff vor allem Vasallentreue und blinden Gehorsam. Um zum Ausdruck zu bringen, wie eng das Deutsche Reich seinen Nachbarn verbunden war, prägte der Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow ein berühmt gewordenes Wort: Die Nibelungentreue wollen wir aus unserem Verhältnis zu Österreich-Ungarn nicht ausschalten... Was er mit diesem Schlagwort meinte, hätte er wahrscheinlich selber nicht genau erklären können.

14 14 8. Zuspielung: Interview Fr. Dr. Feistner Denn die Nibelungen, die hier bei Attila im Hunnenland ihre unbedingte Treue zu ihren Königen demonstrieren, bis in den Tod hinein, sind ja auf der anderen Seite verantwortlich für etwas einigermaßen Prekäres, nämlich für die Ermordung Siegfrieds - von hinten! Das ist ja nun nicht grade was ganz Heroisches. Selbstverständlich ließ sich der Meuchelmord an Siegfried nicht gerade als Beleg für deutsche Treue anführen. Dafür eignete er sich umso besser als Metapher für verräterisches Handeln. Nach der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg erklärte die Oberste Heeresleitung, das deutsche Heer sei "im Felde unbesiegt" geblieben, erst ein "Dolchstoß von hinten" ausgeführt von der Opposition im eigenen Land habe es zu Fall gebracht. Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken......schrieb der spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg. 5. Musik: Akzent

15 15 Und am 30. Januar 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, hielt Hermann Göring vor soeben einberufenen jungen Soldaten eine Rede. Im Hinblick auf die hoffnungslose Lage der 6. Armee vor Stalingrad sagte er: Es wird dies einmal der größte Heroenkampf gewesen sein, der sich jemals in unserer Geschichte abgespielt hat.... Wir kennen ein gewaltiges... Lied von einem Kampf ohnegleichen, das hieß "Der Kampf der Nibelungen". Auch sie standen in einer Halle voll Feuer und Brand, löschten den Durst mit dem eigenem Blut, aber sie kämpften bis zum Letzten. Ein solcher Kampf tobt heute dort, und noch in tausend Jahren wird jeder Deutsche mit heiligem Schauer von diesem Kampf in Ehrfurcht sprechen und sich erinnern, dass dort trotz allem Deutschlands Sieg entschieden worden ist.... Es hat immer kühne Männer gegeben, die sich geopfert haben, um etwas Größeres für die anderen zu erreichen. Abgesehen davon, dass diese Rede die Hoffnung auf den so genannten Endsieg nicht gerade gestärkt haben dürfte, hatte der Kampf um Stalingrad nun wirklich gar nichts mit den Kämpfen im Nibelungenlied zu tun. Patriotismus ist das Letzte, was in diesem Familiendrama eine Rolle spielt. Was also ist so deutsch am Nibelungenlied? 9. Zuspielung: Interview Dr. Roth Mir ist nichts spezifisch Deutsches im Nibelungenlied aufgefallen. 10. Zuspielung: Interview Fr. Dr. Feistner Also, ich würde sagen: typisch deutsche Merkmale, ja überhaupt deutsch: gar nichts.

16 16 Das hat nicht verhindert, dass das Nibelungenlied immer wieder neu bearbeitet wurde und auch heute noch gelegentlich als deutsches Nationalepos betrachtet wird. Seine wirkliche Popularität allerdings verlieh dem Stoff ein Komponist: Richard Wagner. 6. Musik: stopp