Mindestmengen aus medizinrechtlicher Sicht
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- Innozenz Adler
- vor 8 Jahren
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1 Mindestmengen aus medizinrechtlicher Sicht - Eine Darstellung zum Bereich der stationären Krankenhausversorgung unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung - Rechtsanwalt Dr. Ulrich Trefz, Fachanwalt für Medizinrecht Anwaltskanzlei Quaas & Partner
2 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge II. III. Grundrechte der betroffenen Krankenhäuser Voraussetzungen für die Formulierung einer Mindestmenge IV. Mindestmengen in der Praxis RA Dr. Ulrich Trefz 2
3 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge 1. Rechtliche Ausgangslage 2. Besonderheit: Leistungsverbot auf Basis einer Vermutung 3. Leistungsverbot kraft Gesetzes 4. Ausnahmen a) Ausnahmetatbestände des G-BA b) Ausnahmeentscheidung der zuständigen Landesbehörde RA Dr. Ulrich Trefz 3
4 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge 1. Rechtliche Ausgangslage 137 Abs. 3 Satz 2 SGB V: Wenn die erforderliche Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen entsprechende Leistungen nicht erbracht werden. 5 Abs. 1 Satz 2 Mm-R: Wird die erforderliche Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht, dürfen ab dem Jahr des jeweiligen Inkrafttretens der Mindestmenge entsprechende Leistungen nicht erbracht werden. Leistungsverbot für Krankenhäuser, die die Mindestmenge voraussichtlich nicht erreichen gilt einheitlich für alle Patienten (BSG, U. v B 1 KR 34/12 R, Rn. 19) Mindestmengen sind für zugelassene Krankenhäuser unmittelbar verbindlich, 137 Abs. 3 Satz 6 SGB V RA Dr. Ulrich Trefz 4
5 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge 2. Besonderheit: Leistungsverbot auf Basis einer Vermutung LSG Niedersachsen-Bremen: Nach dem Wortlaut des 137 Abs. 1 Satz 4 SGB V a.f. [jetzt: 137 Abs. 3 Satz 2] darf ein Krankenhaus, das festgelegte Mindestmengen voraussichtlich nicht erreichen wird, die Leistungen nicht erbringen. Damit wird das Leistungsverbot auf eine Vermutung begründet. U. v L 1 KR 383/11 Leistungsverbot basiert nicht auf objektiver Tatsachengrundlage, insoweit anders als beispielsweise 8 Abs. 1 Satz 3 KHEntgG (Versorgungsauftrag): Entgelte dürfen nur im Rahmen des Versorgungsauftrags berechnet werden. Feststellungsbescheide und Krankenhausplan (Plankrankenhäuser), Regelungen im Versorgungsvertrag (Vertragskrankenhäuser) sowie landesrechtliche Anerkennung und Krankenhausplan (Hochschulkliniken) als objektive Tatsachengrundlagen zur Feststellung der Abrechenbarkeit von Krankenhausleistungen 137c Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz SGB V (Methoden): Ab dem Tag des Inkrafttretens der Richtlinie darf die ausgeschlossene Methode nicht mehr erbracht werden. Leistungsverbot gründet auf einer konkreten Richtlinie des G-BA über den Ausschluss einer bestimmten Methode (objektive Tatsachengrundlage) RA Dr. Ulrich Trefz 5
6 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge 3. Leistungsverbot kraft Gesetzes BSG: Das normativ angeordnete Verbot, bei Level-1-Geburten keine Leistungen zu erbringen ( 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 6 SGB V i.v.m. Erhöhungsbeschluss) bedarf keines Vollzugsaktes. U. v B 1 KR 34/12 R Sog. Binnensystematik des 137 Abs. 3 SGB V Anders die früher geltende Regelmäßigkeitszahl nach der QNeu-RL (Beschluss des G-BA v ) Nachweisverfahren nach 5 Abs. 2 QNeu-RL: im Rahmen der jährlichen Pflegesatzverhandlungen in Form der Checkliste (hierzu auch OVG Lüneburg, B. v LA 223/11, insbesondere zu der Übergangsregelung 5 Abs. 4 QNeu-RL; vgl. auch ab dem : QFR-RL) RA Dr. Ulrich Trefz 6
7 I. Das Leistungsverbot bei Unterschreiten der Mindestmenge 4. Ausnahmen a) Ausnahmetatbestände des G-BA G-BA muss auch Ausnahmetatbestände zu den Mindestmengenregelungen formulieren (vgl. 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a. E. SGB V) Anlage 2 zur Mm-R Ausnahmetatbestände können geeignet sein, um typisierungsbedingte Härten eines Leistungsverbots abzumildern sowie Fehlanreizen entgegenzuwirken. (BSG B 3 KR 10/12 R, Rn. 68) b) Ausnahmeentscheidung der zuständigen Landesbehörde 137 Abs. 3 Satz 3 SGB V: Die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde kann Leistungen aus dem Katalog bestimmen, bei denen die Anwendung [der Mindestmenge] die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung gefährden könnte. Entscheidung auf Antrag des Krankenhauses im Einzelfall durch Verwaltungsakt RA Dr. Ulrich Trefz 7
8 II. Grundrechte der betroffenen Krankenhäuser 1. Rechtlich geschützte Belange 2. Berufsausübungsregelung 3. Nachrangigkeit der Mindestmenge RA Dr. Ulrich Trefz 8
9 II. Grundrechte der betroffenen Krankenhäuser 1. Rechtlich geschützte Belange Das von der Mindestmenge betroffene Krankenhaus kann eigene, grundrechtlich (Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG) und sich aus dem Zulassungsstatus ergebende einfachrechtlich ( 108 SGB V) geschützte Belange geltend machen. Vgl. BSG, U. v B 1 KR 34/12 R, Rn Berufsausübungsregelung Im Zentrum der Betrachtung steht das Grundrecht der Berufsfreiheit, das als einheitliches Grundrecht die Freiheit der Berufswahl sowie die Freiheit der Berufsausübung schützt. BSG, U. v B 1 KR 34/12 R, Rn. 54: Von einer bloßen Berufsausübungsregelung ist dann auszugehen, wenn sie nur einen Ausschnitt aus einer fachärztlichen Tätigkeit betrifft ( ). Die Geburtshilfe durch Gynäkologen und die Behandlung von Level-1-Geburten durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Neonatologie stellt jeweils nur einen kleinen Teil der jeweiligen gesamten fachärztlichen Tätigkeit dar. Gesetzliche Eingriffe in die Berufsausübung sind aber bereits dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. (vgl. BVerfGE 7, 377, 405; 106, 181, 192) Mindestmengen wären demnach bereits dem Grunde nach mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn hierdurch eine Verbesserung der Versorgungsqualität erwartet werden kann. RA Dr. Ulrich Trefz 9
10 II. Grundrechte der betroffenen Krankenhäuser 3. Nachrangigkeit der Mindestmengenregelung Weitergehende Einschränkungen auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 GG ergeben sich nach Auffassung des 3. Senats des BSG: muss die Mindestmengenregelung im Gefüge der weiteren Vorschriften zur Qualitätssicherung schon verfassungsrechtlich auf Ausnahmelagen beschränkt bleiben, bei denen die Einflussnahme über die Leistungsmenge Versorgungsvorteile verspricht, die über weniger belastende andere Instrumente der Qualitätssicherung mutmaßlich nicht zu gewinnen sind. Solange das angestrebte Qualitätsniveau bei vertretbarem wirtschaftlichen Aufwand durch sonstige Vorgaben der Qualitätssicherung ebenso erreichbar erscheint wie über eine Mindestmengenbestimmung, ist verfassungsrechtlich der Steuerung über das mildere Mittel der verhaltensabhängigen Qualitätsanforderung der Vorzug zu geben. Raum für Mindestmengengrenzen bleibt deshalb jedenfalls aus Gründen der Qualitätssicherung nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 1 GG nur, soweit sie Qualitätsvorteile zu gewährleisten versprechen, die mit vertretbarem Aufwand anderweitig nicht erreichbar erscheinen. sog. Nachrangverhältnis BSG, U. v B 3 KR 10/12 R, Rn. 38, 40 RA Dr. Ulrich Trefz 10
11 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 1. Wortlaut des Gesetzes 2. Materiell-rechtliche Anforderungen an Mindestmenge a) Planbare Krankenhausleistung b) Besondere Abhängigkeit 3. Gestaltungsspielräume des G-BA 4. Formelle Anforderungen RA Dr. Ulrich Trefz 11
12 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 1. Wortlaut des Gesetzes 137 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB V: Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist sowie RA Dr. Ulrich Trefz 12
13 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 2. Materiell-rechtliche Anforderungen an Mindestmenge a) Planbare Krankenhausleistung Unterschiedliche Auslegungen durch die Senate des BSG: 3. Senat (BSG, U. v , B 3 KR 10/12 R, Rn. 50): Grenzziehung zwischen planbaren und nicht planbaren Leistungen ausdrücklich offengelassen; jedoch dann weiter: Offenkundig sollen damit unvorhersehbare Leistungen aus dem Anwendungsbereich der Regelung ausgeschieden sein. 1. Senat (BSG, U. v , B 1 KR 34/12 R, Rn. 28 ff): Eine planbare Krankenhausleistung ist eine Leistung, welche die dafür vorgesehenen Krankenhaus-Zentren in der Regel medizinisch sinnvoll und für die Patienten zumutbar erbringen können. Erforderlich ist, dass die Aufnahme und Durchführung gebotener stationärer Behandlung in einem Zentrum trotz ggf. längerer Anfahrt unter Berücksichtigung zu überwindender räumlicher und zeitlicher Distanzen ohne unzumutbares Risiko für die Patienten erfolgen kann. Gegenübergestellt wird die erhoffte Verbesserung der Ergebnisqualität dem Transportund sonstigen Zentralisierungsrisiko Gesetzesauslegung mit dem Wortlaut der Vorschrift noch vereinbar? RA Dr. Ulrich Trefz 13
14 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 2. Materiell-rechtliche Anforderungen an Mindestmenge b) Besondere Abhängigkeit BSG, U. v B 1 KR 34/12 R, Rn. 31: Die Qualität des Behandlungsergebnisses der planbaren Leistungen ist jedenfalls bereits dann in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig, wenn eine Studienlage besteht, die nach wissenschaftlichen Maßstäben einen Zusammenhang zwischen Behandlungsmenge und -qualität wahrscheinlich macht. BSG, U. v B 3 KR 10/12 R, Rn. 47: Anders als vom LSG angenommen sind mithin die Nachweisanforderungen der Mindestmengenregelung dann erfüllt, wenn es sich um eine hochkomplexe Leistungserbringung handelt und nach dem Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit die Erwartung berechtigt ist, dass die Güte der Leistungserbringung auch von der Erfahrung und Routine mit der jeweiligen Versorgung beeinflusst ist. Allerdings muss dies mit wissenschaftlichen Belegen untermauert sein. RA Dr. Ulrich Trefz 14
15 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 3. Gestaltungsspielräume des G-BA Bei der Beurteilung, ob die fragliche Versorgung zu Recht der Mindestmengenbegrenzung unterworfen worden ist, weil sie eine planbare Leistung darstellt, bei der die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistung abhängig ist sind dem G-BA Gestaltungsspielräume nicht überlassen (BSG, , B 3 KR 10/11 R, Rn. 31) Uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle Hingegen Gestaltungsspielräume insbesondere bei Auswahl und Zuschnitte der Leistungen im Katalog (1. Senat, Rn. 21) konkreter Festlegung der Mindestmenge innerhalb der Bandbreite geeigneter Maßnahmen (1. Senat, Rn. 21 sowie 3. Senat, Rn. 65) Auswahl der Qualitätsparameter (3. Senat, Rn. 67) Formulierung von einzelnen Ausnahmetatbeständen (3. Senat, Rn. 68) einrichtungs- oder arztbezogene Anwendung der Mindestmengen (3. Senat, Rn. 69) Insoweit eingegrenzte gerichtliche Überprüfung, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen (BSG, , B 1 KR 34/12 R, Rn. 21) RA Dr. Ulrich Trefz 15
16 III. Voraussetzung für die Formulierung einer Mindestmenge 4. Verfahrensrechtliche Anforderungen Wahrung der Beteiligungsrechte, vgl. hierzu auch 3 Mm-R Es ist sicherzustellen, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn Ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt. (BSG, U. v B 3 KR 10/12 R, Rn. 61) Grundsätzlich keine Begründungspflicht des G-BA als Normgeber Aber notwendige Begründung insbesondere, wenn G-BA von einer Empfehlung des IQWiG abweichen will vgl. 139b Abs. 4 SGB V (BSG, U. v , B 1 KR 34/12 R, Rn. 24) oder bei Fehlen eindeutiger Schwellenwerte muss konkrete Mindestmenge nachvollziehbar begründet werden (BSG, U. v , B 3 KR 10/12 R, Rn. 65) RA Dr. Ulrich Trefz 16
17 IV. Mindestmengen in der Praxis Maßgebliche Bedeutung: Die Prognoseentscheidung Grundsätzlich: Vorhersage zum Anfang des Kalenderjahrs (LSG Niedersachsen- Bremen, U. v , L 1 KR 383/11) Bei prospektiver Verhandlung des Budgets im Rahmen der Pflegesatzverhandlung Änderungen der Prognose im Laufe des Kalenderjahrs maßgeblich? Punktuelle Unterschreitungen für künftige Leistungserbringung unbeachtlich Die geforderte Prognose, dass die erforderliche Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht wird, greift erst ein, wenn eine valide Einschätzung auf der Grundlage eines hinreichend langen Zeitraums möglich ist. (BSG, U. v , B 1 KR 34/12, Rn. 52) Nachträgliche Feststellung, dass Prognose verfehlt worden ist (Prognoseverfehlung), bleibt für die Abrechenbarkeit der Leistungen unbeachtlich Aber: Fallzahlen der Vorjahre sind bei der Prognose zu berücksichtigen Häufig bietet die Prognoseentscheidung ein erhebliches Streitpotenzial in Pflegesatzverhandlungen sowie in der Abrechnungsbeziehung RA Dr. Ulrich Trefz 17
18 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Trefz zur Mindestmenge: Rechtlich problematische Mindestmenge: Struktur- anstatt Mengenvorgaben?, f&w 2013, 450 ff. Mindestmengen: Ja, aber, f&w 2013, 102 ff. Fallen die Mindestmengen weg?, f&w 2011, 476 ff. Quo Vadis Mindestmenge?, f&w 2011, 188 ff. Das neonatologische Versorgungskonzept des G-BA, f&w 2010, 519 ff. Der Gemeinsame Bundesausschuss und seine Mindestmengenregelung, f&w 2006, 316 ff. RA Dr. Ulrich Trefz 18
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