Vorwort. Zu Beginn des Arbeitsprozesses im Frühjahr 2001 war das damals geplante Dissertationsprojekt

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1 Vorwort Zur Thematik der vorliegenden Studie wurde der Verfasser vor dem Hintergrund seines kulturwissenschaftlichen Studiums sowie seiner praktischen Mediatorenausbildung an der Mediationsstelle Frankfurt (Oder) inspiriert. Persönliche Erfahrungen mit Konfliktorientierungen in interkulturellen Kontaktsituationen, die sich aus politischer Sicht in explizit verständigungsorientierten Kontexten ereigneten, konnte der Verfasser bei der Betreuung südosteuropäischer Doktoranden des Promotionskollegs Center for Advanced Central European Studies (CACES) in den Jahren 2000 und 2001 in Frankfurt (Oder) in seiner Lehrtätigkeit als Dozent und interkultureller Trainer im postgradualen Masterstudiengang Medien und interkulturelle Kommunikation des Südosteuropäischen Medienzentrums (SOEMZ) in Sofia/Bulgarien machen. Als permanenter Anschauungshintergrund während der Arbeit an der Dissertation diente des Weiteren das Umfeld der deutsch-polnischen Grenzregion, das sowohl die Stadt Frankfurt (Oder) als auch die Europa-Universität Viadrina prägt. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit konnte von den intensiven und häufig kontroversen Debatten der Kolloquiuen innerhalb des Promotionskollegs Interkulturelle Mediation in der Grenzregion profitieren. Das Kolleg hat im April 2003 unter der wissenschaftlichen Leitung von Hartmut Schröder und Stephan Breidenbach sowie mit der finanziellen Unterstützung des an der Viadrina angegliederten Europäischen Wissenschaftszentrums (EWZ) seine Arbeit aufgenommen. Zu Beginn des Arbeitsprozesses im Frühjahr 2001 war das damals geplante Dissertationsprojekt beseelt von der Suche nach sozialwissenschaftlich fundierten Beschreibungsmöglichkeiten von Mediationsverfahren in interkulturellen Kontexten. Auf der Grundlage einer permanenten Auseinandersetzung mit dieser Themenstellung drängte sich zunehmend der Verdacht auf, dass das Potential interkultureller Mediation allein auf der Grundlage der Idee von Mediationsverfahren in interkulturellen Kontexten noch bei weitem nicht ausgereizt zu sein scheint. Diese Annahme verleitete zu einem immer weiter führenden Anzweifeln der Grenzen der Synergetik des Konzepts, die die bereits vorgefundenen Konzepte unterstellen, sowie zu einer reflektierteren Sicht auf die Thematik. Für die kontinuierliche und ermutigende Betreuung der Arbeit danke ich herzlich den beiden Gutachtern Hartmut Schröder und Astrid Ertelt-Vieth. Frankfurt an der Oder im Mai

2 Inhaltsüberblick 1 Die Suche nach Wegen interkultureller Mediation Der diskursiv konstruierte Bedarf nach interkultureller Mediation Rahmenbedingungen westlicher Gesellschaften Kulturwissenschaftliche Grundlagen Diskurse zwischen Moderne und Postmoderne Synopse: Zielstellungen interkultureller Verständigung Die diskursive Entwicklung deduktiver Konzepte interkultureller Mediation Die diskursive Transformation von Mediation in den USA Vergemeinschaftung als Weg interkultureller Verständigung Einzelaspekte und Problemfelder in den Diskursen zur Mediation Sozialwissenschaftliche empirische Beschreibungen von Mediation Die Übertragung mediatorischer Aspekte auf andere gesellschaftliche Bereiche Traditionale Formen der Mediation Die Interdependenz von Mediation und gesellschaftlichem Wandel Die deduktive Konzeption interkultureller Mediation Synopse: Grenzen des deduktiven Konzepts interkultureller Mediation Die Herleitung induktiver Konzepte interkultureller Mediation Die diskursive Konstruktion empirischer Forschungsfragen Wege der Induktion aus zeichen- und handlungstheoretischen Verständigungskonzepten Wege der Induktion aus sozialpsychologischen und konfliktorientierten Ansätzen Didaktik zur Vermittlung interkulturellen Fremdverstehens Synopse: Quellen induktiver Konzepte interkultureller Mediation Vorschlag eines grundlegenden Modells interkultureller Mediation Die Alltäglichkeit triadischer Interaktion in Konflikten Ethische Bedingungen triadischer Intervention Die kulturelle Bedingtheit von Interventionsbereitschaft Formen pragmatischer triadischer Verständigungsförderung Formen systemischer triadischer Verständigungsförderung Synopse und Modell interkultureller Mediation Interkulturelle Mediation zwischen diskursiv konstruiertem und situationsspezifischem Bedarf Die Argumentation der vorliegenden Arbeit in der Retrospektive Ansätze möglicher Antworten auf die Fragestellungen dieser Arbeit Ausblick

3 Inhaltsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abbildungsverzeichnis Verzeichnis der Gesprächstranskripte Die Suche nach Wegen interkultureller Mediation Der diskursiv konstruierte Bedarf nach interkultureller Mediation Rahmenbedingungen westlicher Gesellschaften Kulturwissenschaftliche Grundlagen Phänomenologie Die Grenzen von Sinnverstehen als Fokus der Phänomenologie Die Möglichkeit des Verstehens von objektivem Sinn Relevanzstrukturen als Verstehensmotivation Fremdverstehen durch Rollenübernahme Fremdverstehen im interkulturellen Kontakt Hypothesen zu Formen triadischer Verständigungsförderung Kritische Bewertung der diskursiven Grenzziehungen interkulturellen Fremdverstehens in der Phänomenologie Hermeneutik Interkulturelles Fremdverstehen in den Prämissen der Hermeneutik Erweiterung hermeneutischer Ansätze zum interkulturellen Fremdverstehen Handlungsanweisungen hermeneutischer Wissenschaften Kognitionstheoretische Ansätze Fremdverstehen und kommunikative Ethik Synopse: Begriffe von Verstehen und Verständigung in der Philosophie Diskurse zwischen Moderne und Postmoderne Verständigung durch Transkulturalität (Welsch) Verständigung durch kulturelle Überlappungen (Mall/Holenstein) Verständigung durch third culture-konzepte (Casmir/ten Thije) Synopse: Zielstellungen interkultureller Verständigung Zielstellungen auf gesellschaftlicher Ebene Zielstellungen auf der Ebene individueller Einzelkontakte Die diskursive Entwicklung deduktiver Konzepte interkultureller Mediation Die diskursive Transformation von Mediation in den USA Vergemeinschaftung als Weg interkultureller Verständigung Einzelaspekte und Problemfelder in den Diskursen zur Mediation Sozialwissenschaftliche empirische Beschreibungen von Mediation Die Übertragung mediatorischer Aspekte auf andere gesellschaftliche Bereiche Politische Mediation

4 3.5.2 Akademische Mediation Medienvermittelte Mediation Traditionale Formen der Mediation Die Interdependenz von Mediation und gesellschaftlichem Wandel Die deduktive Konzeption interkultureller Mediation Die kulturelle Herkunft des Mediators Universalistische Ansätze Interkulturelle Mediation als Aushandlung des Konfliktgegenstands Interkulturelle Mediation als Suche nach einem gemeinsamen Ziel Interkulturelle Mediation als Suche nach Universalien Interkulturelle Mediation als Vermittlung kulturspezifischen Wissens Relativistische Ansätze Grenzen der Übertragbarkeit von Mediation auf fremde Kulturen Synopse: Grenzen des deduktiven Konzepts interkultureller Mediation Die Herleitung induktiver Konzepte interkultureller Mediation Die diskursive Konstruktion empirischer Forschungsfragen Wege der Induktion aus zeichen- und handlungstheoretischen Verständigungskonzepten Etische und kulturkontrastive Ansätze Emische und interaktionstheoretische Ansätze Wege der Verständigung nach pragmatischen Ansätzen Pragmalinguistische Störungen Soziopragmatische Störungen Verständigung in der Sprachhandlungsmusteranalyse nach Ehlich/Rehbein Reformulierungshandlungen als Sprachhandlungsmuster Kontrastive Pragmatik Wege der Verständigung nach der Interaktionalen Soziolinguistik Wege der Verständigung nach der Interpretativen Soziolinguistik Wege der Verständigung nach der Ethnomethodologischen Konversationsanalyse Wege der Verständigung nach der Kritischen Diskursanalyse Verständigung bei fremdsprachlichen Defiziten Verständigung durch/trotz Foreigner-Talk Verständigung zwischen Mehrheiten und Minderheiten Verständigung in einer diskursiven Interkultur Narrationen als Instrument zur Herstellung interkultureller Verständigung Zusammenfassung: Wege der Verständigung nach dem zeichen- und handlungstheoretischen Kulturbegriffen Wege der Induktion aus sozialpsychologischen und konfliktorientierten Ansätzen Interkulturelle Konflikte als Form von Machtungleichgewichten Zu einem Modell interkultureller Konflikte: Interkulturalität als Konfliktursache oder -manifestation Zu einer Systematik unterschiedlicher Verständigungsebenen Didaktik zur Vermittlung interkulturellen Fremdverstehens Multiperspektivität durch Innen- und Außenperspektive (Bredella) Linguistic Awareness of Cultures (Müller-Jacquier) Allgemeine Kommunikationstrainings Synopse: Quellen induktiver Konzepte interkultureller Mediation Vorschlag eines grundlegenden Modells interkultureller Mediation Die Alltäglichkeit triadischer Interaktion in Konflikten Ethische Bedingungen triadischer Intervention Liberalismus vs. Kommunitarismus Die Rolle dritter Personen in interkulturellen Verständigungsprozessen Die kulturelle Bedingtheit von Interventionsbereitschaft Formen pragmatischer triadischer Verständigungsförderung Überlegungen auf der Grundlage gesprächsanalytischer Ergebnisse Überlegungen auf der Grundlage der Tätigkeitstheorie Formen systemischer triadischer Verständigungsförderung Synopse und Modell interkultureller Mediation Interkulturelle Mediation zwischen diskursiv konstruiertem und situationsspezifischem Bedarf Die Argumentation der vorliegenden Arbeit in der Retrospektive Ansätze möglicher Antworten auf die Fragestellungen dieser Arbeit Ausblick Anhang: Transkriptionskonventionen Literaturverzeichnis Personenregister

5 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tatsächliche Reaktionen von Individuen auf Konflikte vs. gesellschaftlich erwünschte Formen der Konfliktbearbeitung nach Folger/Bush Tabelle 2: Konfliktformen nach kulturbedingten vs. nichtkulturbedingten Konfliktursachen und manifestationen Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Verstehen als graduelles Ausbalancieren zwischen Ignoranz und Assimilation in Anlehnung an Hansen Abbildung 2: Cyclical ethnographic strategies for discovering and interpreting cultural meaning Abbildung 3: Konfliktursachen und felder nach Christopher Moore Abbildung 4: Mögliche Rollen kultureller Unterschiede und kommunikativ bedingter kultureller Unterschiede in Konflikten Abbildung 5: Formen der gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Ebenen der Verständigung und Formen der Wiederherstellung von Verständigung nach Konfliktfällen Abbildung 6: Formen der kinetischen Dyadenbildung in triadischen Situationen nach Kenneth Pike Abbildung 7: Diagnostic Map of Conflict nach David Ausgsburger Abbildung 8: Mediational Model nach David Augsburger Abbildung 9: The cyclical conflict model nach David Augsburger Abbildung 10: The Concord-Conflict-Concord-Cycle nach David Augsburger Abbildung 11: Vorschlag eines Modells zu Formen interkultureller Mediation

6 Verzeichnis der Gesprächstranskripte Transkript 1: Verständigungsförderung durch Perspektivenwechsel Transkript 2: Humoristische Behandlung eines Streitgegenstandes Transkript 3: Verständigungsförderung durch Distanzierung von einem Konfliktthema Transkript 4: Verständigungsförderung durch Transformation eines interpersonalen Konflikts in einen Sachkonflikt Transkript 5: Verständigungsförderung durch Medienreferenz Transkript 6: Verständigungsförderung durch gemeinsames Erschließen eines Wissensgebietes

7 1 Die Suche nach Wegen interkultureller Mediation An einem Winterabend im Jahre 2003 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) bin ich gemeinsam mit einem befreundeten polnischen Doktoranden einer Einladung zu einem Abendessen gefolgt, das von einer Gruppe deutscher Studierender in einer Frankfurter Wohngemeinschaft ausgerichtet worden war. Sowohl mit dem polnischen Doktoranden als auch mit den deutschen Studierenden war ich selbst gut befreundet, der Doktorand und die Studierenden kannten einander jedoch bis dahin nicht. Die Tischgespräche drehten sich während eines längeren Zeitraums um Themen der Studierenden, zu denen weder der polnische Doktorand noch ich etwas beitragen konnten. Als die deutsche Gastgeberin ihren Gästen zum wiederholten Mal Essen auf die Teller schöpfte und dabei Spargel aus Słubice mit Sauce Hollandaise übergoss, fragte sie den polnischen Gast, ob man in Polen eigentlich auch Soßen esse. Der polnische Doktorand reagierte auf diese Frage zunächst irritiert und dann sehr bald verärgert: Er antwortete, selbstverständlich esse man in Polen Soßen. Darüber hinaus zeigte er sich verärgert und erstaunt darüber, wie gering offenbar das gegenseitige kulturelle Wissen zwischen deutschen und polnischen Studierenden an der Viadrina sei. In einem Kontext, in dem eine deutsch-polnische Verständigung quasi politisch und mit Vorbildcharakter praktiziert werden sollte, hielt er es für unangemessen, in Alltagsgesprächen Angehörige der jeweils anderen Kultur grundsätzlich nur auf etwaige Besonderheiten ihrer Kultur anzusprechen und so dem Aspekt ihrer imaginären Andersheit einen alles überschattenden Primat einzuräumen. Stattdessen wünschte er sich, mit den Studierenden als Angehörige einer gemeinsamen und einander verbindenden Institution, der Universität, kommunizieren zu können. Nach diesem kurzen Zwischenfall schien die positive Atmosphäre des Abends zerstört, denn die deutschen Studierenden ärgerten sich im Gegenzug über den polnischen Doktoranden: Schließlich wollten sie ihn nur mit besten Absichten in ihr Gespräch integrieren. Nach diesem Eklat fielen zwischen dem Doktoranden und den Studierenden jedoch kaum noch weitere Worte. Nach späteren Berichten beider Seiten gingen Studierende und Doktorand einander selbst Wochen später an der Universität noch aus dem Weg. Ich selbst hatte in der Situation das Gefühl, derjenige zu sein, dem es durch sein Bekanntheitsverhältnis mit allen Beteiligten und durch seiner Rolle als Außenstehender im Konflikt am ehesten möglich gewesen wäre, die Situation zu deeskalieren. Vielleicht hätte ich die Interessen, Erwartungen und Befürchtungen der beiden Seiten jeweils allen Beteiligten verständlich machen können und auf diese Weise die Situation retten können? Stattdessen saß ich perplex und hilflos da und sagte nichts. Interkulturelle Mediation weckt Hoffnungen auf einen kompetenteren Umgang mit Missverständnissen dieser Art. Solche Erwartungen werden in der vorliegenden Arbeit als diskursive Konstrukte dargestellt und daraus Richtungen einer weiterführenden, deskriptiven Erforschung interkultureller Mediation vorgeschlagen. Die geschilderte und vom Verfasser erlebte Alltagssituation deutet dabei an, dass diese Erwartungen an interkulturelle Mediation offenbar aus impliziten, normativen Zielstellungen zur Gestaltung interkulturellen Kontakts herrühren: Individuen 17

8 scheinen sozial erwünschte Formen des Umgangs mit Interkulturalität verinnerlicht zu haben, an denen sie ihr eigenes Handeln orientieren. Auch Forschungsarbeiten zur interkulturellen Kommunikation scheinen implizit derartigen Normen zu folgen: Sie beschreiben Aspekte interkultureller Interaktionen, um daraus später Strategien ableiten zu können, mit deren Hilfe Individuen diese Normen in ihrem Handeln besser erfüllen können sollen. Wenn an dieser Stelle deskriptiven Forschungsarbeiten unterstellt wird, dass sie implizit normative Ziele verfolgen, dann muss konsequenterweise davon ausgegangen werden, dass auch alle weiteren Forschungsfragen an den Gegenstand interkultureller Mediation, wie sie beispielsweise von der vorliegenden Studie formuliert werden, ebenfalls normativen Vorstellungen folgen: Auch hier lässt sich erahnen, dass Studien zur interkulturellen Mediation ihren Forschungsgegenstand zwar zunächst beschreiben dies jedoch nur, um daraus später neue normative Handlungsanweisungen ableiten zu können. Diese zwangsläufigen Interdependenzen zwischen Deskription und Normativität sollen im Verlauf der vorliegenden Studie permanent im Blick behalten werden. Erst auf der Grundlage einer durchgängigen Unterscheidung zwischen Beschreibung und Norm können Fragestellungen entwickelt werden, die eine reflektiertere Erforschung eines sozialen Phänomens, wie der Idee interkultureller Mediation, ermöglichen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen beschreibt die vorliegende Studie in den folgenden Abschnitten zunächst Ausgangsbeobachtungen, aus denen erste Fragestellungen und Grundlagen eines Forschungsdesigns sowohl für die nachfolgenden Kapitel als auch für weiterführende Forschungsarbeiten entwickelt werden: Aus einer deskriptiven Perspektive auf das Phänomen interkultureller Mediation kann zunächst etwa zwischen den Jahren 1980 und 2004 in westlich 1 geprägten 1 Das Attribut westlich wird in der vorliegenden Arbeit häufig hinzugezogen, um den kulturspezifischen Kontext zu beschreiben und einzugrenzen, in dem die hier beschriebenen Formen und Praktiken von Mediation und interkultureller Mediation angetroffen werden können. Der Begriff westlich wird hier sowohl in seiner politischen Dimension als auch als Attribut für eine von den Beteiligten möglicherweise als solche wahrgenommene Diskursgemeinschaft verstanden: Dabei wird davon ausgegangen, dass die hier beschriebenen Ideen interkultureller Verständigung und Mediation auf gesellschaftstheoretischen Ideen basieren, deren Grundlagen in den philosophischen Diskursen des westlichen Europas sowie Nordamerikas geschaffen wurden. Unter westlichen Gesellschaften werden an dieser Stelle daher Gesellschaften verstanden, die an diesen Diskursen aktiv partizipiert haben und partizipieren. Eine politische Dimension versucht diesen Kreis westlicher Gesellschaften vor dem Hintergrund von Staatsformen und Ideologien zu erfassen, die von den jeweiligen Nationen verfolgt werden. Zentral scheinen zu diesen Kreisen Staaten und Gesellschaften Westeuropas, Nordamerikas und Australiens zu zählen. Eine klare Abgrenzung scheint jedoch auf der Grundlage dieser Argumente nicht möglich zu sein, 18 Gesellschaften ein stetig zunehmendes Interesse an Mediation und daran anknüpfend an interkultureller Mediation im Besonderen bemerkt werden. Dieses Interesse manifestiert sich in den Kommunikationswissenschaften in einer steigenden Zahl an Publikationen mehr oder weniger normativen Charakters zum Einsatz von Mediation in unterschiedlichen, interkulturell bedingten Kontexten. 2 Auf außerwissenschaftlichem Terrain manifestiert sich der Trend in einer steigenden Zahl an Dienstleistungsanbietern rund um den Themenkomplex interkulturelle Mediation. Darunter finden sich nicht nur professionelle Mediatoren, 3 die sich auf die Bearbeitung von Konflikten in interkulturell bedingten Kontexten spezialisiert haben 4, sondern auch zahlreiche Anbieter von Weiterbildungsmaßnahmen, in denen Kompetenzen interkultureller Mediation meist im Rahmen praxisorientierter Trainings erworben werden sollen. 5 Angesichts dieses gesteigerten gesellschaftliso dass davon auszugehen ist, dass sich um dieses etwaige Zentrum westlicher Diskurse zahlreiche Gesellschaften als Peripherien gruppieren. In den Wissenschaftsdiskursen scheint mit dem Attribut westlich vor allem eine Abgrenzung der eigenen Kultur gegenüber fremdkulturellen Gesellschaften versucht zu werden, wie beispielsweise große Teile Osteuropas, Asiens, Afrikas und Südamerikas. Die in dieser Arbeit beschriebenen Formen interkultureller Mediation basieren dabei auf Ideen, deren Entstehungskontext mit einem auf diese Weise verstandenen Attribut des Westlichen treffend eingegrenzt werden kann. 2 Für Fachliteratur im deutschsprachigen Raum vgl. exemplarisch Haumersen/Liebe 1998, Calließ 1999, Müller-Jacquier/ten Thije 2000, Bolten 2001 und Schramkowski 2001 sowie für die im US-amerikanischen Raum etwas früher einsetzenden Publikationen Augsburger 1992 und Myers/Filner Mediatoren, die sich auf den Bereich interkultureller Mediation spezialisiert haben, werden dabei sowohl aufgrund ihrer Selbstdarstellung als auch aufgrund ihrer Darstellung in der Presse explizit als Experten für die Bearbeitung interkultureller Missverständnisse gehandelt (vgl. Ewert 2003). 4 So verweist beispielsweise der Bundesverband Mediation im Internet in einem Adressverzeichnis professionell praktizierender Mediatoren in Deutschland im Januar 2004 auf 45 von 214 MediatorInnen, die über eine vom Bundesverband zertifizierte Mediatorenausbildung verfügen und unter anderen Bereichen auf den Bereich Interkulturell spezialisiert sind. Weitere Spezialisierungsbereiche sind hier: Schule, Jugendarbeit, Nachbarschaft, Gemeinwesen, Familie/Partnerschaft, Trennung/Scheidung, Umwelt, Arbeitswelt, Wirtschaft, TOA (Täter- Opfer-Ausgleich; D. B.) und Schlichtung (vgl. Bundesverband Mediation e.v. 2003b). Die Centrale für Mediation verweist in ihrer Datenbank auf 65 interkulturelle Mediatoren unter 636 in Deutschland gelisteten Mediatoren. 5 Vgl. exemplarisch das Institut für Interkulturelle Praxis und Konfliktmanagement (IIPK) in Göttingen (Internet: [Zugriff: ]), das Institut Sikor in Steyerberg/Niedersachsen (Internet: [Zugriff: ]) oder exemplarisch für eine Vielzahl von Institutionen im US-amerikanischen Raum das Institute for International Mediation and Conflict Resolution. (Internet: [Zugriff: ]). 19

9 chen Interesses versucht die vorliegende Arbeit zunächst der allgemeinen Fragestellung nachzugehen, was unter dem Begriff interkultureller Mediation zu verstehen ist. Eine erste Frage lautet demnach: 20 Was ist interkulturelle Mediation? Ausgehend von dieser Fragestellung werden in den nachfolgenden Kapiteln untergeordnete und spezifizierende Fragestellungen entwickelt, die sich jedoch grundsätzlich auf die erste Fragestellung rückbeziehen lassen. Die Entwicklung dieser Fragestellungen soll im Folgenden zunächst nachgezeichnet werden. Eine erste Recherche zu Antworten auf diese Fragestellungen erweckt den Eindruck, dass sich eine Fachliteratur zum Themenkomplex interkultureller Mediation, die sich auf den Forschungsgebieten interkultureller Kommunikation, resp. der Mediationsforschung entwickelt hat, zum Zeitpunkt des Abfassens der vorliegenden Arbeit noch in einer Phase des Plädierens, des Propagierens und des Aufforderns zu weiterer Forschung befindet. 6 Selbst als erste Arbeitsdefinitionen finden sich in den seltensten Fällen Erläuterungen, die sowohl zunächst beschreiben, was unter Mediation verstanden werden kann, als auch im Anschluss klarstellen, was unter interkultureller Mediation im Besonderen zu verstehen sei. Eine Arbeitsdefinition für die vorliegende Studie soll daher an dieser Stelle auf der Grundlage zweier Zitate unterschiedlicher Quellen hergeleitet werden. Im Rahmen der Mediationsforschung definiert Stephan Breidenbach den Begriff der Mediation: Mediation ist die Einschaltung eines (meist) neutralen und unparteiischen Dritten im Konflikt, der die Parteien bei ihren Verhandlungs- und Lösungsversuchen unterstützt, jedoch über keine eigene (Konflikt-) Entscheidungskompetenz verfügt (Hervorhebungen im Original; Breidenbach 1995: 4) Eine Definition interkultureller Mediation bietet auf dieser Grundlage das entsprechende Merkblatt des Bundesverbandes Mediation e.v.: Interkulturelle Mediation bedeutet in erster Linie Verständigung, gegenseitiges Verstehen. Mitglieder unterschiedlicher Kulturen haben unterschiedliches Konfliktverhalten. Das kann für alle Beteiligten den Umgang schwerer machen, ohne dass sie genau wissen, warum: Sitten, Sprache, Gebräuche, Tra- 6 So gibt beispielsweise Menno-Arend Herlyn eine grundlegende Einführung in Prinzipien der Mediation und unterbreitet Vorschläge für ihre Implementierung in interkulturell bedingten Unternehmenskontexten (vgl. Herlyn 2001a). Jürgen Bolten setzt das Verfahren der Mediation in Relation zu weiteren Maßnahmen unternehmerischer Personalführung in interkulturell bedingten Kontexten (vgl. Bolten 2000). In den Diskursen praktizierender Mediatoren scheint sich darüber hinaus sogar eine Konsolidierung des Plädierens für interkulturelle Mediation abzuzeichnen (vgl. exemplarisch das vom Bundesverband Mediation e.v. im Internet publizierte Merkblatt, in dem der Begriff interkultureller Mediation definiert wird: Bundesverband Mediation 2003a). ditionen, Zeitgefühl, Ehrgefühl, Hierarchien und Entscheidungsgepflogenheiten sind stark durch kulturelle Identität geprägt. Aus dem gelebten Identitätsgefühl entspringen spezifische Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Sichtweisen, die mit den jeweils eigenen Sichtweisen häufig nicht übereinstimmen. Im Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher Herkunft kann man daher nicht von einer gemeinsamen Kommunikationsebene ausgehen. Deshalb geht es in der interkulturellen Mediation nicht oder nicht nur um Lösungen, sondern in erster Linie um Verständigung, um einen beiderseitigen Lernprozess. Hierzu gehört es, ein Gespür für Chancen zu entwickeln, ebenso Geduld, Kreativität, Zuhören- und Zulassen können, Beharrlichkeit, Ausdauer, Offenheit und hundertprozentige Präsenz an den Tag zu legen (Bundesverband Mediation e.v. 2003: 2). Als Ziele interkultureller Mediation werden in dieser Definition Verständigung und gegenseitiges Verstehen postuliert, was auch in intrakulturellen Mediationen angestrebt wird. Zusätzlich wird auf kulturell unterschiedliche Konfliktstile, auf besondere Schwierigkeiten durch die Infragestellung kultureller Identitäten im Kontakt sowie auf das Fehlen einer gemeinsamen Kommunikationsebene hingewiesen. Ein Mediator sollte in derartigen Kontexten erhöhte Kompetenzen dessen einbringen, was er auch als intrakultureller Mediator leisten sollte: Insbesondere Aspekte einer persönlichen und kommunikativen Offenheit scheinen demnach in interkulturellen Kontexten besonders gefragt zu sein. Über die Detailliertheit derartiger Definitionen hinausreichende, wissenschaftliche Beschreibungen und Präzisierungen des Begriffs interkultureller Mediation sind dagegen ein Desiderat geblieben. Präzisierungen, besser abgesicherte empirische Arbeiten sowie kritische Analysen dessen, was mittels interkultureller Mediation geleistet werden können soll, scheinen dringend erforderlich zu sein, sofern das Konzept tatsächlich beispielsweise für die Weiterbildung und die unternehmerische Personalentwicklung nutzbar gemacht werden sollte. Zu der ersten Fragestellung nach einer allgemeinen Begriffklärung interkultureller Mediation gesellt sich demnach eine weitere, die offenbar zuvor beantwortet werden muss: Mit welchen wissenschaftlichen Herangehensweisen lässt sich das Phänomen interkultureller Mediation untersuchen, um Erkenntnisse erzielen zu können, die über reine Plädoyers für interkulturelle Mediation hinausreichen? Auch auf diese Fragestellung lassen sich offenbar keine schnellen Antworten finden: dass Eine Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex interkultureller Mediation scheint die Forschungslücken einzelner Disziplinen zutage zu bringen. In einer ersten heuristischen Herangehensweise können dazu zentral die folgenden drei Aspekte zählen, die mit dem Komplex interkultureller Mediation zwar assozi- 21

10 iert, insbesondere von den Sprach- und Kommunikationswissenschaften jedoch bislang kaum bearbeitet worden sind: 1. Interkulturelle Mediation erscheint synergieorientiert gegenüber der geläufigen Problemorientierung in Forschungen zur interkulturellen Kommunikation. 2. Interkulturelle Mediation geht von einem latent konfliktorientierten Verhalten in interkulturellen Kontaktsituationen aus und steht dadurch im Kontrast zu häufig rein zeichen-, bzw. handlungstheoretischen Herangehensweisen in der Forschung. 3. Interkulturelle Mediation bezieht mindestens drei Personen in potentielle Verständigungsprozesse mit ein, wohingegen die Forschung zur interkulturellen Kommunikation meist nur dyadische Prozesse untersucht. Diese Forschungslücken seien im Folgenden einführend näher erläutert: Zu 1.: Auf dem Gebiet interkultureller Kommunikation haben Forscher in den Jahrzehnten vor der Abfassung der vorliegenden Arbeit sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene eine bis auf wenige Ausnahmen problemorientierte Forschung betrieben. Ihr zentrales Forschungsinteresse galt der Beschreibung des Zustandekommens und der Bedingungen unterschiedlicher Formen von Miss- und Fehlkommunikation: Vor dem Hintergrund kulturalistisch geprägter Modelle ging und geht man davon aus, dass interkulturelle Kontaktsituationen ein höheres Problempotential beinhalten als intrakulturelle Kontakte. Die entsprechenden Forschungsergebnisse aus dem Bereich interkultureller Kommunikation werden sodann per Wissenstransfer aus den Forschungskreisen hinaus für die Gesellschaft fruchtbar gemacht. Aus den Forschungsergebnissen werden demnach Maßnahmen abgeleitet, durch die das kommunikative Verhalten von Individuen konstruktiver und kooperativer 7 gestaltet werden soll. Diesen Wissenstransfer leisten in der Regel 7 Die Zielstellungen und Charakteristika gelungener interkultureller Kommunikation werden in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung meist nur vage benannt und mit Attributen wie konstruktiv und kooperativ umschrieben. Optimale Abläufe interkultureller Kommunikation scheinen demnach in der Tat nur unter schwierigen Bedingungen definierbar zu sein, gehen doch damit beinahe zwangsläufig normative moralische Annahmen über ein noch zu bestimmendes Ausmaß an Verpflichtungen von Individuen zum Anstreben dieser Optima sowie von Kompetenzen einher, die theoretisch von allen Individuen eingefordert werden können müssen, einher. Angesichts dieser weitreichenderen Problemstellungen sollen die Attribute konstruktiver und kooperativer interkultureller Kommunikation in weiten Teilen der vorliegenden Arbeit im Sinne einer Arbeitsdefinition dessen dienen, was in interkulturellen Kontaktsituationen nach einer gesellschaftlichen Einschätzung zu selten erreicht wird: Das Attribut des Konstruktiven soll auf eine allgemeine Weise verdeutlichen, dass zwischenmenschliche Interaktionen von den beteiligten Personen meist dann als positiv empfunden werden, wenn sie auf eine Weise gestaltet werden, die jeweils eine Weiterführung der Interaktion ermöglicht und sicherstellt. Als Gegenteil konstruktiver Kommunikation kann in diesem Sinne 22 interkulturelle Trainingsseminare, Unterrichtsmaterialien für den Fremdsprachenunterricht sowie diverse Ratgeberliteratur. Tatsächlich kann vermutet werden, dass problemorientierte Forschungsergebnisse das Problembewusstsein der Individuen für kritische Situationen im interkulturellen Kontakt schärfen. Demgegenüber fehlen jedoch häufig Konzepte, mit denen Kontaktsituationen aktiv konstruktiver und kooperativer gestaltet werden können. Denkbar wären in diesem Sinne sogar Ergebnisse des Bemühens um Verständigung in interkulturellen Kontaktsituationen, die nicht nur genauso kooperativ ausfallen wie ein intrakultureller Kontakt, sondern sich eventuell sogar kooperativer gestalten, so dass interkulturell motivierte Synergien hergestellt werden, wenn die beteiligten Personen auf entsprechende Handlungsanweisungen, bzw. muster zurückgreifen. Positiv orientierte, am Kriterium als erfolgreich erachteter Kommunikation ausgerichtete Konzepte innerhalb der sprachwissenschaftlichen Forschung finden sich dagegen größtenteils im Bereich der Laien-Ratgeber (vgl. hier nur exemplarisch Birkenbihl 1997, Hartig 1997) sowie in psychologisch fundierter Literatur zum Sprachverhalten (vgl. exempl. Rosenberg 2001). Gerd Antos zeigt jedoch auf, dass es zwischen den in der Laien- Literatur vermittelten Konzepten und denen der sprachwissenschaftlichen Forschungsliteratur keine Kontinuität gibt. Die Konzepte der Laien-Literatur sind Antos zufolge statt dessen psychologischen Forschungen entnommen oder sie resultieren schlicht aus den (professionellen) Praxiserfahrungen des jeweiligen Autors (vgl. Antos 1996). Mediation dagegen versteht sich als synergieorientierts Konzept, die nicht von den deskriptiven Ansätzen der interkulturellen Kommunikationsforschung, 8 sondern meist höchstens in Form normativer Ansätze erfasst wird. 9 Astrid Ertelt-Vieth eine konfliktorientierte Kommunikation angenommen werden, die eine Weiterführung der Interaktion erschwert und auf deren Grundlage Interaktionspartner zu einer Reduzierung, bzw. zu einem Abbruch der Kommunikation neigen. Mit dem Attribut der Kooperativität von Kommunikation sollen ebenfalls im Sinne konstruktiver Kommunikation die Bereitschaft sowie Manifestationen dieser Bereitschaft von Individuen verstanden werden, sich für eine konstruktive Gestaltung der von ihnen geführten Interaktion einzusetzen. 8 In dem Bereich der Forschung zur interkulturellen Kommunikation finden sich auch auf deskriptiver Ebene kaum Ansätze, die sich um eine Definition eines Optimums der Kommunikationsfähigkeit bemühen. Ausnahmen sind hier jedoch die Arbeiten von Sonnenberg 2000, die einen Kanon mit Gesprächsstrategien für Muttersprachler zur Verständigung mit Nichtmuttersprachlern entwickelt sowie Reinhard Fiehler, der gegenwärtig im Rahmen des Arbeitskreises Angewandte Gesprächsforschung nach Kriterien für ein gutes Gespräch sucht (vgl. Fiehler 2003). 9 Auch in der Friedens- und Konfliktforschung gibt es eine vergleichbare Zielsetzung in Form einer Suche nach einem positiv formulierten Friedensbegriff (vgl. hierzu exemplarisch Göbel 1999). 23

11 weist in diesem Kontext darauf hin, dass eine rein problemorientierte Herangehensweise an den Forschungsgegenstand zunehmend als unangemessen empfunden werden muss, da interkultureller Kontakt aufgrund politischer Veränderungen auch im Bewusstsein westlicher Gesellschaften immer seltener ausschließlich problemorientiert wahrgenommen wird: Der russisch-deutsche Schüleraustausch hat hier Beispielcharakter. Denn die Austauschprozesse, die Gegenstand der Untersuchung waren, werden als kondensierte Erfahrungsabläufe einer der größten Umwälzungen im 20. Jahrhundert interpretiert, dem Ende des sozialistischen Systems und seiner Abschottung nach außen, den Beschränkungen, die es der Kommunikation auferlegt hatte. An die Stelle der Verhinderung von Dialog, der Festschreibung von (antagonistischen) Bildern vom Gegenüber und vom Selbst tritt umfassende innergesellschaftliche und grenzüberschreitende, intra- und interkulturelle Kommunikation (Ertelt-Vieth 2003b: 377). 10 Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausrichtungen der Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation gegenüber den eher praxisorientierten Ausführungen zur Mediation liegt hier der Schluss nahe, dass ein gemeinsames Konzept interkultureller Mediation bereits mangels einer konzeptionellen Schnittmenge bedingt durch die Problemorientierung des einen Ansatzes gegenüber der Synergieorientierung des anderen nur bedingt denkbar wäre, bzw. auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen können wird. Stattdessen scheint eine Herausforderung darin zu bestehen, zwecks einer Konzeption interkultureller Mediation selbst an der Schließung dieser Lücke zwischen den Ausrichtungen der beiden Disziplinen zu arbeiten. Zu 2.: Der seit den siebziger Jahren zunehmend als eigene Forschungsdisziplin etablierte Bereich interkultureller Kommunikation (vgl. Ehlich 1996: 920) hat gleichzeitig dazu geführt, dass interkulturell bedingte Einflüsse auf entsprechende Kontaktsituationen immer häufiger in Form eines Primats gedacht wurden. Eine Berücksichtigung eventueller weiterer Einflussgrößen auf die Interaktion schien dadurch zunehmend obsolet. Über diese ausschließlich zeichen- und handlungstheoretische Perspektive hinaus verweisen jedoch insbesondere gruppenpsychologische Ansätze darauf, dass interkulturelle Kontaktsituationen von Individuen unter bestimmten Umständen als latente Konfliktsituationen aufgefasst werden können. Dementsprechend ähneln ihre Handlungsstrategien in diesen interkulturellen Kontaktsituationen auch den Strategien, die sie gemeinhin in Konfliktsituationen anwenden (vgl. Hansen 2003: 335ff sowie Kap. 4.3 dieser Arbeit): Auf Konflikte reagieren sie mit Strategien der Abwehr, der Verteidigung oder der Vermeidung. Unter der Annahme dieser Prämissen scheint eine alleinige Berücksichtigung von Ansätzen, die Verständigung aus einer semiotischen Perspektive 10 Vgl. ähnlich auch in Ertelt-Vieth 2003a: 66. konzipieren, nicht hinreichend zu sein, um gangbare Formen einer tatsächlichen Herstellung von Verständigung beschreiben zu können. Aus konflikttheoretischer Sicht muss zusätzlich davon ausgegangen werden, dass Individuen möglicherweise aufgrund ihrer Konfliktorientierung zunächst gar nicht bereit sind, an einer Verständigung zu arbeiten, sondern dass sie diese aktiv zu vermeiden versuchen. Angesichts einer solchen Ausgangslage kann das Entstehen von Verständigung nicht allein auf der Grundlage bereitgestellten Wissens über zeichen- und handlungstheoretisch fundierte Probleme und über entsprechende Wege interkultureller Verständigung beschrieben werden. Diese Überlegungen sind jedoch nach dem Stand der vorliegenden Arbeit bei der Erforschung interkultureller Verständigung kaum berücksichtigt worden. Darüber hinaus komplementiert Mediation die beschreibenden Konzepte interkultureller Verständigung um die Annahme, dass Verständigung nicht nur auf der Grundlage der individuellen Kompetenzen der beteiligten Personen, sondern auch durch das Hinzuziehen der Hilfe dritter Personen herbeigeführt werden kann. Zu 3.: Forschungsarbeiten zur interkulturellen Kommunikation gehen meist unhinterfragt von dyadischen Kommunikationssituationen aus: Untersucht werden Interaktionen, die grundsätzlich zwischen zwei Individuen oder Institutionen stattfinden. Stattdessen können wir jedoch annehmen, dass in vielen interkulturellen Kontaktsituationen mehr als zwei Personen oder Institutionen anwesend oder beteiligt sind und dass diese alle untereinander in Interaktion treten können. Die Vernachlässigung derartiger anderer Kontaktkonstellationen mag mit dem im vorangegangenen Absatz erläuterten Vernachlässigen konflikttheoretischer Ansätze einhergehen, zumal triadische Modelle der Konfliktbearbeitung als Formen von Interaktion in der Konfliktforschung eine zentrale Rolle einnehmen und als eine der etablierten Formen zur Herstellung von Verständigung angesehen werden dürfen. Angesichts dieser Desiderata in der Forschung ist hier anzunehmen, dass weiterführende Fragestellungen zu einer Erforschung des Gegenstands interkultureller Mediation offenbar nicht mit Hilfe eines Forschungsüberblicks über relevante Disziplinen beantwortet werden können. Nimmt man demzufolge an, dass offenbar kaum Forschungstraditionen bestehen, die sich dem Gegenstand interkultureller Mediation schrittweise angenähert haben, dann stellt sich zusätzlich die Frage nach Gründen, Ursachen und Motiven für den plötzlichen Gewinn an Attraktivität, der interkultureller Mediation zu einem nun willkürlich erscheinenden Zeitpunkt zuteil geworden ist. Zusätzlich zu den bereits aufgeworfenen Fragen kann weitergehend erörtert werden: Warum hat die Idee einer interkulturellen Mediation in den Wissenschaften westlicher Gesellschaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts in dem beobachteten 24 25

12 26 Ausmaß an Attraktivität gewonnen, obwohl zuvor keine entsprechende Forschungstradition erkennbar ist? Ähnlich den zuvor formulierten Fragestellungen scheint auch die Beantwortung dieser Frage den bereits aufgeworfenen Problemstellungen vorgelagert zu sein: Erst vor dem Hintergrund eines zumindest ungefähren Wissens um die Motive und die Interessen, die zur Formulierung eines Forschungsgegenstandes geführt haben, kann darauf rückgeschlossen werden, welche Fragen im Rahmen einer zukünftigen Forschung eigentlich an diesen Gegenstand gestellt werden sollen. Angesichts dieser letzten Frage geht der Verfasser hypothetisch davon aus, dass Hinweise auf entsprechende Motivationen für die beobachtete Suche nach Wegen interkultureller Mediation in Tendenzen einer allgemeinen Entwicklung westlicher Gesellschaften gefunden werden können. Tendenzen dieser Art lassen sich unter dem Begriff gesellschaftlicher Diskurs erfassen, die von den Sozialwissenschaften gemeinhin mit Methoden der Diskursanalyse 11 herausgearbeitet und beschrieben werden können. Im Folgenden sollen exemplarische einige Tendenzen westlicher Gesellschaften genannt werden, in deren Gefolge die zunehmende Attraktivität interkultureller Mediation auf der Grundlage einer assoziativen Herangehensweise plausibel erscheint: So kann westlichen Gesellschaften beispielsweise ein zunehmendes Bedürfnis nach Beratungsdienstleistungen bescheinigt werden, welches von den Sozialwissenschaften, hier insbesondere der Organisationssoziologie, auf unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen zurückgeführt wird. Kritische Beobachtungen dieser Tendenzen liegen hier insbesondere zum Umgang mit Dienstleistungen von Unternehmensberatungen vor, die immer mehr als selbstverständliches Instrumentarium einer erfolgreichen Unternehmensführung angesehen werden. So haben sich Unternehmensberatungen bereits für viele Firmen zu einem sine qua non entwickelt, ohne die die strategischen Instrumente einer betriebswirtschaftlich optimierten Unternehmensführung nicht mehr als ausgeschöpft zu gelten scheinen. Zahlreiche Publikationen setzen sich seit dem Beginn dieser Entwicklung mit der sozialen Konstruiertheit dieses Beratungsbedarfs auseinander (vgl. Deutschmann 1993, Faust 1998, Kieser 1998 sowie Bittner/Niehjahr 2004). Auch die gestiegene Attraktivität interkultureller Mediation ließe sich als Form einer Dienstleistung zur konstruktiveren Bearbeitung unterschiedlicher Lebenssituationen auffassen und damit unter das allgemeine, gestiegene gesellschaftliche Bedürfnis nach einer zunehmenden Ausdifferenzierung optional verfügbarer Dienstleistungen fassen. 11 Zu einer Einführung vgl. Titscher et al. 1998: 178ff. Darüber hinaus scheint das Konzept der Mediation auch bestimmte Bedürfnisse der praktizierenden Mediatoren zu befriedigen: Professionelle Mediatoren beziehen demnach aus ihrer Hilfestellung bei Konflikten eine Bekräftigung ihrer Selbstdefinition. Demnach bieten Mediatoren Hilfe bei einer Form der Verständigung an, in der Gewaltfreiheit, emotionale Verständigung, Machtausgleich sowie eine Gleichbehandlung aller beteiligten Personen in den Vordergrund gestellt werden. Praktizierende Mediatoren formieren untereinander auf diese Weise eine Subkultur, deren Beschaffenheit sich treffend mit dem anthropologischen Kulturbegriff einer Diaspora beschreiben lässt (vgl. Peine 2003). Die zunehmende Attraktivität interkultureller Mediation kann aus dieser Sicht als Ausdruck kultureller und hier sogar praktizierter gesellschaftlicher Ideale einer gesellschaftlichen Untergruppe verstanden werden, die von einer zunehmenden Anzahl weitere Teilsysteme von Gesellschaften beachtet werden und die auf diese Weise einen gesellschaftlichen Wandel einleiten. Eine weitere Parallele zu der zunehmenden Attraktivität von Mediation insbesondere in interkulturell bedingten Kontexten kann in diskursiven Tendenzen westlicher Gesellschaften gesehen werden, die gemeinhin unter dem Begriff des Kulturalismus gefasst werden können (vgl. Janich/Hartmann 1998). Diese Tendenz findet ihren Ausdruck in einem gesteigerten gesellschaftlichen Bewusstsein für die unterschiedlichen Ausformungen kultureller perceptas und conceptas 12 sowie deren Auswirkungen auf interkulturelle Kontaktsituationen. Erst vor diesem Hintergrund kann das explizite Bedürfnis nach einer interkulturellen Verständigung erwachsen, die zunächst hergestellt, dann verbessert und aufrechterhalten werden sollte. Gesellschaftliche Diskurse um dem Themenkomplex interkultureller Mediation legen darüber hinaus den Rückschluss nahe, dass interkulturelle Kontaktsituationen nicht nur als die Verständigung erschwerend, sondern darüber hinaus auch als potentiell konfliktanfällig wahrgenommen werden. So werden gegenwärtig internationale politische Konflikte und gewaltsame Auseinandersetzungen immer häufiger als vorwiegend ethnisch-kulturell und kulturell motiviert interpretiert. 13 Diese Wahrnehmung internationaler 12 Vgl. hier die Definitionen des Begriffspaares von perceptas und conceptas bei Jürgen Bolten: Bolten 1997: 473f. 13 Einen zentralen Auftakt für die in der westlichen Welt geführten gesellschaftlichen Debatten über die kulturelle Motiviertheit internationaler Konflikte bildete Samuel P. Huntington mit seiner 1993 in Aufsatzform und 1996 in Buchform erschienenen These vom Clash of Civilizations (vgl. Huntington 1993, 1996). In westeuropäischen Diskursen gelten die zahlreichen Konfliktherde in den 90er Jahren in Südosteuropa als zentrales Exempel für die Zunahme ethnisch motivierter Kriege. Auch die auf die Attentate vom 11. September 2001 folgenden Auseinandersetzungen zwischen den USA, Afghanistan und dem Irak werden meist als das Aufeinanderprallen 27

13 Konflikte reproduziert sich auch in der Alltagswelt westlich-europäischer Kulturen: So wird der Bedarf nach Schulungen interkultureller Kompetenz meist mit der quantitativen Zunahme interkultureller Kontakte im Rahmen einer fortschreitenden Globalisierung begründet. Diese Argumentation dient häufig auch der Legitimation wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit der Thematik interkultureller Kommunikation (vgl. Maletzke 1996: 9; Luchtenberg 1999: 9). Eine derartige Legitimation scheint jedoch nur mit einer notwendigen, aber nicht mit einer hinreichenden Begründung für eine Auseinandersetzung mit interkultureller Kommunikation zu argumentieren: Eine Zunahme interkultureller Kontakte der Angehörigen einer Gesellschaft scheint eine notwendige Bedingung darzustellen, vor deren Hintergrund eine Auseinandersetzung mit Besonderheiten interkultureller Kommunikation überhaupt erst relevant wird. Eine hinreichende Begründung dieser Auseinandersetzung liegt in Form der Zunahme an interkulturellen Kontakten und an Mobilität jedoch nicht vor: Stattdessen ist auch eine ansteigende Häufigkeit interkultureller Kontakte ohne eine gleichzeitige Problematisierung denkbar. Derartige Überlegungen deuten darauf hin, dass die Auseinandersetzung westlicher Gesellschaften mit Aspekten von Interkulturalität zumindest teilweise auf diskursiven Konstruktionen beruht, zu denen nicht unbedingt ein Äquivalent in einer außerdiskursiven Wirklichkeit existiert. Aus dieser Sicht lässt sich der in den westlichen Diskursen zur Interkulturalität zugrunde gelegte Kulturbegriff selbst als kulturelles Konstrukt entlarven: Mit der Vorstellung der Existenz unterschiedlicher Kulturen reproduziert sich gleichzeitig auch der Gedanke an die Existenz einer diese einzelnen Kulturen und Lebenswelten voneinander separierenden Grenze, deren Überschreitung mit hoher Wahrscheinlichkeit Konflikte hervorrufen müsse. Geht man davon aus, dass Kulturbegriffe grundsätzlich konstruiert sind, so lässt sich im Umkehrschluss auch die Vielfalt der Kulturdefinitionen innerhalb der Kulturwissenschaften erklären. 14 So erklären beispielsweise die Anthropologen Ansgar und Vera Nünning in der Einleitung zu ihrem Sammelband zum Stand kulturwissenschaftlicher Debatten und Forschungsfelder die Pluralität sowohl der kursierenden Kulturdefinitionen als auch der disziwestlicher und islamisch orientierter Kulturen interpretiert. Alternative Interpretationen wie beispielsweise ökonomische oder machtpolitische Motive stehen meist dahinter zurück. 14 So erfreut sich eine entsprechende Referenz auf die über 200 verschiedenen Kulturbegriffe, die A. L. Kroeber und Clyde Kluckhohn bereits 1952 in einer Monographie zusammengetragen hatten (vgl. Kroeber/Kluckhohn 1952) bis heute ungebrochen großer Beliebtheit in den Einführungen zu Abhandlungen im Bereich interkultureller Kommunikation. 28 plinär verschiedenen Herangehensweisen aus der diskursiven Konstruiertheit dieser Kulturbegriffe. 15 Ideengeschichtlich betrachtet lässt sich das Hinwenden zum Faktor von Kultur als Variable, mit der inner- und zwischengesellschaftlicher Prozesse beschrieben werden, mit dem Terminus des Cultural Turn erfassen. Ernst Cassirer hat in den 30er und 40er Jahren den Kulturbegriff für die Philosophie operationalisierbar gemacht (vgl. Cassirer 1992), woraufhin später ab den 60er Jahren jeweils einzelne Schulen beinahe aller geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen einen Kulturbegriff zu ihrem entscheidenden Paradigma erhoben haben (vgl. Janich/Hartmann 1998, Lackner/Werner 1999, Reckwitz 1999). Erst vor diesem Hintergrund werden Fragen nach der Beschaffenheit kultureller Einflüsse auf individuelles und gesellschaftliches Handeln überhaupt denkbar, zu deren Beantwortung innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften später unzählige empirische Studien durchgeführt worden sind, deren allgemeiner Wert und Aussagekraft hier unbestritten bleiben sollen und die der vorliegenden Arbeit zur Forschungsgrundlage dienen. An dieser Stelle führt der Verfasser dieser Arbeit die Zunahme der Attraktivität interkultureller Mediation hypothetisch auf Konstruktionen 16 der in westlichen Gesellschaften geführten Diskurse zurück. Eine zentrale Relevanz für die Konstitution dieser Diskurse um den Gegenstand interkultureller Mediation kommt dabei im Rahmen der vorliegenden Arbeit den Wissenschaftsfeldern interkultureller Kommunikation sowie dem Bereich der Mediationsforschung innerhalb einer allgemeinen Konfliktforschung zu. Exemplarisch für gesamtgesellschaftliche diskursive Entwicklungen sollen an dieser Stelle zentrale Publikationen der genannten Wissenschaftsbereiche als Ausdruck und als Bestandteil diskursiver Entwicklungen angesehen werden. Diese Publikationen stehen dementsprechend als Texte für einer diskursanalytische Herangehensweise offen, die zu Beginn des zweiten Kapitels präziser erläutert werden soll. In den folgenden Abschnitten wird der argumentative Aufbau der einzelnen Kapitel der vorliegenden Arbeit zusammenfassend dargestellt: 15 Zum anderen unterstreicht gerade die Vielfalt der Kulturbegriffe die Einsicht, dass Kultur ebenso wie etwa Gedächtnis als ein diskursives Konstrukt zu begreifen [ist], das auf unterschiedlichste Weise problematisiert, erforscht und beschrieben wurde und wird (Nünning/Nünning 2003: 8). 16 Wenngleich mittlerweile Publikationen auf die Überstrapazierung und damit auf die inhaltliche Entleerung des Begriffes sozialer Konstruktion hinweisen (vgl. z.b. Hacking 1999), so erscheint eine Bewusstwerdung dieser Konstruiertheit im Kontext dieser Arbeit erforderlich zu sein, um der kulturellen Bedingtheit und der potentiellen Wandelbarkeit der Problemstellung interkultureller Kommunikation gerecht werden zu können. 29

14 Im zweiten und dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit werden sowohl die Wissenschaftsdiskurse um Möglichkeiten interkulturellen Fremdverstehens als auch die Diskurse innerhalb der Mediationsforschung auf zugrunde liegende Zielvorstellungen zum Umgang mit Interkulturalität und mit Konflikten überprüft. Das zweite Kapitel beginnt in diesem Sinne mit grundlegenden Erläuterungen der Rahmenbedingungen westlicher Gesellschaftskonzeptionen; mit deren zivilgesellschaftlicher Ausrichtung wird eine Auseinandersetzung mit Möglichkeiten von Individuen und Gruppen, die darauf abzielt, den Umgang mit Interkulturalität konstruktiver und kooperativer zu gestalten, überhaupt erst sinnvoll. Erste theoretische Beschreibungen von Wegen des Fremdverstehens finden sich in den philosophischen Diskursen westlich orientierter Wissenschaften, die in der vorliegenden Arbeit exemplarisch an den beiden Diskurstraditionen von Phänomenologie und Hermeneutik nachgezeichnet werden. Die philosophischen Diskursen der Moderne und der Postmoderne entwickeln auf dieser Grundlage Ansätze zu Möglichkeiten von Fremdverstehen in interkulturellen Kontexten weiter. Auf der Grundlage einer diachronen Betrachtung dieser Forschungsarbeiten und -ergebnisse stellt sich heraus, dass (intrakulturelles) Fremdverstehen in der Philosophie seit dem 18. Jahrhundert immer mehr problematisiert und schließlich in Form eines vollständigen gegenseitigen interpersonalen Verstehens für unerreichbar erklärt wurde. Mit dieser schrittweisen Problematisierung ging jedoch zugleich offenbar ein gesteigertes Interesse an einer Suche nach Wegen einher, auf denen sich Individuen einem gegenseitigen Verstehen zumindest graduell annähern können sollten. In je weitere Ferne theoretische Argumentationen einer Möglichkeit letztendlichen gegenseitigen Verstehens rückten, desto raffinierter und zahlreicher wurden entsprechende Forschungsarbeiten und ansätze, die nach dennoch gangbaren Wegen interpersonaler Verständigung nun auch in interkulturellen Kontexten suchten. In gegenwartsphilosophischen Auseinandersetzungen werden Wege interkultureller Verständigung weiter entproblematisiert, bis am Ende des 20. Jahrhunderts insbesondere in der interkulturellen Philosophie mehrere Konzepte zur Beschreibung interkultureller Verständigung entstehen, die von dem zuvor eingeforderten, vollkommenen gegenseitigen Verstehen absehen, und statt dessen Wege und Formen temporärer und minimaler, gangbarer Verständigung aufzeigen. Auf eine ähnliche Weise werden im dritten Kapitel diskursive Entwicklungen auf dem Bereich der Mediationsforschung nachgezeichnet. Hier stellt sich heraus, dass auch das Konfliktbearbeitungsverfahren der Mediation in den vier Jahrzehnten nach seiner Neuentdeckung in den USA erhebliche konzeptuelle Veränderungen durchlaufen hat. So bemängeln beispielsweise rechtssoziologische Studien aus den achtziger Jahren, dass praktizierende Mediatoren die als zentral dargestellten Prinzipien der Neutralität und des Verzichts auf Machtausübung häufig nicht ein- 30 hielten. Zwar postulierten sie deren Einhaltung gegenüber ihren Konfliktparteien, die sich in der Folge einem als fair empfundenen Verfahren anvertrauten. Auf eine verdeckte Weise bezögen Mediatoren jedoch permanent Stellung in der Konfliktbearbeitung und steuerten das Verfahren häufig unbemerkt auf die Ausarbeitung eines bestimmten Lösungswegs zu. Aus diachroner und diskursanalytisch inspirierter Perspektive wird hier deutlich, dass Prinzipien einer solchen mediatorischen Neutralität in den Jahrzehnten zuvor noch hinter Zielstellungen der Effizienz und der schnellen Lösungsfindung zurückstanden. Erst mit dem Wandel gesellschaftlicher Normen zu einem erwünschten Umgang mit Konflikten erscheint dagegen die Kritik der achtziger Jahre sinnvoll, auf die praktizierende Mediatoren auch tatsächlich mit Modifikationen des Verfahrens reagierten. Unter dem Terminus der transformativen Mediation verfolgen am Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche Mediatoren in westlichen Gesellschaften in diesem Sinne eine Wiederherstellung der Kommunikation und der interpersonalen Verständigung zwischen den Konfliktparteien. Diesen Zielstellungen weisen sie gemeinhin eine höhere Priorität zu als einer letztendlichen Suche nach Lösungen. Angesichts dieser Wandelbarkeit lässt sich Mediation in diesem Kontext als ein Verfahren auffassen, das aufgrund seiner geringen Kodifiziertheit in einem besonderen Maße dazu geeignet zu sein scheint, sich Veränderungen gesellschaftlicher Normen und Werte vergleichsweise schnell anzupassen und diese umzusetzen. Diese Normen und Werte zu Formen der Konfliktbearbeitung scheinen sich am Ende des 20. Jahrhunderts den theoretischen Konzepten zum Umgang mit Interkulturalität anzunähern, die in westlichen Gesellschaften als erwünscht verstanden werden. Vor diesem theoretischen Hintergrund erscheint eine Übertragung des Verfahrens der Mediation auf interkulturelle Problemsituationen in der Praxis zunehmend plausibel, wenngleich davon auszugehen ist, dass diese Übertragung von praktizierenden Mediatoren nicht auf der Grundlage der hier exemplarisch dargestellten theoretischen Analysen, sondern eher aufgrund praktischer Notwendigkeiten vollzogen worden ist. 17 Dennoch darf angenommen werden, dass eine auf diese Weise entstandene Praxis interkultureller Mediation erst vor dem gesellschaftlichen Hintergrund, dessen theoretische Rah- 17 Aus dieser diskurstheoretischen Perspektive muss jedoch angemerkt werden, dass der Transfer von Mediation auf den Bereich interkulturelle Mediation zu einem vergleichsweise frühen Stadium der Annäherung beider Bereiche statt gefunden hat: Eine Übertragung scheint gemäß der Literatur der vergangenen Jahre zumindest prinzipiell denkbar geworden zu sein. Bislang divergieren jedoch die Forschungs- und Anwendungsfelder beider Bereiche noch so stark, dass eine Operationalisierung und eine präzise analytische Beschreibung des Begriffs noch nicht möglich erscheinen. Zum Aufbau einer entsprechenden Grundlagenforschung soll die vorliegende Studie einen Beitrag leisten. 31

15 menbedingungen im zweiten und dritten Kapitel nachgezeichnet worden sind, denkbar geworden ist. Zumindest teilweise ließen sich angesichts dieser inhaltlichen Annäherung der Wissenschaftsdiskurse auf den Bereichen interkultureller Kommunikation und der Konfliktmediation Antworten auf die Frage herleiten, warum interkulturelle Mediation am Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend an Attraktivität gewonnen hat. Gleichzeitig zeigt das dritte Kapitel bereits Antworten auf die eingangs gestellte Frage auf, was bereits vorliegende Publikationen unter interkultureller Mediation verstehen, aus welchen gesellschaftlichen Normen sie motiviert ist, und welche sozialwissenschaftlichen Methoden sich zur Untersuchung von Mediation eignen. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass auch eine - größtenteils noch zu entwickelnde deskriptive Forschung zur interkulturellen Mediation grundsätzlich dazu zu dienen scheint, normativen Zielstellungen hier im Hinblick auf einen gesellschaftlich erwünschten Umgang mit Interkulturalität leichter und weitreichender gerecht werden zu können. Die Analysen im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit zeigen Ansätze dieser diskursiv konstruierten Zielstellungen auf, die den Wissenschaften zur interkulturellen Kommunikation und zur Konfliktmediation offenbar zugrunde liegen. Darauf aufbauend können in einer zukünftigen Forschung zur interkulturellen Mediation Fragen entwickelt werden, die darauf ausgerichtet sind, entsprechende Formen und Wege interkultureller Mediation zu finden und zu beschreiben. Wissenschaftliche Zielstellungen dieser Art können auf der Grundlage der folgenden Fragen verfolgt werden: Inwieweit können die in der Forschungsliteratur vorgeschlagenen Konzepte zur interkulturellen Mediation dazu beitragen, die in der vorliegenden Arbeit aufgedeckten Normvorstellungen zum Umgang mit Interkulturalität zu erfüllen und umzusetzen? Mit welchen Herangehensweisen lassen sich die Grenzen dieser Umsetzbarkeit beschreiben, und welche konzeptuellen Veränderungen einer Erforschung interkultureller Mediation erscheinen erforderlich, um diese Grenzen zumindest schrittweise hinausschieben zu können? Um sich an Antworten auf diese Fragestellungen annzunähern, greift das vierte Kapitel auf ausgewählte Ergebnisse aus der sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung zurück. Arbeiten auf diesem Gebiet sehen interkulturell bedingte Schwierigkeiten in der interkulturellen Kommunikation insbesondere bei kleineren, kommunikativ bedingten Missverständnissen, deren kulturell bedingte Ursache die Interaktionspartner selbst häufig gar nicht erkennen. Aus dieser Sicht werden bereits erste Inkompatibilitäten dieser Problemstellungen mit Herange- 32 hensweisen aus der Mediation deutlich: Um situative Missverständnisse bearbeiten zu können, die von den Interaktionspartnern selbst gar nicht erkannt werden, bedarf es eines Mediators, der in der Situation des Missverständnisses bereits anwesend ist, das Missverständnis erkennt und daraufhin einen Klärungsprozess aktiv einleitet. Aufgrund der jeweiligen Aktualität eines Missverständnisses erscheinen institutionalisierte Mediationsverfahren gegenüber einer spontanen Klärungshilfe unangemessen. Darüber hinaus muss damit gerechnet werden, dass dritte Personen, die sich als Außenstehende in interkulturell bedingten Missverständnis-Situationen potentiell als Klärungshelfer anbieten, wahrscheinlich nicht über professionelle Mediationskompetenzen verfügen, so dass sie eine entsprechende Hilfe nur vor dem Hintergrund ihrer alltagssprachlichen Kompetenz leisten können. Zu Beginn des vierten Kapitels wird das Konzept interkultureller Mediation entsprechend um den Ansatz einer in dieser Arbeit vorgestellten, so genannten spontanen Laien- Mediation erweitert. In der Literatur vorgeschlagene Konzepte interkultureller Mediation, die auf einer Übertragung und einer höchstens geringfügigen Modifizierung intrakultureller Mediationen basieren, werden im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen als deduktive Konzepte interkultureller Mediation bezeichnet. Bereits aufgrund dieses Vorgehens der Deduktion kann nicht mehr überprüft werden, ob mit dem vorgeschlagenen Verfahren interkultureller Mediation auch tatsächlich ein Großteil der Problemstellungen interkultureller Kommunikation konstruktiver und kooperativer bearbeitet werden kann als mit Hilfe dyadischer Strategien. Im vierten Kapitel wird als Ergänzung zu den deduktiven Konzepte eine induktive Herleitung von Formen interkultureller Mediation vorgeschlagen: Ausgehend von den in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften beschriebenen Problemstellungen interkultureller Kommunikation können in deren jeweiligen begrifflichen Rahmen Konzepte einer triadischen Verständigungsförderung entwickelt werden, die den jeweils festgestellten Problemstellungen gezielt Rechnung tragen können. Konzeptionen dieser Art werden im vierten Kapitel exemplarisch anhand ausgewählter, zentraler Forschungsarbeiten zur interkulturellen Kommunikation aus den Sprach- und Kommunikationswissenschaften erprobt: Zunächst werden die von den Studien jeweils in ihren eigenen Begriffssystemen herausgearbeiteten Grenzen interkultureller Kommunikationsfähigkeit herausgestellt. In einer heuristischen Herangehensweise wird anschließend nach Wegen gesucht, dritte Personen im Verständigungsprozess im Sinne interkultureller spontaner Laien- Mediatoren in das jeweilige Begriffssystem zu integrieren. Auf diese Weise sollen Wege aufgezeigt werden, auf denen induktive Konzepte interkultureller Mediation Form annehmen und in zukünftigen Forschungsarbeiten eventuell empirisch überprüft werden können. 33

16 Den in diesem Kontext herangezogenen Studien, die Probleme interkultureller Kommunikation aus einer zeichen- oder handlungstheoretischen Perspektive auffassen, fügt das vierte Kapitel Ansätze aus einer sozialpsychologisch ausgerichteten Gruppen- und Konfliktforschung hinzu. Darauf aufbauend wird zunächst ein Modell zur Beschreibung und zur Differenzierung interkulturell bedingter Konfliktursachen gegenüber kulturspezifischen und interkulturell divergierenden Konfliktaustragungsformen entwickelt. Daran angeschlossen wird ein Modell zur Beschreibung und zur Differenzierungen der Begriffe interkultureller Verständigung und interkulturellen Verstehens. Verständigung wird angesichts der vorangegangenen Überlegungen aufgefasst als gegenseitiger Konsens und als gegenseitiges Vertrauen in die Kooperationsbereitschaft der Interaktionspartner bei einer gemeinsamen Arbeit an der Aufrechterhaltung dieses Klimas der Verständigung. Erst auf dieser Grundlage erscheint die gemeinsame und kooperative Arbeit an einem gegenseitigen und temporären, interkulturellen Verstehen möglich zu werden. Im vierten Kapitel werden somit zentrale Grundlagen interkultureller Mediation aufgezeigt, die als induktive Konzepte die deduktiven Herleitungen interkultureller Mediation ergänzen und erweitern. Das fünfte Kapitel nimmt dann Fragen in den Blick, die zu einer umfassenden Erforschung und Beschreibung von Formen und Bedingungen interkultureller Mediation erforderlich zu sein scheinen. Im Zentrum stehen hier zunächst Überlegungen zu Realisierungen triadischer Interaktion in der Alltagswelt: Arbeiten zur Mediation bemühen sich hier offenbar um Hinweise darauf, dass Formen triadischer Interaktion in der Alltagskommunikation häufig vorzufinden sind, und dass in westlichen Gesellschaften häufig nur kein Bewusstsein für diese Alltäglichkeit von Formen so genannter Triangulation bestehe. Demgegenüber weisen kommunikationswissenschaftliche Studien darauf hin, dass Interaktionen mit drei gleichberechtigten Beteiligten in der Alltagswelt nicht nur kaum vorzufinden sind, sondern darüber hinaus die kommunizierenden Individuen sie offenbar sogar meiden. Hier kann vermutet werden, dass triadische Interaktionen weitaus komplexere Strukturen aufweisen als dyadische, und dass Individuen Triaden tendenziell als kognitive Überforderungen wahrnehmen. Die Beobachtung, dass zumindest die Sprachen westlicher Kulturen auch kaum kommunikative Strategien bereithalten, die einen kompetenten Umgang mit triadischen Situationen, beispielsweise im Hinblick auf Gesprächsmanagement und Sprecherwechsel, unterstützen könnten, bestätigt diese Annahmen. Bei einer Suche nach praktikablen Formen interkultureller Mediation stellt sich hier die Frage nach den Grenzen der Herstellung triadischer Interaktionen, in deren Rahmen dritte Personen verständigungsfördernd aktiv werden könnten. Auf weitere Problemstellungen insbesondere induktiver Konzepte interkultureller Mediation verweist die Annahme, dass interkulturelle Mediatoren eventuell 34 aktiv in dyadische Interaktionen intervenieren müssen: Unter welchen Bedingungen und mit welchen Strategien können dritte Personen in dyadische Interaktionen intervenieren? Wann und wodurch sehen sie einen Interventionsbedarf, und unter welchen Bedingungen fühlen sie sich zu einer Intervention und einer anschließenden Klärungshilfe befähigt? In einer solchen Phase interkultureller Mediationen scheinen insbesondere gesichtswahrende Strategien eine Rolle zu spielen. Darüber hinaus scheinen Überlegungen dazu erforderlich zu sein, auf welche Weise Interventionen ausgehandelt werden können, die nicht nur von allen beteiligten Interaktionspartnern gesichtswahrend angenommen werden können, sondern die von ihnen darüber hinaus auch als verständigungsfördernd empfunden werden: Dabei kann zunächst unterstellt werden, dass Formen der Verständigungsförderung durch dritte Personen in interkulturellen Kontaktsituationen tendenziell in allen denkbaren Konstellationen, Kontexten und an allen Orten durchgeführt werden können, so dass die Grundidee interkultureller Mediation, prinzipiell einen Universalitätsanspruch erheben könnte. Eine derartiger Anspruch bedürfte jedoch in jedem Fall einer empirischen Überprüfung. Insbesondere kann in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die Forschung zur interkulturellen Kommunikation zum Zeitpunkt des Abfassens der vorliegenden Arbeit bereits einzelne Orte der Interkulturalität beschrieben hat, in denen interkultureller Kommunikation per se die Tendenz einer latenten Konfliktorientierung anhaftet: Als Beispiele können hier die häufig als ethnische Krisenregion wahrgenommenen Gesellschaften Südosteuropas und des Balkans 18 sowie die Forschung zur interkulturellen Kommunikation in Grenzregionen angeführt werden. 19 Grenzregionen dürfen hier als Modellfall interkultureller Kommunikation und interkultureller Konfliktivität betrachtet werden, in denen das ohnehin vorhandene, latente Konfliktpotential der Interkulturalität kulminiert. 20 Die Arbeit abrundend und zusammenfassend endet das fünfte Kapitel mit einem beschreibenden Modell der Formen interkultureller Mediation, in dem in Anlehnung an bereits vorliegende Modelle (intrakultureller) institutionalisierter Mediation ein potentieller und prototypischer Ablauf einer interkulturellen Mediation dargestellt wird. Dabei wird eine Beschreibung dieses zeitlich orientierten Ablaufschemas anhand von neun potentiell aufeinanderfolgenden Phasen vorgeschlagen, die mit dem Auftreten eines interkulturell bedingten Missverständnisses in einer dyadischen Kommunikation einsetzen, Phasen wie beispielsweise die der 18 Vgl. hierzu explizit die Arbeiten von Senigaglia 1994, Wagenlehner 1994, Seewann 1995, Potthoff 1997, Grimm 1998, Brezovszky 1999, und Barraja-Rohan Vgl. Schröder/Bahr 2000, Roth 2001, Schröder 2002, Bonstein Entsprechende Daten für die Grenzregion Frankfurt (Oder) finden sich bei Grauel

17 Eskalation, der Intervention und der Klärung durchlaufen und schließlich (im Idealfall) in einer Wiederherstellung eines Klimas gegenseitiger Verständigung im Sinne eines gegenseitigen Vertrauens in die Kooperationsbereitschaft bei weiterer Verständigungsarbeit enden. Die vorgeschlagenen Phasen verweisen dabei nicht auf eine derartige erkennbare, lineare Trennung in Alltagsinteraktionen, sondern auf voneinander unterscheidbare Bereiche und Fragestellungen zukünftiger Forschung, mit deren Hilfe präzisere Beschreibungen realisierbarer Formen interkultureller Mediation möglich werden sollen. Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinne als Angebot eines Ausgangspunkts weiterführender Überlegungen zu Formen interkultureller Mediation, mit deren Hilfe interkulturelle Kontaktsituationen sowohl im Sinne der dargelegten gesellschaftlichen Zielstellungen als auch im Sinne einer ethischen, interkulturellen Vertretbarkeit konstruktiver und kooperativer gestaltet werden können. 2 Der diskursiv konstruierte Bedarf nach interkultureller Mediation Die einleitend aufgestellte Hypothese von der diskursiven Konstruktion eines Bedarfs nach interkultureller Verständigung soll im folgenden Kapitel überprüft werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass der gesellschaftliche Diskurs um die Problematik interkultureller Verständigung zu einem Teil auch in den Wissenschaften geführt wird, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, und dass dieser Diskurs auch von ihnen vorangestrieben und gespeist wird. In diesem Sinne sollen Wissenschaftsdiskurse an dieser Stelle als Impulsgeber und gleichzeitig als Bestandteile gesellschaftsübergreifender Diskurse verstanden werden. Mögliche Antworten auf die Frage nach der Entstehung des Bedarfs nach normativen Festschreibungen zum Umgang mit Interkulturalität können unter anderem mit Hilfe einer diskursanalytisch orientierten Untersuchung der relevanten Forschung gefunden werden. Die Eigenschaft der diskursiven Konstruiertheit der Problemstellung interkultureller Verständigung scheint aus einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Teil- und Einzelproblemen generiert zu werden. Drei dieser Problembereiche sollen im folgenden Kapitel für diesen Prozess als zentral benannt, umrissen und analysiert werden: Die Aufgabe einer kreativen Auseinandersetzung und eines konstruktiven Umgangs mit Interkulturalität wird in der westlichen Welt aufgrund gesellschaftstheoretischer Entwicklungen den einzelnen Individuen und sozialen Gruppen einer Gesellschaft zugeschrieben. Die Form des Umgangs mit Interkulturalität wird also nicht etwa qua staatlicher oder religiöser Vorschriften verbindlich vorgeschrieben, sondern muss von den betroffenen Individuen und Gruppen selbst erarbeitet werden. Da weder der Staat noch religiöse Lehren, die von der Gesellschaft als verbindlich angesehen werden, Normierungen zum Umgang mit Interkulturalität bereitstellen, eröffnet sich an dieser Stelle den Wissenschaften ein Arbeitsfeld mit gesellschaftlicher Relevanz (vgl. Kap. 2.1). Spätestens seit dem linguistic turn, dessen Wurzeln bereits in der Antike angelegt waren, hat die Philosophie insbesondere in kulturwissenschaftlichen Ansätzen die Frage nach der Möglichkeit und dem Zustandekommen interpersonalen Verstehens problematisiert. Vielen Ansätzen ist dabei die Annahme gemeinsam, dass ein Phänomen, das wahlweise unter Begriffen wie denen der individuellen Sozialisation, der kulturellen Einbettung und des sozial erworbenen Weltwissens gefasst werden kann, einen wesentlichen Einfluss auf das gegenseitige Verstehen von Individuen sowie auf das Zustandekommen von Kommunikation und sozialer Interaktion haben. Die Herstellung von Verständigung in interkulturellen Kontexten wird in diesem Zusammenhang als eine besonders komplexe Auf

18 gabe verstanden, die auch in der Forschung entsprechende Beachtung erfahren hat (vgl. Kap. 2.2). Philosophische Ansätze der Moderne und der Postmoderne führen diese theoretischen Grundlagen fort und bemühen sich um eine Übertragung auf die konkreten Kontexte interkultureller Begegnungen der Gegenwart. In diesen Ansätzen kann eine fortschreitende Entproblematisierung des Gegenstands interkultureller Verständigung sowie ein Abrücken von der Erfordernis vollkommenen gegenseitigen Verstehens im interkulturellen Kontakt festgestellt werden (vgl. Kap. 2.3). Im Sinne einer von Denkweisen der Kritischen Diskursanalyse inspirierten Herangehensweise 21 dienen die in diesem Kapitel referierten Arbeiten als empirisches (Text-)Material, von dem Rückschlüsse auf die Inhalte gesellschaftlicher Diskurse hier des Diskurses über die Idee einer interkulturellen Verständigung als zu bewältigende Problemstellung getätigt werden sollen. Eine derartige methodengeleitete Analyse akademischer Texte kann bislang kaum auf systematisch aufeinander aufbauende Vorarbeiten zurückgreifen. Während zumindest ältere historiographische Texte gelegentlich einer erneuten Untersuchung als Material dienten, 22 da sich die Autoren aufgrund ihrer zeitlichen Distanz durch eine derartige erneute Analyse 21 Unter dem Dach der Kritischen Diskursanalyse firmieren zahlreichen methodologische Herangehensweisen an die Untersuchung gesprochener und schriftlicher Texte. Die empirischen Textanalysen beziehen sich meist auf theoretische Grundlegungen bei Michel Foucault (vgl. Foucault 1990) sowie auf ideologiekritische linguistische Arbeiten von Michail M. Bachtin (vgl. Bachtin 1986), Valentin Volosinov (vgl. Volosinov 1975) sowie Antonio Gramsci (vgl. Gramsci 1983). Den unterschiedlichen theoretischen Ansätzen ist die Annahme gemeinsam, dass Sprachgebrauch grundsätzlich ideologisch sei, und dass von einer Analyse dieses ideologischen Sprachgebrauchs, verstanden als Diskurse, auf Ideologien einer Gesellschaft rückgeschlossen werden könne. In diesen theoretischen Grundlegungen finden sich kaum Hinweise auf Möglichkeiten einer empirischen Herangehensweise auf auf Formen der Durchführung einer Diskursanalyse. Seit den achtziger Jahren haben sich vor diesem Hintergrund unterschiedliche Schulen empirischer Herangehensweisen einer Kritischen Diskursanalyse herausgebildet. Zentral zu nennen sind hier grundlegende Arbeiten von Norman Fairclough (vgl. Fairclough 1989, 1992, 1995), Teun A. van Dijk (vgl. van Dijk 1980), Ruth Wodak (vgl. Wodak 1996) und Siegfried Jäger (vgl. Jäger 1993). Für eine erste Einführung in die Komplexität der Ausprägungen Kritischer Diskursanalyse vgl. Titscher et al. 1998: 178ff. In der vorliegenden Studie wird jedoch von einer weitreichenderen Kodierung des zu analysierenden Materials abgesehen. Statt dessen soll der Einfluss gesellschaftlicher Diskurse und Ideologien auf wissenschaftliche Arbeiten und Entwicklungen exemplarisch veranschaulicht und verdeutlicht werden. 22 Vgl. hier exemplarisch vor allem die diskursanalytisch ausgerichteten Arbeiten von Philip Sarasin (Sarasin 2001, 2003). 38 nun zweiter Ordnung andersartige Erkenntnisse erhofften, bleiben Analysen aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion bislang Desiderate. 23 Das folgende Kapitel referiert zu diesem Ziel zwar wissenschaftliche Arbeiten, grenzt sich aber durch seine diskursanalytische Herangehensweise gegenüber allgemeinen und einführenden Forschungsüberblicken insbesondere durch die folgenden Aspekte ab: Zur Analyse wurden in diesem Kapitel Wissenschaftsbereiche ausgewählt, in denen Diskurse vorangetrieben wurden, auf deren Grundlage ein späterer Bedarf nach interkultureller Verständigung konstruiert werden konnte. Derartige Beiträge zu dieser diskursiven Entwicklung finden in vielen Arbeiten jedoch lediglich in impliziter Form statt und sind nicht zwingend zugleich auch Fragestellung oder Gegenstand dieser Arbeiten. Anstelle einer reinen Wiedergabe von Forschungsergebnissen sollen die ausgewählten Studien im Hinblick auf implizite Frage- und Zielstellungen untersucht werden. Mit Hilfe dieser Analyse soll die diskursive Konstruktion eines Bedarfs nach interkultureller Verständigung und Mediation nachgezeichnet werden. Die nachgezeichneten Diskurse finden darüber hinaus nicht ausschließlich innerhalb der Wissenschaften statt, sondern sie entstehen aufgrund der Interaktion gesellschaftsübergreifender sowie akademischer Diskurse. Gesellschaftliche Erfahrungen und Wahrnehmungen beeinflussen daher permanent die Generierung und die Gestaltung des Bedarfs nach interkultureller Mediation. Das folgende Kapitel verweist in diesem Sinne auf Elemente wissenschaftlicher Diskurse, aus denen sich ein gesamtgesellschaftlicher Bedarf nach Mediation generiert. Im darauffolgenden, dritten Kapitel werden diesem Bedarf bereits praktizierte Konzepte interkultureller Mediation gegenübergestellt. Westliche Gesellschaften versuchen dem dargelegten Bedarf mit diesen Konzepten Rechnung zu tragen. 2.1 Rahmenbedingungen westlicher Gesellschaften Erst vor der Annahme bestimmter gesellschaftlicher Handlungsspielräume von Individuen und Gruppen wird die Zielstellung der Forschung zur interkulturellen Kommunikation sinnvoll, die interkulturelle Kompetenz einzelner Individuen zu verbessern. So sehen Debatten in der Philosophie und in den empirischen Sozialwissenschaften, die sich mit Formen sozialer Interaktion einzelner Individuen, bzw. 23 Karin Knorr-Cetina hat zu Beginn der 80er Jahre die Grundlegung einer Anthropologie der Wissenschaft vollzogen (vgl. Knorr-Cetina 1981) und mit einer vielzitierten eigenen Studie eindrucksvoll belegt (vgl. Knorr-Cetina 1984). 39

19 sozialer Gruppen auseinandersetzen, in dieser Untersuchungsebene häufig selbstverständlich den Bereich, in den die Bewältigung und die Auseinandersetzung mit Interkulturalität zu fallen scheinen. Autoren in den Sozialwissenschaften nehmen an, dass Individuen und sozialen Gruppen von Einflüssen interkultureller Differenzen beeinträchtigt werden können, und dass es damit gleichzeitig auch in ihrer Aufgabe und Verantwortung liege, akzeptable Formen des Umgangs mit Interkulturalität zu entwickeln und zu praktizieren. Interkulturelle Kommunikation wird damit als Problemstellung in der Eigenverantwortung von Individuen und sozialen Gruppen begriffen, so dass diese in der Folge auch zum Fokus entsprechender Forschung werden. Gleichzeitig wird aufgrund der Verortung der Problematik auf diesen gesellschaftlichen Ebenen von den Wissenschaftsdiskursen impliziert, dass auch die Qualität interkultureller Verständigung grundsätzlich aus der Kompetenz der jeweils betroffenen Individuen resultiere: Einzelpersonen wird eine unterschiedlich ausgeprägte interkulturelle (kognitive, empathische und kommunikative) Kompetenz unterstellt, die sich beschreiben, messen und evtl. verbessern lässt. Dieser Forschungsfokus auf Individuen und soziale Gruppen wird jedoch erst durch bestimmte gesellschaftstheoretische Annahmen motiviert, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen. Grundlegend für diesen westlich-kulturellen Entstehungsprozess scheint dabei die Idee und der Begriff einer Zivilgesellschaft 24 zu sein, unter dem ein für den Bestand demokratischer Gesellschaften erforderliches Ausmaß an Gestaltungsfreiräumen und sozialen Pflichten verstanden wird, das von 24 Der Begriff der Zivilgesellschaft speist sich aus ideengeschichtlichen Entwicklungen sowohl der angelsächsischen Vorstellung einer civil society als auch der deutschen Tradition einer bürgerlichen Gesellschaft. Daraus enstanden ist ein facettenreicher Begriff, dessen Aspekte Georg Kneer einführend benennt: Mit Zivilgesellschaft ist erstens die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen, Vereinigungen und Zusammenkünfte gemeint, in denen sich die Bürger auf freiwilliger Basis versammeln. [ ] Ein zweites Merkmal ist die Autonomie der zivilgesellschaftlichen Assoziationen. Unter Autonomie wird dabei vor allem die Unabhängigkeit von einem Machtzentrum bzw. einem bürokratischen Staatsapparat verstanden. [ ] Für Zivilgesellschaften ist drittens charakteristisch, dass eine Pluralität von Vereinigungen, Bewegungen, informellen Gruppen und Assoziationen existiert. [ ] Viertens zeichnen sich Zivilgesellschaften durch die Legalität ihrer Einrichtungen aus. Zivilgesellschaften lassen sich aus diesem Grund nur dort stabilisieren und auf Dauer einrichten, wo (bürgerliche) Menschenrechte durchgesetzt und institutionalisiert sind. [ ] Zivilgesellschaften setzen fünftens einen bestimmten Standard ziviler bzw. zivilisierter Verhaltensweisen voraus. Von den Mitgliedern der Bürgergesellschaft wird erwartet, dass sie einen gewaltfreien, toleranten und solidarischen Umgang miteinander pflegen. [ ] Die Einrichtungen der Bürgergesellschaft besitzen sechstens ein utopisches Potential. [ ] Mit dem Begriff der Zivilgesellschaft wird das Spannungsverhältnis zwischen einem Komplex institutioneller Merkmale und einem utopischen Programm bezeichnet. (Kneer 2000: ) 40 den Bürgern einer Gesellschaft gedacht als Gegenpol, bzw. Komplement zur Autorität des Staates ausgefüllt werden kann und muss. 25 Erst vor dem Hintergrund der Annahme solcher zivilgesellschaftlicher Freiräume kann impliziert werden, dass Individuen und Gruppen die Ausgestaltung des Umgangs mit Interkulturalität überhaupt offen steht. 26 Umgekehrt muss diese Gelegenheit zur Ausgestaltung unter Umständen auch als Pflicht zur Ausgestaltung verstanden werden: Insbesondere demokratischen Staaten westlicher Prägung mag eine explizite Regelung interkulturellen Umgangs fern liegen, da sich die in ihnen geführten Diskurse über die Aufgaben und die Rolle eines Staates gegenüber der Gesellschaft häufig im Rahmen der Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus bewegen. 27 Theorien des Liberalismus verbieten demnach eine (beispielsweise kultu- 25 Ernest Gellner konzipiert das Ausmaß dieses gesellschaftlichen Freiraums zwischen den beiden von ihm als solchen bezeichneten Extrempolen von Totalitarismus, bzw. Autoritarismus und Segmentarismus, bzw. Kommunitarismus (der an dieser Stelle nicht mit der gesellschaftstheoretischen Position in der Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte der 90er Jahre verwechselt werden darf). Gellner, der die Unterscheidung der beiden Systeme besonders an dem Verhältnis von Religion und Staat festmacht, nennt den Marxismus als Beispiel für ein totalitäres System, in dem zwar einerseits die Religion des Volkes abgeschaft wurde, dafür aber andererseits die gesamte Sphäre von Staat und Gesellschaft quasi sakralisiert wurde, so dass kein gesellschaftlicher Handlungsspielraum mehr blieb. Als Beispiel für segmentaristische Systeme dagegen nennt Gellner den Islamismus, in dem die Gesellschaft dem Staat auf eine klientelistische Weise Folge leistet, dadurch zwar einerseits nicht von direkter autoritärer Gewalt bedroht ist, dafür aber andererseits dennoch nicht handlungsfähig, weil nicht kritikfähig ist (vgl. Gellner 1995: 21-49). 26 Wenn die Existenz zivilgesellschaftlicher Freiräume als Grundbedingung für die freie Ausgestaltung von Interkulturalität durch Individuen angenommen werden kann, dann muss daraus auch geschlossen werden können, dass der Umgang mit Interkulturalität hier verstanden als Formen der Interaktion und des Kontakts zwischen Individuen und Gruppen unterschiedlicher kultureller, bzw. ethnischer Zugehörigkeit in Kontexten ohne zivilgesellschaftlichen Freiraum von anderen Institutionen als der der Zivilgesellschaft geregelt, bzw. vorgegeben wird. Denkbar scheinen hier beispielsweise Formen der Regelung von Interkulturalität von Seiten des Staates, die sich angesichts historischer Erfahrungen beispielsweise in allen denkbaren Formen sozialer Ungleichbehandlung (vgl. das frühere System der Apartheid in Südafrika oder frühere unterschiedliche Gesetzgebungen für Amerikaner afrikanischer und europäischer Herkunft in den USA), Vertreibungen, ethnischen Säuberungen, Gettoisierungen, Gleichschaltungen, Homogenisierungsversuchen oder der schlichten Leugnung von Interkulturalität äußern können. Ähnliche Abgrenzungsversuche können auch von religiösen Gruppierungen vollzogen werden, in denen Formen des Umgangs mit Angehörigen von Fremdgruppen klar vorgeschrieben sind. 27 Aufbauend auf der formalistischen Ethik Kants, die Maximen zur Handlungsorientierung vorgibt, ohne damit konkrete inhaltliche Normen zu verknüpfen (vgl. Kant 1913), hat sich die Denkrichtung des Liberalismus entwickelt, die 1975 mit John Rawls Theorie der sozialen Gerechtigkeit (vgl. Rawls 1975) eine Debatte in Gang gebracht hat, aus der sich die Richtung des 41

20 rell begründete) Ungleichbehandlung von Individuen und plädieren stattdessen für einen gesellschaftsübergreifenden Primat der Gerechtigkeit. Ungleichbehandlungen erscheinen unter diesen Prämissen nur dann gerechtfertigt, wenn sie dem Allgemeinwohl einer Gesellschaft zuträglich sind. Als kommunitaristisch bezeichnete Tendenzen machen sich dagegen für eine Berücksichtigung von Unterschieden individueller und kultureller Bedürfnisse innerhalb einer Gesellschaft stark. Ungleichbehandlungen (die sich wahrscheinlich meist zugunsten der Mehrheitsgruppe oder zumindest einer Form von In-Group äußern) sind damit aufgrund von konstatierten Unterschiedlichkeiten legitim. Die Existenz dieser beiden, zumindest teilweise gegenläufigen Tendenzen scheint in vielen westlichen Demokratien anerkannt zu sein und könnte eventuell als Kontext unterstellt werden, in dem es Staaten nur bedingt möglich wird, moralische Begründungen für Eingriffe in die Regelungen interkulturellen Kontakts zu formulieren. 28 Da in westlichen Demokratien vor diesem Hintergrund vielfach weder etwa von Seiten des Staates noch von Seiten religiöser Gemeinschaften mit Regelungen und Richtlinien zum Umgang mit Interkulturalität zu rechnen ist, bleiben Individuen und Gruppen mit der Aufgabe der Auseinandersetzung mit Interkulturalität allein gelassen. Dies kann zu destruktiven Formen der Vermeidung und Abschottung, etwa in Form von Gettoisierungen führen. Zivilgesellschaften eröffnen jedoch andererseits auch einen Raum zur Etablierung von Institutionen, die sich mit dem Umgang zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen auseinandersetzen. 29 Denkbar sind dagegen jedoch auch gesellschaftliche Kontexte, in denen interkultureller Kontakt und das Zusammenleben von Angehörigen und Gruppen unter- Kommunitarismus in ihrem Selbstverständnis als Korrektiv zum Liberalismus entwickelt hat (vgl. Sandel 1984, Taylor 1993, Walzer 1994). 28 Hier muss jedoch beachtet werden, dass diese Annahme nur auf einen bestimmten, staatlich vorgegebenen Kontext zutreffen kann. Alle westlichen Staaten verfügen über gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Angehörigen fremder Nationalitäten: Migranten unterstehen meist Rechten und Pflichten, die sich von denen der einheimischen Staatsbürger unterscheiden, wodurch in vielen Kontexten Formen der Ungleichbehandlung in der Lebenswirklichkeit bereits vorbestimmt sein werden. Der Umgang und Formen des Kontakts mit Angehörigen fremder Kulturen im Alltagsleben bleibt dagegen jedoch weiterhin frei wählbar: Individuen ist die Wahl eines multi-, bzw. eher monokulturell bestimmten Wohnortes freigestellt, sie können ihre Berufswahl auf multi- oder eher monokulturell bestimmte Tätigkeiten ausrichten, etc. 29 Zu nennen sind in diesem Kontext klassischerweise Institutionen und Vereinigungen, die auf unterschiedlichste Weise versuchen, den Kontakt zwischen zwei konkreten Kulturen zu formen und zu gestalten, ihn also beispielsweise zu fördern (z. B. für den Kontakt zwischen Deutschland und Polen die Deutsch-polnische Gesellschaft e. V. Ähnliche Institutionen existieren zu zahllosen Kulturrelationen in den unterschiedlichsten Größenordnungen und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Handlungsebenen) oder auch zu verhindern (z. B. rechtsextreme Gruppierungen, die eine Ausweisung von Migranten fordern) versuchen. 42 schiedlicher kultureller Verortung permanent stattfindet, ohne jemals als gesellschaftliches Problem empfunden worden zu sein. Ein vielseitiger Umgang mit Interkulturalität kann also in Gesellschaften und deren Selbstkonzepten bereits implizit problemlos möglich sein. 30 Erst vor dem Hintergrund der Annahme einer Konfliktanfälligkeit und eines Regelungsbedarfs interkulturellen Kontakts werden Überlegungen und Anstrengungen zu einer organisierten und konstruktiven Gestaltung desselben denkbar und erforderlich. Insbesondere Befürworter kommunitaristischer Tendenzen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für eine konstruktive Bearbeitung von Problemstellungen, die in den Handlungsspielraum von Zivilgesellschaften fallen. Sowohl wissenschaftliche Forschungen zur interkulturellen Kommunikation als auch Maßnahmen des Gemeinwesens zur Gestaltung interkulturellen Kontakts 31 können als Bewegungen verstanden werden, die dieser Verantwortung gerecht zu werden versuchen, so dass ein Kreisschluss entsteht: Zur Regelung interkulturell begründeten, gesellschaftlichen Konfliktpotentials scheint die Existenz zivilgesellschaftlicher Strukturen vonnöten zu sein. Zugleich kann die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit interkulturellem Konfliktpotential aber auch erst in Form einer Reaktion zu einem Aufbau und einer Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen führen. Verfügen Gesellschaften jedoch nur über geringfügig ausgeprägte zivilgesellschaftliche Strukturen und empfinden sie den Umgang mit Interkulturalität als soziales Problem, so kann das daraus resultierende gesellschaftliche Ohnmachtempfinden auch zu einer gewaltsamen Regelung interkulturell bedingten Konfliktpotentials in Form von Bürgerkriegen und ethnisch motivierten 32 Kriegen führen. 33 Auch der Aufbau eines gesellschaftlich gestützten Zweiklassensystems wie die frühere 30 Zu verweisen ist hier insbesondere auf Regionen, denen häufig bereits in Form von Mythologisierungen ein synergetischer Umgang mit Interkulturalität unterstellt wird, wie beispielsweise die Bukowina (vgl. Corbea-Hoisie 1998, Heppner 2000) und die Vojvodina (vgl. Gottas 1998, Ilic 2001). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch diese Regionen in ihrer (auch jüngeren) Geschichte konfliktreiche Epochen durchlaufen haben. 31 Auch hier soll exemplarisch für eine Vielzahl weiterer Projekte zur Gemeinwesenmediation auf die Mediationsstelle Frankfurt (Oder) verwiesen. 32 Dabei darf nicht übersehen werden, dass eine ethnische Motiviertheit von Kriegen und Konflikten häufig sowohl von den Beteiligten als auch von Außenstehenden als Deckmantel und Legitimation für Formen der Machtausübung in Verteilungskämpfen vorgeschoben wird. 33 Dennoch dürfen nicht alle als ethnisch motiviert deklarierten Kriege auf mangelnde oder zu schwache zivilgesellschaftliche Strukturen zurückgeführt werden, mit deren Hilfe eine konstruktive Bearbeitung interkulturellen Konfliktpotentials möglich gewesen sein sollte. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Deklarierung von Kriegen als ethnisch motiviert häufig auch als Verschleierung ökonomischer Interessen in Situationen sozialer Ungleichheit instrumentalisiert wird (vgl. Makariev 2000). 43

21 südafrikanische Apartheid oder eine von einer gesellschaftlichen Mehrheit getragene Vertreibung von Minderheitengruppen können als destruktive Formen gesellschaftlich geregelten Umgangs mit Interkulturalität vorgestellt werden. 34 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen scheint der Umgang mit Interkulturalität in westlichen Gesellschaften durch die Voraussetzung, die soziale Erwünschtheit und die Aufgaben zivilgesellschaftlicher Strukturen determiniert zu werden: Michel Wieviorka arbeitet hierzu auf hervorragende Weise die Bedingungen und die Besonderheiten allgemeiner Interkulturalitätserfahrungen im Westeuropa des 20. Jahrhunderts nach. Interkulturalität spielt demnach hier insbesondere in Form individueller Zugehörigkeiten zu kollektiven Identitäten eine Rolle, die zudem häufig mit sozialen Ungleichheiten einhergehen (vgl. Wieviorka 2003). Insbesondere diese sozialen Ungleichheiten führen dabei zu einem sozial empfundenen Regelungsbedarf, der aufgrund der gesellschaftlichen Vermischung sozialer und kulturbedingter Aspekte häufig im Bereich des interkulturellen Kontakts gesehen wird. Westliche Gesellschaften überantworten demnach den konstruktiven Umgang mit Interkulturalität den ihnen angehörenden Individuen und Gruppen. Der Freiraum, innerhalb dessen diese entsprechend handeln können, wird gesellschaftstheoretisch mit der Idee einer Zivilgesellschaft gefasst, in der bereits auch unterschiedliche Werte angesichts der Gestaltung dieses Freiraums mitgedacht werden. Erst vor dem Hintergrund dieser Konzeption einer Zivilgesellschaft entsteht im Fall eines gesellschaftlichen Problemempfindens gegenüber Aspekten von Interkulturalität ein Wissens- und Handlungsbedarf von Seiten der Individuen und Gruppen einer Gesellschaft. Im Sinne kommunitaristischer Ideen beinhaltet das Konzept der Zivilgesellschaft darüber hinaus Prinzipien der Verantwortung für die eigene Gesellschaft. Durch diese normative Grundlage wird in westlichen Gesellschaften ein 34 Dieses Zusammenspiel von Zivilgesellschaften und der Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit Interkulturalität wurde zeitweise beinahe als Kausalzusammenhang verstanden. So ging man beispielsweise nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen in Südosteuropa davon aus, dass zivilgesellschaftliche Strukturen der zentrale Aspekt seien, den westeuropäische Gesellschaften den Ländern Südosteuropas voraus haben, und die das Verhindern von Kriegen und das Aufrechterhalten demokraktischer Strukturen gewährleisteten. In der Folge setzten westeuropäische Staaten in den neunziger Jahren alles daran, den Aufbau von Zivilgesellschaften in Südosteuropa insbesondere durch die Gründung von NGOs zu fördern. Später wurde jedoch auch diese Annahme relativiert. So differenzieren beispielsweise Lauth und Merkel unterschiedliche Phasen, Wirkweisen und Funktionen, denen entnommen werden kann, dass zivilgesellschaftliche Strukturen in unterschiedlichen Phasen gesellschaftlicher Transformation und Demokratisierung auch entwicklungshemmend wirken können. So sei eine Förderung demokratischer politischer Strukturen vielfach lediglich der zeitweisen Schwäche zivilgesellschaftlicher Einflüsse zu verdanken (vgl. Lauth/Merkel 1997). 44 Kontext geschaffen, in dem der Wissenschaft unter vielen anderen Anforderungen die Aufgabe der Suche nach und der Vermittlung eines gesellschaftlich erwünschten Umgangs mit Interkulturalität für Individuen und Gruppen zufällt. Vorangetrieben wird die Suche nach ethisch vertretbaren Konzepten unter anderem in den Bereichen einer kulturwissenschaftlich orientierten Philosophie, die in den nächsten Abschnitten diskursanalytisch betrachtet werden sollen. 2.2 Kulturwissenschaftliche Grundlagen Vor dem Hintergrund der dargelegten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen setzen sich Wissenschaftsdiskurse einzelner Sparten der Philosophie mit potentiellen Formen der Ausgestaltung interkulturellen Kontakts auseinander. An dieser Stelle soll versucht werden, die hierzu relevanten Ansätze als Manifestationen kulturwissenschaftlicher Diskurse zu erfassen. Während interpersonales Fremdverstehen schon seit der Antike ein Problemfeld philosophischer Diskurse war, finden sich etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kulturphilosophie Ansätze, die Faktoren kultureller Zugehörigkeit und individueller Sozialisation einen Einfluss auf das Zustandekommen von Fremdverstehen einräumen. Indem sich die Geisteswissenschaften immer häufiger auf Theorien beziehen, in denen Fremdverstehen als sozial determiniert gedacht wird, wird Interkulturalität als besonderer Problemfall denkbar: Kulturelle und soziale Aspekte manifestieren sich in einer Lebenswelt, die Interaktionspartner als gemeinsamen Kontext teilen. In je geringerem Maße jedoch diese gemeinsamen Strukturen vorhanden sind, desto unwahrscheinlicher scheint die Möglichkeit interpersonalen Fremdverstehens zu werden so legt es zumindest die Argumentation dieses Diskursgebäudes nahe. Die diskursive Konstruktion dieser Annahme einer Schwierigkeit interkultureller Kommunikation soll im Folgenden an den beiden in diesem Bereich zentralen Denkrichtungen der Phänomenologie und der Hermeneutik präziser nachgezeichnet werden. Im Hinblick auf das Ziel der vorliegenden Arbeit, dem Aufzeigen unterschiedlicher Formen und Wege triadischer Verständigungsförderung, 35 sollen darüber hin- 35 Der Terminus triadischer Verständigungsförderung wird in der vorliegenden Arbeit konstitutiert und verwendet, weil er auf die an dieser Stelle angenommenen Minimalbedingungen hinweist, die Interaktionsformen aufweisen müssen, um noch als interkulturelle Mediation verstanden werden zu können. Insbesondere im vierten Kapitel dieser Arbeit wird das Konzept interkultureller Mediation durch die Herleitung weiterer Ansätze wesentlich erweitert. Gleichzeitig können in diesen zusätzlichen Konzepten einige charakteristische Merkmale bereits praktizierter Formen interkultureller Mediation nicht mehr wiedergefunden werden. So wird im vierten Kapitel beispielsweise vorgeschlagen, Mediation als Prozess zu begreifen, der auch ohne eine Institutionalisierung und eine Professionalisierung des Mediators sowie ohne eine mehr oder we- 45

22 aus auch in diesem Kapitel bereits Überlegungen darüber angestellt werden, auf welche Weise eine solche triadische Verständigungsförderung nach den jeweils vorgestellten Verstehensmodellen zumindest hypothetisch denkbar werden könnte. Auf diese Weise soll bereits im Vorfeld des im fünften Kapitel skizzierten Modells erwägt werden, welche Formen triadischer Verständigung die vorhandenen Verstehensansätze neben den bereits praktizierten, deduktiven Modellen interkultureller Mediation (vgl. Kap. 3) zulassen Phänomenologie Innerhalb der Denktradition der Phänomenologie in ihren Begriffen geprägt von Alfred Husserl (vgl. Husserl 1921, 1950, 1962) wurde zunächst nicht die Frage nach interkulturellem Fremdverstehen aufgeworfen, sondern nach den Möglichkeiten interpersonaler und damit sozialer Verständigung im Allgemeinen. Eine Betrachtung der Entwicklung der Frage- und Zielstellungen innerhalb dieses Denkgebäudes zeigt dabei, dass die eingangs auf der positivistischen Grundlage der Phänomenologie getroffenen Annahmen über die Beschränktheit von Fremdverstehen und die Unmöglichkeit absoluten Fremdverstehens in der nachfolgenden Diskurstradition zunehmend differenziert und damit zumindest teilweise aufgeweicht wurden: Während mit Husserl recht früh feststand, dass ein vollkommenes, subjektives Fremdverstehen nicht vorstellbar ist, haben sich in seiner Folge zentrale Arbeiten um immer präzisere und weitreichendere Annäherungen an die Grenzen des Fremdverstehens bemüht. An dieser Stelle kann dabei beobachtet werden, dass die Autoren bei diesen Annäherungen zunehmend verständigungsbejahende Perspektiven und Formulierungen verwenden und auf diese Weise herausstellen, welche Formen des Verstehens trotz aller Begrenztheit dennoch möglich sind. Im Bereich der interkulturellen Kommunikation werden auf der Grundlage dieser phänomenologischen Ansätze zuletzt sogar Konzepte denkbar, mit deren Hilfe das Zustandekommen interkultureller Verständigung beschrieben werden kann. Die Möglichkeit von Fremdverstehen macht Husserl an der Bedingung des Konzepts der Lebenswelt fest, unter der ein gemeinsamer, universaler und meist unhinterfragter Erfahrungshorizont der Individuen einer Gesellschaft verstanden wird. Geht man dabei davon aus, dass gegenseitiges Verstehen grundsätzlich von zwei oder mehreren Individuen oder Gruppen geleistet werden soll, dann platziert die Phäniger vorgegebene Ablaufstruktur des Mediationsverfahrens auskommt. Allen hier vorgeschlagenen Formen interkultureller Mediation ist jedoch gemeinsam, dass eine dritte Person zwei weiteren, miteinander interagierenden Personen dabei hilft, ein höheres Maß an Verständigung in ihrer Interaktion herzustellen. Interkulturelle Mediatoren sind in diesem Sinne Personen, die in einem triadischen Gesprächskontext auf eine verständigungsfördernde Weise kommunizieren. 46 nomenologie die Grundbedingung dieses Verstehens mit der Annahme einer gemeinsamen Lebenswelt außerhalb dieser einander verstehenden Individuen und Gruppen. Eine an phänomenologischen Annahmen orientierte empirische Wissenschaft sieht sich dementsprechend mit der Aufgabe konfrontiert, die Bedingungen für das Gelingen, bzw. das Scheitern von Fremdverstehen auf der gesellschaftlichen Ebene der Lebenswelt zu suchen, auf der auch Aspekte der Kultur eine Rolle spielen. 36 Parameter der Interkulturalität werden dabei erst vor dem Hintergrund der Annahme unterschiedlicher Lebenswelten überhaupt denkbar. Da mit dem Konzept der Lebenswelt angenommen wird, dass diese soziale Ebene von den Interagierenden unbewusst und unhinterfragt ist, liegt eine wesentliche Aufgabe des Forschers aus der Sicht der Phänomenologie darin, diese unterhinterfragten Grundlagen der Lebenswelt manifest zu machen und sie analytisch zu begründen Die Grenzen von Sinnverstehen als Fokus der Phänomenologie Edmund Husserl und in seiner Folge Alfred Schütz (vgl. Schütz 1974) grenzten das Objekt des Fremdverstehens auf die Erfassung fremden Sinns ein. Damit entsteht eine Engführung der Problemstellung, die erst vor dem Hintergrund der Ausgangsfrage Husserls nach Vorgehensweisen wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung verständlich wird. Unter Sinn verstehen Husserl und Schütz Motivationen sozialen Handelns von Individuen, die bestenfalls auch in Worten fassbar sein sollten. Die zentrale Aufgabe einer Theorie des Fremdverstehens sieht Schütz in einer Beschreibung des Verstehens von fremdem Sinn durch einzelne Individuen. Eine Antwort auf diese Frage ist bereits in den Grundlagen der Phänomenologie bei Husserl angelegt. Sinn und Sinnverstehen werden demnach durch eine phänomenologische Intuition geleistet. Die eigene geistige Anschauung eines Verstehensobjekts schafft demnach eine eigene Erfahrung dieses Objekts. Diese eigene Erfahrung muss im Sinne der Phänomenologie als positivistische und einzig wahrnehmbare Grundlage angenommen werden. Als Resultat von Verstehen und Sinnverstehen können demnach nur die Inhalte der eigenen Erfahrung angenommen werden (vgl. Kade 1983: 29) Zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Arbeit erscheint ein Konzept, das kulturelle Aspekte ausschließlich in einer Lebenswelt verwurzelt, nicht mehr angemessen, da auf diese Weise impliziert würde, dass Individuen selbst quasi kulturlos sind und nur aus den kulturell geprägten Inhalten der Lebenswelt schöpfen können. Astrid Ertelt-Vieth weist an dieser Stelle darauf hin, dass statt dessen davon auszugehen ist, dass ein Großteil der Handlungsorientierungen von Individuen von diesen selbst und individuell konstruiert wird, und dass häufig erst diese individuellen Handlungskontexte kulturstiftend wirken (vgl. Ertelt-Vieth 2003a). 37 Husserl selbst hatte dieses Verstehensprinzip vor allem mit dem Ziel einer Grundlegung von Regeln philosophischen Denkens aufgestellt, die er zeitweise vorherrschenden metaphysi- 47

23 Die individuelle Erfahrung im Sinne einer phänomenologischen Intuition speist sich dabei aus Inhalten der Lebenswelt des Reflektierenden. Um herauszufinden, auf welche Weise sich Sinnverstehen konstituiert, sollte daher aus Husserls Sicht dieses lebensweltliche Fundament beschrieben werden. Während die Lebenswelt also hier als Subjekt gedacht wird, dem die Erfahrung entspringt, muss sie dennoch gleichzeitig auch als ihr Objekt gedacht werden: Husserl zufolge setzt sich die Lebenswelt aus universellen Strukturen der Erfahrung zusammen, aus denen allgemeine, universelle Strukturen der Welterfahrung erwachsen. Diese Strukturen der Erfahrung versteht Husserl dabei als zusammengesetzt aus Aspekten der Körperlichkeit, aus dem Rahmen und dem Spektrum menschlicher Wahrnehmung sowie der Perspektive der Subjektivität (vgl. Kade 1983: 30). Wenngleich der Entstehung der Lebenswelt also einerseits ein universaler Aspekt anhaftet, muss sie andererseits extrem individuell gedacht werden: Aufgefasst und beschrieben werden kann sie immer nur aus einer bestimmten Perspektive und im Hinblick auf einen bestimmten Zweck. Wenngleich Weltauffassungen also auf der Grundlage universeller Strukturen menschlicher Wahrnehmung entstehen, sind ihre Inhalte dennoch grundsätzlich als relativ zu betrachten. Da diese Wahrnehmungen Husserl zufolge jedoch immer an bestimmte ebenfalls relative, aber individuenunabhängige Zweckzusammenhänge gebunden sind, bleiben sie trotz ihrer hohen Subjektivität sehr stabil. Individuen nehmen ihre Lebenswelt daher bereits als vorgegeben wahr. Dabei werden die Konstruiertheit und die Relativität dieser Lebenswelt in der Regel nicht durchschaut. Husserl folgert daraus, dass aus diesem Grund weder Alltagsbewusstsein noch Wissenschaft zu einer diese Lebenswelt transzendierenden, wirklichen Erkenntnis kommen können. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Husserl stattdessen in phänomenologischen Vorgehensweisen, deren grundlegendes Untersuchungsinstrument im Rückgreifen auf die lebensweltlichen Strukturen besteht. Anstelle der lebensweltlichen Alltagserfahrung sollte Husserl zufolge allerdings auf die begrifflich stärker gefestigte Lebenswelt der Wissenschaft zurückgegriffen werden (vgl. Kade 1983: 31f) Die Möglichkeit des Verstehens von objektivem Sinn Für ein vollkommenes Fremdverstehen hielten Husserl und Schütz ein Hintergehen der lebensweltlichen Strukturen für erforderlich: erst wenn die Bedingungen und die Einflüsse dieser Lebenswelt beim Fremdverstehen mitgedacht werschen Paradigmen entgegenhalten wollte. Husserl forderte statt dessen eine radikale und positivistische Beschränkung philosophischer Untersuchungen auf die Sachen selbst (Husserl 1981: 178) und ernannte diese Maxime zum Prinzip aller Prinzipien (Husserl 1976: 1, 51), dem alle Philosophie zu folgen habe. Die eigene Erfahrung sollte damit als positivistische und einzig wahrnehmbare Grundlage allen weiteren Philosophierens gelten. 48 den können, hielten sie ein vollständiges Sinnverstehen für möglich. Indem Alfred Schütz die Unterscheidung von subjektivem und objektivem Sinn 38 einführt, verweist er auf die Existenz eines Spielraums des Annäherns an ein vollkommenes Verstehen und räumt damit zumindest die Möglichkeit eines teilweisen Verstehens ein. Schütz Frage nach der Beschaffenheit eines Sinnverstehens und sein Rekurrieren auf die Phänomenologie entzündeten sich ursprünglich an einer Kritik an Max Weber: Weber unterschied noch nicht zwischen subjektivem und objektivem Sinn menschlichen Handelns, sondern verwies lediglich darauf, dass der eigene gemeinte Sinn einer Handlung immer auf das Verhalten anderer Individuen bezogen werde. In der Begrifflichkeit der späteren Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Sinn problematisiert Weber also nur das Verstehen subjektiven Sinns; eine Unterscheidung zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen trifft er dagegen nicht (vgl. Kade 1983: 35). Gegenüber den Weberschen Grundlagen fordert Schütz, zwischen dem gemeintem Sinn und dessen Interpretation zu unterscheiden. Für Schütz beschreibt der Terminus des Fremdverstehens daher den Übergang von subjektivem zu objektivem Sinn. Im Sinne der Phänomenologie darf grundsätzlich nicht angenommen werden, dass der gemeinte (subjektive) Sinn einer Handlung die Ausgangsbasis für Fremdverstehen bilde. Stattdessen basiere Fremdverstehen grundsätzlich erst auf der (körperlichen) Ausdrucksbewegung der fremden Person, in die der Deutende den Sinn hineinprojiziert, den diese Handlung für ihn hat (vgl. Kade 1983: 35). Fremde Ausdrucksbewegungen und damit objektiver Sinn können also nur als Anzeichen für einen fremden subjektiven Sinn angenommen werden Der subjektive Sinn einer Handlung kann Schütz zufolge nur von dem Handelnden selbst retrospektiv erschlossen werden, da nur er alle individuellen Motivationen rekonstruieren kann, die ihn zu dieser Handlung bewegt haben. Subjektiver Sinn setzt sich außerdem aus mehreren, analytischen Teilmotiven zusammen, die von Außenstehenden nicht rekonstruiert werden können. Andere Personen können dagegen nur den objektiven Sinn einer Handlung erfassen. Dieser entsteht durch eine Interpretation der Handlung vor dem Hintergrund lebensweltlicher Erfahrungen des Interpretierenden. Ein auf diese Weise hergeleiteter, objektiver Sinn kann also theoretisch vom subjektiven Sinn der Handlung in erheblichem Maße abweichen. Die Rekonstruktion analytischer Teilziele einer Handlung ist auf der Grundlage objektiven Sinns ebenfalls nicht möglich. 39 Verdeutlicht wird dies auch durch die Verwendung des Begriffs des Anzeichens in der Semiotik: Ursprünglich eingeführt durch Charles Sanders Peirce 1902 (vgl. Peirce 1998) als indexikalisches Zeichen, verweist der Terminus in Unterscheidung zu ikonischen und symbolischen Zeichen auf die Kausalität der Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat. Während das Anzeichen oder das indexikalische Zeichen im Sinne von Peirce jedoch zwingend auf die Existenz eines bestimmten Signifikats verweist, geht es Schütz darum, dass diese Kausalitätsbeziehung zwischen gemeintem, subjektivem Sinn und aufgrund von Erfahrungen interpretiertem objektivem Sinn nicht zwingend gegeben und auch nicht überprüfbar ist. Diese Interpretation 49

24 Auch ein Selbstverstehen kann aus dieser Sicht nur dann vollzogen werden, wenn man sich dem eigenen Handeln retrospektiv und reflektierend zuwendet, um dessen gemeinten Sinn zu erfassen. Schütz folgert aus dieser Annahme, dass nur das Erlebte sinnvoll sein könne, nicht aber das Erleben selbst. So werde zwar die Grundlage für Sinn erst durch die Annahme einer Intentionalität individuellen Handelns geschaffen, sichtbar werde Sinn jedoch immer erst in der retrospektiven Interpretation. 40 Sinn und damit Fremdverstehen können nach dem Modell von Schütz folglich immer nur in der Retrospektive geleistet werden. Sinn konstituiert sich erst durch das rückblickende Einbetten der vollzogenen Handlung in den eigenen Erfahrungshintergrund des Interpretierenden. Der so entstandene objektive Sinn ist damit gleichzeitig immer auch individuell. Dabei besteht zwischen dem Erfahrungshintergrund des Interpretierenden und dem gemeinten Sinn oder der vollzogenen Handlung eines zu verstehenden Individuums kein Zusammenhang: der objektive Sinn einer Handlung ist bereits vor dem Vollzug der zu interpretierenden Handlung im Erfahrungsschatz der interpretierenden Person angelegt. Sinnzusammenhänge sind also bereits objektiv vorgegeben. Nach Schütz bleibt der gemeinte Sinn daher immer ein Limesbegriff (Kade 1983: 37, zit. nach Schütz 1974: 49), der letzten Endes jeder Fremddeutung verschlossen bleibt. Subjektiver Sinn nach Schütz kann also nicht fremdverstanden werden; Fremdverstehen bleibt stattdessen auf das Verstehen von objektivem Sinn reduziert (vgl. Kade 1983: 36). Zumindest eine Annäherung an den subjektiven Sinn kann dagegen durch eine Bewusstmachung des eigenen Erfahrungshintergrundes erfolgen. Dieser Erfahrungshintergrund darf aus phänomenologischer Sicht als objektiv bezeichnet werden, da er sinnlich wahrnehmbar und damit für die Phänomenologie existent ist. In dieser Annäherungsleistung liegen damit gleichzeitig auch die Grenzen des Fremdverstehens nach Schütz. Eine weitere Annäherung an das Verstehens subjektiven Sinns unternimmt Schütz, indem er diesen als analytisch aufteilbar konzipiert: Während subjektiver Sinn dadurch vorstellbarer wird, dass zumindest Aussagen über die Existenz einer kann nur auf der Grundlage der genannten, relativen Erfahrung der Lebenswelt getätigt werden, deren intersubjektiv ähnliche Wahrnehmungen höchstens aufgrund kultureller Konventionalisierungen zustande kommen kann. Aus aktuellerer semiotischer Perspektive ließe sich das Verhältnis zwischen dem gemeinten Sinn einer Handlung und der interpretierten Ausdrucksbewegung bei Schütz treffender mit dem Terminus des Äquizeichens beschreiben, dessen Bedeutungsrelation aufgrund kulturbedingter Konventionen zustande kommt und sich interkulturell unterscheiden kann (vgl. Sottong/Müller 1998: 3). 40 Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht aber das Erleben. Denn Sinn ist nichts anderes als eine Leistung der Intentionalität, die aber nur dem reflexiven Blick sichtbar wird. (Schütz 1974: 69, zit. nach Kade 1983: 36) 50 analytischen Zusammensetzung getroffen werden können, kann diese Aufteilung jedoch in Form einer Rekonstruktion des objektiven Sinns einer Handlung nicht nachvollzogen werden. Aus der Sicht eines handelnden Subjekts findet sich der subjektive Sinn einer Handlung bereits in ihrem Handlungsentwurf. Ein allgemeines Ziel wird dabei in vielen kleinen einzelnen Handlungsschritten verfolgt, deren Sinn sich nur erschließen lässt, wenn man diesen anfänglichen Handlungsentwurf kennt. Interpretationen unterstellen jeder Handlung einen derartigen Handlungsentwurf und vollziehen den Versuch einer Rekonstruktion dieses Entwurfes. Schütz zufolge vollzieht sich auch soziales Handeln dabei in vielen einzelnen Handlungen, d.h. in Einzelschritten. Ein übergeordneter Handlungsentwurf (und damit können laut Schütz nicht nur kurzfristige Strategien, sondern auch ganze Lebensentwürfe gemeint sein) kann aus dieser Sicht als polythetische Zusammensetzung einzelner Handlungsschritte begriffen werden (vgl. Kade 1983: 38). Der beobachtende Interpretant dagegen kann nach phänomenologischen Maßgaben immer nur das Ergebnis dieser Handlungen wahrnehmen. Ein differenzierendes Erkennen der polythetischen Zusammensetzung einer Handlung bleibt dem Beobachter dagegen verwehrt, so dass Erfahrungen und Rekonstruktionen von Sinn immer nur monothetisch möglich sind (vgl. Kade 1983: 38). Diese monothetischen Gebilde können daher nur objektiviert sein. Schütz folgert daraus, dass der gesamte Erfahrungszusammenhang eines Menschen nur aus monothetischen Gebilden bestehen kann. Aus diesen bildet der Interpretant ein Erwartungsmuster, in das neue Erfahrungen eingeordnet werden können. Erfahrungen erfassen also immer den ehemals aus Einzelschritten entstandenen Zusammenhang als Ganzen, aber nicht mehr das Wie der Entstehung dieser Erfahrungen. Während Schütz davon ausgeht, dass Erfahrungen im Allgemeinen auch bereits vorsprachlich sein können, 41 können Zeichen nur im Zusammenhang mit ihrem Zeichensystem richtig interpretiert werden. Zeichen stuft Schütz daher als Sonderfall allgemeiner Schemata der Erfahrung ein Relevanzstrukturen als Verstehensmotivation Alfred Schütz und Thomas Luckmann versuchen eine weitere konzeptuelle Annäherung an die Beschaffenheit subjektiven Sinns durch die Annahme und die Benennung unterschiedlicher Motivationszusammenhänge, durch die bestimmte Interpretationsleistungen erst initiiert werden. Sie gehen dabei davon aus, dass die 41 Aus der Annahme der Möglichkeit vorsprachlichen Verstehens ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die theoretischen Möglichkeiten interkulturellen Fremdverstehens. Einführend in unterschiedliche Ansichten über die Vorbestimmung menschlicher Wahrnehmung durch Sprache vgl. Brandom 2001, weiterführend Werlen

25 Auslegung einer Erfahrung immer auch von dem zu deutenden Objekt bestimmt wird, da dieses erst aus einem bestimmten Motivationszusammenhang heraus zur Interpretation ausgewählt worden ist. Solche unterschiedlichen Motivationszusammenhänge versuchen Alfred Schütz und Thomas Luckmann aufzuzeigen, indem sie drei Arten von Relevanzstrukturen benennen, die für den Auslegungsvorgang im Verstehensprozess entscheidend sein können (vgl. Schütz/Luckmann 1979: 117ff, zit. nach Kade 1983: 39ff): Die Auslegung von Erfahrungen erfordert von diesen eine thematische Relevanz. Diese kann durch die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erfahrung gegeben sein. Auch unbekannte Dinge können thematisch relevant sein, sofern sie zumindest geplant worden sind. Allein im Fall von ungewissen Erfahrungen wird nur eine unzureichende Relevanz erzielt, da eine derartige Situation nicht mehr einem routinemäßigen Erwartungsschema zugeordnet werden kann (vgl. Kade 1983: 39). Übertragen auf die Herausforderung zum Fremdverstehen in interkulturellen Kontaktsituationen ließe sich hier argumentieren, dass Erfahrungen zumindest geplant sind, wenngleich sie gerade im interkulturellen Kontakt eventuell nicht eintreffen. Allein ihre Erwartung jedoch fordert zur Auslegung dieser Fremderfahrung auf. In diesem Fall entsteht nach Schütz und Luckmann ein Wissensbedarf, den Individuen mit Hilfe von Auslegungen zu befriedigen versuchen. Dies kann entweder durch eine Ausdeutung des äußeren Horizonts einer Erfahrung anhand des situativen Kontextes oder durch eine Ausdeutung des inneren Horizonts einer Erfahrung, nämlich durch die Rekonstruktion der polythetischen Akte, erfolgen. Des Weiteren halten Schütz und Luckmann jedoch auch eine Interpretationsrelevanz (vgl. Kade 1983: 40) für erforderlich, um einen Auslegungsvorgang zu provozieren: Demnach trägt ein bereits vorhandener Erfahrungshintergrund dazu bei, aus ihnen herausragende Erfahrungen zu erkennen, die nicht in diese Hintergründe eingeordnet werden können. Misslingen solche Einordnungsversuche, dann werden genau die Aspekte einer Erfahrung, die diese Einordnung zu verhindern scheinen, interpretiert und ausgelegt. Auslegungsbedürftige Erfahrungen weisen schließlich eine Motivationsrelevanz (vgl. Kade 1983: 40) auf, die sich aus dem Sinnzusammenhang ergibt, durch den eine geplante Handlung und die Erfahrung ihrer Ausführung zueinander in einer Beziehung stehen. Dieser Sinnzusammenhang lässt sich laut Schütz und Luckmann durch zwei unterschiedliche Motive beschreiben: So können Erfahrungen vor dem Hintergrund ihrer Planung durch so genannte Um-zu-Motive beschrieben werden, die vom Entwurf einer Handlung ausgehen und von dort die Konstituierung einer Handlung betrachten, so dass sich eine zukunftsorientierte, veränderbare Perspektive ergibt. Bei einer Interpretation mit Hilfe von Weil- Motiven dagegen geht der Interpretant von einem Erlebnis aus und versucht auf dessen Grundlage, auf den Entwurf der zugrunde liegenden Handlung zu schließen. Eine solche Interpretation geht eher vergangenheitsorientiert vor, sie kann erst nach Abschluss einer Handlung getätigt werden (vgl. Kade 1983: 40). Derartige Interpretations- und Motivationsrelevanzen kommen nach Schütz und Luckmann entsprechend der Sozialisierung der jeweiligen Relevanzstrukturen zustande. Sie unterscheiden dabei drei Erwerbsformen von Relevanzstrukturen. So können diese eigenständig und ohne Bezug zu einer Auslegung anderer erworben werden. Von einem empathischen Erwerb sprechen Schütz und Luckmann dagegen, wenn Relevanzstrukturen durch den polythetischen Nachvollzug der Auslegung und der Motive Anderer erworben werden. Darüber hinaus ist ein sozialisierter Erwerb von Relevanzstrukturen denkbar, wenn monothetische Erfahrungen übernommen werden. Dies ist Kade zufolge im Rahmen von Lernen und Sozialisation im klassischen Sinne der Fall. Im Hinblick auf das Zustandekommen interkulturellen Fremdverstehens sollte davon ausgegangen werden, dass Interpretationsrelevanzen durch alle drei Formen des Erwerbs angeeignet werden können. Wenngleich subjektives Fremdverstehen also nach der früheren Theorie von Husserl und Schütz nicht möglich ist, erarbeiten Schütz und Luckmann ein Modell, das es erlaubt, Wege der Erweiterung oder der Veränderung des menschlichen Erfahrungshorizontes dennoch zulassen und beschreiben zu können. Wird einer Erfahrung Relevanz zur Interpretation zugesprochen, so kann diese durch die genannten unterschiedlichen Formen der Auslegung eine Umstrukturierung der Erfahrungswelt bewirken. Nach Schütz und Luckmann ist davon auszugehen, dass sich dieser Erfahrungshintergrund durch die genannten Prozesse permanent wandelt. Gelingt es dem Interpretanten schließlich, die problematischen, vor dem eigenen Erfahrungshintergrund abgehobenen Aspekte einer Erfahrung mit gefundenen Bestimmungsmöglichkeiten zur Deckung zu bringen, dann wird ein Verstehensproblem als gelöst angesehen (vgl. Kade 1983: 42). Einen weiteren Weg der Annäherung an die Unmöglichkeit subjektiven Sinnverstehens beim Fremdverstehen sieht Schütz im Ausnahmefall intensiver Zweierbeziehungen, in denen eine graduelle Annäherung an gegenseitiges Verstehen erfolgen kann: In Zweierbeziehungen wird das allgemeine alter ego, die Annahme, dass andere Individuen genauso denken und Empfinden wie ein reflektierendes Individuum selbst, über einen längeren Zeitraum hinweg immer von der gleichen Person repräsentiert. Auf diese Weise entsteht eine Wir-Beziehung, in der durch permanentes gemeinsames Erleben auch fremde Motivzusammenhänge miterlebt werden können. Auf diese Weise wird eine sukzessive Annäherung an den fremden, gemeinten Sinn möglich (vgl. Kade 1983: 52). Demgegenüber stellt Schütz die Möglichkeit des Zustandekommens einer Ihr-Beziehung, bei der die Erfahrun

26 gen des Anderen jeweils nur mittelbar und deshalb immer nur typisierend erfasst werden können. Während Wir-Beziehungen eine Annäherung an das Verstehen subjektiven Sinns erproben, zielen Ihr-Beziehungen grundsätzlich nur auf ein Fremdverstehen auf einer allgemeineren Ebene des objektiven Sinns ab. Diese Annahme lässt sich auch auf interkulturelle Kontaktsituationen übertragen: In der Regel scheinen sich diese durch sporadische Interaktionen auszuzeichnen, so dass im Schützschen Sinne von Ihr-Beziehungen ausgegangen werden kann: Interpretationen greifen auf bereits vorhandene kollektive Fremdbilder zurück, vor deren Hintergrund Fremderfahrungen ein objektiver Sinn zugeschrieben werden kann, der hochgradig sozial bestimmt zu sein scheint. Kade verweist jedoch auch auf Grenzen und spätere Kritiken am Fremdverstehensmodell von Schütz. Jürgen Habermas weist beispielsweise darauf hin, dass das Konzept der Lebenswelt nur dann alle sozialen Phänomene erfassen und erklären kann, wenn überhaupt alle Zusammenhänge berücksichtigt werden können. Einen derartigen Einbezug hält Habermas jedoch schon allein unter quantitativen Gesichtspunkten für Individuen nicht vollziehbar. Darüber hinaus existierten in hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaften der Postmoderne Bereiche, die der Lebenswelt nicht mehr zugänglich sind, wie beispielsweise die Bereiche von Markt oder Macht. Habermas spricht hier von einer Entkoppelung von System und Lebenswelt. Fasste man die gesamte Gesellschaft als Lebenswelt auf, so gäbe man sich fälschlicherweise drei Illusionen hin: man ginge von einer vollkommenen Autonomie des Handelnden aus, man betrachtete Kultur als eine unabhängige Größe, und man unterstellte eine vollkommene Durchsichtigkeit der Kommunikation. Darüber hinaus geht das Lebensweltkonzept zumindest vorrangig und implizit von einem rational handelnden Subjekt aus. Irrational motivierte Handlungen dagegen werden ignoriert (vgl. Habermas 1981: 180ff, zit. nach Kade 1983: 61f) Fremdverstehen durch Rollenübernahme In Form des von George Herbert Mead (vgl. Mead 1993 [1934]) vorangetriebenen Symbolischen Interaktionismus findet im Diskurszusammenhang der Problematisierung von Fremdverstehen eine weitere Annäherung an Beschreibungen dennoch vorhandener Möglichkeiten gegenseitigen Verstehens statt. Interpersonales und damit auch interkulturelles Fremdverstehen erfordern nach der Theorie der Phänomenologie den Versuch eines Nachvollzugs der Leitlinien eines Handelnden aus der Perspektive, aus der dieser sie entwickelt. Tendenzen des Symbolischen Interaktionismus tragen hier zu einer Konkretisierung in der Beschreibung dieses Nachvollzugs bei, indem das Prinzip der gegenseitigen Rollenübernahme (vgl. Mead 1993 [1934]: 204ff.) eingeführt wird, die vollzogen werden muss, um die Rolle des Anderen interpretieren zu können. Die Bedeutung von Objekten wird 54 dabei danach konstituiert, wie der Signifikante Andere im Bezug auf diese Objekte handelt. Das Verhalten von Individuen wird dabei nicht durch die Wahrnehmung fremden Verhaltens beeinflusst, sondern durch die Interpretation dieser Wahrnehmung. Jede Situation muss daher vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen immer neu ausgelegt werden. Die Ethnomethodologie bietet hier zur sozialwissenschaftlichen Analyse von Alltagshandlungen auf der theoretischen Grundlage von Phänomenologie 42 und Symbolischem Interaktionismus Instrumentarien zur Aufdeckung der formalen Strukturen der Alltagswelt und deren objektivem Sinn. Als zentraler Forschungsgegenstand dienen der Ethnomethodologie meist Sprechhandlungen. Dabei wird angenommen, dass jedermann über die Bestände des Alltagswissens verfügen muss, die zur Verständigung überhaupt notwendig sind. Demgegenüber werden interkulturelle Kontaktsituationen häufig dadurch charakterisiert und beschrieben, dass sie sich durch ein teilweises oder ein gänzliches Fehlen dieses gemeinsamen Alltagswissens auszeichnen. Wenn interkulturelles Fremdverstehen mit Hilfe ethnomethodologischer Ansätze beschrieben werden soll, dann scheint eventuell eine Relativierung dieser universalen Annahmen zur Existenz gemeinsamen Alltagswissens erforderlich Fremdverstehen im interkulturellen Kontakt Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass sich der von der Phänomenologie geführte Verstehensdiskurs sukzessive auf die Suche nach Vorgehensweisen zu Annäherungen an das Ideal vollkommenen Verstehens ausgerichtet hat, nachdem eingangs die Unmöglichkeit dieses vollkommenen Verstehens selbst postuliert worden war. Innerhalb der sprachwissenschaftlichen Forschung zur interkulturellen Kommunikation der 90er Jahre finden sich nur wenige Arbeiten, die vor eventuellen empirischen Ausführungen eine theoretische Rekonstruktion der Möglichkeit von Fremdverstehen versuchen. Noch seltener finden sich explizite Rückgriffe auf klassische Verstehenstheorien wie die der Phänomenologie oder der Hermeneutik. Dennoch scheint die Phänomenologie mit ihrer Auffassung von Fremdverstehen als Generation von Erfahrungen eine theoretische Grundlage geschaffen und eine theoretische Richtung eingeschlagen zu haben, an die Theorien zur interkulturellen Kommunikation wenngleich nicht explizit anknüpfen können. So konzipiert beispielsweise Bernd Müller-Jacquier die Bewältigung von Fremdverstehen in interkulturellen Kontaktsituationen als Episodisierung von Fremdheitserfahrungen (vgl. Müller 1995: 43). Anstelle der ursprünglichen Fragestel- 42 Zu den Auswirkungen der Phänomenologie auf die Sprachwissenschaften vgl. zusammenfassend Verschueren

27 lung der Phänomenologie wählt Müller-Jacquier jedoch eine beinahe umgekehrte Herangehensweise und fragt danach, auf welche Weise Individuen einen Grad des gegenseitigen Verstehens herstellen können, der ihnen eine Bewältigung der Interaktionssituation ermöglicht. Ähnlich den phänomenologischen Annahmen platziert auch Müller-Jacquier den Fixpunkt, mit dem neue Erfahrungen abgeglichen werden, außerhalb der Dyade der Verstehenden in einer Lebenswelt, die Müller-Jacquier als Ansammlung von social episodes beschreibt. Interaktionssituationen in der intrakulturellen Alltagswelt werden demnach häufig zu Episoden generalisiert und mit Hilfe eines ebenfalls generalisierten Handlungswissens bewältigt. Unter Episoden versteht Müller-Jacquier dabei gedächtnispsychologische Repräsentationen bestimmter Ereignisse (vgl. Müller 1995: 44). Ihmzufolge werden Episoden, in denen bewährte Routinen zur Bewältigung wider Erwarten gescheitert sind, besonders gut memoriert. Die Annahme eines solchen Kriteriums zur Modifizierung von Erfahrungswissen scheint der von Schütz und Luckmann postulierten Interpretationsrelevanz sehr zu ähneln (vgl. Kap ) Das betroffene Individuum beginnt dann die Suche nach einer angemessenen Lösung, die erst abgeschlossen wird, wenn die Ausführung der Episode erfolgreich war. Diese Erfolgswahrnehmung dient anschließend als Auslöser für die Einrichtung einer neuen langfristigen Routine (vgl. Müller 1995: 45). 43 Auch die Erschwernis interkultureller Verständigung begreift Müller- Jacquier auf eine Weise, die den Annahmen der Phänomenologie zumindest ähneln: Im interkulturellen Kontakt müssen ihmzufolge die intrakulturell bewährten Routinen in Frage gestellt werden, da davon auszugehen ist, dass Interaktionspartner derartige Situationen als interkulturelle Überschneidungssituationen 44 auf kulturbedingt unterschiedliche Weise interpretieren. In derartigen Überschneidungssituationen entfällt Müller-Jacquier zufolge der Anspruch auf Routinen, die einander aufgrund ihrer Entnahme aus einer gemeinsamen Lebenswelt ähneln, und weicht stattdessen einer Gegensatzrelation aus der Spannung zwischen Eigenem und Fremdem. Müller-Jacquier folgert daraus, dass Fremdverstehen im interkulturellen Kontakt nur durch die Klärung dieser jeweiligen Gegensatzrelation eingeleitet werden kann (vgl. Müller 1995: 45). Betrachtet man diesen Vorschlag im Kontext phänomenologischer Annahmen, so trägt Müller-Jacquier der Tatsache Rechnung, dass es Individuen niemals möglich werden wird, sich vollkommen über die Maßgaben ihrer Lebenswelt zu transzendieren (vgl. Kap ). Interkulturelle 43 Hier widerspricht Müller klar Becker-Mrotzek 2001, der davon ausgeht, dass Individuen von scheiternden Routinen irritiert werden, dass diese aber zunächst von einer Ausnahme von der Regel ausgehen, also keinen Anlass sehen, ihr Verhalten grundlegend zu revidieren. 44 Zum Konzept der interkulturellen Überschneidungssituation vgl. detaillierter die Begründung des Begriffs bei Winter Kontaktsituationen bieten jedoch die Gelegenheit, zumindest die Relativität der eigenen Lebenswelt bewusst erfahren zu können. Müller-Jacquier plädiert daher für eine Bewusstmachung der gegensätzlichen Erfahrungsquellen in Eigenem und Fremdem als Handlungsstrategie zur Annäherung an die Grenze des Fremdverstehens in interkulturellen Kontaktsituationen. Müller-Jacquier schlägt darüber hinaus konkrete Strategien und Handlungsanweisungen zur Herstellung einer auf diese Weise gedachten Verständigung in interkulturellen Kontaktsituationen vor. So plädiert er beispielsweise für eine gezielte Verlangsamung der Prozesse der Bedeutungszuweisung. Im Sinne der Schützschen Verstehenstheorie könnte auf diese Weise ein empathischer Erwerb von Attributionen erzielt werden (vgl. Kap ). Interpretanten würden in solchen Situationen dann mit der Herausforderung einer Umattribution bereits getätigter (sozialisierter) Attributionen konfrontiert. Ein erfolgreicher Deutungsprozess im interkulturellen Kontext zeichnet sich laut Müller-Jacquier außerdem durch eine Suche nach mehreren möglichen Alternativattributionen aus. Eine derartige Vervielfältigung der Perspektiven auf einzelne Episoden könne entweder durch die eigene hypothetische Aufstellung von Alternativattributionen oder aber durch die Interpretation durch eine Drittpartei aus einer Mittlerposition heraus getätigt werden. Drittpersonen können also Müller-Jacquier zufolge eine hinreichende Bedingung für die Herstellung einer für interkulturelle Verständigung erforderlichen Multiperspektivität sein. Wenngleich keine expliziten Hinweise und Referenzen auf eine klare Verortung der Überlegungen von Müller-Jacquier in der Denktradition der Phänomenologie gefunden werden können, so scheinen dennoch Kontinuitäten in der Konzeption von Fremdverstehen vor dem Hintergrund einander ähnelnder und kompatibler Konzepte wie dem der Lebenswelt und Episodisierungen der Alltagswelt erkennbar zu sein. Zusammenfassend kann angesichts der im Bereich der Phänomenologie geführten Diskurse eine schrittweise Fokussierung, Problematisierung und damit auch vielfach erst eine Schaffung des Untersuchungsgegenstands konstatiert werden: Die zunächst in der Phänomenologie postulierte Unmöglichkeit vollständigen interpersonalen Fremdverstehens hat zu einer zunehmenden Problematisierung und einer Auseinandersetzung mit den präzisen Grenzen von Fremdverstehen geführt Hypothesen zu Formen triadischer Verständigungsförderung Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten das Diskursgebäude und die Problematisierung interkulturellen Fremdverstehens innerhalb der Phänomenologie nachgezeichnet wurde, sollen an dieser Stelle unmittelbar anschließend Hypothesen zu Möglichkeiten und Grenzen triadischer Verständigungsförderung im Rahmen der zuvor referierten, phänomenologisch orientierten Bedingungskon- 57

28 strukte zum Fremdverstehen aufgestellt werden. Im fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit werden diese Überlegungen als mögliche Formen triadischer interkultureller Verständigungsförderung in das vorgeschlagene Modell eingefügt. Vorangestellt werden sollten jedoch einige Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Formulierung normativer Ansätze zu Formen erwünschter Verständigungsförderung: Im Sinne der Sozialisationstheorie von Schütz und Luckmann erscheinen gegenseitige, gelungene Verstehensprozesse in der Alltagsinteraktion den Regelfall darzustellen. Fremdverstehen mag zwar nicht immer oder auch nie in seiner von Schütz als solchen eingeschätzten, höchsten Qualität, nämlich in Form eines subjektiven Fremdverstehens möglich sein, aber dennoch scheinen in den meisten Fällen Formen des Verstehens zustande zu kommen, die eine kooperative Interaktion innerhalb einer Gesellschaft ermöglichen. Fälle des Nicht-Verstehens scheinen aus der Sicht dieser Theorie unterschwellig als dysfunktional gedeutet zu werden. Nicht-Verstehen gilt es zu vermeiden, da zu häufiges Nicht-Verstehen die Existenz einer Gesellschaft bedrohen zu können scheint. Kommunikativ bedingte Konflikte und Dissense, die auf kommunikativ bedingten Missverständnissen und Ereignissen des Nicht-Verstehens beruhen, werden so darf daraus gefolgert werden aus Sicht der Schützschen Theorie des Fremdverstehens als gesellschaftlich dysfunktional angesehen. Entwickelt man auf dieser Grundlage eine normative Theorie zum Umgang mit kommunikativen Konflikten, Missverständnissen und interpersonalen Irritationen, so muss diese darauf ausgerichtet sein, ebendiesen dysfunktionalen Faktoren vorzubeugen, sie zu vermeiden und sie in Formen des Verstehens umzuwandeln. Ein Zugewinn im Verstehen aus der Existenz unterschiedlicher Perspektiven wird hier jedoch noch nicht mitgedacht oder in Erwägung gezogen. 45 Ein erster modellhafter Einbezug dritter Personen in den Verständigungsprozess findet sich bei Bernhard Waldenfels, der seine Überlegungen zum Prozess einer dialogischen Verständigung auf phänomenologisch fundierten Annahmen aufbaut (vgl. Waldenfels 1971). 46 Nach seinen Ausführungen findet Verständigung auf einer dritten Ebene zwischen den beiden Interaktionspartnern statt: Ausgehend von der Annahme, dass eine Perspektivenübernahme auf der Ebene subjektiven Sinns nicht möglich ist, kann zumindest auf der Ebene des objektiven Sinns eine Annäherung versucht werden. Dabei kann eine dritte Instanz bereits in Form dieser Ebene des objektiven Sinns, also als allgemein vorhandenes und geteiltes Weltwissen, repräsentiert und hinzugezogen werden. Alois Wierlacher überträgt diese Verständigungsstrategie auf das Problemfeld interkultureller Kommunikation und beschreibt damit bereits stattfindende Prozesse auf diesem Gebiet. Wierlacher zitiert in diesem Kontext Waldenfels: Wir nehmen den Standpunkt des Dritten ein, wenn immer wir den Anderen bzw. eine fremde Kultur zu verstehen suchen, indem wir uns auf allgemeine Sinnstrukturen oder Sinnesregeln beziehen, und erst recht beziehen wir uns auf die Position des Dritten, wenn wir uns bei auftretendem Dissens oder Konflikt mit Anderen zu verständigen suchen. (Waldenfels 1999: 116, zit. nach Wierlacher/Hudson-Wiedenmann 2003: 232) Waldenfels beschreibt hier ein Phänomen, das sich die Stereotypenforschung zum zentralen Forschungsobjekt gemacht hat: Aus Sicht der Phänomenologie stellt sich die Interpretation fremder Handlungen auf der Grundlage von Stereotypen als Interpretation eines objektiven Sinns dar, dessen sozialisierter Erwerb aufgrund seiner Relevanzstrukturen provoziert wird. 47 Im Unterschied zum eigenkulturellen objektiven Sinn wird der unterstellte fremdkulturelle objektive Sinn (dessen Inhalte als solche natürlich dennoch auch Bestandteile des eigenkulturellen objektiven Sinns sind) vom Interpretanten nicht für den Entwurf und die Interpretation eigener Handlungen beansprucht. Dem fremdkulturell Handelnden wird statt dessen ein objektiver fremdkultureller Sinn unterstellt, dessen Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Handlungsentwurf des Handelnden aufgrund der mangelnden eigenen Erfahrungen noch weniger überprüft werden kann als im Fall intrakultureller Fremdverstehensversuche. An Grenzen des Fremdverstehens stoßen Interaktionspartner nach dem Konzept von Schütz insbesondere dann, wenn: nicht nur der objektive, sondern auch der subjektive Sinn einer Handlung erschlossen werden soll, dieerfahrungshintergründe von Interpretanten und Interpretanden sehr unterschiedlich sind, es darum geht, auch nicht-rationales Handeln zu berücksichtigen. Im Folgenden soll mittels eines heuristischen Vorgehens überlegt werden, an welchen Punkten dritte Personen zumindest theoretisch in den Verständigungsprozess nach Schütz unterstützend eingreifen könnten: 45 Für eine sprachwissenschaftliche Operationalisierung und empirische Beschreibung derartiger Verständigungshandlungen vgl. Wenzel 1984 sowie die Ausführungen zu Wenzel in Kap Vgl. hierzu auch die Weiterführung dieser Debatte unter der Fragestellung nach Möglichkeiten eines Zugewinns an Verständigungspotential in Kap Stereotypen können in diesem Kontext als beschreibende Kategorie einer Manifestation sozialisiert erworbenen Erfahrungswissens in der Alltagswelt angesehen werden. Für einen aktuellen Überblick über Arbeiten und Problemstellungen in der Stereotypenforschung vgl. den Beitrag von Laurenz Volkmann (vgl. Volkmann 2002). 59

29 Monothetisches in polythetisches Verstehen transformieren Dritte Personen könnten im Verständigungsprozess darauf hinarbeiten, monothetische Formen des Fremdverstehens in polythetische Betrachtungen zu transformieren. Sie könnten Individuen dazu motivieren, sozialisiertes und erlerntes Alltagswissen, das sie lediglich zum Handeln im intrakulturellen Kontext befähigt oder ihnen für Handlungen im interkulturellen Kontext eventuell unzutreffendes Stereotypenwissen bereitstellt, zu hinterfragen. Mittels eigener Erkundungen und eigener Rekonstruktionsversuche könnten Individuen dazu motiviert werden, sich Wissensstrukturen neu und auf dem Wege eines empathischen Erwerbs anzueignen, die sich im interkulturellen Kontakt als zutreffender erweisen könnten. Mit zusätzlichen Relevanzstrukturen den situativen Interpretationsbedarf bewusst machen Die Relevanzstrukturen, durch die Individuen dazu motiviert werden, Wissen als neu wahrzunehmen und an dessen Einordnung in ihr bisheriges Wissensgefüge zu arbeiten, sind individuell verschieden. Demnach verfügen auch dritte Personen im Verständigungsprozess über weitere, zusätzliche und vor allem andere Relevanzstrukturen als die beiden in den Verständigungsprozess verwickelten Personen. Dritten Personen können demnach zusätzliche und andere fremde Aspekte in der Kommunikation bewusst werden und als hinterfragenswürdig auffallen. Hier könnte angenommen werden, dass die Quantität der in einer Situation zur Neuinterpretation offengelegten Aspekte getätigter Handlungen den Grad der Deckungsgleichheit der Interpretation mit dem ursprünglichen Handlungsentwurf begünstigt und fördert. Der Verständigungsprozess könnte sich dann dem Ideal subjektiven Verstehens schneller, eher und wahrscheinlicher annähern als in einer Situation, in der fast allen Handlungsaspekten ein bereits vorhandener objektiver Sinn unterstellt wird. Demnach könten dritte Personen also im Verständigungsprozess konkrete Bemühungen anstellen, mit denen sie die Bereitschaft zum Suchen, zum Hinterfragen eigener selbstverständlicher Interpretationen und zum situativen Beobachten erhöhen können. Motivation zur konstruktiven Erweiterung des eigenen Erfahrungsschatzes Insbesondere aus konflikttheoretischer Perspektive lassen sich im Hinblick auf mögliche Formen der Erweiterung des persönlichen Erfahrungsschatzes noch weitere Unterscheidungen treffen. Schütz zufolge ändern Individuen ihre Erfahrungshintergründe immer dann, wenn sie ein bestimmtes Verstehensproblem mit Hilfe ihres bisherigen Erfahrungshintergrundes nicht mehr bewältigen können, d.h. wenn sie neue Erlebnisse nicht mehr in den bisherigen Erfahrungshintergrund einordnen können. Aus konflikttheoretischer Perspektive und im Hinblick auf das normative Ziel einer konstruktiven Konfliktbearbeitung kann hier zwischen einer konstruktiven und einer resignativen Erweiterung des eigenen Erfahrungsschatzes gesprochen werden: Im Konfliktfall wäre beispielsweise denkbar, dass Interpretanten zu der Einsicht gelangen, sie seien an einer Grenze der Verständigungsmöglichkeiten angekommen, so dass weitere Verständigungsversuche zwecklos seien. Mit anderen Worten: Es könnte sein, dass Wege der Neuinterpretation und der Suche nach neuen Erklärungsmustern als so anstrengend empfunden werden beispielsweise weil sie eventuell eine sehr weitreichende Neuordnung der bisherigen Wissensstrukturen und damit einen erheblichen kognitiven Aufwand mit sich zu bringen drohen dass sie vom Interpretanten als nicht lohnend abgelehnt werden. Der Aufwand der Neuinterpretation großer Wissensfelder würde dann den geschätzten Erfahrungsgewinn übersteigen. In der Folge eines solchen resignativen Verstehensprozesses könnten Interpretanten zu dem Schluss kommen, die weitere Interaktion abzubrechen. Von einer interpersonalen und interkulturellen Verständigung kann dann in der Zukunft nicht mehr gesprochen werden. Wenn also Interaktionspartner den Bedarf einer Neuinterpretation einer Situation und einer Modifizierung des eigenen Erfahrungsschatzes erkannt haben, dann können dritte Personen dazu beitragen, dass die Interpretanten die Anstrengungen einer konstruktiven Erweiterung ihres Erfahrungsschatzes für sinnvoll halten und diese Anstrengungen auf sich nehmen. Ziel einer konstruktiven Erweiterung wäre ein Interpretationsprozess, an dessen Ende eine Annäherung des eigenen Erfahrungsschatzes an den des Gegenübers stünde. Dritte Personen könnten als Beobachter eines Verständigungsprozesses außerdem eventuell auch erkennen, ob es sich bei diesem Prozess um einen konstruktiven oder einen tendenziell resignativen Prozess handelt. Dritte Personen könnten die beteiligten Personen darauf hinweisen und sie zu einer konstruktiveren Suche motivieren. Motivation zur Suche nach Interpretationen auf der Basis von Umzu-Motiven Dritte Personen können darüber hinaus potentiell auch ein analytisches Wissen über den Prozess des Fremdverstehens haben. So könnten sie beispielsweise erkennen, ob gegenseitige Interpretationen auf der Grundlage von den Schützschen vergangenheitsorientierten und damit statischen Weil-Motiven oder auf zukunftsorientierten und damit revidierbaren Um-zu-Motiven getätigt werden (vgl. Kap sowie Kade 1983: 40). Erkennt die Dritte Person eine einseitige Verwendung eines Begründungsmotivs, so kann sie den Interpretationshorizont der Personen erwei

30 tern, in dem sie dazu motiviert, jeweils auch Interpretationen auf der Grundlage des bislang vernachlässigten Motivs zu versuchen. Bewusstmachen der Diskrepanz zwischen objektivem Sinn und subjektiven Motivationen Bei der Rekonstruktion des Sinns fremden Handelns versuchen Individuen nach Schütz, von der wahrgenommenen Handlung, der bereits vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungsschatzes eine objektive Interpretation zugeschrieben werden kann, auf die subjektive Motivation dieser Handlung zu schließen. Sollten sich Individuen bei Interpretationsversuchen nach Irritationen im interkulturellen Kontakt überfordert fühlen und dazu tendieren, ihrem Gegenüber destruktive Absichten zu unterstellen, so kann daraus aus Sicht der Verstehenstheorie von Schütz eigentlich nur darauf geschlossen werden, dass die interpretierende Person selbst ähnliche destruktive Absichten hegen würde, wenn sie sich an die Stelle der zu interpretierenden Person versetzen würde. Aus der Interpretation des objektiven Sinns einer Handlung ließe sich also nicht eventuell auf ihren subjektiven Sinn schließen, sondern auch auf den subjektiven Sinn, den die interpretierende Person mit einer solchen Handlung selbst verfolgen würde. Handelt es sich im interkulturellen Kontakt um die Unterstellung einer destruktiven Interpretation, so könnte daraus geschlossen werden, dass die interpretierende Person im interkulturellen Kontakt ebenso destruktiv handeln würde sie könnte so ihrer eigenen Xenophobie entlarvt werden. Dritte Personen könnten auf diesen Mechanismus aufmerksam machen und ihn bewusst machen. Bewusstmachen des Einflusses affektiver Handlungsmotivationen Darüber hinaus könnten dritte Personen darauf hinweisen, dass Interpretationen von Handlungen nicht nur wie von Schütz dargestellt vor dem Hintergrund rationaler Schlüsse, sondern auch auf der Basis affektiver Einflüsse zustande kommen. So kann beispielsweise eine erhebliche Irritation durch zunächst nicht verstehbare Handlungen einen kognitiven Suchvorgang nach plausiblen Verstehensmustern erfordern, zu dem ein Interpretant nicht bereit ist, bzw. demgegenüber sich ein Interpretant überfordert fühlt. Dritte Personen könnten hier darauf verweisen, dass die Interaktionspartner in ihrer Rolle als Interpretanten Sinnzuschreibungen in vielen Fällen nicht allein auf der Grundlage rationaler Folgerungen tätigen, sondern dass sie auch affektiv beeinflusst werden. Interkulturalität als Rahmen Während interkulturelle Kontaktsituationen in der früheren Literatur meist als Ausnahmesituationen begriffen wurden, deren Bewältigung gerade deshalb proble- 62 matisch sei, weil den Interaktanten ausnahmsweise keine bekannten frames zur Verfügung stünden, aus denen sie stabile Handlungsanweisungen ableiten könnten, unterstellt Bernd Müller-Jacquier, dass Individuen in westlich-europäischen Gesellschaften so häufig mit interkulturellen Kontaktsituationen aller Art konfrontiert werden, dass sie bereits über anwendbare Handlungsroutinen die jedoch nicht unbedingt kooperativ ausgerichtet sein müssen verfügen. Müller-Jacquier argumentiert dabei mit Begriffen aus der Rahmen-Analyse Erving Goffmans (vgl. Goffman 1980). Demnach können Individuen innerhalb ihrer eigenen Kultur Handlungssituationen, die immer wiederkehren, im Sinne von Goffman als frames erkennen und auf diese mit internalisierten Strategien reagieren, die sich bereits in früheren ähnlichen Situationen als erfolgreich erwiesen haben. Bernd Müller-Jacquier plädiert für eine Übertragung dieses frame-konzepts auf den interkulturellen Kontext. Präzisierend bezeichnet er dabei Situationen, in denen sich Angehörige zweier unterschiedlicher Kulturen erstmals treffen und kennen lernen, als so genannte Erstkontaktsituationen (vgl. Müller-Jacquier 2001). Ähnlich wie Koole/ten Thije 1994 geht auch Müller-Jacquier davon aus, dass sich interkulturelle Kontaktsituationen unterschiedlicher Form zumindest in unserer heutigen europäischen Alltagswelt eben doch bereits zu einer allgemeinen Alltagserfahrung fortentwickelt haben, auf die Individuen mit Handlungsroutinen reagieren können, die sie sich qua Erfahrungslernen angeeignet haben. Müller-Jacquier impliziert dabei die Annahme, dass Interaktanten demnach auch die sprachlichen Strategien, die sie in interkulturellen Kontaktsituationen anwenden, aus bereits vorhandenen standardisierten und internalisierten Handlungsanweisungen beziehen. Theo Harden bemerkt in diesem Zusammenhang, dass Konzepte der Rahmenanalyse sowie beschreibende Modelle aus dem Symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie von der interkulturellen Kommunikationsforschung bisher kaum beachtet wurden Kritische Bewertung der diskursiven Grenzziehungen interkulturellen Fremdverstehens in der Phänomenologie Die vorangegangenen Ausführungen haben nachgezeichnet, auf welche Weise sich die Denktradition der Phänomenologie mit den Grundlagen des Fremdverstehens auseinandergesetzt hat: Auf der Grundlage einer anfänglichen Annahme der 48 Even though Symbolic Interactionism has fallen out of fashion lately the research done by scholars following roughly the lines of G. H. Mead still has a lot to offer when it comes to explaining certain problem areas like, for instance, the difficulty to communicate competently in a foreign language. But what is most amazing is that researchers like Goffman, Cicourel, Garfinkel and Berger have received so comparatively little attention in the debate on intercultural communication, understanding, etc. (Harden 2000: 107, FN 6) 63

31 Unmöglichkeit von Verstehen und der Verortung der einzigen Referenz für Erfahrungen in der Lebenswelt entwickelte sich ein Diskurs, in dem interpersonales Fremdverstehen zunehmend zu einem Problem erhoben wurde, für das Wege einer theoretischen Beschreibung von Teillösungen gesucht wurden. Schließt man auf der Grundlage dieser Annahmen auf Möglichkeiten dyadischen und hypothetisch auch triadisch geförderten interkulturellen Fremdverstehens, so kann die Wahrscheinlichkeit derartiger Formen immer nur durch Annäherungen von subjektivem Sinn und verstandenem Sinn und durch die Einführung einer Pluralität von Perspektiven in den Verstehensprozess erhöht werden mit der Hoffnung, dass möglicherweise einige der alternativen Interpretationen treffender sein könnten als die ursprünglich angenommene. Die Möglichkeit einer gezielten und interaktiven Suche nach gegenseitigem Verstehen ist in diesen Prämissen jedoch noch nicht angelegt. Im Hinblick auf entsprechende Überlegungen rechtfertigen die angeführten Konzepte jedoch zumindest die potentiell konstruktive Funktion dritter Personen als verständigungsfördernde Akteure Hermeneutik Eine vergleichbare diskursive Konstruktion und Entwicklung des Forschungsgegenstandes lässt sich auch auf dem Bereich hermeneutischer Ansätze erkennen, die neben denen der Phänomenologie eine zentrale Rolle innerhalb philosophischer Überlegungen zum Fremdverstehen einnehmen. Im Gegensatz zu Vertretern der Phänomenologie schienen Vertreter der Hermeneutik zwar auch schon in früheren Zeiten eher von einem Gelingen und einer Möglichkeit des Zustandekommens von Fremdverstehen überzeugt zu sein. Ähnlich wie in der Phänomenologie setzte aber auch innerhalb der Hermeneutik eine sukzessive Tendenz der Problematisierung und der Infragestellung dieser Vorgehensweise beim Fremdverstehen ein. Frühere Ansätze wurden somit zwar einerseits immer heftiger kritisiert, andererseits setzte auf diese Weise gleichzeitig eine intensivere Suche nach Vorgehensweisen ein, nach denen Fremdverstehen dennoch wenngleich auch nur bis zu bestimmten Grenzen möglich sein sollte. Aus der großen Vielzahl von Arbeiten, die den hermeneutischen Diskurs ausmachen, sollen an dieser Stelle nur einige Ansätze beschrieben werden, deren Inhalte für die Nachzeichnung des Diskurses unter der hier verfolgten Fragestellung als exemplarisch angenommen werden. Kurz in Betracht gezogen werden dabei zunächst Ansätze aus der frühen Phase der Übernahme hermeneutischer Vorgehensweisen durch die deutschsprachige Philosophie. Im Anschluss werden ausführlicher Ansätze betrachtet, an denen sich exemplarisch Wege der Übertragung hermeneutischer Vorgehensweisen auf die Problematik interkulturellen Fremdverstehens im Besonderen verdeutlichen lassen. Angesichts der Konzeption interkulturellen Fremdverstehens scheinen sich im Bereich der Hermeneutik außerdem zwei allgemeine Tendenzen voneinander unterscheiden zu lassen: Zunächst sollen im Folgenden Ansätze dargestellt werden, die an den konzeptuellen Beschränkungen von Fremdverstehen durch die Hermeneutik festhalten und auf dieser Grundlage nach Wegen des kooperativen Umgangs mit der im Grunde akzeptierten Unmöglichkeit des Fremdverstehens suchen. Davon unterschieden werden im darauffolgenden Abschnitt Ansätze, die Wege des Fremdverstehens aufzuzeigen versuchen, indem sie die Prämissen der Hermeneutik etwa im Sinne einer dialogischen Hermeneutik modifizieren. Sowohl die Herangehensweise der Phänomenologie als auch die der Hermeneutik rückten zunächst in das Interesse europäischer Philosophie, weil man sich aus ihnen neue Wege eines methodisch abgesicherten Erkenntnisgewinns erhoffte. Sehr verallgemeinert lässt sich dabei eine Tendenz feststellen, nach der Phänomenologen insbesondere nach einer abgesicherten Verwendungsmöglichkeit individueller Erfahrungen für die Wissenschaften suchten, Hermeneutiker dagegen eher an Wegen einer exegetischen Auslegung historischer Texte interessiert waren. Erste hermeneutische Ansätze können dabei in Nordeuropa nach der Reformation im Streit zwischen der katholischen und einer neuen, protestantischen Theologie gefunden werden: Protestantische Ansätze zweifelten dabei die Möglichkeit einer Erfassung des ursprünglich intendierten Sinns biblischer Texte stark an. Im Sinne der Hermeneutik postulierten sie, dass zu diesem Ziel ein völliges Hineinversetzen des Exegeten in den ursprünglichen Kontext erforderlich wäre, der jedoch schlechterdings nicht mehr rekonstruiert werden könne. Mit der Hermeneutik argumentierte die protestantische Theologie hier also mit der Überlegenheit einer aus ihrer Sicht methodisch gefestigten Verstehenslehre, die ab dem 17. Jahrhundert als Hermeneutik bezeichnet wurde (vgl. Haller/Müller 1992: ). Friedrich Schleiermacher trägt zu einer erheblichen Erweiterung des Funktionsbereichs der Hermeneutik bei, indem er jedes Sprachverstehen und hier wird erstmals auch mündliche Kommunikation mitgedacht als einer Auslegung hermeneutischer Ausprägung bedürftig begreift, bevor interpersonales Verstehen überhaupt zustande kommen könne. Schleiermacher trägt dabei der Annahme Rechnung, dass sprachliche Kommunikation grundsätzlich sowohl einen allgemeingültigen, als auch einen individuellen Bedeutungsaspekt beinhalte, der erst durch eine hermeneutische Auslegung erschlossen werden könne (vgl. Jung 2002: 60-61, Bezug nehmend auf Schleiermacher 1974: 40). Ging man früher davon aus, dass eine grammatisch korrekte Rede gleichzeitig auch eine korrekte Wiedergabe der Wirklichkeit garantiert, erkannte man nun, dass Sprache durchaus auch der Erkenntnis hinderlich sein kann. Wilhelm Dilthey erweiterte die Hermeneutik zu einer erkenntnistheoretischen Begründung der Geisteswissenschaften. Um diese in Diltheys Fall insbe

32 sondere die Geschichtswissenschaften mit philosophisch begründbaren Methoden auszustatten, die sie gegenüber den Naturwissenschaften legitimieren sollten, plädierte Dilthey für ein historisches Verstehen der Welt (vgl. Grondin 1991: 110, mit Bezug auf Dilthey 1990a [1914]). Der Vorgang des Verstehens muss nach Dilthey zunächst innerpsychisch verortet werden, so dass er als Untersuchungsobjekt der Psychologie aufzufassen ist. Einer naturwissenschaftlich fundierten, erklärenden Psychologie will Dilthey stattdessen eine beschreibende Psychologie entgegensetzen: Um den Vorgang des Verstehens nachzeichnen zu können, müssen nach Dilthey die innerpsychischen Vorgänge beschrieben werden, die durch die menschliche Wahrnehmung ausgelöst werden. Diese innerpsychischen Vorgänge sind nach Diltheys Argumentation vergleichsweise leicht zugänglich, da sie ja selbst erlebt werden. Ziel einer beschreibenden Psychologie bleibt es dabei, dieses innerpsychische Erleben zu beschreiben, nicht aber es zu erklären. (Grondin 1991: , Bezug nehmend auf Dilthey 1990b [1914]: ) Verstehen wird demnach geleistet, indem das innerpsychische Erleben beschrieben wird, das aus der menschlichen Wahrnehmung resultiert. Umgekehrt formuliert wird in diesem Prozess das Eigene (der individuelle Hintergrund, vor dem das Erleben geschieht) in alles wahrgenommene Fremde hineinprojiziert. Ein diesem Filter des eigenen Erlebens vorgeschaltetes Fremdverstehen ist demnach nicht möglich, so dass Verstehen immer nur lediglich in den Grenzen des eigenen Erlebens vollzogen werden kann. Als Grundbedingung eines derartigen Verstehens nach Dilthey sollten beide Interaktanten des Verstehensprozesses Teile eines größeren Zusammenhangs sein, in dem sprachliche und nicht-sprachliche Handlungen ihre Bedeutung erhalten. Um eine Person verstehen zu können, müssen daher auch deren Zeit und Umstände, in der sie leben, verstanden werden (vgl. Dilthey 1981, zit. nach Wenzel 1984: 24). Mit den phänomenologischen Worten von Schütz geht Dilthey also davon aus, dass eine vergleichsweise sehr nahe Annäherung an den subjektiven Sinn einer Handlung durch den innerpsychischen Prozess des Sich-Hineinversetzens möglich ist. Möglichkeiten einer dialogischen Annäherung sind in diesem Modell bei Dilthey jedoch noch nicht angedacht. Auf dieser Auffassung bauten später vor allem der Historiker Johann Gustav Droysen (vgl. Droysen 1937), sowie die Soziologen Georg Simmel (vgl. Simmel 1999) und Max Weber (vgl. Weber 1976 [1922]) auf. Martin Heidegger integriert die Annahme hermeneutischen Verstehens noch tiefer in die Grundvoraussetzungen menschlicher Wahrnehmung. Er geht davon aus, dass es kein anderes als ein hermeneutisch geleitetes Denken geben kann. Im Gegensatz zu Dilthey, der immer noch von einem zweischrittigen Prozess des neutralen Wahrnehmens und des anschließenden, mehr oder weniger bewusst beschlossenen, hermeneutischen Interpretierens ausging, spricht Heidegger von einer 66 Hermeneutik der Faktizität: Jede Wahrnehmung ist dabei sogleich eine Interpretation, da sie vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen aus der Lebenspraxis getätigt wird und das Wissen über diese Erfahrungen und diese Lebenspraxis auch nur qua Interpretation konstruiert worden sein kann (vgl. Jung 2002: 93-95, Bezug nehmend auf Heidegger 1995: 8). Nachdem die Denkrichtung der Hermeneutik in der nachgezeichneten Entwicklung zu einer allgemeinen Verstehenstheorie ausgebaut wurde, kehrt erst Hans-Georg Gadamer wieder zu einer Unterscheidung der Problematiken von interpersonalem Verstehen im Alltagsleben und theoriegeleitetem Verstehen in den Wissenschaften zurück. Aufgrund der Annahme des einzig möglichen Verstehens in Form einer Interpretation von Wahrnehmungen vor dem Hintergrund einer bereits interpretiert wahrgenommenen Umwelt schließt Gadamer, dass dem Phänomen von Vorurteilen eine wesentliche und grundlegende Rolle im menschlichen Verstehensprozess zukommt. Wissenschaftliches Verstehen in den Geisteswissenschaften könne demgegenüber nur durch Strategien der Entfremdung von diesen bereits vorhandenen Interpretationen zu einer tieferen Erkenntnis ihres Objektes gelangen (vgl. Grondin 1991: 138ff, Bezug nehmend auf Gadamer 1990) Interkulturelles Fremdverstehen in den Prämissen der Hermeneutik Ähnlich den Tendenzen der Phänomenologie lässt sich bis zu dem im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Punkt gleichfalls eine diskursive Konstruktion der Unmöglichkeit vollständigen interpersonalen Fremdverstehens erkennen: Interpretanten bleiben demnach zwingend in ihrer eigenen Erfahrungswelt gefangen. Nur durch sie hindurch können sie Fremdes wahrnehmen und müssen es gleichzeitig zwingend in das Eigene integrieren. Ähnlich wie in der Phänomenologie wird auch in der Hermeneutik dem Lebensumfeld eines Interpretanten eine zentrale Bedeutung als einziger Orientierungspunkt zugestanden, an dem beiderseitige Wahrnehmungen abgeglichen werden können. Doch im Sinne der Hermeneutik ist selbst die individuelle Vorstellung dieses Lebensumfeldes nur ein Konstrukt der Interpretation. 49 Interkulturelles Fremdverstehen scheint hier aus dreierlei Sicht nicht realisierbar zu sein: Fremdes kann nur in das Eigene integriert wahrgenommen und dadurch seines Fremdheitscharakters beraubt werden, Kenntnisse über das eigene Lebensumfeld können nur in Form von Konstrukten zustande kommen, und Wahrnehmungen aus fremdkulturellen Hintergründen eignen sich nicht einmal zur Interpretation vor dem eigenen, konstruierten Erfahrungshintergrund. Arnd Witte 49 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Konzepten des Fremdverstehens in der Hermeneutik Gadamers und Heideggers vgl. die Dissertation von Werner Kogge (Kogge 2001). 67

33 sieht in diesem Ansatz eine sehr relativistische Herangehensweise an die Frage nach der Möglichkeit von (sprachlichem) interkulturellem Fremdverstehen. Erste Formen einer Umsetzung auf den konkreten Kontext interkultureller Kommunikation sieht Witte im Modell der Sprachspiele von Ludwig Wittgenstein (vgl. Wittgenstein 1998). Zwischen den einzelnen Sprachspielen (diese können übertragen auf den Kontext interkultureller Kommunikation beispielsweise unter anderem schlicht als Kommunikation in unterschiedlichen kulturellen Kontexten verstanden werden) gibt es demnach keinerlei Verbindung, so dass man an ihnen nur dann teilnehmen kann, wenn man vollständig in eine Fremdkultur eintaucht und alle Referenzen auf die eigene Kultur abbricht. Interkulturelles Fremdverstehen wäre aus dieser Sicht faktisch unmöglich, da interkulturelle Kontakte fast immer auf einer erlernten Zweitsprache aufbauen, deren Referenzsystem sich bereits durch den Lernprozess auf die Muttersprache beziehen muss (vgl. Witte 2000: 60). Auch im Bereich der interkulturellen Philosophie der 90er Jahre finden sich Positionen, die die Unmöglichkeit interkulturellen Fremdverstehens vor dem Hintergrund hermeneutischer Annahmen akzeptieren und eine theoretisch anders orientierte Suche für fruchtlos halten. Dieter Mersch betrachtet das Projekt interkulturellen Fremdverstehens darüber hinausgehend als in zweifacher Weise zum Scheitern verurteilt (vgl. Mersch 1997): Zunächst könne ein hermeneutisches Vorgehen per definitionem nur als eine eigene, diskursive Auseinandersetzung mit Fremdem gedacht werden, die letzten Endes immer dazu führen müsse, dass das Fremde durch diese Wahrnehmung nur auf das Eigene zurückweisen könne. Fremdes könne demnach per se nicht als solches erkannt werden. Mersch fügt diesem Kritikpunkt im Hinblick auf interkulturelles Verstehen jedoch noch einen weiteren Aspekt hinzu: Die Auffassung eines Verstehens als Bedeutungsaushandlung in Form eines Diskurses betrachtet Mersch als eine partikulare, europäische Annahme, die in anderen Kulturen nicht geteilt werde und daher im interkulturellen Kontakt auch nicht angewendet werden könne. Aus dieser Sicht gibt es keine Möglichkeit, interkulturelles Fremdverstehen herzustellen, da bereits der theoretische Ansatz, der aus europäischer Sicht hierzu zur Verfügung stünde, nicht interkulturell übertragbar sei. Einen Ausweg angesichts der dennoch in der Alltagswelt permanent stattfindenden interkulturellen Kontaktsituationen und dem damit verbundenen Zwang zur Interaktion sieht Mersch allein im Aushalten eines permanent präsenten Paradoxes: Individuen müssen einander Toleranz und Akzeptanz entgegenbringen und dabei dennoch auf die Möglichkeit gegenseitigen Verstehens von Beginn an vollständig verzichten. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen muss der Einfluss von Interkulturalität auf Interaktionssituationen als eventuell extreme Herausforderung und Belastung aufgefasst werden, der Individuen offenbar weniger mit gezielten und ak- tiven Strategien als vielmehr und in erster Linie mit Selbstsicherheit und Ambiguitätstoleranz begegnen können. Interkulturelle Einflüsse scheinen sich aus dieser Sicht grundsätzlich in Form eines mehr oder weniger ausgeprägten kognitiven Mehraufwands auf die Interaktanten auszuwirken. Verglichen mit den erforderlichen Anstrengungen in intrakulturellen Interaktionen scheint ihnen demnach hier eine zusätzliche Leistung abverlangt zu werden. Exkurs: Formen der Implementierung der Unmöglichkeit von interkulturellem Fremdverstehen in anwendungsorientierten Organisationstheorien Im gesellschaftlichen Umgang mit Interkulturalität lassen sich hier Kontinuitäten erkennen, in denen diese diskursiven Konstruktionen von Interkulturalität aus dem Bereich der Theorie übernommen werden. Betriebswirtschaftliche Ansätze zu internationalen Kontexten, in denen auch aus dem Einfluss von Interkulturalität bestenfalls ein unternehmerischer Nutzen gezogen werden können soll, übernehmen dieses Konzept von Interkulturalität als herausfordernde Zusatzbelastung und setzen diese so ein, dass daraus eine Steigerung der Arbeitseffizienz internationaler Mitarbeiterteams erhofft werden können soll: So übernimmt beispielsweise Michael Sander Überlegungen des Organisationsentwicklers Philip M. Rosenzweig von der Universität Lille (vgl. Rosenzweig 2002) und beschreibt Interkulturalität, die er hier in ihrer gezielten Verwendung wahrscheinlich treffend als Interkulturalismus (vgl. interculturalism, Sander 2002: 6) bezeichnet, als Instrument der Effizienzsteigerung in der Arbeit von Teams in Unternehmenskontexten: The fifth characteristic of a successful team is its interculturalism. The individuals involved have to appreciate and recognise cultural differences to see and to use the creative aspects of variety. Understanding, and the will to continuously develop the individual cultural competency are indispensable preconditions. Again, it should be taken into consideration that cohesive intercultural teams represent a strong competitive factor because of their multi-perspective and diverse work experiences. (Sander 2002: 6) Abgesehen von erweiterten Möglichkeiten der Horizonterweiterung und damit der Befähigung zu kreativerem Denken vor dem Hintergrund neuer Handlungsoptionen scheinen Ökonomen nach Rosenzweig und Sander den Faktor der Interkulturalität demnach auch noch auf eine andere, radikalere Weise nutzen zu wollen: Ihre Ausführungen können so verstanden werden, dass Personalchefs die Strategie zur Verfügung stehe, Firmenmitarbeiter mit einer permanenten Situation der Interkulturalität zu konfrontieren. Im Lichte soziologischer Ansätze könnte eine derartige Nutzung von Interkulturalität jedoch schnell zu einem gegenteiligen Effekt führen. So weist bei

34 spielsweise Hansen auf die notwendige und handlungsentlastende Funktion von Handlungsroutinen in Interaktionen hin, die so denkt sie zumindest die Forschung zur Interkulturalität nur sporadisch, episodenhaft und in jedem Fall vorübergehend durch irritierende Interkulturalitätserfahrungen unterbrochen wird und auch höchstens in diesem Maße unterbrochen werden kann. 50 Angesichts der angenommenen und für die menschliche Sozialisation ungewöhnlichen kognitiven Belastung muss daher im Hinblick auf derartige betriebswirtschaftliche Nutzungskonzepte von Interkulturalität davon ausgegangen werden, dass Personalchefs, die ihre Mitarbeiter Interkulturalitätserfahrungen am Arbeitsplatz aussetzen, diese mit erhöhtem kognitivem Stress konfrontieren. Rosenzweig und Sander interpretieren diesen Stress als eine permanente Herausforderung, die Firmenmitarbeiter in ihrem gesamten Handeln zu mehr Aufmerksamkeit, Reflektiertheit und Kreativität bewegen solle. Derartige Überlegungen erscheinen jedoch insbesondere im Hinblick auf die von ihnen ausgehende zusätzliche Belastung bei einer längerfristigen Durchführung fraglich. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass sehr viele Arbeitsplätze in den gegenwärtigen europäisch-westlichen Gesellschaften zwingend in mehr oder weniger interkulturell bedingten oder beeinflussten Kontexten gelagert sind, in denen diese unvermeidliche und in keiner Weise personaltechnisch gesteuerte Interkulturalität als belastendes und produktivitätshemmendes Problem empfunden wird. (Dauerhafte) Konfrontationen mit Interkulturalität können vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen auch schnell zu menschlicher Überforderung führen und damit destruktive Abwehr- und Konflikthandlungen provozieren. Eine gewisse Möglichkeit der Erhöhung menschlicher Kreativität durch Horizonterweiterungen im interkulturellen Kontakt braucht sicherlich nicht in Frage gestellt zu werden. Hier scheint jedoch eine klare Beschreibung der Bedingungen und Grenzen konstruktiver gegenüber destruktiver Einwirkungen von Interkulturalität erforderlich, die bislang von der Forschung noch kaum geleistet worden ist. In der Übertragung der diskursiven Konstruktion der Unmöglichkeit hermeneutischen interkulturellen Fremdverstehens auf konkrete Handlungskontexte können jedoch auch konstruktive, gesellschaftskonstituierende und festigende 50 In diesem Kontext dürfen selbst dauerhafte Umsiedelungen von einer Herkunftskultur in eine fremde Kultur als sporadische Interkulturalitätserfahrungen verstanden werden: Selbst wenn betroffene Personen einen Kulturkontakt als schwerste psychische Belastungen im Sinne eines Kulturschocks erleben (vgl. Oberg 1958, 1960), so sehen entsprechende Theorien doch immer auch ein Ende der Fremdheitserfahrung ab, im Falle eines Kulturschocks beispielsweise dadurch, dass sich betroffene Personen in ihrer neuen Umgebung früher oder später akkulturalisieren und diese nicht mehr als fremd empfinden. 70 Funktionen dieser Unmöglichkeit in den Blick geraten. So beleuchtet beispielsweise Hartmut Schröder den besonderen Problemkontext, der sich aus sozialen und kulturbedingten Faktoren in Grenzregionen ergibt. In diesem Kontext weist Schröder darauf hin, dass auch hier von einer letztendlichen Unmöglichkeit einer Verständigung auszugehen sei, sofern diese über eine gegenseitige Anerkennung von Unterschieden hinausgehen solle. Versuche und Unternehmungen zur Austrocknung (Schröder 2001) einer Grenze hier in ihrer metaphorischen Anspielung auf die deutsch-polnische Flussgrenze seien aus dieser Sicht gar nicht erstrebenswert (vgl. Schröder 2001). Auch gesprächsanalytische Studien können sich dieser Diskurstradition einer Unmöglichkeit von interkulturellem Fremdverstehen anschließen und richten ihre Fragestellungen gezielt danach aus, mit Hilfe welcher Strategien Individuen in interkulturellen Kontaktsituationen offenbar dennoch kooperative Interaktionen gelingen. Als Beispiel sei hier die Studie von Martina Liedke angeführt, in der die Funktion von Narrationen in interkulturellen Kontaktsituationen untersucht wird (vgl. Liedke 1998). Liedke zeigt dabei auf, dass Interaktionspartner angesichts einer sich offenbar abzeichnenden Unmöglichkeit von Nichtverstehen auf der Ebene kommunikativen Sinns auf eine Ebene emotionalen Verstehens wechseln können. Ein emotionales Nachvollziehen von Äußerungen kann hier als Strategie angenommen werden, mit deren Hilfe eine konstruktive Kooperation und Beziehungsarbeit trotz inhaltlichen Nichtverstehens möglich wird. Darüber hinaus sei bereits an dieser Stelle darauf verwiesen, dass auch zahlreiche deduktiv konzipierte Ansätze zur interkulturellen Mediation auf einer Akzeptanz der Unmöglichkeit interkulturellen Fremdverstehens aufbauen. Konzepte, in denen Mediatoren auf eine Herstellung neuer Kommunikationsregeln hinarbeiten, scheinen so könnte aus der hier angestellten Perspektive unterstellt werden davon auszugehen, dass Interaktionspartner mit kulturell unterschiedlichen Hintergründen auf der Grundlage ihrer bisherigen kommunikativen Kompetenz nicht dazu fähig sein werden, eine gegenseitige Verständigung selbständig herbeizuführen (vgl. exemplarisch Liebe/Gilbert 1996) Erweiterung hermeneutischer Ansätze zum interkulturellen Fremdverstehen Während in der Folge der Diskurstradition hermeneutischer Theorien zahlreiche Ansätze entstanden sind, die einen bestmöglichen Umgang mit Interkulturalität in der Anerkennung und der Akzeptanz der Unmöglichkeit interkulturellen Verstehens sehen, lässt sich parallel auch eine diskursive Richtung nachzeichnen, die nach Wegen interkulturellen Verstehens sucht, indem sie die Prämissen der Hermeneutik selbst modifiziert. Exemplarisch kann hierzu die Entwicklung einer dialogischen 71

35 Hermeneutik angeführt werden, in deren Rahmen mehr Wege einer graduellen Annäherung an ein Verstehen denkbar werden als in früheren hermeneutischen Ansätzen. Erste Annahmen über die Dialogizität von Verständigung finden sich bereits bei Gadamer: Dieser verortet den Verständigungsprozess nicht mehr wie Dilthey allein in der Psyche des Menschen, sondern weist darauf hin, dass ein Verstehensprozess immer auch ein gegenseitiger Annäherungsprozess ist, für den auch der Verstehende seinen ursprünglichen kognitiven Ort verlassen muss. Gadamer zufolge haben sich hermeneutische Überlegungen daher auf einen Raum zwischen den beiden angenommen Dialogpartnern zu konzentrieren, so dass eine dialogische Variante der Hermeneutik in den Blick gerate (vgl. Gadamer 1990: 279, zit. nach Wierlacher/Hudson-Wiedenmann 2003: 229). Auch eine dialogische Hermeneutik kann sich jedoch zunächst nicht gegen den Vorwurf der mit ihr einhergehenden Machtausübung erwehren, der im Wissenschaftsdiskurs zu einem zentralen Kritikpunkt hermeneutisch gedachten Fremdverstehens im Bereich interkultureller Kommunikation avanciert ist. Eine exemplarische Kritik dieses hermeneutischen Verstehensbegriffs findet sich bei Theo Harden und Arnd Witte: Ihnenzufolge beinhaltet der Aneignungsprozess von Fremdem, wie er von der Hermeneutik beschrieben wird, eine asymmetrische Machtkonstellation zwischen Verstehendem und Verstandenem. Letzterer werde in den Erfahrungskontext des Verstehenden integriert und damit seiner Ursprünglichkeit beraubt (vgl. Harden/Witte 2000: 12-13). Darüber hinaus lässt sich im Hinblick auf interkulturelle Kontaktsituationen der universalistische Anspruch kritisieren, den die Hermeneutik zunächst für ihren Verstehensbegriff einfordert. Kulturelle Determinanten und damit einhergehende Grenzen der Möglichkeit von Verstehen werden nicht mitgedacht, so dass hermeneutisches Verstehen stattdessen universal anwendbar zu sein scheint. Als Beispiel einer an konkreten Anwendungssituationen interkulturellen Kontakts orientierten Kritik an der Problematik der Machtausübung beim hermeneutischen Verstehen kann an dieser Stelle exemplarisch Pierre Bourdieus Soziologie des Sprechens (vgl. Bourdieu 1993) angeführt werden. Bourdieu versucht hier, gesellschaftliches Handeln und Alltagshandeln auf der Grundlage hermeneutischer Annahmen zu beschreiben. 51 Auch nach Bourdieu ist jedoch davon auszugehen, dass Verständigung immer vor dem Hintergrund von Machtasymmetrien stattfinde, wodurch Harden und Witte in ihrer Kritik am hermeneutischen Ansatz 51 Aus Sicht der hermeneutischen Wissenssoziologie Norbert Schröers (vgl. 1999, 2002, 2002b, 2002c,) erscheint Bourdieus Verständigungstheorie dabei in strukturalistischen Wurzeln verhaftet, die die Adäquatheit des Modells aus Schröers Sicht schwächen (vgl. Schröer 2002b). 72 bestätigt werden. 52 Auch Aushandlungsprozeduren, wie sie der Symbolische Interaktionismus beschreibt, sind demnach in einer Machtstruktur verankert und dürfen nicht als vollkommen frei flottierend gedacht werden (vgl. Schröer 2002b). Der Wissenschaftsdiskurs um die Problematik interkultureller Verständigung macht in der Verwurzelung sozialer Interaktion in Machtstrukturen mögliche Grenzen interkultureller Verständigung fest. Schröer zitiert hierzu ein Alltagsbeispiel von Bourdieu, anhand dessen dieser die Interaktionsform des Herablassens illustriert: Nach diesem Beispiel hält der Bürgermeister der französischen Stadt Pau eine Rede vor seiner bearnaisischsprachigen Bevölkerung auf Bearnaisisch. Der Bürgermeister macht damit ein Zugeständnis an die Minderheit, denn offizielle Dinge wie öffentliche Reden würden normalerweise in der Amtssprache Französisch gehalten. In Zeitungsberichten wurde der Bürgermeister später einer herablassenden Haltung bezichtigt (vgl. Bourdieu 1993a: 120, zit. nach Schröer 2002b). Bourdieu folgert daraus, dass es dem Bürgermeister offenbar aufgrund seiner Stellung in der Struktur und dem ihm damit fest zugewiesenen Kapital nicht möglich ist, sich der schwächeren Gruppe, hier der bearnaisischen Bevölkerung, anzunähern, da ihm damit sogleich Herablassung vorgeworfen wird: Durch den Gebrauch der bearnaisischen Sprache in einer nicht dafür vorgesehenen Situation betont er noch einmal deren Inadäquatheit sowie ihr geringes Prestige. Im Kontext derartiger Machtstrukturen scheinen also Strategien der Verständigung durch einseitige oder gegenseitige Annäherung, wie sie phänomenologische und hermeneutische Ansätze vorschlagen, nicht möglich zu sein. Versuche der Annäherung würden innerhalb eines Machtgefälles stattdessen als Form der Herablassung und damit nur als Verstärkung der eigenen Machtpositionen interpretiert. 53 Anja Weiß diskutiert in diesem Zusammenhang Verfahren der triadischen Verständigungsförderung und plädiert für den Einsatz vergleichsweise herkömmlicher Techniken der Mediation, die sich zum Machtausgleich eignen (vgl. Weiß 2001a, 2001b). Hermeneutische Ansätze zur triadischen Verständigungsförderung finden sich darüber hinaus bei Margarete Jäger (vgl. Jäger 2001: 119). Klaus P. Hansen hat eine umfassende Diskussion der Anwendung von Konzepten dialogischer Hermeneutik zur Beschreibung interkultureller Kommunikation zur Rolle von Machtasymmetrien im Verständigungsprozess vgl. auch Weiß 2001a, 2001b. 53 Für ähnliche Ergebnisse vgl. Weiß 2001a, 2001b. 54 Vgl. hierzu außerdem eine präzise Einführung in die Thematik bei Brenner 1999 sowie für einen Einblick in aktuelle Forschungsfragen die Projekte, die gegenwärtig im Graduiertenkolleg Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz an der Universität Erlangen 73

36 vorgelegt (vgl. Hansen 2003: 318ff), die sich in ihrer Komprimiertheit und Reichweite im Kontext der vorliegenden Arbeit für eine Auswertung im Hinblick auf darauf aufbauende Formen triadischer Verständigung eignet. Hansens Überlegungen finden sich in seiner umfassenden Monographie, die mittlerweile in ihrer dritten Auflage den Status einer Einführung in den Fachbereich der Kulturwissenschaften beansprucht. Auch Hansen trägt zunächst dem Ergebnis wissenschaftlicher Diskurse Rechnung, die einer Verständigung in interkulturellen Situationen im Vergleich zu intrakulturellen Kommunikations-situationen eine wie auch immer geartete besondere Schwierigkeit unterstellen. Daneben geht Hansen davon aus, dass Verständigung in interkulturellen Kontaktsituationen sich strukturell nicht von intrakultureller Verständigung unterscheide. Lediglich der mit der Verständigung verbundene kognitive Aufwand könne größer ausfallen, was eine weitreichendere Bereitschaft zur Verständigung voraussetze. 55 Hansen zufolge erfordere interkulturelle Verständigung daher eine erhöhte Anstrengung von Seiten des Verstehenden und eine erhöhte Bereitschaft zur Toleranz von Seiten des zu Verstehenden. Während Schütz und Dilthey sich noch damit begnügten, Verstandenes in den eigenen Erfahrungshintergrund einzuordnen, sieht Hansen die besondere Schwierigkeit interkultureller Kommunikation eher erst mit der Herausforderung darauf aufbauenden Handelns auf die Interaktanten zukommen. Zusätzlich zur Kategorie inhaltlichen Verstehens und eines Verstehens durch emotionales Nachempfinden unterscheidet Hansen als weiteres Kriterium eigene, auf dem Verstehen aufbauende Handlungen. Eine besondere Herausforderung bestünde also vor allem in dem verständnisbasierten Umgang mit dem neu Erkannten. 56 Den Verstehensbegriff weitet Hansen in diesem Sinne vom bereits in der Hermeneutik verankerten Nachvollziehen auf ein zusätzliches Gutheißen des Verstandenen aus (vgl. Hansen 2003: 327). Auch Hansen sieht dabei einen wichtigen Verstehensschritt in der Überwindung stereotypenorientierten Wissens im Sinne der Schützschen sozialisiert erbearbeitet werden (Internet: [Zugriff: ]). 55 Aufs Grundsätzliche reduziert, ist Interkulturalität ein Sonderfall von Erkenntnis und Kommunikation im weitesten Sinne. Der Kontakt mit dem Fremden löst eine Erkenntnisanstrengung aus, und der Umgang mit ihm, also die Kommunikation, verlangt zumindest Toleranz. (Hansen 2003: ) 56 Ob ich meinen deutschen Nachbarn oder einen befreundeten Franzosen näher kennen lernen will, macht von der Erkenntnismethode her keinen Unterschied. Interkulturalität hingegen ist ein Kommunikationsproblem. Es setzt dann ein, wenn die Erkenntnis stattgefunden hat und die Frage auftaucht, wie mit dem Erkannten umzugehen ist. Die besondere Schwierigkeit der Interkulturalität besteht nicht in der Erkenntnis des Fremden, sondern darin, für es, nachdem ich es kenne, Verständnis zu finden. (Hansen 2003: ). 74 worbenen Erfahrungen und deren Ersetzen durch individuelle Erfahrungen, die gemäß Schütz (vgl. Kap ) empathisch erworben werden. Diesen Prozess problematisiert Hansen jedoch weiter: Was bei Schütz nur als eine formale Frage der Herangehensweise dargestellt wird, stellt sich bei Hansen als das zentrale zu überwindende Problem heraus: Ein Übergang zu empathisch erworbenem Wissen bedeutet in vielen Fällen eine unangenehme und anstrengende Auseinandersetzung mit Fremdheit, mit der eine mehr oder weniger weitreichende Veränderung des eigenen Weltbildes zumindest aber eine Modifikation des eigenen Erfahrungsschatzes verbunden ist. 57 Stereotypen und sozialisiertes Wissen dagegen fungieren in der menschlichen Kognition eher als Schutzmechanismen, die den Menschen vor der kognitiven Überforderung einer permanenten Fremdheitserfahrung bewahren. Dennoch hält Hansen zunächst an einem hermeneutisch orientierten Verstehensbegriff fest: Er fordert eine Erfassung der Entstehung und historischen Entwicklung des zu verstehenden Objektes sowie ein Nachzeichnen von Stimmigkeiten mit bereits vorhandenen Erfahrungsmustern. 58 Auch Hansen zufolge erscheint emotionales Verstehen 59 im Sinne eines Sinnverstehens nicht möglich und damit rekurriert er auf den subjektiven Sinn bei Schütz, inhaltliches Verstehen als Erfassen eines objektiven Sinns dagegen sehr wohl. Dieser kognitiven Beschränkung gewinnt Hansen jedoch auch einen Vorteil ab, denn sie bewahre das verstehende Individuum vor einer kulturellen Willkür: Könnten wir uns emotional in die Positionen aller anderen Kulturen potentiell hineinversetzen und diese vollständig nachempfinden, dann würde uns gleichzeitig auch die Gabe verloren gehen, fremde Kulturen zu bewerten und zu beurteilen. Differenzierte Urteile wären aus einer Perspektive vollständigen Nachvollziehens nicht mehr möglich, da wir als Verstehende dann jede Form menschlichen Handelns grundsätzlich gutheißen müssten. Die Möglichkeit eines ethischen Vergleichs käme damit abhanden. Hansen zufolge ist die Fähigkeit zur Bewertung Fremder jedoch eine Grundvoraussetzung der eigenen Identität. Aus dieser Sicht leitet Hansen auch ein für ihn zentrales Ziel von Verständigung ab: Ihmzufolge ist Verständigung deshalb erstrebenswert, weil sie eine gegenseitige Beurteilung ermöglicht. Als Gegenbegriff zur gegenseitigen Beurteilung sieht Hansen hier die Möglichkeit einer gegenseitigen Vereinnahmung. 57 Jetzt wird man der Fremdartigkeit, wie sie wirklich ist, ansichtig, und jetzt muss man sich mit ihr auseinandersetzen. (Hansen 2003: 327) 58 [ ] verstehen kann ich sie aber erst dann, wenn ich um die Gründe ihrer Entstehung weiß, wenn ich ihre historische Entwicklung verfolgt und wenn ich vielleicht Kohärenzen zu anderen Standardisierungen entdeckt habe. (Hansen 2003: ) 59 Hier ist die begriffliche Fassung des Terminus emotionalen Verstehens nicht mit der Verwendung bei Liedke 1998 zu verwechseln. 75

37 Interkulturelles Fremdverstehen dient demnach dem Ziel einer besseren Urteilsfähigkeit über die ethische Vertretbarkeit unterschiedlicher insbesondere auch der eigenen Handlungsoptionen sowie nicht zuletzt dem besseren Selbstverstehen (vgl. Hansen 2003: 328). Eine erste Fruchtbarmachung hermeneutischer Methoden für die Problemstellung interkulturellen Fremdverstehens sieht Hansen in der Ethnologie von Clifford Geertz. 60 Auf der Grundlage der Annahme, nach dem hermeneutischen Zirkel mit den Teilen eines Ganzen dieses Ganze erklären zu können, und mit dem Ganzen dessen Teile erklären zu können, führt Geertz die Analogie der Kultur als Text ein: 61 Ähnlich wie Texte hermeneutisch interpretiert und ausgelegt werden können, so könnten auch Beobachtungen über kulturelle Eigenheiten hermeneutisch betrachtet werden und dazu dienen, als Teile eines Ganzen hier einer ganzen Kultur Rückschlüsse auf die Beschaffenheit einer Kultur zuzulassen. Hier kritisiert Hansen jedoch den dieser Annahme zugrunde liegenden Kulturbegriff: So mögen Texte über eine beschreibbare Ganzheit verfügen, Kulturen dagegen jedoch nicht. Versucht man dennoch Rückschlüsse auf ein Ganzes einer Kultur, dann würde man nach Hansen auf etwas schließen, was gar nicht existieren kann, so dass ihmzufolge ein derartiges hermeneutisches Konzept für interkulturelles Fremdverstehen nicht einsetzbar ist. Hansen plädiert stattdessen für eine dialogische Hermeneutik, die davon ausgeht, dass Erkenntnis und damit interkulturelles Fremdverstehen in dialogischer Form zustande kommt. Eine derartige dialogische Hermeneutik sei in Deutschland insbesondere von Alois Wierlacher (hier verwendet Hansen keine Quellenangabe) und Lothar Bredella (vgl. Bredella 1988 und 1992, zit. nach Hansen ) auf den Bereich interkultureller Kommunikation übertragen worden. Diese wiederum rekurrierten auf die bereits dialogisch orientierten Ansätze Gadamers (vgl. Gadamer 1990: 279, zit. nach Hansen 2003: 331). 62 Übertragen auf die Problematik interkultureller Verständigung bedeutet dies ein notwendiges Abrücken von früheren Positionen und eine gegenseitige Annäherung, die nur zustande kommt, wenn beide Dialogpartner dazu bereit sind und sich in dieser Annäherung engagieren. Damit erscheinen schon hier der Weg und die Konzeption eines Mo- dells einer dritten Kultur als Interkultur vorgezeichnet. Ein Verharren in den Grenzen der eigenen Kultur scheint von Vornherein ausgeschlossen und zum Scheitern verurteilt zu sein. Beschreibt man aus dieser Sicht die Grenzen des Verstehens, so scheint sich eine graduelle Auffassung von Verstehen als eine Ausbalancierung einer nachvollziehenden Bewertungsleistung fremden Sinns zwischen den Extremata einer Assimilation (im Sinne der von Hansen genannten kulturellen Willkür) und einer Ignoranz, verstanden als ein Verharren innerhalb der eigenen Kultur, anzubieten (vgl. Hansen 2003: 332). Abbildung 1: Verstehen als graduelles Ausbalancieren zwischen Ignoranz und Assimilation in Anlehnung an Hansen Im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen dialogischen Verstehens kann hier auch von einem Dilemma entgegengerichteter Anforderungen gesprochen werden: Einerseits erfordert dialogisches Verstehen das Verlassen der eigenen Position und eine Hinwendung zu fremden Positionen (ansonsten müsste von Ignoranz gesprochen werden), andererseits darf die eigene Person nicht zu sehr verwässern, um einer Assimilation und der Tendenz einer kulturellen Willkür vorzubeugen. 63 Interkulturelles Verstehen im Sinne der Herstellung einer Urteilsfähigkeit 60 Eine explizite Auseinandersetzung mit hermeneutischen Annahmen findet Hansen bei Geertz 1987 (vgl. Hansen 2003: 330). 61 Für eine explizite Operationalisierung dieses Terminus in kulturwissenschaftlichen Bereichen vgl. die Beiträge in Bachmann-Medick Der Ausgangspunkt dieses modernen Hermeneutikers ist die Dialogizität jeder Erkenntnis. Ein erfolgreicher Erkenntnis- oder Kommunikationsakt beinhaltet für ihn, dass beide Seiten ihre Vorbegriffe revidieren und sich dadurch verändern. (vgl. Hansen 2003: 340) Jean Piaget hat in diesem Kontext die Konzepte von assimilation und accommodation eingeführt und reiht sich damit in Ansätze dialogischen Verstehens ein. Ihmzufolge muss das Unbekannte zum Verstehen zwar an das Bekannte assimiliert werden. Gleichzeitig kommen die eigenen Konzepte und Kategorien jedoch dadurch dem Fremden entgegen und verändern sich (vgl. Witte 2000: 64 mit Bezug auf Piaget 1975). 77

38 kann nur durch das Ausbalancieren eines gangbaren Mittelwegs zwischen diesen beiden Extremata gelingen, wie Abbildung 1 zu veranschaulichen versucht 64. Hansen zufolge bezeichnet der in der Literatur zur interkulturellen Didaktik häufig verwendete Begriff der Horizonterweiterung genau diesen Prozess einer leichten und moderaten Veränderung der eigenen Identität im Verstehensprozess. 65 Zugleich bedeutet eine auf diese Weise ausbalancierte Annäherung, dass die Grenzen subjektiven Verstehens, die bereits in der Phänomenologie gesteckt wurden, nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur präzisiert werden: Eine vollkommene Überwindung der Distanz zwischen Verstehendem und Verstandenem ist auch nach dem Modell von Hansen weder möglich noch wünschenswert. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Möglichkeit interkultureller Verständigung und einer Horizonterweiterung im interkulturellen Kontext transzendiert Hansen diese Überlegungen jedoch, indem er abschließend hinterfragt, inwieweit oder aus welchem Grund interkulturelle Verständigung eigentlich als sozial wünschenswert eingeschätzt werden könne. Hansen bezeichnet das in den letzten Jahrzehnten gesteigerte Interesse an der Erforschung interkultureller Kommunikation als eine Kultureuphorie (Hansen 2003: 334). Argumentationen, die die Relevanz kultureller Einflüsse abzuschwächen versuchten, erscheinen Hansen zufolge innerhalb einer solchen Diskurslandschaft so inopportun, dass die Wahrscheinlichkeit, in diesem Kontext auf Verständnis und Zustimmung zu stoßen, sehr gering erscheine. Auf diese Weise ergebe sich bereits eine Art von Ideologie der Interkulturalität. Wenn also die Herstellung interkultureller Verständigung nicht per se einen sozialen Sinn oder Zugewinn erkennen lässt, so kann Hansen aus kritischer Perspektive auch im Umkehrschluss die Frage nach eventuellen Gefahren interkulturellen Austauschs stellen. Leider verpufft diese provokante Frage in Hansens Ausführungen jedoch und behält einen rein hypothetischen Charakter. Lediglich der unterstellte Kompetenzgewinn durch Interkulturalität lässt sich zwar beschreiben, andererseits aber auch nicht eingrenzen und messen. So bleibe beispielsweise unklar, wie viel Fremdheit für eine Horizonterweiterung erforderlich sei. 64 Dies berücksichtigend gliedert Tzvetan Todorov (vgl. Todorov 1993: [englische Ausgabe, S. 185]) den Verstehensprozess in drei Schichten: die axiologische Ebene begreift Verstehen als Werturteil, die praxeologische als Annäherung oder Entfernung vom Anderen und die epistemische Ebene als Strukturierung des Wissens des Anderen (vgl. Witte 2000: 57). 65 Zwischen diese Extreme siedelt sich das hermeneutische oder dialogische Verstehen an, das zu einer leichten Identitätsveränderung führen soll. Diese leichte Veränderung, meist Horizonterweiterung genannt, beinhaltet eine Relativierung oder Revision von eigenen Ansichten. Die Distanz zum Fremden und ein Rest Unverstehbarkeit bleiben mithin erhalten, denn sonst könnte das, was Wierlacher als Ferment bezeichnet, nicht wirken. (331) 78 Hansen führt hier als extremes Minimum einer Fremdheitserfahrung das Beispiel an, dass er eine Katze besitze, sein Nachbar dagegen einen Hund. Hansen ist der Ansicht, dass es sich hier streng genommen um eine Fremdheitserfahrung handele, der er jedoch den relevanten Erkenntnisgewinn im Sinne einer Horizonterweiterung abspricht (vgl. Hansen 2003: 334). Hansen zufolge gilt die dialogische Struktur für alle interpersonalen Kontakte. Interkulturelle Situationen unterscheiden sich demnach strukturell nicht von intrakulturellen Situationen. Wenngleich Hansen dem Fall seines Nachbarschaftsbeispiels die Interkulturalitätserfahrung abspricht, kann er dies nicht nachweisen. Hansen zufolge kann es sich auch in seinem Beispiel um eine Horizonterweiterung handeln. Auf diese Weise versucht er, die Kategorie der Interkulturalität zu dekonstruieren. Was bleibt, ist die Einsicht, dass Kulturbegriffe, die auf der Vorstellung voneinander abgrenzbarer Einheiten basieren, ein soziohistorisches Konstrukt ohne Ebenbild in der Wirklichkeit sind. 66 Hermeneutik liefert daher aus der Sicht Hansens zwar eine globale Verstehenstheorie, deren Prämissen sich auf den aktuellen Forschungsstand einer Verstehensforschung anwenden lassen. Hermeneutische Modelle liefern jedoch keine speziellen Prämissen zur Beschreibung oder besonderen Handhabung von Interkulturalität, sondern verstehen sich stattdessen als eine universale Theorie (vgl. Hansen 2003: 335) Handlungsanweisungen hermeneutischer Wissenschaften Die vorangegangenen Abschnitte haben die diskursive Entwicklung des hermeneutischen Verstehensproblems in den Wissenschaften nachgezeichnet. Aus der ursprünglichen Problemstellung einer Unmöglichkeit von Fremdverstehen wurde später einerseits nach Wegen des praktischen Umgangs mit dieser Unmöglichkeit gesucht, andererseits wurden die Prämissen der Hermeneutik teilweise (zu einer dialogischen Hermeneutik) modifiziert, so dass ein Denkmodell entstand, das zumindest geringfügig weiterreichende Formen des Fremdverstehens zuließ. Dennoch verharrt die Forschung zur interkulturellen Kommunikation im Hinblick auf Wege hermeneutisch begründeter Verständigung in den meisten Fällen auf einer deskriptiven Ebene. Konkrete Handlungsempfehlungen zum Erzielen von Verstehen und Verständigung in interkulturellen Kontexten der Alltagskommunikation bleiben dagegen meist aus. Gleichzeitig wurden hermeneutische Annahmen jedoch immer auch als relevant für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess betrachtet. 66 Wir kommen also nicht umhin, die Prämisse der Besonderheit interkulturellen Fremdverstehens zu bezweifeln. Warum aber ist sie dann so verbreitet? Wieder einmal spukt der traditionelle Kulturbegriff und seine Homogenitätsvorstellung in den Köpfen. Er suggeriert die Ein- oder Ganzheitlichkeit der Nationen, so dass das eigene leichter verstehbar erscheint als das Fremde. 79

39 Hier führten diskursive Entwicklungen aus dem Bereich der hermeneutischen Philosophie in der Konsequenz zu Veränderungen in den normativen Methoden einzelner sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Während also bislang wenige Handlungsanweisungen für die Alltagskommunikation vorliegen, können an dieser Stelle zumindest Beispiele methodischer Berücksichtigungen hermeneutischen Verstehens in den Geisteswissenschaften als Beispiele konkreter Umsetzungen eines auf diese Weise konzipierten Verstehens angeführt werden. Im Folgenden sollen in diesem Sinne kurz und exemplarisch die Prämissen einer hermeneutisch orientierten Ethnologie sowie der Richtung der Hermeneutik des Übersetzens aus den Übersetzungswissenschaften angeführt werden. 67 In der Ethnologie finden sich größtenteils Umsetzungen hermeneutischer Überlegungen im Sinne der Prämisse der Unmöglichkeit letztendlichen Fremdverstehens. In Anlehnung an die in Abschnitt vorgestellten diskursiven Entwicklungen zum Umgang mit dieser Unmöglichkeit des Fremdverstehens sieht auch die Ethnologie ein gegenseitiges Fremdverstehen außerhalb der eigenen Kultur als nicht herstellbar an. Arnd Witte verweist dazu auf Edward Saids Studie unter dem Titel Orientalism (vgl. Said 1994), nach der die Ethnologie einen Ausweg aus diesem methodischen Dilemma suche, indem sie unverstehbare Fremdheit (Alienität) in verstehbare Andersheit (Alterität) transformiere (vgl. Witte 2000: 60). Hierzu solle den Forschern die Methode des so genannten Othering dienen, mit der Ethnographen an die von ihnen untersuchten Fremdkulturen herantreten (vgl. Witte 2000: 61). Das Problem der Unhintergehbarkeit des eigenen Erfahrungshintergrunds versuchen Ethnologen zusätzlich durch die Wiedergabe einer möglichst großen Perspektivenpluralität auf den Forschungsgegenstand und durch eine Reflexion dieser Perspektiven sowie der eigenen Forscherperspektive zumindest zu mildern. Hierzu zählen auch Versuche einer historischen Einbettung des Beobachtungsprozesses (vgl. Witte 2000: 61). Diese Methoden einer künstlichen Herstellung von Multiperspektivität und größtmöglicher Selbstreflexivität sollen sich einem dialogischen Modell des Fremdverstehens annähern oder diesem sogar gleichkommen können. Auf diese Weise findet die Ethnologie für sich eine methodische Lösung des Problems des Fremdverstehens, mit der sie den Prämissen der Hermeneutik standhalten und zugleich die Validität ihrer Erkenntnisse argumentativ rechtfertigen kann. Das Problem der Vernichtung des Fremdheitsaspektes eines Anderen durch den Prozess des Einverleibens des Fremden in das Eigene kann dabei argumentativ durch die Konzeption eines dritten Raumes gelöst werden. Im Sinne einer dialogischen Hermeneutik kann auch die Erforschung fremder Kulturen, wie sie die Ethnologie betreibt, als gegenseitige Annäherung verstanden werden. Michael Berry, der in diesem Zusammenhang von so genannten multiple third spaces (Berry 1998) spricht, konstatiert für diese dritten Räume der ideellen Zusammenkunft, dass der Fremdheitsaspekt sich hier idealerweise auf alle Beteiligten ausweite: Im Falle einer Verständigung in einem dritten Raum seien demnach beide Seiten sowohl sich selbst als auch einander fremd (vgl. Berry 1998). Während die Unmöglichkeit des Fremdverstehens in der Ethnologie zu einer Suche nach kompensatorischen Herangehensweisen an Annäherungen an ein Fremdverstehen geführt hat, tragen hermeneutische Annahmen in den Übersetzungswissenschaften zu einer konstruktiven Verbesserung von Übersetzungsleistungen bei. Auch hier steht die Unmöglichkeit letzten Verstehens außer Frage, sie kann jedoch offenbar leichter akzeptiert werden: Indem die Übersetzungswissenschaft sich auf die beim individuellen Fremdverstehen ablaufenden hermeneutische Prozesse einstellt, kann sie dazu beitragen, dass wenigstens ein hermeneutisches Verstehen im Übersetzungskontext überhaupt erst möglich wird. Als Grundvoraussetzung dient hier zunächst das Modell der funktionalen Translation von Hans Vermeer (vgl. Reiß/Vermeer 1991), das pragma-linguistischen Entwicklungen Rechnung trägt, Sprache in ihrer Handlungsfunktion begreift und diesen Aspekt ins Zentrum übersetzerischer Tätigkeit rückt. Des Weiteren werden auch Übersetzen und Dolmetschen als sprachliches Handeln verstanden. Eine Übersetzung funktionaler Aspekte von Sprache fordert vom Übersetzer nach Vermeer weitreichende Kenntnisse beider Kulturen. Die hermeneutische Leistung des Translators (Vermeer verwendet den Begriff der Translation für ein Dolmetschen oder Übersetzen, das an funktionalen Aspekten der Sprache orientiert ist (vgl. Stolze 2001: 188)) besteht Vermeer zufolge darin, einen Text sowohl in den zeitlichen und kulturellen Kontext seiner Entstehung als auch in den zeitlichen Horizont und den kulturellen Kontext einer Zielkultur einzubetten, diese Kontextualisierungen zueinander in Beziehung zu setzen und diesen Prozess letzten Endes in der Übersetzungsleistung transparent zu machen (vgl. Stolze 2001: 198, Bezug nehmend auf Reiß/Vermeer 1991: 26). 68 Zahlreiche Arbeitsbeispiele zu einem hermeneutischen Übersetzen lie- 67 Hermeneutische Aspekte haben sich jedoch auch in den Methoden zahlreicher weiterer geisteswissenschaftlicher Disziplinen niedergeschlagen. Für Einflüsse auf die Geschichtswissenschaften vgl. exemplarisch Gadamer/Koselleck 1987, für die Richtung der literarischen Hermeneutik in den Literaturwissenschaften Szondi 2001, sowie Oevermann et al für die Methode der Objektiven Hermeneutik in der qualitativen Sozialforschung Als zentrale Aussage zitiert Stolze hier Reiß/Vermeer 1991: 26: Den Translator (als Translator) interessieren weder objektive Realität noch Wahrheitswerte. Den Translator interessiert der Wert eines historischen Ereignisses, wie es sich in einem text manifestiert, bezogen auf die geltende Norm (Kultur) und aktuelle Situation des Textes (und/oder seines Produzenten) u n d der Wertänderung bei einer Translation des Textes in einen Zieltext (Stolze 2001: 198). 81

40 gen vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen seit den 70er Jahren von Fritz Paepcke vor (vgl. Paepcke 1986, referiert nach Stolze 2001: 235ff). Im Sinne hermeneutischer Annahmen ging Paepcke davon aus, dass Textverstehen auf der Grundlage eines komplexen Zusammenspiels der Gesamtheit eines Textes sowie einzelnen Teilaspekten zustande komme. Paepcke zufolge sollten bei der Übersetzung eines Textes außerdem Aspekte des Allgemeinen sowie Aspekte individueller Auslegung berücksichtigt werden. Um eine derartige individuelle Auslegung eines Ursprungstextes auch noch für Leser des übersetzten Textes zumindest ansatzweise ermöglichen zu können, sollte dieser in der Multiperspektivität seiner Auslegungsmöglichkeiten wiedergegeben werden. Radegundis Stolze kritisierte später die strukturelle Ungenauigkeit von Paepckes Forderungen, die sie schon in den Ansätzen der philosophischen Hermeneutik hier verstanden in ihrem Aspekt eines intuitiven Auslegens angelegt sieht. Stolze versucht dieser methodische Ungenauigkeit mit Hilfe eines Systems translatorischer Kategorien beizukommen, die es dem Übersetzer ermöglichen sollen, Aspekte der Thematik, der Lexik, der Pragmatik und der Stilistik eines Textes systematisch zu berücksichtigen (vgl. Stolze 1992, referiert nach Stolze 2001: 240ff). Dolmetscher und Übersetzer können dabei auch als dritte Personen im interkulturellen Verständigungsprozess angesehen werden, die in interkulturellen Kontaktsituationen in diesem Fall mit einem vergleichsweise klar definierten Methodenwerkzeug und einer mehr oder weniger ausgeprägten Professionalisierung die Aufgabe eines interkulturellen Mediators einnehmen. Voraussetzung für dieses Konzept ist dabei ein induktives Verständnis interkultureller Mediation, wie es im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit vorgestellt werden soll. Im Hermeneutischen Übersetzen sind damit bereits exemplarisch Wege der triadischen Verständigungsförderung impliziert, die in das im fünften Kapitel vorgeschlagene Modell mit einfließen können: Im Sinne von Vermeer gehört hierzu eine kognitive Bikulturalität der Drittperson, die es ihr ermöglicht, Kontextualisierungen von Kommunikation in beiden Kulturen vorzunehmen und eine Beziehung zwischen diesen Kontextualisierungen deutlich zu machen. Im Sinne von Paepcke sollten sich dritte Personen der hermeneutischen Bedingungen bewusst sein, unter denen Interaktionspartner im interkulturellen Kontakt eine gegenseitige Verständigung herstellen können. Drittpersonen sollten in ihren Äußerungen daher immer die Aspekte der Ambivalenz von Teilen und Ganzem, der Multiperspektivität sowie des Allgemeinen und des Individuellen im Gesagten der Interaktionspartner berücksichtigen. Wenn es Drittpersonen gelänge, Interaktionspartnern diese hermeneutischen Bedingtheiten des Fremdverstehens vor Augen zu führen, könnten sie dazu beitragen, dass diese ihre Kommunikation entsprechend ausrichten und sie aufgrund eines 82 höheren Reflexionsgrades kooperativer und verständigungsorientierter gestalten können Kognitionstheoretische Ansätze Neben den Denkrichtungen der Phänomenologie und der Hermeneutik, die genuin philosophischen Ursprungs sind, seien an dieser Stelle auch kognitionstheoretische Ansätze und Ansätze aus der kommunikativen Ethik vorgestellt, in denen ebenfalls eine diskursive Entwicklung der Problematisierung von Fremdverstehen erkennbar ist. Weder kognitionstheoretische Ansätze noch Überlegungen aus der kommunikativen Ethik können hier vorbehaltlos dem als kulturwissenschaftlich gekennzeichneten Oberthema des Abschnittes zugerechnet werden. Im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind die beiden Ansätze jedoch an einer diskursiven Entwicklung des Fremdverstehensproblems beteiligt, deren Grad der Relevanz dem der kulturwissenschaftlichen Ansätze sehr ähnelt: Alle im Abschnitt 2.2 nachgezeichneten diskursiven Entwicklungen problematisieren interkulturelles Fremdverstehen, indem sie kontextuelles Wissen und Wissen über das Umfeld von Interaktanten bezeichnet als Lebenswelt, Lebenspraxis, Kultur oder Sozialisation als Grundbedingung für ein direktes Verstehen postulieren. So arbeitet beispielsweise die in der Kognitionspsychologie kursierende und von Hilary Putnam begründete Stereotypensemantik (vgl. Kilian 2001: 304) mit Begrifflichkeiten, die den Grundlagen des Lebensweltkonzeptes aus der Phänomenologie sehr ähneln. 69 In diesem Kontext interessant scheint des Weiteren die so genannte Mediation Hypothesis von Osgood et al. (vgl. Osgood/ Sucis/ Tannenbaum 1964) 70 derzufolge der Erwerb von Zeichenbedeutungen aus kognitionspsychologischer Sicht in Form eines von den Autoren als solchen bezeichneten Mediationsprozesses abläuft. Im Hinblick auf Möglichkeiten interkultureller Mediation induktiver Konzeption wird hier also ein Vermittlungsprozess sichtbar gemacht, der auch eine Vermittlungsinstanz beinhaltet. An dieser Stelle könnten Drittpersonen eventuell unterstützend eingreifen. Darüber hinaus finden sich in der Kognitionstheorie Strömungen, die die im Bereich der Phänomenologie diskursiv konstruierten Problemstellungen des Fremdverstehens übernehmen. So erarbeitet beispielsweise Helga Kotthoff (vgl. 69 Die Stereotypensemantik im Gefolge Hilary Putnams ergänzt diese kognitionspsychologische Erkenntnis, indem sie auf Unterschiede in der Konzeptualisierung der Welt aufmerksam macht, die durch unterschiedliche Lebensformen der Sprechergruppen bedingt sind, wobei Putnam nur die beiden Großgruppen Experten und Laien aufführt, während die Sprachgesellschaft weitaus differenzierter zu gruppieren ist. (Kilian 2001: 304) 70 Für eine aktuellere Erläuterung des Konzepts vgl. Schönpflug

41 Kotthoff 1989) für ihre empirischen sprachwissenschaftlichen Studien einen Begriff des Fremdverstehens, den sie aus den Arbeiten von Schütz, Grice und Sperber/Wilson ableitet. Während sie von Schütz den Verstehensbegriff als Herstellung von Wissenskongruenz übernimmt, überträgt sie diesen auf das Konzept der Relevance Theory von Sperber und Wilson (vgl. Sperber/Wilson 1986) und spricht von einer Verständigung als Herstellung von Kongruenz der Relevanzsysteme von Interaktionspartnern. Zentral und neu ist dabei die explizite Annahme, dass Verständigung auch bereits auf einer vorsprachlichen Ebene stattfinden kann: 71 Sie [Verständigung; D. B.] findet bereits statt, bevor ein Kode überhaupt im Spiel ist, und kann auch ohne ihn stattfinden. (Kotthoff 1989: 21, zit. nach Rost-Roth 1994: 33). Aus dieser Vorsprachlichkeit von Verständigung folgert Rost-Roth, dass die Einflüsse der Bedingtheit nicht-nativer Sprachkompetenzen auf Möglichkeiten interkultureller Verständigung zumindest relativiert werden (vgl. Rost-Roth1994: 33). Auf kognitionstheoretischem Gebiet schlägt der Problemdiskurs eine Richtung ein, die eine Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens in ein immer wahrscheinlicheres Licht rückt: So konzipiert Kotthoff interkulturelle Verständigung strukturgleich mit intrakultureller Verständigung. Sie unterstellt dabei die Möglichkeit einer graduellen Verständigung, so dass eine bedingte oder eingeschränkte Verständigung in den meisten Fällen möglich und wahrscheinlich sei. Abhängig von diesen graduellen Unterschieden der Verstehensmöglichkeit geht Kotthoff jedoch davon aus, dass sich mit ihnen auch die gegenseitigen Verstehenserwartungen graduell verschieben können: Zeigt sich, dass eine Verständigung in einem bestimmten interkulturellen Kontext spürbar erschwert ist, so werden die Interaktionspartner als Konsequenz auch ihre Erwartungen an ein gegenseitiges Verstehen reduzieren, indem sie einen geringeren gemeinsamen kulturellen Wissensvorrat unterstellen. 72 In diesem Sinne sieht ein Großteil der konstruktivistischen Forschung zunächst keine Berücksichtigung interkulturell bedingter Einflüsse auf den Verstehensprozess vor. Da Verstehen nach konstruktivistischen Annahmen jedoch gerade durch 71 Ähnliche Annahmen über die zumindest partielle Möglichkeit einer vorsprachlichen Verständigung teilt aus sprachphilosophischer Sicht Anette Hammerschmidt (vgl. Hammerschmidt 1997: 160ff). Auch für die universalistischen Theorien der Transformationsgrammatik setzen die Existenz einer gedanklichen Sprache vor der kommunikativen Sprache voraus (vgl. Pinker 1994, Chomsky 1968, Harden/Witte 2000: 12). 72 Zwischen der Verständigung in intra- und interkulturellen Gesprächen haben wir also keine absoluten Unterschiede zu erwarten sondern graduelle. Diese Gradunterschiede steuern allerdings u. U. die Erwartungen, mildern z. B. die Reziprozitätserwartungen ab und unterstellen weniger gemeinsames kulturelles Wissen. (Kotthoff 1989: 21, zit. nach Rost-Roth 1994: 33) 84 sozial beeinflusste Konstruktionen hervorgerufen wird, bietet sich aus dieser Sicht eine Neudefinition des Kulturbegriffs an: 73 Demnach findet Kommunikation zwar einerseits auf der Basis geteilten Weltwissens statt (vgl. Schmidt 1994), eine vorhersehbare Nichtübereinstimmung dieses Weltwissens insbesondere im Falle interkultureller Kommunikation, wie sie die sprachwissenschaftliche Forschung nahe legt, ist jedoch aus Sicht des Konstruktivismus nicht unbedingt gegeben. Stattdessen wird gerade davon ausgegangen, dass der Erwerb von Weltwissen ohnehin individuell erfolgt und daher inhaltlich zwischen den einzelnen Individuen erheblich divergieren kann. Für den Konstruktivismus stellt sich nicht die Frage nach individuellen Unterschieden in diesem Weltwissen, denn diese sind ohnehin sehr wahrscheinlich. Viel unwahrscheinlicher erscheint dagegen das Zustandekommen interindividueller Gemeinsamkeiten, also die Konstitution einer Kultur 74 (vgl. Schmidt 1994: 80ff). Die Frage nach der Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens stellt sich aus dieser Perspektive auf eine andere Weise: Wie viel gemeinsames Wissen ist zwecks interpersonaler Verständigung überhaupt erforderlich, und mit Hilfe welcher Strategien kann möglicherweise defizitäres Wissen situativ ausgeglichen werden? Theo Harden und Arnd Witte (vgl. Harden/Witte 2000) platzieren einen konstruktivistischen Ansatz als Zwischenglied zwischen einer universalistischen und einer relativistischen Verstehensauffassung. Demnach ist die Position eines Individuums immer zu einem großen Teil von ihrem soziokulturellen Umfeld bestimmt, in dem sich das Individuum aber aktiv positionieren und es verändern kann. Sprachgebrauch kann daher auch nie zu einem Verstehen im Sinne einer vollständig deckungsgleichen Informationsübertragung führen, da jedes Individuum Bedeutungen individuell wenn auch minimal unterschiedlich auffasst. Die Annäherung zwischen dem Eigenen und dem Fremden ist also ein dialektischer Prozess. Damit konstituiert diese Auffassung ein Gegenargument zu hermeneutische Ansätzen, nach denen Verstehen nur durch Einverleiben möglich ist, bzw. ein Gegenargument zu relativistischen Positionen, nach denen endgültiges Verstehen gar nicht möglich ist (vgl. Harden/Witte 2000: 14-15). Konstruktivistische Ansätze favorisieren also ein Verstehen in Form eines Zusammenkommens in einem Zwischenraum. Arnd Witte (Witte 2000) wendet in diesem Zusammenhang einen sozialkonstruktivistischen (vgl. engl. social constructionist) Ansatz auf das Problem kom- 73 Zu Zusammenhängen zwischen Kulturbegriff und konstruktivistischer Theorie vgl. Knoblauch Für eine konstruktivistische Theorie der Vergesellschaftung vgl. die Arbeiten von Bernhard Giesen (Giesen 1999). 85

42 munikativen Verstehens an und grenzt diesen von dem früheren strukturalistischen Paradigma ab. Aus strukturalistischer Perspektive waren Individuen vollständig von ihrer Einbindung in den Strukturen der Gesellschaft bestimmt. Individuen waren demnach beliebig austauschbar, solange sie an derselben Stelle der Struktur eingesetzt wurden. Der konstruktivistische Ansatz des Sprachverstehens lässt sich stattdessen auf ein semiotisches Verständnis zurückführen. Bereits Michail Bachtin ging davon aus, dass Sprache für jedes einzelne Individuum dazu diene, ein individuelles Weltbild aufzubauen (vgl. Witte 2000: 56). Dies korrespondiert mit der semiotischen Auffassung der Rolle von Konnotaten. Individuen statten Sprache zu einem großen Teil mit persönlichen und individuellen Bedeutungen aus. Dadurch, dass Bedeutungen also partiell zwischen den Individuen divergieren, ist auch eine vollkommene Verständigung niemals möglich: These mental representations cannot be communicated to their full extent from one person to another, because though based on the same linguistic sign system they vary from person to person. (Witte 2000: 56). Diese Form der Kommunikation wirkt sich auch auf die Konstruktion individueller Identitäten aus. Witte bezieht sich hier auf den interaktionstheoretischen Ansatz von George Herbert Mead, der zwischen dem Selbstbild des I und dem Fremdbild des Me unterscheidet (vgl. Witte 2000: 57, Bezug nehmend auf Mead 1993 [1934]: 204ff). Witte zufolge lässt sich dieses intrakulturelle Modell auf die Beschreibung von interkultureller Bedeutungskonstruktion und Fremdverstehen übertragen: Auf die gleiche Weise werden auch in interkulturellen Situationen Witte bezieht sich insbesondere auf den Fremdsprachenerwerb abstrakte sprachliche Gebilde von Individuen mit individuellen Bedeutungen auf der Basis eigener Erfahrungen gefüllt und individualisiert. (vgl. Witte 2000: 80) 75 Auch Paul Watzlawick geht auf ähnliche Weise von einer Möglichkeit der Verständigung durch eine Bezugnahme auf einen gemeinsamen Bedeutungsrahmen aus: Watzlawick exemplifiziert dies am Beispiel zweier Individuen, die sich in einem Kaufhaus aus den Augen verlieren. Watzlawick zufolge werden die Personen nicht versuchen, einen Treffpunkt vorauszusehen, indem sie versuchen, sich in ihren Gegenüber hineinzuversetzen. Sie werden stattdessen überlegen, welcher Treffpunkt von ihrem Partner aufgrund seiner exponierten Lage in der Realität am ehesten in Betracht gezogen werden könnte. Ähnlich wie in phänomenologischen und hermeneutischen Ansätzen des Fremdverstehens konzentrieren sich demnach auch kognitionsorientierte und konstruktivistische Diskurse am Primat einer gemeinsamen Auffassung von Wirklichkeit (vgl. Watzlawick 2002). Im Gegensatz zu den vorangegangenen Ansätzen wird Witte bezieht sich hier auf Hammerschmidt 1997: 240. dieser gemeinsame Wirklichkeitszugang jedoch als wahrscheinlicher und möglicher konzipiert: Eine graduelle Übereinstimmung der Wirklichkeitswahrnehmung sei zumindest immer in einem solchen Maße möglich, dass ein gewisses Ausmaß an Interaktion denkbar wird Fremdverstehen und kommunikative Ethik Als Bereich der kommunikativen Ethik soll hier die handlungstheoretische 77 sprachphilosophische Schule 78 innerhalb der analytischen Philosophie (vgl. Sbisa 1995) bezeichnet werden, die auf den Überlegungen von Paul H. Grice aufbaut. Im Gegensatz zu den in den vorangegangenen Abschnitten vorgestellten Denkrichtungen und den in ihnen vollzogenen Problematisierungen interkulturellen Fremdverstehens versteht sich die analytische Philosophie zunächst als universalistischer Ansatz, auf dessen Bestand kulturelle Einflüsse keine Auswirkungen haben sollen. 79 Paul Grice hatte in diesem Kontext in den sechziger Jahren ein logisches Modell erstellt, mit dessen Hilfe die Konstitution von Bedeutungen bei Interaktionspartnern durch Sprache beschrieben werden sollte. Grice formulierte eine Reihe von Konversationsmaximen, deren Einhaltung eine reibungslose Verständigung gewährleisten sollte. Grice unterstellte dabei, dass sowohl Sprecher als auch Hörer von Äußerungen in ihrer Interaktion grundsätzlich von einer gegenseitigen Einhaltung dieser Konversationsmaximen ausgingen. Ohne dieses gegenseitige Vertrauen hält Grice Verständigung nicht für möglich. Selbst in für Hörer zunächst uneindeutigen Situationen können diese durch die Annahme konversationeller Implikaturen zu einer handhabbaren Bedeutungsinterpretation gelangen (vgl. Grice 1975, 1980, sowie Lakoff 1995). In diesem diskursiven Kontext wird also zunächst von einer Möglichkeit gegenseitigen kommunikativen Verstehens ausgegangen. 76 Dies steht im Gegensatz zu der Annahme von Wierlacher, der davon ausgeht, dass ein Zugriff auf die Realität nicht möglich und daher auch der Einsatz dritter oder weiterer Personen zur Verständigungsförderung nicht sinnvoll seien (vgl. Wierlacher/Hudson-Wiedenmann 2003). 77 Handlungstheoretische Ansätze können hier als komplementäre Modelle zu den Konzepten der Tätigkeitstheorie betrachtet werden, wie sie gegenwärtig insbesondere von der russischen Ethnopsycholinguistik vertreten werden (vgl. hierzu Kap ). Für eine Einführung in handlungstheoretische Konzepte vgl. Ehlich Für einen Einblick in die aktuellen Debatten in diesem Bereich vgl. Krämer Für eine kurze Nachzeichnung der ideengeschichtlichen Entwicklung innerhalb der Sprachphilosophie von Friedrich Nietzsche über Fritz Mauthner zu Ludwig Wittgenstein vgl. Kilian 2001: Erst in späteren, kulturphilosophisch inspirierten Debatten werden kulturelle Einflüsse auf Kommunikationen von Ansätzen der analytischen Philosophie berücksichtigt. Für Definitionen derartiger Konzeptionen kulturalistischer Einflüsse in Modellen der analytischen Philosophie vgl. Aleksandrowicz 2001 sowie Herzinger

43 Dem Griceschen Modell kommt dabei lediglich noch die Aufgabe einer Beschreibung der Bedingungen dieses Verstehens zu. Kulturelle Einflüsse wurden von diesem Modell nicht berücksichtigt, so dass Grice damit implizit eine kulturelle Universalität beanspruchte. Entgegen den Ansätzen von Phänomenologie und Hermeneutik, die Fremdverstehen aus einem ursprünglich sehr relativistischen Standpunkt für unmöglich erklärten und die in der Radikalität ihrer relativistischen Position später abgemildert wurden, gehen die Diskurse der analytischen Philosophie also zunächst von einer radikal universalistischen Position aus, in der (auch interkulturelles) Fremdverstehen zunächst als prinzipiell möglich konzipiert wird. Während die Wege möglicher Verständigung in der Phänomenologie und der Hermeneutik sukzessive ausgeweitet und zugleich spezialisiert und problematisiert wurden, geht die Problematisierung des Fremdverstehens in der analytischen Philosophie jeweils mit Kritiken am Universalitätsanspruch der Theorie einher. Wie in den vorangegangen Abschnitten sollen auch im Fall der Griceschen Ethik einige Schritte der diskursiven Problematisierung interkulturellen Fremdverstehens im Folgenden nachgezeichnet werden. Aus interaktionistischer Sicht kritisiert Hans Jürgen Heringer die Sprecherzentriertheit der Griceschen Maximen (vgl. Heringer 1994, 2000), die zwar dem Hörer qua konversationeller Implikatur eine gewisse interpretatorische Aktivität zugestehen, sich als formulierte Maximen jedoch an die Sprecher von Äußerungen wenden und damit ihm offenbar eine weitaus größere Verantwortung für das Zustandekommen von Verstehen zuschreiben. Da Verstehen jedoch reziprok zwischen Sprecher und Hörer interaktiv und situativ ausgehandelt werde und zu einem großen Teil der Interpretation vor dem Hintergrund des Wissens des Hörers unterliege, empfiehlt Heringer eine Umformulierung der Griceschen Maximen zugunsten der Sicht des Hörers. Ein Sprecher müsse seine Aussagen nicht nur dementsprechend konsistent formulieren, der Hörer müsse bei der Interpretation grundsätzlich auch von Konsistenz ausgehen (vgl. Heringer 2000: 32-33). Auch im Hinblick auf interkulturelle Kontaktsituationen merkt Heringer an, dass Individuen als Hörer keinesfalls immer von einer Einhaltung der Konversationsmaximen von Seiten des Sprechers ausgingen. Statt dessen unterstellten Hörer Sprechern nur allzu häufig Inkonsistenz ihrer Rede was in der Regel zumindest temporär mit einer Aufgabe der Verstehensversuche quittiert wird. Erst vor dem Hintergrund der Einführung dieser gedanklichen Differenzierung der Intentionen von Sprecher und Hörer wird eine Öffnung des Modells der Konversationsmaximen für eine Beschreibung interkultureller Kommunikation überhaupt möglich. Entgegen den Annahmen einer Konfliktorientierung in der interkulturellen Kommunikation geht Grice im Sinne seiner universalen Theorie von einer grundsätzlich kooperativen Kommunikationseinstellung aller Interaktionspartner aus. Unterstellt man jedoch die Gefahr eines konfliktorientierten kommunikativen Verhaltens von Interaktionspartnern im interkulturellen Kontakt aufgrund der zusätzlichen kognitiven Belastung oder aufgrund nicht erkannter Missverständnisse (die Grice ja nur auf fehlerhafte Rekonstruktionen von Implikaturen zurückführen könnte), so muss auch die Selbstverständlichkeit dieser Kooperativität in Frage gestellt werden. Kirsten Adamzik bemerkt in diesem Kontext, dass die Griceschen Konversationsmaximen unhinterfragt von so genannten bona fide-reaktionen (Adamzik 2001: 243) seitens des Hörers ausgehen: Der Hörer interpretiert guten Glaubens und im Vertrauen darauf, dass sich der andere kooperativ verhält (Adamzik 2001: 243). Erst eine solche Einstellung kann die von Grice konzipierte Suche nach Implikaturen auslösen. Demgegenüber unterscheidet Adamzik jedoch eine ebenfalls in der Realität auftretende - mala fide-reaktion (Adamzik 2001: 244): Dem Partner wird von vornherein oder aufgrund seiner Äußerung unterstellt, dass er lügt, nichts Relevantes zu sagen hat, sich nicht auf seine Gesprächspartner einstellen kann oder will usw. (Adamzik 2001: 244). In diesem Fall wird der Hörer gar nicht erst nach Implikaturen suchen. Adamzik fügt diesen beiden Reaktionen als dritte Möglichkeit die von ihr so genannte Toleranz-Reaktion hinzu: Die meisten Kommunikationsteilnehmer werden nämlich bereit sein, Abweichungen von den Konversationsmaximen bis zu einem gewissen Grade zu tolerieren und jemanden nicht gleicht für verrückt oder unkooperativ erklären, der sich nicht klar und geordnet ausdrückt, mehr oder weniger sagt, als es für den gegenwärtigen Gesprächszweck nötig ist, usw. (Adamzik 2001: 244). In interkulturellen Kontaktsituationen kommt es Adamzik zufolge insbesondere dadurch häufiger zu Verstehensproblemen bzw. zu Konflikten, dass die Interaktionspartner (kulturell bedingt) unterschiedliche Auffassungen von den Kriterien eines angemessenen und kooperativen Verhaltens haben. Adamzik geht dabei davon aus, dass Interaktionspartner aller Kulturen die Griceschen Maximen zwar einhalten, jedoch von unterschiedlichen Realisierungen oder Auslegungen der Maximen im Sprachgebrauch ausgehen (vgl. Adamzik 2001: 244). Eine weitere kulturspezifische Annahme der Griceschen Maximen deckt Claus Ehrhardt in Form des in den Maximen implizit enthaltenen Rationalitätsprinzips (Ehrhardt 2003: 152) auf. Da nach Adamzik nicht in allen Kontexten von einem permanent kooperativen Verhalten im Sinne einer unterstellten, gemeinsam betriebenen Verständigungsförderung ausgegangen werden kann, sondern auch mit (evtl. bewussten, instrumentalisierten) Verletzungen der Konversationsmaximen, bzw. interkulturell abweichenden Realisierungen gerechnet werden muss, resümiert Ehrhardt, dass statt dessen jedoch zumindest von der Rationalität des Handelns eines Interaktionspartners ausgegangen werden könne, woraus er auf das Rationalitäts

44 prinzip schließt. Demnach sollten die Beiträge aller Gesprächspartner grundsätzlich als rationale Handlungen interpretiert werden (vgl. Ehrhardt 2003: 152) 80 womit Ehrhardt jedoch wiederum den Prämissen affektiver, konfliktorientierter Handlungen im Sinne von Adamzik zuwiderläuft und deren Möglichkeit ignoriert. Eine kultursensitive Umformulierung der Griceschen Maximen schlägt Michael Clyne vor, indem er den meisten Maximen die Prämisse voranstellt, Handelnde sollten den Griceschen Maximen immer nur in einem Grad oder auf eine Weise folgen, die mit den jeweiligen kulturspezifischen Kommunikationskonventionen konform gehen (vgl. Clyne 1994). Sigrid Luchtenberg kritisiert in diesem Zusammenhang die Verhaftung Clynes in der Annahme grundsätzlicher kollektiver ethnischer Bindungen von Individuen. Demnach liege auch den Clyneschen Thesen die Annahme zugrunde, interkulturelle Kontaktsituationen könnten durch zusätzlich erlernte und internalisierte Verhaltensweisen kompetenter bewältigt werden (vgl. Luchtenberg 1999: 208). 81 Kirsten Adamzik folgert aus diesen Begrenzungen der Beschreibungskraft der Konversationsmaximen insbesondere im Hinblick auf interkulturelle Kontaktsituationen, dass die Maximen offenbar auf einer zu abstrakten Ebene ansetzen. Da Adamzik davon ausgeht, dass die Maximen in unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Ausführungsinhalten gefüllt werden, spricht sie von einer Existenz einer Mehrzahl von Kommunikationsethiken. Aufgabe der Sprachwissenschaft sei es dabei nicht, diese Ethiken zu bewerten oder normativ zu formulieren. Um interkulturelle Kommunikationssituationen kooperativer gestalten zu können, sei es jedoch erforderlich, diese Kommunikationsethiken auf kultureller Ebene zumindest zu beschreiben (vgl. Adamzik 2001: 245). In diesem Sinne wurden den Griceschen Maximen zwecks Widerlegung ihrer kulturellen Universalität immer wieder Beispiele kommunikativer Regeln aus anderen Kulturen entgegengehalten, die diesen Maximen zuwiderlaufen. Ein erstes Exempel statuierten in diesem Bereich Ichiro Marui und Rudolf Reinelt, die bereits 1985 in dem von Jochen Rehbein für den deutschsprachigen Raum grundlegenden Sammelband Interkulturelle Kommunikation (Rehbein 1985a) den Griceschen Maximen ihr so genanntes JAKOP-Prinzip (Marui/Reinelt 1985) als japanischen Kooperationsprinzip entgegenstellten. Marui und Reinelt gingen dabei davon aus, dass soziale Interaktion in Japan zuvorderst strengen sozialen Normen des Umgangs unterworfen seien, hinter denen situative Bedingungen, wie sie Grice in seinen Maximen erfasste, nur eine nachgeordnete Rolle spielen können. 82 Im Hinblick auf die Möglichkeit einer systematischen Erfassung der Kommunikationsethiken aller Kulturen scheinen jedoch Grenzen der Machbarkeit und der Nutzbarkeit aufzukommen: Empirisches Wissen über die Ausprägung kultur-partikularer Kommunikationsethiken würde noch keinerlei Rückschlüsse darauf erlauben, auf der Ebene welcher Kommunikationsethik interkulturelle Kontaktsituationen ablaufen könnten oder sollten. Einigen sich Interaktionspartner auf die Verwendung einer der kulturellen Ethiken oder schaffen sie interaktiv eine neue Kommunikationsethik? Adamziks kontrastiver Ansatz dagegen würde zunächst den Rückschluss nahe legen, dass interkulturelle Verständigungsmöglichkeiten zwischen den kulturellen Kommunikationsethiken nicht vorgesehen sind, so dass sogar deren Möglichkeit in Frage gestellt werden müsste. Versucht man, vor dem Hintergrund dieser exemplarischen Betrachtung eines von Beginn an universalistischen Ansatzes auf allgemeine Tendenzen diskursiver Entwicklungen auf diesem Gebiet zu schließen, so ließe sich vermuten, dass Ansätze, in denen kulturellen Einflüssen von Beginn an kein Raum eingestanden wird, auch in kritischen Weiterentwicklungen nicht über das Aufzeigen kultureller Begrenztheiten hinauskommen. Ansätze, deren Validität im interkulturellen Bereich in den Diskursen prinzipiell kritisiert wird, scheinen demnach nur selten Weiterentwicklungen hervorzubringen, die neue Wege einer dennoch möglichen interkulturellen Verständigung aufzeigten. 80 Spätere Diskussionen haben ergeben, dass die Annahme zu stark ist: wir gehen nicht immer von einer gemeinsamen Richtung des Gesprächs aus, sondern von der (schwächeren) Annahme, dass die Gesprächspartner rational handelnde Menschen sind, dass sie mit ihren Handlungen einen Zweck verfolgen und dazu Mittel gewählt haben, von denen sie glauben, dass sie für dessen Erreichen geeignet sind. Daraus ergibt sich das Rationalitätsprinzip (Keller 1995: 209 und Kasher 1976): Betrachte die Gesprächsbeiträge deiner Gesprächspartner als rationale Handlungen. (Ehrhardt ) 81 Studien wie die von Clyne knüpfen dabei grundsätzlich an die pragmatische Kategorie von Sprechakten an. Spätere pragmatische Ansätze wie die der Diskursanalyse und der Konversationsanalyse kritisieren jedoch deren Limitiertheit und Beschränktheit des Beschreibungshorizontes auf Einzelaussagen. Untersuchungen einzelner Sprechakte ermöglichen nicht die Erfassung sprachlicher Strategien auf einer gesamttextuellen Ebene JAKOP beinhaltet drei Prinzipien: das Reziprozitätsprinzip postuliert, dass beide Seiten einer Interaktion gleicherweise unter Normen stehen (Marui/Reinelt 1985: 197), das Prinzip der stellenspezifischen Kooperation, nach dem jeder Position innerhalb der Gesellschaft spezifische Normen, Rechte und Pflichten des sozialen Umgangs zuteil werden, sowie das Prinzip des Vorübergehenlassens, nach dem Situationen umgangen werden sollten, in denen Individuen aufgrund ihrer sozialen Stellung nicht in der Lage wären, die ersten beiden Prinzipien zu erfüllen (vgl. Marui/Reinelt 1985: 198). 91

45 2.2.5 Synopse: Begriffe von Verstehen und Verständigung in der Philosophie 83 Neben der exemplarischen Nachzeichnung der diskursiven Entwicklung in den Bereichen von Phänomenologie, Hermeneutik, Kognitionstheorie und kommunikativer Ethik sei diesem Abschnitt zusätzlich eine Synopse unterschiedlicher Begriffsauffassungen und -konzeptionen der Termini von Verstehen und Verständigung angefügt, um hier einerseits zu einer präziseren Trennschärfe und andererseits zu einem Überblick über die unterschiedlichen Facetten der Begriffe gelangen zu können. Im Kontext der in dieser Arbeit angestellten diskursanalytischen Betrachtungen verweist die Vielfalt der Konzepte darüber hinaus auf die Vielfalt der entwickelten unterschiedlichen Möglichkeiten zur Beschreibung von Verständigung. Diese Vielfalt wiederum deutet auf die offensichtliche Relevanz einer entsprechenden Suche nach Wegen interkultureller Verständigung innerhalb der Wissenschaftsdiskurse hin. So zitiert Martina Rost-Roth (vgl. Rost-Roth 1994: 37) zu einer umgangssprachlichen Annäherung an den Verstehensbegriff den Überblick bei Martin Dobrick (vgl. Dobrick 1985), der zwischen einem Verstehen von Mitteilungen, von Sachverhalten und von Personen und Handlungen unterscheidet. Aus kommunikationstheoretischer Perspektive dagegen werden die Bezugspunkte oder Inhalte des Verstehens irrelevant. So definiert beispielsweise Helga Losche, die sich in den didaktischen Umsetzung von Fremdverstehenserleben implizit offenbar auf ethnomethodologische Grundlagen rückbezieht (vgl. Losche 2000: 91), Verstehen als einen von drei möglichen Verläufen von Kommunikationsprozessen, die sie als Nichtverstehen, Missverstehen oder Verstehen bezeichnet (vgl. Losche 2000: 62). Bei Ute Sonnenberg dagegen findet sich eine explizite begriffliche Unterscheidung zwischen Verstehen und Verständigung. Verstehen begreift Sonnenberg als einen mentalen Prozess. Im Sinne der Psychologie, bzw. der Psycholinguistik müsse der Verstehensprozess als ein Abgleich von Informationen begriffen werden (vgl. Sonnenberg 2000: 4). Sonnenberg bezieht sich auf Bremer et al. 1996, die den Verstehensprozess sowohl als einen bottom-up-prozess als auch einen top-down- Prozess verstehen: Individuen leiten aus dem situativ Wahrgenommenen Rückschlüsse auf die Gesamtsituation ab und schließen gleichzeitig von ihren allgemei- 83 Zwischen den Begriffen von Verstehen und Verständigung und der Möglichkeit sozialer (inklusive interkultureller) Kommunikation darf keine zwingende Kausalverbindung angenommen werden. Alternative Konzepte argumentieren hier, dass Verstehen und Verständigung nicht unbedingt erforderlich sein müssen, um Interaktion zu ermöglichen. So legt beispielsweise Klaus P. Hansen in seinen Ausführungen zur interkulturellen Verständigung einen Primat auf die Herstellung von Sympathie als grundlegende alternative Kategorie zum Verstehensparadigma (vgl. Hansen 2003). Auf eine ähnliche Weise plädiert Diana Francis für eine Grundlegung der Kategorien von Respekt und Vertrauen für den Interaktionsprozess (vgl. Francis 1998 sowie 1999: 46). 92 nen Erfahrungen auf das situativ zu Verstehende (vgl. Sonnenberg 2000: 4; Bremer et al. 1996: 14). Verständigung dagegen fasst Sonnenberg als Verständigungshandeln, also als ein interaktives Verfahren auf, mit dem Gesprächspartner gegenseitiges Verstehen herstellen und sichern. (Sonnenberg 2000: 6). Verständigung sei also zunächst wechselseitiges Verstehen (Sonnenberg 2000: 6). In der Sozialphilosophie wird das Verhältnis von Verstehen und Verständigung weiter problematisiert. Sonnenberg rekurriert hier auf George Herbert Mead, der zwischen Verstehen und sozialer Erfahrung unterscheidet. Gemäß den Annahmen des symbolischen Interaktionismus ist Verstehen immer an die Aufnahme symbolisch vermittelter Interaktionen gebunden. Grundvoraussetzung für den Verstehensprozess ist dabei die Fähigkeit zur Rollenübernahme, durch die Interaktionspartner überhaupt erst einschätzen können, wie eine symbolische Handlung auf einen Gegenüber wirkt (vgl. Sonnenberg 2000: 6; Mead 1973: 51ff, 194ff).84 Alfred Schütz, der den Begriff der Rollenübernahme ursprünglich eingeführt hatte, rückt diesen Prozess dagegen eher in die Peripherie der Problemstellung, da er diesen Prozess zwar als einerseits grundlegend, andererseits jedoch als vergleichsweise selbstverständlich auffasst: ihmzufolge gehen Interaktionspartner zunächst von einer Reziprozität ihrer Perspektiven (Schütz 1971: 12) aus. Diese Idealisierungen nehmen die Interaktionspartner erst bei Verstehensproblemen zurück und leiten Reparaturmaßnahmen (im Sinne der Konversationsanalyse) ein (vgl. auch Schütz/Luckmann 2003). Während ein Verstehensproblem also einseitig bestehen kann, definiert Sonnenberg Verständigungsprobleme als grundsätzlich wechselseitig bedingt (vgl. Sonnenberg 2000: 7). Als Wege zur Beschreibung und eventuell zur Bewertung der Kooperativität wechselseitiger Verstehensprozesse könnten sich vor dem Hintergrund der Definition von Sonnenberg Methoden der Konversationsanalyse eignen. Als Methode zur Beschreibung von Sinnkonstitutionen in Gesprächen haben sich konversationsanalytische Arbeiten insbesondere mit Beziehungskriterien aufeinanderfolgender Redebeiträge unterschiedlicher Gesprächsteilnehmer befasst. So kennt die Konversationsanalyse beispielsweise das Kriterium so genannter Erwartbarkeitsbeziehungen (vgl. Schegloff/ Jefferson/ Sacks 1974: 363). Schegloff et al. sprechen hier von konditionellen und bedingten Relevanzen, durch die aufeinanderfolgende Redebeiträge miteinander in Beziehung stehen können. Bedingte Relevanzen lassen sich beispielsweise durch Nachbarschaftspaare (adjacency pairs) fassbar machen. Mit der gegenseitigen Orientierung an derartigen Relevanzen können Interaktionspartner Verständigung unter Umständen auch gezielt fördern oder 84 Für ähnliche Überlegungen zum Verstehensbegriff bei Mead vgl. auch Wenzel 1984:

46 auch verhindern. Drittpersonen könnten diesen Prozess beobachten und gegebenenfalls die Kommunikation in bedingten Relevanzen wiederherstellen und somit eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Herstellung von Verständigung erzielen. Anette Hammerschmidt verweist darauf, dass Verstehen häufig als Deckungsgleichheit von Verstandenem und Gemeintem und als Entsprechungsverhältnis sprachlicher Zeichen mit subjektiven Intentionen (vgl. Hammerschmidt 1997: 120) aufgefasst werde. Verstehen in diesem Sinne wird als Übereinstimmung aufgefasst. Ein Verstehen an einem Ort des Zwischen dagegen impliziert gerade dies nicht: Es wird dabei keine Deckungsgleichheit, sondern einer neuer Inhalt an neuem Ort hergestellt (vgl. Hammerschmidt 1997: 123). Hans Jürgen Heringer unterscheidet darüber hinaus zwischen den Begriffen des Verstehens und des Interpretierens. Verstehen sei ihmzufolge ein eher unbewusster Prozess, der fast in jeder Situation erfolge. Interpretationen dagegen erfolgten bewusster und können auf unterschiedliche Weisen vollzogen werden (vgl. Heringer 2000: 28). Heringer verweist außerdem auf die unterschiedliche begriffliche Differenzierung in Fremdsprachen: So zählt er beispielsweise eine umfangreiche Auflistung unterschiedlicher Bedeutungen des englischen Verbs to understand auf, um auf die Vielschichtigkeit des Verstehensbegriffs aufmerksam zu machen, die bereits im Alltagsverständnis des Wortes verankert ist (vgl. Heringer 2000: 27). Hartmut Schröder verweist in diesem Zusammenhang auf die bislang defizitäre Operationalisierung des Verständigungsbegriffs in der Forschung zur interkulturellen Kommunikation, die sich bislang vorrangig mit einer Erfassung des Verstehensbegriffs begnügt habe. Für Schröder führt der Begriff der Verständigung über den Verstehensbegriff hinaus und beinhaltet zusätzlich eine aktive Konfliktbearbeitungskompetenz, die den Rahmen interkultureller Kompetenz notwendig erweitere, auf diese Weise die ihr bislang deskriptiv gesetzten Grenzen hinausschiebe und die insofern einer wissenschaftlichen Beschreibung bedürfe. Hartmut Schröder fasst diese Kompetenzen gerade weil sie gleichzeitig auch aktive Kompetenzen zur Konfliktbearbeitung darstellen unter dem Terminus einer interkulturellen Mediationskompetenz zusammen (vgl. Schröder 2001). Implizit mitgedacht ist hier bereits die auch von Hansen vorgetragenen Annahme, dass der weitaus größere, kognitive und handlungsbezogene Aufwand für Individuen, die mit Interkulturalität und Fremdheit konfrontiert werden, nicht schon im Verstehen fremdkulturellen Handelns liege, sondern vielmehr erst in der konsequent darauf aufbauenden Wahl eigener Handlungsoptionen im Sinne einer Akzeptanz und einer Wertschätzung fremdkulturellen Handlungspotentials. Die Herausforderung interkulturellen Handelns bestünde demnach vor allem in der Fähigkeit, auf die Anforderung nach kognitiv aufwendigen Integrationsprozessen von Fremdheit nicht mehr mit Abwehr- 94 und Konfliktreaktionen zu antworten, sondern seine eigenen Handlungen auf eine kooperative Weise auf die jeweiligen Fremdheitsaspekte einzustellen. 85 Die hier genannten Aspekte der Termini des Verstehens und der Verständigung sollen in den folgenden Absätzen noch einmal in Form von einzelnen, aus der Forschungslage herauskristallisierbaren Clustern aufgezählt und beschrieben werden: 1. Verständigung als Herstellung von Bedeutungskongruenz Roland Burkart (vgl. Burkart 2003) vertritt einen interaktionistischen Kommunikationsbegriff, bei dem er Verständigung zum allgemeinen Ziel jeder Kommunikation deklariert. Kommunikation komme demnach nur und erst dann zustande, wenn eine Verständigung zwischen mindestens zwei Interaktionspartnern erreicht sei. Dabei vertritt Burkart einen inhaltlich orientierten Verständigungsbegriff: Verständigung wird erreicht, indem die Interaktionspartner Bedeutungsinhalte miteinander teilen. Eine notwendige Bedingung zum Teilen von Bedeutungsinhalten bestehe darin, dass mindestens zwei Individuen ihre kommunikativen Handlungen aufeinander richten. Dieser Kommunikationsbegriff erscheint damit weitaus anspruchsvoller als der in semiotischen und sozialwissenschaftlichen Definitionen zumeist angenommene, nach denen Kommunikation eine Sonderform sozialen Handelns ist, für deren Vollzug bereits der reine Gebrauch von Zeichen, nicht aber die gegenseitige Ausrichtung aufeinander, hinreichend ist. Burkart verlangt darüber hinaus nach einem wechselseitig stattfindenden Prozess der Bedeutungsvermittlung (vgl. Burkart 2003: 19) als Bedingung für das Zustandekommen von Kommunikation und damit nach seiner engeren Begriffsauffassung von Verständigung. Während er sich damit offenbar zuvorderst von den traditionellen Sender-Empfänger-Modellen von Kommunikation (vgl. Shannon/Weaver 1973) distanzieren zu wollen scheint, erhält die Reziprozität im Hinblick auf den Verständigungsbegriff hier eine zusätzliche, wenngleich von Burkart nicht explizit gemachte Bedeutung: Das Erzielen von Verständigung, also die Herstellung von Bedeutungskongruenz, kann von den Interaktionspartnern nur überprüft werden, indem beide Partner sich an der Vermittlung von Bedeutungen beteiligen. Nur anhand der Kommunikation des Gegenübers können Individuen erkennen, ob die von ihnen vermittelten Bedeutungen in ihrem Sinne verstanden worden sind (vgl. Burkart 2003: 19) Für weiterreichende Überlegungen zur Begriffsdefinition von Verstehen und Verständigung insbesondere aus literaturwissenschaftlicher Sicht vgl. auch die Beiträge in dem Sammelband von Christoph Edelhoff (Edelhoff 1989). 86 Menschliche Kommunikation liegt daher erst dann vor, wenn (mindestens zwei) Individuen ihre kommunikativen Handlungen nicht nur wechselseitig aufeinander richten, sondern darüber hinaus auch die allgemeine Intention ihrer Handlungen (= Bedeutungsinhalte miteinan- 95

47 Anhand dieser Annahmen lassen sich Wege triadischer Verständigungsförderung formulieren, denen sich auch bereits praktizierte, institutionalisierte Formen der Mediation bedienen. So verwenden Mediatoren beispielsweise die Technik des Loop of Understanding (vgl. Kap. 3.3) zur gezielten Überprüfung von Verständigung, mit der sichergestellt werden kann, dass einerseits ebendiese Überprüfung permanent stattfindet, und dass die Interaktionspartner sich nicht in erfolglosen Bedeutungsvermittlungsversuchen sensu Burkart verstricken, bzw. ihre weitere Interaktion auf Fehlschlüssen aufbauen. Dennoch scheint eine inhaltliche Bedeutungskongruenz nicht das einzige Kriterium von Verständigung zu sein, anhand dessen der Erfolg von Bedeutungsvermittlungsversuchen gemessen werden kann. Schließlich läge aus interaktionstheoretischer und konstruktivistischer Perspektive das Zugeständnis von erfolgreicher Verständigung immer noch bei den Interaktionspartnern selbst: Sie entscheiden über den Grad und die Intensität der Bedeutungskongruenz, die sie für die Annahme von Verständigung für erforderlich halten, und sie entscheiden auch darüber, ob und wann dieser Grad in ihrer Interaktion erreicht worden ist. Als Arbeitshypothese kann zunächst angenommen werden, dass Individuen Verständigung grundsätzlich nach einem Minimalprinzip einfordern: (Anstrengende) Verständigungsarbeit hier immer noch verstanden als Arbeit an einer Bedeutungskongruenz wird nur jeweils so weit betrieben, wie sie die Interaktionspartner für zukünftige Interaktionen für erforderlich halten. Diese Annahmen korrelieren mit Kommunikationsbegriffen, wie sie von konstruktivistischen Ansätzen vertreten werden. 87 Stuft man interkulturell bedingte Situationen aufgrund ihres kognitiven Herausforderungspotentials als potentiell konfliktträchtiger ein, so kann des weiteren angenommen werden, dass Personen in Konfliktsituationen gegenseitig voneinander einen höheren Verständigungsgrad einfordern als in Phasen emotionaler Entspannung. Im Rahmen von konfliktiven Handlungsorientierungen kann davon ausgegangen werder teilen wollen) verwirklichen können und damit das konstante Ziel (= Verständigung) jeder kommunikativen Aktivität erreichen. Wird dieses Ziel jedoch nicht erreicht, kommt also Verständigung über die mitgeteilten Bedeutungsinhalte wie im eben angenommenen Fall nicht zustande, dann soll auch nicht von Kommunikation gesprochen werden. Erst der wechselseitig (!) stattfindende Prozeß der Bedeutungsvermittlung soll als Kommunikation begriffen werden. Unter dem Aspekt des eingeführten Interaktionsmoments steht also v.a. das Kriterium der Wechselseitigkeit ( Reziprozität ) im Mittelpunkt: Erst wenn (mindestens zwei) Individuen ihr jeweiliges kommunikatives Handeln erfolgreich aufeinander gerichet haben, hat Kommunikation stattgefunden. Dies ist eben nur dann der Fall, wenn beide Kommunikationspartner die zu vermittelnden Bedeutungen auch tatsächlich (!) miteinander teilen. (Burkart 2003: 19) 87 So bezieht sich Burkart beispielsweise auf einen systemischen Ansatz von Horst Reimann (vgl. Reimann 1968). 96 den, dass Interaktionspartner in einem sehr viel geringeren Maße bereit sind, kleinere Bedeutungsdivergenzen bestehen zu lassen und zu tolerieren. Andererseits scheint in Konfliktsituationen bereits eine sehr viel geringere Bedeutungskongruenz zwischen Intention und Verstehen auszureichen, um Handlungsreaktionen hervorzurufen: Gerade in Konfliktsituationen geben sich Individuen also mit einer vergleichsweise geringen Bedeutungskongruenz zufrieden: Der Kommunikationsabbruch in Konfliktsituationen ist dann zu werten als Kapitulation vor weiteren Verständigungsanstrengungen. Stattdessen werden mit dem Einstellen verständigungsorientierter Handlungen automatisch und unmittelbar destruktive Handlungen initiiert: Die Problemsituation wird durch eine Beseitigung des Interaktionspartners zu bewältigen versucht. 88 Ebenfalls auf dem Paradigma des Verstehens durch Kongruenz baut das semiotisch fundierte Modell von Rudi Keller auf, nach dem Verständigung durch eine Herstellung von Kongruenz auf den Bereichen der von ihm unterschiedenen Persuasion, Repräsentation, des Images, der Beziehung und der Ästhetik erreicht werden kann (vgl. Keller 1995: 216, zit. nach Ehrhardt 2003). 2. Verständigung als Sinnverstehen Die Konzeption eines Verständigungskonzeptes auf der Basis von Sinnverstehen stellt den Handlungsaspekt in den Mittelpunkt kommunikationswissenschaftlicher Untersuchungen. Ursprünglich bereits theoretisch untermauert von phänomenologischen Überlegungen zum Verstehen subjektiven vs. objektiven Sinns als rekonstruktiv unterstellte Handlungsentwürfe, wird der Handlungsaspekt in den Sprachwissenschaften vor allem von sprechakttheoretischen Modellen aufgegriffen. 89 Eine interpersonale Verständigung wird aus dieser Perspektive dann erreicht, wenn Hörer einer Äußerung nicht nur die Illokution einer Aussage richtig aufgenommen haben, sondern zusätzlich auch noch im Sinne einer Perlokution ihr anschließendes Handeln bezugnehmend auf die getätigte Aussage sinnvoll ausrichten Verständigung als thematisches Bewusstsein Ernst von Kardorff entwirft eine normative Theorie des Fremdverstehens, die sich gegen die Gefahr neokolonialistischer Tendenzen zu widersetzen versucht (vgl. 88 Weiterführende Diskussionen der Begriffe von Verstehen und Verständigung aus argumentationstheoretischer Perspektive finden sich darüber hinaus in Holzinger Für eine zusammenfassende Einführung in sprechakttheoretische Modelle vgl. Sbisa Womit nicht zwingend eine Zustimmung oder ein Befolgen der Intention des Sprechers für eine Verständigung erforderlich sein müssen. Auch Widerstandshandlungen erscheinen immer noch als sinnvolle Reaktion auf eine bestimmte, zuvor geäußerte Intention. 97

48 Kardorff 1983) und die er von Peter Berger übernimmt. Demnach seien zunächst einzelne soziale Haltungen aus der fremden Lebenswelt zu übernehmen, die dann zu einem thematischen Bewusstsein verdichtet und verallgemeinert werden können. Dabei basiert das Konzept offenbar vergleichsweise weitgehend auf dem Postulat der Teilnahme an einer fremden Lebenswelt als Grundvoraussetzung für Fremdverstehen. Nach dem Lebensweltkonzept von Schütz und Luckmann leben Menschen grundsätzlich in ihrer eigenen Lebenswelt und bauen ihre Handlungsorientierungen auf der Annahme auf, dass diese Lebenswelt einen Rahmen der Konstanz biete, innerhalb dessen Individuen ihre eigenen Erfahrungen als Handlungsgrundlage verwenden können (vgl. Schütz/Luckmann 2003). Da dieser kulturelle Raum der Lebenswelt von den Individuen in der Regel nicht bewusst erlebt wird, wird er auch nur selten hinterfragt. Dennoch können Individuen auf ihre Lebenswelt direkt einwirken und diese verändern. Horizonterweiterungen im Sinne interkultureller Fremdheitserfahrungen nach Klaus P. Hansen kommen in diesem Rahmen dann zustande, wenn das Unhinterfragte mit Wahrnehmungen konfrontiert wird, die dem wahrnehmenden Individuum zunächst problematisch erscheinen, weil sie sich zunächst nicht in den bisherigen Erfahrungshintergrund integrieren lassen. Schütz und Luckmann führen hier das Beispiel eines Pilzes an, von dem man eigentlich nur die Oberseite kennt. Wenn man als Betrachter plötzlich die Unterseite des Pilzes zu sehen bekommt, die bis dahin unbekannt war, besteht die Herausforderung darin, dieses Bild der Unterseite in das Bild, das man bisher von einem Pilz hatte, zu integrieren. Das Bild, das der Betrachter von einem Pilz hat, wird durch diesen Vorgang präziser (vgl. Schütz/Luckmann 2003) Schütz und Luckmann nehmen anhand dieses Beispiels an, dass die Erfahrungswerte eines Menschen immer nur einen solchen Präzisionsgrad erhalten, wie er gerade für die Interaktion in der Lebenswelt erforderlich ist. In diesem Sinne folgte zwischenmenschliche Verständigung einer Art Minimalprinzip: Erweiterungen des Horizonts oder Präzisierungen der Erfahrung kommen erst dann zustände, wenn dies für eine weitere Interaktion in der Lebenswelt unmittelbar erforderlich ist oder Individuen damit konfrontiert werden (vgl. Schütz/Luckmann 2003). Interkulturelle Kontakte müssten vor diesem Hintergrund also lediglich als Fremderfahrungen und als Herausforderung zur Horizonterweiterung begriffen werden. Die Inhalte interkulturellen Verstehens unterscheiden sich strukturell nicht von denen allgemeiner Verstehensprozesse. Auch interkulturelle Horizonterweiterungen können als Form des Sinnverstehens begriffen werden. Auch Schütz und Luckmann gehen dabei davon aus, dass jede Form der Sinnkonstitution ohnehin immer nur retrospektiv möglich ist, so dass Verstehen sich auch in diesem Kontext strukturell nicht unterscheidet. Interkulturelles Fremdverstehen kann damit als eine Form der Sinn- 98 konstitution begriffen werden. 91 Wird eine solche Sinnkonstitution im Nachhinein sowohl vom Handelnden selbst als auch von einem verstehenden Außenstehenden getätigt, so kann letzten Endes dennoch wieder vom Ziel einer Herstellung von Bedeutungskongruenz gesprochen werden, wie sie insbesondere mit semiotischen Modellen ausdifferenziert und beschrieben werden kann. 4. Pragmasemiotische Ansätze zum Verständigungsbegriff Im Rahmen seines diskursethischen Konzepts zur Beschreibung innergesellschaftlicher Verständigungsprozesse vollzieht Jürgen Habermas die sprachpragmatische Wende in der Philosophie nach. 92 Eingeleitet wurde diese Fokussierung des Handlungsaspektes von Sprache Habermas zufolge durch die Triangulation des Zeichenprozesses durch Charles Sanders Peirce. Erst durch die Konstitution der Dreierrelation von Zeichen, Bezeichnetem und Sprecher ließ sich Habermas zufolge Kommunikation aus erkenntnistheoretischer Perspektive bearbeiten, da erst hier die Relation zwischen Zeichen und Interaktionspartnern mitgedacht wird. Auf dieser Erkenntnis aufbauend entwickelten später Austin und Searle ihre Sprechakttheorie, in deren Rahmen möglicherweise das Konzept der felicity conditions sinnvolle Ansätze für eine theoretische Beschreibung triadischer Verständigungsförderung bieten könnte. 93 Interkulturell kompetente Drittpersonen könnten in Situationen triadischer Verständigung die Haltbarkeit oder eventuell die Problematik der kulturellen Übertragung von felicity conditions beobachten und überprüfen. Aus Sicht des Peirceschen Modells stellt sich Verständigung durch die gleichzeitige Bezugnahme eines Sprechers auf die Welt und auf seinen Adressaten ein. Die Intersubjektivität der beiderseitigen Bezugnahme zur Welt stellt die Verständigung zwar her, letzten Endes wird sie jedoch primär durch den Sprecher initiiert, weshalb auf ihn auch das Hauptaugenmerk gelegt werden sollte: 91 Sinn ist vielmehr das Resultat der Auslegung vergangener Erlebnisse, die von einem aktuellen Jetzt und von einem aktuell gültigen Bezugsschema reflektiv in den Griff genommen werden. Solange ich in meinen Erlebnissen befangen und auf die darin intendierten Objekte gerichtet bin, haben die Erlebnisse keinen Sinn für mich (von der besonderen Sinn- und Zeitstruktur des Handelns sei hier abgesehen!). Die Erlebnisse werden erst dann sinnvoll, wenn sie post hoc ausgelegt und mir als wohlumschriebene Erfahrungen fasslich werden. Subjektiv sinnvoll sind also nur Erlebnisse, die über ihre Aktualität hinaus erinnert, auf ihre Konstitution befragt und auf ihre Position in einem zuhandenen Bezugsschema ausgelegt werden. Schütz/Luckmann 2003: 53-54). 92 Für eine leicht verständliche Einführung in die Habermassche Diskursethik vgl. Roth Vgl. Austin 1962 sowie für eine weitere Ausarbeitung des Konzepts der felicity conditions unter Berücksichtigung sozialer Konventionalisiertheit Searle

49 Indem Sprechhandlung eine intersubjektive Beziehung zwischen Sprecher und Hörer herstellt, steht sie zugleich in einem objektiven Bezug zur Welt. Wenn wir Verständigung als das der Sprache innewohnende Telos auffassen, drängt sich die Gleichursprünglichkeit von Darstellung, Kommunikation und Handeln auf. Einer verständigt sich mit einem anderen über etwas in der Welt. Als Darstellung und als kommunikativer Akt weist die sprachliche Äußerung in beide Richtungen zugleich: zur Welt und zum Adressaten. (Habermas 1999: 9) Habermas hinterfragt nicht, ob wir die Wirklichkeit der Welt erkennen können. Im Sinne der Sprechakttheorie ist es ohnehin der Bezeichnende, der Geltungsansprüche über die Welt erstellt. Dabei ist der einzige und gemeinsame Bezugspunkt letztendlich der Sprecher selbst: Er nimmt Bezug zur Welt und zum Adressaten auf. In ihm ist der Ausgangspunkt, auf den sich die gesamte Kommunikation bezieht. In einer Kommunikationssituation ist er der einzige Gemeinsamkeit stiftende Pol, auf dessen Grundlage Verständigung entstehen kann. Habermas Verständigungsmodell erkennt also auch die Unzugänglichkeit einer vollkommen kongruenten, gemeinsamen Erfahrung an und weicht dieser Problemstellung aus, indem er die Aufmerksamkeit von einem extrapersonalen Erkenntnisobjekt ablenkt und auf die Interaktionspartner als leichter erkennbare Größen richtet. 94 Ein derartiges Konzept steht in einem klaren Gegensatz zu Modellen, in denen Verstehen und Verständigung durch die Herstellung einer Kongruenz im Hinblick auf extrapersonale Wirklichkeiten hergestellt werden müssen. Ein weiterer Gegensatz zeigt sich im Bezug auf konstruktivistische Ansätze, die einen klaren Schwerpunkt des Verstehens auf den Empfänger einer Nachricht setzen. Insbesondere auch aus Sicht der in den Sprachwissenschaften geführten Diskurse erscheint zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Studie weniger die Erkundung einer tatsächlichen, sprecher-immanenten Intention als vielmehr die Beschreibung der Interpretation von Äußerungen durch Hörer von Interesse. 95 Aus interaktionistischer 94 Auf eine ähnliche Weise argumentiert Niklas Luhmann: Auch er lenkt den Fokus von der ohnehin nicht kognitiv fassbaren außersprachlichen Wirklichkeit ab. Verglichen mit Habermas geht er jedoch noch einen Schritt weiter und befasst sich anstatt mit dem Bezeichneten nicht mit den Bezeichnenden, sondern mit der Kommunikation selbst. Nach Luhmanns Diktion können nicht Individuen, sondern nur Kommunikation selbst kommunizieren (vgl. Luhmann 1994 [1984]). Verantwortlich für die Aufrechterhaltung von Kommunikation sind demnach nicht die Individuen, sondern stattdessen allein die Anschlussfähigkeit der Kommunikation an frühere Kommunikationen (vgl. Luhmann 1994 [1984]: 268). Der Begriff der Anschlussfähigkeit könnte im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der Problematik von Interkulturalität zusätzliche Perspektiven eröffnen. 95 Für eine sprachwissenschaftliche Operationalisierung eines derartigen, hörerorientierten Konzepts vgl. exemplarisch Liedke Martina Liedke geht davon aus, dass Verständigung durch die Vergemeinschaftung von Erfahrungen und Bewertungen zustande kommt. Eine solche 100 Perspektive würde Hörern hier eine weitaus größere Einflussrolle im Prozess der Bedeutungskonstitution zugestanden. 96 Diesen auf der Mikroebene konstituierten Verständigungsbegriff weitet Habermas zu einer komplexen Diskursethik aus, mit deren Hilfe er Prozesse gesamtgesellschaftlicher Verständigung und Konsensfindung beschreiben möchte. In seiner Theorie kommunikativen Handelns (vgl. Habermas 1981) propagiert er als Ideale und gleichzeitig als Grundvoraussetzungen (demokratischer) Verständigung die Konsensherstellung innerhalb eines herrschaftsfreien Diskurses, in dem das jeweils bessere Argument seinen Geltungsanspruch durchsetzen könne. Habermas formuliert damit Idealbedingungen zur Herstellung von Verständigung, die in der Alltagswelt nur angestrebt, nicht aber vollständig erreicht werden können. Innerhalb von Gesellschaften, die sich auf diese Habermasschen Ideale verständigen können, haben sich unterschiedliche Methoden zielgerichteter Kommunikation herausgebildet und institutionalisiert, durch deren Anwendung versucht wird, die Erreichung dieser theoretischen Ideale zumindest zu erleichtern und zu fördern. So darf auch die diskursive Ausrichtung von Mediationsverfahren 97 als eine entsprechende Bemühung um eine pragmatische Realisierung einer Konsensfindung im Rahmen eines herrschaftsfreien Diskurses gelten. 98 Während also auf pragmatischer, normativer Ebene Bemühungen zur Einhaltung der Habermasschen Ideale erkennbar sind, tut sich die sozialwissenschaftliche Forschung im Hinblick auf Wege der empirischen Beschreibung herrschaftsfreier Diskurse weiterhin schwer möglicherweise weil selbst Habermas in dieser Hinsicht mit konkreten Beispielen sparsam umgegangen ist. Neben Ausrichtungen auf Vergemeinschaftung kann mit Hilfe von Narrationen gezielt angestrebt werden. Dabei kann es vorkommen, dass die Übermittlung der geplanten Informationen in den Hintergrund tritt. Nichtverstehen verliert dadurch seinen Problemcharakter: Gemeinsame Erfahrungen und Bewertungen werden situativ neu geschaffen und erfahren. Interaktionspartner stehen hier vor der Wahl zu akzeptieren, was ihr Gegenüber äußert (so konzipiert Habermas sein Verstehensbegriff im Sinne einer Akzeptanz von Geltungsansprüchen) oder sie konstituieren in der Situation einen neuen Bedeutungszusammenhang (gemäß einer interaktionistischen Perspektive). 96 Für eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Problematik interkultureller Verständigung vgl. auch Loenhoff Der herrschaftsfreie Diskurs ist dabei eine (kontrafaktische) Idealvorstellung, die für reale Diskussionsprozesse in unterschiedlicher Form handlungsrelevant werden kann; als Leitbild bzw. Organisationsmodell für argumentative Konfliktlösungsprozesse etwa im Bereich der Umwelt- und Technologieproteste (z.b. Mediationsverfahren) hat er mittlerweile große praktische Bedeutung gewonnen. (Keller et al. 2001: 11). 98 Für eine Einordnung von Mediationsverfahren und weiteren argumentativen Verfahren zur Konfliktbearbeitung unter das Paradigma des herrschaftsfreien Diskurses vgl. Keller et al. 2001:

50 foucaultsche Beobachtungen findet sich jedoch innerhalb der sozialwissenschaftlichen (Kritischen) Diskursanalyse zumindest ein Zweig, der an Kodierungen des Habermasschen Modells arbeitet, um vor seinem Hintergrund soziale Interaktionen beschreiben und bewerten zu können. 99 Auf der Ebene der Kritischen Diskursanalyse sind hier vor allem Ruth Wodak (vgl. Wodak 1996) sowie Norman Fairclough (vgl. Fairclough 2001) zu nennen, die explizit dafür plädieren, mit Hilfe der Kritischen Diskursanalyse das Bewusstsein der Mitglieder einer Gesellschaft für diskursive Kräfte zu schärfen. Im Hinblick auf die Funktion von Drittpersonen im Verständigungsprozess können diese auch die Rolle eines solchen kritischen Diskursbeobachters und monitors einnehmen und zu einer solchen Bewusstseinsbildung beitragen. 5. Verständigung als soziale Interaktion Aus interaktionstheoretischer Perspektive werden Verstehen und Verständigung situativ und interaktiv ausgehandelt. Grundvoraussetzung hierzu ist eine gegenseitige Wahrnehmung als ebenbürtige Persönlichkeit mit gleichen oder ähnlichen kognitiven Fähigkeiten im Sinne des alter ego von Alfred Schütz. Von zentraler Bedeutung erscheint hier also weniger die Herstellung eines Verstehens im Sinne einer inhaltlichen Kongruenz, sondern die Annahme einer grundsätzlichen Gleichheit. Ob ein derartiges Verstehen in der Situation hergestellt wird oder nicht, erscheint aus interaktionstheoretischer Perspektive zweitrangig, da bereits allein die Annahme der Möglichkeit von Interaktion auf der Grundlage angenommener gleicher kognitiver Fähigkeiten eine Basis zur Verständigung bildet. Verständigung ist aus interaktionstheoretischer Sicht also bereits hergestellt, wenn die Möglichkeit zur Interaktion gegeben ist. Interaktionstheoretische Ansätze gehen hier von einer Universalität der Gefühls- und Empfindungsgleichheit aus. Im Hinblick auf Wege triadischer Verständigungsförderung bauen insbesondere Konzepte der transformativen Mediation auf dieser Annahme der gegenseitig unterstellten Möglichkeit zur Interaktion auf Für einen Überblick zu diskursanalytischen Arbeiten in der Tradition von Habermas vgl. die Beiträge in Nennen 2000 sowie den Beitrag von Keller/Poferl Specifically, every person has two inherent human capabilities. The first is the capacity for consciousness of the full range of human experience pain and pleasure, joy and sorrow, clarity and confusion, and so forth. The second is the capacity for realizing that every other person has the same kinds of experiential capacities as oneself. It is this inherent and uniquely human capacity for relating to the experience of others that constitutes the structure a structure of human consciousness that connects every individual human being to every other, at least potentially. (Folger/Bush 1994: 19) 102 Bernd Müller-Jacquier überträgt diese Annahmen auf ein Konzept interkultureller Kommunikation, wonach auch hier spezifische Handlungsweisen immer erst in der jeweiligen Situation zustande kommen. Dies gelte auch für kulturell bedingte Handlungsorientierungen: So verhielten sich Personen nach Müller-Jacquier in Situationen beispielsweise nicht per se typisch deutsch, sondern sie fühlen sich durch die Situation gezwungen, sich auf diese Position zurückzuziehen und zu versteifen, weil sie sich von dem fremden und als fremdkulturell interpretierten Verhalten des Gegenübers irritiert fühlen (vgl. Müller 1995: 54). Bohn und Willems übernehmen für eine Theorie des Fremdverstehens auf interaktionstheoretischer Grundlage den Sinnbegriff von Alfred Schütz, modifizieren ihn jedoch durch eine Abkehr von der Dichotomisierung von subjektivem und objektivem Sinn sowie durch eine radikale Verzeitlichung: Sinn wird demnach ebenfalls grundsätzlich situativ ausgehandelt und kann auch nur für die zeitliche Dauer der Situation Bestand haben (vgl. Bohn/Willems 2001: 9). Dabei dürfe die interaktive Sinnkonstitution jedoch nicht als eine Form größerer Handlungsfreiheiten im Gegensatz zu phänomenologischen oder hermeneutischen Theorien aufgefasst werden. Bohn und Willems zufolge kann eher von einem Zwang zur Sinnkonstitution in der Situation gesprochen werden, da ansonsten keine weitere Interaktion denkbar wäre. Dieser Zwang äußert sich in einem Selektionszwang, in dem Sinn aus mehreren Optionen ausgewählt werden müsse. Durch den Zwang zur Annahme von Sinn bestehe gleichzeitig auch ein Zwang zur Selbstveränderung: im Verstehensprozess muss demnach auch die eigene Position modifiziert werden. Auch aus interaktiontheoretischer Sicht könne zwar davon ausgegangen werden, dass Sinn einer Interaktion immer schon vorausgesetzt sei. Er existiere jedoch nur als Verweis und werde in der Situation selbst konstruiert und konstituiert (vgl. Bohn/Willems 2001: 9). Empirische Umsetzungen finden diese interaktiontheoretischen Annahmen unter anderem im Habitus-Begriff Pierre Bourdieus (vgl. Bourdieu 1991 [1970]: 132): Hier sehen Bohn und Willems Schemata am Werk, die gar nicht ins Bewusstsein der Beteiligten vordringen, aber als Sinnkonstituenten für eine situative Aushandlung zur Verfügung stehen. Auch Ludwig Wittgensteins Regelbegriff wird als situative Konstruktion gedacht: Wittgenstein versteht die Regel nicht als eine von den Vollzügen abgehobene Realität, sondern durch ihre aktuelle, situative Verwendung definiert (Bohn/Willems 2001: 9, Bezug nehmend auf Wittgenstein 1998). Niklas Luhmann fasst dieses Problem situativer Konstruktion mit seinem Begriff der Autopoiesis (vgl. Luhmann 1994: 225ff.): Kommunizierende sind demnach mit dem Problem konfrontiert, zum gegenseitigen Verstehen Strukturen konstituieren zu müssen, die dennoch nur für den momentanen Gebrauch handhabbar sein werden. Luhmann zufolge wird dieses Problem durch eine Selbstillusionierung der 103

51 Kommunizierenden durch sinnkonstituierende Systeme gelöst: Sinnkonstituierende Systeme nehmen an, dass es immer schon zeitlich überdauernde Identitäten gegeben habe, und dass es diese immer geben werde. Daher kann die Illusion akzeptiert werden, Kommunizierende könnten sich immer auf bereits vorhandenen Sinn beziehen (vgl. Bohn/Willems 2001: 10). Als sinnfällig, also als bedürftig nach einer Zuschreibung von Sinn, betrachten Bohn und Willems hier das Nicht-Identische: Dinge und Personen, die über keine durch strukturelle Dauerhaftigkeit gewährleistete Identität verfügen, bedürfen der Generation von Sinn in der relevanten Situation. Ein derartiges Konzept der situativen Konstruktion von Sinn für bislang nicht erfasste Personen und Objekte kann auch auf die Beschreibung einer situativen Bearbeitung interkultureller Fremdheitserfahrung übertragen werden. Dritte Personen im Prozess der Verständigungsförderung können hier die Situation mit sinnstiftenden Aspekten anreichern: erst durch die Möglichkeit der Sinnkonstitution in der Situation erscheinen situative Maßnahmen wie Drittparteiinterventionen überhaupt sinnvoll. 6. Verstehen als graduelles Konzept Zusammenfassend kann bemerkt werden, dass philosophische Überlegungen zur Möglichkeit interpersonaler und interkultureller Verständigung häufig von einem statischen und absoluten Verstehensbegriff ausgegangen sind: Abgesehen von der allgemein akzeptierten und hingenommenen Annahme der Unmöglichkeit vollkommenen subjektiven Sinnverstehens 101 wird dennoch häufig weiter davon ausgegangen, dass sich Verstehen entweder einstellt oder nicht. Insbesondere neuere konstruktivistische Ansätze dagegen plädieren für ein Konzept, nach dem Verstehen und Verständigung in der menschlichen Interaktion grundsätzlich nur so weit vorangetrieben werden, wie es für die aktuelle Interaktion gerade erforderlich ist. Insbesondere für die empirischen Wissenschaften erscheint ein absoluter Verstehensbegriff ohnehin nur schwer oder gar nicht operationalisierbar zu sein. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint demgegenüber die Annahme eines Konzepts graduellen Verstehens plausibel, wie ihn für die Sprachwissenschaften beispielsweise Martina Rost-Roth vorschlägt und definiert: Die Komplexität des Phänomens Verstehens- und Verständigungsschwierigkeiten zeigt sich des Weiteren darin, dass verschiedene Begriffsoppositionen und Kontinuen vorstellbar sind: Verstehen und Nicht-Verstehen sind nur als ideelle Endpunkte eines Kontinuums denkbar, das viele Zwischenstadien aufweist. Diese graduellen Möglichkeiten relativieren sich noch weiter dadurch, dass absolutes Verstehen ohnehin kaum denkbar erscheint. Ähnli Vgl. hierzu ausführlich Hörmann ches gilt für die Begriffsoppositionen Verstehen vs. Missverstehen und erfolgreiche Kommunikation vs. Fehlkommunikation. (Rost-Roth 1994: 36-37) Rost-Roth relativiert mit dem Verstehensprozess auch gleichzeitig die in den Sprachwissenschaften häufig verwendeten Konzepte von Missverstehen und Fehlkommunikation. Aus dieser Sicht scheint eine Sprechweise angemessen, die eingesteht, dass es in der Alltagswelt kommunikativer Interaktion weder ein absolut richtiges Verstehen im Sinne einer Kongruenz subjektiven Sinns noch ein vollkommen falsches Verstehen im Sinne einer Fehlkommunikation gibt, sondern dass sich Bedeutungen vielmehr bei der Interpretation von Kommunikation und Wirklichkeit durch mehrere Interaktionspartner permanent verschieben. 7. Emotionales Verstehen Juliane House stellt ein Modell vor, in dem emotionale Komponenten des Verstehens, bzw. Missverstehens integriert werden (vgl. House 2000). Emotionale Reaktionen dürfen ihrzufolge als Hauptgrund für die Entstehung von Konflikten angesehen werden. Neuropsycholinguistische Studien haben herausgefunden, dass emotionales Verstehen einer weitergehenden, integrativen Verarbeitung der übermittelten Inhalte durch den Empfänger vorausgehen müsse Diskurse zwischen Moderne und Postmoderne Die beiden vorangegangenen Abschnitte haben die diskursive Problematisierung interkultureller Verständigung nachgezeichnet: Gesellschaftstheoretische Annahmen westlicher Demokratien, wie die über das Konzept der Zivilgesellschaften, überantworten den Umgang mit Interkulturalität Individuen und Gruppen. Forschungsarbeiten zur interkulturellen Kommunikation beziehen sich daher vielfach auf sozialwissenschaftliche und philosophische Grundlagen, in denen Überlegungen zur Möglichkeit interpersonalen Fremdverstehens angestellt worden sind. Eine kritische Betrachtung der Entwicklung auf diesem Gebiet hat gezeigt, das die theoretische Konzeption von Wegen interkulturellen Fremdverstehens in den Wissenschaftsdiskursen zwar einerseits zu einer zu beschreibenden Zielstellung avanciert ist. Andererseits sind diese Konzeptionen jedoch auch in ein immer kritischeres und problematischeres Licht gerückt. Die nachgezeichneten Diskurse vermitteln zuletzt ein Bild interkultureller Verständigung, in dem Verständigung als höchst problematisch, andererseits aber unterschwellig auch als erstrebenswert dargestellt 102 Zur Voraussetzung emotionaler Verständigungsbereitschaft zum Fremdverstehen vgl. auch Jones 2001, Spencer-Oatey 2002 sowie Knobloch/Solomon

52 wird. Auf diese Weise ließe sich zumindest die Vielfalt der Modelle begründen, die Wege aufzeigen sollen, sich einem interkulturellen Verstehen dennoch unter bestimmten Bedingungen graduell annähern zu können. Auf der Grundlage dieser Problematisierung interkulturellen Fremdverstehens und auf der Grundlage der ihr beigemessenen gesellschaftlichen Relevanz hat sich die westliche Philosophie in den neunziger Jahren ein neues Arbeitsfeld erschlossen, dessen Ansätze an dieser Stelle unter dem Terminus der interkulturellen Philosophie 103 zusammengefasst werden sollen. Als grundlegendes Ziel dieser Denkrichtung kann eine Deethnozentrierung der europäischen Philosophie angenommen werden. In den entsprechenden Arbeiten manifestiert sich diese Zielstellung in komparativen Studien zu europäischen Philosophie gegenüber den Philosophien nicht-westlicher Kulturen sowie in einer Debatte über die interkulturelle Anwendbarkeit und Übertragbarkeit von Konzepten interkultureller Verständigung, die bislang lediglich vor dem Hintergrund der diskursiven Entwicklung westlicher Philosophien begründet werden konnten. Mit der Problematisierung der kulturellen, partikularen Verwurzelung der Begründungszusammenhänge vorliegender Modelle zur Beschreibung interkultureller Verständigung geht auf dem Bereich der interkulturellen Philosophie auch eine Infragestellung bisheriger Kulturkonzepte einher. Gelingt es, die Gültigkeit westlicher Verstehenskonzepte auf diese Weise einzuschränken, so lässt sich auch die völlige Neuschöpfung theoretischer Kulturkonzepte legitimieren, die dann den neu in Betracht gezogenen Bedingungen einer interkulturellen Haltbarkeit Rechnung tragen. Einige dieser Ansätze sollen in den folgenden Abschnitten jeweils kurz vorgestellt werden. Behält man auch hier die Fragestellung der diskursanalytischen Ausrichtung des vorliegenden Kapitels im Blick, so zeigt sich, dass die Ansätze der interkulturellen Philosophie eine Tendenz fortschreiben, die bereits in den kulturwissenschaftlichen Diskursen erkennbar war: Wege und Möglichkeiten interkulturellen Fremdverstehens werden in zunehmendem Maße als möglich dargestellt, und ihre Erreichung scheint in immer konkreter werdenden Modellen darstellbar zu sein. Die Ansätze der interkulturellen 103 Den Begriff der interkulturellen Philosophie hat zuerst Ram Adhar Mall geprägt (vgl. Mall 1995). Über die Forderung nach Deethnozentrierung der europäischen Philosophie hinaus verbindet Mall mit diesem Terminus jedoch zugleich auch eine Selektion der zusätzlich zu berücksichtigenden philosophischen Kulturen, nämlich die Chinas und Indiens (vgl. Mall/Hülsmann 1989) sowie eine konkrete, in ein Modell gefasste Vorstellung über die Beschaffenheit des Zustandekommens interkultureller Verständigung in Form von kulturellen Überlappungen (vgl. Mall 1997). Diese Präzisierungen sollen in der Verwendung des Begriffs in der vorliegenden Arbeit nicht mitgedacht werden. Als zentral darf statt dessen der Aspekt der Deethnozentrierung der Philosophie angenommen werden, unter den sich auch die Ansätze zahlreicher weiterer Autoren fassen lassen. 106 Philosophie können damit als Element des Wissenschaftsdiskurses gelten, der zur Konstruktion der Problematisierung und der gleichzeitigen Erwünschtheit sowie der Suche nach Wegen interkultureller Verständigung beiträgt. Das theoretische Interesse an der Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens seitens der interkulturellen Philosophie scheint dabei zeitlich parallel zu der auch auf dem Gebiet empirischer Forschung zur interkulturellen Kommunikation ansteigenden Relevanz zu erwachsen (vgl. Geiger 1997: 3). Nach dem Kenntnisstand der vorliegenden Arbeit ist der Bereich der interkulturellen Philosophie am Ende der neunziger Jahre bereits in ein Stadium wissenschaftlicher Diskurse eingetreten, in dem sich die Ergebnisse einer ersten Welle von Einzelstudien und modellen in fundierten Forschungsüberblicken nachlesen lassen. Sammlungen zentraler Artikel finden sich hierzu beispielsweise in Brocker/Nau sowie im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Intercultural German Studies, das in seiner Ausgabe im Jahr 2000 der Problematik interkulturellen Fremdverstehens und interkultureller Hermeneutik einen ausführlichen Themenschwerpunkt gewidmet hat (vgl. Wierlacher 2000). In der Einleitung zu letzterem betonen die Herausgeber der Sektion die Innovativität und die schnell anwachsende Relevanz der Fragestellung: Es ist faszinierend zu verfolgen, wie gegenwärtig das neue Forschungsgebiet seine ersten Konturen und Strukturen gewinnt. Noch befindet es sich in der Phase der Expansion und erfährt zurzeit eine thematische Ausweitung von unerwartetem Ausmaß. [...] Eine Sichtung der rasch anwachsenden Fachliteratur in unterschiedlichen Disziplinen macht deutlich, wie stark die theoretischen Ansätze und leitenden Konzepte voneinander abweichen. (Cesana/Eggers 2000: 243) Ähnlich der Unterscheidung in den Wissenschaftsdiskursen der Kulturphilosophie lassen sich auch die Beiträge aus dem Bereich der interkulturellen Philosophie nach dem Kriterium zueinander in Beziehung setzen, inwieweit sie eine Möglichkeit interkulturellen Verstehens zugestehen oder aber verleugnen. So lässt sich insbesondere in den kommunikationswissenschaftlich orientierten Beiträgen eine Tendenz erkennen, die gemeinhin davon ausgeht, dass ein Großteil der Interaktionsprobleme in interkulturellen Kontaktsituationen qua Kommunikation bewältigt werden könne: Vgl. die entsprechende Rezension des Verfassers dieser Arbeit in Busch 2003a. 105 Der Literaturwissenschaftler René Girard geht von einer definierten Prämisse des Fremdverstehens aus, nach der die Erzählungen anderer Kulturen nie unverständlich sein können. Girard zufolge könne in anderen Kulturen keine fundamental andere Rationalität herrschen als in der eigenen (vgl. Thomas 2000: 5). Dies war jedoch nicht immer so: Oswald Spengler hielt in seinem 1918 erstmals erschienen Werk Der Untergang des Abendlandes ein gegenseitiges transkulturelles Verstehen, bzw. Vergleichen für nicht durchführbar. Spengler zufolge hatte jede Kultur ihr eigenes Thelos, also ihre ei- 107

53 Viele von den Situationsbeteiligten im Bereich nationaler oder individueller Mentalität attribuierten Interaktionsprobleme lassen sich letztendlich doch auf Unterschiede im Kommunikationsverhalten zurückführen. (Müller 1995: 54) 106 Angesichts derartiger Postulate darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich erst auf der Grundlage derartiger Argumentationen ganze Forschungsrichtungen sozial- und sprachwissenschaftlicher Empirie sowie der interkulturellen Pädagogik legitimieren lassen. Ein zusätzlicher Erfolgsdruck auf der Suche nach Wegen interkultureller Verständigung entsteht durch die von einigen Ansätzen verbreitete Annahme einer solchen Verständigung als einer unabdingbare Voraussetzung für zukünftige konstruktive, gesellschaftliche Entwicklungen. 107 Zahlreiche Autoren halten es für angemessen, von derartigen Annahmen bereits implizit auszugehen, da sich eine theoriegeleitete Verwerfung der Möglichkeit einer Verständigung schlicht verbiete, sofern man davon ausgeht, dass Wissenschaften zur Förderung gesellschaftlichen Wohls betrieben werden sollten. Selbst wenn sich also die Möglichkeit einer interkulturellen Verständigung auf der Grundlage wissenschaftlicher Ergebnisse als noch so vage und marginal abzeichnete, geböten die Anforderungen der Realität eine weitere, ernsthafte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit dennoch gangbarer Wege. Ansätze der interkulturellen Philosophie hinterfragen zumindest die Universalität dieser soeben nachgezeichneten Argumentation und stellen zur Disposition, ob überhaupt angenommen werden dürfe, dass diese Notwendigkeit zur interkulturellen Verständigung universal von allen Kulturen geteilt und unterstützt werde. 108 gene Seele. Kulturen ließen sich daher auch nicht hierarchisch ordnen oder zueinander in eine sinnvolle Beziehung setzen (vgl. Spengler 1990, Boterman/Strupp 2000). 106 Für eine ähnliche Argumentation vgl. Becker-Mrotzek 2001: An dieser Stelle sei nur exemplarisch auf das Argumentationsmodell Samuel P. Huntingtons verwiesen, nachdem weltweite kulturelle Bruchlinien in Zukunft unweigerlich immer wieder zu Eskalationen gewaltsamer Konflikte führen werden, wenn sich nicht vorher Wege der konstruktiven kulturübergreifenden Kooperation finden (vgl. Huntington 1993, 1996). 108 So wird beispielsweise unterschiedlichen Roma-Gruppen in Europa immer wieder unterstellt, die zahlreichen Varietäten ihrer Sprache des Romani als Geheimsprache zu verwenden, eine Weitergabe der Sprache an Außenstehende zu unterbinden und auf diese Weise eine kulturelle Isolation aufrecht zu erhalten (vgl. Benninghaus 2002 für das Beispiel von Roma- Gruppen in Anatolien). Während der Volksmund Roma-Minderheiten damit bis in die Gegenwart hinein böswillige Absichten unterstellt hat und in dieser Handhabung des Sprachgebrauchs ein Argument für die Aufrechterhaltung eines prinzipiellen Misstrauens gegenüber den Roma fanden, dienten Geheimsprachen den Roma tatsächlich höchstens zum Schutz in Zeiten der Verfolgung. Derartige Beispiele für die Geheimhaltung der Sprachvarietät finden sich unter anderem im Fall früherer Roma-Verfolgungen in Finnland (vgl. Dirksen 2002). Gegenwärtig werden Roma-Dialekte in Europa jedoch nicht mehr als Geheimsprachen geführt. 108 Wenngleich diese Frage weiterhin offen bleiben muss, so mag jedoch als minimaler Konsens mit Paul Richards konstatiert werden, dass es keine Gewaltkulturen gibt. Richards zufolge verfügten demnach alle Gesellschaften über Mechanismen, die das gegenseitige Töten verhinderten (vgl. Richards 2002). Ein Töten im Rahmen von Kriegen könne nur dann erreicht werden, wenn Gewaltkulturen institutionell, also gezielt, geschaffen werden. Am Beispiel der Ausbildung von Terroreinheiten im Nahen Osten beschreibt Richards, dass im Rahmen kleiner Gruppen Gewaltkulturen gebildet werden könnten, indem die Mitglieder dieser Kleingruppen von der Außenwelt isoliert würden. Derartige Gruppen werden stark introvertiert und auf die Innengruppe fixiert ausgebildet. Zur Verhinderung von gewaltsamen Konfliktaustragungen müsse daher eine Veränderung dieser institutionalisierten Gewaltkulturen angestrebt werden. Richards zufolge könne dies beispielsweise dadurch erreicht werden, dass die isolierte Gruppe dazu gezwungen werde, sich zu restrukturieren (vgl. Richards 2002). Jürgen Bolten geht mit Schütz/Luckmann 109 davon aus, dass alle Sozialisationen Strategien zur Konfliktvermeidung und zum Konsenserhalt etabliert haben. Dies könne als universell angenommen werden und sei für den Erhalt von Gesellschaften unabdingbar. Daher könne auch davon ausgegangen werden, dass alle Gesellschaften ein Bedürfnis nach Konsens haben. Ob dabei auch ein Konsens mit den Nachbarn bestehen muss, bliebe jedoch unklar. Als eine Art Minimalkonsens plädiert Bolten daher für eine Akzeptanz von Dissens, also für ein Dissensbewusstsein, als Strategie in der interkulturellen Kommunikation (vgl. Bolten 2000). Auch Ludger Kühnhardt postuliert, dass es keine Kulturen gibt, die einen interkulturellen Dialog per se verweigerten. So existierten in jeder Kultur Individuen, die als Kulturmittler fungierten. Viele Kulturen beherbergen dagegen aber auch eine erhebliche Gruppe von Personen, die sich gegen einen interkulturellen Dialog sperren. Kühnhardt sieht das Problem also weniger in der Möglichkeit interkultureller Verständigung, sondern eher darin, mit dialogunwilligen Einzelper- So bescheinigt beispielsweise der Soziolinguist Dieter Halwachs österreichischen Roma-Gruppen eine Verwendung von Roma-Varietäten lediglich Zweitsprache in privaten Kontexten (vgl. Fennesz-Juhasz/ Halwachs/ Heinschink 1996). Auch der OSZE-Report zur Situation der Sinti und Roma weist bereits im Jahr 2000 darauf hin, dass eine angebliche Verweigerungshaltung der Roma gegenüber Angeboten zur Sprachförderung nicht überbewertet werden dürfe: [ ] the generalization that opportunities to study Romani languages are not a priority for Roma is overdrawn. While views on the importance of such programs vary among Roma, growing numbers place great value on preserving - and, in countries where use of Romani languages was long forbidden - reviving their own language. (OSCE 2000: 67). 109 Bolten verweist hier auf Schütz/Luckmann 1979: 25ff (vgl. Bolten 2000). 109

54 sonen in einen Dialog zu kommen. Kühnhardt nimmt dabei eine sehr universalistische Position ein, die er jedoch nicht weiter begründet (vgl. Kühnhardt 2002). Trotz dieser Überlegungen zu einem Minimalkonsens werden Annahmen über die Universalität eines Bedürfnisses nach interkultureller Verständigung in einigen relativistischen Ansätzen der interkulturellen Philosophie radikalisiert: Peter Weber-Schäfer erachtet die Annahme einer Universalie des Wunsches nach interkultureller Verständigung als eine zutiefst europäische Unterstellung. Wenn auch bereits die analogische Hermeneutik ein Modell zur Erreichung zumindest eines gewissen Verständigungsgrades als Universalie abgebe, so beinhalte dies noch nicht, dass zugleich auch das Streben nach einer interkulturellen Verständigung als positive Norm universal in allen Kulturen existieren müsse. Viele asiatische Kulturen hielten beispielsweise die Schaffung eines regen, positiven interkulturellen Austauschs gerade nicht für erstrebenswert (Weber-Schäfer 1997). Frank Liebe und Nadja Gilbert transzendieren diese Überlegungen gegenüber dem diskursiven Hintergrund westlicher, insbesondere bundesdeutscher Debatten zur Interkulturalität. Sie weisen darauf hin, dass insbesondere in Deutschland ein Diskurs der Political Correctness dazu sensibilisiere und verleite, bereits allein aufgrund der Beteiligung von Personen unterschiedlicher kultureller Herkünfte einen Konflikt zwingend als interkulturell bedingt auszulegen. In der Folge verpflichte der gesellschaftliche Diskurs zu einer erhöhten Hilfs- und Interventionsbereitschaft. Diese Suche nach, bzw. das argwöhnische Misstrauen gegenüber kulturell bedingten Konflikten erscheint den Autoren als ein spezifisch deutsches, kulturelles Phänomen (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 5). Eine derartige Aufmerksamkeit, bzw. ein derartiges Bedürfnis nach einer Bearbeitung interkultureller Konflikte lasse sich demnach nicht in allen Kulturen voraussetzen und erwarten. Neben diesen theoretischen Überlegungen manifestieren sich Ansprüche auf die Möglichkeit einer interkulturellen Verständigung jedoch auch bereits in konkreter Form in der internationalen Politik: In der Debatte um die Einführung und um die universale Gültigkeit der Menschenrechte 110 kann deren Universalitätsanspruch nur dann aufrechterhalten werden, wenn man zuvor von der Möglichkeit einer Verständigung zwischen den Kulturen ausgeht (vgl. Hinkmann 2000: 190). 111 In der Diskussion um eine interkulturell gültige Ethik der Menschenrechte erscheint eine Dekonstruktion ihrer moraltheoretischen Grundlagen erforderlich, auf der 110 Für eine Einführung in die Positionen der gegenwärtigen Debatte vgl. die Beiträge in Wolf Richard Rorty vertritt daher die Forderung, dass der Begründungsdiskurs um die Menschenrechte aufgegeben werden sollte und stattdessen eine Erziehung der Gefühle anzustreben sei (vgl. Hinkmann 2000: 206 mit Bezug auf Rorty universal anwendbare Rechte und Pflichten benannt, unterschieden und kategorisiert werden können (vgl. Pauer-Studer 2000). Zanetti unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen positiven und negativen Rechten, deren Übertragung auf den Bereich interkultureller Interaktion die Frage nach berechtigten Interaktionserwartungen bzw. verpflichtungen stellen würde (vgl. Zanetti 2000). 112 In dieser Debatte um kulturrelativistische gegenüber universalistischen Positionen erscheint jedoch eine völlig relativistische Position nicht vertretbar zu sein: akzeptiert man die Andersheit fremder Kulturen und hält man diese Andersheit für normativ wünschenswert, so muss man auch die Andersheit dieser Kulturen in ihrer Einstellung zur interkulturellen Kommunikation akzeptieren. Beinhalten diese also beispielsweise irgendwelche für die eigene Kultur inakzeptablen universalen Geltungsansprüche, so müsste man auch diese aufgrund der eigenen kulturrelativistischen Position hinnehmen (vgl. Hinkmann 2000: 190). Auf diese Weise verlören die in diesem Kontext interagierenden Individuen jedoch die Fähigkeit zu interkulturellen Bewertungen und Beurteilungen (vgl. Kap sowie Hansen 2003: 318ff), wodurch die eigene kulturelle Identität unterhöhlt und in Frage gestellt würde. Übertragen auf interkulturelle Kontaktsituationen zwischen Individuen ist hier zu überlegen, auf welche Weise sich universalistisch bzw. kulturrelativistisch orientierte Positionen und Verhaltensweisen in konkreten Interaktionen manifestieren. Denkbar ist beispielsweise eine Begründung durch die Accommodation Theory (vgl. Giles/Bourhis/Taylor 1977; Tajfel 1982): Ein Konvergenzverhalten entspräche nicht exakt der kulturrelativistischen Position, da man mit dieser Strategie seine ursprüngliche Position aufgibt. Dies ist aber nicht Bedingung für eine kulturrelativistische Position, in der die eigene Position als gleichwertig mit anderen Positionen betrachtet wird. Demgegenüber ist ein Divergenzverhalten auch nicht völlig kompatibel mit Universalismusansprüchen, weil Strategien der Divergenz wiederum eine Verschiebung der eigenen Position beinhalten, Universalismus-ansprüche dagegen nicht. Es wäre zu prüfen, ob Einzelpersonen relativistische respektive universalistische Einstellungen dispositiv vertreten oder ob sie sie erst situativ beziehen, also interaktiv entwickeln. In letzterem Fall gäbe es eine Übereinstimmung mit der Accommodation Theory. Angesichts der Fragestellung der vorliegenden Arbeit nach Wegen triadischer Verständigungsförderung im Sinne einer interkulturellen Mediation kann die Unterscheidung universalistischer und partikularistischer Tendenzen in der Theorie den Blick öffnen für die damit eventuell auch in konkreten Situationen verbundene Problemstellung: Im dritten Kapitel dieser Ar- 112 Für weiterführende Überlegungen vgl. die Arbeiten von Eike Bohlken zu einer interkulturellen Ethik (vgl. Bohlken 2001 und 2002). 111

55 beit werden in diesem Sinne mediatorische Strategien vorgestellt, die einen gezielten und kompetenten Umgang mit Universalismusansprüchen in interkulturellen Kontaktsituationen ermöglichen oder zumindest fördern sollen. Kulturtheoretisch orientierte Ansätze in der interkulturellen Philosophie transzendieren die an dieser Stelle referierten Diskurse im Hinblick auf das ihnen zugrunde gelegte Kulturverständnis und entlarven auch dessen partikulare, kulturelle Verwurzelung in westlichen Diskursen der Philosophie. Aus einer derartigen, kritischen Perspektive scheint häufig bereits die Sperrigkeit des in unserer Gesellschaft gefestigten Kulturbegriffs zu verhindern, dass darin eine interkulturelle Verständigung konzeptuell denkbar wird. 113 Die primäre Funktion des Kulturbegriffs scheint hier häufig darin zu bestehen, Abgrenzungen und Distinktionen zwischen Gruppen denken zu können. Sobald in den Diskursen der interkulturellen Philosophie die kulturelle Verhaftung dieses Denkmodells entlarvt ist, wird gleichzeitig auch der argumentative Weg zur Konzeption neuer Interkulturalitätsbegriffe geebnet und legitimiert, in denen auch die Frage nach der Legitimierbarkeit des eigentlichen Konzepts in unterschiedlichen kulturellen Kontexten berücksichtigt wird. Vergleicht man die Konzeptionen möglicher Wege interkultureller Verständigung in diesen Ansätzen der interkulturellen Philosophie mit den im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Ansätzen westlicher Kulturphilosophie, so zeigt sich, dass die Möglichkeiten interkultureller Verständigung in der interkulturellen Philosophie weitaus weniger problematisiert werden. Neuere Diskurse der interkulturellen Philosophie scheinen damit eine Tendenz der Kulturphilosophie fortzusetzen und konsequent weiterzuführen: Nachdem Möglichkeiten der Verständigung in der Kulturphilosophie zunehmend problematisiert wurden, die Suche nach gangbaren Wegen jedoch nie aufgegeben, sondern sogar entsprechend verstärkt wurde, gehen Ansätze der interkulturellen Philosophie häufig per se von einer Verständigungsund Dialogorientierung sowohl in der Theorie als auch in der Praxis aus. Die Frage nach Wegen interkultureller Verständigung scheint damit in den Diskursen sukzessive wieder entproblematisiert zu werden. In den folgenden Abschnitten sollen einige dieser Ansätze aus der Philosophie exemplarisch vorgestellt und diskutiert werden. 114 Mit Blick auf die Suche nach (triadischen) Formen interkultureller Ver- 113 Zu unterschiedlichen Konzepten und Begriffsformen interkultureller und transkultureller Kommunikation sowie cross-cultural, intercultural, transcultural, inter-ethnic communication sowie deren etymologische Herleitung vgl. Schramkowski 2001: Dabei geht es an dieser Stelle nicht um eine umfassende Darstellung des Spektrums kursierender Kulturbegriffe in den Sozialwissenschaften, sondern um eine Fokussierung auf Ansätze, die sich explizit mit Bedingungen des Kulturkontakts auseinandersetzen. Weitere Ausführungen finden sich in diesem Sinne darüber hinaus in den Beiträgen von Drechselt et al ständigungsförderung soll hier außerdem bereits überlegt werden, auf welche Weise eventuell das Alltagsverständnis kultureller Bedingtheiten von Interaktanten im Sinne der verständigungsorientierten Ansätze gegebenenfalls modifiziert werden kann, so dass mit Hilfe dieser Ansätze interkulturelle Kontaktsituationen bereits selbst als weniger problemgeladen und verständigungsresistent eingeschätzt, gerahmt und angegangen werden können. Darüber hinaus ist jedoch zu überlegen, inwieweit den Möglichkeiten dritter Personen hier Grenzen ihrer Vermittlungsfähigkeit gesetzt sind Verständigung durch Transkulturalität (Welsch) Im Sinne der im vorangegangenen Abschnitt nachgezeichneten Verwerfung westlich-kulturell verwurzelter und problemorientierter Ansätze zur interkulturellen Verständigung schlägt Wolfgang Welsch als neues Kulturmodell ein von ihm als solches bezeichnetes Konzept der Transkulturalität (Welsch 1999; 2002) vor. Welsch zufolge ist die heute in westlichen Ansätzen vertretene Kulturauffassung immer noch von den Annahmen Herders geprägt: Ethnische Fundierung, soziale Homogenisierung und Abgrenzung nach außen kennzeichnen diesen Kulturbegriff. Vor dem Hintergrund der heutigen Annahme einer hochgradigen Binnendifferenzierung von Kulturen erscheinen Welsch derartige Konzepte jedoch nicht mehr haltbar. Welsch zufolge müssen Kulturen dagegen jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur gedacht werden. So sei auch der Begriff der Interkulturalität nur aus dem Bedürfnis heraus entstanden, dem als unzutreffend empfundenen Herderschen Kulturkonzept etwas entgegensetzen können. Herders Konzept ging demnach davon aus, dass Kulturen wie geschlossene Kugeln oder Inseln geformt seien, die einander abstoßen, sobald sie miteinander in Kontakt kommen (vgl. Welsch 2002). Konflikte sind in diesem Verständnis vorprogrammiert, so dass der Begriff der Interkulturalität Welsch zufolge gerade zu dem Zweck eingeführt worden sei, alle Aspekte benennen zu können, mit deren Hilfe sich dieses durch das Kulturmodell statuierte Problem zumindest mildern ließen. Welsch zufolge sind diese Milderungen im Sinne von Interkulturalität (und auch Multikulturalität) jedoch nur kosmetischer Natur, sie erfassen das Problem nicht im Kern, sie sind nicht radikal genug. Das Herdersche Kugelkonzept begreift Kulturen jedoch als verständigungsunfähig, so dass Kommunikation zwischen den Kulturen bereits aufgrund dieses Strukturproblems scheitern müsse (vgl. Welsch). Während dieses Kulturkonzept von Kulturen in den Wissenschaftsdiskursen der neunziger Jahre ohnehin als überholt gelten darf, müsse Welsch zufolge jedoch berücksichtigt werden, dass diese Auffassung im Alltagsverständnis jedoch auch als Verwendung in vielen Wissenschaftsbegriffen westlicher Gesellschaften immer noch fortlebe. Moderne Kulturen beinhalten jeweils eine Vielzahl von Lebensformen und Lebensstilen, so 113

56 dass Welsch zufolge heute ein Diskurs von einem Netzwerk der Kulturen oder von einer Vernetzung der Kulturen angemessener erscheint. In diesen Konzepten ist kulturelle Zugehörigkeit nicht mehr an Abstammung oder an Territorien gebunden, und auch die Gleichsetzung von Nationalstaatlichkeit und Kulturalität erscheint obsolet. Welsch schließt daraus, dass heutige Kulturalität keiner weiteren Stütze dieser Art mehr bedarf und daher nun tatsächlich als kulturell bedingt angenommen werden kann. Stabile Kategorien von Eigenheit und Fremdheit haben in einer solchen Kulturauffassung keinen Sinn mehr, da eine interdependente Globalkultur entstanden ist. Welsch rekurriert hier auf psychoanalytische Argumentationen, nach denen Fremdenhass durch Selbsthass entsteht: Fremde werden demnach für die Eigenschaften gehasst, die man auch an sich selbst wiederfindet. Dieses Wiederfinden kann jedoch nur in einer Transkulturalität zustande kommen, es bestätigt den Netzwerkcharakter der Kulturen. Transkulturalität bedeutet in diesem Sinne nicht eine Uniformierung, sondern nur eine Modifizierung der Vielheit, so dass eine Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen transkulturellen Zuschnitts verbleibt. Transkulturalität ist Welsch zufolge wie interkulturelle Kommunikation anstrengend, aber dennoch immer noch als geringeres Übel einzuschätzen: Gewiss enthält dieses Konzept Zumutungen gegenüber lieb gewonnenen Gewohnheiten wie die heutige Wirklichkeit überhaupt. Im Vergleich zu anderen skizziert es aber den am ehesten gangbaren Weg. (Welsch 2002) Verständigung durch kulturelle Überlappungen (Mall/Holenstein) Auch Ram Adhar Mall versucht in seinem Konzept der interkulturellen Überlappungen die Homogenitätsauffassung früherer Kulturbegriffe aufzulösen. 115 Mall orientiert sich dabei zunächst an Ansätzen interkulturellen Fremdverstehens auf der Grundlage einer analogischen Hermeneutik. Hier wird davon ausgegangen, dass sich Angehörige zweier Kulturen nie in einem absoluten Maße fremd seien. 116 Aufgrund ihrer Pluralität und der Schnelllebigkeit haben demnach die heutigen Gesellschaften einen enormen Konsensbedarf. Dieser könne jedoch nur auf einer übergeordneten Ebene erzielt werden, nämlich indem sich Gesellschaften darauf einigten, Vielfalt zu akzeptieren. 115 Weiterführungen und konkrete Umsetzungen dieses Konzept finden sich beispielsweise bei Jürgen Bolten, der sich auf Mall bezieht und von einer Einheit angesichts der Vielfalt spricht (vgl. Bolten 2000). 116 Der Herausforderung, absolute Andersheit zu denken, hat sich die Menschheit dennoch schon immer in verschiedenen Bereichen gestellt, beispielsweise im Unendlichkeitsbegriff der Mathematik und in der absoluten Andersheit des christlichen Gottes gegenüber den Menschen. Oder bezieht die europäische Kultur aus diesen Beispielen gerade die Erfahrung und eine Bestärkung der Annahme, dass absolute Andersheit undenkbar ist? (vgl. Staguhn 2001). 114 Auch Elmar Holenstein (vgl. Holenstein 1985) zeigt anhand früherer Ansätze zur Verstehensproblematik in der westlich-europäischen Literatur kontinuierliche Entwicklungen auf, die langfristig dazu geführt haben, dass unterschiedliche Kulturen auch heute in den meisten Fällen nur noch in Form von Antipoden gedacht werden können. Vor dem Hintergrund derartiger Denkschemata lässt sich die Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens nur noch mit Mühe rational begründen und legitimieren. Holenstein dagegen geht davon aus, dass unterschiedliche Kulturen über einen weitaus größeren Anteil an Unversalien verfügen als bisher angenommen. Derartige Universalien seien jedoch selten absolut, wie es die logische Konzeption des Terminus eigentlich vorschreibt. Universalien nach dem Verständnis Holensteins treten lediglich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein, die nicht logisch, sondern psychologisch und biologisch zu begründen sei (vgl. Holenstein 1985: 126). Universalien in diesem Sinne entstünden darüber hinaus nicht aus einer einzigen Kultur heraus. Stattdessen trügen in der Realität meist mehrere Kulturen zu ihrer Entstehung bei, so dass zugleich auch wiederum eine Pluralität von Partikularien gewährleistet sei. Viele dieser als kulturell erachteten Merkmale sind Holenstein zufolge daher in den meisten Kulturen bereits vorhanden. Lediglich der Stellenwert, der einem spezifischen Merkmal in einer Kultur zugestanden werde, sei mehr oder weniger ausgeprägt (vgl. Holenstein 1985: 137). So zeichnet Holenstein am Beispiel sprachwissenschaftlicher Entwicklungen mögliche Entstehungsprozesse von Universalien nach. Exemplarisch können in diesem Rahmen die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache und die damit einhergehende Diversifizierung sowohl ihres Sprachbildes als auch ihrer Einsatzmöglichkeiten herangezogen werden. Kulturkontakte und gegenseitige Beeinflussungen von Kulturen untereinander finden Holenstein zufolge permanent statt. Universalien im Sinne Holensteins können bereits als Produkt von und zugleich als Beweis für die Möglichkeit interkultureller Verständigung gesehen werden. Während Holenstein davon ausgeht, dass ein Großteil potentieller kultureller Merkmale für alle Kulturen zumindest bereits verfügbar ist, und im Falle kulturellen Wandels nur durch Inspiration von außen stärker betont werden muss, gesteht Ram Adhar Mall in seiner Konzeption einer interkulturellen Philosophie lediglich die Existenz einer Reihe von partiellen Überlappungen zwischen zwei Kulturen ein. Bernd Müller-Jacquier vertritt ein ähnliches Konzept zur Beschreibung interkultureller Gemeinsamkeiten, fügt dieses jedoch in ein interaktionistisches und konstruktivistisches Konzept interkultureller Kommunikation ein. Müller-Jacquier spricht in diesem Sinne von kulturellen Überschneidungssituationen Für eine Auseinandersetzung mit definitorischen Spezifika des Begriffs kultureller Überschneidungssituationen vgl. Winter

57 Handlungstheoretisch betrachtet sei hier davon auszugehen, dass an einer Situation beteiligte Personen ihre Wahrnehmungen zumindest einer gemeinsam zugrunde liegenden sozialen Wirklichkeit entnehmen. Diese Wirklichkeit wird von jedem Individuum sofort unterschiedlich interpretiert, aber bis zum Beginn dieser Interpretationsleistung könne sie als gleich angenommen werden (vgl. Müller 1995: 45). Die Metapher kultureller Überschneidungen erscheint aus dieser Perspektive sehr plausibel: Beide Kulturen haben in einem relevanten Moment zumindest diese singuläre Situation gemeinsam. Mall zufolge müssen die Interaktanten demnach bereit sein, nach kulturellen Überlappungen zu suchen, um dann auf dieser Basis weiteren Zugang zu einer Fremdkultur erlangen zu können (vgl. Mall 2000: 315). Zur Herstellung interkulturellen Verstehens fordert der Ansatz der interkulturellen Philosophie Malls eine permanente Bewusstmachung der Dialogizität des Verstehensprozesses sowie der Relativität der eigenen Position (vgl. Mall 2000: 314). Damit einher geht ein Verzicht auf Überzeugungsbemühungen im Dialog und stattdessen eine Ausübung permanenter Zurückhaltung (vgl. Mall 2000: 316). Um dennoch nicht einem absoluten Relativismus anheim fallen zu müssen, plädiert Mall für den Erhalt eines inneren Absolutheitsanspruchs, der zugleich die Existenz dieses Anspruches auch bei anderen Gruppen akzeptiere (vgl. Mall 1997: 84). Für Mall kann interkulturelle Verständigung in diesem Sinne nur unter dem Verzicht auf Konsens erfolgen (vgl. Mall 1997: 79). Bemerkenswert ist die jeweils unterliegende topologische Vorstellung, die dem Begriff von interkultureller Erziehung unbemerkt eine je charakteristische Fassung verleiht. Es lassen sich zwei Auffassungen unterscheiden: Die eine geläufigere geht von einem Kontakt, auch Konflikt zwischen Kulturen aus und fordert eine Überwindung dieser Barriere, die offenbar als Grenze zwischen Flächen oder Räumen vorgestellt wird. Eine andere vermutet zwischen den implizit als Flächen oder Räumen gedachten Kulturen einen Zwischenraum, der mit etwas anderem gefüllt ist als Kulturellem. Dann kann dort, in diesem leeren Zwischenraum, etwas Neues jenseits der Bindungen an jeweils eine spezifische Kultur entstehen. (Nieke 1995: 28-29). Von einer dritten Kultur geht auch Michael Berry in seinem ethnographisch orientierten didaktischen Modell aus (vgl. Berry 1998): Er bezeichnet diese dritte Kultur metaphorisch als dritten Raum, in den Fremdsprachenlerner durch eine Grenzüberschreitung eintreten müssen. Auch Berry unterstellt dabei die Existenz kultureller Überlappungen, die linguistische Defizite kompensieren können (vgl. Berry 1998: 6). Der Eintritt in eine Fremdkultur erfolgt Berry zufolge immer an einem bestimmten Einstiegspunkt, von dem aus die Kultur dann weiter erkundet werden kann (vgl. Berry 1998: 4, 6). Damit beim Sprachenlernen Berrys Anwendungskontext die interkulturelle Kompetenz mit geschult wird, müssen die Lernenden sich permanent selbst beobachten können. Das will Berry mit einem zyklischen Modell ermöglichen: Die Studenten bearbeiten, diskutieren und reflektieren Critical Incidents individuell und allein sowie gemeinsam in einer Gruppe Verständigung durch third culture-konzepte (Casmir/ten Thije) Insbesondere interaktionstheoretische Ansätze zur interkulturellen Kommunikation konzipieren interkulturelle Verständigung häufig als Konstitution einer temporär gültigen dritten Kultur, in der nicht lediglich einzelne Spezifika der Ursprungskulturen der Interaktionspartner miteinander kombiniert werden, sondern in der auch neue Kommunikationsregeln geschaffen werden. 118 Karlfried Knapp bemängelt in diesem Zusammenhang die generell zu wenig präzisierte Beschreibung einer solchen third culture (Knapp 1998), die Interaktionspartner im interkulturellen Kontakt herausbilden könnten. Eine Abgrenzung und eine Beschreibung dieses Kulturbegriffs findet sich jedoch bei Wolfgang Nieke: 118 Vgl. die Ersteinführung des Begriffs der third culture bei Fred Casmir (vgl. Casmir 1978 sowie Casmir o.j.). Exemplarisch für Arbeiten, die auf diesem Konzept aufbauen und es empirisch operationalisieren vgl. Koole/ten Thije 1994 und ten Thije Die Autoren sprechen hier von einer ähnlich gelagerten Interkultur. Alois Wierlacher widersetzt sich diesem Konzept mit dem Argument, dass die Elemente der ursprünglichen Kulturen im interkulturellen Kontakt dennoch nicht verloren gingen (vgl. Wierlacher/Hudson-Wiedenmann 2003: 230)

58 Abbildung 2: Cyclical ethnographic strategies for discovering and interpreting cultural meaning (Berry 1998: 11). Nach jedem weiteren Critical Incident müssen dann die früheren Critical Incidents sowie deren frühere Interpretationen mit dem neu erworbenen interkulturellen Wissen interpretiert und aktualisiert werden. Auf diese Weise wird immer wieder zyklisch auf frühere Stadien rekurriert (vgl. Berry 1998: 11). Wichtig ist für Berry die ethnographische Herangehensweise: Mittels Selbstbeobachtung auf dem schrittweisen Weg von der eigenen in die fremde Kultur wird Fremdheit und ihr genaues Ausmaß fassbar. Grundsätzlich erscheint Fremdverstehen aus ethnologischer Perspektive zwar nicht möglich, doch Berry geht davon aus, dass in diesen multiple third spaces (Berry 1998: 11) sowohl das Selbst als auch der Andere als Fremde zueinander kommen: Interlocutors may have command of a common language, but there are multiple third spaces within which we are strangers to each other and to ourselves. (Berry/Markowski 2002: 229) (vgl. Abbildung 2). 2.4 Synopse: Zielstellungen interkultureller Verständigung Die diskursanalytisch orientierten Betrachtungen des zweiten Kapitels haben versucht, die diskursive Konstruktion einer relevanten Problemstellung interkultureller Verständigung an exemplarisch ausgewählten Ansätzen nachzuzeichnen. Auf der Grundlage gesellschaftstheoretischer Annahmen werden in den Wissenschaftsdiskursen kulturphilosophische Überlegungen zur generellen Möglichkeit von Fremdverstehen für eine wissenschaftliche Einordnung der gesellschaftlichen Rolle von Interkulturalität relevant. Darauf aufbauend wurden im Bereich der kulturwissenschaftlichen Ansätze Beschreibungen zum Fremdverstehen entwickelt, in denen auch die Übertragbarkeit dieses beschreibenden Modells selbst auf fremdkulturelle Kontexte überprüft wird. Implizit wird bei dieser Nachverfolgung des gesamten Diskursstranges deutlich, dass offenbar grundsätzlich von einer Erwünschtheit interkultureller Verständigung ausgegangen worden ist. Je unwahrscheinlicher eine derartige Verständigungsmöglichkeit von den jeweils vorherrschenden Paradigmen in Aussicht gestellt wurde, desto komplexer wurden gleichzeitig die Modelle, mit denen Annäherungen an ein Fremdverstehen dennoch erreicht werden könnten. Darüber hinaus können innerhalb der Wissenschaftsdiskurse jedoch auch häufig implizite Annahmen darüber herausgefiltert werden, zu welchen konkreten Zielen eine Herstellung oder eine Verbesserung interkultureller Verständigung dienen könnte. Wenngleich im zweiten Kapitel dieser Arbeit lediglich die diskursive Konstruiertheit des Bedarfs nach interkultureller Verständigung aufgezeigt werden sollte, kann ein synoptischer Überblick über unterschiedliche angenommene Ziele und Teilziele zu einem tieferen Verständnis und zu einer komplexeren Einbettung dieser Bedarfsschaffung in allgemeine sozialwissenschaftliche Diskurse dienen. In einer ersten Unterscheidung sollen im folgenden Abschnitt zunächst Zielstellungen interkultureller Kommunikation auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene benannt und diskutiert werden. Im Anschluss folgen Überlegungen zu Zielstellungen in der interkulturellen Individualkommunikation, die sich von den gesellschaftlichen Zielen in erheblichem Maße unterscheiden können Zielstellungen auf gesellschaftlicher Ebene Vergesellschaftung Gegenwärtige Theorien, die beschreiben, auf welche Weise sich Gesellschaften bilden, formieren und aufrechterhalten, argumentieren meist aus einer diskurstheoretischen Perspektive. So begreift beispielsweise Jürgen Habermas eine argumentative Verständigung in modernen Gesellschaften als Grundlage sozialer

59 Existenz. 119 Argumentative Verständigung erscheint hier als einzige Methode zur Konstituierung von Gesellschaften und als einzig denkbare Möglichkeit einer gewaltfreien Konfliktlösung (vgl. Kopperschmidt 2000). 120 Derartige Zielstellungen einer diskursiven Vergesellschaftung lassen sich eventuell auch auf den Kontext interkultureller Kommunikation übertragen. So wäre beispielsweise ein Ansatz denkbar, nach dem zur interkulturellen Verständigung gesamter, größerer Gruppen beispielsweise in Grenzregionen ein Vergesellschaftungsprozess erforderlich wäre: Sollte Verständigung entstehen, dann müssten sich die Angehörigen der betroffenen Gruppen im Grenzkontakt zu einer neuen Gemeinschaft zusammen-finden (vgl. Kaiser 2001). Kulturalismus Klaus P. Hansen unterstellt den derzeitigen geisteswissenschaftlichen und gesellschaftsübergreifenden Debatten in der westlichen Welt einen Hang zum Kulturalismus: Kulturbedingte Begründungen dienen zur Erklärung fremden und zur Legitimation eigenen Handelns (vgl. Hansen 2003: 334). Auf diese Weise mag zumindest bis zu einem gewissen Grad ein gesellschaftliches Erklärungsmuster konstruiert worden sein, auf dessen Konto gegenwärtig qua gesellschaftlichen Konsenses sehr viele, nach einer Lösung drängende Problemstellungen verbucht werden. Erklärt eine Gesellschaft interkulturelle Verständigung zu einem erstrebenswerten Ziel, so könnte daraus rückgeschlossen werden, dass diese Gesellschaft auf diese Weise versucht, die Probleme zu lösen, die sie zuvor dem thematischen Komplex der Interkulturalität zugeschrieben hat. Konfliktvermeidung Gesellschaften scheinen immer dann für ein Stärken und Intensivieren interkultureller Verständigung zu plädieren, wenn sich eine instabile gesellschaftspolitische Lage ergibt, in der diese Gesellschaften Gefahr laufen, selbst Schaden zu nehmen. Dieser Schaden kann sich manifestieren in einer Verwicklung in einen kostenintensiven Krieg (Hier seien Kosten jeder Art bedacht), in Opportunitätskosten aufgrund minderoptimaler internationaler Kontakte und Verflechtungen (Wenn beispielsweise Deutschland in China einen zukünftigen wirtschaftlichen Wachstumsmarkt sieht, dann werden als eine der ersten Maßnahmen die Schüleraustausche dorthin verstärkt gefördert), oder auch nur in einer ethisch nachteilhaften Position 119 vgl. hierzu auch die Überlegungen von Habermas auf rechtsphilosophischem Gebiet: Habermas Für eine Einführung in Positionen zur diskursiven Vergesellschaftung vgl. die Beiträge in Giegel eines Außenstehenden angesichts der Existenz schädigender Konflikte zwischen dritten Staaten und Gesellschaften. Unter letzteren Fall können beispielsweise alle öffentlich geförderten Maßnahmen zum Wiederaufbau nach Kriegen oder zur Errichtung von Demokratien in Drittstaaten zählen. So verfolgt beispielsweise das Südosteuropäische Medienzentrum (SOEMZ) der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) das Ziel des Aufbaus eines demokratischen und konsolidierten Mediensystems in Südosteuropa. Als Fernziel darf dabei die Prävention späterer gewaltsamer Konflikte miteingeschlossen werden. 121 Dieses Ziel interkultureller Verständigung unterstellt reinen Opportunismus, erscheint jedoch nachvollziehbar (vgl. Hansen 2003: 342). Horizonterweiterung Klaus P. Hansen bescheinigt, dass bereits die Phänomenologie Vorteile des Fremdverstehens klar herausarbeitet: Der Erkennende verliert die Naivität, das Eigene für das Einzige zu halten (Hansen 2003: 334). Die Hermeneutik beinhaltet Hansen zufolge jedoch zu geringe und unpräzise Prämissen darüber, was unter Fremdheit zu verstehen sei. Aus Sicht der Hermeneutik kann keine konzeptionelle Unterscheidung zwischen intra- und interkulturellem Fremdverstehen getroffen werden (vgl. Hansen 2003: 335). Aus dieser Sicht könnte der Annahme zugestimmt werden, dass Fremdverstehen eine toleranzfördernde Wirkung habe. Warum jedoch unbedingt interkulturelles Fremdverstehen erforderlich ist, kann mit Mitteln der Hermeneutik nicht begründet werden. Hier ließe sich argumentieren, dass auch toleranzfördernden Maßnahmen wie Anti-Gewalt-Trainings, Betzavta (vgl. Ulrich, Henschel, Oswald 1999), etc. gemeinhin eine Auswirkung auf interkulturelle Kompetenz zugeschrieben wird: Die persönliche Kompetenz der Individuen wird gestärkt, so dass sie auch in komplexeren Situationen wie Kontakten zwischen Kollektiven kompetenter auftreten können. Wissensbedarf Wenngleich Studien zur interkulturellen Kommunikation zur Begründung von Wissenschaftlichkeit gelegentlich versuchen, von einer Interesselosigkeit des Forschers auszugehen, so muss doch eingestanden werden, dass Gesellschaften mit einer nicht unerheblich wiegenden Fragestellung nach der Beschaffenheit von Interkulturalität und fremden Kulturen an die Wissenschaft herantritt (vgl. Müller 1995: 43). 121 Für eine Kritik derartiger Hilfsinterventionen und eine Argumentation für deren Wirkungslosigkeit vgl. Meier

60 2.4.2 Zielstellungen auf der Ebene individueller Einzelkontakte Geht man davon aus, dass interkulturelle Verständigung auf der Basis vieler individueller Einzelkontakte aufbaut, dann ist zu berücksichtigen, dass die wenigsten Individuen in Kontaktsituationen an Makroziele auf gesellschaftlicher Ebene denken, sondern dass sie statt dessen bestrebt sind, die eigene Situation kompetent, bzw. möglichst angenehm und im Hinblick auf die eigenen Ziele und Idealvorstellungen erfolgreich zu gestalten. Auch wenn interkulturelle Kommunikation nicht in allen Einzelfällen als solche identifizierbar und abgrenzbar sein mag, so kann doch auch von einem gesellschaftlichen Problembewusstsein angesichts dieses Phänomens gesprochen werden. Den Problemen stellt die Gesellschaft Idealvorstellungen gegenüber, die von Individuen optional angestrebt werden können: Ökonomische Ziele Unternehmensführer unterziehen ihre Angestellten in der Regel interkulturellen Trainings nicht primär mit dem Ziel, einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten, sondern um ihren unternehmerischen Gewinn zu maximieren. Personale Kompetenz auch in interkulturell bedingten Situationen wird als eine notwendige Bedingung für unternehmerischen Erfolg gewertet und lohnt daher Investitionen zur Optimierung. 122 Sozialer Erfolg Die Fähigkeit zur zielgerichteten Verständigung und zur Kommunikation wird von Individuen zur Erreichung sozialen Erfolgs eingesetzt. Kommunikativer Austausch dient der Herstellung und Pflege sozialer Beziehungen und Bindungen. Persönliche Wertschätzung und individuelle Akzeptanz werden in der Alltagwelt qua gegenseitiger Kommunikation erreicht. Diese Ziele können auch auf den Sonderfall interkultureller Kommunikation übertragen werden. Umgekehrt sollten destruktive Konfliktverläufe präventiv vermieden, bzw. transformiert werden können. 123 Bis zu diesem Punkt wurden im Verlauf der vorliegenden Arbeit Aspekte der diskursiven Konstruiertheit eines gesellschaftlich empfundenen und wissenschaftlich begründeten Bedarfs nach einer Herstellung und einer Verbesserung von Wegen interkultureller Verständigung aufgezeigt. Im Hinblick auf Wege interkultureller Mediation sollte hier gezeigt werden, dass die Beschaffenheit des Bedarfs nach Mediation und die Annahme mit Mediation zu lösender Probleme aus sozialen und akademischen Diskursen resultiert. Einschränkend muss an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass ein ideengeschichtlich begründeter Bedarf nach interkultureller Verständigung nicht als einziges Motiv für eine Problematisierung von Interkulturalität in der westlichen Welt gesehen werden darf. So deutet beispielsweise Jochen Rehbein an, dass spätestens seit dem Beginn des Kalten Krieges von Seiten der US-amerikanischen Politikwissenschaft ein klares, zweckgerichtetes Interesse an Konzepten internationaler Kommunikation (Rehbein 1985b: 8) bestanden habe, in dessen Dienst sich ein Großteil der in diesem Zeitraum publizierten Forschungsarbeiten unumwunden stellte. 124 Im weiteren Verlauf verortet Rehbein die Zielstellung zahlreicher US-amerikanischer Arbeiten im Dienst US-amerikanischer Außenpolitik, 125 weltweit operierender Wirtschaftsunternehmen sowie einer assimilatorischen US-Pädagogik (Rehbein 1985b: 9). 126 Der Forschungsbereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation (vgl. Tiittula/Reuter/Schröder 1991; Bolten 1999) hat sich darüber hinaus zu einem wesentlichen Standbein des Diskurses zur interkulturellen Kommunikation entwickelt. Wenngleich hier eine Verbesserung interkultureller Kommunikation in Unternehmenskontexten angestrebt wird, so zählt doch eine Übervorteilung qua Kommunikation längst nicht mehr zu den Zielstellungen seriöser Forschung auf diesem Bereich. Der in der vorliegenden Arbeit skizzierte gesellschaftlich empfundene Bedarf trifft in der westlichen Welt am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts auf ein praktisches Verfahren zur diskursiven Bearbeitung von Konflikten, das als Mediation bezeichnet wird. Ähnlich wie der Bedarf nach interkultureller Verständigung in unterschiedlichen einbezogenen Wissenschaftsbereichen konstruiert worden ist, so unterliegt auch die Entwicklung des Mediationsverfahrens, die sich verglichen mit den nachgezeichneten Verstehenstheorien eher aus Verschriftlichungen praktischer 122 Mit der Verbesserung betrieblicher interkultureller Kommunikation befasst sich insbesondere der Forschungsbereich Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Zur Geschichte dieses Fachs vgl. Bolten 1999 sowie Reuter This rather programmatic point of view is based on the desire to develop a type of communication which is not ridden by conflicting perceptions of the world and resulting clashes of interest, but rather by the assumption that anticipation of conflicts might facilitate their solution or might even help avoid them to a large extent. (Harden/Witte 2000: 12) Rehbein verweist hier auf Arbeiten von K.W. Deutsch (Deutsch 1953) sowie auf Glenn 1954, der Protokolle einer UN-Vollversammlung im Hinblick auf Missverständnisse untersucht hat (vgl. Rehbein 1985b). 125 Rehbein verweist hier auf Yousef/Briggs Rehbein verweist hier auf Hoopes 1973, Prosser 1973, Condon/Yousef 1975 und Smith/Luce

61 Erfahrungen speist, dem Einfluss diskursiv konstruierter Ideale über Formen der Konfliktbearbeitung. In der vorliegenden Arbeit soll dabei die These vertreten werden, dass sich sowohl die Diskurse um die Problemstellung interkultureller Verständigung als auch die Diskurse um soziale Annahmen von Idealformen der Konfliktbearbeitung im Sinne einer Mediation am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts einander so weit angenähert haben, dass eine Übertragung des praxisorientierten Konzepts der Mediation auf den Problemkontext der interkulturellen Kommunikation immer näher zu liegen scheint. Ein Grund für diese Annäherung mag in der gemeinsamen Grundlage gesellschaftstheoretischer Annahmen über Normen sozialen Zusammenlebens in westlichen Kulturen gesehen werden. Des Weiteren soll jedoch die These vertreten werden, dass die Annäherung der beiden Konzepte interkultureller Problematik und Konfliktmediation noch nicht weit genug vorangeschritten ist, als dass eine sinnvolle, unmodifizierte Übertragung der Konzepte aufeinander möglich werden könnte. Mit anderen Worten bleibt anzuzweifeln, ob eine Übertragung des (intrakulturellen) Konzepts der Mediation mit höchstens geringfügigen Modifizierungen auf den Kontext der Zielstellung interkultureller Verständigung zu dem erhofften Ausmaß an gesellschaftlichen Lösungen führt. Bevor zu Beginn des vierten Kapitels eine Kritik am Versuch dieser Übertragung sowie eine Erweiterung des Konzepts interkultureller Mediation vorgeschlagen werden sollen, wird im folgenden, dritten Kapitel versucht, zumindest anhand einiger exemplarischer Arbeiten die diskursive Entwicklung des Mediationsgedankens in westlichen Kulturen nachzuzeichnen. 3 Die diskursive Entwicklung deduktiver Konzepte interkultureller Mediation Das vorangegangene Kapitel hat aus unterschiedlichen Perspektiven aufzuzeigen versucht, vor dem Hintergrund welcher, teilweise historisch in den Wissenschaftsdiskursen entwickelter, sozialer Bedürfnisse und Zielstellungen sich ein allgemeines Interesse am Zustandekommen interkultureller Verständigung herausgebildet hat. Prototypisch herangezogen wurden zu dieser diskursanalytisch inspirierten Betrachtung theoretische Konzepte aus den Bereichen kulturwissenschaftlich ausgerichteter Philosophie sowie der interkulturellen Philosophie. Bei diesen Beobachtungen wurde zunächst hypothetisch davon ausgegangen, dass die Idee einer interkulturellen Mediation zu einem großen Teil deshalb gegenwärtig von westlich-europäischen Gesellschaften als besonders attraktiv wahrgenommen wird, weil diese Gesellschaften zuvor einen Bedarf nach einer Problembearbeitung interkultureller Verständigung entwickelt haben, für dessen Befriedigung sie ein Konzept interkultureller Mediation als besonders geeignet einschätzen. Die diskursive Entstehung und Entwicklung dieses Bedürfnisses nach interkultureller Verständigung sowie entsprechender Vorstellungen über die Beschaffenheit sowie die Zielstellungen einer solchen Verständigung wurden insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften vorangetrieben. Dieses zunächst auf akademischem Wege hergestellte Wissen wandelte sich im Anschluß vielfach teilweise aufgrund unterschiedlicher didaktischer Maßnahmen in gesellschaftliches Wissen. Darüber hinaus erscheinen für diese soziale Generierung der Idee einer interkulturellen Mediation auch diskursive Entwicklungen auf dem Gebiet von Forschung und Praxis der Mediation relevant: Gemäß den im zweiten und dritten Kapitel nachgezeichneten Entwicklungstendenzen nähern sich die Zielstellungen und die vorgeschlagenen Strategien zum Erreichen dieser Ziele in den Diskursen zur interkulturellen Verständigung sowie zur Konfliktmediation einander an. Der Gedanke an eine Übertragung des Konfliktbearbeitungskonzepts der Mediation auf dem Bereich interkultureller Verständigungsproblematik liegt angesichts dieser Entwicklung zunehmend nahe. Neben den Wissenschaftsdiskursen zur interkulturellen Kommunikation werden im folgenden Kapitel Diskurse aus der Wissenschaft und der Praxis der Konfliktmediation als zweiter großer Bereich hinzugezogen und beschrieben, in dem Ideen zur interkulturellen Mediation generiert und verdichtet werden. Im folgenden Kapitel wird daher zunächst versucht, die Entstehung des (intrakulturellen) Mediationsgedankens zumindest kursorisch zu skizzieren. Nach einer chronologischen Beschreibung diskursiver Tendenzen und Entwicklungslinien in diesem Bereich werden darüber hinaus in den Abschnitten 3.3 bis 3.7 einzelne Aspekte dieser

62 Diskurse herausgegriffen, die für die Möglichkeit einer Übertragung des Konzepts sprechen. Formen bereits praktizierter Übertragungen von Mediation auf den Bereich interkultureller Problemstellungen werden anschließend in Abschnitt 3.8 beschrieben und einer Kritik im Hinblick auf die modellhafte Erklärungskraft unterzogen. Modelle interkultureller Mediation, die auf einer Übertragung des Konfliktbearbeitungsverfahrens auf interkulturelle Kontexte aufbauen, sollen in dieser Arbeit als deduktive Konzepte interkultureller Mediation bezeichnet werden: Während die Grundidee der Mediation in ihnen als a priori existent angenommen wird, versuchen diese Konzepte eine Übertragung auf Einzelfälle in interkulturell bedingten Kontexten. Im Anschluss folgt eine kritische Betrachtung dieser deduktiven Konzepte interkultureller Mediation. Die Grunddefinitionen von Mediation scheinen sich innerhalb der Vielfalt der zu Beginn des 21. Jahrhunderts erscheinenden Ratgeberliteratur 127 zur erfolgreichen Anwendung von Mediation in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten häufig zu ähneln. Viele der Ratgeber, die zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Arbeit erschienen sind, beziehen sich beispielsweise auf eine Definition von Altmann/Fiebiger/Müller Sie beschreiben Mediation als ein: Verfahren der Konfliktlösung, in denen ein neutraler Dritter ohne eigentliche Entscheidungsgewalt versucht, sich im Streit befindenden Parteien auf dem Weg zu einer Einigung zu helfen (Altmann/Fiebiger/Müller 1999: 18). Eine fast wortgleiche Version war bereits einige Jahre zuvor in der englischsprachigen Literatur bei Bush und Folger erschienen: Across the mediation movement, mediation is generally understood (based on its previous use in the labour field) as an informal process in which a neutral third party with no power to impose a resolution helps the disputing parties try to reach a mutually acceptable settlement. (Bush/Folger 1994: 2) Susan Silbey und Sally Merry fokussieren demgegenüber die Prozesshaftigkeit des Verfahrens. Dadurch bleibt die Aktivität der Drittperson vage, und Mediation wird nicht zwingend als Institution gedacht: Mediation is commonly defined as a process of settling conflict in which a third party oversees the negotiation between two parties but does not impose an agreement. (Silbey/Merry 1986: 7). Christoph Besemer verweist zunächst auf die Bedeutungsdivergenz, die sich bei der Übersetzung des Mediationsbegriffs einstellt: Danach bezeichnet der englische 127 Für den deutschsprachigen Raum vgl. exemplarisch Klammer/Geißler 1999, Korn/Mücke 2000, Thiel/Widder 2003, für den unternehmerischen Kontext Wittschier 2002, Altmann/Fiebiger/Müller 1999, Bitzer/Liebsch/Behnert 2002, Haeske 2003, für die Anwendung von Mediation in der Schule Faller 1998, Walker Begriff mediation ein sehr viel weiter gefasstes Vermittlungskonzept, wohingegen im Deutschen unter Mediation ein institutionalisiertes Verfahren verstanden wird, das sich gegenüber anderen Verfahrensformen abgrenzen lässt: Wörtlich übersetzt bedeutet mediation Vermittlung. Gemeint ist die Vermittlung in Streitfällen durch unparteiische Dritte, die von allen Seiten akzeptiert werden. (Besemer 1993: 14) Das Problem ist, dass die Kompetenz, das Wissen und die Phantasie der Konfliktparteien nicht zum Zuge kommen können, solange sie sich bekriegen. Das kann sich ändern, wenn vermittelnde, unparteiische Dritte den Prozess der Eskalation unterbrechen und den Streitenden einen Weg zeigen, wie sie zu konstruktiven Lösungen kommen können. (Besemer 1993: 35) Ewald Reuter plädiert für eine gesprächsanalytische Beschreibung des Mediationsverfahrens und beruft sich dabei auf die konversationsanalytischen Studien, die Mitarbeiter des Instituts für deutsche Sprache an Schlichtungsverfahren durchgeführt haben (vgl. Nothdurft 1997). Reuter begreift Mediation zunächst als ein Verfahren einvernehmlichen Beilegens von Streitangelegenheiten mit Hilfe von Metakommunikation. Mediation wird dabei als Vermittlung mit Hilfe von Kommunikation über Kommunikation auf der Grundlage der Unterstützung durch einen Dritten verstanden. 128 Die folgenden Abschnitte zeichnen zunächst die diskursive Selbstverortung westlicher Mediation im Entstehungskontext der sechziger Jahre in den USA Die hier angeführten Definitionen des Verfahrens gehen auf ein persönliches Gespräch mit Ewald Reuter im Mai 2002 in Frankfurt (Oder) zurück. 129 Diese Selbstverortung muss insofern als Ergebnis diskursiver Konstruktionen angesehen werden, da auch schon in früheren Epochen und anderen Regionen Formen ähnlicher triadischer Konfliktbearbeitungsverfahren gefunden werden können. Von diesen scheinen sich die westlichen Diskurse jedoch abgrenzen zu wollen, indem sie hier keine entsprechenden Kontinuitäten aufzeigen, sondern eher von einer Neuentdeckung von Mediation sprechen. Christoph Besemer (vgl. Besemer 1993: 46-47) skizziert überblicksartig unterschiedliche Formen triadischer Konfliktaustragungsformen historischer Gesellschaften, von deren unterschiedlichen Aspekten und Ausprägungen die Neuentdeckung der Mediation als Verfahren in den USA in den sechziger Jahren inspiriert worden sei. Besemer verweist auf philosophische und religiöse Wurzeln in Japan und China (China unterhalte noch heute so genannte Volks-Versöhnungs-Komitees (Besemer 1993: 46)), im antiken Griechenland vermittelten die Stadtstaaten Konflikte untereinander durch den Einbezug Dritter, und auch in vielen Volksstämmen Afrikas seien Volksversammlungen kulturell verankert, in denen angesehene Personen bei Konflikten vermittelten (Breidenbach verweist auf die kulturanthropologische Erfassung so genannter kbelle moots in Liberia (vgl. Breidenbach 1995: 11). Auch den europäischen Kirchen des Mittelalters schreibt Besemer eine mediatorische Funktion zu. Breidenbach bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das mittelalterliche Konzept des loveday (vgl. Breidenbach 1995: 7-8). In der Gegenwart sieht Besemer eine kulturelle Verfestigung außergerichtlicher triadischer Konfliktbearbeitung insbesondere in den Arbeitskämpfen westlicher Gesellschaften verwirklicht (vgl. Besemer 1993: 46-47). 127

63 nach. Retrospektiv sieht die spätere Fachliteratur in diesem Kontext eine erste systematische Propagierung und Implementierung triadischer Konfliktbearbeitungsverfahren, die unter der englischsprachigen Verwendung und Bedeutung des Terminus mediation firmierten. Professionelle Mediatoren und Wissenschaftler in den USA haben dieses Verfahren bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit weiterentwickelt, modifiziert und ausdifferenziert. Für Mediatoren, die derartige Mediationsverfahren später auf Anwendungskontexte in Deutschland übertragen haben, dient die Entstehungsgeschichte in den USA als permanenter Referenzpunkt, wenngleich sich auch in Europa unterschiedliche Schulen verankern und selbst fortentwickeln. Gleichzeitig zeigt sich, dass sowohl europäische als auch US-amerikanische Gesellschaften an das Mediationsverfahren Bedingungen, Anforderungen und Zielstellungen herantragen, die sich permanent verändern. Die vorliegende Arbeit vertritt angesichts dieses Wandels die These, dass Mediation als Verfahren triadischer Konfliktbearbeitung mit einem vergleichsweise geringen Kodifizierungsgrad sowohl strukturellen Veränderungen als auch Veränderungen sozialer Wertesysteme vergleichsweise schnell Rechnung tragen und sich daran anpassen kann. Wenn einzelne Gesellschaften Verfahren der Mediation dennoch in einem gewissen Maße kodifiziert und institutionalisiert haben, dann relativierte sich der Geltungsanspruch des Verfahrens doch auch immer wieder aufgrund der weiterhin erhaltenen Vielfalt unterschiedlicher Kodifizierungen. An dieser Stelle kann Mediation damit als Verfahren gelten, dessen Struktur Gesellschaften vergleichsweise schnell an ihre wechselnden Bedürfnisse anpassen können. Die Mediationsforschung setzt diese Veränderungen nur selten in ihrem chronologischen Verlauf zueinander in Beziehung, bzw. betrachtet diesen Verlauf nur selten aus einer zeitlich übergeordneten Perspektive. In der vorliegenden Arbeit sollen derartige Veränderungen mit Hilfe einer diskursanalytischen Sichtweise in den Blick genommen werden. Auf diese Weise stellen sich zentrale Entwicklungstendenzen von Mediation über mehrere Jahre heraus, und die Interdependenzen dieser Entwicklungen mit gesellschaftsübergreifenden Veränderungen werden sichtbar. Das folgende Kapitel zeichnet in diesem Sinne zunächst Entwicklungen (intrakultureller) Mediation in den USA sowie spätere Entwicklungen in Deutschland nach. Aus einer diskursanalytischen Perspektive sollen dabei gezielt kritische Arbeiten unterschiedlicher Zeitabschnitte von den 60er Jahren bis zur Jahrtausendwende hinzugezogen werden, um eventuelle Entwicklungsschritte nachzeichnen zu können. Kritische Perspektiven in der Mediationsforschung scheinen dabei jeweils auf Tendenzen des Wandels hinzuweisen: Die entsprechenden Arbeiten kritisieren Mediationspraktiken der Vergangenheit und der Gegenwart und grenzen ihren eigenen Stand der Forschung von diesen Praktiken ab. In der Folge schlagen sie mo- 128 difizierte Konzepte zu einer Mediationspraxis vor, die den gesellschaftlichen Veränderungen jeweils Rechnung tragen. Mit der in den neunziger Jahren von der Mediationsforschung weitgehend favorisierten transformative mediation nähern sich diese Diskurse den inhaltlichen Konzepten interkultureller Verständigung aus der Forschung zur interkulturellen Kommunikation an, so dass in Theorie und Praxis eine Bearbeitung interkulturell bedingter Problemstellungen mit Hilfe des Mediationsverfahrens nahe zu liegen scheint. 3.1 Die diskursive Transformation von Mediation in den USA Die Fachliteratur der Mediationsforschung verwurzelt die Entstehung westlicher Formen von Mediation in der Bewegung 130 der Alternative Dispute Resolution (ADR) in den USA gegen Ende der sechziger Jahre. In diesem Umfeld entstanden Grundideen, die in Deutschland beispielsweise Bekanntheit in Form des so genannten Harvard-Konzeptes (engl. Getting to Yes, vgl. Fisher/Ury 1996) erlangt haben. Als Motive für eine allgemeine Suche nach alternativen Verfahren zur gerichtlichen Streitbehandlung nennen Autoren in diesem Rahmen sowohl eine Überlastung herkömmlicher Gerichte 131 sowie Unzulänglichkeiten in der Streitbehandlung durch gerichtliche Verfahren. 132 Aus heutiger Sicht reagierten Begründer der Mediation mit einer Einführung erster Formen dieses Verfahrens auf strukturbedingte Bedarfslagen: 133 Angesichts einer ansteigenden Flut von Bagatell-Fällen an US-amerikanischen Gerichten sah sich die Gesellschaft genötigt, alternative Ver- 130 Dass die Diskurse um alternative Formen institutionalisierter Streitbehandlung in den USA zeitweise den Charakter einer Bewegung angenommen haben, betont auch Breidenbach: In den USA entwickelte sich Alternative Dispute Resolution (ADR) seit dem Ende der Sechziger Jahre zu einer regelrechten Bewegung ( movement ) (Breidenbach 1995: 11). 131 Breidenbach zitiert folgende Zielformulierungen der ADR-Bewegung: So heißt es beispielsweise bei den möglichen Zielen von (hier allerdings allen) ADR-Programmen in der Ziviljustiz: Court ADR objectives can include reducing backlog, freeing judicial resources, promoting earlier settlements, reationalizing the pretrial process, providing litigants with more dispute resolution options or better results, tailoring process to certain cases or categories of cases, and saving litigants time and money. (Breidenbach 1995: 115, zit. nach: Alternatives Special Issue: ADR in the Courts. July 1991: 118. unvollständige Autorenangabe). 132 Gemeinsamer Ausgangspunkt ist, dass der status quo der Konfliktbehandlung im Justizsystem und die ihm zugeschriebenen Qualitäten als unzureichend angesehen werden. (Breidenbach 1995: 114). 133 Als Einführung in die US-amerikanische Bewegung zur Mediation vgl. exemplarisch Folberg/Taylor 1984 sowie Rahim

64 fahren der Konfliktbearbeitung zu ersinnen und zu implementieren, die kostensparender, schneller und effizienter dazu dienen konnten, insbesondere geringfügigere Konfliktangelegenheiten zu bearbeiten und damit die Gerichte zu entlasten. 134 In dieser ersten Phase erfuhr das Verfahren der Mediation eine schnelle Verbreitung, die von den Inhalten einschlägiger Publikationen befürwortet und unterstützt wird. In den siebziger und achtziger Jahren dagegen kritisieren US-amerikanische Rechtssoziologen das Verfahren in zunehmendem Maße und tragen damit dazu bei, dass sich das Verfahren in der Praxis längerfristig verändert und modifiziert. Auch diskursanalytische Studien der 80er Jahre werfen ein zunehmend kritisches Licht auf die in vielen US-amerikanischen Einrichtungen praktizierten Formen von Mediation: meist werden die Gespräche einzelner realer Mediationssitzungen auf Tonband aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert, bzw. es werden Protokolle von Zuhörern angefertigt. Diese Verschriftlichungen dienen Diskursanalytikern als empirisches Material. Auch nach über 15 Jahren nehmen zahlreiche Arbeiten auf diesem Gebiet (vgl. z.b. Jacobs 2002) Bezug auf eine in der USamerikanischen rechtssoziologischen Forschung zur Mediation grundlegende Studie von Susan S. Silbey und Sally E. Merry aus dem Jahre 1986, die damals als Aufsatz in der Zeitschrift Law & Policy veröffentlicht worden war (vgl. Silbey/Merry 1986). 135 Silbey und Merry gehen in ihrer Studie davon aus, dass Mediatoren die Aufgabe haben, Konflikte argumentativ beizulegen. Dieses Ziel kann gleichzeitig auch als ein Interesse des Mediators in der Situation gelten dieser darf also nicht als neutral 134 Eine tatsächliche Entlastung des US-amerikanischen Justizsystems kann rückblickend jedoch nur auf dem Gebiet kleinerer, insbesondere monetärer Streitangelegenheiten festgestellt werden. Viele andere Streitangelegenheiten, wie insbesondere beispielsweise Scheidungskonflikte, werden dagegen trotz (häufig unfreiwillig eingewilligter) Mediation zu einem späteren Zeitpunkt dennoch gerichtlich verhandelt und führen somit nicht zu einer Entlastung. Len Riskin zufolge werde jedoch der weitaus größte Anteil der in den USA durchgeführten Mediationen tatsächlich auf dem Gebiet der small claims bestritten, wo sich das Verfahren auch tatsächlich als Alternative zum Gericht bewährt habe, so dass insgesamt dennoch von einem Entlastungseffekt gesprochen werden könne (Ergebnisse eines mündlichen Gesprächs mit Monia Ben Larbi, Gründerin der Mediationsstelle Frankfurt (Oder), am in Frankfurt (Oder)). 135 Folger und Jones verweisen im diesem Zusammenhang auf weitere diskursanalytische Studien zur Mediation in anderen Bereichen (vgl. Folger/Jones 1994: x-xi): So stellt Allen D. Grimshaw heraus, auf welche Weise Konfliktparteien in kontextuellen Situationen Sinn konstituieren (vgl. Grimshaw 1990). Folger und Bernard beschreiben, auf welche Weise sich der Ausbildungshintergrund von Mediatoren auf deren Interventionsstrategien in der Praxis auswirkt (vgl. Folger/Bernard 1985 und 1986). Karambayya und Brett erarbeiten Bedingungen für Mediationen innerhalb von Institutionen (vgl. Karambayya/Brett 1989). Diskursanalytische Arbeiten zum Einfluss von Kultur auf Mediationen liegen vor von Nadler/ Nadler/ Broome 1985 sowie von Ting-Toomey und ohne eigene Interessen angenommen werden, wie er vielfach in der Literatur idealisiert wird (vgl. Silbey/Merry 1986: 7). Silbey und Merry gehen statt dessen davon aus, dass auch Mediatoren bestimmte aktive Strategien anwenden, um ihre Interessen zu verfolgen. Diese Strategien müssen nicht zwingend im Einklang mit den Idealen einer Mediation stehen, so dass auch damit gerechnet werden muss, dass diese Strategien unter Umständen einen idealen Verlauf einer Mediation stören, bzw. verhindern. Silbey und Merry stellen in ihrer Studie fest, dass sich Mediatoren in ihren Verfahren mittels diskursiver Praktiken Autorität verschaffen, um diese eigenen Ziele durchsetzen zu können. Einige dieser Praktiken arbeiten sie diskursanalytisch heraus unter unterteilen sie in mehrere Kategorien, so dass die Studie zuletzt eine Perspektive auf das Verfahren vermittelt, aus der die Konfliktlösung beinahe gänzlich in den Händen des Mediators liegt. Die Autorinnen bezeichnen diese mediatorischen Strategien als Manipulation, da die Mediatoren keine offensichtlichen Überredungskünste anwenden, sondern unter dem Deckmantel der Neutralität subtile Techniken anwenden (vgl. Silbey/Merry 1986: 13). Im Folgenden werden die drei von Silbey und Merry identifizierten Kategorien zusammenfassend referiert. Macht durch Selbstpräsentation Silbey und Merry zufolge schöpfen Mediatoren einen Großteil ihrer Autorität aus ihrer Selbstvorstellung zu Beginn des Verfahrens gegenüber den Konfliktparteien: Sie stellen sich als Experten für Kommunikation, für rechtliche Aspekte, für Wege der Konfliktbearbeitung, etc. dar, verweisen auf ihre qualifizierende Ausbildung, ihre Erfahrung als Mediatoren und ihr Können, das sie in das aktuelle Verfahren einbringen. Mediatoren stellen sich als Berater der Parteien dar, welche folglich von der Expertise des Mediators abhängig sind. Indem die Mediatoren auf Alternativen zum Mediationsverfahren (z. B. ein Gerichtsverfahren) verweisen, legen sie den Parteien nahe, dass alle Alternativen zur Teilnahme an einer Mediation für sie weniger vorteilhaft seien. Die Parteien sind also quasi gezwungen, an der Mediation teilzunehmen, wenn sie für sich weiterhin beanspruchen wollen, rational handelnde Menschen zu sein. Da die Mediatoren aber so hervorragende Experten sind, ist eine positive Lösung des Konfliktes damit eigentlich auch schon fast sichergestellt, was die Parteien selbst unter Erfolgs-, bzw. Gehorsamsdruck setzen dürfte: Scheitert die Konfliktbearbeitung, ist dies als eine Beleidigung gegenüber dem Mediator zu werten und nur noch allein auf das Versagen der Konfliktparteien zurückzuführen. Auf diese Weise beanspruchen die Mediatoren ein erhebliches Machtmonopol für den Zeitraum der Mediation (vgl. Silbey/Merry 1986: 12-14). 131

65 Macht durch Themensteuerung und Reformulierungen Im Verlauf der Mediation bestimmen die Mediatoren die Themen, die angesprochen werden, die zeitliche Länge der Themenbesprechungen sowie die Gliederung des Gesamtverfahrens. Mediatoren entscheiden, ob sie gegenseitige Unterbrechungen der Parteien akzeptieren oder nicht. Ein wichtiges Instrument der Steuerung des Mediationsverlaufs sind dabei die Reformulierungshandlungen des Mediators: Jede Reformulierung beinhaltet eine subtile Umdeutung des Gesagten der Parteien, die den Verlauf der Mediation nach den Interessen des Mediators vorantreibt: Negative Formulierungen werden positiv umformuliert oder zumindest neutralisiert, Gemeinsamkeiten hervorgehoben, Beleidigungen neutralisiert und der gesamte Konflikt euphemisiert (vgl. Silbey/Merry 1986: 14-15). Zur Begründung des Machtpotentials von Reformulierungen es klingt nur zu einleuchtend: Wer reformuliert, der beansprucht Deutungsmacht und raubt sie seinem Gegenüber! beziehen sich Silbey und Merry auf einen früheren Aufsatz von Mather/Yngvesson Innerhalb mediatorischer Ausbildungen und Handlungsanweisungen gelten Reformulierungen dagegen als wünschens- und empfehlenswertes Mittel zur Herstellung intersubjektiver Verständigung. 137 Silbey und Merry sprechen von vier Phasen des Umgangs mit Themen, die sie als Handlungsmuster aus ihren Studien herausgearbeitet haben: 1. Ausweitung des Themas: je weiter ein Gesprächsthema in der Mediation ausgedehnt und kontextualisiert wird, 138 desto größer wird die Wahrscheinlichkeit und Chance, innerhalb des besprochenen Komplexes auf Gemeinsamkeiten zwischen den Konfliktparteien zu stoßen, auf denen der Mediator eine Einigung aufbauen kann Für eine weitere empirische Untersuchung und begriffliche Operationalisierung von Reformulierungshandlungen vgl. auch Gülich/Kotschi Für Anleitungen zum Spiegeln, resp. Reformulieren und Reframing vgl. Dulabaum 2000, 140, 150 sowie zu Paraphrasierungen als Strategie zur Herstellung von Verständigung Kap und zur Funktion von Sprecherwechseln in Gesprächen Kap Typische Fragen sind laut Silbey/Merry 1986 in dieser Phase: Tell me about how things were before all this started. / Did you ever like each other? / Do you belong to the same church? / Do the children play together? / Had anything like this ever happened before the new neighbors moved in? / Was there a time when you were friends or had good relations in the past? (Silbey/Merry 1986: 16). 139 In diesem Handlungsmuster könnte eine Konkretisierung der Suchhaltung gesehen werden, von der Schramkowski, und Haumersen/Liebe sprechen: diese Suchhaltung kann demnach verstanden werden als eine Suche nach Universalien und Gemeinsamkeiten zwischen den Konfliktparteien, die nach einer entsprechenden Bewusstwerdung von diesen anerkannt werden können (zur Suchhaltung vgl. Schramkowski 2001: 91) Themenauswahl: Mediatoren sprechen über Themen, die sich beilegen lassen. Andere Themen werden von ihnen ignoriert und für irrelevant erklärt, falls die Konfliktparteien dennoch auf der Besprechung dieser Themen insistieren (vgl. Silbey/Merry 1986: 16-17). 3. Konkretisierung von Anliegen: die Mediatoren fragen die Parteien explizit nach ihren Anliegen. Lösungsmöglichkeiten werden daraufhin zielgerichtet konkretisiert und auf den Punkt gebracht. Die Parteien werden gezwungen, ihre Anliegen zu formulieren und damit gleichzeitig auch zu begrenzen, in jedem Fall aber sich festzulegen (vgl. Silbey/Merry 1986: 17) 4. Zurückstellung von Anliegen: lassen sich Probleme nicht direkt lösen, so werde eine weitere Sitzung einberaumt (vgl. Silbey/Merry 1986: 17-18). All diese Handlungsmuster dienen Silbey und Merry zufolge der Erreichung von Zielstellungen, die den Interessen des Mediators nachkommen: Dieser habe demnach ein klares Interesse an einer möglichst konstruktiven Lösung des zu bearbeitenden Konflikts, und intuitiv verfüge er auch meist im Verlauf des Verfahrens bereits über konkrete Vorstellungen darüber, wie eine Lösung beschaffen sein müsste, um seinen Kriterien für eine konstruktive Lösung genügen zu können. Die diskursive Aktivierung von Normbekenntnissen als Suche nach Universalien Silbey und Merry vertreten einen Ansatz, in dem sie davon ausgehen, dass Mediatoren Bekenntnisse ihrer Parteien diskursiv aktivieren können. 140 Indem Parteien sich zu bestimmten prinzipiellen Normen bekennen, wird ihnen quasi auch gleichzeitig bewusst, dass sie vor diesem Hintergrund eigentlich auch in ihrem konkreten Konfliktfall anders handeln müssten (vgl. Silbey/Merry 1986: 18). Bei allgemeinen Fragen wie Where do you live? oder How many children do you have? hoffen Mediatoren auf die Aktivierung gemeinsamer Norm- und Wertvorstellungen zwischen den Parteien (vgl. Silbey/Merry 1986: 18-19). 141 Diese Bekenntnisse zu akzeptierten Normen könnten den gesuchten Universalien gleichkommen, von denen in der interkulturellen Kommunikation als Grundlage einer interkulturellen Verständigung die Rede ist. 142 Hier verleiten die Mediatoren die Par- 140 Das Konzept der Aktivierung von Bekenntnissen übernehmen Silbey und Merry von Talcott Parsons (vgl. Silbey/Merry 1986: 18 mit Bezug auf Parsons 1973). 141 Mediators will ask factual questions such as Where do you live?, What is family life like?, or How many children do you have? in order to locate parties in a common experience. They are looking for the unarticulated and hopefully shared structure of values and beliefs of the parties. (Silbey/Merry 1986: 18) 142 vgl. hierzu die Debatten der interkulturellen Philosophie in Kap

66 teien also dazu, sich zur Akzeptanz von Universalien zu bekennen und sich nach diesen auch im vorliegenden Fall zu richten. Silbey und Merry präzisieren hier, dass Mediatoren ihre Parteien in diesem Sinne zwar nicht zu Normverpflichtungen zwingen können. Sie können jedoch die Explizierung von Normverpflichtungen aktivieren, die sie im früheren Gespräch bereits herausgehört haben, und die sie als Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien erwarten können (vgl. Silbey/Merry 1986: 18) Anders formuliert könnte den Mediatoren in diesem Fall auch unterstellt werden, dass sie von den Parteien die Gültigkeit und die Akzeptanz einer bestehenden Norm erpressten. Erneut scheint hier die auch an anderer Stelle insbesondere für interkulturelle Mediatoren herausgestrichene erforderliche Suchhaltung (vgl. Haumersen/Liebe 1998: 147, Schramkowski 2001: 91) zum Ausdruck zu kommen: Mediatoren aktivieren allgemeine (kulturelle) Konsensthemen, die sie diskursiv quasi wie Angelköder für die Parteien auszulegen versuchen, und auf ein Anbeißen der Parteien auf diese Gemeinsamkeiten hoffen. Dabei zeigt sich bereits bei Silbey und Merry, dass derartige gemeinsame Normvorstellungen wahrscheinlich meist auf einer kulturspezifischen Ebene kodifiziert sein werden. Hier stellt sich daher bereits die Frage nach den Grenzen der Anwendbarkeit eines möglicherweise kulturgebundenen Konzeptes im interkulturellen Kontext. Zu Beginn der neunziger Jahre setzen sich insbesondere US-amerikanische Mediatoren wie Joseph Folger und Robert A. Baruch Bush für eine Rückbesinnung der Mediation auf die ursprünglichen Ideale der Alternative Dispute Resolution sowie für eine Neuorientierung des Verfahrens ein. In Ihrem Band The Promise of Mediation (vgl. Bush/Folger 1994) greifen sie die inzwischen vielfach geäußerten Vorwürfe gegenüber einer Mediationspraxis auf, die ihre ursprünglichen Ideale zwar noch propagiert, jedoch nicht mehr praktiziert. In einer Bestandsanalyse unterscheiden Bush und Folger unterschiedliche Vorgehensweisen in der Mediationspraxis der beginnenden neunziger Jahre. Diese Vorgehensweisen bezeichnen sie als Stories und tragen damit bereits der diskursiven Konstruktion dieser jeweiligen Bewegungen Rechnung: Abgesehen von der tatsächlichen Mediationspraxis lassen sich aus den schriftlichen und mündlichen Plädoyers, Statements und Selbstverortungen von praktizierenden Mediatoren und publizierenden Autoren beinahe narrative Argumentationsmuster und Deutungsversuche herauskristallisieren. Unabhängig von der tatsächlichen Mediationspraxis reproduzieren Mediatoren diese unterschiedlichen Identifikationsmuster. Folgende Stories werden von Bush und Folger modellhaft skizziert: Eine Klassifizierung nach vergleichbaren Kriterien verwendet Stephan Breidenbach, indem er Formen der institutionalisierten Mediation nach den zugrunde liegenden Zielstellungen der 134 Mediatoren, die die von Bush und Folger als solche bezeichnete Satisfaction Story diskursiv reproduzieren, definieren Konflikte als gemeinsam zu lösende Probleme, bei deren Bearbeitung mittels Mediation bestenfalls eine Win-win- Lösung erzielt werden sollte. Diesem Ansatz folge laut Bush und Folger beispielsweise auch das Harvard-Konzept von Fisher und Ury (vgl. Fisher/Ury/Patton 1996). Die Inhalte der Satisfaction Story geben laut Bush und Folger somit ein vergleichsweise realistisches Bild eines quantitativ überwiegenden Teils der US-amerikanischen Mediationspraxis wieder (vgl. Bush/Folger 1994: 16-18). Mediatoren, die der Social Justice Story folgten, propagieren für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs für Mediationsverfahren und wollen damit rechtlich benachteiligten oder schwächergestellten Menschen eine Bearbeitung ihres Konflikts unter ausgeglichenen Machtverhältnissen ermöglichen (vgl. Bush/Folger 1994: 18-19). Kritiker der zeitgenössischen Mediationspraxis bemängeln laut Bush und Folger in den meisten Fällen, dass Mediatoren auf unterschiedliche Weise Macht über ihre Konfliktparteien ausüben, von der sie sich jedoch in ihrer Rhetorik zugleich distanzieren. 144 Bush und Folger bezeichnen Formen dieser Kritik als Oppression Story (vgl. Bush/Folger 1994: 22-24). Bush und Folger selbst propagieren die so genannte Transformation Story, deren Anspruch gemäß der von ihnen vorgeschlagenen transformative mediation normativ orientiert ist: Mit den von Bush und Folger als solche bezeichneten Strategien von Empowerment (dt.: Bevollmächtigung; D.B.) und Recognition (dt.: Anerkennung; D.B.) 145 werden neue Zielstellungen für Mediationsverfahren vorgeschlagen, die noch vor dem Anspruch der Lösungsfindung rangieren sollen. Ansätze der Transformation Story werden den Autoren zufolge bislang nur selten praktiziert und repräsentieren als Story eher ein Ideal und ein Postulat als eine Wirklichkeitsbeschreibung. praktizierenden Mediatoren unterscheidet. Breidenbach bezeichnet diese Zielstellungen als Projekte, nach denen er das Service-Delivery-Projekt, das Access-to-Justice-Projekt, das Individual-Autonomy-Projekt, das Reconciliation-Projekt und das Social-Transformation-Projekt unterscheidet (vgl. Breidenbach 1995). 144 In general many although not all writers and thinkers concerned with equality tend to interpret the mediation movement through the Oppression Story and to see it as a serious thread to disadvantaged groups (see Fiss 1984, and Nader, 1979) (Bush/Folger 1994: 24). 145 Die englischsprachigen Begriffe Empowerment und Recognition werden häufig auch in der deutschsprachigen Mediationspraxis verwendet, so dass an dieser Stelle eine Beibehaltung der englischen Termini vorgeschlagen werden soll. 135

67 Dennoch plädieren Bush und Folger in ihrer Monographie für eine weitere Systematisierung und Implementierung der Ideale der transformative mediation. 146 Sie verweisen darauf, dass in der zeitgenössischen Praxis viele Mediatoren bereit seien, Maximen der mediatorischen Neutralität zurückzustellen, wenn sie der Ansicht seien, durch direktive Eingriffe in das Verfahren weitreichendere und tragfähigere Lösungen erzielen zu können. Überlegungen zur Selbstbemächtigung der Konfliktparteien im Sinne einer Stärkung zukünftiger Konfliktkompetenz wie sie beispielsweise auch schon in der ADR-Bewegung propagiert worden war, werden laut Bush und Folger zunehmend vernachlässigt. Sie bescheinigen damit eine zunehmende Verfolgung der Satisfaction Story, nach der Mediation dazu diene, Konflikte in Probleme zu transformieren und diese insbesondere effizient und effektiv zu lösen. Gleichzeitig werden Idealvorstellungen einer dauerhaften Persönlichkeitsveränderung und stärkung der Konfliktparteien durch Mediationen zunehmend als utopisch und unerreichbar dargestellt. Bush und Folger weisen zunächst nach, dass die an gegenwärtig praktizierten Mediationen zumeist kritisierten Punkte bereits dem Verfahren inhärent seien und nicht nur mit der etwaigen Inkompetenz der Mediatoren zu begründen seien. So forderten lösungsorientierte Mediatoren beispielsweise zu Beginn der Mediation die Formulierung eines Themas, um das sich das zu bearbeitende Problem zentriere. Bereits mit der Forderung nach einer solchen Themenformulierung zwingen Mediatoren ihre Konfliktparteien dazu, andere Aspekte ihrer Beziehung, die sich nicht als Problem formulieren und abstrahieren lassen, zu ignorieren. Aufgrund der alles dominierenden Zielorientierung gehen Bush und Folger davon aus, dass Mediatoren auch während des Verfahrens bereits Ideen und Vorstellungen einer aus ihrer Sicht qualitativ hochwertigen Lösung entwickeln und unweigerlich verfolgen. Dieser Effekt sei insbesondere deshalb zu bemängeln, weil Mediatoren ihn gegenüber ihren Parteien in der Regel nicht offenlegten, sondern ihnen das Gegenteil, nämlich als inhaltliche Neutralität, suggerierten. Bush und Folger schließen daraus, dass ein problemlösungsorientierter Ansatz wahrscheinlich nicht einmal dazu geeignet sei, auch nur diese Probleme zu lösen, da diese aufgrund struktureller Ursachen aus dem Verfahren ausgeklammert werden. 146 Ein Großteil der in Deutschland gegenwärtig rezipierten und praktizierten Mediationsverfahren basiert auf Grundlagen dieser transformative mediation. Nach mündlichen Auskünften der Mediationsstelle Frankfurt (Oder) hat insbesondere der US-amerikanische Forscher und Mediator Leonard Riskin durch zahlreiche Mediatorenausbildungen und trainings zu einer Verbreitung dieses Ansatzes in Deutschland beigetragen (vgl. Riskin 2002). Eine zweite große schulbildende Richtung der Mediation in Deutschland baut jedoch primär auf den Idealen der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg (vgl. Rosenberg 2001) auf. 136 Anstelle dieser Problemorientierung plädieren Bush und Folger in ihrer Monographie dafür, die Ziele von Empowerment und Recognition ins Zentrum jedes Verfahrens zu stellen. Indem die Konfliktparteien in ihrer eigenen Entscheidungsfähigkeit bestärkt werden (Empowerment) und gleichzeitig lernen, Ansichten und Perspektiven ihres Gegenübers zu erkennen, sollen sie tatsächlich dazu befähigt werden, eigene Konflikte selbst zu lösen. Bush und Folger nennen drei Kriterien, die Designs von Mediationsverfahren in diesem Sinne erfüllen sollten: Fokussierung der Mikroebene: Anstatt im Sinne der Satisfaction Story konkret fassbare und abgrenzbare Probleme aus dem Gesagten der Konfliktparteien zu abstrahieren, sollten Mediatoren jeden einzelnen Beitrag ihrer Konfliktparteien beachten, verfolgen und mitvollziehen. Die Konfliktparteien fühlten sich auf diese Weise in ihrem Anliegen ernst genommen und gewertschätzt (Empowerment) und lernen zugleich am Beispiel des Mediators Strategien der Perspektivenübernahme (Recognition) (vgl. Bush/Folger 1994: 100). Ermutigen zum Treffen von Entscheidungen: Mediatoren sollten sich jeder Art von Vorschlägen und Entscheidungen enthalten und stattdessen ihre Konfliktparteien dazu ermutigen, diese zu treffen (vgl. Bush/Folger 1994: ). Ermutigen zur Perspektivenübernahme: Entgegen der in vielen Mediationen praktizierten Zukunftsorientierung schlagen Bush und Folger eine stärkere Fokussierung der Konfliktvergangenheit vor, bei deren Narration die Konfliktparteien eine Gelegenheit zur gegenseitigen Perspektivenübernahme (vgl. engl. perspective-taking; Bush/Folger 1994: 101) erhalten sollen (Recognition) (vgl. Bush/Folger 1994: 101). Ein ähnliches Konzept hatte bereits George Herbert Mead allgemeinen Bedingungen des Fremdverstehens in der Alltagsinteraktion zugrunde gelegt, auf das Bush und Folger jedoch in keiner Weise Bezug nehmen. Mead spricht hier wörtlich von einer Rollenübernahme (Mead 1993 [1934]: 204), 147 Eine gegenseitige Perspektivenübernahme ist für Bush und Folger eine Grundbedingung für gegenseitige Anerkennung (Recognition), die wiederum eine Bedingung für eine kooperative Verständigungsarbeit darstellt. Auch Mead sieht in der gegenseitigen Perspektivenübernahme eine Grundbedingung für wechselseitige Verständigung, wobei Mead dieses Konzept bereits sehr viel früher als Bush und Folger dazu verwendet, um spontane Alltagskommunikation zu beschreiben. Wo also konzeptueller Konsens zu herrschen scheint, fügen Bush und Folger lediglich noch den Aspekt der triadischen Hilfeleistung hinzu: Mediatoren können mittels unterschiedlicher Strategien zur Perspektivenübernahme ermutigen. 147 Vgl. hierzu auch Kap

68 Bush und Folger illustrieren den von ihnen vorgeschlagenen Verlauf einer idealen transformative mediation anhand eines Phasenmodells, in dem die Konfliktparteien zu Beginn ein sehr eng gefasstes Bild ihrer Situation, ihres Konflikts und der ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen haben. Die Aufgabe des Mediators sehen Bush und Folger nun darin, die Perspektiven der Konfliktparteien zu weiten (Empowerment) und ihnen eine Perspektivenübernahme zu ermöglichen (Recognition). Zwischen diesen Strategien sollte er den Parteien immer wieder die Möglichkeit geben, auch an konkreten Lösungen zu arbeiten; dies jedoch nur so lange, bis ihre Debatten wieder Gefahr laufen, sich festzufahren. An diesen Punkten sollte der Mediator wieder versuchen, mittels Empowerment und Recognition die Perspektiven der Parteien zu erweitern, so dass daraufhin eine fortgeschrittene Konfliktbearbeitung möglich wird. Am Ende einer transformative mediation verfügten die Konfliktparteien über ein Optimum an Handlungsoptionen und gegenseitiger Kooperationsbereitschaft, so dass theoretisch eine (schriftliche) Formulierung konkreter Lösungspläne gar nicht mehr erforderlich sein sollte. Bush und Folger spezifizieren einzelne Aspekte möglicher Verhaltensmodifikationen in Mediationen, in denen sich die Maximen von Empowerment und Recognition widerspiegeln. So können Tendenzen des Empowerment im Hinblick auf die Ziele der Parteien, die ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen, ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Ressourcen und ihre Fähigkeit zum Treffen von Entscheidungen effektiv werden (vgl. empowerment as to goals, [ ] to options, [ ] to skills, [ ] to resources, [ ] to decision-making; Bush/Folger 1994: 87). Die schrittweise Entwicklung der Fähigkeit, einander Anerkennung im Sinne des Terminus der Recognition zu zollen, gliedern Bush und Folger auf in erste Erwägungen und erstes Bewusstwerden der Parteien über ihre Fähigkeit, Recognition zu empfinden (consideration of giving recognition), ihren Wunsch, Recognition auszudrücken (desire of giving recognition), Recognition in ihrer Denkweise gegenüber den Parteien zur Geltung kommen zu lassen (giving recognition in thought), Recognition gegenüber anderen Personen verbal auszudrücken (giving recognition in words) und im Sinne einer Recognition zu handeln (giving recognition in action) (vgl. Bush/Folger 1994: 99). Diese Schritte werden von den Autoren nur vage ausgemalt, bevor sie im Kern ihrer Monographie Protokolle einer problemlösungsorientierten gegenüber denen einer transformativen Mediation präsentieren. Am Beispiel einzelner herausgegriffener Schritte der Mediatoren, die Bush und Folger als moves bezeichnen, weisen sie auf Passagen hin, in denen mediatorische Strategien im Sinne einer transformativen Mediation jeweils Effekte von Empowerment oder Recognition hervorrufen können. Am Beispiel der lösungsorientierten Mediation zeigen sie Passagen auf, in denen der Mediator jeweils die Gelegenheit zur Förderung von Empowerment und 138 Recognition verpasst und damit wertvolle Chancen verspielt. Die protokollierte transformative Mediation wurde nach eigenen Angaben von einem der Autoren als Mediator durchgeführt. An ihrem Beispiel zeigen Bush und Folger jeweils einzelne moves auf, in denen der Mediator Empowerment und Recognition auf unterschiedliche Weise gefördert habe. Die Monographie von Bush und Folger geht hier größtenteils im Sinne eines Lehrbuchs vor, in dem die Vermittlung des Konzepts, nicht aber unbedingt dessen wissenschaftliche Präzisierung im Vordergrund stehen. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ließe sich angesichts der Methode unterstellen, dass die Autoren zunächst nur eine relativ lose Kodierung unterschiedlicher denkbarer Strategien zur Förderung von Empowerment und Recognition erstellt haben, die sie dann an ihren beiden Protokollbeispielen veranschaulichen. Dabei machen sie jedoch an keiner Stelle explizit, auf welches Protokollverfahren, welches Kodierungsverfahren und welche interpretativen Methoden sie sich stützen. Da es Bush und Folger mehr auf eine möglichst authentische Darstellung eines Mediationsverfahrens und darin auf die Kontrastierung von problemlösungsorientierten gegenüber transformativen Methoden ankommt, präsentieren sie nur eine vergleichsweise unsystematische und unsortierte Anhäufung kaum kodierter Fallbeispiele, von der aufgrund des Vorgehens nicht einmal von einem Vollständigkeitsanspruch ausgegangen werden kann. Eine weitere Ähnlichkeit der Konzepte von Empowerment und Recognition zu früheren, sozialwissenschaftlichen Ansätzen, auf die Bush und Folger jedoch nicht hinweisen, wird in ihrer konzeptuellen Nähe zu den Termini von positiver und negativer Höflichkeit augenfällig, die Brown und Levinson (vgl. Brown/Levinson 1978, 1987) auf der Grundlage des face-konzepts von Erving Goffman (vgl. Goffman 1955, 1959) entwickelt hatten. 148 Brown und Levinson ging es dabei um eine 148 Goffman geht davon aus, dass Individuen das permanente Bedürfnis haben, gegenüber ihren Mitmenschen ihr Gesicht zu wahren. Dazu stehen ihnen unterschiedliche Strategien in der Interaktion zur Verfügung, die Goffman in der englischsprachigen Originalfassung seiner Texte als facework bezeichnet (vgl. Goffman 1955). Das zu wahrende face der englischsprachigen Fassung wird in den deutschsprachigen Übersetzungen mit dem Begriff des Image wiedergegeben, zu dessen Erhalt demnach Techniken der Imagepflege (Goffman 2002 [1964]: 10) zur Verfügung stehen. Brown und Levinson präzisieren die unterschiedliche Bestandteile dieses Konzepts des face, indem sie zwischen den Aspekten des positive face und des negative face unterscheiden (vgl. Brown/Levinson 1987: 61). Unter dem Begriff des negative face subsumieren Brown und Levinson das Bestreben von Individuen, innerhalb eines bestimmten persönlichen Territoriums und im Hinblick auf intime persönliche Belange von ihren Mitmenschen unbehelligt bleiben zu können (vgl. Brown/Levinson 1987: 61). Im Rahmen der Imagepflege versuchen Individuen daher stets, eine gewisse soziale Mindestdistanz gegenüber ihren Mitmenschen zu wahren. Gleichzeitig wollen Individuen jedoch auch Bedürfnisse ihres positive face befriedigt sehen, die denen des negative 139

69 Beschreibung sozialisierter Formen kommunikativer gegenseitiger Achtung, die sie für eine Grundbedingung interpersonaler Interaktion hielten, und deren konkrete Manifestationen in Gesprächen sich beschreiben und klassifizieren ließen. Brown und Levinson interpretieren ihre Kategorien des positive und des negative face als universale psychologische Grundbedürfnisse von Individuen und sehen in den Techniken der Imagepflege sozialisierte Formen zur Befriedigung dieser Bedürfnisse. Wenngleich sich Bush und Folger nicht explizit auf Goffman, bzw. Brown und Levinson beziehen, so lässt sich doch eine gewisse konzeptuelle Ähnlichkeit erkennen, nach der der Begriff der Recognition die Tätigkeit des Erkennens und des Bedienens der Bedürfnisse von positive und negative face von Mitmenschen bezeichnen würde. In diesem Sinne würden sich Konflikthandlungen und Konfliktkommunikation, wie Bush und Folger sie beschreiben und vermuten, durch ein gegenseitiges Ignorieren der face-bedürfnisse von Seiten der beteiligten Interaktionspartner auszeichnen. Aufgrund eigener Gesichtsverletzungen sind Interaktionspartner dann nicht mehr bereit, die Bedürfnisse zur Gesichtswahrung des Gegenübers zu erforschen und zu berücksichtigen. Stattdessen kann es plötzlich der Wiederherstellung des eigenen Gesichts dienlich erscheinen, das des Gegenübers ebenfalls zu verletzen. Wenn Bush und Folger von Mediatoren fordern, ihren Parteien Recognition entgegenzubringen und diese dadurch zu einer gegenseitigen Bekundung von Recognition untereinander zu bewegen, dann unterstellen sie, dass ein wesentlicher Schritt in einer konstruktiven Konfliktbearbeitung in der Bereitschaft zur Wiederanerkennung der Gesichtsbedürfnisse des Gegenübers liegt. Im Sinne des im Rahmen der vorliegenden Arbeit angestrebten Modells kann demnach konstatiert werden, dass Drittpersonen die Einhaltung von Regeln positiver und negativer Höflichkeit vorleben und damit in der Interaktion der Konfliktparteien untereinander initiieren können. Betrachtet man die diskursive Entwicklung der Debatten über Bestandteile einer Normativität zur Mediationspraxis in den USA, so zeigt sich eine übergeordnete Tendenz der Abkehr von früheren Zielen einer effizienteren Konfliktbearbeitung hin zu einem Verfahren, das nicht nur zu einer größtmöglichen Zufriedenheit der Konfliktparteien im Hinblick auf ihr aktuelles Anliegen führen soll, sondern darüber hinaus auch eine nachhaltige Verbesserung der Konfliktkompetenz der Parteien anstreben soll. Hier finden sich in den Plädoyers zur transformative mediation Konzepte zur Konfliktbearbeitung, die einigen Konzepten aus Theorien zur inface zuwiderlaufen. Demnach streben Individuen danach, von ihren Mitmenschen anerkannt und geschätzt zu werden. Derartige Anerkennungs-bekundungen beinhalten gleichzeitig das Bedürfnis nach sozialer Nähe zu anderen Individuen (vgl. Brown/Levinson 1987: 61). 140 terkulturellen Verständigung sehr ähneln. Idealformen des Umgangs scheinen sich nach beiden Diskursen sowohl im Hinblick auf Wege der Herstellung interkultureller Verständigung als auch im Hinblick auf Wege konstruktiver Konfliktbearbeitung beispielsweise in Konzepten der Rollen- und der Perspektivenübernahme sowie in Konzepten der Imagepflege durch Recognition zu manifestieren. Aus der Sicht dieser sukzessiven Annäherung der beiden Diskurstraditionen von interkulturellem Fremdverstehen und von Konfliktbearbeitung scheint eine Übertragung des Konzepts der Mediation auf den Problembereich interkultureller Mediation plausibel. Dass eine Übertragung dieses (meist nur leicht modifizierten) Konzepts jedoch nicht ausreicht, um damit möglichst viele Probleme im Bereich interkultureller Kommunikation erfassen zu können, wird zu Beginn des vierten Kapitels dargelegt werden. 3.2 Vergemeinschaftung als Weg interkultureller Verständigung Im Kontext der Entwicklung einer transformative mediation wurde die Zielstellung einer über individuelle Mediationsverfahren hinausgehenden gesellschaftlichen Transformation formuliert und zunehmend propagiert: Die an einer Mediation teilnehmenden Konfliktparteien sollen bereits im Verlauf des Verfahrens selbst dazu ermutigt und befähigt werden, eine konstruktivere Konflikt-kompetenz zu entwickeln, um mit zukünftigen Konfliktfällen von Beginn an kompetenter umgehen zu können. Folger und Bush hielten auf diese Weise die allmähliche Implementierung einer gesellschaftlichen Transformation für denkbar, nach der individuelle und gesellschaftliche Konflikte konstruktiv statt destruktiv bearbeitet würden, und die auf diese Weise weiteren gesellschaftlichen Fortschritt verspreche. Erst nach dieser Transzendierung der Auswirkungen von Mediationsverfahren über den situativen Kontext hinaus erscheinen auch Überlegungen zu einer Fruchtbarmachung des Verfahrens für interkulturelle Problemstellungen sinnvoll zu werden. Wird Mediation als ein Verfahren verstanden, mit dessen Hilfe Individuen zu einem allgemeinen konstruktiveren Umgang mit ihren Mitmenschen gebracht werden können, so kann dies als eine Förderung einer Vergemeinschaftung einer Gesellschaft im Sinne Max Webers aufgefasst werden: Gestärkt werden auf diese Weise interpersonale Beziehungen, die im Gegensatz zu zweckrationalen Vergesellschaftungen auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl der Individuen untereinander beruhen (vgl. Weber 1968). Interkulturelle Mediation könnte in diesem Sinne als Versuch der Förderung eines Prozesses der Vergemeinschaftung in sozialen Kontexten verstanden und konzipiert werden, in denen Interaktionen zuvor von 141

70 kulturell gedeuteten kollektiven Separierungen gekennzeichnet waren. Im Hinblick auf den besonderen Kontext interkultureller Kommunikation in Grenzregionen (vgl. Bahr/Schröder 2000) könnte hier von einer Förderung grenzüberschreitender Vergemeinschaftungen gesprochen werden. Geht man nach den vorangegangenen Überlegungen davon aus, dass Mediation darüber hinaus in allen kulturellen Kontexten zumindest vorstellbar ist, und dass Mediation immer ein Konfliktbearbeitungsverfahren bereithält, das der jeweiligen gesellschaftlichen Ideologie gerecht wird, 149 dann wirkt Mediation in jeder Anwendungssituation gesellschaftskonform in ihrem Kontext: Konflikte werden bearbeitet und gelöst, so dass soziales Zusammenleben als Grundbedingung einer diskursiven Öffentlichkeit erst möglich wird. Mediation fördert konstruktive Konfliktbearbeitung, es erhält damit die Gesellschaft und schützt sie vor Zersplitterung, Gewalt und interner Zerstörung. Möglicherweise kann Mediation aber auch neue Öffentlichkeiten schaffen so beispielsweise im interkulturellen Kontakt und über Grenzen hinweg. Zugleich scheint eine Entwicklungsideologie zu existieren, die unterschiedliche Konfliktkulturen zueinander in Beziehung setzen könnte: So wird die Vergesellschaftung, die Herstellung von Beziehungen gegenüber Gewalt und Einsiedlertum in vielen Kontexten als wünschenswerte Entwicklung und als Transzendierungsleistung des Menschen betrachtet (vgl. Folger/Bush 1994: 20). Auch innerhalb der Sozialwissenschaften existieren sehr unterschiedliche Auffassungen und Schulen über die Funktion und Rolle von Konflikten in Gesellschaften: Konflikte als dysfunktionale Faktoren Gesellschaftstheorien, die Konflikte als dysfunktionale Faktoren begreifen, unterstellen, dass Gesellschaften zunächst einen vertrauten Rahmen reibungsloser Interaktion bereitstellen müssen, um Alltagshandeln zu ermöglichen. Konflikte werden nach dieser Auffassung als Störfaktoren begriffen, die der stabilitätsstiftenden Funktion der Gesellschaft zuwiderlaufen. Gesellschaften haben daher Strategien entwickelt, mit deren Hilfe sie Konflikte schnell lösen und umgehen können (vgl. Bolten 2000). Mediation als Konfliktbearbeitungsverfahren kann aus dieser Sicht als gesellschaftsförderndes und stützendes Instrument begriffen werden. Übertragen auf die Problemstellung einer Konfliktbearbeitung im interkulturellen Kontext könnte hier argumentiert werden, dass interkulturelle Verständigung auch in die- 149 So stellen zumindest Folger und Bush fest, dass gegenwärtige Formen der Mediation genau die westliche Ideologie bedienen. Andere Kulturen dagegen verfügen auch über andere Konfliktbearbeitungsmethoden, die denen der Mediation zwar strukturell, aber nicht argumentativ ähneln (vgl. Garb 1996). 142 sem Fall in Form eines Vergesellschaftungsprozesses aufgefasst werden könnte. Käme dagegen keine Vergesellschaftung zustande, dann kann nur mit dem von Jürgen Bolten vorgeschlagenen Dissensbewusstsein (vgl. Bolten 2000) vorlieb genommen werden. Konflikte als funktionale Faktoren Georg Simmel erstellt ein dialektisches Modell der Gesellschaftskonstitution, in dem Konflikt und Kooperation einander gegenseitig bedingen. Auch die Spieltheorie geht von einer derartigen integrativen Konfliktauffassung aus: Kooperationen als Gegenpol von Konflikten entstehen erst durch Konflikte, und Konflikte entstehen an den Rändern von Kooperationsformationen (vgl. Caplow 1968). Auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht stellt Angela Keppler in ihrem Forschungsüberblick zur Rolle von Konflikten in Familiengesprächen fest, dass diese in den seltensten Fällen wirklich gelöst werden, da sie zum Zusammenhalt der Familie in ihrer individuellen Konstitution und Ausprägung erforderlich sind (vgl. Keppler 1995: 102ff). Arbeiten in der Folge von Georg Simmel verweisen in diesem Zusammenhang auf den stabilitätsstiftenden Charakter von Konflikten: The reason for he empirical lack of resolution in children s disputes is that a basic function of conflict is to achieve a concrete particular social organization through the display of opposition and the constitution of accountable alignment structures. (Maynard 1985: 212, zit. nach Keppler 1995: 102) Soziale Konflikte haben eine gruppenbildende und gruppenstrukturierende Funktion. Indem sie miteinander diskutieren und streiten, produzieren (oder verändern) die Kinder die soziale Organisation ihrer Gruppe. (Keppler 1995: 102) Keppler verweist außerdem darauf, dass insbesondere Konflikten in Familiengesprächen häufig klar erkennbare und von allen Beteiligten geteilte Normen zugrunde liegen. Die Konfliktaustragung dreht sich dann jeweils nur noch um das Einhalten oder das Nichteinhalten dieser Normen, so dass hier eine Funktion der Konfliktaustragung deutlich wird, durch die die Familienstruktur gefestigt und bekräftigt wird (vgl. Keppler 1995: 103). Im Hinblick auf das Problemfeld interkultureller Konflikte könnte in diesem Zusammenhang über eine Konflikttransformation nachgedacht werden, in der existierende Konflikte zu funktionalen Konflikten transformiert werden. Interkulturelle Mediatoren könnten in diesem Kontext dafür Sorge tragen, dass die Bearbeitung dieser Konflikte nicht durch interkulturelle Irritationen so sehr beeinflusst und verhindert wird, dass sie ihre Funktionalität verlieren. Donald Brenneis entwickelt über die gesellschaftskonstituierende Funktion von Konflikten hinaus die These, dass Konflikte genuin für die Generierung von Wissen erforderlich seien. Demnach werden in argumentativen Stellungnahmen oder ande- 143

71 ren konfliktiven Äußerungen vielfach erstmals konsistente Beschreibungen und Erklärungen von Wirklichkeitsphänomenen erarbeitet. Diese werden dann zwar noch nicht im Konsens unter den beteiligten Personen geteilt, können aber später als Grundlage für eine Argumentation dienen, in der daraus konsensuales Wissen generiert wird: Bennett & Feldman s monograph on such contending narratives in American courts focuses on what they term the reconstruction of reality, but one could argue that a consequential reality is indeed being constructed for the first time. (Brenneis 1988: 230) Aus soziologischer Sicht wird Konflikten demnach eine gesellschafts- und verständigungsfördernde Wirkung eingeräumt. Konfliktinhalte schaffen erst einen Anlass interaktiver Bezugnahme auf außersprachliche Gegebenheiten, an denen Selbstpositionierungen (und damit auch gegenseitige Abgrenzungen) festgemacht werden können. Maßnahmen zur Förderung einer konstruktiveren Auseinandersetzung mit Konfliktlagen scheinen aus dieser Sicht auch den Belangen interkultureller Verständigung zuträglich zu sein, so dass auf der Grundlage der nachgezeichneten Argumentation eine Übertragung des Konzepts der Mediation auf den Bereich interkultureller Kommunikation sinnvoll erschiene. 3.3 Einzelaspekte und Problemfelder in den Diskursen zur Mediation Nachdem in den ersten beiden Abschnitten dieses Kapitels versucht wurde, allgemeine, übergeordnete Tendenzen in der zeitlichen Entwicklung von Mediation im Hinblick auf eine Annäherung an die Bedarfskonstrukte interkultureller Kommunikation nachzuzeichnen, sollen in einem weiteren Abschnitt zusätzlich Einzelaspekte aus Diskursen zur Mediation aufgezeigt und im Hinblick auf ihren Beitrag zu einer Konstruktion eines Konzepts interkultureller Mediation beleuchtet werden. Nach einer ersten Entwicklung und Verbreitung von Mediation in den USA hat sich in Deutschland seit ca. Mitte der achtziger Jahre eine permanent wachsende und nachgefragte Dienstleistungsbranche im Kontext mediatorischer Konfliktbearbeitung herausgebildet und zunehmend ausdifferenziert. So finden sich sowohl Ratgeber- als auch wissenschaftliche Literatur sowie Anbieter praktischer Dienstleistungen etwa zu den Bereichen von Familienmediation (vgl. Bastine/Wetzel 2000, Mähler/Lack-Strecker 2000, Weinmann-Lutz 2000), Scheidungsmediation (vgl. Friedman 1996, Maung 1996), Umweltmediation (vgl. Tils 1997, Runkel 1996) und Gemeinwesenmediation (vgl. Schramkowski 2001, Stadt Dortmund 2002). Der Bereich der Wirtschaftsmediation wird in wissenschaftlichen Abhandlungen 144 vielfach auch im Kontext organisationsinterner Mediation 150 im Allgemeinen (vgl. Karambayya/Brett 1989, Karambayya 1994) behandelt, dürfte jedoch in der Praxis eines der größten Wachstumsfelder darstellen (vgl. Alexander 1998, Eyer 2001, Kals/Weber 2001, Kals/Kärcher 2001). 151 Generell erweckt die Vielzahl der angebotenen Ratgeber für Endverbraucher auf dem Buchmarkt den Eindruck, dass mediatorische Fähigkeiten nicht nur erst nach absolvierten und zertifizierten Ausbildungen, sondern schon nach der Lektüre eines allgemeinverständlichen Ratgebers in Form von ersten Kompetenzen und Anwendungsanreizen in der Alltagswelt des Lesers erfolgreich angewendet werden können. In Kapitel 2.1 wurde entsprechend die gesellschaftstheoretische Überantwortung des Umgangs mit Interkulturalität auf der Ebene von Individuen und Gruppen nachgezeichnet. Die Flut der Ratgeberliteratur in den Bereichen der interkulturellen Kommunikation 152 sowie der Konfliktmediation 153 kann als Ausdruck und als Reaktion auf diese gesellschaftstheoretische Verortung der Aufgabe einer entsprechenden Lösungsfindung gesehen werden. Sowohl im Fall interkultureller Kommunikation als auch im Fall einer Konfliktbearbeitung scheint angenommen zu werden, dass der Problemgegenstand zumindest teilweise in Form von Ratgebern unmittelbar an betroffene Individuen kommuniziert und von diesen direkt umgesetzt werden kann. Auch im Hinblick auf die Vermittelbarkeit entsprechender Kompetenzen scheinen die Bereiche interkultureller Kommunikation und Konfliktbearbeitung also zumindest teilweise ähnlich eingeschätzt zu werden. Die Handlungsoptionen eines Mediators werden in der Ratgeberliteratur in den meisten Fällen in Form eines Phasenmodells dargestellt, das auch in Mediatorenausbildungen gemeinhin vermittelt wird. Für den Mediator gliedert sich demnach ein Mediationsverfahren in mehrere aufeinanderfolgende Phasen, in denen jeweils unterschiedliche Zielstellungen erreicht werden sollen. Sowohl dem Mediator als auch den Konfliktparteien können derartige Phasenmodelle als Orientierungsrahmen und hilfe beim Durchlaufen des Verfahrens dienen (vgl. Besemer 1993). Im Folgenden sollen darüber hinaus unterschiedliche Techniken, Strategien, Zielstellungen und Schulen vorgestellt werden, die gegenwärtig in Diskurse um wünschenswerte Formen von Mediation mit einfließen. 150 Als Beispiel für eine Implementierung interner Mediation in Einrichtungen der Bundesregierung vgl. Lamlé Als Einblick in Aspekte einer interkulturellen Wirtschaftsmediation vgl. einführend Herlyn 2001a. 152 Vgl. exemplarisch für eine Vielfalt von Publikationen Stahl/ Langeloh/ Kühlmann 1999, Herbrand 2002, Hecht-El Minshawi Vgl. FN

72 Positionen und Interessen: das Harvard-Konzept Für viele Mediatoren dienen die Maximen des Harvard-Konzeptes (vgl. Fisher/Ury 1996) noch heute als wertvolle Handlungsanweisungen. Für eine erfolgreiche und kooperative Konfliktbearbeitung fordert dieses Konzept eine diskursive Trennung zwischen personenbezogenen und sachbezogenen Konfliktangelegenheiten. Das Harvard-Konzept geht des Weiteren davon aus, dass die Oberflächenstruktur eines Konfliktes aus unverhandelbaren Positionen besteht, deren Befriedigung nur durch eine einzige Lösung denkbar ist. Alle Formen der Konfliktaustragung basieren demnach auf derartigen Positionen. Diesen Positionen liegen auf einer tieferen Ebene persönliche Interessen und Bedürfnisse zugrunde, deren Befriedigung jedoch auf unterschiedliche Weisen denkbar wird, so dass sich im Fall durch Positionen festgefahrener Konflikte neue Verhandlungs- und Kreativitätsspielräume ergeben. Die Aufgabe des Mediators besteht aus dieser Sicht darin, diese Interessen aufzudecken und bewusst zu machen. 154 (vgl. Kals/Webers 2002: 15). Eine ähnliche Reflektionsaufgabe käme Drittpersonen bei einer Förderung interkultureller Verständigung aus der Sicht der interkulturellen Philosophie zu: Hier könnten Drittpersonen dazu beitragen, in Missverständnissituationen Universalitätsannahmen bewusst zu machen, die Kommunikationen in interkulturellen Situationen von den Interaktanten fälschlicherweise zugrunde gelegt werden können. Sowohl bei einer Konfliktmediation durch eine Aufdeckung zugrunde liegender Interessen als auch bei einer Verständigungsförderung in interkulturellen Kontexten käme Drittpersonen also die Aufgabe zu, tiefere Ebenen, die der Kommunikation zugrunde liegen, bewusst zu machen und auf diese Weise den Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Interaktanten zu vergrößern. Angesichts der strukturellen Ähnlichkeit dieser beiden Herangehensweisen darf jedoch nicht übersehen werden, dass es aus Sicht der interkulturellen Philosophie darum ginge, kulturbedingte, also kollektiv geteilte, Annahmen bewusst zu machen, während eine Aufdeckung persönlicher Interessen im Sinne des Harvard-Konzepts eine individuelle Ebene fokussiert. Verlangsamung und Entschleunigung Insbesondere für den Bereich des gegenseitigen Verstehens in Situationen interkultureller Kommunikation erläutert Bernd Müller-Jacquier die Auswirkungen einer diskursiven Verlangsamung und Entschleunigung des Kommunikationsprozesses (vgl. Müller 1995: 49ff sowie Kap ). Ähnliche Effekte zeigen sich je- 154 Das Harvard-Konzept spricht davon, die Interessen der Parteien zu ventilieren, die den festgezurrten Positionen auf der Oberflächenstruktur zugrunde liegen. (Kals/Webers 2002: 15). 146 doch auch in der intrakulturellen Konfliktkommunikation, weshalb Strategien der Entschleunigung meist auch zur Anwendung in Mediationen empfohlen werden (vgl. Heintel 2002). Müller-Jacquier zufolge kommen gegenseitige, negativ attribuierende Bedeutungszuschreibungen meist durch situative empathische Attributionen zustande, da die Geschwindigkeit des Konfliktdiskurses keine komplexeren Sinninterpretationen zulasse. Strategien der Entschleunigung können dazu führen, dass den Konfliktparteien dieser Reflektionsspielraum wieder zur Verfügung steht, so dass kognitive Leistungen wie die der Perspektivenübernahme erst möglich werden. Demnach scheint entschleunigenden Eingriffen in die Interaktion durch dritte Personen sowohl von der Forschung zur interkulturellen Kommunikation im Fall kommunikativer Missverständnisse als auch von der Mediationsforschung in Konfliktfällen ein verständigungsfördernder Effekt beigemessen zu werden. Bearbeitung eines gemeinsamen Problems: das Ein-Text-Verfahren Zu den übergeordneten Zielstellungen unterschiedlicher mediatorischer Strategien zählt auch eine Neu-Rahmung des Konfliktgegenstandes als ein den Parteien gemeinsames Problem, um dessen Bearbeitung sie sich ebenfalls gemeinsam bemühen müssen. Beispielhaft verkörpert wird dieses Reframing durch die schriftliche Methode des Ein-Text-Verfahrens: Abschließende Vereinbarungen werden von den Parteien gemeinsam an einem einzelnen Text formuliert. Dabei darf jede Partei so lange immer wieder Umformulierungen vornehmen, bis alle Parteien mit dem Inhalt der Vereinbarung einverstanden sind (vgl. Besemer 1993: 123). 155 Ein strukturell ähnliches Vorgehen findet sich in der interkulturellen Forschung in der Idee, gegenseitige interkulturelle Annäherungen als Begegnungen in einem dritten Raum 156 oder einer temporären dritten Kultur (vgl. Kap ) zu denken. Auch hier geht es darum, eine relevante Situation als gemeinsamen Kontext erst herzustellen und zu konstruieren. Wenn Mediatoren mit Hilfe operationalisierter Strategien wie dem Ein-Text-Verfahren als Drittpersonen zu einer Schaffung einer derartigen gemeinsamen Ebene beitragen können, dann kann begründet erwartet 155 Die Erläuterung des Ein-Text-Verfahrens soll hier nur der Exemplifizierung dienen. Sie bedeutet jedoch keinesfalls, dass dieses Verfahren in einer Mehrzahl der durchgeführten Mediationsverfahren zur Anwendung komme. Das Ein-Text-Verfahren verkörpert jedoch auf anschauliche Weise das Prinzip der Rahmung eines Konflikts als gemeinsames Problem der Parteien, das sich als eines der übergeordneten Strategien des Mediators über das gesamte Verfahren erstreckt. 156 Vgl. hierzu die Überlegungen zu einem hermeneutischen Verstehen durch eine gegenseitige Annäherung in einem dritten Raum von Berhard Waldenfels (vgl. Waldenfels 1971 sowie Kap ) 147

73 werden, dass Drittpersonen auch die Herstellung einer third culture in interkulturellen Kontaktsituationen fördern können. Gezielte Herstellung gegenseitigen Verstehens: der Loop of Understanding Insbesondere im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen wird sowohl im USamerikanischen, mehr aber noch im deutschsprachigen Raum die Gesprächstechnik des Loop of Understanding propagiert. 157 Nach eigenen Recherchen konnte bislang kein expliziter Rückbezug dieser Definition auf sozialwissenschaftliche oder andere theoretische Konzepte gefunden werden, wenngleich die Fähigkeit zum und die Strategie des Loopings von den Anbietern zahlreicher Institutionen zur Konfliktvermittlung und von Weiterbildungsmaßnahmen zur Verbesserung persönlicher Konfliktfähigkeit propagiert und angepriesen werden. Eine Internetrecherche vom führte jedoch zu folgenden definitorischen Annäherungen: Die Mediationsstelle Frankfurt (Oder) hat im Internet eine so genannte Xenos- Trainerwerkstatt eingerichtet, die einen Austausch von Experten- und Praxiswissen unter allen Trainern und Durchführern von Weiterbildungsmaßnahmen fördert, deren Projekte im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit initiierten Projektes Xenos Leben und Arbeiten in Vielfalt gefördert werden. In dieser Wissensplattform wird Loopen als zentrale Technik des Mediators bezeichnet: Demnach sei Looping eine Gesprächstechnik des Wiederholens, 158 die der in 157 Die Verwendung des Begriffs in diesem Kontext ist nicht zu verwechseln mit und scheint in keiner intendierten Beziehung zu stehen zu dem Terminus des Looping, wie ihn Erving Goffman in seiner Untersuchung Asyle verwendet: Goffman versteht unter Looping den sozialen Reproduktionsautomatismus durch den Mitglieder oder Insassen totaler Institutionen wie beispielsweise von psychiatrischen Anstalten, Gefängnissen oder Klöstern in ihrer Situation verhaftet bleiben und immer wieder in diese zurückfallen: Angehörige des Aufsichtspersonals oder Verwalter derartiger Einrichtungen interpretieren jede systemkritische Handlung der Insassen als Indiz für die Krankheit oder für eine andere Notwendigkeit, aufgrund deren die Insassen weiterhin in der jeweiligen Anstalt bleiben müssen und das System gerade nicht verändert werden darf. Unter Looping versteht Goffman hier also eine Form eines sozialen und unbewussten Vorgangs der Reproduktion totalitärer Systeme (vgl. Goffman 1973: 43ff). 158 Zu sprachwissenschaftlichen Untersuchungen von Reformulierungshandlungen vgl. die Dissertation von Kristin Bührig (vgl. Bührig 1996), die Beiträge in Bastian/Hammer 2002 sowie den Aufsatz von Gülich/Kotschi 1987: Gülich und Kotschi untersuchen, wie durch Gespräche Texte konstituiert werden. Dabei fassen sie Gespräche jedoch nicht allein als eine Aufeinanderfolge von Sprechakten, sondern als Konstituierungsprozess sozialer Beziehungen auf. Reformulierungen können in diesem Kontext die Beziehungskonstitution fördern und damit auch die Bereitschaft zu weiteren kooperativen Verständigungsleistungen erhöhen (vgl. Hartung 2000: 93). 148 der Psychologie entstandenen Technik des Spiegelns 159 nahe stehe. Eingesetzt werde die Technik zur Förderung eines allseitigen Verständnisses zwischen dem Mediator und den Konfliktparteien, zur Verlangsamung des Konfliktbearbeitungsprozesses und zum Empowerment der Konfliktparteien. Darüber hinaus diene der Einsatz des Loopings von Seiten des Mediators gegenüber den Konfliktparteien für diese als Klärungshilfe und als Möglichkeit der inhaltlichen Ausweitung des Konfliktgegenstands. 160 Das Department für Psychologie und Sozialpsychologie der Ludwig-Maximilians- Universität München bietet eine interdisziplinäre Zusatzausbildung Wirtschaftsmediation an. In dieser Ausbildung werden Techniken des Loopings vor allem zur Anwendung in der dritten Phase des dort zugrunde gelegten Mediationsmodells vermittelt. Looping wird in der Ankündigung dieser Ausbildung definiert als Technik zur Selbst-Reflektion in Co-Vision-Teams. 161 In ähnlichem Kontext vermittelt die ganzheitlich arbeitende Freiburger Trainerin Lea Regine Knoll die Technik des Loopens zwecks besseren Selbstverstehens und einer Förderung des gegenseitigen Verstehens. 162 Im Glossar ABC der Mediation des österreichischen Peace Center Burg Schlaining findet sich zum Begriff des Looping folgende Definition: Eine Gesprächstechnik, mit der überprüft wird, ob alle dasselbe innerhalb des Mediationsgesprächs verstehen bzw. verstanden haben. Wo liegt der Konsens? Wo liegt der Dissens? Kann ich auch verstehen, ohne einverstanden zu sein? (vgl. Bilek/Sator/Michal-Misak 2003) Zusammenfassend scheint ein Großteil der Definitionsversuche ausschließlich die Funktion des Loopens, nämlich die Förderung unterschiedlich gelagerter Verstehens- und Verständigungsprozesse, nicht aber eine Beschreibung der eigentlichen Gesprächstechnik in den Blick zu nehmen. Was bleibt, ist lediglich eine Ähn- 159 Spiegeln oder Paraphrasieren bedeutet, mit den eigenen Worten kurz wiederzugeben, was der oder die andere gesagt hat. (Besemer 1993: 117). Dulabaum unterscheidet darüber hinaus zwei Hauptkategorien des Spiegelns: 1. Eine faire, kompakte Zusammenfassung und Wiedergabe der genannten Fakten, der Gefühle und der Gedanken. 2. eine Zusammenfassung und Verdeutlichung des Gesagten in Form von Nachfragen, um Fakten, Gefühle und Gedanken zu klären (vgl. Dulabaum 2000: 140). 160 Vgl. Xenos-Trainerwerkstatt: Definition Loopen (Internet: trainerwerkstatt.de [Zugriff: Seite nicht mehr vorhanden, ]). 161 Vgl. Interdisziplinäre Zusatzausbildung Wirtschaftsmediation des Departments für Psychologie und Sozialpsychologie: Michel-Peres/Peres/Frey Vgl. das Weiterbildungsangebot von Lea Regine Knoll im Internet: [Zugriff: ]. Eine wortgleiche Definition findet sich auf der Seite der Firma Seminare& Konzeptionen aus Henstedt-Ulzburg (Internet: [ ]). 149

74 lichkeitsreferenz auf die psychologische Gesprächstechnik des Spiegelns, dem im Rahmen der Mediation ein neuer oder präziserer Funktionsbereich zugeschrieben wird. Mit Blick auf die im Bereich der Philosophie vorgeschlagenen Wege zur Herstellung von interkulturellem Fremdverstehen ergeben sich jedoch auch hier Ähnlichkeiten. So kann in der Technik des Loopens eine konkrete Anleitung zum praktischen Vollzug der Rollenübernahme 163 und der Perspektivenübernahme 164 gesehen werden, in der sowohl Ansätze aus der Forschung zur interkulturellen Kommunikation als auch Ansätze aus der Mediationsforschung eine Grundbedingung für die Herstellung interkultureller Verständigung sehen. Auch die Technik des Loopens scheint sich aus dieser Sicht für eine funktionale Übertragung aus dem Bereich der Konfliktbearbeitung auf den Bereich der interkulturellen Kommunikation zu eignen. Mediation zwischen Therapie und Verhandlung Mediatoren müssen sich häufig den Vorwurf gefallen lassen, sie wendeten therapeutische Methoden 165 an, ohne über die normalerweise dafür erforderliche psychologische Ausbildung zu verfügen. In Deutschland erscheint dieses Kriterium von besonderer Wichtigkeit, und nur studierten Psychologen wird die Anwendung von Therapien zugetraut. 166 In den USA dagegen zählt der Mediatorenberuf zu den helping professions (vgl. Silbey/Merry 1986). 167 Im deutschen Sprachgebrauch scheinen mit therapeutischen Formen vorrangig Methoden zum Umgang mit und zur Heilung von Krankheiten assoziiert zu werden, aus der die Erfordernis einer besonderen Ausbildung und Qualifikation seitens der behandelnden Person hergeleitet wird. Mit der US-amerikanischen Kategorie der helping professions wird diese kategorische Trennung der beiden Anwendungsbereiche und die Dichotomisierung von Gesundheit und Krankheit umgangen, so dass auch auf dem Bereich der Interaktion mit gesunden Menschen die Anwendung therapeutischer Formen denkbar wird. 163 Vgl. Mead 1993 [1934]: 204ff sowie Kap Vgl. Waldenfels 1971, resp. Kap sowie Bush/Folger 1994: 100, resp. Kap Zu einer sprachwissenschaftlichen Erfassung von Therapiegesprächen vgl. Gebel/Speck Doch auch mit Hilfe psychologischer Verfahren lässt sich die Funktion von Mediation untersuchen und beschreiben (vgl. Conlon/Carnevale/Ross 1994). 167 So subsumieren beispielsweise auch Sarangi und Roberts Mediation in ihrem Band unter ein Tätigkeitsfeld zusammen mit Berufssituationen aus den Bereichen Medizin und Management (vgl. Sarangi/Roberts 1999). 150 So ziehen beispielsweise Silbey und Merry den Begriff der Therapie hinzu, um damit eine zentrale Strategie und Handlungsorientierung von Mediatoren zu bezeichnen. Sie unterscheiden in diesem Sinne zwei konträre mediatorische Stile, die sich an Prinzipien von Verhandlung vs. Therapie orientieren. Silbey und Merry verstehen diese Prinzipien als zwei Extrempole, zwischen denen sich individuelle und konkrete Verfahren normalerweise bewegen (vgl. Silbey/Merry 1986: 19-25). Mediationsverfahren mit einer vorrangigen therapeutischen Orientierung arbeiteten demnach vor allem mit der Erkundung der Gefühle und Empfindungen der Konfliktparteien. Therapeutisch arbeitende Mediatoren versuchen das Konfliktthema im Gespräch mit den Parteien diskursiv auszuweiten, um möglichst viele randständige und versteckte Aspekte des Konflikts mit berücksichtigen zu können. Therapeutische Verfahren gehen davon aus, dass sich die Konfliktparteien nicht über alle Aspekte des Konflikts, ihre Empfindungen und Interessen, völlig im Klaren sind. Therapeutisch arbeitende Mediatoren helfen daher bei der kommunikativen Selbstklärung der Konfliktparteien (vgl. Silbey/Merry 1986: 19-25). Verhandlungsorientierte Mediatoren dagegen agieren nach einem konträren Schema: Sie gehen davon aus, dass die Konfliktparteien genau benennen können, was sie wollen. Die Gesprächsführung zielt daher nicht auf eine Ausweitung, sondern auf eine Präzisierung und Konkretisierung des Konfliktgegenstandes ab: Unklare Konflikte werden sozusagen auf den Punkt gebracht, der wiederum Möglichkeiten der Aushandlung einer Lösung bieten soll (vgl. Silbey/Merry 1986: 19-25). Auch zu dieser Debatte aus dem Bereich der Mediationsforschung um die Nützlichkeit und die Vertretbarkeit eines therapeutischen Einschlags in der Mediation kann ein teilweise äquivalentes Problem- und Anwendungsfeld in den Wissenschaftsdiskursen zur interkulturellen Verständigung gefunden werden: Ein Großteil der im zweiten Kapitel dieser Arbeit besprochenen philosophischen Überlegungen zur Möglichkeit interkultureller Verständigung sieht im Sinne von Phänomenologie und Hermeneutik ein (unerreichbares) Optimum interkulturellen Fremdverstehens in der Form eines subjektiven Fremdverstehens. Gemeint ist damit eine Adaptation des emotionalen und affektiven Empfindens eines zu Verstehenden durch den Verstehenden im Hinblick auf die Wahrnehmung eines bestimmten Kontextes. Wenngleich auch die Mediationsforschung keine Anweisungen dazu vorlegen kann, auf welchen Wegen ein derartiges, individuell und emotional orientiertes Verstehen geleistet werden kann, so scheinen doch therapeutische Herangehensweisen, hier verstanden in ihrer Eigenschaft als Mittel zur gezielten, diskursiven Aufarbeitung von Emotionen, zumindest eine probate Wegrichtung zur Annäherung an eine derart gelagerte Verständigung aufzeigen zu können. 151

75 3.4 Sozialwissenschaftliche empirische Beschreibungen von Mediation Neben der bis zu diesem Punkt nachgezeichneten, größtenteils normativ ausgerichteten Mediationsforschung finden sich in den Sozialwissenschaften auch vereinzelte deskriptive Arbeiten zu Mediation und interkultureller Mediation. Im Gegensatz zu normativen Ansätzen propagieren sie keine anzuwendenden Strategien, sondern beobachten stattdessen, welche Strategien sich seitens der Mediatoren und der Konfliktparteien aus Sicht eines Beobachters tatsächlich erkennen lassen. Vor diesem Hintergrund kann letzten Endes ein Vergleich der normativen Zielstellungen von Mediation und ihrer praktischen Realisierungen getätigt werden. Entsprechende Ansätze finden sich insbesondere auf methodischen Grundlagen der funktionalen Pragmatik, der interaktionalen Soziolinguistik und der Grounded Theory (die sich aufgrund ihrer paradigmatischen Offenheit insbesondere für heuristische Fragestellungen zu eignen scheint), so dass aus diesen Bereichen im Folgenden einzelne Arbeiten exemplarisch vorgestellt werden sollen. 168 Frank Liebe und Nadja Gilbert stellen in ihrer Studie zur interkulturellen Mediation fest, dass Mediatoren in interkulturellen Mediationen verglichen mit normalen Mediationen zu einem verstärkten Gebrauch von Höflichkeit tendierten (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 42). Die Autoren interpretieren diese Beobachtung vor dem Hintergrund wahrgenommener erhöhter Komplexität des Konfliktsachverhalts. Höflichkeit identifizieren sie als eine Strategie mit der Funktion der Distanzierung so aus Angst, Scheu oder der Befürchtung, der Interkulturalität als Mediatoren nicht gewachsen zu sein von dem zu bearbeitenden Konfliktfall. Höflichkeit bedeute dabei auch, dass die Mediatoren zugunsten eines höflichen Vorgehens nicht immer darauf beharrten, alle Äußerungen ihrer Parteien immer ganz genau zu verstehen. Die funktionale Pragmatik ermöglicht hier eine Analyse von Mediation auf einer Mikroebene. Wichtig erscheint dabei die Prozessorientierung der Analyse, die die Funktion und die Bedeutung kleinerer Einheiten für den Gesamtverlauf einer Mediation untersucht (vgl. Folger/Jones 1994: ix). Eine ausführliche Studie aus der funktionalen Pragmatik liegt in Jacobs 2002 vor. Folger und Jones verweisen darüber hinaus auf die folgenden Arbeiten: Donohue/Allen/Burrel 1988 untersuchen Grade sprachlicher Direktheit von Mediatoren. Tricia Jones legt in Jones 1988 und Jones 1989 eine Phasenanalyse von Mediationen vor. Darüber hinaus untersucht sie Interaktionsmuster zwischen Mediator und Parteien sowie zwischen den Parteien im Vergleich zwischen Mediationen mit konsensualen und dissensualen Er- 168 Darüber hinaus sei an dieser Stelle verwiesen auf Studien aus dem Bereich der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, in denen intrakulturelle Mediationen untersucht wurden (vgl. Greatbatch/Dingwall 1994, Greatbatch/Dingwall 1999). 152 gebnissen. Argumentationsstrukturen in Mediationen werden von Jacobs 1990 und Jacobs/Jackson/Stearns/Hall 1991 untersucht. Interaktionstheoretische Arbeiten fokussieren Prozesse der Bedeutungskonstitution im Mediationsprozess. Bedeutungen werden nach interaktionstheoretischen Annahmen situativ ausgehandelt und immer wieder neu verhandelt. Im Fall von Mediationsverfahren stellt sich beispielsweise die Frage, wie die Rollen von Mediator und Parteien interaktiv konstituiert werden (vgl. Folger/Jones 1994: x). Folger und Jones verweisen auf folgende Titel und Fragestellungen, die sich interaktionstheoretisch bearbeiten lassen: Littlejohn und Shailor 1986 untersuchen Werte, Gerechtigkeitsauffassungen und Konfliktorientierung von Parteien und Mediatoren. Dingwall 1988 und Greatbatch und Dingwall 1989 untersuchen Interpretationen des Verhaltens des Gegenübers in Mediationsverfahren. Das Konzept der Grounded Theory versteht sich selbst nicht als Methodenprogramm, sondern als eine Methodenlehre, die zwar sehr unterschiedliche Vorgehensweisen erlaubt, jedoch gemeinsame Grundannahmen beinhaltet. 169 Die Grounded Theory geht von Problemstellungen in der Alltagswelt aus. Aus ihr werden Theorien induziert. Die Theorien werden aufgrund von problemorientierten Fragestellungen erarbeitet. Aus dem empirischen Material werden so genannte Konzepte herausgearbeitet, Grundannahmen über Aspekte in der Interaktion, die für die Situation maßgeblich sind (im Fall von Liebe/Gilbert beispielsweise Verkomplizierung durch Interkulturalität ). Derartige Konzepte lassen sich anhand von vorgegebenen Fragestellungen herausfinden, nach denen man den empirischen Gegenstand abklopfen kann. Die Konzepte stehen im Mittelpunkt der Theorie. Auf ihrer Grundlage werden der ursprüngliche sowie weitere Texte untersucht. Die Theorie ist dabei niemals statisch, sondern muss im Bedarfsfall immer wieder modifiziert werden, weil auch die Fragestellungen immer leicht wechseln können. Frank Liebe und Nadja Gilbert (vgl. Liebe/Gilbert 1996) untersuchen eine Simulation in Form eines Rollenspiels einer interkulturellen Mediation nach der Methode der Grounded Theory (vgl. Titscher et al. 1998: 92ff). Interessant erscheint dabei, welche Grundannahmen sie zur Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens machen. Diese Annahmen determinieren schon zu Beginn in hohem Maße die Lösungswege, die die Autoren für eine Mediation für fruchtbar erachten. Wichtigstes Instrument ist demnach das Kontextualisieren interkultureller Konflikte: Kulturelle Begründungen werden ausgeschaltet, so dass nur noch die dahinterliegenden Interessen stehen bleiben. Als Besonderheiten interkultureller Mediationen stellen sie folgende Merkmale heraus: 169 Für einen einführenden Überblick vgl. hier Titscher et al. 1998: 92ff. 153

76 das Phänomen der Verkomplizierung durch die Interkulturalität (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 43-44), der Umgang mit dem Sprachenproblem (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 44-46), Interkulturalität als Kontextualisierung (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 46-48), Kultur als Strategie (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 48-50), die Interkulturelle Kompetenz der MediatorInnen (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 50ff). Aus Sicht der vorliegenden Arbeit erscheint eine gesonderte und intensive Erforschung jedes dieser genannten Bereiche und Einflussrollen von Kultur und Interkulturalität auf Mediation fruchtbar. Auch Liebe und Gilbert argumentieren jedoch vor dem Hintergrund des im späteren Verlauf dieser Arbeit entwickelten Paradigmas deduktiver Konzipierungen interkultureller Mediation, durch das die Besonderheiten, die die Autoren in ihrer heuristischen Erforschung erkennen, bereits in vergleichsweise hohem Maße vorbestimmt werden: Objekte der Beobachtung sind aus dieser Sicht Aspekte, die sich von einem Hintergrund des gegebenen Verfahrens der Mediation abheben. Um im Sinne der im vierten Kapitel vorgeschlagenen Herangehensweise einer induktiv konzipierten Mediation möglichst viele Aspekte interkultureller Problemstellungen erfassen und an Wege der Mediation herantreten zu können, erscheint dagegen eine umgekehrte Argumentationsweise erforderlich: Zentrale Probleme, die in interkulturellen Mediationen bearbeitet werden müssten, wären demnach gerade die Problemstellungen, die sich aufgrund interkulturell bedingter Verständigungskontexte ergeben. Gegenüber diesen stellt die Auflistung von Liebe und Gilbert jedoch einen Ansatz dar, der einer Präzisierung und einer systematischen Erweiterung bedürfte. 3.5 Die Übertragung mediatorischer Aspekte auf andere gesellschaftliche Bereiche In den vorangegangenen Abschnitten wurde anhand einzelner Aspekte der auf dem Bereich der Mediationsforschung geführten Debatten die konzeptionelle und strukturelle Annäherung der beiden Diskurse um Mediation resp. interkulturelle Kommunikation nachgezeichnet. Dabei zeigten sich in der Mediationsforschung Tendenzen in der Selbstrepräsentation des Faches sowie in präferierten Strategien und Vorgehensweisen bei der Konfliktbearbeitung, die eine Übertragung der Konzepte auf den Bereich interkultureller Kommunikation aufgrund seiner konstruierten strukturellen Ähnlichkeit nahe legten. Die Quintessenz der vorangegangenen Abschnitte schließt sich damit den Aussagen der chronologisch orientierten und diskursanalytisch inspirierten Betrachtung aus dem Abschnitt 3.2 an. Ein weiterer Aspekt, mit dem die gedankliche Übertragbarkeit des Konzepts der Mediation auf den Bereich der interkulturellen Kommunikation in den Wissenschaftsdiskursen vorbereitet wird, kann in früheren Übertragungsleistungen von Mediation auf andere gesellschaftliche Bereiche gesehen werden. Unter derartigen Übertragungen sollen dabei an dieser Stelle Transferleistungen verstanden werden, die über die quasi brancheninterne Ausdifferenzierung von Mediation auf unterschiedliche Anwendungskontexte, wie die von Umweltmediation, Familienmediation und Wirtschaftsmediation, hinausgehen. Unter einem derartige Systemgrenzen überschreitenden Transfer des Konzepts sollen statt dessen Anwendungen verstanden werden, in denen nicht mehr zwingend das ursprüngliche, strukturierte Gesprächsverfahren der Mediation sowie die damit verbundenen Regeln eingehalten werden, sondern in denen lediglich einzelne Aspekte und Ideale der Mediation auf andere Kontexte übertragen werden. Als Beispiele sollen im Folgenden Formen politischer Mediation, akademischer Mediation und medienvermittelter Mediation besprochen werden. Alle drei Bereiche beziehen sich einerseits explizit und begrifflich auf das Verfahren der Mediation zurück, übernehmen jedoch immer nur einzelne Aspekte wie beispielsweise die der Konflikthilfe durch eine dritte Person, deren übersetzerische Leistung, oder die Neutralität dieser Drittperson. Eine derartige begriffliche Ausweitung des Konzepts der Mediation ebnet den Weg zu einem Verständnis der Flexibilität und Wandelbarkeit von Mediation, das eine Übertragung auf den Bereich interkultureller Kommunikation noch nahe liegender erscheinen lässt Politische Mediation Auch im politischen Bereich spricht man insbesondere im Fall von Vermittlungen bei internationalen Konflikten häufig von Mediationen und scheint damit eine diskursive Nähe dieser Vorgehensweisen zur interpersonalen Mediation herstellen, bzw. sich selbst in deren Tradition positionieren zu wollen. Aufgrund dieser Begriffstradition wird im Alltagsverständnis in der Folge auch eine konzeptuelle Ähnlichkeit politischer mit interpersonaler Mediation angenommen, die jedoch kaum mehr gegeben ist. Vermittlungen in internationalen Konfliktlagen auf politischer Ebene weisen stattdessen eine Reihe von Spezifika auf, die sich von denen interpersonaler Mediation grundlegend unterscheiden. Die Ausführungen in diesem Abschnitt sollen daher der Begriffsklärung und abgrenzung dienen. Formen politischer Mediation können darüber hinaus im Hinblick auf ihre Anwendung in internationalen Konflikten und innergesellschaftlichen Konflikten unterschieden werden. Internationale Konflikte

77 Im Hinblick auf die Ideale interpersonaler Mediation erscheint bei Mediationen internationaler Konflikte auf politischer Ebene 170 insbesondere die Unparteilichkeit der Drittpersonen nicht mehr gewährleistet werden zu können. Stattdessen üben Mediatoren in diesen Fällen häufig erheblichen Druck, beispielsweise in Form von Hilfsangeboten oder Hilfsentzug, auf die Konfliktparteien aus. 171 Norbert Ropers unterscheidet daher im Zusammenhang mit politischer Mediation zwischen direktiver und nicht-direktiver Mediation. Während Mediation im klassischen Sinne unter dem Begriff der nicht-direktiven Mediation gefasst werden kann, soll direktive Mediation eine Sonderform der Mediation speziell im politischen Bereich bezeichnen. Unter direktiver Mediation werden Vermittlungsversuche verstanden, in denen der Mediator tatsächlich führend und steuernd eingreift, und in denen er politische Druckmittel anwenden kann. Ropers stellt die Unterschiedsmerkmale direktiver und nicht-direktiver Mediation in seinem Aufsatz tabellarisch einander gegenüber (vgl. Ropers 1995: 53). Mit Hilfe dieser Unterscheidung gelingt es überhaupt erst, Vermittlungsversuche im politischen Bereich unter den Begriff der Mediation zu fassen, die schließlich ein wesentliches Merkmal der Veränderung von Konfliktbearbeitung im politischen Bereich nämlich hin zu mediatorischen Methoden darstellen. 172 Innergesellschaftliche Konflikte Besemer zufolge haben auch die innenpolitischen Systeme westlicher Gesellschaften einen immer größeren Bedarf an mediatorischen Maßnahmen. Ein hoher Grad an Demokratisierung, einhergehend mit immer höheren Ansprüchen nach Selbstverwirklichung führten dazu, dass auch kleinere politische Entscheidungen selbst nach intensiver Ausarbeitung immer häufiger von anderen beteiligten politischen Akteuren blockiert würden (vgl. Besemer 1993: 96). 173 Besemer bemängelt des Weiteren die geringe Wahrscheinlichkeit von Synergieeffekten demokratischer Entscheidungsprozesse. So liefen Wahlen, Volksabstimmungen oder das Be- 170 Als Fälle erfolgreicher politischer Mediation verweist Christoph Besemer auf den Sudanesischen Bürgerkrieg 1972, das Camp-David-Abkommen 1978 und den Miskito-Konflikt in Nicaragua (vgl. Besemer 1993: 21). 171 Über die Aufgaben außenpolitischer Vermittlung durch Kulturpolitik schreibt Waldburg- Zeil Mittler haben ihmzufolge die Aufgabe, Konfliktparteien aufzuzeigen, um welche Konfliktart es sich bei ihnen jeweils handelt. Mittler haben die einfachere Perspektive. 172 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Modell internationaler Mediation von Jacob Bercovitch (Bercovitch 1994, 2001). 173 Politische Mündigkeit und die Forderung nach Selbstbestimmung haben in manchen Bereichen einen Grad erreicht, dem die herkömmlichen politischen Verfahren nicht mehr gerecht werden. (Besemer 1993: 96). 156 schreiten des Rechtswegs höchstens auf einen Kompromiss, in den meisten Fällen jedoch auf ein Nullsummenspiel hinaus, aus dem eine Minderheitengruppe einen Nachteil ziehen wird. Besemer folgert daraus, dass keines der gegenwärtig angewendeten Verfahren einen Konflikt im Sinne der Anforderungen einer Mediation tatsächlich löse (vgl. Besemer 1993: 96-97). Besemer benennt darüber hinaus weitere Besonderheiten politischer Mediation: So sei von politischen Mediationen in der Regel ein weitaus größerer Personenkreis urch die in einer Mediation gefällten Entscheidungen betroffen (vgl. Besemer 1993: ). Des Weiteren sei eine Atmosphäre der Vertraulichkeit zunehmend schwerer herstellbar, da sich die Beteiligten in Gruppenkonflikten mit einer zunehmenden Zahl weiterer Personen absprechen müssten (vgl. Besemer 1993: 101). Begrüßenswert sei daher in diesem Zusammenhang das Vermeiden verfrühter Medienberichterstattung Akademische Mediation Der Begriff der akademischen Mediation scheint in der Literatur bislang nicht existent zumindest sind dem Verfasser keine entsprechenden Anzeichen bekannt, er soll jedoch an dieser Stelle zur Bezeichnung mediatorischer Bemühungen aus dem Bereich der Wissenschaften und ihren Institutionen verwendet werden. So veranstaltete beispielsweise die Max-Planck-Gesellschaft 1991, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, eine internationale Konferenz, in der die gegenseitigen Fremdwahrnehmungen der USA und der damaligen Sowjetunion analysiert werden sollten. Aus konflikttheoretischer Sicht ging man davon aus, dass eventuelles Konfliktpotential zwischen den beiden Supermächten bereits aufgrund divergierender Fremdwahrnehmungen entstehe und nicht allein auf klare Interessengegensätze zurückzuführen sei. 174 Astrid Ertelt-Vieth legt in diesem Sinne eine mediatorisch orientierte Analyse des Konferenzverlaufs vor (vgl. Ertelt-Vieth 1991). Während dieses genannte Beispiel auf die Möglichkeit und die teilweise Erfordernis der Anwendung mediatorischer Maßnahmen innerhalb akademischer Debatten verweist, ist eine ähnliche Vermittlertätigkeit auch zwischen akademischen Diskursen und Diskursen der Gesellschaft festzustellen. So sieht beispielsweise Michael Dusche die Aufgabe von Philosophen gegenüber der Gesellschaft darin, Kon- 174 Whatever the path of history will be, it is clear that it will be deeply influenced by the perceptions which the acting elites hold of each other s long-range goals in the political re-orientation of international relations. (Gottstein 1991: 9). 157

78 sensprozesse zu katalysieren und beratend zu fundieren (vgl. Dusche 2000 / Dusche 2002a / Dusche 2002b) Medienvermittelte Mediation Ein mediationsähnliches triadisches Vermittlungsmuster lässt sich auch für den Bereich massenmedialer Kommunikation feststellen: im gegenwärtigen Zeitalter der Massenmedien ist ein Großteil individuellen Weltwissens qua medienvermittelter Sekundärerfahrung konstituiert. In diesem Rahmen kann davon ausgegangen werden, dass auch die soziale Konstruktion von Beziehungen zwischen Großgruppen auf der Grundlage von Medieninhalten vollzogen wird: Sympathien, aber auch Konfliktlinien und Abgrenzungen sowie die Vermittlung stereotyper Fremdwahrnehmungen stützen sich zu einem Großteil auf mediale Erfahrungen. Da auch in diesem Kontext eine triadische Kommunikationsbeziehung besteht, nämlich die 175 Dusche zufolge können Philosophen grundsätzlich zwei verschiedene Rollen in der Gesellschaft einnehmen: sie können als Experten interne Fragen diskutieren und für die Politik als Berater auftreten. Demgegenüber können sie sich aber auch als Intellektuelle normativ in die Politik einmischen und Meinungen vertreten (vgl. Dusche 2002a) Dusche vertritt dabei einen Standpunkt aus der analytischen Philosophie, die er aber nicht mehr als positivistisch versteht. Wahrheit ist im Sinne von Quine relativ und immer nur um Rahmen einer bestimmten Theorie zutreffend. Folglich ist davon auszugehen, dass zu bestimmten Fragestellungen unterschiedliche Antworten als wahr gelten dürfen, weil sie aus unterschiedlichen theoretischen Zusammenhängen motiviert sind. Dusche zufolge kommt den Philosophen in diesem Kontext die Aufgabe eines Mediators zu: Philosophen beraten die Gesellschaft bei der Konsensfindung, indem sie unterschiedliche theoretische Herangehensweisen begründen und erläutern. Sie statten die Gesellschaft also mit dem erforderlichen Hintergrundwissen aus, um Konsensfragen kompetent bearbeiten zu können. Die Grundlage für Dusches Argumentation bildet eine Debatte zwischen Habermas und Rawls. Rawls hat eine Theorie der Gerechtigkeit aufgestellt, Habermas hat ihm dabei vorgeworfen, selbst als Gerechtigkeitsschöpfer aufzutreten anstatt Gerechtigkeit als eine Frage gesellschaftlichen Konsenses anzunehmen. Dusche bringt Rawls Theorie mit dem Gedanken der Unbestimmtheit von Quine zusammen und schließt daraus, dass es eine Mehrzahl von Theorien der Gerechtigkeit geben muss, abhängig davon, in welchem gedanklichen Kontext die Theorie entstanden ist. Politik hat die Aufgabe, zwischen derartigen unterschiedlichen Gerechtigkeitsauffassungen zwischen unterschiedlichen Gruppen argumentativ zu vermitteln. Aufgabe der Praktischen (angewandten?) Philosophie ist es dabei, die Politik in diesen Angelegenheiten zu beraten. Die endgültige Entscheidung bleibt aber grundsätzlich der Gesellschaft vorbehalten, Philosophen fungieren daher als Mediatoren. Der Philosoph nimmt eine neutrale Position ein und versteht die Argumente beider Seiten. Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens kann dagegen niemals vollkommen erreicht werden, Dusche stützt sich dabei auf eine Idee von Kant. Denkbar sind höchstens graduelle Annäherungen unterschiedlichen Ausmaßes an diesen Idealkonsens, der sich immer im Verhältnis einer Mehrheit zu einer Minderheit ausdrückt. Menschenrechte beispielsweise sollen dafür Sorge tragen, dass die Ansprüche von Minderheiten niemals gänzlich denen einer Mehrheit zum Opfer fallen. 158 zwischen Fremdgruppe, Massenmedium (gestaltet durch die Personengruppe der Mediengestalter, Redakteure, Journalisten, etc) und Rezipienten, lassen sich theoretisch auch die Ideen einer triadischen Verständigungsförderung auf sie übertragen. Für den Bereich der Vermittlung kulturellen Wissens hat der Ansatz der British Cultural Studies diese triadische Beziehung bereits fruchtbar gemacht. 176 In den Medienwissenschaften liegt darüber hinaus eine Vielzahl empirischer Studien und Beschreibungen dazu vor, wie Medieninhalte in unterschiedlichen Kontexten dazu beigetragen haben, ethnische und internationale Konflikte zu schüren und eine gewaltsame Eskalation zu fördern. 177 Dem entgegenwirkend liegt mittlerweile eine ähnliche große Vielfalt von Versuchen, Plädoyers und Skizzen vor, auf welche Weise diese Vermittlerfunktion der Massenmedien in Konflikten zur Förderung einer konstruktiven Konfliktbearbeitung eingesetzt werden könnte. 178 Dient eine derartige Vermittlertätigkeit einer Förderung interkultureller Verständigung zwischen den Angehörigen zweier Großgruppen, so könnte von einer Form medienvermittelter interkultureller Mediation gesprochen werden (vgl. Busch 2003b). Neben diesen Formen interkultureller Mediation durch elektronische Medien und Nachrichtenmedien liegen auch aus literaturwissenschaftlichen Kontexten Arbeiten und Beobachtungen zu ähnlichen mediationsähnlichen Vermittlungstätigkeiten 176 So beschreibt beispielsweise Stuart Hall die Medien innerhalb dieses Ansatzes als strukturierte Vermittlungsinstanz kultureller Prozesse. Andreas Hepp resümiert hierzu: Hiermit will Stuart Hall fassen, dass die elektronischen Medien helfen, unter den verschiedenen Kulturen, in die komplexe Gesellschaften wie die britische oder deutsche zerfallen, zu vermitteln. Dies geschieht erstens, indem sie wechselseitig die Mitglieder der einzelnen Kulturen mit Informationen darüber versorgen, wie die jeweils anderen leben. Die Medien ermöglichen so auch innerhalb von Staaten einen interkulturellen Informationsaustausch. Zweitens geschieht dies durch die Auswahl dessen, was in den Medien berichtet wird. Hierdurch tragen die Medien dazu bei, gesamtgesellschaftliche thematische Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die wiederum Elemente für die Konstitution von Identität sind (vgl. Hall 1989: 126f.). (Hepp 1999: 57). 177 Vgl. hier nur als exemplarische Auswahl unterschiedlicher Ansätze die Arbeiten von Löffelholz 1993, Reljic 1998, Carruthers 2000, Grewenig/Jäger 2000 sowie der Sammelband von Imhof/Schulz Vgl. exemplarisch die Beiträge im Rahmen des Engagement der Friedrich-Ebert-Stiftung (Friedrich-Ebert-Stiftung 1995 und 2000), das Plädoyer von Kurt Luger für einen Einbezug von Medienkommunikation in die Forschung zur interkulturellen Kommunikation (Luger 1994) sowie die zahlreichen Studien zum so genannten Kritischen Friedensjournalismus von Wilhelm Kempf und seinen Mitarbeitern (vgl. Kempf/Luostarinen 1996, 1997, 1999a, 1999b, 1999c und Kempf 2000). 159

79 zwischen unterschiedlichen Kulturen vor (vgl. Weiss 2001, Manzanas/Benito 2003) Traditionale Formen der Mediation Wie bereits in früheren Kontexten erwähnt, finden sich in vielen Kulturen und Gesellschaften institutionalisierte Verfahren zur triadischen Konfliktbearbeitung, die dem in den USA entwickelten Verfahren der Mediation zwar teilweise strukturell ähneln, die jedoch in keiner Weise auf diese amerikanische Variante Bezug nehmen und auch nicht für sich beanspruchen, deren Ideale zu verwirklichen. Dennoch findet sich in der Literatur eine beachtliche Anzahl von Arbeiten, die Konfliktbearbeitungsverfahren anderer Gesellschaften mit dem US-amerikanischen Mediationsverfahren vergleichen und daraufhin den fremdkulturellen Verfahren Defizite bescheinigen, um so das Verfahren der eigenen Gesellschaft legitimieren und bekräftigen zu können. 180 Eine Erforschung dieser Formen könnte jedoch auch dazu beitragen, das Instrumentarium bereits praktizierter, westlicher Mediation zu erweitern. Außerdem kann daran eventuell überprüft werden, inwieweit Techniken der Mediation kulturell universal sind oder ob Mediation eventuell doch eher ein Ideal westlicher Wertvorstellungen verkörpert. Derartige diskursive Auseinandersetzungen werden auch in den Publikationen zur Mediation vorgenommen. Diese Konfrontationen des eigenen Verfahrens mit der Andersheit fremder Verfahren sowie entsprechend abgeleitete Vorschläge zur Modifizierung des Verfahrens tragen darüber hinaus einmal mehr zu einer Bekräftigung der Annahme von Mediation als einem hochgradig wandelbaren und anpassungsfähigen Verfahren bei. Werden westliche Verfahren durch Vergleiche und Gegenüberstellungen mit andersartigen Verfahren fremder Kulturen verglichen, so rückt durch eine solche Auseinandersetzung auch der Gedanke an eine mögliche Übertragung des Konzepts auf andere Anwendungsbereiche, wie den Bereich interkultureller Verständigung, näher. Wenn auch nach den Kenntnissen des Verfassers dennoch nur vergleichsweise wenige sozialwissenschaftliche Studien und Beschreibungen von Mediation in 179 Diese Ansätze sind nicht zu verwechseln mit Versuchen zur Durchführung mediengestützter und medienvermittelter Mediationsverfahren. So gibt es beispielsweise zahlreiche Anstrengungen zur Durchführung von Mediationen im Internet (vgl. Trénel 2001). 180 Zu Arbeiten über Mediation in nichtwestlichen Gesellschaften vgl. den Literaturüberblick bei Brenneis 1988 sowie die Arbeiten von Garb (vgl. Garb 1996) am Beispiel Georgiens sowie von Werner Nothdurft und Thomas Spranz-Fogasy für die kulturelle Verwurzelung von Schlichtungsverfahren im deutschen Kontext (vgl. Nothdurft/Spranz-Fogasy 1997). 160 fremden Kulturen vorliegen, so scheint das vorhandene Material doch aufgrund einer argumentativen Lücke zusätzlich kritisch betrachtet werden zu müssen: Sucht man nach mediationsähnlichen Verfahren in fremden Kulturen, die sich in ihrer Tradition nicht explizit auf Ursprünge in der US-amerikanischen ADR-Bewegung rückbeziehen, so erscheinen signifikante Unterschiede ohnehin mehr als erwartbar. Solange keine Anzeichen einer gemeinsamen diskursiven Verwurzelung zu finden sind, kann statt dessen lediglich nach Gemeinsamkeiten zweier Verfahren aus unterschiedlichen Kulturen begründet gesucht werden, da diese dann noch nicht ohnehin schon zu erwarten sind. Die im Folgenden skizzierten Arbeiten referieren dennoch kulturell fremde Verfahren und weisen teils in einem beinahe anklagenden Ton darauf hin, dass Prinzipien westlicher Mediation wie das der Neutralität des Mediators, der Freiwilligkeit der Parteien oder des Primats der Interessen der Parteien in diesen fremdkulturellen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Exemplarisch soll an dieser Stelle die Arbeit von James A. Wall zu Formen der Mediation in China vorgestellt und ausgewertet werden (vgl. Wall 1990), in der Wall institutionalisierte Stadtteilmediatoren als charakteristische Form vorstellt. 181 In der Großstadt Nanjing wurden 25 Mediatoren zu ihren Erfahrungen und Techniken interviewt. Die Mediatoren sind meist Frauen mittleren oder höheren Alters, die damit eine städtische Aufgabe übernehmen. Wall stellt diese Form der Mediation als das in China am häufigsten angewendete Verfahren zur Bearbeitung von Konflikten dar. Die Studie zeigt, dass die Mediatoren sich in keiner Weise westlichen Idealen zur Mediation verpflichtet fühlen. Sie nehmen gezielt Stellung und entscheiden über Recht und Unrecht in den Positionen der Parteien (vgl. Wall 1990: 114). Mediationen in China verlaufen Wall zufolge weitaus strukturierter als in Europa, und zwar meist gemäß des folgenden Musters (vgl. Wall 1990: ): Sammlung von Informationen über den Konflikt, Streicheln der Gefühle der Parteien /Komplimente, Affektive Überredung anstelle einer logischen Überredung, Appell an die Gefühle der Parteien und Hineinversetzen in die Gegenseite, Einbringen dritter Parteien in den Mediationsprozess, 181 Für ethnographische Beschreibung von Mediationen in weiteren fremdkulturellen Kontexten vgl. darüber hinaus den Aufsatz von Paula Garb für das Beispiel Georgiens (Garb 1996). In Blum et al liegt des Weiteren eine vergleichende Studie zu Mediationsverfahren in den USA, China, Japan und Korea vor. Mediationsähnliche Verfahren in zeitlich entfernten Kontexten stellt Hermann Kamp am Beispiel von Friedensstiftern im Mittelalter vor (vgl. Kamp 2001). Karen Ann Watson-Gegeo und Geoffrey White haben darüber hinaus einen Sammelband linguistisch-pragmatisch fundierter Beiträge zur Beschreibung triadischer traditionaler Konfliktbearbeitungsverfahren in Gesellschaften der südostasiatischen Pazifikregion herausgegeben (vgl. Watson- Gegeo/White 1990). 161

80 Einigung, Entschuldigung und Verzeihen. Insbesondere den Aspekt des Verteilens von Komplimenten streicht Wall im Vergleich mit westlichen Mediationen als Unterscheidungsmerkmal heraus, wenngleich er jedoch nicht nach weiteren Begründungen oder Erklärungen sucht. Prinzipiell scheint jedoch auch aus westlicher Sicht etwa im Sinne des Empowerments von Konfliktparteien das Vergeben von Komplimenten durchaus funktional. Auch die Form der affektiven Überredung interpretiert Wall als eine typische, nicht-westliche Sichtweise. Gehandelt wird hier nicht mit rationalen Argumenten; stattdessen wird ein gegenseitiges Verstehen auf emotionaler Ebene angestrebt. Orientierungsmaßstab scheinen dabei gesellschaftliche Werte und Normen zu sein. Appelliert wird insbesondere an Schamgefühle vor den Mitmenschen. Als außerordentliche Besonderheit der Mediation in China kristallisiert Wall darüber hinaus das Einbringen dritter Parteien heraus. Während des Mediationsprozesses werden dritte Personen aus dem Umfeld der Konfliktparteien aufgefordert, sich im Prozess für eine Einigung mit einzusetzen. Denkbar sind Eltern, Chefs oder Polizisten aus dem Umfeld. Wall zufolge ist in kollektivistischen Gesellschaften die Bereitschaft dieser dritten Personen höher, spontan Verantwortung im Prozess zu übernehmen. Wall suggeriert hier, dass kollektivistische Gesellschaften sich in der Mediation gegenüber individualistischen Gesellschaften also nicht nur in der Art der Fundierung ihrer Argumente (rational/persönliche Bedürfnisse vs. emotionale/kollektive Normen), sondern auch in der Bereitschaft der Parteien zum Engagement zu unterscheiden. Es wäre also falsch zu behaupten, fremdkulturelle Gesellschaften seien nicht an der Lösung von Konflikten interessiert. Die Dringlichkeit für diese Lösungen wird jedoch jeweils anders hergeleitet und zwar potentiell auf eine Weise, die dem westlichen Blick nicht sichtbar wird Die Interdependenz von Mediation und gesellschaftlichem Wandel Die aufgezeigten Debatten innerhalb der Diskurse um Mediation in westlichen Gesellschaften scheinen auf komplexere Interdependenzen zwischen der Verwendung des Konzepts einer Mediation in Diskursen zur Konfliktbearbeitung sowie allgemeinen Verschiebungen von Normen, Werten und diskursiv konstruierten Bedürfnissen einer Gesellschaft hinzuweisen. So kann zum einen angenommen 182 Eine interessante Erklärung gäbe hier die Unterscheidung zwischen autoritärem und autonomem Gewissen bei Thurnherr 2000: 18. Daraus ließe sich eventuell eine Ethik der interkulturellen Verständigung ableiten. 162 werden, dass Mediation vielfach dazu verwendet wurde, um in Diskursen um sozial erwünschte Formen der Konfliktbearbeitung Veränderungen argumentativ zu untermauern. Zum anderen kann angenommen werden, dass Verschiebungen gesellschaftlicher Normen und Werte zu Diskursen geführt haben, die eine entsprechende Modifizierung und Anpassung der diskursiven Idealformen von Mediation vorangetrieben haben. Konstatiert man eine solche Interdependenz zwischen Formen der Mediation und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, so spricht diese Eigenschaft der diskursiven Idee einer Mediation zusätzlich für die Möglichkeit einer Annäherung des Konzepts an die Bedarfslage auf dem Gebiet interkultureller Kommunikation: Entwickelt eine Gesellschaft mit der Zeit ein immer ausgeprägteres Problembewusstsein für die Schwierigkeit und die gleichzeitige Dringlichkeit einer Erlangung der Fähigkeit zur interkulturellen Verständigung, dann kann dieses Ziel zur Maßgabe werden, in deren Richtung an Modifikationen des Verfahrens der Mediation gearbeitet wird. Sieht eine Gesellschaft eines ihrer größten zu lösenden Probleme auf dem Bereich interkultureller Verständigung, dann werden Methoden, die prinzipiell zur Lösung gesellschaftlicher Probleme geeignet sein sollen, auf diese Probleme ausgerichtet. Während in diesem Sinne beispielsweise Verfechter der transformative mediation als Fernziel die Schaffung einer kooperativeren Konfliktbearbeitungskultur in der gesamten Gesellschaft anstreben, also Auswirkungen von Mediationen auf gesellschaftlichen Wandel erhofft und angestrebt werden, finden sich in der Literatur auch Hinweise darauf, dass die zeitliche Entwicklung und Veränderung von Mediationsverfahren und ihren Idealen gesellschaftlichen Veränderungen folgt und ihnen unterliegt. So lässt sich beobachten, dass sich das Verfahren der Mediation im Laufe seiner zeitlich vergleichsweise kurzfristigen Karriere in der westlichen Welt seit ihrer Wiederentdeckung in den USA in den 60er Jahren permanent verändert hat. Mediation wurde im Kontext der ADR-Forschung entdeckt und als Verfahren für westliche Gesellschaften und deren Bedürfnisse entwickelt, die zu Beginn des dritten Kapitels dargelegt worden sind. Mediationsverfahren mögen erstmals in den 60er Jahren in einer den heutigen Mediationen ähnlichen Form implementiert worden sein. Dabei wurde Mediation als ein Verfahren gestaltet, dass in hohem Maße den besonderen sozialen Bedürfnissen der damaligen Zeit entsprochen hat. So bescheinigen Folger und Bush früheren Mediationsverfahren beispielsweise ein aus ihrer Sicht zu hohes Maß an Ziel- und Lösungsorientierung seitens der Mediatoren auf Kosten einer zu geringen Parteienautonomie. Folger und Bush bemängeln, dass Mediatoren in diesen Fällen auf nicht zu verantwortende Weise Einfluss auf den Konfliktbearbeitungsprozess nehmen, der sich überdies jeder weiteren externen Kontrolle entzieht (vgl. Folger/Bush 1994: 6). Das Aufkommen der immer 163

81 massiver werdenden Kritik hinsichtlich nicht eingehaltener Ideale mediatorischer Tätigkeit in der Praxis ab den 80er Jahren 183 ließe sich mit einem Wandel der gesellschaftlichen Bedürfnisse hinsichtlich einer als erwünscht angesehen Methode der Konfliktbearbeitung erklären: Kriterien wie die einer mediatorischen Neutralität und einer größtmöglichen Parteienautonomie mögen zwar auch schon in früheren Zeiten als erstrebenswert angesehen worden sein, sie standen jedoch zunächst hinter vordergründigeren Zielstellungen, wie beispielsweise denen der Effizienz, zurück. 184 Darüber hinaus kann beobachtet werden, dass das zeitliche Einsetzen kommunikationswissenschaftlicher Kritik an zeitgenössischen Mediationspraktiken mit der Konstitution des Forschungsbereichs interkultureller Kommunikation in den Kommunikationswissenschaften in etwa zusammenfällt. So könnte die aufkommende Kritik an Mediation mit ähnlichen, neu entstandenen sozialen Bedürfnissen zumindest teilweise begründet werden, wie beispielsweise mit der Entstehung des sozialen Bedürfnisses nach einer Förderung interkultureller Verständigung. Das soziale Bedürfnis nach einer Neuausrichtung der Mediationspraxis beispielsweise nach den Zielstellungen von Empowerment und Recognition im Sinne von Folger und Bush wird aus ähnlichen sozialen Motivationen gespeist, wie das Bedürfnis einer Förderung interkultureller Verständigung. 185 Sowohl die Forschung zur interkulturellen Kommunikation als auch die Professionalisierung und Weiterentwicklung mediatorischer Praxis folgen aus dieser Sicht ähnlichen sozialen Bedürfnissen. Mediation kann aus dieser Sicht als Spiegel der Bedürfnisse einer bestimmten Gesellschaft in einer bestimmten zeitlichen Epoche gelten. 183 So versammeln beispielsweise Folger und Jones in ihrem Sammelband diskursanalytische Studien, die Missstände oder Mängel in praktizierten Mediationsverfahren aufdecken und Forderungen und Vorschläge für Verbesserungen des Verfahrens anbringen (vgl. Folger/Jones 1994). 184 Verglichen mit kodifizierten Konfliktbearbeitungsverfahren wie beispielsweise Gerichtsverhandlungen, ist Mediation in hohem Maße wandelbar: Mediation ist bislang nicht staatlich kodifiziert. Statt dessen bewegt sich das Verfahren in einem Bereich, in dem es permanent weiterentwickelt wird, bzw. mangels kodifizierter Regeln in der Anwendung immer neue Ausprägungen erfährt Folger und Bush führen diese Wandelbarkeit auf das hohe Maß an Strukturlosigkeit in der Mediation zurück: die Mediatoren haben nur wenige klare Vorgaben und handeln vorrangig eigenmächtig, situativ und selbstverantwortlich (vgl. Folger/Bush 1994: 5). 185 In simplest terms, empowerment means the restoration of individuals of a sense of their own value and strength and their own capacity to handle life s problems. Recognition means the evocation in individuals of acknowledgement and empathy for the situation and problems of others. (Bush/Folger 1994: 2) Die deduktive Konzeption interkultureller Mediation Vor dem Hintergrund der bis zu diesem Punkt nachgezeichneten diskursiven Annäherung der Problem- und Lösungsvorstellungen in den thematischen Bereichen der interkulturellen Kommunikation und der Mediation dient der folgende Abschnitt einer Beschreibung und Kategorisierung zentraler Aspekte der bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit in der interkulturellen Forschung vorherrschenden Konzepte. Im Kontext der diskursanalytisch orientierten Betrachtungsweise der vorangegangenen Kapiteln und Abschnitten soll hier hypothetisiert werden, dass sich ein Großteil der praktizierten und in der Literatur propagierten Konzepte einer interkulturellen Mediation aus einer mehr oder weniger unmodifizierten Übertragung des Mediationskonzepts auf die Problemstellungen interkultureller Kommunikation heraus ergeben. Nach den Einblicken der diskursanalytischen Betrachtung erscheint eine derartige Übertragung durchaus nahezuliegen und argumentativ begründbar zu sein. Bevor derartige Konzepte interkultureller Mediation in der vorliegenden Arbeit einer konzeptuellen Kritik unterzogen werden, erscheint an dieser Stelle jedoch zunächst eine Darlegung und Systematisierung der zentralen Aspekte dieser Denkweisen einer interkulturellen Mediation angemessen. Bereits an dieser Stelle erscheint es darüber hinaus im Hinblick auf das im fünften Kapitel vorgestellte Modell interkultureller Mediation und die damit einhergehende Ausweitung des Begriffs sinnvoll, eine begriffliche Rahmung einzuführen, mit deren Hilfe sich bereits praktizierte Konzepte gegenüber der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Erweiterung kollektiv erfassen und charakterisieren lassen. Hierzu soll eine Unterscheidung deduktiver und induktiver Begriffsauffassungen interkultureller Mediation vorgeschlagen werden: Aus einer lexikalischen Herangehensweise treten bei der Begriffskonstitution des Terminus interkulturelle Mediation die beiden Komponenten des Interkulturellen bearbeitet von den geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Problematik interkultureller Kommunikation auseinandersetzen und der Mediation bearbeitet von Praktikern sowie Rechts- und Sozialwissenschaftlern heraus. Was hier zunächst eventuell als folgenlose Spielerei mit lexikalischen Definitionen erscheinen mag, verweist auf den Kern der Argumentation der vorliegenden Arbeit, denn aus den beiden Herangehensweisen an die Begriffsbestimmung interkultureller Mediation ergeben sich zwei grundlegend unterschiedliche Konzepte, von denen eines bereits in der Literatur propagiert wird, und deren anderes in dieser Arbeit als Ergänzung und Erweiterung vorgeschlagen werden soll: Mit dem Terminus einer deduktiven Konzeption interkultureller Mediation sei hier ein Konzept bezeichnet, für das die klassische (intrakulturelle) Mediation die unveränderte Grundlage bieten soll. Mediation wird hier als vorhandenes Instru- 165

82 ment betrachtet, das nicht oder nur sehr geringfügig modifiziert wird, und mit dem man versuchen kann, Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte in einem interkulturell beeinflussten Kontext zu bearbeiten. Dieser Ansatz wird bereits in der vorhandenen Literatur zum Thema vorwiegend vertreten. 186 Angesichts der hier getroffenen Unterscheidung zeichnet er sich dadurch aus, dass der Aspekt der Mediation das weitgehend unveränderte Konzept im Kompositum der interkulturellen Mediation ist. Um Formen der Realisierung sowie Chancen und Grenzen eines solchen Konzeptes erforschen zu können, müsste zentral der Frage nachgegangen werden, welche Problemstellungen aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation mit Mitteln der herkömmlichen Mediation erfolgreich bearbeitet werden können. Die vorliegende Arbeit sieht sich stattdessen jedoch einer Ergebnisoptimierung im Sinne der Fragestellungen interkultureller Kommunikation verpflichtet und geht in diesem Sinne zusätzlich einer umgekehrten Fragestellung nach: Mit der Idee einer induktiven Herleitung des Begriffs interkultureller Mediation sei hier ein in konzeptueller Hinsicht zu dem oben beschriebenen gegensätzlich fundierter Ansatz bezeichnet. Als unveränderliche Grundlage werden hier die empirisch belegten Problemstellungen interkultureller Kommunikation angenommen. Gefragt wird nach der optimalen Beschaffenheit eines kommunikativen Modells zur erfolgreichen Bearbeitung dieser Problemstellungen. Das Konzept der Mediation wird zumindest von der vorliegenden Literatur als erfolgsversprechendes Konzept propagiert. In diesem Sinne soll in der vorliegenden Arbeit erforscht werden, wie ein Konzept der Mediation beschaffen sein muss, um mit ihm Problemstellungen aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation bestmöglich bearbeiten zu können. Da hierzu bislang noch keine dem Verfasser bekannten Forschungen vorliegen, sollen in der vorliegenden Studie zu dieser Fragestellung mögliche Antworten erarbeitet werden. Dabei wird ein sehr progressiver Umgang mit dem Konzept der Mediation gewählt, bei dem Aspekte klassischer Mediation, die sich für eine Verständigungsförderung in interkulturellen Kontexten als hinderlich erweisen, für das geplante Modell uneingeschränkt verworfen werden können. Als fundamentale Grundlage soll hier lediglich an der Annahme einer Drittpartei-Intervention festgehalten werden, um den Aspekt der Mediation noch gegen alternative, verständigungsfördernde kommunikative Strategien abgrenzen zu können. In den folgenden Abschnitten sollen in diesem Sinne diskursive Entwicklungen und Positionierungsstrategien von deduktiven Konzepten interkultureller Mediation dargelegt werden. 187 Der diesen Modellen inhärente, deduktive Prozess manifestiert sich auch in den zentralen Begriffskategorien, die zur Beschreibung und zur Positionierung dieser Modelle hinzugezogen werden. Der vordringliche Begründungsbedarf gebührt hier der Übertragbarkeit des Konzepts auf interkulturell bedingte Kontexte. Entsprechende Nachweisführungen setzen sich in der Folge damit auseinander, mit Hilfe welcher Strategien man unterschiedlich aufgefasste (z. B. nach einer groben Unterteilung universalistische und relativistische) Einflusskonzepte von Kultur in das Verfahren der Mediation integrieren kann. Begriffskategorien aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation werden dagegen nur selten als Ausgangspunkte der Argumentationen herangezogen, worin eventuell eine Erklärung dafür gesehen werden kann, dass ein Großteil der Definitionen interkultureller Mediation auf diesem Gebiet entweder erhebliche Unschärfen durchscheinen lässt oder aber auf eine Verschiebung des Problemfokus ausweicht. Anstelle einer Auseinandersetzung mit dem Facettenreichtum des Kulturbegriffs kann hier beispielsweise für eine Konzentration auf einen Teilaspekt argumentiert werden, der dann als die Interaktion bestimmender Faktor hervorgehoben wird. Insbesondere Ansätze, die den Einfluss von Kultur als eine Form der Machtausübung auffassen, erlauben durch diese Konzentration auf einen Teilaspekt von Kultur eine einfachere Begründung und Schilderung von Anwendungsformen interkultureller Mediation. In den folgenden Abschnitten soll anhand der Beispiele einzelner Publikationen zum Thema eine Systematisierung derartiger Positionierungen nach deduktiven Ansätzen interkultureller Mediation versucht werden. Neben den Grenzen der herstellbaren Verständigung auf Grundlage dieses Konzeptes werden in den Wissenschaftsdiskursen zur interkulturellen Mediation jedoch auch Fragen nach der ethischen Vertretbarkeit dieses klassischen Konzepts im interkulturellen Kontext aufgeworfen: Hält Mediation als wünschenswertes kommunikatives Konzept Idealen fremdkultureller Kommunikationspartner stand, oder muss diese Art der interkulturellen Mediation unter Umständen als eine neue Form eines von Europa und der westlichen Welt ausgehenden Kolonialismus angesehen werden? 186 vgl. Jörg Calließ einleitend zu seinem Sammelband: Auf der anderen Seite sollte der Frage nachgegangen werden, wie die Bearbeitung interkultureller Konflikte durch das Instrumentarium der Mediation verbessert werden könnte und inwieweit sich interkulturelle Mediation von Mediation in kulturell homogenen Milieus unterscheidet bzw. unterscheiden sollte. (Calließ 1999: 5) Weitere Modelle und Konzepte interkultureller Mediation finden sich darüber hinaus in Bochner 1981, Augsburger 1992, Lederach 1995 und 1997, Avruch 1998, Breuer/Barmeyer 1998, Dulabaum 2000, Müller-Jacquier/ten Thije 2000 sowie Bolten

83 3.8.1 Die kulturelle Herkunft des Mediators Aus einer assoziativen Herangehensweise und aus einem Alltagsverständnis heraus drängt sich angesichts des Gedankens interkultureller Mediation häufig die Frage auf, welcher Kultur der interkulturelle Mediator in Relation zur kulturellen Zugehörigkeit seiner Konfliktparteien angehören sollte, um eine bestmögliche Ausgangslage für eine konstruktive Konfliktbearbeitung bieten zu können. In diesem Kontext berichtet Frank Liebe von den Diskussionsergebnissen einer Arbeitsgruppe innerhalb der Tagung Agenda für den Frieden: Interkulturelle Mediation (vgl. Calließ 1999a), innerhalb der die effektive Rolle eines interkulturell zusammengesetzten Mediatorenteams erörtert wurde. Aus Sicht der Tagungsteilnehmer entspringe dieser Gedanke an eine größere Effektivität in diesem Kontext der Annahme, mit einem multikulturellen Mediatorenteam den zu bearbeitenden Konflikt leichter und schneller in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext rückbinden zu können. Diese Annahme werde jedoch durch die ledigliche Bereitstellung eines interkulturellen Mediatorenteams nicht automatisch erfüllt. Sicher ausgegangen werden kann jedoch von einer symbolischen Wirkung eines interkulturellen Mediatorenteams auf die Konfliktparteien, falls innerhalb eines Konflikts Anerkennungs- und Identitätsproblematiken eine größere Rolle spielen sollten (vgl. Liebe 1999: 159) Universalistische Ansätze In den einleitenden Passagen zu Abschnitt 3.8 wurde dargelegt, dass sich die Autoren deduktiv konzipierter Modelle interkultureller Mediation offenbar vorrangig gegenüber Vertretern herkömmlicher Mediation zur argumentativen Legitimierung ihrer Ansätze verpflichtet fühlen. Gegenüber dieser Tradition steht zunächst die Frage nach dem einzugestehenden Ausmaß kultureller Einflüsse auf Mediation im Zentrum der Debatten um deduktive Konzepte interkultureller Mediation. Jörg Calließ unterscheidet angesichts der vorliegenden Literatur idealtypisch zwischen Begriffskonstitutionen zur interkulturellen Mediation auf der Grundlage eines universalistischen Kulturverständnisses gegenüber kulturalistischen Ansätzen. Nach einem universalistischen Verständnis spielt der Faktor der Kultur im Mediationsfall lediglich eine marginale Rolle neben Bedingungen der Konfliktaustragung, die kulturübergreifend gleich bleiben. 188 Kultur kann demnach von den Konfliktpar- 188 Vgl. hier über die im Folgenden vorgestellten Ansätze hinaus die Arbeit von Schramkowski 2001, die Konferenzbeiträge einer Konferenz zum Konfliktmanagement in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf in Dortmund (vgl. Stadt Dortmund 2002), die europaweite Vergleichsstudie von Wieviorka 2001 sowie die biographisch orientierte Herangehensweise in Weiss teien zwar argumentativ instrumentalisiert werden, auf den Prozess der sprachlichen Verständigung wirkt sie sich nach diesem Ansatz jedoch lediglich in Form kleinerer Störungen und Missverständnisse aus. Das Modell der Mediation kann vor diesem Hintergrund auch in interkulturellen Kontexten effektiv angewendet werden. Kulturalistische und relativistische Ansätze dagegen sehen in der kulturellen Zugehörigkeit der Konfliktparteien fundamentale Verstehens- und Verständigungsbarrieren (Calließ 1999b: 6). 189 Außerdem sei der Umgang mit Konflikten selbst stark kulturell geprägt. Kulturalistische Ansätze hielten Calließ zufolge im Hinblick auf interkulturelle Konflikte ein besonderes Verfahren für erforderlich (vgl. Calließ 1999b: 6-7). Aus der Sicht universalistischer Ansätze zur interkulturellen Mediation verbergen sich hinter Konflikten, die in interpersonalen oder gesellschaftlichen Diskursen als kulturell bedingt interpretiert werden, häufig anders gelagerte, nicht kulturbedingte Konfliktursachen. So referiert beispielsweise Norbert Ropers (vgl. Ropers 1999: 70) mit Blick auf die ADR-Bewegung das Schema der fünf möglichen Konfliktursachen nach Christopher Moore (vgl. Moore 1996): Abbildung 3: Konfliktursachen und felder nach Christopher Moore (vgl. Ropers 1999: 70). Ropers zufolge gehen Anhänger der ADR-Bewegung davon aus, dass Problemstellungen aus dem Segment der Wertkonflikte und hier seien auch kul- 189 Vgl. die Beiträge in der Tagungsdokumentation von Jörg Calließ auch als grundlegende Einführung in unterschiedliche Konzeptionen deduktiv gedachter interkultureller Mediation (vgl. Calließ 1999). 169

84 turell bedingte Konflikte einzuordnen am schwierigsten zu bearbeiten seien, da ihnen in vielen Fällen einander ausschließende Auffassungen zugrunde lägen. Mögliche Strategien sieht die ADR-Bewegung laut Ropers darin, den Konfliktgegenstand zu relativieren, eine Verständigung zwischen den Konfliktparteien möglichst in anderen Feldern zu suchen oder nach übergreifenden Gemeinsamkeiten zwischen den Konfliktparteien zu suchen (vgl. Ropers 1999: 71). Barbara Schramkowski fasst darüber hinaus sehr allgemein zusammen, dass Mediatoren in interkulturell bedingten Mediationen über eine besondere interkulturelle Sensibilität, über Kenntnisse aller beteiligter Kulturen sowie über einen Grundrespekt für die Andersartigkeit und die Gleichwertigkeit von Kulturen verfügen sollten. In interkulturellen Mediationen sollten sie die Parteien beim Vollzug des gegenseitigen Perspektivenwechsels unterstützen können und die Konstruktion einer gemeinsamen Kultur fördern können (vgl. Schramkowski 2001: ). Innerhalb des Spektrums universalistisch ausgerichteter deduktiver Konzepte interkultureller Mediation lassen sich darüber hinaus in der Literatur unterschiedliche Argumentationsmuster und richtungen finden, mit denen die Besonderheiten interkultureller Mediation herausgestellt werden sollen. Vier dieser Aspekte sollen im Folgenden kurz referiert werden. Im Überblick fällt dabei auf, dass die Autoren dieser Konzepte offenbar grundsätzlich darauf abzielen, strukturelle und klar erkennbare Abgrenzungen und Unterscheidungen interkultureller gegenüber intrakultureller Mediation zu finden und diese herauszustellen. In vielen Fällen gelingt dies jedoch lediglich in einem wenig zufrieden stellenden Ausmaß: Im Rahmen deduktiver Konzepte interkultureller Mediation lassen sich kaum klare, strukturelle Grenzen gegenüber herkömmlichen Mediationsverfahren ziehen. Eine Erklärung für diese nicht zu befriedigende Begründungsnot mag in der mangelnden theoretischen Tiefe und in der zu geringen Berücksichtigung der Vielschichtigkeit kulturbedingter Aspekte in der interkulturellen Kommunikation gegenüber einem weiterhin unhinterfragt bestehen bleibenden Primat des Mediationsverfahren in seiner bereits etablierten Form zu finden sein. In den folgenden Abschnitten werden einige derartige Begründungsversuche dargelegt, die sich jedoch gegen das Paradigma des feststehenden Verfahrens nicht strukturell etablieren können: Interkulturelle Mediation als Aushandlung des Konfliktgegenstands Einige deduktive Ansätze interkultureller Mediation versuchen den Aspekt kultureller Einflüsse dadurch in das vorherrschende Verfahren zu integrieren, indem sie postulieren, dass Interkulturalität im Verfahren den Konfliktgegenstand modifiziere, dass Interkulturalität selbst als Konfliktgegenstand in den Fokus des Verfahrens rücke, und dass sich interkulturell kompetente Mediatoren dadurch auszeichneten, dass sie diesen Prozess erkennen und ihm Rechnung tragen könnten. Aus 170 dieser Sicht wird davon ausgegangen, dass in interkulturell bedingten Situationen nicht nur der Konflikt selbst ausgehandelt werden müsse, sondern auch die Prämissen und der Kontext, die argumentative Logik und der Wirklichkeitsanspruch, vor dessen Hintergrund der eigentliche Konflikt erst bearbeitet werden soll. 190 Mediatoren müssen hier auf den Kontext der Konfliktparteien reagieren, doch dieser Aspekt ist bereits auch als Merkmal intrakultureller Mediationen postuliert worden. So berichten Folger und Bush (vgl. Folger/Bush 1994: 11) von einer Studie von Donohue 1991, nach der Mediatoren in so genannten Agreement Settings, in denen die Parteien prinzipiell zur Erarbeitung einer Konfliktlösung bereit sind, erfolgreich die Interessen in einem Konflikt herausdestillieren können, weil sie von Beginn an bereit waren, einander zuzuhören und an einer Aushandlung des Konfliktgegenstands zu arbeiten. In Non-Agreement Settings dagegen streiten sich die Parteien über vorgelagerte Aspekte, wie beispielsweise gegenseitige Vertrauenswürdigkeit, so dass es erst gar nicht zu einer Aushandlung des Konfliktgegenstands kommen kann. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen scheinen kulturelle Aspekte tendenziell dazu geeignet zu sein, in die Aushandlung des Konfliktgegenstands mit einbezogen zu werden. Jedoch auch in intrakulturellen Konflikten scheint der Konfliktgegenstand keinesfalls von Beginn an festzustehen. Auch hier bedarf es zunächst eines Aushandlungsprozesses, und dieser kann konstitutiv für den Erfolg des Verfahrens zu sein Interkulturelle Mediation als Suche nach einem gemeinsamen Ziel Gemäß der Forschung zum Phänomen der intergroup relations (vgl. Giles/ Bourhis/ Taylor 1977; Tajfel 1982) kann die Problematik interkultureller Verständigung durch eine Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus der beteiligten Personen abgemildert werden. An die Stelle einer Konzentration auf kulturbedingte Differenzen sollte hierzu die Perspektive auf eine gemeinsam zu bewältigende Aufgabe treten. Überlegungen dieser Art waren innerhalb der Forschung als Reaktion auf die zuvor empirisch widerlegte, so genannte Naive Kontakthypothese 191 formu- 190 Das bestätigen beispielsweise Liebe/Gilbert 1996 bei ihren Unterscheidungskriterien zwischen interkultureller und intrakultureller Mediation: Interkulturelle Mediation könne von geringeren gemeinsamen Kontexten ausgehen, alles müsse ausgehandelt werden. 191 Wie inzwischen nachgewiesen, führt ein hinreichend umfangreicher Umgang mit Menschen einer anderen Kultur eben nicht zur Abnahme von Vorurteilen und zu erhöhtem Verständnis und verbesserter Interaktionsfähigkeit. Im Gegenteil: Intensiver Kontakt verbessert vielfach das Verhältnis nicht, sondern verschärft es noch. (Volkmann 2002: 23). Oft wurde vertreten, dass ein hinreichend umfänglicher Umgang mit Menschen anderer Kulturen ausreiche, um zu einem ausreichenden Grade gegenseitigen Verstehens und darauf beruhender befriedigender Interaktionsfähigkeit zu gelangen (Kontakthypothese). Die Erfahrungen (und 171

85 liert worden. Nach ihr war man davon ausgegangen, dass sich gegenseitiges Verständnis im interkulturellen Kontakt quasi mit der Zeit von selbst einstelle, sofern die Kontaktgruppen nur lange genug in eine räumliche Nähe zueinander gebracht würden. 192 Im Kontext der vorliegenden Arbeit dagegen wird es als offensichtlich angenommen und vorausgesetzt, dass eine derart verstandene räumliche Nähe sogar zu einer Eskalation in den Beziehungen der Menschen untereinander führen kann. Anstelle dieses einfachen Kontaktes unterstellt man gegenwärtig häufig, dass zur Herstellung von (interkultureller) Verständigung die Herstellung und die Bewusstwerdung eines gemeinsamen Ziels erforderlich sei, dessen kooperative Verfolgung Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien schaffe und als Ausgangspunkt für weitere Verständigungsleistungen dienen könne. So schlägt beispielsweise Waldburg-Zeil 2002 ein solches gemeinsames Ziel für den europäisch-islamischen Dialog vor: Islamische Gesellschaften beschuldigen und bekämpfen amerikanische und europäische Gesellschaften häufig aufgrund ihrer Globalisierung, Säkularisierung und reinen Wirtschaftsorientierung. Deutliche Zuwachsraten der Mitgliederzahlen von Religionsgemeinschaften in den vergangenen Jahren auch in europäischen und amerikanischen Gesellschaften deuten jedoch darauf hin, dass sich auch viele Mitglieder dieser Gesellschaften genau vor dieser Tendenz der Säkularisierung fürchten. Sie einzudämmen, mit ihr umzugehen und Lösungen für sie zu finden, könnte ein gemeinsames Ziel in einem Dialog zwischen Europa und dem Islam darstellen (vgl. Waldburg-Zeil 2002). Auch für die Durchführung von Mediationsverfahren in interkulturell bedingten Kontexten wird vielfach die Suche nach einem gemeinsamen Ziel im situativen Konfliktkontext empfohlen. 193 Wenngleich die Überlegungen zu den Intergroup Relations eher der Forschung zur interkulturellen Kommunikation als der der Mediation zuzurechnen sind, findet sich keine derartige Herleitung in der entsprechenden Literatur. Norbert Ropers leitet die Lösungsstrategie des Ausweichens gegenüber kulturellen Einflüssen durch das Fokussieren gemeinsamer Ziele nicht aus empirische Untersuchungen) lehren das Gegenteil: Vielfach verbessert der intensive Kontakt nicht das Verhältnis zwischen Vertretern unterschiedlicher Kulturen, sondern verschärft es noch. Es gibt deshalb guten Grund sich zu fragen, was dazu beitragen könnte, die Verständigung zwischen Vertretern unterschiedlicher Kulturen zu erleichtern. (Herlyn 2001b: 43-44). 192 Vgl. hier auch das Modell der so genannten naiven Kontakthypothese, mit der erstmals Wolf Wagner die Kommunikationsstörungen zwischen Ost- und Westdeutschen nach 1989 erläuterte (vgl. Wagner 1996). 193 Vgl. hierzu exemplarisch Norbert Ropers, die verschiedenen Stories zur Mediation von Bush und Folger (vgl. Kap. 3.1) referiert und Wege einer sinnvollen Übertragung auf den Kontext interkultureller Mediation diskutiert (vgl. Ropers 1999: 76). 172 der Intergroup Relations-Theorie, sondern aus der Forschung zur transformative mediation her (vgl. Ropers 1999: 76) Interkulturelle Mediation als Suche nach Universalien Als Grundvoraussetzung für die Herstellung von Verständigung in interkulturellen Kontaktsituationen sehen einige Autoren mit universalistischen Auffassungen interkultureller Mediation die Bewusstwerdung eines Mindestmaßes vorhandener kultureller Universalien an. So zitiert beispielsweise Barbara Schramkowski (vlg. Schramkowski 2001: 92) Liebe und Haumersen (Liebe/Haumersen 1998: 147), nach denen eine interkulturelle Mediation sich zunächst durch eine Suche nach Universalismen und deren anschließender Akzeptanz und Anerkennung 194 durch die Konfliktparteien auszeichne. 195 Schramkowski stellt dabei heraus, dass Liebe/Haumersen 1998 ihren Ansatz gegenüber einer früheren Darstellung in Liebe/Gilbert 1996: 48 weiterentwickelt haben: Gingen Liebe und Gilbert 1996 von einer erforderlichen Schnittmenge geteilter kultureller Wertvorstellungen der im jeweiligen Konflikt beteiligten Kulturen aus, so präzisieren Liebe/Haumersen 1998 diese Forderung dahingehend, dass ein ledigliches Finden solcher Gemeinsamkeiten allein nicht ausreiche. Grundvoraussetzung für eine Verständigung sei darüber hinaus die Akzeptanz dieser Gemeinsamkeiten seitens der beteiligten Personen, so dass zumindest für den Zeitrahmen der Mediation eine kommunikative Basis geschaffen werden kann. Dies könne sich in konkreten Mediationen dadurch manifestieren, dass gewisse kulturelle Stile im Gespräch bewusst gemacht werden und die Parteien anschließend gemeinsam darüber entscheiden, ob sie diesen kulturellen Aspekt alle gemeinsam akzeptieren und wertschätzen können oder nicht. Der Begriff der Universalismen wird hier also dynamisch als eine Frage der Aushandlung verstanden: Die Beteiligten in einer Situation vereinbaren, welche Universalismen bereits existieren, und ob sie auf deren Basis arbeiten können und wollen. Darauf aufbauende weitere Vereinbarungen und Übereinkünfte beispielsweise über die situative Festsetzung kommunikativer Regeln können in diesem Sinne als Konstitution weiterer situativer Universalismen verstanden werden. Dabei wird der Universalismenbegriff in diesem Kontext auf eine interkulturell vertretbare Weise reflektiert und verwendet: So kann davon ausgegangen werden, dass die besondere Problematik eingeforderter Universalismen darin besteht, dass sie 194 Vgl. hier die Parallelität der Begriffe zu den Termini von Empowerment und Recognition in der transformativen Mediation nach Bush/Folger Eine so verstandene interkulturelle Mediation sucht zunächst eine Auseinandersetzung und Akzeptanz der Anteile der jeweiligen Universalismen, die für das Gespräch über den Konflikt notwendig sind, damit tatsächlich eine gleichberechtigte Kommunikation stattfinden kann. (Liebe/Haumersen 1998: 147, zit. nach Schramkowski 2001: 92). 173

86 gerade nicht von allen Individuen als universal gültig anerkannt werden. Eine Neuverhandlung von Universalismen, denen zumindest situativ alle beteiligten Personen zustimmen können, kann aus dieser Sicht die Grundlage einer neuen und tragbaren Ebene der Verständigung bieten. Während das Konzept der Suchhaltung des Mediators nach diesen potentiellen oder zu verhandelnden Universalismen bei Schramkowski zwar genannt, jedoch nicht näher präzisiert wird, könnte hier ein Beispiel für eine konkrete kommunikative Umsetzung bei Silbey/Merry 1986 entnommen werden: die Autorinnen beschreiben ein Handlungsmuster, nach dem Mediatoren zu Beginn eines Verfahrens das Konfliktthema möglichst weit ausdehnen und kontextualisieren. Dabei besteht die begründete Hoffnung, dass thematische Randaspekte erreicht und besprochen werden, im Bezug auf die unter den Konfliktparteien bereits ein Konsens herrscht. Diese Aspekte müssen aber thematisiert und auf diese Weise in den Konflikt und die Mediationssituation eingebracht werden, damit sie für die Parteien Gültigkeit erlangen. In diesem Sinne könnte die Ausweitung des Themas als eine mögliche Strategie der Suchhaltung nach zu akzeptierenden Universalien angesehen werden (vgl. Silbey/Merry 1986: 15-16). Als eine weitere konkrete Strategie des Mediators im Sinne einer Suchhaltung dürfte die Aktivierung von Bekenntnissen zu allgemeinen Normen gelten (vgl. Silbey/Merry 1986: sowie Kap. 3.1). Wenngleich an dieser Stelle zwar eingeräumt werden kann, dass derartige Bekenntnisse zu gemeinsamen Normen in interkulturellen Kontaktsituationen nur weitaus schwieriger provoziert werden können und ihre Erreichung daher von umso größerer Bedeutung ist, scheint sich jedoch auch in dieser Argumentation keine strukturelle Unterscheidung im Verfahren deduktiver interkultureller Mediation gegenüber herkömmlichen Mediationsverfahren zu manifestieren Interkulturelle Mediation als Vermittlung kulturspezifischen Wissens Die Debatte um die Normativität von Strategien in interkulturellen Mediationen polarisiert sich darüber hinaus im Hinblick auf den Umgang mit kulturspezifischem Wissen. Insbesondere aus einer wissenssoziologischen (und meist mit ethnographischen empirischen Vorgehensweisen nachgezeichneten) Perspektive scheint ein Schlüssel zur interkulturellen Verständigung zwischen den Konfliktparteien in der bikulturellen Kompetenz des Mediators zu liegen. So könnte ein interkultureller Mediator beispielsweise fehlendes gegenseitiges kulturelles Wissen vermitteln, erklären und damit ein gegenseitiges tieferes Verständnis der Parteien untereinander fördern. 196 Konversationsanalytisch inspirierte Ansätze zur interkultu- 196 vgl. hierzu als empirische Beschreibung auch die Kategorie des Belehrens nach den Methoden von Luckmann bei Angela Keppler (Keppler 1995: 89-93). Eine Konzeption interkultureller 174 rellen Mediation fokussieren dagegen Aspekte der Gesprächsregelung und -organisation (z. B. Sprecherwechsel, etc.) und plädieren im Hinblick auf sich ergebende Problemstellungen in interkulturellen Kontaktsituationen für eine primäre Bearbeitung dieser Aspekte durch den interkulturellen Mediator. 197 Während letztere Strategie auch den Prinzipien herkömmlicher Mediation entsprächen (auch hier wird der Mediator als Experte für die Regelung von Kommunikation verstanden), fände sich in der ersteren Strategie, dem Erklären fremder Kulturen, erstmals ein strukturelles Unterscheidungsmerkmal interkultureller gegenüber intrakultureller Mediation. Ansätze, die für ein Erklären von Kulturen plädieren, haben jedoch bislang nach den Kenntnissen des Verfassers kaum Einzug in die Literatur zu deduktiven Konzepten interkultureller Mediation finden können. 198 Diese Ignoranz von Seiten der Mediationsforschung mag angesichts der diametralen Entgegenstellung der Vorgehensweisen interessenbasierter (intrakultureller) Mediation und kultureller Wissensvermittlung zumindest nachvollziehbar erscheinen: Mediatoren, die im Sinne einer interessenbasierten Mediation und nach den Prämissen des Harvard-Konzepts vorgehen, verpflichten sich quasi selbst, nur As- Mediatoren als Wissensvermittler findet sich beispielsweise bei Beverly McLeod, die interkulturelle Vermittler als teachers (McLeod 1981: 40) begreift. In ihrer Funktion als Lehrer sollen sie jedoch nicht nur Wissen über fremde Kulturen vermitteln, sondern ähnlich einem Schullehrer Begeisterung und Interesse seitens seiner Schüler an dem Lehrobjekt entfachen können (vgl. Mc- Leod 1981: 40ff). 197 Ein derartiges Konzept interkultureller Mediation liegt beispielsweise von Bernd Müller- Jacquier und Jan D. ten Thije vor, die zunächst die Problematik kulturell divergierender Regeln des Sprecherwechsels am Beispiel einer Kontaktsituation in der deutsch-finnischen Wirtschaftskommunikation veranschaulichen und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen aussprechen, mit denen Drittpersonen als interkulturelle Mediatoren zu einer konstruktiveren Bearbeitung dieser Situation beitragen könnten (vgl. Müller-Jacquier/ten Thije 2000). 198 Zahlreiche Überlegungen hierzu finden sich statt dessen im Bereich der Sprachwissenschaften. So plädiert explizit Hartmut Schröder für eine Form interkultureller Mediation durch das Erklären von Kulturen durch Drittpersonen: Für interkulturelle Kontaktsituationen in Grenzregionen und für die Kommunikation in multikulturellen Gesellschaften ist neben der zweifelsohne wichtigen interkulturellen Kompetenz eine interkulturelle Konflikt- und Mediationskompetenz eine unverzichtbare Voraussetzung. Denn ein kompetenter interkulturelle Mediator könnte das Entstehen von Konflikten rechtzeitig erkennen, ihre Ursachen benennen und Formen und Wege der Verständigung bzw. Vermittlung finden. Interkulturelle Mediatoren wären daher vor allem im Bildungsbereich und in den Medien von großer Bedeutung. (Schröder 2002). Auch im Bereich der Übersetzungswissenschaften findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte, die die Aufgaben von Übersetzern und Dolmetschern auf die von kulturellen Vermittlern ausweiten (vgl. hier den Ansatz von Karlfried Knapp (Knapp/Knapp-Potthoff 1985) sowie die Vertreter des Hermeneutischen Übersetzens: Paepcke 1986, Reiß/Vermeer 1991 und Stolze 1992). 175

87 pekte und Informationen im Mediationsgespräch zu berücksichtigen, die die Parteien selbst in den Diskurs eingebracht haben und die sie selbst geäußert haben. Erklärungen und Situationsbeschreibungen von Seiten des Mediators dagegen laufen grundsätzlich Gefahr, lediglich Interpretationen und Wahrnehmungen des Mediators zu sein, die aber von den Konfliktparteien selbst nicht geteilt werden müssen. Auch Erklärungen zu kulturellen Inhalten können demnach nur der Situationsinterpretation des Mediators entspringen. Vor dem Hintergrund seines bikulturellen Expertenwissens kann er zwar Vermutungen über die kulturelle Bedingtheit der Verhaltensweisen seiner Konfliktparteien anstellen und daraus auf mögliche Konfliktursachen schließen. Da interpersonale Konflikte jedoch auch in interkulturell beeinflussten Kontexten nicht zwingend kulturbedingt sein müssen, sondern grundsätzlich immer auch andere Faktoren von den Konfliktparteien als relevant erachtet werden können, laufen Mediatoren, die Kulturen erklären, grundsätzlich Gefahr, mit einer Rekonstruktion des Konfliktgegenstandes zu operieren, der der Wahrnehmung der Konfliktparteien nicht entspricht. Schlimmstenfalls kann dies zur Erarbeitung einer Konfliktlösung führen, die sich später als nicht nachhaltig erweisen wird, weil sie den tatsächlichen Konfliktgegenstand nicht erfasst hat. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werden Vertreter, die ihre Konzepte interkultureller Mediation aus den Vorgaben herkömmlicher Mediation deduzieren, eine Abgrenzung interkultureller Mediation durch die Strategie des Erklärens von Kulturen nicht argumentativ vertreten können, ohne von Vertretern herkömmlicher Mediation bescheinigt zu bekommen, dass eine Bezeichnung derartiger Ansätze als Form von Mediation nicht mehr zu rechtfertigen sei. Das Argument der Möglichkeit des Erklärens von Kulturen wird als einziges Indiz einer möglichen strukturellen Spezifik interkultureller Mediation gegenüber herkömmlicher Mediation in der Literatur verworfen, weil das vorherrschende Paradigma interessenbasierter Mediation kaum umgangen werden zu können scheint Relativistische Ansätze Konzepte interkultureller Mediation, denen ein relativistischer Kulturbegriff zugrunde gelegt wird, müssen davon ausgehen, dass eine Verständigung von Interaktionspartnern, die unterschiedlichen Kulturen angehören, letzten Endes nicht möglich ist. Begründbar ist ein solches Konzept beispielsweise mit Argumenten aus der Hermeneutik, nach der Verstehen nur durch den Einbezug eines kompletten raum-zeitlichen Sinnzusammenhangs denkbar wird. Für die Praxis von durch kulturelle Einflüsse geprägten Mediationen folgert Barbara Schramkowski daraus, dass die vorrangige Aufgabe eines Mediators darin bestehen müsse, die Konfliktparteien darin zu unterstützen, dieses Paradox aus der Unmöglichkeit gegenseitigen Verstehens und dem dennoch gegebenen Zwang zur 176 Verständigung zu erkennen, es zu akzeptieren und besser aushalten zu können (vgl. Schramkowski 2001: 105). Eventuell könnte jedoch bereits eine weniger weitreichende Zielstellung auf eine Verständigung hinwirken: Für einzelne Konfliktparteien könnte bereits die Erkenntnis hilfreich sein, dass ihr Gegenüber mit der gleichen Schwierigkeit konfrontiert ist und dass auch er/sie mit der Anstrengung, das Paradox zu bearbeiten oder es auszuhalten, konfrontiert ist. Auf diese Weise kann jedoch bereits ein Bewusstsein für ein gemeinsam zu bearbeitendes Problem geweckt werden: Der gemeinsame Umgang mit gegenseitigem Nicht-Verstehen. Ein Perspektivenwechsel und eine gegenseitige Rollenübernahme können also zumindest auf einer kognitiven Meta-Ebene trotz des Verstehens-Paradoxes bestehen bleiben. Frank Liebe und Nadja Gilbert schlagen hierzu in ihrer Studie zur interkulturellen Mediation angesichts der angenommenen Unmöglichkeit interkulturellen Verstehens eine konkretere Strategie vor. Ihnenzufolge sind kulturelle Werte aufgrund ihrer kulturellen Begründung nicht verhandelbar, so dass ein entsprechender Versuch in Mediationen erst gar nicht angestrengt werden sollte. Statt dessen plädieren sie dafür, universalistische Positionen in Konflikten zu kontextualisieren, d.h. die zugrunde liegenden Interessen aus den kulturell bedingten Kontexten herauszulösen und diese Interessen allein auf die aktuelle Situation zu beziehen. Ausgehandelt wird somit eine minimale Verständigung, die nur für den Moment gültig ist (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 50). Auch dieser Ansatz weist jedoch keine strukturelle Veränderung gegenüber Formen intrakultureller Mediation auf: Während relativistische Konzepte deduktiver Mediation zunächst ohnehin schließen müssen, dass die Möglichkeit einer Verständigung sehr unwahrscheinlich sein wird, schlagen Liebe und Gilbert quasi eine Entuniversalisierung mitgebrachter Universalitätsansprüche vor. Ähnlich wie bei der Gesprächsstrategie des Herausfilterns von Interessen aus Positionen in interessenbasierten Mediationen wird auf diese Weise eine für die individuelle Situation gangbare Lösung erarbeitet Grenzen der Übertragbarkeit von Mediation auf fremde Kulturen Neben einer Auseinandersetzung mit der Frage nach der Größe des Einfluss- Spielraums kultureller Aspekte auf Mediationsverfahren setzen sich Überlegungen zu deduktiven Konzepten interkultureller Mediation auch mit Fragen der kulturellen Übertragbarkeit von Mediation auf fremdkulturelle Kontexte auseinander. Dabei muss zunächst davon ausgegangen werden, dass Mediation in der Ausprägung ihrer Umsetzung in westlichen Gesellschaften vorrangig deren Idealen einer erfolgreichen Konfliktbearbeitung Rechnung trägt. Diana Francis formuliert dies übertragen auf den interkulturellen Kontext weitaus schärfer und folgert aus der kulturellen Verwurzelung von Mediation, dass die Verbreitung eines solchen Ver- 177

88 fahrens in interkulturellen oder fremdkulturellen Kontexten als westlich-kulturelle Unsensibilität (vgl. Rouhana 1995), schlimmstenfalls jedoch sogar als neokolonialistisches Gebahren (vgl. Duffield 1997; Francis 1999: 41) angesehen werden müsse. In interkulturellen Kontexten wird außerdem von zusätzlichen, speziellen Prämissen ausgegangen: Die Zielsetzungen, nach denen ein erfolgreicher interkultureller Kontakt zu verlaufen habe, können sich interkulturell unterscheiden. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass die Bedürfnisse fremdkultureller Konfliktparteien oder von Konfliktparteien zweier oder mehrerer Kulturen mit einem kulturspezifischen Verfahren wie dem der Mediation möglicherweise nicht hinreichend befriedigt werden können. Versteht man Mediation jedoch als ein an gesellschaftliche Ideale anpassungsfähiges Verfahren, 199 dann kann dennoch weiterhin von einer interkulturell moralisch vertretbaren Anwendbarkeit von Mediation in interkulturellen Kontexten ausgegangen werden. Die folgenden, auf kulturanthropologischen Annahmen im Sinne von Kulturdimensionen 200 aufbauenden Argumente scheinen dabei gegen eine unmodifizierte Übertragung des westlich-europäischen Mediationskonzepts auf fremdkulturelle Gesellschaften zu sprechen: 201 Mediation gegenüber interkulturell bedingten Machtstrukturen Anja Weiss betrachtet interkulturelle Kommunikation als Sonderform von Kommunikation in Situationen mit Machtgefällen: Ihrzufolge manifestiert sich In- 199 So verweist die Existenz triadischer und mediationsähnlicher Verfahren zur Konfliktbearbeitung in zahlreichen nicht westlich-europäischen Gesellschaften darauf, dass diese Grundidee nicht zwingend an die westlichen Ideale kommunikativer Verständigung rückgebunden und damit verknüpft werden muss (vgl. Kap. 3.6). Die Ausführungen über die zeitliche Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit des Mediationsverfahrens selbst innerhalb westlich-europäischer Gesellschaften gemäß deren sich verändernden Wertvorstellungen (vgl. Kap. 3.7) lässt darüber hinaus darauf schließen, dass triadische Verfahren zur Konfliktbearbeitung auch im Falle interkulturell bedingter Kontexte bedarfsgerecht angepasst werden könnten. 200 Im Bereich der interkulturellen Forschung scheinen die Unzulänglichkeiten der Erklärungskraft anthropologischer Kulturdimensionenmodelle für das Verhalten von Individuen in interkulturellen Kontaktsituationen mittlerweile außer Frage zu stehen (vgl. hier nur exemplarisch Osland/Bird 2000). An dieser Stelle soll es jedoch lediglich darum gehen, anhand eines kurzen und kursorischen Einblicks mögliche Grenzen und Hindernisse bei Versuchen der Übertragung westlicher Formen von Mediation auf fremdkulturele Kontexte auszuloten. Hier geht es dabei nicht um eine präzise Benennung der tatsächlichen Grenzen, sondern lediglich um Überlegungen dazu, welche gesellschaftlichen Veränderungen exemplarisch zu Schwierigkeiten in der Implementierung des Mediationsverfahrens führen könnten. 201 Für eine Argumentation zu Kulturen, deren Grundwerte denen westlich-europäischer Mediation zuwiderlaufen vgl. Avruch terkulturalität situativ durch angenommene, kulturell bedingte Machtgefälle zwischen den Interaktionspartnern: An dieser Stelle versagt die Symmetrie der gängigen Konfliktbearbeitungsmethoden. So haben Rouhana und Korper (1996) für Workshops, die die Verständigung zwischen jüdischen und arabischen Staatsbürgern Israels fördern sollten, gezeigt, dass diese trotz ausgewogener Verfahrensweisen die dominante Gruppe bevorzugten. Denn schon die Zielvorstellung Verständigung kam den Anliegen der Mehrheit entgegen: Diese kennt die Kultur der Minderheit nicht und will etwas über sie lernen. Die arabischen Teilnehmenden hingegen sind ständig gezwungen, sich mit ihrer Diskriminierung durch die dominante Kultur und ihre Institutionen auseinander zu setzen. Ihnen geht es um strukturelle Veränderungen, die nicht Gegenstand des Workshops waren (Weiß 2001a: 106). Mediationsverfahren im westlich-europäischen Verständnis verfügen Anja Weiss zufolge demnach über keine Mechanismen, die kulturelle Machtgefälle erkennen und ausgleichen könnten. Als Konsequenz helfe Mediation in interkulturellen Kontexten daher grundsätzlich der ohnehin schon mächtigeren Partei. Das eigene Ideal westlicher Mediation von einem Machtgleichgewicht oder einer Herrschaftsfreiheit der Kommunikation könne mit den herkömmlichen Strategien im interkulturellen Kontakt nicht mehr hergestellt und gewährleistet werden. Mediation gegenüber fremdkultureller innergesellschaftliche Machtdistanz Francis zufolge muss damit gerechnet werden, dass Mediationen in sehr hierarchiebewussten Gesellschaften wahrscheinlich in den meisten Fällen von Personen durchgeführt werden, die hierarchisch über den den Konfliktparteien stehen, durchgeführt werden. Francis gesteht jedoch ein, dass ein derartiges Vorgehen auch für Angehörige westlicher Kulturen nachvollziehbar ist und häufig sogar nahe liegt. Francis folgert daraus, dass das westliche Konzept der Mediation auch für Angehörige westlicher Kulturen kontrakulturell (Francis 1999: 49) sei. 202 Mediation gegenüber high context und low context cultures Diana Francis bezieht sich auf ein Merkmal der Kulturdimensionen nach Hall (vgl. Hall 1959), der zwischen high context cultures und low context cultures unterscheidet. Demnach zeichnen sich low context cultures, wie beispielsweise die Gesellschaften der USA sowie Mittel- und Nordeuropas, durch einen häufigen Gebrauch offener Formen der Kommunikation aus, high context cultures, wie beispielsweise 202 This made me recognize that the idea of facilitative mediation is indeed counter-cultural for most of us, and pretending otherwise achieves nothing. (Francis 1999: 49) 179

89 die Gesellschaften Asiens und Südamerikas eher durch verdeckte Formen der Kommunikation. Francis verweist darauf, dass das europäische Modell der Mediation sowie europäische Trainingsmaßnahmen und Workshops zur Mediation Formen der offenen Kommunikation grundlegend erfordern. Diese laufen jedoch nach diesem Modell den kommunikativen Gewohnheiten von Angehörigen einer high context culture in erheblichem Maße zuwider, so dass eine Anwendung europäischer Methoden der Mediation in diesen Kontexten unangemessen erscheint. 203 Mediation gegenüber specific role und diffuse role cultures Francis verweist des Weiteren auf die ursprünglich von Harry Triandis eingeführte Unterscheidung zwischen specific role cultures und diffuse role cultures (vgl. Triandis 1994). Mit dem Begriff der specific role cultures attribuieren die Autoren ein Verhalten, bei dem Individuen sich lediglich an der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben orientieren. Einstellungen und Werthaltungen, wie politische oder religiöse Ansichten von Mitmenschen, mit denen sie in keiner Intimbeziehung stehen, bleiben für die Erfüllung der Aufgabe irrelevant. Francis verweist darauf, dass dies in diffuse role cultures nicht der Fall sei: Persönliche Einstellungen und Werthaltungen werden grundsätzlich in der Interaktion berücksichtigt. Francis schließt daraus, dass Angehörigen dieser Kulturen die Aufforderung zur Trennung zwischen Personen und Sachgegenstand bei Problemlösungen im Sinne des Harvard-Konzepts in besonderem Maße fern liege. Diese Maxime sei nach der Erfahrung der Autorin Angehörigen von diffuse role cultures in Workshops nicht vermittelbar und werde als anmaßend empfunden. Dementsprechend vermutet Francis, dass es Angehörigen von specific role cultures leichter fallen werde, die entsprechenden Grundregeln westlicher Mediation zu befolgen. Andererseits räumt Francis jedoch ein, dass diese Maxime auch in europäischen Kulturkreisen keinesfalls eine Selbstverständlichkeit sei: andernfalls müsste sie nicht mit Hilfe strukturierter Verfahren erst ermöglicht und propagiert werden (vgl. Francis 1999: 48). Norbert Ropers attribuiert diese Problemstellung mit der Unterscheidung zwischen individualistischen und kollektivistischen Kulturen. Er geht jedoch davon aus, dass eine Durchsetzung der Maxime der grundsätzlichen Trennung zwischen Personen- und Sachebene in diesen Kontexten kontraproduktiv sein könnte. Er plädiert daher für eine Unterscheidung zwischen dem nordamerikanischen und ei- 203 The very idea that individuals involved in conflict should speak openly of their feelings and needs sits uneasily with the value placed by Asian society at large on personal reticence and communal harmony. In inter-group relations this reticence may be overcome by the forms and demands of, for instance, negotiation procedures; but in inter-personal relations in a multi-cultural group, or when someone of another culture is mediator, it may present problems. (Francis 1999: 47) 180 nem traditionalen Modell interkultureller Mediation, das in seinem jeweiligen Kontext als effektiv angesehen werden kann (vgl. Ropers 1999: 72-73, zit. nach Augsburger 1992). Francis vermutet darüber hinaus, dass für Angehörige von diffuse role cultures die Rolle eines Mediators nach westlichen Idealen nur schwer zu akzeptieren sein werde: Gemäß den letzteren sollte der Mediator in keiner früheren Beziehung zu den Konfliktparteien gestanden haben und im Verfahren lediglich für den Prozessverlauf verantwortlich zeichnen (vgl. Francis 1999: 48). 3.9 Synopse: Grenzen des deduktiven Konzepts interkultureller Mediation Während die deduktiven Herleitungen eines Begriffs interkultureller Mediation insbesondere durch ihre Gegenüberstellung mit den Zielstellungen interkultureller Kommunikation im vierten Kapitel dieser Arbeit im Hinblick auf die konzeptuell bedingte Beschränkung ihrer Reichweite dargestellt werden, sollen zuvor bereits in diesem Abschnitt die Grenzen Anwendbarkeit dieses Konzeptes im interkulturellen Kontext diskutiert werden. Während also hier zunächst nur danach gefragt wird, inwieweit die Annahmen einer deduktiv gedachten interkulturellen Mediationen mit Bedingungen der Interkulturalität kollidieren, wird erst zu Beginn des vierten Kapitels eine Kritik der Reichweite dieser Konzepte innerhalb dieser bereits festgestellten Schranken nachgezeichnet. So scheinen die Implikationen deduktiver Konzepte interkultureller Mediation aufgrund ihrer Verwurzelung in westlich-kulturellen Kontexten insbesondere mit den Idealen und Zielstellungen zum Umgang mit interkulturellen Kontaktsituationen und mit sozial erwünschten Methoden der Konfliktbearbeitung in anderen Kulturen kollidieren. Dadurch würde in vielen Fällen zwar nicht die Anwendbarkeit des Konzepts an sich in interkulturellen Kontexten verunmöglicht, es kann jedoch meist nicht mehr davon ausgegangen werden, dass mittels einer derart gedachten Mediation die Ideale und Zielvorstellungen zur Regelung interkultureller Begegnungen, die von fremdkulturellen Beteiligten eingebracht werden, in gleichem Maße bedient werden wie die der eigenkulturellen Beteiligten. So wurde beispielsweise bereits im zweiten Kapitel dieser Arbeit herausgestellt, dass das Bedürfnis nach einer spezifischen Ausgestaltung interkulturellen Kontakts in westlich-europäischen Gesellschaften deren eigenkulturellen Idealvorstellungen entspringt. In Hinblick auf allgemeine Zielgestaltungen interkultureller Mediationen kann daraus gefolgert werden, dass nicht einmal die einer solchen Mediation vorausgehende allgemeine Zielstellung und das Interesse an einer interkulturellen Verständigung vor- 181

90 ausgesetzt werden dürfen. Statt dessen muss davon ausgegangen werden, dass andere Gesellschaften anders gelagerte und eventuell sich teilweise mit denen westlicher Kulturen überlappende Problemstellungen als bearbeitungsrelevant konstituiert haben. Völlig in Frage steht dabei die Beschaffenheit einer eventuellen sozialen Konstruktion erwünschten interkulturellen Kontakts. Dass beispielsweise interkultureller Kontakt in anderen Kulturen weniger problematisiert wird, zeigt ein Beispiel aus Indien: So berichtete die Germanistin Dr. N. S. Anuradha vom Department of Management Studies des Indian Institute of Science in Bangalore 204 als Gastwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in einem mündlichen Vortrag im Hinblick auf die Vermittlung kultureller Unterschiede im DaF-Unterricht in Indien: Das Problem ist, dass die Europäer Bücher über interkulturelle Kommunikation lesen, bevor sie ins Ausland gehen, und vor diesem Hintergrund dann vor Ort alles falsch machen. Der Inder tut das nicht, er kommt einfach. Entweder kommt er zurecht oder er kommt nicht zurecht. Eine besondere Rolle bei der Gestaltung von Idealen zum interkulturellen Kontakt spielen darüber hinaus unterschiedliche Zielgestaltungen von Konfliktbearbeitungsmethoden, weshalb auch die Erwünschtheit von Mediation im interkulturellen Kontakt hinterfragt werden muss. Andernfalls muss Mediation sich den Vorwurf des Ethnozentrismus oder sogar des Kolonialismus gefallen lassen. Schließlich würde man in diesem Fall mit einer Propagierung des Verfahrens die Besonderheiten einer anderen Kultur ignorieren, um sich daraus einen eigenen Vorteil zu verschaffen. 205 So arbeiten beispielsweise Bush und Folger kulturell geprägte Annahmen über das Konfliktverhalten von Individuen und Gesellschaften vor und nach einer transformativen Mediation heraus. Dabei sei das Konfliktverhalten von Individuen in westlich-europäischen Gesellschaften durch Verhaltensweisen, gekennzeichnet, die aus Gefühlen der Angst, der Defensive und des Egozentrismus motiviert seien. Den diesen Verhaltensweisen häufig entgegenstehenden gesellschaftlichen Idealen stattgebend, verhelfen transformative Mediationen nach Folger und Bush den Konfliktparteien zu einem Verhalten, das durch Selbstsicherheit und Souveränität, Offenheit und eine gegenseitige Fürsorge gekennzeichnet ist. Konflikte auf innergesellschaftlicher Ebene würden nach Folger und Bush meist im Sinne eines instabilen Waffenstillstandes begriffen. Folger und Bush dagegen wollen per transformativer Mediation erreichen, dass sich diese Gesellschaften als starke Netzwerke verstehen, die einer kompetenten Konfliktbearbeitung durchaus ge- 204 Vgl. die Webseite des Instituts: [Zugriff: ] 205 Eine alternative Konstruktion einer Möglichkeit interkultureller Mediation unter den genannten Umständen bestünde darin, die Zielstellungen interkulturellen Kontakts qua Mediation zu reflektieren, bewusst zu machen und diese für die relevante Kontaktsituation auszuhandeln. 182 wachsen sind. Diese Merkmale seien auf der folgenden Seite in Tabelle 1 einander gegenübergestellt (vgl. Folger/Bush 1994: 16). 206 Aus dieser Sicht bezeichnen Folger und Bush Mediation selbst als ideologisch geformten Konfliktdiskurs. 207 Mediatoren und Parteien übernehmen dabei allgemeine Ideologien über die Beschaffenheit von Konflikten und setzen diese um. Auch Allen Grimshaw spricht in diesem Zusammenhang von norms about how conflict talk should be conducted (Grimshaw 1990: 298). Nach Folger und Bush beinhaltet diese Konfliktideologie im Falle westlicher Gesellschaften das Ideal einer gemeinschaftlichen Konfliktlösung. Konflikte werden hier darüber hinaus als Anzeichen für ein Problem gesehen, das eine Lösung erfordert, und für das es eine Lösung gibt. Diese Konfliktlösungen sollen im Idealfall die Bedürfnisse aller beteiligten Parteien befriedigen, und sie sollen diese in einem gleichen Maße bedienen (vgl. Folger/Bush 1004: 8-98). Vorher Nachher Individuen Angst Selbstsicherheit/Souveränität Defensive Offenheit Egozentrismus Sorge füreinander Gesellschaft Instabiler Waffenstillstand Starkes Netzwerk Argwöhnische Feinde Einander vertrauende Freunde Tabelle 1: Tatsächliche Reaktionen von Individuen auf Konflikte vs. gesellschaftlich erwünschte Formen der Konfliktbearbeitung nach Folger/Bush 1994: 16. Auch Folger und Bush weisen jedoch hier darauf hin, dass Mediation als ein Verfahren aufgefasst werden müsse, das in besonderem Maße Tendenzen des sozialen Wandels ausgeliefert sei. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Mediation und gesellschaftlichen Idealen könnte daraus geschlossen werden, dass der Begriff der Mediation grundsätzlich für die Idee eines Konfliktbearbeitungsverfahrens steht, dessen höchstes Ziel es ist, eine bestmögliche Konfliktbearbeitung im Sinne der jeweiligen gesellschaftlichen Ideologie zu ermöglichen. Nachdem im zweiten Kapitel dieser Arbeit die diskursive Konstruiertheit des Problembewusstseins interkultureller Verständigung nachgezeichnet wurde, hat das 206 the response to conflict itself transforms individuals from fearful, defensive, and self-centered beings into confident, open, and caring ones, ultimately transforming society from a shaky truce between suspicious enemies into a strong network of trusting friends. (Folger/Bush 1994: 16) 207 a form of conflict discourse shaped by ideology (Folger/Bush 1994: 7). 183

91 dritte Kapitel mit einer ähnlich gelagerten Perspektive auf die diskursive Entwicklung von Mediation als Konfliktbearbeitungsverfahren in westlichen Gesellschaften daran angeschlossen. Dabei stellte sich heraus, dass Mediation offenbar in modernen westlichen Gesellschaften deshalb zunehmend favorisiert und propagiert wird, weil es deren spezifischen sozialen Bedürfnissen in einem vergleichsweise hohem Maße entgegenkommt. Mediation verkörpert somit verschiedene gesellschaftliche Idealvorstellungen einer konstruktiven Konfliktbearbeitung. Aufgrund seines geringen Kodifizierungsgrades konnte das Verfahren der Mediation jedoch in Zeiten gesellschaftlichen Wandels außerdem permanent modifiziert und an neue Bedürfnisse angepasst werden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich in normativen Vorstellungen zu Mediationsverfahren häufig auch entsprechende gesellschaftliche Ideale widerspiegeln. Die westlich-kulturellen Normvorstellungen zur Beschaffenheit und zu Wegen der Herstellung sowohl einer interkulturellen Verständigung als auch einer konstruktiven Konfliktbearbeitung haben sich in den jeweiligen Fachdiskursen einander zunehmend angenähert, so dass auch der Gedanke an eine Übertragung des Konzepts der Mediation auf den Bereich interkultureller Problemstellungen immer näher zu liegen schien. Debatten in der Literatur zur Selbstpositionierung derartiger in dieser Arbeit als deduktiv konzipierte Ansätze interkultureller Mediation bezeichneter Modelle weisen jedoch darauf hin, dass eine präzise und strukturelle argumentative Abgrenzung von auf diese Weise gedachten Ansätzen interkultureller Mediation gegenüber Konzepten herkömmlicher Mediation offenbar problematisch, bzw. kaum zu leisten ist. Dieses Dilemma kann mit dem vorherrschenden Paradigma interessenbasierter Mediation zumindest teilweise begründet werden, gegenüber dem sich Ansätze interkultureller Mediation offenbar nicht konzeptuell emanzipieren können, solange sie sich selbst gleichzeitig in der Tradition dieser Mediation sehen wollen. Die Überlegungen im folgenden Kapitel werden über diese rein argumentativen Problemstellungen hinaus aufzeigen, dass die Konzepte deduktiver interkultureller Mediation auch im Fall konkreter Anwendungen Schwierigkeiten aufweisen, die am Nutzen ihrer gesellschaftlichen Propagierung zweifeln lassen. Herangehensweisen an die Thematik interkultureller Mediation aus der Perspektive der Forschung zur interkulturellen Kommunikation werden im folgenden Kapitel darauf hinweisen, dass zahlreiche Problemstellungen, die von der Forschung als spezifisch für interkulturelle Kontaktsituationen herausgestellt worden sind, mit den Verfahrensweisen einer deduktiv gedachten interkulturellen Mediation häufig nicht erfasst werden können. 4 Die Herleitung induktiver Konzepte interkultureller Mediation In der Literatur vorherrschende Konzepte interkultureller Mediation wurden im vorigen Kapitel unter dem Terminus deduktiver Konzepte gefasst, da diese in den meisten Fällen in Form einer Übertragung des bestehenden Verfahrens der Konfliktmediation auf Problemstellungen in interkulturellen Kontaktsituationen gedacht werden. Dass Wege interkultureller Verständigung durch Mediation ermöglicht und gefördert werden können, erscheint insbesondere angesichts der ähnlichen Konzepte von Verstehen und Verständigung in den Wissenschaftsbereichen der interkulturellen Kommunikation sowie der Konfliktmediation zunächst plausibel: In den Wissenschaftsdiskursen zur Möglichkeit interkulturellen Fremdverstehens wurde dieses zunächst bis auf das Äußerste problematisiert und zugleich bereits mit einer Suche nach Auswegen und Lösungen begonnen, durch die zumindest Annäherungen an Formen des Verstehens dennoch möglich werden sollten. In diesem Diskurs wurden dabei nicht nur kontingente Wege interkultureller Verständigung beschrieben, sondern gleichzeitig auch das Anstreben des Ziels interkultureller Verständigung zur gesellschaftlichen Norm erhoben. Auch im Bereich der Wissenschaftsdiskurse um Formen der Konfliktmediation fanden verständigungsorientierte Herangehensweisen eine zunehmende Beachtung, so dass sich die in beiden Bereichen formulierten Ideale und Normen sowie die zu ihrer Erreichung propagierten Wege einander zunehmend annäherten. Das dritte Kapitel hat zentrale Aspekte derartiger Konzepte interkultureller Mediation nachgezeichnet und aufgezeigt, dass diese sich offenbar innerhalb der Wissenschaftsdiskurse in einem erheblichen Legitimierungszwang gegenüber Konzepten herkömmlicher Konfliktmediation befinden. Ausgehend von einem bereits vorhandenen Modell der Mediation, dessen Struktur auch nach seiner Übertragung auf den Bereich interkultureller Kommunikation weiterhin vorherrschend bleiben soll, scheint jedoch offenbar keine strukturelle Abgrenzung interkultureller Mediation gegenüber intrakultureller Konfliktmediation möglich zu sein. Darüber hinaus scheinen deduktive Konzepte interkultureller Mediation prinzipiell Gefahr zu laufen, als Anwendung in fremdkulturellen Kontexten moralisch nicht immer vertretbar zu sein, weil eine solche Eventualität nicht von Beginn an im intrakulturellen Konzept der Mediation enthalten war. Angesichts dieser konzeptionellen Schwäche scheinen deduktive Ansätze interkultureller Mediation grundsätzlich (mehr oder weniger unsystematisch) suchenden Erwägungen zu Grenzen ihrer Anwendbarkeit ausgeliefert zu sein: So scheinen die Grenzen deduktiver Konzepte interkultureller Mediation immer dann in Erscheinung zu treten, wenn an interkulturellen Kontaktsituationen und interkulturellen Mediationen Individuen beteiligt sind, die eventuell aufgrund fremdkultu

92 reller Sozialisationen die spezifischen Idealvorstellungen interkultureller Verständigung sowie (interkultureller) Konfliktbearbeitung nicht teilen. Ausgehend von diesen Prämissen soll die Kritik an den deduktiven Konzepten interkultureller Mediation im vorliegenden Kapitel noch weitergeführt werden: Es soll argumentiert werden, dass Mediation zwar auf den Kontext interkultureller Problemstellungen übertragen werden kann, dass diese Verfahren jedoch aufgrund ihrer deduktiven Konzeption zu unflexibel sind, als dass mit ihrer Hilfe alle im zweiten Kapitel skizzierten Problemstellungen interkultureller Kommunikation grundsätzlich optimal bearbeitet werden könnten. Statt dessen scheinen als Ausgangspunkte für eine konstruktive Annäherung an die Idealvorstellungen interkultureller Kommunikation (und hier seien sowohl die westlichen Ideale als auch die Überlegungen zu einer interkulturellen Implementierbarkeit dieser Ideale einbegriffen) nicht bereits vorhandene Verfahren, sondern die bislang festgestellten Problemstellungen im interkulturellen Kontakt hinzugezogen werden zu müssen. Hierzu liegt mittlerweile aus dem Forschungsbereich interkultureller Kommunikation eine Fülle von Arbeiten unterschiedlichster Disziplinen und Kulturkonzepte vor, die allesamt bislang sehr problemorientiert gearbeitet haben: Der Fokus eines Großteils der Arbeiten bestand jeweils in einer präzisen Beschreibung kommunikativer Probleme im interkulturellen Kontakt, so dass die Grenzen interkultureller Kommunikationsfähigkeit mittlerweile vergleichsweise präzise nachgezeichnet werden können. 208 Stellt man diese Problemstellungen, die insbesondere in der empirischen Forschung der Sprach- und Kommunikationswissenschaften beschrieben worden sind, der Reichweite und dem Bearbeitungsspektrum deduktiv konzipierter Ansätze interkultureller Mediation gegenüber, so ergeben sich sowohl spezifische Überschneidungen, aber auch weitreichende Lücken. Deduktiv konzipierte Ansätze zur interkulturellen Mediation scheinen sich aus dieser Sicht insbesondere für eine Bearbeitung eskalierter Streithandlungen und von den beteiligten Personen bewusst empfundener Konfliktlagen zu eignen. Ein Großteil der Problemstellungen zur interkulturellen Kommunikation, die im vorliegenden Kapitel kursorisch skizziert werden sollen, wie beispielsweise sprachliche Missverständnisse und kleinere, nicht bewusst als kulturell bedingt gedeutete Irritationen, scheinen mit deduktiven Konzepten interkultureller Mediation gar nicht erreicht werden zu können. Für Prob- 208 Sprachwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der theoretischen Frage nach interkulturellem Fremdverstehen resümiert Karlfried Knapp in seinem Forschungsüberblick (vgl. Knapp 1998). Während im Falle interkultureller Kontaktsituationen zunächst durchaus sowohl fehlgeschlagene als auch erfolgreiche Kommunikationen denkbar sind, konzentriert sich die Modellbildung auf diesem Gebiet größtenteils auf die Erklärung von Fehlkommunikation, die meist der Kategorie der Missverständnisse zugeordnet wird. 186 lemstellungen dieser Art scheint bislang keine beschriebene Form triadischer Verständigungsförderung zur Verfügung zu stehen. Da diese Problemstellungen sich jedoch auch außerhalb des Wahrnehmungsspektrums deduktiver Mediation befinden, bleibt ihre Existenz von der Literatur zu deduktiven Konzepten auch unbemerkt, d.h. es wird gar nicht wahrgenommen, dass ein Großteil insbesondere interkulturell bedingter Problemstellungen mit deduktiven Konzepten interkultureller Mediation gar nicht bearbeitet werden kann. Vor dem Hintergrund dieser festgestellten Inadäquatheit deduktiver Konzepte interkultureller Mediation sollen in diesem Kapitel Ansatzpunkte für die Entwicklung eines induktiven Konzepts interkultureller Mediation vorgestellt werden, das von den Problemstellungen interkultureller Kommunikation aus den vorliegenden Forschungsarbeiten ausgeht und auf dieser Grundlage nach jeweils angemessenen triadischen Klärungsprozessen sucht. Bevor in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels einzelne Forschungsrichtungen im Hinblick auf die von ihnen gezogenen Grenzen interkultureller Kommunikationsfähigkeit untersucht werden, sollen zunächst drei Aspekte einer Verschiebung des Problemfokusses zwischen herkömmlicher Mediation sowie den daraus deduzierten Modellen interkultureller Mediation und den Problemstellungen in der interkulturellen Kommunikation nachgezeichnet werden: Vermittlung in spontanen Situationen Ein Großteil der Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation sieht grundlegende Probleme der Verständigung weniger auf dem Feld eskalierter Konflikte und Streithandlungen, wie sie mit Hilfe von Mediationsverfahren behandelt werden könnten, sondern vielmehr im Bereich situativer kommunikativer Missverständnisse, Irritationen und Fehlinterpretationen. Im Vergleich zu eskalierten Konfliktsituationen darf diesen unterschwelligeren Irritationen jedoch keinesfalls eine geringere Bedeutung beigemessen werden: statt dessen ist davon auszugehen, dass einzelne Irritationssituationen häufig zu gegenseitigen negativen Attribuierungen auf der Persönlichkeitsebene führen können, da sie vielfach von den beteiligten Personen nicht als interkulturell bedingte Irritationen erkannt werden. Martina Rost- Roth listet in diesem Sinne mögliche Folgen kommunikativer Störungen auf und weist damit darauf hin, dass selbst kleinere kommunikative Missverständnisse zu verheerenden Konflikthandlungen führen können: eher harmlose reparierbare Störungen auf der sprachlichen Ebene, kleine Peinlichkeiten und Lächerlichkeiten (z.b. bei Gratulationen u.ä.), grundlegendere und subtilere Beeinträchtigungen in der aktuellen Gesprächssituation (z.b. bei Zuhöreraktivitäten) 187

93 nachhaltigere Beeinträchtigungen der persönlichen Beziehung (z.b. durch Anrede- oder Abschiedsverhalten) Benachteiligung durch Sanktionierung von Andersartigkeit beim Verstoß gegen normative Erwartungen (z.b. im Bildungswesen), Nichtdurchsetzungsfähigkeit von elementaren Interessen (z.b. medizinischer und juristischer Bereich, Behördenkommunikation), Stereotypisierung und Vorurteilsbildung (z.b. argumentatives Verhalten), Ausgrenzung und Diskriminierung (z.b. Definitionen von Gruppenzugehörigkeit, Dominanzverhalten, Funktionalisierung von Verständnisschwierigkeiten, Unkooperativität) (Rost-Roth 1994: 37-38). Dennoch mag diese Situativität und die zumindest vorläufige, empfundene Geringfügigkeit der Irritationen dazu führen, dass die Anstrengung eines institutionalisierten Verfahrens wie dem der Mediation von den Beteiligten zunächst als übertrieben und unangemessen empfunden würde. Eine falladäquate triadische Verständigungsförderung im Sinne einer Mediation kann daher nur spontan und situativ im sofortigen Anschluss an die aufgetretene Irritation erfolgen. Ein derartiges Konzept spontaner Go-Betweens (vgl. Augsburger 1992: 187) findet Augsburger insbesondere in traditionalen Gesellschaften vor, denen er verallgemeinernd die Praxis traditionaler Formen triadischer Vermittlungen zuschreibt. Diese traditionalen Formen stellt er den Idealen und der Praxis westlicher Mediation anhand unterschiedlicher Kritikpunkte gegenüber. Während diese Gegenüberstellung bei Augsburger selbst unbewertet bleibt, bezieht sich Norbert Ropers auf die Unterscheidung von Augsburger und wertet die traditionalen Modelle als weniger entwickelt ab. 209 Die in der vorliegenden Arbeit zentrale Unterscheidung zwischen Verfahren zur Bearbeitung eskalierter Konflikte gegenüber Verfahren zur Bearbeitung situativer Missverständnisse dagegen scheint eine derartige Ungleichbewertung institutionalisierter gegenüber spontanen Herangehensweisen an eine Förderung von Verständigung zu relativieren. Vermittlung durch Laien-Mediatoren Wenn situativ in spontanen Situationen mittels triadischer Verständigungsförderung erfolgen soll, die den Problemstellungen aus der interkulturellen Kommunikation angemessen ist, so muss davon ausgegangen werden, dass in den meisten Alltagssituationen wahrscheinlich kein professionell ausgebildeter oder trainierter 209 Ropers dagegen legt in seiner Definition Wert auf die Institutionalisiertheit und Strukturiertheit von Mediation: Mediation ist ein formaler Prozess mit spezialisierten Rollen. [ ] Im einleitenden Statement werden Kommunikationsregeln festgelegt. Die laufende Facilitation strukturiert den Kommunikationsfluss. (Ropers 1999: 73) 188 Mediator zugegen sein wird. Personen, die in derartigen Situationen als interkulturelle Mediatoren verständigungsfördernd handeln könnten, werden also höchstwahrscheinlich nur auf der Grundlage ihrer alltagssprachlichen Kompetenz agieren, nicht aber auf zusätzlich erlernte oder antrainierte kommunikative Strategien zurückgreifen können. Für derartige Formen triadischer Verständigungsförderung soll an dieser Stelle der Begriff der spontanen Laien-Mediation eingeführt werden. Initiative der Drittpartei In spontanen, interkulturell bedingten Missverständnissituationen ist davon auszugehen, dass die Interaktionspartner selbst nicht in der Lage sein werden, die Existenz eines Kommunikationsproblems wahrzunehmen und daraus das Erfordernis einer Zuhilfenahme dritter Personen abzuleiten. Im Gegensatz zum Vorgehen bei deduktiven Konzepten der Mediation erscheint eine Chance für das Zustandekommen einer triadischen Verständigungsförderung im Sinne einer spontanen Laien-Mediation nur dann wahrscheinlich zu sein, wenn die dritte Person den Klärungsprozess initiativ einleiten und vorantreiben darf. 210 Bereits dieser Kurzüberblick macht auf grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen den Problemlagen interkultureller Kommunikation und den aus der Konfliktmediation übernommenen Lösungswerkzeugen aufmerksam: Personen, die verständigungsfördernd als Dritte in Situationen kommunikativer Missverständnisse im interkulturellen Kontakt wirken wollen, werden in der unmittelbaren Situation und auf der Grundlage ihrer kommunikativen Laienkompetenz handeln müssen. Darüber hinaus werden sie die Bearbeitung von Missverständnissen initiativ einleiten müssen, da interkulturell bedingte Missverständnisse von den Interaktanten häufig nicht erkannt werden. Bereits angesichts dieser Grundannahmen ergibt sich ein Anforderungsprofil induktiv konzipierter interkultureller Mediation, das sich vom Leistungsangebot deduktiver interkultureller Mediation grundlegend unterscheidet. Um Wege induktiver interkultureller Mediation präziser aufzeigen zu können, soll im weiteren Verlauf dieses Kapitels eine Synopse unterschiedlicher sprach- und sozialwissenschaftlicher meist empirischer Ansätze 211 zur Beschrei- 210 Lediglich Christoph Besemer räumt eine derartige Initiative auch professionellen Mediatoren ein: Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in Deutschland, dass Mediation nämlich hier noch weitgehend unbekannt ist, wird eine dritte Variation die wahrscheinlichste, wenn auch nicht die günstigste sein: die MediatorInnen bieten den Streitparteien ihre Dienste selber an, bzw. der Kontakt wird über Dritte hergestellt. Dann kann allerdings nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass die Streitenden eine Mediation wirklich wollen. (Besemer 1993: 62) 211 Als vorrangiges Auswahlkriterium soll an dieser Stelle das Ziel einer möglichst großen Heterogenität der jeweils angewendeten sozialwissenschaftlichen empirischen Forschungsmethoden dienen. In den Hintergrund tritt dagegen das Kriterium der Spezifizierung des For- 189

94 bung von Problemstellungen in interkulturellen Kontaktsituationen versucht werden. Alle aufgezeigten Ansätze können darüber hinaus auf mögliche Wege triadischer Verständigungsförderung im Sinne einer induktiven interkulturellen Mediation überprüft werden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es an dieser Stelle jedoch lediglich, Grundlagen und Ausgangspunkte einer Forschungsrichtung zur interkulturellen Mediation aufzuzeigen, die in späteren Arbeiten weiter ausgearbeitet werden können. Um ein entsprechendes Modell herausarbeiten zu können, dessen Stärke darin liegt, möglichst viele involvierte Forschungsrichtungen und fragen synoptisch zusammenführen und aufzeigen zu können, muss an dieser Stelle noch von einer weiteren Ausarbeitung einzelner Fragestellungen abgesehen werden. Für die Vorgehensweise in diesem Kapitel bedeutet dies, dass zwar ein vorrangiges Ziel darin besteht, im Hinblick auf möglichst viele empirische Ergebnisse und Herangehensweisen an den Bereich interkultureller Kommunikation operationalisierbare Wege triadischer Verständigungsförderung aufzuzeigen. Präzisere Ausarbeitungen in Form empirischer Beschreibungen können dagegen nur im Rahmen von einzelnen, weiterführenden Forschungsarbeiten geleistet werden, da diese im Hinblick auf ihr methodologisches Spektrum in erheblichem Maße divergieren und unterschiedliche Richtungen einschlagen müssten, die in einer einzelnen Arbeit kaum noch zusammengefasst werden könnten. Zum Aufgreifen dieser jeweiligen Forschungsmöglichkeiten können jedoch im Verlauf der folgenden Abschnitte jeweils die folgenden Fragestellungen an die vorgestellten Forschungsarbeiten angelegt werden, um sie für eine Suche nach Wegen triadischer Verständigungsförderung im Sinne einer induktiv konzipierten interkulturellen Mediation fruchtbar zu machen: Nach welchen Kriterien werden in der jeweils vorgestellten Studie Grenzen der (dyadischen) Verständigung definiert, und für welchen Punkt werden sie gefunden und beschrieben? Durch welche Eigenschaften würde sich nach den Kriterien der vorgestellten Studie ein Optimum interkultureller Verständigung auszeichnen? Unter welchen Bedingungen und aufgrund welcher Vorgehensweisen könnten Interaktionspartner nach den Kriterien einer Studie an der Herstellung von Verständigung arbeiten? schungsgegenstandes, der hier lediglich den Mindestanforderungen einer als interkulturell bedingt begründbaren Face-to-face-Kontaktsituation genügen sollte. Einbegriffen in diesen Kontext werden dabei sowohl interkulturelle Kontaktsituationen aus dem Bereich der interkulturellen Wirtschaftskommunikation als auch der Kommunikation in Institutionen sowie in Kontakten des Bildungsaustauschs und Kontakten in Migrationskontexten. 190 Nach welchen Kriterien ließe sich die Erreichung dieses Ziels einer Verständigung nach den Kriterien der Studie kontrollieren und bemessen? Aus einer Fruchtbarmachung der vorgestellten Herangehensweisen für eine Konstruktion von Formen triadischer Verständigungsförderung im Sinne einer induktiv konzipierten interkulturellen Mediation erhofft sich die vorliegende Arbeit zunächst hypothetisch eine Ausweitung der Grenzen interkultureller Verständigung aus dyadischen Kontaktsituationen. Im Hinblick auf diese gesuchten Wege einer Ausdehnung der Grenzen interkultureller Verständigung können an jede der vorgestellten Studien folgende Fragen gestellt werden: Auf welche Weise könnten dritte Personen in das den Studien jeweils zugrunde liegende (meist dyadische) Interaktionsmodell integriert werden, so dass sie nach den Kriterien der Studie operational erfassbar würden? Auf welche Weise ließen sich nach den von der jeweiligen Studie angelegten Kriterien zur Herstellung von Verständigung der Einsatz und der Einfluss dritter Personen auf diesen Verständigungsprozess beurteilen, bewerten und beschreiben? Unter welchen Umständen kann nach den Kriterien einer jeweiligen Studie die Intervention einer Drittpartei als erfolgreich gewertet werden, und unter welchen Bedingungen muss dagegen von einem Scheitern einer spontanen Laien- Mediation gesprochen werden? Wie hoch muss nach den Kriterien der jeweiligen Studie und nach ihren Möglichkeiten der Beschreibbarkeit triadischer Verständigungsförderung die Wahrscheinlichkeit eines Glückens oder Scheiterns einer spontanen Laien-Mediation eingeschätzt werden? Während diese weiterführenden Fragen in den folgenden Abschnitten jeweils nur angerissen, nicht aber weiterverfolgt und in einem befriedigenden Maße beantwortet werden können, sollen die Richtungen, in die diese Fragen verweisen, bei der Vorstellung empirischen Ansätze in den folgenden Abschnitten jedoch immer im Blick behalten werden. Ziel dieses Arbeitsabschnittes ist es, Ansätze und Richtungen aufzuzeigen, mit denen potentiell Nachweise darüber erbracht werden können, dass frühere dyadische und verständigungsorientierte Arbeiten tatsächlich erbrachte Verständigungsleistungen nur bis zu einem bestimmten Punkt nachverfolgen und bescheinigen können. Hypothetisch soll dabei davon ausgegangen werden, dass über diese Grenzen hinaus die Ziele interkultureller Verständigung häufig nicht präzise reflektiert werden, so dass in vielen problemorientierten empirischen Studien auch keine systematische Suche nach Wegen der Erreichung derartiger Verständigungziele möglich ist. Hypothetisch soll darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass der zusätzliche Einsatz von Drittpersonen in interkulturellen Kon- 191

95 taktsituationen die Grenzen der Verständigung im Sinne einer induktiven interkulturellen Mediation weiter hinausschieben kann. Vorab kann an dieser Stelle bereits konstatiert werden, dass sich die in empirischen Studien jeweils unterschiedlich gezogenen Grenzen interkultureller Verständigung vielfach aufgrund unterschiedlicher, implizierter Kulturbegriffe und Kulturdefinitionen bemessen, die jeweils als Grundlage für empirische Untersuchungen herangezogen werden: 212 Wird Kultur im Sinne universalistischer Verständigungstheorien als marginaler, überwindbarer Faktor verstanden, so erscheint auch in den entsprechenden empirischen Studien die Möglichkeit interkultureller Verständigung als Sonderform von Verständigung vergleichsweise unproblematisch. 213 Legt man empirischen Studien dagegen eher relativistisch orientierte Kulturkonzepte zugrunde, so werden auch die empirischen Ergebnisse auf Aussagen hinauslaufen, die eine interkulturelle Verständigung in ein sehr unwahrscheinliches Licht rückt. Auch dieses Zusammenspiel von Kulturbegriffen und empirischen Ergebnissen soll in den folgenden Abschnitten permanent im Blick behalten werden. Um bei der Bearbeitung der vorliegenden Argumentation selbst eine interkulturell vertretbare Perspektive einhalten zu können, sollte darüber hinaus im Blick behalten werden, dass derartige unterschiedliche Kulturauffassungen nicht nur die von den Wissenschaften eingeschätzten Grenzen interkultureller Verständigung determinieren, sondern, dass derartige Unterschiede in den Auffassungen des Einflusses von Kultur auf interkulturelle Interaktionen auch im Alltagsverständnis unterschiedlicher Kulturen und hier kann nur aus einer sehr generalisierenden Perspektive argumentiert werden unterschiedlich eingeschätzt werden. So geht beispielsweise Beverly McLeod 1981 davon aus, dass auch die Auffassungen, die von Mehrheiten in den Diskursen unterschiedlicher Kulturen über die Beschaffenheit ihrer eigenen Kultur oder Identität geteilt werden, interkulturell divergieren können: Tendieren Diskurse innerhalb einer Kultur dazu, die eigene Kultur als statisches Konstrukt zu verstehen, dann werden auch verständigungsfördernde Vorgehensweisen wie die der Mediation nur wenig zu einem Abrücken von der Position dieser Kultur und zu einer gegenseitigen Annäherung in einem dritten Raum beitragen können. Wird Kultur dagegen als Lern-, Erfahrungs- und Entwicklungsprozess gedacht, so betrachtet McLeod sie als zugänglich für vermittlungsfördernde 212 Für einen aktuellen Kurzüberblick über unterschiedliche Kulturbegriffe und die Auswirkungen ihrer Verwendung in der Forschung vgl. Ort Hier sind selbstverständlich sehr viele Abstufungen und graduelle Unterschiede in der Einschätzung des Einflusses von Kultur denkbar. Als charakteristisches Beispiel diene hier nur der Kulturbegriff von Mall, nach dem interkulturelle Verständigung aufgrund zumindest teilweise bestehender Überlappungen zwischen den Kulturen möglich wird (vgl. Mall 2000). Maßnahmen wie die der Mediation (vgl. McLeod 1981). Wie bereits eingangs angemerkt, sollten jedoch im Hinblick auf die Kulturen generalisierende Herangehensweise von McLeod auch die Annahmen ihres Modells zumindest relativiert werden. Dabei darf angezweifelt werden, dass sich derartige Aspekte überhaupt im Sinne von Eigenheiten einer Kultur pauschalisieren und formulieren lassen. Stattdessen scheinen Kulturen sehr viel weniger statisch gedacht werden zu müssen, als es McLeod vorschlägt. So kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass Kulturen auch grundsätzlich über ein gewisses Ausmaß an interner Heterogenität verfügen, in der einige Teile und Kulturmitglieder konservativ und die gegenwärtige Ausprägung der Kultur bewahrend, andere dagegen als lern- und veränderungsbereit auftreten. Darüber hinaus sei vorab angemerkt, dass die Fragestellung nach der Beschaffenheit der Rolle von Kultur in Interaktionsprozessen mit Hinblick auf den Gegensatz universalistischer gegenüber relativistischer Konzepte zu einer Einnahme polarisierender Positionen zu verleiten scheint, so dass die Möglichkeit interkultureller Verständigung vielfach entweder vollständig geleugnet oder aber eingeräumt zu werden scheint. 214 Demgegenüber warnen Kritiker zunehmend vor einer Überbewertung der Rolle von Kultur in interkulturellen Kontaktsituationen. So geht beispielsweise Barbara Schramkowski davon aus, dass der größte Einfluss von Kultur auf Alltagshandlungen und interaktionen dadurch zustande kommt, dass er von den Interaktanten dazu instrumentalisiert wird, Bereitschaft oder Ablehnung von Verständigung in individuellen Situationen jeweils noch einmal zu bekräftigen und zu untermauern. 215 Aus ähnlicher Sicht macht Astrid Ertelt-Vieth darauf aufmerksam, dass insbesondere in den Diskursen der Anthropologie in den achtziger und neunziger Jahren um Autoren wie Clifford Geertz ein Kulturverständnis entwickelt worden ist, das die Einflüsse von Kultur auf Alltagshandeln weit überbewertet. In Anspielung auf Geertz geht Ertelt-Vieth dagegen davon aus, dass kulturbedingte Aspekte nur einen vergleichsweise dünnen (Ertelt-Vieth 2003a: 61) Anteil an der Gestaltung von Alltagsinteraktionen haben. Aus ihrer eigenen empirischen Studie zu Interkulturalitätswahrnehmungen im Rahmen von deutsch-russischen Schüleraustauschen 216 folgert sie, dass entgegen den Geertzschen Annahmen vom Primat 214 Exemplarisch sei hier nur auf das Harvard-Konzept verwiesen, das als etablierte Methode zur Konfliktbearbeitung die Rolle kultureller Einflüsse vollständig ignoriert und leugnet (vgl. Fisher/Ury 1996). 215 Letztlich hängt das Ausmaß an Unterschieden zwischen kulturellen Gruppen auch vom (gewollten) Blickwinkel des Betrachters ab, der sich sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch auf trennende Elemente fokussieren lässt: So werden vorhandene kulturelle Unterschiede mal banalisiert und mal überbetont. (Schramkowski 2001: 9). 216 Vgl. hierzu ausführlicher Ertelt-Vieth

96 der Kultur ein Großteil der Fremdwahrnehmungen vor dem Hintergrund individueller (sicherlich auch anteilig kulturell geprägter) Wahrnehmungen konstruiert wird (vgl. Ertelt-Vieth 2003a: 72f). 4.1 Die diskursive Konstruktion empirischer Forschungsfragen Eine der Ausgangshypothesen der vorliegenden Arbeit bestand in der Annahme, dass sowohl der gegenwärtige Forschungsstand zur Problematik interkultureller Verständigung als auch zu Konfliktbearbeitung und Mediation als Ergebnis diskursiver Entwicklungen und Konstruktionen gesehen werden müssen, durch die in beiden Bereichen Konzeptionen von Forschungsgegenständen entstanden sind, die in hohem Maße kontingent sind. Was jeweils von den Wissenschaftsdiskursen als problematisch aufgefasst wird, und welche Lösungen für die jeweiligen Probleme vorgeschlagen werden, muss demnach wesentlich als Resultat diskursiver Entwicklungen angesehen werden. In diesem Kapitel soll mit der empirischen Forschung zur interkulturellen Kommunikation in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften zusätzlich ein weiterer wissenschaftlicher Bereich hinzugezogen werden, dessen Inhalte als Grundlage für die Komponente induktiver Konzepte in dem übergreifenden Modell interkultureller Mediation dienen sollen. Wird dieser Forschungsbereich referiert, so muss auch in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass sowohl die jeweiligen Forschungsfragen als auch die Ergebnisse der empirischen Studien kontingent sind und als Ergebnisse diskursiver Entwicklungen verstanden werden müssen. Als beispielhaft für die Kontingenz und die Diskursivität der empirischen Forschung mag an dieser Stelle auf die bereits erwähnte primäre Problemorientierung eines Großteils der durchgeführten Studien hingewiesen werden. Diese Problemorientierung scheint sich aus einer allgemeinen Problemerfahrung zu ergeben, die aus Alltagserfahrungen, nicht zuletzt jedoch auch aus den im zweiten Kapitel dargelegten diskursiven Entwicklungen auf dem Gebiet theoretischer Überlegungen zur Möglichkeit von Verständigung herrühren. Erkenntnisse über die Beschaffenheit und das Zustandekommen interkultureller Verständigung werden demnach meist auf Bereichen erzielt, die zuvor als problematisch eingestuft worden und aus dieser Motivation heraus erforscht worden sind. 217 Im Umkehrschluss liegen bislang nur sehr wenige synergieorientierte Arbeiten mit einem Fokus auf Formen erwünschter Kommunikation vor. 218 Ähnlich wie im Bereich der Konfliktmediation lässt sich auch angesichts der Forschungsfragen und der Forschungsgegenstände in der sprachwissenschaftlichen Empirie in der chronologischen Abfolge der Forschungsarbeiten eine Verschiebung der übergeordnet angestrebten Normen erwünschter interkultureller Kommunikation feststellen: Während frühere Ansätze in ihrer didaktischen Umsetzung vor allem kommunikative Stärken und Durchsetzungskraft im Sinne einer Regelung der Kommunikationssituation gemäß der eigenen Interessen anstrebten, hat sich der Fokus der Forschung im Sinne der Umsetzung interaktionstheoretischer Annahmen auf die Förderung von Interaktion und auf eine gegenseitige Verständigungsarbeit verschoben. Die diskursive Entwicklung des Forschungsgegenstandes im Bereich der Sprachwissenschaften wird auch innerhalb der Disziplin selbst nachvollzogen und beschrieben. So ordnet Konrad Ehlich (vgl. Ehlich 1996) die Herauskristallisierung dieses eigenen Fachbereiches in den vergangenen 30 Jahren als Reaktion auf die zuvor immer engeren Homogenisierungsbestrebungen innerhalb der Sozialwissenschaften, insbesondere der Linguistik, in den Wissenschaftskanon ein. Ehlich verortet die Motivation der Fragestellungen der interkulturellen Kommunikationsforschung jedoch in direkten Interkulturalitätserfahrungen in der Alltagswelt in Form von Problemerfahrungen (vgl. Ehlich 1996: 920). Auf ähnliche Weise sieht auch Karlfried Knapp die Entwicklung der Fragestellungen zur interkulturellen Kommunikation nicht als Reaktionen auf theoriegeleitete Modelle, sondern als Antwort auf direkte Problemerfahrungen aus der Realität (vgl. Knapp 1998). Auch das in den vergangenen Jahren stark angewachsene Interesse und die dem Thema beigemessene Relevanz führen Autoren aus dem Gebiet der empirischen Forschung, aber auch der interkulturellen Pädagogik auf Entwicklungen und Veränderungen in der gesellschaftlichen Realität zurück. So wird vielfach davon ausgegangen, dass das ansteigende wissenschaftliche Interesse am Thema auf eine quantitative (vgl. Luchtenberg 1999: 9) sowie auf eine qualitative Zunahme der Bedeutung interkultureller Kontakte (vgl. Maletzke 1996: 9) zurückzuführen sei. Darüber hinaus unterlag die sprachwissenschaftliche Erforschung interkultureller Kommunikation Ehlich zufolge bis vor wenigen Jahren beinahe vollständig der Annahme, Interkulturalität wirke grundsätzlich erschwerend und hindernd in Form von Fehlkommunikation und Missverständnissen auf den Verständigungsprozess. Erst jüngere Studien tragen der Tatsache Rechnung, dass Interkulturalität auch synerge- 217 Für einen Überblick über eine derartige Einteilung von Forschungsfeldern vgl. aktuell Volkmann Eine Ausnahme bilden hier Tom Koole und Jan C. ten Thije mit dem synergieorientierten Konzept der diskursiven Interkultur (vgl. Koole/ten Thije 1994, ten Thije 1997). 195

97 tische Effekte in interpersonale Kontakte einbringen kann (vgl. Koole/ten Thije 1994). Des Weiteren weisen Bond et al. weisen darauf hin, dass empirische Fragestellungen vielfach auch auf bereits bestehenden Stereotypen aufbauen, die zumindest teilweise der theoretischen Literatur entspringen (vgl. Bond et al. 2000). Darüber hinaus hat sich im Bereich der interkulturellen Didaktik die Methode der Critical Incidents etabliert, die auf dem Kriterium der Irritation aufbauen und damit Gefahr laufen, eine Verfestigung stereotyper Fremdheitsbilder zu fördern, solange sie nicht hinreichend reflektiert werden. Auch zahlreichen empirischen Studien dienen derartige persönliche Erfahrungen als Ausgangspunkt ihrer Fragestellungen. In diesen Fällen werden einzelne Critical Incidents zumindest in den jeweiligen Einleitungen wenn auch nur zu Illustrationszwecken angeführt und dienen damit implizit zur Einordnung der jeweiligen Studie in einen jeweils angenommenen Problemkontext. Critical Incidents können im Sinne triadischer Verständigung auch als medienvermittelte Formen der Verständigungsförderung dienen, deren Leistungsfähigkeit und Erwünschtheit ihrer Ergebnisse jedoch kritisch hinterfragt werden muss. Aus hermeneutischer Sicht trägt die Arbeit mit Critical Incidents in der interkulturellen Didaktik zumindest zu einer Verstehensleistung bei, die in Form einer sozialisierten Erfahrung den Prozess einer empathischen Erfahrung zu simuliereren versucht. Die Gefahr besteht hier gerade in der Fehlannahme, Erfahrungen aus Critical Incidents im Hinblick auf ihre Aussagekraft wie tatsächliche Erfahrungen zu behandeln. 219 So leiten beispielsweise Tanaka et al ihre Studie mit Critical Incidents ein (vgl. Tanaka et al 2000: 75-76), zählen dann aber eine Reihe vorangegangener Studien auf, in die sie sich einreihen, und die das Thema bereits vorformuliert haben (vgl. Tanaka et al. 2000: 78-79). Ihre spezielle Forschungsfrage leiten sie explizit aus einem Stereotyp ab: [...] since the stereotype of Japanese and Western apologizing behaviour suggests that Japanese are more willing to apologize when they are not at fault than Westerners are. (Tanaka et al. 2000: 79-80). Miller 2000 stellt ähnliches für den Bereich der Literatur zur interkulturellen Kommunikation zwischen Amerikanern und Japanern fest. Insbesondere laien-linguistische Ratgeberliteratur basiere demnach häufig auf Stereotypen, die aus Interviews, Umfragen per Fragebogen (z. B. discourse completion task) oder Rollenspielen extrahiert werden. Ohne tatsächliche Analysen von Gesprächen kann jedoch kein Rückschluss auf kommunikative Strategien vorgenommen werden. In vielen Fällen ist Sprechern ihr tatsächliches kommunikatives Verhalten gar nicht bewusst (vgl. Miller 2000: 244). Dieser Vorwurf richtet sich daher auch gegen die methodischen Überlegungen von Bond et al. 2000, kulturunabhängige, konstruierte Situationen überprüfen zu können (vgl. Miller 2000: 244). Ähnliche Resultate als ausgehende Forschungsfragen weisen eigens durchgeführte empirische Studien zum entsprechenden Problembewusstsein in der interkulturellen Kommunikation auf. So führt beispielsweise Susanne Günthner eine Studie im Sinne der ethnomethodologischen Konversationsanalyse an deutschen und chinesischen Studenten durch. Nach ihrer Aufnahme des empirischen Materials für ihre Gesprächsanalyse befragt sie die Studenten in Interviews nach ihren Eindrücken und versucht dann, Hinweise oder Ursachen für dieses Empfinden in den sprachlichen Äußerungen und Interaktionen der Sprecher zu finden (vgl. Günthner 2000). Es muss hier befürchtet werden, dass auch die Befragten in den Interviews Stereotypen erhärten und reproduzieren, mit denen sie dann den Fokus der Forscherin erst auf spezifische möglicherweise stereotyp motivierte Problemstellungen in der interkulturellen Kommunikation richten. Demgegenüber muss jedoch auch eingestanden werden, dass diese Stereotypen von den Probanden zumindest in einer konkreten Situation offenbar selbst erlebt wurden. Ob das Problembewusstsein auf Stereotypen oder auf individuellen Erfahrungen beruht, scheint jedoch für den Forschungsprozess selbst keine Rolle zu spielen: In beiden Fällen dienen (primäre resp. sekundäre) Erfahrungen als Ausgangspunkte für Fragestellungen in der empirischen Forschung. Ausgehend von diesen Überlegungen zur diskursiven Konstruktion der Grundlagen und der Ausgangspunkte für empirische Forschungsarbeiten sollen die in den folgenden Abschnitten ausgewerteten Studien in einer ersten Kategorisierung nach zeichen- und handlungstheoretischen gegenüber sozialpsychologisch orientierten Verständigungskonzepten unterschieden werden. 4.2 Wege der Induktion aus zeichen- und handlungstheoretischen Verständigungskonzepten Die hier hinzugezogene Unterscheidung von Forschungsansätzen nach den ihnen zugrunde gelegten zeichen- und handlungstheoretischen gegenüber sozialpsychologischen Kulturbegriffen folgt einem von Klaus P. Hansen vorgeschlagenen Unterscheidungskriterium, das sich insbesondere zu einer anschließenden Beschreibung und Systematisierung von Möglichkeiten der Verständigung eignet. Wenngleich die Wahl dieser Begriffe zumindest teilweise unzutreffend oder miss- 219 Eine entsprechende und vehemente Kritik hierzu findet sich auch bei Müller

98 verständlich erscheint, 220 so bietet die Unterscheidung nach diesen Kriterien dennoch eine für diese Arbeit sinnvolle Inbezugsetzung von kommunikationszentrierten Verständigungstheorien zu Ansätzen, die eher konflikttheoretischen Annahmen folgen (vgl. Hansen 2003: 360). In einer ersten, groben Zuordnung scheint beispielsweise ein Großteil der bisherigen verständigungsorientierten Konzepte im Bereich der Sprachwissenschaften von einem semiotisch begründeten Kulturverständnis auszugehen: Es wird unterstellt, dass unterschiedliche Kulturen von unterschiedlichen kommunikativen Stilen geprägt sind, deren Aufeinandertreffen in der Anwendung in interkulturellen Kontaktsituationen zu Missverständnissen führen kann. In diesen Missverständnissen sehen sprachwissenschaftliche Ansätze die jeweiligen Grenzen der Verständigung, weil sie von den beteiligten Personen vielfach nicht selbst erkannt und bearbeitet werden können Etische und kulturkontrastive Ansätze 222 Unter etisch orientierten Studien zur interkulturellen Kommunikation verstehen Gudykunst und Ting-Toomey Ansätze, die unterschiedliche Kulturen aus einer Außenperspektive beschreiben. Ziel derartiger Ansätze ist es, kulturübergreifende, kulturneutrale oder kulturuniverselle Beschreibungskategorien zu finden, anhand deren sich unterschiedliche Kulturen zueinander in Beziehung setzen lassen. Nach Gudykunst und Ting-Toomey trifft diese Vorgehensweise vor allem auf die kontrastiven, kulturanthropologischen Studien der siebziger und frühen achtziger Jahre zu, in denen Autoren wie Geert Hofstede (vgl. Hofstede 1980), Edward T. Hall (vgl. Hall 1959, Hall/Hall 1994) und Fons Trompenaars (vgl. Trompenaars 1994) aus ihrem quantitativen empirischen Material kulturunspezifische Kulturdi- 220 So sind beispielsweise die von Hansen unter dem kultursemiotischen Paradigma vereinten Arbeiten keinesfalls alle unter das häufig mit semiotischen Ansätzen verbundene strukturalistische Paradigma zu fassen (vgl. Willems 1995). Auch eine weitergefasste, lediglich auf einem zeichentheoretischen Paradigma aufbauende Grenzziehung (vgl. Posner 2003) schiene hier noch zu eng gefasst. Dennoch liegen auch aus zentralen Bereichen semiotischer Methodologie Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation vor (vgl. Schulz 2001). 221 Neben den in den folgenden Kapiteln ausführlicher angesprochenen methodologischen Herangehensweisen sei hier weiterführend auch auf Arbeiten innerhalb der Schule der Ethnographie des Sprechens hingewiesen. Eine kurze methodologische Einführung findet sich in Fitch/Philipsen Für den Bereich der interkulturellen Kommunikation erscheinen insbesondere die Arbeiten von Helga Kotthoff von Interesse (vgl. Kotthoff 1999, 2002). Weitere relevante Ansätze finden sich darüber hinaus auf dem Gebiet der kognitiven Linguistik (vgl. Sperber/Wilson 1986), das jüngst ebenfalls für den Bereich der interkulturellen Kommunikation fruchtbar gemacht wurde (vgl. House 2000). 222 Zur Unterscheidung emischer und etischer Forschungsansätze zur interkulturellen Kommunikation vgl. Gudykunst/Ting-Toomey 2003: mensionen abstrahiert haben, in die sich einzelne Kulturen zwecks Beschreibung einordnen lassen. 223 Studien dieser Art erweitern den Blick und die Perspektive auf die Bandbreite der vielfältigen Möglichkeiten und Ausprägungen interkulturell divergierender Verhaltensweisen und Normauffassungen. Mit diesem Wissen ausgestattet können Interaktionspartner in interkulturellen Kontaktsituationen möglicherweise sensibler für die Existenz kulturell bedingter Verhaltensdifferenzen auftreten, bzw. bereits von Beginn an auf das Auftreten interkulturell bedingter Differenzen in der Kommunikation gefasst sein. Daraus wird fälschlicherweise häufig auf Erklärungen für tatsächliche Manifestationen interkultureller Problemstellungen geschlossen: Missverständnisse kommen demnach zwingend dadurch zustande, dass alle Interaktionspartner in den interkulturellen Kontaktsituationen ihre Handlungen an ihren eigenen, intrakulturellen Normauffassungen festmachen. 224 Stattdessen ist jedoch davon auszugehen, dass Individuen in modernen Gesellschaften grundsätzlich auch bereits über nicht zwingend kooperative Handlungsmuster zum Umgang mit Fremdheit verfügen, so dass mit einem gegenseitigen konvergenz- oder divergenzorientierten Anpassungsprozess der Verhaltensweisen zu rechnen ist. In diesem Sinne muss gefolgert werden, dass diese Studien selbst keine eigenen empirischen Aussagen über das Zustandekommen von interkulturellen Kontaktsituationen und das Verhalten von Angehörigen der jeweiligen Kulturen in diesen Situationen machen. Ein Wissen über spezifische Verhaltensweisen und Normauffassungen einzelner Kulturen in deren eigenen, intrakulturellen Kontexten lässt demnach noch keine Aussage darüber zu, wie Individuen aus diesen Kulturen sich in interkulturellen Kontaktsituationen verhalten, in denen die Gültigkeit ihrer Normen nicht mehr als selbstverständlich angenommen werden kann, bzw. sie selbst mit Fremdheitsaspekten konfrontiert werden. Genau genommen lassen Arbeiten auf der 223 Unter ähnlichen Annahmen konzipiert auch Alexander Thomas die Theorie der Kulturstandards, die jedoch insbesondere für sprachwissenschaftlich fundierte Studien eine präzisere Operationalisierung ermöglicht (vgl. Thomas 1996). 224 Bernd Müller-Jacquier kritisiert in diesem Zusammenhang die Annahme, die Anwendung fremder Kommunikationsregeln müsse immer auf zugrunde liegende fremde Handlungsorientierungen zurückgeführt werden. Müller-Jacquier führt diesen Fehlschluss auf eine Tendenz in der anthropologischen Forschung zurück, die er als Psychologisierung interkultureller Kommunikation (Müller-Jacquier 2000: 21) bezeichnet und nach der ein Kausalverhältnis zwischen Handlungsorientierungen und Kommunikationsregeln unterstellt wird. Statt dessen weist Müller- Jacquier darauf hin, dass sich sowohl Handlungsorientierungen als auch Kommunikationsregeln zwischen Kulturen unabhängig voneinander unterscheiden können, so dass mit kulturell bedingten Differenzen auf beiden Ebenen gerechnet werden muss, ohne dass Rückschlüsse von Differenzen auf der einen Ebene auf Differenzen auf der anderen Ebene zulässig seien (vgl. Müller-Jacquier 2000: 21). 199

99 Grundlage dieser Methodik keine Rückschlüsse als Antworten auf die Fragestellungen der vorliegenden Studie zu: Wie interkultureller Kontakt verständigungsfördernd gestaltet werden kann, lässt sich aus den Ergebnissen nicht schließen. Häufig haben derartige kulturkontrastive Studien darüber hinaus zu der Fehlannahme verleitet, das Ausmaß an Fremdheit zwischen zwei Kulturen ließe auf eine die jeweiligen Kulturgruppen verallgemeinernden Weise empirisch messen. Larry E. Sarbaugh (vgl. Sarbaugh 1988: 27) postuliert in diesem Sinne, mit dem Ausmaß von Interkulturalität in einer Kontaktsituation und unter Interkulturalität werden hier interkulturell bedingte Unterschiede verstanden wachse auch das Ausmaß kommunikativer Schwierigkeiten und Störungen an. Je fremder sich zwei Interaktionspartner seien, desto schwieriger gestalte sich automatisch auch die Kommunikation zwischen ihnen. Eine solche Hypothese erfordert jedoch zunächst die Annahme, dass das Ausmaß an Fremdheit zwischen zwei Personen messbar sei. Sarbaugh erstellt hierzu ein Kategorienschema von Aspekten, von denen er annimmt, dass sie insbesondere im interkulturellen Vergleich stark variieren ( worldviews, normative patterns of beliefs and overt behaviors, code systems and perceptions of their relationship and intent, Sarbaugh 1988: 27). Anschließend holt er von Probanden aus unterschiedlichen Kulturen Stellungnahmen zu den einzelnen Aspekten ein und positioniert diese Aussagen auf einer Skala, so dass sich Differenzen zwischen den Ansichten graduell bestimmen lassen. Aus heutiger Sicht erscheint es jedoch zweifelhaft, einfach einen Kausalzusammenhang zwischen dem Grad der kulturellen Fremdheit und den auftretenden Kommunikationsstörungen anzunehmen. Interaktionstheoretische Studien gehen dagegen davon aus, dass Verständigungsschwierigkeiten höchstens mit dem Ausmaß empfundener und von den Interaktionspartnern wahrgenommener Fremdheit korrelieren. Derartige etische Ansätze scheinen sich darüber hinaus nur bedingt für eine Ableitung und für eine Weiterentwicklung triadischer Formen der Verständigungsförderung nach den eigenen Terminologien der jeweiligen Studien zu eignen. Diese Schwierigkeit ist jedoch nicht durch den etischen Ansatz dieser Studien selbst, sondern durch den geringen Fokus auf tatsächliche Interaktionen begründet. Studien, die nach etischen Prämissen arbeiten, zielen zugleich häufig auf eine kulturkontrastive Perspektive ab, die sich zwar dazu eignet, kollektive, kulturelle Unterschiede aufzuzeigen, die jedoch nur wenige Rückschlüsse auf den entsprechenden Verlauf tatsächlicher interkultureller Kontaktsituationen zulassen Emische und interaktionstheoretische Ansätze Emische Herangehensweisen an den Forschungsgegenstand interkultureller Kommunikation zeichnen sich nach Gudykunst und Ting-Toomey gegenüber etischen Ansätzen dadurch aus, dass sie unterschiedliche Kulturen jeweils aus deren 200 Innenperspektive untersuchen und mit deren eigenen Begrifflichkeiten zu erfassen versuchen. Anstelle von Charakterisierungen nach Begriffen übergeordneter und kulturübergreifender Universalien suchen emische Ansätze nach kulturspezifischen Begriffen, mit denen sich Verhaltensweisen und Normauffassungen einer Kultur beschreiben lassen. Dieser Perspektive sind in der Forschungspraxis insbesondere interaktionstheoretisch orientierte und kommunikationswissenschaftliche Arbeiten zuzuordnen (vgl. Gudykunst/Ting-Toomey 2003: 120). Interaktiontheoretische Studien gehen nach Müller-Jacquier davon aus, dass konkrete Ausformungen von Handlungsweisen auch in interkulturellen Kontaktsituationen immer erst in der Situation zustande kommen. Auch als kulturell bedingt interpretierte Handlungsweisen werden auf diese Weise situativ konstruiert. Müller-Jacquier verweist exemplarisch darauf, dass sich Personen beispielsweise nicht per se typisch deutsch verhalten, sondern dass sie sich durch die jeweilige Situation gezwungen sehen, auf diese Weise zu handeln. In der Situation versteifen sie sich auf die Position des typisch Deutschen, da sie sich vom Verhalten ihres Gegenübers irritiert fühlen und sie den Eindruck bekommen, keinen Zugang zu der Person des Gegenübers bekommen zu können (vgl. Müller 1995: 54). Eine solche Verhaltensweise könnte somit als situativ konstituierte Resignation interpretiert werden. 225 Andere Ansätze betonen dagegen die Problematik der kulturell unterschiedlichen Umsetzung impliziten Wissens in der Sprache. So enthalte jede Kultur ein Instrumentarium von sprachlichen, so genannten Kontextualisierungshinweisen, die zur Aushandlung von Situationsdefinitionen herangezogen werden. Peter Auer zufolge beinhaltet dieser Begriff der Kontextualisierung eine dreistellige Relation, die bei der Bedeutungskonstituierung einer Aussage zum Tragen komme. Zur Interpretation einer Äußerung müssen demnach erstens zunächst die verwendeten Ausdrucksmittel in den Bereichen der Idiomatik, der Gestik, und der Prosodie berücksichtigt werden. Zweitens sei darüber hinaus eine genaue Kenntnis der Bedeutung bestimmter Handlungen und Wissensbestände (frames) erforderlich, die in einem bestimmten Kontext relevant gemacht werden und die auf diese Weise eine Interpretation ermöglichen (vgl. Auer 1999: 174). Die Verwendung dieser Techniken wird jedoch im fremdsprachlichen Unterricht nicht vermittelt, so dass es zu Fehlinterpretationen kommen kann. Knapp spricht sich in diesem Zusammenhang für eine ethnomethodologische Perspektive aus. Interaktionspartner können demnach Bedeutungen individuell und situativ aushandeln. Kulturelles Hintergrundwissen 225 Ein interaktionstheoretisches Verständnis interkultureller Kommunikation vertritt darüber hinaus Jürgen Bolten. Vgl. hierzu seine Textsammlung, mit der er eine wissenschaftstheoretische Verortung des Forschungsgegenstandes in einem interaktionstheoretischen Kontext konstituiert (Bolten/Erhardt 2003). 201

100 wird nur dann relevant, wenn die Interaktionspartner es aktivieren (vgl. Knapp 1998). Indem emische und interaktionstheoretische Ansätze auf diese Weise davon ausgehen, dass die Beschaffenheit und das Zustandekommen von Interkulturalität grundsätzlich situativ neu und immer wieder auf unterschiedliche Weise konstituiert werden, richten sie den Fokus ihrer empirischen Forschung nicht auf eine Beschreibung der unterschiedlichen Kulturen, sondern auf konkrete Interaktionen in einzelnen Kontaktsituationen. Auf diese Weise sind in dieser Forschungstradition auch Begriffssysteme entstanden, die Interaktionen so präzise beschreiben, dass Überlegungen zu einer Integration dritter Personen in diese Begriffssysteme möglich und sinnvoll erscheinen Wege der Verständigung nach pragmatischen Ansätzen In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte in den Sprachwissenschaften der pragmatic turn ein, mit dem man begann, Sprache als Form sozialen Handelns aufzufassen (vgl. Hartung 2000: 83). 226 Dabei erfuhr der Begriff der Pragmatik zeitweise eine sehr weit gefasste Verwendung, die Müller-Jacquier jedoch als temporäre, zu Beginn der neunziger Jahre vorherrschende Tendenz beobachtet. 227 Im Kontext der vorliegenden Arbeit soll dagegen ein enger gefasster Begriff der Pragmatik zugrunde gelegt werden, unter dem an dieser Stelle nur Arbeiten angeführt werden, deren Untersuchungsgegenstand sich ähnlich dem der Sprechakttheorie auf die Satzebene von Sprache beschränkt. Konversations- und diskursanalytische Arbeiten werden darüber hinaus in späteren Abschnitten gesondert betrachtet. Pragmatische, auch als handlungstheoretisch bezeichnete Ansätze fokussieren die Zielgerichtetheit und die Funktion des Sprachgebrauchs und lassen sich Hartung zufolge meist in Form analytisch gegliederter Abläufe darstellen und beschreiben (vgl. Hartung 2000: 88). An derartigen kommunikativen Handlungen sind grundsätzlich mehrere Personen beteiligt, so dass pragmatische Ansätze immer auch eine Interaktion beschreiben. Den an einer Interaktion beteiligten Personen wird damit gleichzeitig unterstellt, dass sie in vielen Fällen als Ziel ihrer Interaktion eine interpersonale Verständigung anstreben. Handlungstheoretische Ansätze imp- 226 Hartung selbst sieht das pragmatische Paradigma als überwunden an: Kommunikationsorientierte und handlungstheoretisch ausgerichtete Ansätze hatten, was die Zahl der Veröffentlichungen und der neuen Ideen betrifft, ihre Höhepunkte in der 2. Hälfte der 70er und der 1. Hälfte der 80er Jahre. (Hartung 2000: 94). Stattdessen herrschten gegenwärtig kognitionsorientierte Ansätze als paradigmenbildend vor. 227 So bezieht beispielsweise Jenny Thomas auch die Diskurs- und Konversationsanalyse in die Bandbreite pragmatischer Methoden mit ein (vgl. Thomas 1995). 202 lizieren aber immer auch, dass sprachliches Handeln Auswirkungen über das reine Sprachverstehen hinaus hat. Hartung zufolge ist Sprachhandeln demnach beschreibbar in Bezug auf die internen und externen Koordinationsleistungen, also grundsätzlich auch im Bezug auf die Zielstellungen, die mit sprachlichem Handeln verfolgt werden (vgl. Hartung 2000: 88). Dabei fokussiert die pragmatische Forschung insbesondere die rezeptive Verarbeitung: Sprachliches Handeln wird nicht nur von einem Sprecher vollzogen, sondern es muss immer auch von einem Hörer interpretiert und umgesetzt werden (vgl. Hartung 2000: 88). Hartung beschreibt sprachliches Handeln aus dieser Sicht als sukzessives Schaffen und Aushandeln von Sinn. Auch die Zielstellungen können dabei in den meisten pragmatisch orientierten Ansätzen analytisch in Teilziele und deren Erreichung unterschieden, untersucht und beschrieben werden. Als Basiseinheiten pragmatischer Analysen gelten Hartung zufolge Proposition und Illokution, auf deren Einteilung fast alle späteren Feinanalysen aufbauen (vgl. Hartung 2000: 89). Žegarac und Pennington 2000 unterscheiden innerhalb pragmatischer Arbeiten darüber hinaus den Ansatz der Social Pragmatics, zu dem beispielsweise zentral die Facework-Strategien von Brown und Levinson gezählt werden können. Als Bestandteil einer Richtung der Cognitive Pragmatics dagegen kann der Ansatz der Relevance Theory von Sperber und Wilson (vgl. Sperber/Wilson 1986) angesehen werden (vgl. Žegarac/ Pennington 2000: 166). Zur Kategorisierung möglicher Kommunikationsstörungen aufgrund fehlinterpretierter Sprechakte orientiert sich Michael Clyne an den Begriffen von noncommunication where no message is communicated; and miscommunication where an unintended message is communicated (Clyne 1994: 26) von John J. Gumperz (vgl. Gumperz 1992) sowie an den Begriffen von pragmalinguistic failure mistaken beliefs about the pragmatic force of an utterance (e.g. believing Bad luck! is the opposite of the wish Bad luck!) and sociopragmatic failure caused by different cultural values (e.g. Directness/Indirectness). (Clyne 1994: 27) von Jenny Thomas (vgl. Thomas 1983). Wenngleich diese Unterscheidung nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Ebene eventueller Fälle eines pragmalinguistic failure in gleicher Weise aufgrund interkultureller Einflüsse gestört werden kann, findet sich doch der weitaus größte Anteil der Forschung zur interkulturellen Kommunikation auf den Bereich des sociopragmatic failure konzentriert. Im Folgenden wird daher der Aspekt des pragmalinguistic failure nur kurz berührt, der des sociopragmatic failure dagegen entsprechend umfassender berücksichtigt Als weitere zentrale sprachwissenschaftlich-pragmatische Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation vgl. Clyne 1994, Scollon/Scollon 1995, Bargiela-Chiappini/Harris 1997, Goldstein 1997, Sarangi/Roberts: 1999:

101 Pragmalinguistische Störungen Als zentraler Ausgangspunkt der linguistischen Pragmatik darf die von John L. Austin (vgl. Austin 1962) begründete und von John R. Searle (vgl. Searle 1969) weiterentwickelte Sprechakttheorie angesehen werden. Zu Beginn des pragmatic turns in den Sprachwissenschaften ließ sich mit ihr erstmals die Verbindung zwischen sprachlichen Äußerungen und außersprachlichem Handeln beschreiben. Dabei beschränkte sich die Sprechakttheorie zunächst auf die Analyse einzelner und von ihrem Kontext isoliert betrachteter Sätze. In der ersten Zeit wurde die Sprechakttheorie darüber hinaus ausschließlich im Rahmen sprachphilosophischer Ansätze entwickelt, die ihre Überlegungen lediglich anhand konstruierter Beispielsätze exemplifizierten, sich ansonsten jedoch auf theoretische Argumentationen beschränkten. Erst sehr viel später folgten empirische Studien zur Untersuchung gesprochener Sprache, die auf sprechakttheoretischen Annahmen aufbauten. Aus dieser Sicht ist es nicht verwunderlich, dass die Sprechakttheorie auch außerhalb des Fokus einer interkulturellen Forschung entwickelt worden ist, so dass in ihr getätigte Annahmen zunächst als kulturell universal postuliert werden konnten. Erst in späteren Debatten, in denen Manifestationen sprechakttheoretischer Annahmen auch an empirischem Material gesprochener Sprache diskutiert wurden, setzten zugleich auch Tendenzen der Relativierung des kulturunabhängigen und kulturuniversalistischen Anspruchs der Sprechakttheorie ein. Eine kulturrelativistische Kritik an diesen sprechakttheoretischen Annahmen braucht lediglich darauf zu verweisen, dass sich mit den Terminologien und mit den begrifflichen Instrumentarien aller kommunikationswissenschaftlichen Subdisziplinen kulturspezifische Manifestationen dieser disziplinen-eigenen Kategorien feststellen und beschreiben lassen. Von derartigen kulturspezifischen Divergenzen wird angenommen, dass sie in interkulturellen Kontaktsituationen zu Fehlkommunikation und Irritationen führen, denen insbesondere aufgrund ihrer Folgen für die Entwicklung der interpersonalen Beziehung der Interaktionspartner eine besondere Bedeutung beigemessen wird. So geht man davon aus, dass pragmatische Aspekte einer Sprache im Fall der zu erwartenden Verwendung von Fremdsprachen im interkulturellen Kontakt in besonderem Maße von einer defizitären Fremdsprachenkompetenz betroffen sein können, da diese im Fremdsprachenunterricht meist nicht oder nur in unzureichendem Maße vermittelt werden, bzw. von den Lernenden nur besonders schwer erlernbar sind. Kommunikative Missverständnisse aufgrund von kulturell unterschiedlichen pragmatischen Realisierungen werden darüber hinaus häufig nicht als solche erkannt, so dass tatsächliches Missverstehen häufig als Verstehen aufgefasst wird und gänzliches Nicht-Verstehen als Missverstehen wahrgenommen werden kann. Als Folge muss mit Fehlinterpretationen gerechnet werden, die aufgrund ihrer häufigen Unangemessenheit im Rahmen der in- 204 terpersonalen Beziehung zu negativen Attributionen des Gesprächspartners und somit langfristig zur Verschlechterung der Beziehung beitragen. Angesichts der Ergebnisse kontrastiver Analysen einzelner Sprechakte im interkulturellen Kontakt kann demnach an dieser Stelle hypothetisch von folgenden möglichen Konstellationen beim Zustandekommen von Fehlkommunikation ausgegangen werden: 229 Ein bestimmter Sprechakt existiert in allen an einem Kontakt beteiligten Kulturen, wird aber in einer unterschiedlichen Quantität verwendet (Unterschiede in der quantitativen Verwendung von Sprechakten). Ein bestimmter Sprechakt existiert in allen an einem Kontakt beteiligten Kulturen, wird jedoch mit Hilfe unterschiedlicher Formulierungen kommuniziert (Unterschiede in der Ausführung von Sprechakten). Ein bestimmter Sprechakt ist in mindestens einer der an einem Kontakt beteiligten Kulturen nicht bekannt (kulturspezifische Sprechakte). Michael Clyne orientiert sich an einem Verständigungskonzept von Jenny Thomas, nach dem interkulturelle Verständigung im Fall von Fehlkommunikation in dyadischen Kontaktsituationen mit Hilfe von Strategien bewältigt werden könne, die mangelnde Kompetenzen ausgleichen: Strategic competence is the speaker s ability to solve communicative problems through strategies [...]. These strategies compensate for insufficient communicative competence, and enhance the effectiveness of communication. (Clyne 1994: 27). Grundsätzlich hält Clyne auch eine verständigungsfördernde Bearbeitung durch dritte Personen für möglich, führt diese Variante jedoch nicht weiter aus. Clyne zufolge können dritte Personen demnach insbesondere durch ihre zusätzliche Beobachtungs- und Analysefähigkeit verständigungsfördernd auf dyadische Prozesse einwirken, etwa in dem sie zumindest für eine Bewusstmachung von Fehlkommunikation eintreten können: As communication is a two-way process, communication breakdown can be identified and recognized by: 1. one interlocutor, 2. the other, 3. both, 4. another person who acts as a mediator. (Clyne 1994: 150). Zu erwägen ist hier jedoch darüber hinaus eine potentiell denkbare triadische Bearbeitung von Fehlkommunikation im Bezug auf alle als dyadisch aufgeführten Strategien. Hier stünde lediglich eine Überprüfung der Hypothese aus, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintretens und des Glückens von Verständigung in triadischen Begegnungen höher als bei dyadischen Begegnungen eingestuft werden kann. 229 Für Beispiele und Ausführungen entsprechender Manifestationen von Fehlkommunikation vgl. Clyne

102 Soziopragmatische Störungen Der Bereich potentieller Fehlkommunikation auf soziopragmatischer Ebene lässt sich mit methodologischen Herangehensweisen erfassen, die sprachliches Handeln mit Beschreibungkategorien wie Scripts (vgl. Schank/Abelson 1977), Schemata (vgl. Rumelhart 1980) und Frames (vgl. Goffman 1980) beschreiben. Zu besonderen Problemstellungen im Bereich interkultureller Kommunikation liegen auf dieser Ebene die Arbeiten vor, die beispielsweise aus dem Cross-Cultural Speech Act Realization Project (CCSARP) (vgl. Blum-Kulka/House/Kasper 1989) hervorgegangen sind. Ergebnisse einer ähnlich umfangreichen Studie liegen darüber hinaus in Bremer et al vor, und auch Arbeiten zu Theorien des Facework und zur sprachlichen Höflichkeit zählen zu diesem Bereich. Hinzugezählt werden können darüber hinaus Arbeiten zum Facework und zur sprachlichen Höflichkeit. 230 Ein Großteil sprechakttheoretischer Studien erscheint jedoch aufgrund seiner Konzentration auf die und seiner Verhaftung in der Satzebene von Sprache für die Forschungsfrage nach Möglichkeiten interpersonaler Verständigung vielfach nur von geringer Aussagekraft. So wird aus interaktionstheoretischer Perspektive davon ausgegangen, dass die Interaktionspartner Verständigung in Gesprächen prozessual erarbeiten und herstellen. Ein solcher Prozess kann jedoch nicht auf der Ebene einzelner Sätze beschrieben werden, sondern könnte nur mit einer Untersuchung längerer Interaktionspassagen in den Blick geraten. Einen vergleichsweise seltenen Brückenschlag auf diesem Gebiet vollzieht Joyce Neu: in ihrer Studie setzt sie die Ausführung einzelner Sprechakte zum Ergebnis eines gesamten Gesprächsverlaufs in Beziehung: Neu und Graham stellen eine Liste von sprechaktähnlichen Kodierungen zusammen, die sie im empirischen Material aus Verhandlungssituationen quantitativ auswerten. Dabei stellen sie Korrelationen zwischen dem Verhandlungsergebnis (Gewinnmaximierung für den Verkäufer und größtmögliche Zufriedenheit für den Käufer) und der Häufigkeit einzelner Sprechakte heraus. Anhand der Verwendung einzelner Sprechakte lässt sich damit auf den Verhandlungserfolg schließen (vgl. Neu/Graham 1995). Sähe man den Verhandlungserfolg im Hinblick auf das in der vorliegenden Arbeit aufgestellte Kriterium der Verständigung gleichzeitig als ein Indiz für eine geglückte Verständigung an, so ließe sich auf diese Weise auf die Verständigungsförderlichkeit einzelner Sprechakte rückschließen. In den kommunikationstheoretischen Bereich, in dem ein kommunikatives Scheitern aus problemorientierter Perspektive mit dem Terminus des sociopragmatic failure bezeichnet werden kann, darf jedoch auch das zunächst positiv gewendete 230 Vgl. hierzu auch die Arbeiten der relevanten Themenausgabe des Journal of Pragmatics 35/2003 (10-11). 206 Konzept der Kontextualisierungshinweise fallen, die in den Sprachwissenschaften eine erste Möglichkeit der Operationalisierung kulturspezifischer Verständigungsschwierigkeiten bot. John J. Gumperz führt hier eine Kategorie kommunikativer kulturspezifischer Muster ein, vor deren Hintergrund Interaktionspartner erst einschätzen können, in welchem Kontext getätigte Äußerungen zu verstehen sind. 231 Peter Auer und Aldo di Luzio unterscheiden des weiteren Kontextualisierungshinweise nach den Kriterien von brought along und brought about. Erstere werden äußerlich und gesellschaftlich vorgegeben, letztere werden dagegen in der Interaktion produziert und hervorgebracht (vgl. Auer/di Luzio 1992: 26). Beide Kategorien können in der interkulturellen Kommunikation zu Schwierigkeiten führen, wobei Backa 1987 insbesondere die Interpretation situativer Kontextualisierungen als schwierig einstuft. Die meisten anderen Arbeiten laufen darauf hinaus, dass Kontextualisierungen aufgrund unterschiedlicher Wissensstrukturen getätigt werden, und dass es auf diese Weise zu Missverständnissen kommt. So schreibt beispielsweise Jochen Rehbein: Genau betrachtet basieren Missverständnisse auf fehlgeschlagener Rezeption sprachlicher Handlungen. (Rost-Roth 1994: 28, zit. nach Rehbein 1985b: 10) Verstehen definiert Rehbein mit folgendem Satz: Dieses [das Verstehen, Anm. d. Verf.] setzt an am sprachlichen und nonverbalen Ausdruck als der Inskription des zugrunde liegenden sprachlichen Musters und dessen Handlungsdimensionen. (Rost-Roth 1994: 28, zit. nach Rehbein 1985b: 10) Die Aufklärung sprachlicher Missverständnisse erachtet Rehbein als besonders problematisch, weil die sprachlichen Formen des Klärens häufig kulturspezifisch ausgeprägt sind, so dass eine Art interkultureller Verstrickung entsteht. (Rost-Roth 1994: 29, zit. nach Rehbein 1985b: 11) Derartige Formen kulturspezifischer Reparaturstrategien in Folge sprachlicher Missverständnisse untersucht Susanne Günthner (vgl. Günthner 1989). Im Hinblick auf eine Definition gelungener Verständigung bezieht Rehbein eine relativistische Position, nach der keine absolute und optimale Verständigung möglich sei. Stattdessen müsste der Erfolg von Verständigung an den jeweiligen situativen Absichten und Zielen der Beteiligten gemessen werden Der Begriff der Kontextualisierungshinweise (engl.: contextualization cues) wird erstmals in Cook-Gumperz/Gumperz 1976 verwendet und in Gumperz 1992 weiterentwickelt. Eine kritische Überarbeitung und Erweiterung erfährt er in Auer/di Luzio Verständigung richtet sich danach, was mit der anstehenden Kommunikation faktisch erreicht werden soll. (Rost-Roth 1994: 29, zit. nach Rehbein 1985b: 11). 207

103 Jürgen Streeck kritisiert die teilweise in dem Modell der Kontextualisierungshinweise mitgedachte Kausalbeziehung zwischen richtig verstandenen Kontextualisierungshinweisen und zustande kommender Verständigung. Streeck zufolge führten unterschiedliche kulturelle Codes jedoch nicht immer zwangsläufig zu Missverständnissen im Verständigungsprozess. Fehlkommunikation könne stattdessen auch durchaus gesellschaftlich funktional sein, da sie der gegenseitigen Abgrenzung von Gruppen und damit dem Erhalt von Identitäten dienen kann. 233 Streeck folgert daraus, dass eine aktive Verständigung in interkulturellen Kontaktsituationen grundsätzlich möglich sei. 234 Erickson und Shultz zufolge können kulturelle Differenzen und damit auch kulturell unterschiedlich kodierte Kontextualisierungshinweise auch im interkulturellen Kontakt ihre Relevanz für den Verständigungsprozess verlieren, wenn sich die Beteiligten in der Interaktion über andere Identitätsmerkmale und membership Kategorien (Rost-Roth 1994: 30 mit Bezug auf Erickson/Shultz 1982) definieren. An dieser Stelle könnten eventuell auch Wege einer triadischen Verständigungsförderung ansetzen: Nach der Terminologie der Kontextualisierungshinweise sollten Drittpersonen die Kulturspezifik von Kontextualisierungshinweisen in der Interaktion eventuell auch erst anhand beobachteter Irritationen in der Reaktion des Gegenübers erkennen können und entsprechende Strategien der Explizierung dieser Kontextualisierungen oder der Umgehung der Erfordernis dieser Kontextualisierungshinweise durch ein Ausweichen auf andere, situativ gemeinsame Kategorien einleiten können Verständigung in der Sprachhandlungsmusteranalyse nach Ehlich/Rehbein Während sich die linguistisch-pragmatische Forschung im angelsächsischen Raum vorrangig auf sprechakttheoretischen Grundlagen entwickelt hat, hat sich im deutschsprachigen Raum alternativ die so genannte Sprachhandlungsmusteranalyse etabliert, die insbesondere von Jochen Rehbein und Konrad Ehlich in den achtziger Jahren vorangetrieben wurde 235 Rehbein legt der Sprachhandlungsmusteranalyse ei- 233 Indem die Mitglieder fremder Gruppen auch und gerade in der interethnischen Kommunikation an ihren Codes festhalten, sichern sie quasi Grenzen des Verstehens. [ ] Der stratifikatorische Charakter des sozialen Makrosystems erneuert sich auf der Ebene der Interaktion beständig in der Fehlkommunikation der Individuen. (Rost-Roth 1994: 30, zit. nach Streeck 1985: 111). 234 In jedem einzelnen interethnischen Kontakt haben die Partner sehr wohl die Möglichkeit, [ ] die quasi-zwangsläufige Tendenz zur Schismogenese zu unterbinden und, über die ethnischen Grenzen hinweg, Gemeinsamkeiten ausfindig zu machen, die die Kommunikation tragen könnten. (Rost-Roth 1994: 30, zit. nach Streeck 1985: 117). 235 Vgl. als grundlegende Arbeiten Rehbein 1977, Ehlich/Rehbein 1986 sowie Ehlich 1996a. 208 nen eigenen Verständigungsbegriff zugrunde, der von einem schrittweisen Verständigungsprozess im interkulturellen Kontakt ausgeht. Rehbein unterscheidet in diesem Sinne die folgenden Phasen (vgl. Rehbein 1987: 124, zit. nach Rost-Roth 1994: 18): 1. Aktualisieren von Hörererwartungen aus dem allgemeinen Vorwissen, 2. Perzeption von Teilhandlungen und Musterzugehörigkeit, 3. Fokusbildung, 4. Sprachliches Vorwissen, 5. Schemabildung. Das Verstehenskonzept der Sprachhandlungsmusteranalyse mutet damit beinahe wie eine systematische Operationalisierung der theoretischen Annahmen aus der Phänomenologie von Alfred Schütz an, nach denen Verstehen durch die Annahme der Reziprozität der Perspektiven zustande kommt und nur in Form der Rekonstruktion eines objektiven Sinns geleistet werden kann. Explizitere Überlegungen zu derartigen Konzeptionen von Verstehen und Verständigung nach den Maßgaben der Sprachhandlungsmusteranalyse finden sich einleitend zu einer umfangreichen Studie von Angelika Wenzel unter dem Titel Verstehen und Verständigung in Gesprächen am Sozialamt (vgl. Wenzel 1984). Wenzel zeigt hier anhand von Transkripten, mit welchen Sprachhandlungen, bzw. welchen dahinterliegenden Zielstellungen die Angestellten des Sozialamtes Verstehen und Verständigung gegenüber und mit ihren Bürgern erreichen. Wenzel legt sich dabei auf eine erweiterte Auffassung von Basisregeln der Interaktion fest von Johannes Schwitalla (vgl. Schwitalla 1979) fest, der tatsächlich einen expliziten Rückbezug auf Alfred Schütz vornimmt. Aus Wenzels Sicht sind diese Regeln jedoch nicht weitreichend genug, um mit ihrer Hilfe den Prozess der Verständigung hinreichend beschreiben zu können. Anhand einzelner Transkriptstellen zeigt Wenzel in ihrer Studie, mit welchen Sprachhandlungsmustern die Angestellten des Sozialamtes Verstehen und Verständigung fördern. Die gegenseitige Perspektivenübernahme wird demnach beispielsweise am besten durch gegenseitiges Paraphrasieren sowie gegenseitige Verständnisabsicherung und rückversicherung erzielt. Die Autorin folgert daraus, dass in diesem Rahmen Strategien am effektivsten seien, die auch unter dem Konzept des aktiven Zuhörens propagiert werden. Dementsprechend liefert Wenzel ein detaillierteres Verständnis unterschiedlicher Paraphrasierungen und deren Wirkungen. Gleichzeitig findet Wenzel zahlreiche verständnisverhindernde Strategien wie nonverbale Verhaltensweisen, Hörersignale, Abwimmelungsstrategien durch Persönlichkeitsurteile sowie Denk- und Sprachschemata, hinter denen sich die Angestellten argumentativ verschanzen. Eine derartige Analyse erscheint insbesondere durch den Transfer des phänomenologischen Verstehenskonzepts auf reale Gesprächssituationen sehr gelungen 209

104 und aussagekräftig. Aus der Studie geht jedoch nicht transparent genug hervor, auf welche Weise diese Kategorien heuristisch erworben worden sind. Die Autorin verfügt über einen psychologischen Studienhintergrund, vor dem Strategien wie die des aktiven Zuhörens alles andere als neu sind. Der Analyse fehlt ein Überprüfungsmechanismus, anhand dessen man unter ausschließlicher Verwendung des Materials zeigen könnte, dass Verstehen und Verständigung eingetreten sind. Eine entsprechende Argumentation ließe sich leicht führen, indem angenommen werden könnte, dass von dem Einsetzen von Verstehen und Verständigung dann ausgegangen werden kann, wenn Paraphrasierungen beispielsweise vom Hörer als zutreffend bestätigt werden. Wenzel weist in ihrer Studie damit meist Sprachhandlungsmuster nach, die denen aus psychologischen Handlungsanweisungen zur Mediation sehr ähneln. Nachgewiesen werden müssten stattdessen Hinweise darauf, dass in konkreten Situationen auch Formen einer weitreichenderen Verständigung möglich gewesen wären. Nimmt man ein Einsetzen von Verständigung dann an, wenn es allen Gesprächspartnern gelungen ist, ihre kommunikativen Interessen und Ziele zu übermitteln, dann ließe sich anhand dieses Kriteriums eine Überprüfung im Sinne der Sprachhandlungsmusteranalyse durchführen. Für den Bereich der interkulturellen Kommunikation wurde die Sprachhandlungsmusteranalyse in den achtziger Jahren von Jochen Rehbein fruchtbar gemacht, der zahlreiche Studien im Institutionenkontext der Arzt-Patienten-Kommunikation zwischen türkischen Patienten und deutschen Ärzten in Deutschland durchgeführt hat. 236 Dabei begreift Rehbein die Arzt-Patienten-Kommunikation als spezifisches Handlungsmuster, das Positionen wie den Beschwerdevortrag, das Abfragen von Symptomen, die Diagnose und den Therapievorschlag umfasst (Rost-Roth 1994: 12). Bei seiner empirischen Untersuchung in diesem Bereich findet Rehbein heraus, dass die deutschen Ärzte sich bei der Beratung von türkischsprachigen Patienten auf Kosten des Einholens von Informationen vom Patienten über seine Krankheit sehr viel mehr auf ihr eigenes medizinisches Wissens verlassen als gegenüber deutschsprachigen Patienten. Rost-Roth verweist hier auf zwei Beispiele (eines aus Rehbein 1986: 311, und eines aus Rehbein 1985d: 376), in denen der Arzt in der Interaktion so viele Vorgaben macht, die nur noch vom Patienten zu ratifizieren sind, dass von diesem keine verständigungsfördernden Beiträge mehr zu erwarten sind. Darüber hinaus werden Aussagen der türkischsprachigen Patienten häufiger entkräftet als die der deutschsprachigen Patienten. Vor dem Hintergrund der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit erscheint die Ursache von Fehlkommunikation oder zumindest minderoptimal auf Ver- 236 Für eine einführende Skizzierung der Rolle sprachlicher Handlungsmuster in interkulturellen Interaktionen vgl. Dannerer o. J. 210 ständigung ausgerichteter Kommunikation in der zu geringen Kooperationsbereitschaft des Arztes zu liegen. Hier scheint daher ein Hinweis auf die Konfliktivität interkulturellen Kontakts vorzuliegen: Der Arzt agiert minderkooperativ, er verweigert sich der Verständigungsarbeit in höherem Maße als er es gegenüber deutschen Muttersprachlern täte. Stattdessen wendet er klare Vermeidungsstrategien an. Rehbein fordert auf der Grundlage seiner Ergebnisse, dass kulturspezifische und klientenspezifische Wissensbestände stärkere Berücksichtigung erfahren: Die Sicherung des Verständnisses ist ein durchaus zweiseitiger sprachlicher Adaptionsprozess: nicht nur die Adaption des ärztlichen Sprechens an das Wissen der türkischen Klienten, sondern auch das Zur-Sprache-Bringen seitens der türkischen Klienten innerhalb der Institution. (Rehbein 1985c: 415, zit. nach Rost-Roth 1994: 13). Als Handlunganweisungen für die strategische Förderung einer erfolgreichen Verständigung im Gespräch kann aus den Ergebnissen nach dieser Methode geschlossen werden, dass sich beide Interaktionspartner einander annähern müssen, um zu einer Verständigung zu gelangen. Für den Fall der Arzt-Patienten-Kommunikation kann darüber hinaus festgestellt werden, dass offenbar die Auffassung von und der Umgang mit Krankheiten und Krankheitsbildern kulturspezifisch ist und sich interkulturell unterscheiden kann, worauf im interkulturellen Kontakt Rücksicht genommen werden sollte. Als Handlungsanweisungen ließe sich aus Rehbeins Ausführungen schließen, dass Gesprächspartner mit der jeweils höheren kommunikativen Kompetenz innerhalb der Zielkultur Rücksicht auf den Gesprächspartner mit der defizitäreren sprachlichen Kompetenz nehmen sollten, indem sie ihm beispielsweise die erforderliche Zeit zum Ausreden lassen. Derartige Handlungsempfehlungen scheinen jedoch vergleichsweise selbstverständlich und darüber hinaus zu unpräzise, als dass sie für sich allein genommen zufrieden stellende Aussagen über die Möglichkeiten einer Implementierung von Formen einer triadischen Verständigungsförderung erhoffen lassen könnten. Insofern zeigen sich hier die eventuellen Grenzen dieses Ansatzes und seiner Beschreibungskraft: Es ist erwartbar, dass Verständigung in Situationen, wie sie Rehbein heranzieht, nicht allein durch gegenseitiges Ausreden lassen in der Konversation erreicht werden kann. Stattdessen könnte diese Regel sicherlich als Grundmaxime in vielen insbesondere nordeuropäischen Kommunikationskulturen gelten. Während die Maxime des einander ausreden Lassens eventuell zwar als Grundbedingung einer Verständigung im interkulturellen Kontakt gelten kann, so stellt sie jedoch keine Voraussetzung dar, deren Erfüllung auch gleichzeitig eine Herstellung von Verständigung garantiert. Der vorliegende Ansatz kann also Grundbedingungen, jedoch keine Glückensbedingungen zur Herstellung interkultureller Verständigung bieten. Darüber hinaus wäre folglich nach weiteren Strategien zu suchen, mit denen der kompetentere Sprecher seinen Gegenüber zur weiteren Verständigungs- 211

105 arbeit ermuntern kann, ohne ihn einzuschüchtern und in der Kommunikation zu hemmen. Hier kann angenommen werden, dass Drittpersonen im Kontext der Rehbeinschen Ergebnisse zumindest beobachten könnten, ob ungeachtet der möglicherweise jeweils kulturell unterschiedlichen Sprecherwechselkonventionen alle Interaktionspartner im Gespräch die Gelegenheit bekommen, das zu äußern, was sie zuvor geplant hatten. Auch kulturspezifisches Wissen über fremdkulturelle Umgangsformen mit Krankheiten und Krankheitsbildern können in Arzt-Patienten-Kommunikationen zwar möglicherweise eine Grundbedingung zur Verständigungsförderung darstellen, auch sie bieten jedoch keine kausale Wirkungsgarantie. So kann kulturspezifisches Wissen über den Umgang mit Krankheiten immer nur kollektives Wissen einer Fremdgruppe sein. Der individuelle Umgang des jeweiligen Kommunikationspartners wird durch dieses kollektive Wissen jedoch noch nicht berührt und daher für den Arzt auch nicht leichter zugänglich. Rost-Roth führt in ihrem Forschungsüberblick über Studien zur interkulturellen Kommunikation auf der Grundlage der Sprachhandlungsmusteranalyse eine Reihe weiterer Arbeiten an, die in der Folge von Ehlich und Rehbein entstanden sind. Arbeiten, die Rückschlüsse auf die angenommenen oder festgestellten Grenzen und Strategien interkultureller Verständigung erlauben, seien im Folgenden jeweils kurz referiert und ausgewertet: So analysiert beispielsweise R. Ohama das als kulturspezifisch deklarierte sprachliche Handlungsmuster Reklamation im Einzelhandel: Im Beispiel von Ohama wird dieses Handlungsmuster von einer deutschen Verkäuferin angewendet, die auf die Reklamation einer japanischen Käuferin in Deutschland reagiert. Die japanische Käuferin rechnet mit einer Entschädigungsleistung von Seiten der Verkäuferin für den reklamierten Artikel. Die Verkäuferin denkt zwar offen über die Möglichkeiten der Weiterführung der Reklamation nach dem entsprechenden Sprachhandlungsmuster nach, kann sich jedoch zu keiner Entschädigung durchringen, da die Käuferin keinen Kaufbeleg mehr vorweisen kann (vgl. Ohama 1987, zit. nach Rost-Roth 1994: 14). Weder Ohama noch Rost-Roth bieten für dieses Beispiel Lösungsstrategien zur erfolgreichen Herstellung von Verständigung an. Die Studie schließt jedoch, dass das kommunikative Missverständnis in diesem Beispiel dadurch zustande komme, dass die Verkäuferin unbewusst einem kulturell geprägten Sprachhandlungsmuster folgt, dessen Inhalte die fremdkulturelle Käuferin nicht kennt. Eine Verständigung wird durch die Unbewusstheit des Handlungsmusters und dessen Kulturbedingtheit verhindert. Erfolgreiche Strategien zur Verständigungsförderung könnten hier darin bestehen, an einer Bewusstwerdung dieser Handlungsmuster zu arbeiten. Eine Umgehung dieses unbewussten Handlungsmusters könnte auf dieser Grundlage durch eine metakommunikative Klärung der Inhalte dieses Handlungsmusters oder aber sollte Metakommunikation in der jeweiligen Fremdkultur nicht erwünscht sein durch eine Vermeidung des Handlungsmusters von Seiten der Verkäuferin vollzogen werden. Derartige Strategien können auch durch Drittpersonen hilfestellend vollzogen werden. Hier könnte die bessere Beobachterposition von Drittpersonen förderlich sein, die nicht in den Interaktionsprozess eingebunden sind und dadurch ihre kognitiven Kapazitäten auf eine Beobachtung und Analyse der Situation konzentrieren könnten. Eine Analyse der Vermittlung derartiger kulturgebundener Sprachhandlungsmuster am Beispiel des Handlungsmusters Reklamationen im Fremdsprachenunterricht liefert Wilhelm Grießhaber: Rost-Roth referiert einen Forschungskontext von Grießhaber, in dem im Fremdsprachenunterricht offenbar Rollenspiele eingesetzt wurden, um das fremdkulturelle Handlungsmuster Reklamationen im Einzelhandel einzuüben. In diesem Beispiel wurde zwar die Handlung des Reklamierens trainiert. Dabei wurden jedoch offenbar den Nichtmuttersprachlern nicht die entsprechenden zugrunde liegenden sprachlichen Handlungsmuster vermittelt. Grießhaber folgert daraus, dass die eingeübte Situation nicht mehr für die Zielkultur authentisch sein kann und daher keinen interkulturellen Lernerfolg aufweisen kann (vgl. Grießhaber 1985, zit. nach Rost-Roth 1994). Auch dieses Beispiel verweist darauf, dass die Chance auf eine erfolgreiche Verständigungsleistung in interkulturellen Kontaktsituationen durch eine Bewusstmachung und eine inhaltliche Vermittlung sprachlicher Handlungsmuster erhöht werden kann. Das Beispiel des Fremdsprachenunterrichts zeigt darüber hinaus, dass eine Vermittlung dieser Kompetenzen durch dritte Personen in diesem Fall durch einen Fremdsprachenlehrer möglich und denkbar ist. Eine Übertragung dieser Vermittlungsleistung auf spontane Laien-Mediatoren könnte daher ebenfalls in Betracht gezogen werden Reformulierungshandlungen als Sprachhandlungsmuster Reformulierungshandlungen scheinen als zentrale praktische Strategie zur Herstellung von Verständigung zu gelten und werden von Lehrbüchern und Praxisanleitungen zur Mediation als solche propagiert (vgl. Kap. 3.3). Darüber hinaus ließ sich im Rahmen dieser Arbeit bereits ein konzeptueller Brückenschlag von den theoretischen Beschreibungen einer gegenseitigen Verstehensannäherung durch Strategien der Perspektiven- und der Rollenübernahme zu Reformulierungshandlungen in der Mediationspraxis als anwendungsorientierte Umsetzung des theoretischen Kon

106 zepts nachzeichnen. Insbesondere aus dem Bereich der Sprachhandlungsmusteranalyse liegen entsprechende sprachwissenschaftliche Analysen und Operationalisierungen vor, die die pragmatische Funktion derartiger Reformulierungen transparenter werden lassen können. Im folgenden Abschnitt soll daher exemplarisch 237 eine entsprechende Studie von Sinichi Kameyama (vgl. Kameyama 1999) 238 ausführlicher nachgezeichnet werden. Exemplarisch soll an dieser Studie überprüft werden, ob aus derartigen Operationalisierungen Konzepte triadischer Verständigungsförderung abgeleitet werden können, die sich mit den vorgefundenen Begriffen so präzise beschreiben lassen, dass sie sich für spätere Formulierungen von Handlungsanweisungen an Drittpersonen eignen. Kameyama gibt sich nicht mit der zunächst erwartbaren Annahme zufrieden, sprachliches Wiederholen als ein pauschales Sprachhandlungsmuster zu untersuchen, sondern unterstellt statt dessen, dass Wiederholungsstrategien so unterschiedlich begründet sein können, dass analytisch feinere Kategorien erforderlich sind, um unterschiedliche Wiederholungshandlungen erklären zu können. So verweist Kameyama darauf, dass Wiederholen mehrere verschiedene kommunikative Funktionen erfüllen kann. 239 Entscheidende Auswirkungen auf die Funktion einer Wiederholungshandlung können demnach beispielsweise Kriterien der Prosodie, nonverbaler Kommunikation, des Diskurszusammenhanges, der Konstellationen zugrunde liegender mentaler Prozesse, der wiederholenden Person und des zeitlichen Abstands der Wiederholungshandlung haben (vgl. Kameyama 1999). Neben Wiederholungen unterscheidet Kameyama Handlungen des Umformulierens (Kameyama bezieht sich hier auf Bührig 1996), bei denen Geäußertes intentional in einer anderen Form wiedergegeben wird. 240 Kameyama untersucht in ihrer Studie Diskurse zwischen nativen und non-nativen Sprechern, fokussiert also tendenziell Situationen, die als interkulturelle Kon- 237 Für kulturvergleichende Studien zu Reformulierungshandlungen vgl. darüber hinaus Cuenca 2003 und Rieger In dem gleichen Band liegt eine vergleichbare und eventuell gleichfalls für das Anliegen dieser Studie relevante Untersuchung zu Sprachhandlungsmustern hinter der Strategie des Fragens vor (vgl. Reershemius 1999). 239 Unter Wiederholen ist eine wörtliche Reverbalisierung von vorausgegangenen Äußerungen oder ihren Bestandteilen in einem Diskurs oder von sprachlichen Ausdrücken innerhalb einer Äußerung zu verstehen. Wörtliche Reverbalisierung meint dabei eine Verbalisierung des zuvor Geäußerten unter Verwendung der gleichen sprachlichen Ausdrücke in der gleichen Form. Kameyama 1999: ). 240 Das Umformulieren nach Bührig (1996), das darauf beruht, etwas Geäußertes in einer anderen sprachlichen Form zu formulieren, kann demnach nicht als Wiederholung realisiert werden. (Kameyama 1999: 188, Anm. 4). 214 taktsituationen bezeichnet werden können. Kameyama fragt dabei nach den möglichen sprachlichen Handlungen, die mit der Wiederholung jeweils versprachlicht werden, sowie nach den mentalen Prozessen, die den Wiederholungen jeweils zugrunde liegen. Methodologisch versucht Kameyama, die jeweiligen Handlungszusammenhänge, in denen die Wiederholungen stehen, zu rekonstruieren (vgl. Kameyama 1999: 188). Auf dieser Grundlage kommt sie zu einer Unterscheidung von sieben möglichen Sprachhandlungsmustern, die einer Wiederholung zugrunde liegen können. Eine Kenntnis und Analysefähigkeit dieser Handlungsmuster und der Bedingungen ihrer sprachlichen Produktion können eventuell eine Kompetenz triadischer Verständigungsförderung ausmachen. Die sieben Funktionen seien daher im Folgenden jeweils kurz referiert und bewertet: Wiederholen als Rephrasieren nach einem Frage-Antwort-Muster Wiederholungen können im Rahmen einer Rephrasierung nach einem Frage- Antwort-Muster verwendet werden, wenn ein Sprecher eine Frage stellt, auf die ein anderer Sprecher antwortet. Dieser zweite Sprecher leitet seine Antwort mit einer Wiederholung ein, auf die die gewünschte Information folgt. 241 Kameyama führt exemplarisch folgende Gesprächssequenz an, die in der (intrakulturellen) Situation einer Wohnungsvermittlung aufgezeichnet wurde: Was möchten Sie? Einen Neubau. Einen Neubau. (Kameyama 1999: 189). Als sprachliche Handlung im Sinne der Sprachhandlungsmusteranalyse darf hier die Handlung des Rephrasierens gelten (vgl. Kameyama 1999: ). Im Hinblick auf die Verständigungsleistung, die damit erbracht werden könnte, kann hier eine vorrangige Sprecherorientiertheit festgestellt werden. Derartige Rephrasierungen können Sprecher verwenden, um den Verlauf des Gesprächs aktiv zu steuern. Sie können quasi das vom Hörer Gesagte nihilisieren, daraus die für ihren eigenen Diskurs relevanten Informationen extrahieren und so für eine nahtlose Integration des Gesagten in den eigenen Diskurs sorgen. Von einer gleichberechtigten Verständigung kann hier kaum gesprochen werden, da die Perspektive des Hörers ignoriert, bzw. zumindest aktiv modifiziert werden kann. 241 Beim Rephrasieren wird das in der vorausgegangenen Äußerung eingebrachte entscheidende Wissen, dass es sich bei dem Bauauftrag insgesamt um einen Neubau handelt, aufgegriffen und reverbalisiert. (Kameyama 1999: 189) 215

107 Wiederholen als Rephrasieren von Hörerplanexothesen in einer Absprache Als Hörerplanexothesen (vgl. Kameyama 1999: 190) bezeichnet Kameyama aus der methodologischen Sicht der Sprachhandlungsmusteranalyse Elemente in Antworten von Hörern, die darauf hinweisen, auf welche Weise diese die Aussagen eines Sprechers interpretieren. Kameyama führt folgendes Beispiel einer Terminabsprache an: Ich bin also die Woche noch relativ frei. Relativ frei. Also morgen früh geht s ja bei mir nicht. (Kameyama 1999: 190). In dem Ausdruck relativ frei sieht Kameyama die Äußerung einer subjektiven Möglichkeit einer Terminabsprache. Dieser Ausdruck macht Kameyama zufolge diese Äußerung zu einer sprachlichen Handlung der Vorschlagsanforderung. Der Sprecher, der die Phrase relativ frei äußert, fordert seinen Gegenüber damit zu einem Terminvorschlag auf. Der Hörer in diesem Beispiel beginnt seinen Redebeitrag mit einer Wiederholung des Ausdrucks relativ frei. Kameyama interpretiert, dass dieser Hörer damit nach außen darstellt, also exothetisiert, auf welche Weise er die zeitliche Verfügbarkeit des Sprechers mental verarbeitet hat: nämlich als sprachliche Handlung einer Vorschlagsanforderung. Mit Hilfe einer Wiederholung wird also im Gespräch manifestiert, welche Hörerplanexothese der Antwort des Hörers zugrunde liegt, so dass im Anschluss verstehbar wird, wie die Antwort des Hörers aufzufassen ist (vgl. Kameyama 1999: ). Im Hinblick auf die Verständigungsleistung ist diese Form des Wiederholens sicherlich förderlicher als das zuerst vorgestellte Wiederholen nach dem Frage- Antwort-Muster. Es dient offenbar jedoch immer noch vorrangig der Begründung des eigenen Folgehandelns, nicht der Rückversicherung, ob Gesagtes richtig verstanden worden ist. Dies würde stattdessen eventuell auch ein aktives Rückfragen erfordern, auf das der Sprecher die Richtigkeit der Hörerplanexothese bestätigen oder verneinen könnte. Mittels der Hörerplanexothese bekommt ein Sprecher jedoch zumindest ein Monitoring darüber, aufgrund welcher mentalen Prozesse und Überlegungen sein Gesagtes welche Reaktion hervorruft. Treten in diesem Kontext Missverständnisse auf, so könnten dritte Personen auf von einem Sprecher eventuell nicht erkannte Hörerplanexothesen hinweisen und damit andeuten, dass ein Hörer die Aussage eines Sprechers begründet in einer ganz bestimmten Weise verstanden hat, die vom Sprecher anschließend noch korrigiert werden kann. Bezug nehmend auf das Beispiel von Kameyama ließe sich ein solcher Prozess an dieser Stelle nach folgendem fiktivem Beispiel vorstellen: Sprecher: Hörer: Ich bin also die Woche noch relativ frei. Relativ frei. Also morgen früh geht s ja bei mir nicht. Sprecher: Oh, ich würde Ihnen gern morgen selbst einen Terminvorschlag machen. Drittpartei: Sie hatten darauf hingewiesen, dass Sie noch relativ frei sind. Aber einen Terminvorschlag möchten Sie dennoch selbst unterbreiten, habe ich Sie da richtig verstanden? Werden von den Interaktionspartnern dagegen keine Hörerplanexothesen formuliert, so kann dies eventuell von dritten Personen im Nachvollzug geleistet werden, um die Interaktion und die gegenseitige Bezugnahme transparenter zu machen: Sprecher: Ich bin also die Woche noch relativ frei. Hörer: Also morgen früh geht s ja bei mir nicht. Sprecher: Oh, ich würde Ihnen gern morgen selbst einen Terminvorschlag machen. Drittpartei: Sie hatten darauf hingewiesen, dass Sie noch relativ frei sind. Aber einen Terminvorschlag möchten Sie dennoch selbst unterbreiten, habe ich Sie da richtig verstanden? Diese eingefügten Hörerplanexothesen dritter Personen unterliegen dabei jedoch der Perspektive und der Interpretation dieser dritten Person, so dass diese sich durch eine entsprechende Rückfrage rückversichern sollte. Wiederholen als Planstörungsexothese bei einem Rezeptionsdefizit Wenn ein Hörer die Bedeutung eines Wortes aufgrund unterschiedlicher möglicher Ursachen nicht verstanden hat, wiederholt er dieses gegenüber dem Sprecher. Kameyama zufolge wird diese Wiederholung vollzogen, um die sprachliche Handlung der Planstörungsexothese (vgl. Kameyama 1999: 190) zu realisieren: Ähnlich wie mit der allgemeinen Hörerplanexothese stellt der Hörer auch mit der Planstörungsexothese einen Einblick in seine mentalen Prozesse nach außen. Eine Planstörungsexothese als sprachliche Handlung liegt dann vor, wenn mit ihr zum Ausdruck kommt, dass beim Hörer gerade ein mentaler Zustand der Erkenntnis vorliegenden Nicht-Verstehens vorherrscht, d.h. dass er sich seines Nicht-Verstehens bewusst geworden ist (vgl. Kameyama 1999: ). Im Hinblick auf mögliche verständigungsfördernde Aspekte kann dieser sprachlichen Handlung zumindest bescheinigt werden, dass mit ihrer Hilfe Sprechern signalisiert werden kann, dass gerade noch keine Verständigung vorherrscht und somit noch weitere Bemühungen zur Herstellung von Verständigung erforderlich sein werden. Drittpersonen können hier eventuell Planstörungsexothesen äußern, wenn dies im Bedarfsfall von den nicht-verstehenden Interaktionspartnern nicht selbst getan wird. Andernfalls können sie Sprecher auf geäußerte Planstörungsexothesen hinweisen, wenn diese ignoriert werden

108 Wiederholen als Bestätigung der Anforderung eines Verstehenselements Nicht verstandene Wörter können von Hörern so wiederholt werden, wie sie sie verstanden haben, um damit die sprachliche Handlung der Anforderung eines Verstehenselements zu realisieren. Kameyama zufolge unterscheidet sich diese Sprachhandlung von der Planstörungsexothese insbesondere in ihrem Tonhöhenverlauf: hier wird die Anforderung explizit als Frage intoniert, Planstörungsexothesen zeigen lediglich weiteren Klärungsbedarf an. Wird ein Wort von einem Hörer nicht verstanden, kann er auch ein neues Wort zur Explikation des nicht verstandenen Wortes einführen und den Sprecher fragen, ob die Bedeutung des neuen Wortes auch für das Gesagte zutreffe. Die sprachliche Handlung der Bestätigung wird hier vom Sprecher der ursprünglichen Äußerung selbst wieder durchgeführt: Er bestätigt die Gleichheit der Wortbedeutungen oder er lehnt sie ab (vgl. Kameyama 1999: ). Der Hörer kann das verstandene Wort nun noch einmal wiederholen und damit in Form einer Deliberationsexothese (Kameyama 1999: 191) anzeigen, dass er das Wort verstanden und angenommen hat. In vereinfachter Transkription sei hier das Beispiel von Kameyama entsprechend wiedergegeben (vgl. Kameyama 1999: 201): Sprecher 1: Wir müssen eine neue bauen, eine neue beading Sprecher 2: Beading? [Anforderung eines Verstehenselements] Sprecher 1: Ja, for die Tür. A rubber beading. [Bestätigung] Sprecher 2: Gasket? Sprecher 1: Gasket, ja. Sprecher 2: Beading. [Deliberationsexothese] Eine derartige Strategie dient zumindest insofern einer Verständigungsförderung, als dass dank der Interaktivität dieser sprachlichen Handlung (Sie wird erst vom Sprecher selbst wieder vollzogen und dient als Feedbackhandlung) überprüft und sichergestellt werden kann, dass beide Interaktionspartner einander über die Bedeutung einer Aussage einig sind. Hier handelt es sich dann jedoch lediglich um einen individuell vereinbarten, situativ ausgehandelten und nur temporär gültigen Konsens über eine bestimmte Wortbedeutung. Dieser Konsens ist zugleich ein Minimalkonsens, der eine situative Interaktion ermöglicht. Außerhalb der Situation ist die Reichweite der gemeinsamen Begriffsbedeutung nicht überprüft, so dass beide Interaktionspartner über die gemeinsame Situation hinaus ganz unterschiedliche Vorstellungen einer Wortbedeutung haben. Der situative Konsens beruht dagegen auf einer Konvention und einem gegenseitigen Einverständnis, so dass hier von einer Form der Verständigung gesprochen werden kann. Auch für Formen triadischer Verständigungsförderung kann das Sprachhandlungsmuster des Anforderns von Bestätigungen und entsprechende Bestätigungen als Instrument zur Kon- 218 trolle über die Herstellung von Verständigung angenommen und in das Modell induktiv konzipierter Strategien interkultureller Mediation eingebracht werden. Wiederholen als Repetieren zur Bearbeitung eines Perzeptionsdefizits Auf die sprachliche Handlung einer Verstehensanforderung kann eine Wiederholung im Sinne der sprachlichen Handlung des Repetierens erfolgen: der Sprecher wiederholt die zuvor vom Hörer nicht verstandene Äußerung. Kameyama räumt jedoch ein, dass mit der Handlung des Repetierens nur ein Nicht-Verstehen in Form eines Perzeptionsdefizits erfolgreich bearbeitet werden kann (vgl. Kameyama 1999: 192): Repetieren kann nur dann einer Verständigungsförderung dienen, wenn das Nicht-Verstehen lediglich durch eine akustische Störung verursacht worden war. Wiederholen als Nachsagen im Supportmuster Insbesondere im interkulturellen Kontakt und unter der Verwendung defizitär beherrschter Fremdsprachen können Nichtmuttersprachler Muttersprachler nach jeweils bestimmten, gesuchten Ausdrucksmöglichkeiten in der Zielsprache fragen. Wenn der Muttersprachler den gesuchten Ausdruck vorbringt, wiederholt ihn der Nichtmuttersprachler, um sich seiner neu erworbenen fremdsprachlichen Kompetenz rückzuversichern. 242 Das sprachliche Handlungsmuster bezeichnet Kameyama hier als Nachsagen, die sprachliche Handlung des Muttersprachlers dabei als Support (vgl. Kameyama 1999: 192). Das Handlungsmuster des Support scheint dabei in besonderem Maße als verständigungsfördernde Strategie gelten zu dürfen und könnte sich zu einer Operationalisierung triadischer Verständigungsförderung eignen. Wiederholen als Vergewissern bei unsicherer Perzeption Im Falle einer unsicheren Perzeption können die betroffenen Äußerungen in einem neuen Kontext der Verständnisabsicherung wiederholt werden. Erst durch diese Rekontextualisierung wird das sprachliche Handlungsmuster des Vergewisserns vollzogen. Dabei wird zwar die nicht verstandene Äußerung selbst nicht umformuliert, sondern wiederholt, zusätzlich jedoch in einen anderen Kontext eingebettet (vgl. Kameyama 1999: 193). Eine derartige Sprachhandlung dient sicherlich zumindest in europäischen Kontexten der Verständigungsförderung. Im Hinblick auf eine universale Anwendbar- 242 Supportmuster sind reparative Handlungsmuster, bei denen der Hörer z.b. bei einem Wortfindungs- oder Formulierungsproblem des Sprechers helfend eingreift (vgl. Rehbein 1984/1978) (Kameyama 1999: 192) 219

109 keit dieser Strategie muss jedoch im Blick behalten werden, dass metakommunikative Klärungsversuche die Interaktion durchaus in thematische Bereiche führen können, die in der jeweiligen Situation aufgrund kulturspezifischer Tabuisierungen nur mit Hilfe von Verhüllungs- und Verschleierungsstrategien gesichtswahrend behandelt werden können. 243 Verfügen der Klärungshelfer oder ein Sprecher selbst nicht über das erforderliche kulturanthropologische Wissen über die konventionalisierten Tabudiskurse einer Gesellschaft, so können Klärungsversuche qua Metakommunikation sogar noch zu einer Verschlechterung der interpersonalen Beziehung im Gespräch führen. Kameyama zeigt mit dieser Aufstellung unterschiedlicher Funktionen des Wiederholens mögliche Sprachhandlungsmuster, die dieser übergeordneten Strategie zugrunde liegen können. Die Differenzierung hat zugleich eine Bewertung der verständigungsfördernden Wirkung unterschiedlicher Formen des Wiederholens ermöglicht. Eventuell könnten derartige Sprachhandlungsmuster auch gezielt als triadische Verständigungsförderung definiert werden, so dass im Anschluss nach unterschiedlichen sprachlichen Manifestationen dieser Sprachhandlung gesucht werden könnte. Als Grundlage kann hier eventuell eine theoretische Verständigungsdefinition dienen, die bereits möglichst präzise Vorstellungen einer Realisierung von Verständigung beinhaltet. So wäre beispielsweise die Konstruktion eines Sprachhandlungsmusters auf der Grundlage der Schützschen Perspektivenübernahme denkbar. 243 Hartmut Schröder spricht in diesem Zusammenhang von Tabudiskursen (Schröder 2003), da Tabus grundsätzlich als situationsbedingte Rede- oder Handlungsverbote begriffen werden müssen, die nicht in allen Kontexten einer Kultur in gleicher Weise gelten. Mit dem Begriff der Tabudiskurse geht Schröder davon aus, dass Gesellschaften grundsätzlich sprachliche Strategien entwickelt haben, mit deren Hilfe situativ tabuisierte Themen, Aspekte und Handlungen dennoch sprachlich behandelt werden können. In Anlehnung an Vorarbeiten von Sigrid Luchtenberg, Christel Balle und Ulla Günther (vgl. Luchtenberg 1985; Balle 1990; Günther 1992) unterscheidet Schröder zum diskursiven Umgang mit Tabus zwischen verhüllenden und verschleiernden Strategien. Von verhüllenden Strategien kann demnach dann gesprochen werden, wenn Dinge beschönigt und euphemisiert werden, deren Ausführung eigentlich von der Gesellschaft und den beteiligten Personen qua stillschweigendem Einverständnis gestattet ist (hierunter kann beispielsweise die Beschreibung sexueller Funktionen und Praktiken zählen), über die man jedoch qua Konvention nicht offen spricht. Demgegenüber müssen Handlungen und Aspekte dann verschleiert werden, wenn nicht nur das Sprechen über sie, sondern auch ihre Ausführung nicht durch das Einverständnis der beteiligten Personen ratifiziert ist (hierunter zählt beispielsweise das Sprechen über Spenden angesichts von tatsächlichen Steuerhinterziehungen) (vgl. Schröder 2003) Kontrastive Pragmatik Während Ansätze zu linguistisch-pragmatische Herangehensweisen an die Untersuchung von Sprache zunächst grundsätzlich auf theoretischem Gebiet ausgearbeitet und argumentativ erprobt worden sind, folgten meist erst in späteren Studien Überprüfungen der Haltbarkeit dieser Theorien an empirischem Material. Derartige Überprüfungen standen auch in Form kontrastiver Analysen an, die bereits in vielen anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen Traditionen entwickelt hatten. Seit Wilhelm von Humboldt wurden fast alle jeweils in den Sprachwissenschaften neu entwickelten Untersuchungsmethoden auch dazu verwendet, unterschiedliche Sprachen miteinander zu vergleichen. Zentral für derartige Sprachvergleiche ist dabei jeweils die Annahme eines der Terminologie der Disziplin angemessenen - tertium comparationis (vgl. Krzeszowski 1984, zit. nach Ehrhardt 2003: 157), eines Gleichheitsaspektes, gegenüber dem Divergenzen in den untersuchten Sprachen beschrieben werden können. Dabei kann dieser Gleichheitsaspekt entweder aus einem den Einzelsprachen übergeordneten Aspekt oder aus sprachlichen Aspekten, die tatsächlich beinahe sprachliche Universalien sind, resultieren. In dieser Tradition muss eine kontrastiv ausgerichtete Pragmatik das tertium comparationis gemäß ihrer eigenen Terminologie in der Handlungsfunktion von Sprache suchen. Verglichen werden sollten demnach die Funktionen, der ein bestimmter Sprechakt oder eine Sprachhandlung in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen erfüllen. Doch hier findet sich eine kontrastive Pragmatik mit den kulturspezifischen Einflüssen unterschiedlicher Kontexte konfrontiert, in denen Sprechakte geäußert werden können, und in denen sie jeweils unterschiedliche Funktionen erfüllen können. Interkulturellen Variationen sind im Hinblick auf eine kontrastive Pragmatik also die einzelnen Sprechakte oder Sprachhandlungen, ihre Funktionen und Bedeutungen und ihre Anwendbarkeit in unterschiedlichen Kontexten unterlegen (vgl. Jaszczolt 1995: 561). 244 Um nicht nur sprachliche Realisationsformen von Sprechakten, sondern auch deren Handlungsziele in unterschiedlichen Sprachen miteinander vergleichen zu können, müsste Krzeszowski zufolge andernfalls erst eine abstrakte Metasprache erfunden und eingesetzt werden, anhand der jeweils ein Abgleich der Realisationsmuster der unterschiedlichen Sprachen erfolgen könnte. Krzeszowski hält die klassischen kontrastiven Fragestellungen der interkulturellen Pragmatik aus dieser 244 In conversation, speakers may utilize different speech acts to achieve a certain effect. In a cross-linguistic perspective, an utterance may constitute an invitation in one language, whereas its literal translation may render a question. Moreover, the requirements of the situation have to be considered: different speech acts may be required in different languages in analogous situations. (Jaszczolt 1995: 563). 221

110 Sicht für obsolet, da ihre Erkenntnisse keine Rückschlüsse auf die Beschaffenheit erfolgreicher Verständigungshandlungen zulassen (vgl. Krzeszowski 1984). Auch Bond et al. gehen davon aus, dass es völlig unbegründet sei, jeweils gleiche (institutionelle) Situationen in zwei unterschiedlichen Kulturen miteinander zu vergleichen, weil diese unter Umständen vor den Hintergründen völlig unterschiedlicher scripts (Bond (2000: 59) aufgefasst werden. Die Verhaltensorientierung entbehrt dann also ohnehin jeder Grundlage, obwohl die situativen Bedingungen vordergründig in beiden Kulturen gleich sind. Stattdessen schlagen Bond et al. vor, zu untersuchen, wie und unter welchen Prämissen bestimmte Situationen in verschiedenen Kulturen jeweils konstruiert werden. Sie schlagen dazu die Formulierung von scripts vor (vgl. Bond et al. 2000: 59-60). Eine ganze Reihe der Folgestudien (vgl. Spencer-Oatey 2000) gehen nach einem ähnlichen Muster vor. Sie stellen eine Reihe voneinander abgestufter Situationsbeschreibungen in Form eines Fragebogens zusammen und befragen damit Angehörige unterschiedlicher Kulturen danach, wie sie sich in der gegebenen Situation verhalten würden. Abgeleitet werden schließlich Formeln, die die Griceschen Konversationsmaximen verfeinern oder revidieren. 245 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit können derartige Ansätze als Suche nach kulturellen Universalien verstanden werden, auf deren Grundlage später interkulturell erfolgreiche Handlungsstrategien abgeleitet werden könnten. Möglichkeiten der Fruchtbarmachung der Erkenntnisse der kontrastiven Pragmatik können sich eventuell aus dem Modell des Pragmatic Transfer von Žegarac und Pennington (vgl. Žegarac/Pennington 2000) ergeben, das die konzeptuellen Probleme aus der Theorie einer kontrastiven Pragmatik auch als Manifestationen in der Praxis interkulturell bedingter Interaktionen nachweist: Žegarac und Pennington gehen davon aus, dass Nichtmuttersprachler in interkulturellen Kontaktsituationen pragmatisches Wissen ihrer Muttersprache in die Fremdsprache übertragen, so dass hiermit einmal mehr die Inadäquatheit kontrastiver Betrachtungen belegt wird. Žegarac und Pennington gehen dabei davon aus, dass ein Großteil des pragmatischen Wissens kulturell bestimmt und beeinflusst sei. Vergleicht man das Verhalten von Fremdsprachlern einer Sprache und Muttersprachlern dieser Sprache in der gleichen Situation, so ließe sich kulturelles Wissen aus einer kulturneutralen Perspektive heraus destillieren (vgl. Žegarac/Pennington 2000: 168). Soll diese Problematik des Pragmatic Transfer, die in der Praxis zu den unterschiedlichsten Kombinationen kultureller Stile und kommunikativer Ebenen füh- 245 Ein ähnliches Vorgehen hat bereits zuvor Gudrun Held in ihrer Arbeit zur sprachlichen Höflichkeit angewendet (vgl. Held 1995). Zur sprachlichen Höflichkeit im interkulturellen Kontakt vgl. auch Golato 2002 und Miebs ren kann, von Drittpersonen verständigungsfördernd beeinflusst werden, so scheint angesichts dieser breit angelegten Kategorie von Seiten der Drittpersonen eine erhebliche analytische Kompetenz erforderlich, die einer weiteren Explizierung bedürfte, bevor sie sich zu einer didaktischen Vermittlung eignen könnte. Theoretisch könnte jedoch gefordert werden, dass Drittpersonen Interferenzen des Pragmatic Transfer erkennen können sollten. In der Folge sollten sie über Strategien verfügen, mit denen sie diese Problemstellungen den einander missverstehenden Interaktionspartnern entweder bewusst machen oder Bedeutungsverschiebungen, die durch den Pragmatic Transfer entstehen, übersetzend und reformulierend ausgleichen können. Zur Verständnisabsicherung würde letztere Strategie wiederum eine Rückfrage der Drittperson an die Interaktionspartner erfordern. Martina Rost-Roth steht diesem Modell des bei ihr so genannten cross-cultural transfer jedoch kritisch gegenüber. Ihrzufolge findet in den meisten Fällen gar kein solcher Transfer statt. Verständigungsschwierigkeiten seien dagegen schlicht auf lernersprachliche Schwächen zurückzuführen (vgl. Rost-Roth 1994: 25). Rost-Roth, deren Forschungsüberblick zur interkulturellen Pragmatik im Folgenden referiert und im Hinblick auf die Möglichkeit einer Extrahierung verständigungsfördernder Strategien untersucht werden soll, 246 räumt jedoch ein, dass die Problematik situativer Verständigung von der interkulturellen Pragmatik zugunsten von Theorien zur Gruppenidentitäten und Diskriminierungsprozessen tendenziell ausgeklammert worden sei (vgl. Rost-Roth 1994: 31). Dennoch kann auch hier eine entsprechende Beobachtungs- und Analysefähigkeit sowie eventuell bereits vorhandenes, kulturkontrastives Wissen Drittpersonen eventuell dazu befähigen, in konkreten Situationen verständigungsfördernd zu wirken. Die folgenden pragmatischen Kategorien und Ebenen seien an dieser Stelle nur exemplarisch referiert, um aufzuzeigen, auf welchen unterschiedlichen Ebenen auch aktive verständigungsfördernde Maßnahmen ansetzen können: 247 Kulturunterschiede in Höreraktivitäten und Backchanneling-Behavior Die Bedeutung des Backchanneling-Behavior für die interaktive Verständnisabsicherung hat für den deutschsprachigen Bereich erstmals Jochen Rehbein 1977 untersucht (vgl. Rehbein 1977, zit. nach Rost-Roth 1994: 20). Rost-Roth verweist 246 Für eine internationale Perspektive in diesem Bereich vgl. die Beiträge in Blommaert/Verschueren Vgl. Zusätzlich auch exemplarisch für kulturkontrastive Studien in der sprachwissenschaftlichen Pragmatik im englischsprachigen Raum Blum-Kulka/House/Kasper 1989 sowie Clyne

111 zusätzlich auf Ergebnisse des so genannten PONS-Test, einer experimentalpsychologischen Studie, mit der Methoden der Verständnissicherung in interkulturellen Situationen untersucht werden sollten (vgl. Rosenthal et al. 1979). Rost-Roth zufolge ergab die Studie jedoch lediglich, dass cultural and linguistic proximity (Rost-Roth 1994: 20) der Beschaffenheit der jeweiligen Höreraktivitäten entscheidend für Leichtigkeit oder Erschwernis interkultureller Verständigung seien. Fehlende Zuhöreraktivitäten von Nichtmuttersprachlern aufgrund mangelnder fremdsprachlicher Kompetenz erschweren zusätzlich den Verständigungsprozess (vgl. Quasthoff- Hartmann 1987). Erickson und Shultz weisen darüber hinaus mit ihrer Studie darauf hin, dass unterschiedliches Backchanneling-Verhalten zu Fehlabstimmungen im Interaktionsrhythmus führen kann (vgl. Erickson/Shultz 1982). Treten an dieser Stelle Drittpersonen in eine Interaktion ein, so fungieren sie quasi von selbst als zusätzliches, strukturierendes Element, das dem Interaktionsrhythmus seine erforderliche Stabilität eventuell teilweise zurückgeben kann. Kulturunterschiede in Erzählformen und Narrationen Jochen Rehbein hat im Rahmen einer kulturkontrastiven Studie mit deutschen und türkischen Kindern herausgefunden, dass deutsche Kinder tendenziell über eine stärker ausgeprägte Kompetenz zum Referieren verfügen (vgl. Rehbein 1987). Für den gleichen kontrastiven Kontext stellt Angelika Redder fest, dass türkische Kinder in Erzählungen zu einem weitaus höheren Maß zu Moralisierungen und Bewertungen tendieren. Redder begründet diese Feststellung mit kulturell unterschiedlichen, zugrunde liegenden Erziehungsstilen deutscher und türkischer Eltern (vgl. Redder 1985). Hier könnten Drittpersonen wahrscheinlich lediglich auf der Grundlage kulturspezifischen Wissens über die Kulturen der beteiligten Personen übersetzend eingreifen. Mit Hilfe eigener analytischer Fähigkeiten können sie jedoch dazu beitragen, die Implikation von Bewertungen und Urteilen in Erzählungen bewusst und damit reflektierbar zu machen. Kulturunterschiede in konversationellen und argumentativen Stilen Helga Kotthoff hat argumentatives Verhalten im deutsch-amerikanischen Vergleich untersucht und konstatiert, dass Deutsche Dissens in Gesprächen sehr viel deutlicher markieren als Amerikaner. Dies treffe auch auf Gesprächsbeendigungen zu: Hier vollzögen Amerikaner häufig noch einmal eine gegenseitige Würdigung, Deutsche dagegen beendeten Gespräche abrupter und knapper (vgl. Kotthoff 1989a, 1989b). Reuter, Schröder und Tiittula bescheinigen ähnliche Unterschiede im Argumentationsverhalten für Deutsche und Finnen: Während Finnen Deutsche als aggressiv argumentierend wahrnehmen, werfen Deutsche Finnen häufig vor, in 224 Argumentationen keine Kritik vertragen zu können (vgl. Reuter/Schröder/Tiittula 1989). Auch hier können kulturelle Kontraste von Drittpersonen eventuell analytisch erkannt und bewusst gemacht werden. Im Gegensatz zu den involvierten Interaktionspartnern wären sie im Beispiel der von Kotthoff beschriebenen Diskussionsverhalten nicht bereits brüskiert und vor den Kopf geschlagen, so dass sie eine entsprechende Metakommunikation aus einer emotional neutraleren Perspektive leichter beginnen könnten Wege der Verständigung nach der Interaktionalen Soziolinguistik Arbeiten zur interaktionalen Soziolinguistik (vgl. Verschueren 1995b) gehen im Sinne des Symbolischen Interaktionismus von einer situativen Bedeutungsaushandlung in Interaktionen aus. 248 In diesem Bereich finden sich innerhalb der Forschung zur interkulturellen Kommunikation ein Großteil der insgesamt vergleichsweise wenigen verständigungsorientierten Studien. Da es ein genuines Interesse der interaktionalen Soziolinguistik ist, das Zustandekommen von Verstehen in Interaktionen zu beschreiben, wird zunächst auch zumindest von dessen theoretischer Möglichkeit ausgegangen. So stellt beispielsweise Volker Hinnenkamp 1989 unterschiedliche sprachliche Verfahren als so genannte kontrakonfliktive Mittel 249 dar und verfasst eine erste Liste prosodischer, lexikalischer, morphologischer, syntaktischer, textlinguistischer, rhetorischer, konversationeller und pragmatischer Strategien, mit deren Hilfe sich Verständigung fördern lässt (vgl. Sonnenberg 2000: 19). Hinnenkamp spricht von diesen Strategien als Strategien der Verständnissicherung (Rost-Roth 1994: 31). Rost-Roth referiert in diesem Kontext die folgenden von Hinnenkamps Strategien (vgl. Rost-Roth 1994: 31-32): Prosodische Klarifizierungsstrategien, lexikalische und semantische Klarifizierungsstrategien, morphologische De-Komplizierungsstrategien, rhetorische Kontroll- und Klarifizierungsstrategien, propositionale Klarifizierungs- und Reduktionsstrategien. Rost-Roth zufolge unterscheidet Hinnenkamp jedoch nicht, ob diese Strategien a priori oder a posteriori zu aufgetretenen Missverständnissen angewendet werden 248 Zu dieser Schule sind auch die Arbeiten zu den Kontextualisierungshinweisen zu rechnen (vgl.: Auer/di Luzio 1992, Gumperz 1992, Sarangi/Roberts 1999: 25) 249 Zur Definition kontrakonfliktiver Mittel nach Hinnenkamp: Es sind dies allgemein alle diejenigen Kommunikationsstrategien zur Verständnissicherung, die nötig sind, wo [...] die Sprachkenntnisse und andere notwendige Wissensvoraussetzungen ungleich verteilt sind, und wo Verständigung dennoch als grundlegendes Ziel erreicht werden soll. (Hinnenkamp 1989: 62). 225

112 sollen, ob diese Formen der Reparaturen selbst- oder fremdinitiiert ausgeführt werden sollen, und ob an diesen Klärungsstrategien Muttersprachler oder Nichtmuttersprachler beteiligt sein sollen (vgl. Rost-Roth 1994: 32). In diesem interaktionstheoretisch orientierten Kontext können dabei sogar Situationen als funktional angesehen werden, in denen Verstehen nur vorgetäuscht wird, solange sie die weitere Interaktion sicherstellen können Wege der Verständigung nach der Interpretativen Soziolinguistik Ute Sonnenberg betrachtet die interpretative Soziolinguistik als eine Weiterentwicklung der klassischen (ethnomethodologischen) Konversationsanalyse unter besonderer Berücksichtigung der Fragestellungen interkultureller Kommunikation (vgl. Sonnenberg 2000: 26). Sonnenberg baut ihre Studie nach dieser Methode auf Grundlagen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse sowie der interpretativen Soziolinguistik auf. In ihrem Vorgehen orientiert sie sich vor allem an Bremer et al Volker Hinnenkamp hat in diesem Kontext die These der Behördenkommunikation als Zwangskommunikation aufgestellt (vgl. Hinnenkamp 1985, zit. nach Rost- Roth 1994: 14). Demnach seien Klienten auf Behörden quasi auf Befehl zur Interaktion gezwungen, wodurch insbesondere bei nichtmuttersprachlichen Migranten mit Überforderungen zu rechnen sei. In Behörden bestünde darüber hinaus die Gefahr, dass diese Verständigungsschwierigkeiten für die Durchsetzung interaktiver Interessen funktionalisiert werden: So könnten beispielsweise deutschsprachige Behördenangestellte nichtmuttersprachlichen Klienten unterstellen, sie nicht verstanden zu haben, und sie aus diesem Grund zu einer anderen Behördenstelle schicken, um sich der schwierigen Kommunikationssituation zu entledigen (vgl. Hinnenkamp 1985, zit. nach Rost-Roth 1994: 14). Das Interesse des deutschen Behördenangestellten bestünde in diesem Fall in einer klaren Kommunikationsvermeidung, was als eine Konfliktstrategie gewertet werden kann. Ute Sonnenberg wendet die Analysekriterien der interpretativen Soziolinguistik jedoch konstruktiv um und erstellt auf ihrer Grundlage einen Strategienkanon geglückter interkultureller Kommunikation, der in den folgenden Abschnitten referiert und auf mögliche Ansatzpunkte triadischer Strategien zur Verständigungsförderung ausgewertet wird: 250 Hinnenkamp bezeichnet diese Strategie als gesichtsverlustvermeidende konversationelle Normalitätsvortäuschung als Strategie kooperationsorientierter interkultureller Kommunikation. (Rost-Roth 1994: 32, zit. nach Hinnenkamp 1989: 77) 226 Verständigung durch Herstellung eines Machtgleichgewichtes In Gesprächssituationen, an denen native und nicht-native Sprecher beteiligt sind, entsteht automatisch ein Machtungleichgewicht zugunsten der Muttersprachler. Aufgrund ihrer höheren Kompetenz werden sie eher dazu tendieren, das Gespräch in seinem Inhalt und Verlauf zu führen und dabei weitaus mehr zu sprechen als die Nichtmuttersprachler. Verständigung kann nach Sonnenberg aber nur interaktiv herbeigeführt werden, sie erfordert also eine möglichst gleichberechtigte Teilnahme beider Parteien am Dialog. Aufgabe einer verständigungsfördernden Gesprächsgestaltung (für den Begriff vgl. Sonnenberg 2000: 41) ist demzufolge eine Erhöhung der Beteiligung der Nichtmuttersprachler am Gesprächsablauf. Wichtig erscheint für Sonnenberg insbesondere eine thematische Mitbestimmung, auf deren Grundlage sich auch die Erwartbarkeit zukünftiger Gesprächsbeiträge für den Nichtmuttersprachler erhöht und ihm somit weitere Sicherheiten und Vertrauen zugesteht (vgl. Sonnenberg 2000: 41). 251 Drittpersonen können hier eine ausgleichende Funktion übernehmen und durch Rückfragen und Redeaufforderungen sprachlich benachteiligte Sprecher zur Interaktion ermutigen. Verständigung durch Mitbestimmung der Themen Eine Bereitstellung von Beteiligungsmöglichkeiten im Gespräch wirkt sich laut Bremer et al. 1996: 163 insbesondere aufgrund von drei Aspekten förderlich auf den Verständigungsprozess aus (vgl. Sonnenberg 2000: 42): Wenn Nichtmuttersprachler selbst Themen einbringen, erhöht sich für sie automatisch die Erwartbarkeit darauffolgender Gesprächsbeiträge. Auf der Beziehungsebene (nach Watzlawick/Beavin/Jackson 1990 [1969]) kann ein Sprecher seinem Gegenüber durch die Eröffnung von Beteiligungsmöglichkeiten signalisiert, dass er bereit ist, sich auf die Probleme des anderen ernsthaft einzulassen. Wenn eine Person die Gesprächsthemen selbst wählen kann, kann darüber hinaus am ehesten sichergestellt werden, dass ihre Anliegen und Bedürfnisse auch tatsächlich besprochen werden. Eine derartige Beteiligung an der Themenwahl kann nach Sonnenberg beispielsweise durch explizite Aufforderungen oder auch durch implizite Angebote erreicht werden: So können Sprecher beispielsweise das Gesprächstempo reduzieren oder vor und nach Gesprächsbeiträgen längere Pausen setzen, so dass insbesondere Nichtmuttersprachler mehr Zeit haben, um einen Redebeitrag zu planen (vgl. Sonnenberg 2000: 42-43). Muttersprachler können Nichtmuttersprachler darüber hinaus unterstützen, indem sie Formulierungsvorschläge oder Wortvorschläge machen und indem sie die häufig sehr minimalen Äußerungen paraphrasieren, so dass 251 Zur Verhinderung von Verständigung durch Machtungleichgewichte im interkulturellen Kontakt vgl. auch Weiß 2001a, 2001b. 227

113 sich beispielsweise Ein-Wort-Sätze und ja/nein-antworten weiter explizieren lassen. Sonnenberg weist jedoch selbst darauf hin, dass Formulierungsvorschläge auch die Gefahr in sich bergen, Intentionen zu verfehlen und dadurch die Asymmetrie im Gespräch nur noch zusätzlich zu verstärken (vgl. Sonnenberg 2000: 44). Sonnenbergs Vorschläge dieser Art lassen sich beinahe unmodifiziert auch an Drittpersonen überantworten, falls der zweite (muttersprachliche) Interaktionspartner nicht selbst über eine entsprechende Kompetenz verfügt. Verständigung durch Rückmeldesignale und nonverbale Kommunikation Rückmeldesignale, Backchanneling-Behavior und Rezeptionssignale wie hm=hm, ja, etc. können dazu beitragen, eine Vertrauensbasis zu etablieren, die Nichtmuttersprachler zur Kommunikation ermuntern kann. 252 Insbesondere auch Faktoren nonverbaler Kommunikation wie Körperhaltung, Kopfbewegungen, Blickrichtung, Gestik und Mimik können dem Gegenüber die Bereitschaft signalisieren, sich aufeinander einlassen zu wollen (vgl. Sonnenberg 2000:45). Hier können Drittpersonen insbesondere dank ihrer neutraleren Position die ansonsten potentiell sehr gesichtsbedrohende Aufgabe übernehmen, die Rückmeldesignale und das nonverbale Verhalten der Sprecher zu verbalisieren und damit einer metakommunikativen Interpretation zugänglich zu machen. Verständigung durch bewusst gestellte offene und geschlossene Fragen Offene Fragen ermöglichen eine höhere Beteiligung des Partners am Gespräch, bergen aber gleichzeitig die Gefahr einer Überforderung bei Sprachproblemen. Geschlossene Fragen dagegen machen den Gesprächsverlauf sicherer, beschleunigen aber auch den Gesprächsrhythmus (vgl. Sonnenberg 2000: 46; Bremer et al. 1996: 164f): Auf der Beziehungsebene signalisieren sie, dass für eine Klärung offener Fragen keine Zeit zur Verfügung steht. Empirische Nachweise für die tatsächliche Problematik eines häufig unbewussten Einsatzes vermehrt geschlossener Fragen in interkulturellen Kontaktsituationen wurden an dieser Stelle bereits am Beispiel der von Jochen Rehbein untersuchen deutsch-türkischen Arzt-Patienten-Kommunikation referiert (vgl. Kap sowie Rehbein 1985c, 1985d und 1986). Drittpersonen können hier eventuell die Einseitigkeit eines Gesprächs durch die Verwendung zu vieler geschlossener Fragen beobachten und möglicherweise einige geschlossene Fragen in offene Fragen umformulieren und einstreuen. Verständigung durch richtige Rahmungen Wichtig erscheint für Sonnenberg eine thematisch nachvollziehbare Entwicklung von Gesprächen für alle Beteiligten gemäß des Goffman schen Rahmenkonzepts (vgl. Sonnenberg 2000: 47). So sollten neu eingeführte Themen durch Pausen sowie den vermehrten Gebrauch von Partikeln und metadiskursiven Kommentaren kenntlich gemacht werden. Indem Sprecher auf einzelne Phasen eines Handlungsschemas referieren oder einen Bezug zum bisherigen Gesprächsverlauf herstellen, können sie nichtmuttersprachliche Hörer auf Themenwechsel sicherer vorbereiten und eine fortgeführte Verständigung sicherstellen (vgl. Sonnenberg 2000: 48). Geschieht dies nicht, könnten Drittpersonen entsprechende Irritationen von Hörern beobachten und gegebenenfalls Zusammenfassungen des Gesprächsverlaufs und eine Nachzeichnung der Rahmenwechsel einstreuen. Verständigung durch Nachfragen Im Sinne einer Verstehensabsicherung können Sprecher explizite Fragen und metasprachliche Formen wie Verstehen Sie das? oder Haben Sie mich verstanden? sowie Fragepartikel wie ja, ne, nich, nicht wahr mit steigender Intonation verwenden (vgl. Sonnenberg 2000: 51). Strategien der Verständnisabsicherung dagegen signalisieren auf der Beziehungsebene, dass der Partner aktiv zuhört und Verständigung als zentrales Interaktionsziel vor Augen hat: Durch Verständnisabsicherung wird ein Sachverhalt ausdrücklich als gemeinsam geteiltes Wissen ratifiziert, welches nun die (Wissens-) Grundlage für das weitere Gespräch bildet. (Sonnenberg 2000: 56). Durch metasprachliche Formen wie Stimmt das?, Meinen Sie, dass...? oder Habe ich Sie richtig verstanden? können Muttersprachler zu einer derartigen Verständnisabsicherung beitragen. Geschieht dies nicht, so können Drittpersonen hier wiederum gegebenenfalls helfend einschreiten. Verständigung durch Paraphrasen Sonnenberg führt darüber hinaus eine Strategie des Paraphrasierens ein, die der der Reformulierungshandlungen aus der Sprachhandlungsanalyse konzeptuell ähnelt. Elisabeth Gülich und Thomas Kotschi (Gülich/Kotschi 1987) bezeichnen Paraphrasen als Reformulierungshandlungen, die aus einem Bezugsausdruck und einem Reformulierungsausdruck bestehen. Abhängig von der gegebenen Äquivalenzrelation unterscheiden Gülich und Kotschi expandierende, reduzierende und variierende Paraphrasen (vgl. Sonnenberg 2000: 61), woraus sie fünf Paraphrase- Typen ableiten. Darüber hinaus unterscheiden Gülich und Kotschi Selbst- und 252 Bettina Heinz überprüft die Auswirkungen von Backchanneling Behavior im interkulturellen Kontakt nach Kriterien der Accommodation Theory (vgl. Heinz 2003)

114 Fremdparaphrasen, abhängig davon, ob man eigene oder fremde Aussagen paraphrasiert (vgl. Sonnenberg 2000: 62). 253 Während sprachwissenschaftliche Ansätze hier davon ausgehen, dass ein Großteil der Reformulierungshandlungen einer Verständigungsförderung dienen kann, betrachten Ansätze aus der Mediationsforschung Paraphrasierungen in einem kritischeren Licht. So weisen beispielsweise Silbey und Merry 1986 darauf hin, dass Paraphrasierungen grundsätzlich eine tatsächliche wenn auch subtile Umformulierung und Umdeutung des Gesagten beinhalten. Der Reformulierende beansprucht damit Deutungsmacht über die Situation und über das besprochene Thema. Zugleich wäre es ein Trugschluss, von einer vollkommenen Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Person auszugehen, wenn sich die reformulierende Person bei ihr über die Richtigkeit der Reformulierung rückversichert. Stattdessen werde dem Gegenüber mit der Rückfrage bereits implizit nahe gelegt, die eventuelle Umdeutung zu akzeptieren. Professionelle Mediationen sollten dieses Instrument bewusst verwenden, um das Gesagte der Parteien aus dem Konfliktdiskurs in die Sprache eines Verständigungsdiskurses umzuformulieren Wege der Verständigung nach der Ethnomethodologischen Konversationsanalyse Die Ansätze der ethnomethodologischen Konversationsanalyse erlauben eine Betrachtung der Mikroebene prozessualer Verständigungsarbeit 254 und eignen sich bereits aufgrund dieses Kriteriums für Wege der Operationalisierung von Formen triadischer Verständigungsförderung. Ein Plädoyer für eine ethnomethodologische Perspektive auf Aspekte interkultureller Kommunikation findet sich bei Knapp und Knapp-Potthoff (vgl. Knapp/Knapp-Potthoff 1987: 5) sowie in Knapp Scollon und Scollon untersuchen interkulturelle Kontaktsituationen aus ethnomethodologischer Perspektive auf der Ebene einzelner Sprechakte (vgl. Scollon/Scollon 1997) und fokussieren dabei die Zielstellung erfolgreicher interkultureller Kommunikation, so dass sie nicht dem vorherrschenden problemorientierten Paradigma verhaftet bleiben. 255 Im Kontext der ethnomethodologischen Konversationsanalyse geht Ewald Reuter davon aus, dass vielen Menschen bereits eine interkulturelle Kommunikationskompetenz zueigen ist (vgl. Reuter 2002). Aus Sicht dieser Me- 253 Zu Reformulierungen aus ethnomethodologischer Perspektive vgl. Bastian/Hammer Zum methodischen Vorgehen in der Ethnomethodologie vgl. einführend Firth 1995, Hutchby/Drew 1995 sowie Lakoff Weitere für die Herleitung von Strategien interkultureller Verständigungsarbeit relevante Arbeiten finden sich in Schegloff 1997 und Brünner thode kann dabei jeweils die Kommunikationsform als Optimum interkultureller Verständigung angenommen werden, die die Interaktionspartner selbst als solche erachten, bzw. mit der sie situativ am besten zurechtkommen. Reuter stützt sich dabei auf Aussagen von Gert Antos, demzufolge sich nicht alle kommunikativen Strategien für alle Individuen zur Übernahme eignen, sofern sie ihren Kommunikationsgewohnheiten und ihrem kommunikativen Charakter widersprächen (vgl. Reuter 2003: 352, Bezug nehmend auf Antos 1992). In diesem Fall wäre demzufolge auch Kommunikationstrainings nur ein kurzfristiger Erfolg beschieden. Innerhalb der ethnomethodologischen Konversationsanalyse haben sich zwei zentrale Untersuchungsfelder und paradigmata herausgebildet, aus denen Aufschlüsse über Grenzen und Chancen interkultureller Kommunikationsfähigkeit abgeleitet werden können. So liegt für den Bereich der Membership Categorization Device eine Arbeit zum Umgang mit kulturell motivierten Stereotypen von Elisabeth Gülich vor (vgl. Gülich 1997). Darüber hinaus hat sich die ethnomethodologische Konversationsanalyse zu großen Teilen auf die Funktion und die Organisation von Sprecherwechseln in Konversationen konzentriert. Dieser Fokus selbst war ursprünglich aus der Untersuchung von Strategien zur Etablierung von Kommunikation und damit zur Herstellung von Verständigung motiviert. So arbeitete Harvey Sacks, einer der Begründer der Ethnomethodologie selbst zunächst als Psychologe in der Telefonseelsorge, aus der er auch seine Erfahrungen und Fragestellungen für die spätere Konversationsanalyse schöpfte. Dabei bestand eine zentrale Strategie der Telefonseelsorger bei selbstmordgefährdeten Anrufern darin, diese in ein Gespräch zu verwickeln. Auf diese Weise sollen ein verloren gegangenes soziales Netz und eine soziale Einbindung wieder aufgebaut werden, die Selbstmorde verhindern können. Für die Telefonseelsorger war daher die Fragestellung zentral, wie man die Kommunikation mit Anrufern aufrechterhalten kann. Gesucht wurden Techniken, die verhindern sollten, dass Anrufer verstummten und auflegten. Operationalisieren ließ sich diese Fragestellung in der Kategorie der Sprecherwechsel, mit deren Hilfe Formen einer erfolgreichen Gesprächsübergabe gegenüber Kommunikationsabbrüchen also Fällen, in denen kein Sprecherwechsel mehr stattgefunden hat untersucht werden können. Auch die in Mediationsverfahren angewendeten Techniken, wie beispielsweise die des Loop of Understanding (vgl. Kap. 3.3) können als Sonderformen eines solchen Sprecherwechsels angesehen werden, die eine besonders hohe Glückenswahrscheinlichkeit aufweisen sollen Für weitere Ergebnisse zum Sprecherwechsel in interkulturellen Kontaktsituationen vgl. auch die Studie von Doreen Siegfried (Siegfried 2002). 231

115 4.2.7 Wege der Verständigung nach der Kritischen Diskursanalyse Innerhalb des breit gefächerten sozialwissenschaftlichen Feldes von Untersuchungen, die sich als Diskursanalysen verstehen, 257 seien an dieser Stelle lediglich Studien herausgegriffen, die unter der Bezeichnung der Kritischen Diskursanalyse firmieren. 258 Das weit gefasste Diskursverständnis der Kritischen Diskursanalyse, das in der Regel alle Formen schriftlicher und mündlicher Texte zum Fokus haben kann, ermöglicht eine Anwendung der Methode auf unterschiedliche Formen interkultureller Kommunikation und interkulturellen Kontakts. 259 Hierin eingeschlossen sind grundsätzlich nicht nur Einzelanalysen konkreter Kommunikationsereignisse, sondern auch Analysen gesamtgesellschaftlicher Diskursformen. 260 Im Gegensatz zur ethnomethodologischen Konversationsanalyse richtet die Kritische Diskursanalyse ihre Fragestellungen nach dem Kriterium der Aufdeckung sozialer Ungleichgewichte aus. Auf der Grundlage ihrer Forschungsergebnisse formulieren viele Autoren in diesem Bereich konkrete Empfehlungen und Handlungsanweisungen, mit deren Hilfe die vorgefundenen Missstände behoben werden können sollen. 261 So untersucht beispielsweise Margarete Jäger Formen der Verschränkung von Ethnisierung und Sexismus in Diskursen der bundesdeutschen Gesellschaft und verweist auf konkrete sprachliche Strategien, mit deren Hilfe man einer derartigen Verschränkung in Gesprächen Einhalt gebieten könne (vgl. Jäger 2001). Jäger 257 Vgl. hier als Überblick über unterschiedliche grundlegende Schulen Keller et al Nach der übergeordneten Einführung folgen die Beiträge dieses Sammelbandes einer an Foucault angelehnten Diskursanalyse. 258 Vgl. hier einführend und exemplarisch Wodak 1995, Östman/Virtanen 1995, Wodak 2002 sowie Pollak Studien zur Kritischen Diskursanalyse liegen darüber hinaus in der englischsprachigen Literatur insbesondere von Norman Fairclough (vgl. Fairclough 1989, Fairclough 1992, Fairclough 1995) von Teun A. van Dijk (vgl. Dijk 1980) vor. Für eine Anwendung auf den Bereich interkultureller Kommunikation vgl. Sarangi/Roberts Auch die Existenz des Themenkomplexes interkultureller Kommunikation kann als diskursiv konstituierter Inhalt einer Ideologie verstanden werden. Eine entsprechende Studie liegt in Blommaert/Verschueren 1998 vor. 260 Ich verstehe Diskurs als Korpus (mündlicher und/oder schriftlicher) Aussagen bzw. Texte zu einem bestimmten Thema. Dabei ist die Abgrenzung eines so verstandenen Diskurses gegen verwandte Gegenstände und die Konstitution eines entsprechenden Untersuchungskorpus natürlich nicht außersprachlich objektiv vorgegeben, sondern intersubjektiv nachvollziehbar zu begründende Entscheidung des Untersuchenden. (Jung 2001: 282). 261 Für einen Überblick über den gelegentlichen Methodenstreit zwischen ethnomethodologischer Konversationsanalyse und Kritischer Diskursanalyse vgl. von Seiten der Ethnomethodologie Schegloff 1999a und 1999b sowie von Seiten der Kritischen Diskursanalyse Billig 1999a und 1999b. Für eine synergetische Vereinigung beider Ansätze zur Bearbeitung von Fragestellungen in der interkulturellen Kommunikation vgl. Kotthoff plädiert beispielsweise für das Stellen konkreter Rückfragen in Gesprächen, um bei der Gefahr eines Rückbezugs auf negative kulturelle Stereotypen die Einmaligkeit von Erfahrungen bewusst werden zu lassen (vgl. Jäger 2001: 119). Ein derartiges Vorgehen fördert ein Bewusstwerden der Verstehenskategorien, die Alfred Schütz und Thomas Luckmann mit den Prozessen eines empathischen Erwerbs gegenüber denen eines sozialisierten Erwerbs von Relevanzstrukturen zur Verarbeitung neuer Erfahrungen bezeichnet hatten (vgl. Kap ). Eine vergleichbare Technik wird bereits in praktizierten Mediationsverfahren angewandt und propagiert: Mediatoren drängen hier mit Hilfe von Rückfragen darauf, sozialisiertes Wissen zu hinterfragen und möglicherweise durch ein Wissen aus empathisch motivierten Erfahrungen zu ersetzen. Ziel ist es, diese beiden Formen der Erfahrung bewusst voneinander unterscheiden zu lernen. Drittpersonen können in diesem Kontext gleichzeitig einen Perspektivenwechsel anregen. In dem vom Margarete Jäger bearbeiteten Beispiel der Verschränkung von Diskursen über Ethnisierung und Sexismus könnte beispielsweise der Ethnisierungsdiskurs in den Hintergrund und die Perspektive der Geschlechterdifferenz in den Vordergrund gestellt werden. In den folgenden Abschnitten sollen darüber hinaus exemplarisch weitere ausgewählte Studien mit diskursanalytischem Anspruch aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation vorgestellt und im Hinblick auf mögliche Ableitungen von Formen triadischer Verständigungsförderung untersucht werden: Verständigung bei fremdsprachlichen Defiziten Bremer et al haben in ihrer Studie untersucht, wie Sprecher in einer Fremdsprache Verständigung erzielen können (vgl. Bremer et al. 1996). Michael Clyne ordnet diese Studie als Untersuchung der diskursiven Ebene von Gesprächen ein (vgl. Clyne 1994: 22). Nach ihren Ergebnissen hängt Verstehen größtenteils von den Erwartungen des Muttersprachlers ab. Nicht-Verstehen werde in der Regel durch Formen minimalen positiven Feedbacks angezeigt. Auf diese Weise versuchen Sprecher, ihr Gesicht zu wahren und das Gespräch ohne unterbrechende Rückfrage fortzuführen. Demgegenüber identifizieren Bremer et al als behaviours leading to greater understanding (Bremer et al. 1996: 121, zit. nach Clyne 1994: 23) Strategien wie die der metalinguistischen Kommentierung und Wiederaufnahme, der Hypothesenformulierung sowie Gesichtswahrungsstrategien. Andere Strategien führten dagegen dazu, dass die Sprecher auf einem niedrigen Verstehensniveau verweilen: So können Sprecher beispielsweise einfach unterstellen, ihr Gegenüber sei zu begriffsstutzig. Sprecher geben dann beispielsweise formelhafte Antworten wie that s why als Antwort auf why? oder sie lachen. Muttersprachler können zur Verständigung beitragen, indem sie ihren Redebeitrag mit einer Erwähnung des Themas einleiten wie beispielsweise in der Frage: and illnesses 233

116 did you have any illnesses when you were a little girl? (vgl. Clyne 1994: 23). Als Erfolgskriterien für die Herstellung von Verständigung zählen bei Bremer et al. die Geschwindigkeit der Herstellung von Verständigung sowie der Grad der Kooperation der Interaktionspartner. Aus Sicht der Annahmen der interkulturellen Philosophie lassen sich die von Bremer et al. zitierten Strategien gemäß der in ihnen repräsentierten Art der Umsetzung von Verständigungsarbeit kategorisieren: Interaktionspartner, die von der Begriffsstutzigkeit ihres Gegenübers ausgehen, halten offenbar eine interkulturelle Verständigung für unmöglich und wenden daher auch keine Bemühungen dazu auf, diese herbeizuführen. Strategien von Muttersprachlern, die dem Verständnis von Fremdsprachlern entgegenkommen, zeigen eine Bereitschaft zum Zusammentreffen auf einer dritten Ebene, die in der Ausgangskultur nicht enthalten ist Verständigung durch/trotz Foreigner-Talk Die Bezeichnung Foreigner Talk wird von einigen Autoren als Abwandlung des so genannten Baby-Talk (vgl. Ferguson 1971) verwendet, um Verständigungsversuche zu beschreiben, in denen Sprecher sich auf einen reduzierten Wortschatz beschränken und anstelle ausformulierter Sätze die Verwendung nicht-flektierter Substantiv- und Verbformen präferieren. Mit Hilfe dieser Strategie erhoffen sie sich eine höhere Verständlichkeit ihrer Rede, die jedoch mittlerweile sprachwissenschaftlich widerlegt ist (vgl. Ferguson 1971). Diese Form der sprachlichen Variation richtet sich in diesem Fall nach der Einschätzung der angesprochenen Person, der Verstehensdefizite unterstellt werden, sowie nach dem Diskurstyp, der als eine interkulturelle Kontaktsituation mit erschwerten Verständigungsmöglichkeiten eingeschätzt wird. Denkbar sind hier unterschiedliche Abstufungen des Vereinfachens der eigenen Sprache, wie beispielsweise die Reduktion und Auslassung komplexer Strukturen zu Vorbeugung von Missverständnissen. Michael Clyne (vgl. Clyne 1996: 26) verweist hier auf entsprechende Arbeiten von Ferguson 1971, Roche 1989, Hinnenkamp 1982, Klein/Dittmar 1979, Clahsen et al. 1983, Clyne 1977, Werkgroep Taal Buitenlandse Werknemers 1978, Hinnenkamp 1987, sowie Deen/van Hout Aus Sicht der interkulturellen Philosophie kann diese Strategie als Form der einseitigen Annäherung angesehen werden. Diese Annäherung orientiert sich jedoch an einem stereotypen, sozialisierten Fremdbild, mit dem unterstellt wird, dass Nichtmuttersprachler eine Sprache leichter verstehen, wenn sie simplifiziert und dadurch jedoch auch verfremdet wird. Alternativ kann Anwendern des Foreigner Talk unterstellt werden, dass sie ihre Muttersprache als identitätsstiftendes Merkmal für sich selbst schützen wollen und ihrem nichtmuttersprachlichen Gegenüber den Zugang zu dieser Ressource absprechen und verwehren wollen. Überlegungen zu einer Fruchtbarmachung für Wege der triadischen Verständigungsförderung scheinen im Hinblick auf derartige Strategien nur wenig aussichtsreich Verständigung zwischen Mehrheiten und Minderheiten Eine weitere relevante Studie wurde von Bremer et al in mehreren unterschiedlichen europäischen Kontexten zum Verhalten von Mehrheits- gegenüber Minderheitskulturen durchgeführt. Die dort untersuchten interkulturellen Kontaktsituationen beinhalten grundsätzliche eine Interaktion zwischen einem Angehörigen einer kulturell definierten Mehrheit und einer Minderheit, wie sie prototypisch für viele Immigrationssituationen stehen mag. Auf diese Weise rekurrieren die Autoren auf Methoden der kritischen Diskursanalyse, die es ermöglicht, auch außersituative, soziale Konstellationen zu berücksichtigen. Interessant in diesem Zusammenhang erscheinen die übergeordneten Strategien der Verständigungsförderung, wie sie Bremer et al. beispielsweise an Metakommunikation auf der Beziehungsebene in einem Gespräch zwischen einem italienischen Einwanderer (M) und einem Berufsberater auf einem deutschen Arbeitsamt (T) veranschaulichen: T: nehmen sie bitte platz so herr m sie haben ein bestimmtes anliegen sie haben sicher ein paar fragen an mich M: ja aber ich äh ich spreche nicht so viel deutsch T: ja das macht nichts wir können uns sicher verständigen M: gut so ich bin schon zwei jahre hier in deutschland T: mhm mhm M: ich italien ich eh eh mein arbeit ist eh drehen und fräsen (Bremer/Simonot 1996: ) Dieser Dialog wird von den Autoren als Beispiel einer außerordentlich erfolgreichen interkulturellen Kommunikation dargestellt. Insbesondere der zweite Redebeitrag des Berufsberaters (T) ja das macht nichts... erscheint als vergleichsweise einfache und offensichtliche Strategie relevant: Eine metakommunikative Thematisierung der übergeordneten Zielsetzung der Verständigung sowohl auf inhaltlicher als auch auf interpersonaler Ebene hat sicherlich vergleichsweise hohe Erfolgsaussichten auf eine weiterführende Verständigung. Es sind jedoch auch durchaus Situationen denkbar, in denen gerade diese Strategie zu extremen Gesichtsverlusten führen kann, die eine weitere Verständigung erheblich behindern würden. An dieser Stelle sei nur auf das in Kap angeführte Beispiel Bourdieus verwiesen, in dem ein Angehöriger einer Mehrheitskultur eine Annäherung an die Minderheitskultur versucht, indem er sich deren Sprache in einem Kontext bedient, der ansonsten der Mehrheitssprache vorbehalten bleibt. Eine solche Geste wurde als demütigende Herablassung empfunden, die das Machtungleichgewicht nur einmal mehr untermauerte und bekräftigte. Annäherungen aus einer Mehrheitskultur an eine

117 Minderheitskultur können demnach Wege der Verständigungsförderung darstellen, sie gleichen aber grundsätzlich auch einer Gratwanderung zwischen Gesichtswiederherstellung und erneuter Gesichtsverletzung. Drittpersonen können eventuell dazu beitragen, den Interaktionspartnern die Gefahr dieser Gratwanderung bewusst zu machen und auf diese Weise zu vermitteln, dass auch missglückte Verständigungsversuche durchaus zumindest von einem guten Willen beseelt sein können, auf dessen Grundlage ein weiteres kooperatives Verhalten lohnenswert erschiene Verständigung in einer diskursiven Interkultur Tom Koole und Jan D. ten Thije (vgl. Koole/ten Thije 1994) beschreiben in ihrer empirischen Untersuchung interkultureller Kontaktsituationen gegenseitige Zuschreibungen diskursiver Rollen der Gesprächsteilnehmer untereinander und formulieren damit eine potentielle und allgemeine Handlungsstrategie zur erfolgreichen Bewältigung interkultureller Kontaktsituationen. Demnach gelingt es den in der Studie untersuchten Interaktionspartnern, neue diskursive Regeln und Rollen situativ zu etablieren, die der vorhandenen Interkulturalität optimal gerecht werden. Koole und ten Thije sprechen in diesem Zusammenhang von so genannten discourse positions. In ihrem empirischen Material identifizieren sie demnach drei unterschiedliche Positionen: eine representative position, eine immigrant specialist position sowie eine institutional specialist position. (vgl. ten Thije 1997: 133). Indem jeder Teilnehmer die Expertenrolle für seine eigene Kultur oder für eine Institution zugestanden bekommt, heben die Teilnehmer den Kreislauf eines möglicherweise zum Scheitern verurteilten, hermeneutischen Verstehensprozesses aus den Angeln: Verstehen gilt demnach auf der Grundlage derartiger Grenzziehungen individueller Kompetenzen nicht mehr länger als Ziel der Interaktion. Ein Klima der Verständigung kann stattdessen auf einer Grundlage gegenseitigen Vertrauens in das Expertenwissen und in das eingegrenzte Verstehen der beteiligten Personen zustande kommen. Als Resultat bescheinigen Koole und ten Thije diskursive Synergieeffekte, die die Gesprächsteilnehmer aus der Interkulturalität der Situation schöpfen, und die sich förderlich auf die Produktivität der Gruppe hinsichtlich einer möglichen gemeinsamen Aufgabenstellung auswirken. Drittpersonen können eventuell auf diese Weise auch von der Notwendigkeit gegenseitigen Verstehens ablenken und den Fokus von Interaktionen auf Expertenrollen verschieben, durch die Wege der Interaktion und der Verständigung auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Anerkennens möglich werden. Diese Form der gegenseitigen Anerkennung weist im Übrigen auffällige Parallelen zu dem von Bush und Folger propagierten Konzept der Recognition (vgl. Kap. 3.2) auf Narrationen als Instrument zur Herstellung interkultureller Verständigung Auf ähnliche Weise wie Koole und ten Thije kommt Martina Liedke (vgl. Liedke 1998) zu dem Schluss, dass zur Erreichung des Ziels einer interpersonalen Verständigung nicht unbedingt inhaltliches Verstehen und Verständigung erforderlich sind. Am Beispiel eines deutschsprachigen Transkriptausschnitts einer Erzählung einer Griechin gegenüber einer Deutschen zeigt Liedke, dass ein erstaunlich großer Teil auftretenden Missverstehens und Nichtverstehens gar nicht repariert wird, und dass in der Interaktion dennoch offenbar ein vergleichsweise hohes Verständigungsniveau vorherrscht. Die Sprecher verzichten auf eine Reparatur oder beschränken sich auf eine mentale Reparatur des Gesagten. Auf diese Weise wird der Fluss der Erzählung nicht unterbrochen. Liedke zufolge wird das zunächst unterstellte Ziel einer Narration, nämlich die Herstellung gemeinsamer, geteilter Wissensbestände, verfehlt. Statt einer Aufklärung von Missverständnissen wird Fehlverstehen zur Grundlage für neue, gemeinsame Wissensbestände, auf denen die weitere Erzählung aufbaut. Wichtiger als eine faktengetreue Informationsübermittlung ist somit diese Herstellung einer situativen Verständigung auf der Basis neu geschaffenen geteilten Wissens. In gewisser Weise wird Verständigung zwar auch hier auf der Grundlage geteilten Wissens hergestellt. Um welches Wissen es sich dabei aber handelt, scheint jedoch zweitrangig zu sein. In diesem Fall können gemeinsames Wissen und Erfahrung auch situativ durch die gemeinsame Bearbeitung der Narration geschaffen werden. Liedkes methodisches Vorgehen lässt jedoch kaum Überprüfungen darüber zu, inwieweit sich die Gesprächsteilnehmer tatsächlich über Fehl- und Nichtverstehen in ihrer Interaktion bewusst sind. Erst wenn sichergegangen werden kann, dass die Gesprächsteilnehmer ein Nichtverstehen als solches bemerkt, und dennoch auf Reparaturversuche verzichtet haben, könnte in Liedkes Begriffen von einem zusätzlichen Aspekt interkultureller Kompetenz gesprochen werden. Liedke bezeichnet den gemeinten Kompetenzaspekt als Aushalten von Paradoxien und Nichtverstehen in interkulturellen Kontaktsituationen. Diese Überlegung korrespondiert mit der Annahme weiterer Arbeiten, dass Verstehen entweder nicht möglich ist, bzw. zumindest mit der Forderung, dass Nichtverstehen häufig einfach ausgehalten werden müsse (vgl. Bolten 2000). Liedke zufolge kann dieser Fähigkeit zum Aushalten jedoch auch ein positiver Aspekt abgewonnen werden: Die Gesprächsteilnehmer sind bereit, ihr Nichtverstehen zu akzeptieren und auf dieser Basis ihre eigene Kommunikationskultur mit eigenem geteilten Wissen aufzubauen und so eine Verständigung zu erreichen

118 4.2.9 Zusammenfassung: Wege der Verständigung nach dem zeichen- und handlungstheoretischen Kulturbegriffen Nach Modellen zur interkulturellen Kommunikation auf der Grundlage unterschiedlicher zeichen- und handlungstheoretischer Kulturbegriffe erscheinen die Grenzen einer Verständigung erreicht, wenn kommunikativ bedingte Missverständnisse auftreten, die teilweise nicht erkannt werden, die jedoch zu Irritationen und Ärgernissen seitens der Interaktionspartner führen. In der Folge tendieren die Interaktionspartner zu gegenseitigen Attributionen negativer Persönlichkeitsmerkmale und neigen dazu, die weitere Kommunikation abzubrechen oder auf ein Minimum zu reduzieren, in dem eine Reparatur der interpersonalen Beziehungen immer unwahrscheinlicher wird. Individuelle Kompetenzen zur interkulturellen Verständigung können aus Sicht zeichen- und handlungstheoretischer Ansätze verbessert werden, indem Interaktionspartner entweder durch Schulungsmaßnahmen, durch ihre Gesprächspartner in dyadischen in Gesprächen oder durch dritte Personen in potentiellen Positionen eines Laien-Mediators für die Existenz kulturell unterschiedlicher Kommunikationsformen sensibilisiert werden. Interaktionspartner können in diesem Sinne ihre Beobachtungsgabe schärfen und ihr kognitives Wissen um Unterschiede erweitern. Diese Kompetenz geht konform mit hermeneutischen Vorstellungen erfolgreicher Verständigung: Dabei geht es darum, den eigenen Standpunkt relativieren zu können und eine Perspektivenübernahme vollziehen zu können. In der Anwendung können aus dieser Sicht das Aushalten von Dissens sowie des Paradoxes aus Kooperationszwang und Verstehensunmöglichkeit sowie Kompetenzen zur Lösungserabeitung eingeübt werden. Aus interaktionstheoretischer Sicht dagegen lässt sich der Handlungsspielraum in interkulturellen Kontaktsituationen noch weiter ausdehnen: So scheinen beispielsweise konflikt- und gruppentheoretische Annahmen in den Verständigungsprozess mit einzuwirken, die in den folgenden Abschnitten im Hinblick auf auf Möglichkeiten einer Verständigungsförderung untersucht werden sollen. strukturellen Bedingungen unterworfen ist als intrakulturelles Fremdverstehen. 263 Hansen sieht statt dessen eine besondere Schwierigkeit in der Erreichung kollektiver Verständigung zwischen Gruppen begründet. Dabei nimmt Hansen selbst eine noch radikalere Position ein und hält die Verständigungsschwierigkeiten, die die philosophische Hermeneutik insbesondere in den deutschsprachigen Diskursen aufgestellt hat, für zu rigide und unzutreffend. 264 Fremdverstehen ist demnach insbesondere aus Sicht der Sozialpsychologie, wie sie etwa von Henri Tajfel vertreten wird (vgl. Tajfel 1982), sowohl im interkulturellen als auch im intrakulturellen Kontakt zwischen einzelnen Individuen grundsätzlich problemlos möglich, da in jedem Fall kulturelle Überschneidungen anzutreffen seien. Allein zwischen Gruppen oder zwischen Individuen mit einer starken Gruppenidentität entstünden dagegen Tendenzen einer kognitiven Polarisierung (vgl. Hansen 2003: 337). Dritte Personen im interkulturellen Kontakt könnten aus dieser Sicht anstreben, dass sich die Individuen aus ihrer Gruppenidentität herauslösen und einander als Individuen betrachten. Gruppenidentitäten, die eine pauschale Nicht-Verständigung nahe legen, gilt es in diesem Fall zu kontextualisieren und für die Situation zu relativieren. Auf eine ähnliche Weise konzipieren bereits Frank Liebe und Nadja Gilbert ihr Konzept der Kontextualisierung von Universalien in interkulturellen Mediationen (vgl. Kap. 3.4 sowie Liebe/Gilbert 1996: 46-48). Hansen scheint darüber hinaus eine pauschale Sicht auf philosophische Verständigungskonzepte zu haben. In einer Fortentwicklung hermeneutischer Ansätze spricht beispielsweise auch Ram Adhar Mall von kulturellen Überlappungen, zwischen denen er eine interkulturelle Verständigung grundsätzlich für möglich hält (vgl. Kap ). Einen Grund für diese Schwierigkeit der Verständigung zwischen Gruppen gegenüber der Verständigung zwischen Individuen sieht Hansen in der Merkmalsarmut von Kollektiven. Diese beziehen ihre Gruppenidentität in vielen Fällen aus einem einzigen oder aus wenigen zentralen Merkmalen, so dass die Wahrscheinlichkeit einer Überlappung oder einer Schnittmenge angenommener kultureller Inhalte 4.3 Wege der Induktion aus sozialpsychologischen und konfliktorientierten Ansätzen Arbeiten unter dem Paradigma eines sozialpsychologischen Kulturbebgriffs 262 gehen zunächst davon aus, dass interkulturelles Fremdverstehen keinen anderen Für einen Überblick über die Disziplin vgl. Potter Wir kommen also nicht umhin, die Prämisse der Besonderheit interkulturellen Fremdverstehens zu bezweifeln. Warum aber ist sie dann so verbreitet? Wieder einmal spukt der traditionelle Kulturbegriff und seine Homogenitätsvorstellung in den Köpfen. Er suggeriert die Ein- oder Ganzheitlichkeit der Nationen, so dass das eigene leichter verstehbar erscheint als das Fremde. (Hansen 2003: 335). 264 Die Annahme der Fremdheit zwischen zwei Individuen, zu der sich die Hermeneutik versteigt, ist viel zu rigide. Nicht als gänzlich fremd kommunizieren Ich und Du, sondern als Mischung aus Fremdheit und Gleichheit. Für das Fremdverstehen zwischen Kollektiven hingegen, um nun die zweite Form zu betrachten, gilt dieses Mischungsprinzip nicht, das behauptet jedenfalls der Sozialpsychologe Tajfel. (vgl. Hansen 2003: 337). 239

119 zwischen Kollektiven sehr gering ist. 265 Aus Sicht einer Auffassung triadischer Verständigungsförderung im Sinne einer Konfliktmediation kann hierzu angemerkt werden, dass Konflikte eine Entindividualisierung und Kollektivierung zusätzlich vorantreiben und fördern. In Konfliktsituationen wechseln selbst Individuen im konkreten Kontakt vielfach von einer individuellen Ebene auf eine Ebene der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Kollektivitäten über. Umgekehrt kann daraus jedoch auch auf eine besondere Konfliktanfälligkeit von Situationen geschlossen werden, in denen das Bewusstsein über unterschiedliche kollektive Zugehörigkeiten besonders groß ist wie beispielsweise in interkulturellen Kontaktsituationen. Diese würden demnach aufgrund der besonderen Bewusstheit von Kollektivitäten verstärkt zu Reaktionen in Form von Konflikthandlungen verleiten: Wenn sich Menschen hinter merkmalsarmen Gruppenidentitäten verstecken, fühlen sie sich in der Folge angesichts der erschwerten Bedingungen einer Verständigung überfordert und reagieren daher mit defensiven Konflikthandlungen. Aus dieser Sicht kann von einer latenten Konfliktorientierung in der interkulturellen Kommunikation gesprochen werden. Zusätzlich zu diesen Erschwernissen geht Hansen davon aus, dass die attribuierten kollektiven Fremdheitsmerkmale auf Individuen vielfach gar nicht zutreffen, so dass sie nicht nur emotional negativ, sondern darüber hinaus auch inhaltlich falsch eingeschätzt werden. 266 Der Kulturbegriff, der sozialpsychologischen Verständigungstheorien für den interkulturellen Kontakt zugrunde liegt, ist meist den Ansätzen der so genannten Accommodation Theory entnommen. 267 Das in der Accommodation Theory vertretene Konzept der Konvergenz (vgl. Giles/Bourhis/Taylor 1977) darf sicherlich als Strategie interkultureller Verständigung gelten, die davon ausgeht, dass im idealen Verständigungsfall alle Beteiligten ihre Position verlassen und sich in einer mittleren Position treffen. Dabei vertritt diese Theorie einen Universalitätsanspruch, nach dem angenommen wird, dass Strategien der Konvergenz positive interpersonale Beziehungen schaffen, Strategien der Divergenz dagegen negative (vgl. Gi- 265 Wenn man zwei solcher merkmalsarmen Monokollektive aufeinander loslässt, sagen wir einen Tennisclub auf einen Philatelisten-Zirkel, ergibt sich keine Schnittmenge. (Hansen 2003: 338). 266 Beim kollektiven Kontakt, das meint Tajfel mit Entindividualisierung, wirkt sich mithin einerseits eine verengte und andererseits eine entstellte Wahrnehmung aus. Dem Individuum wird nicht nur die Breite sei ner Individualität geraubt, sondern es werden ihm darüber hinaus Eigenschaften unterstellt, die es nicht besitzt. (Hansen 2003: 339). 267 Für Einführungen in die Accommodation Theory sowie in die Kontaktlinguistik vgl. Coupland 1995, Meeuwis/Östman 1995, Romaine 1995, Ylänne-McEwen/Coupland 2000 sowie zahlreiche Beiträge im HSK-Band Kontaktlinguistik (vgl. Goebl et al. 1996). 240 les/bourhis/taylor 1977). Eine derartige Universalitätsannahme harrt jedoch noch einer empirischen Überprüfung. Die Grenzen des hier skizzierten Kulturbegriffs sind sicherlich durch die Merkmalsarmut von Kollektiven nach Hansen vordefiniert: Aufgrund dieser Erschwernis kann interkulturelle Verständigung scheitern, wenn kulturelle Überlappungen nicht gefunden werden, die Individuen eventuell jedoch eigentlich miteinander teilen. Daraus kann als Strategie für eine Ausweitung dieser Grenzen abgeleitet werden, dass dritte Personen im Verständigungsprozess eine Konzentration auf eine individuenbezogene Kommunikation anstreben sollten: Dabei gilt es, Individuen aus ihrer Isolation in der Gruppenidentität herauszulösen. Grundsätzlich wird über sozialpsychologische Kulturbegriffe auch das Paradigma der Konfliktorientierung als mögliche und für den Fall interkultureller Kontakte wahrscheinliche Form der Interaktion eingeführt und operationalisiert. In Form dieser Konfliktorientierung wird zeichen- und handlungstheoretischen Annahmen über Verständigungsschwierigkeiten im interkulturellen Kontakt eine weitere Dimension erschwerter Verständigung hinzugefügt: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Interaktionspartner sich auf einer kommunikativen Ebene verständigen können, bedeutet dies noch nicht, dass sie dazu auch bereit und willens sind. 268 Die folgenden Abschnitte geben daher einen Forschungsüberblick über Aspekte der Interdependenz von Konfliktforschung und Interkulturalität. Wie auch in den vorangegangenen Betrachtungen einzelner thematischer Wissenschaftsdiskurse soll dabei weiterhin die Frage nach den Grenzen interkultureller Verständigung sowie nach Möglichkeiten ihrer Ausweitung auch mit Hilfe dritter Personen im Blick behalten werden. Neben allgemeinen, kulturunabhängigen Konflikt- und Eskalationsmodellen (vgl. exemplarisch Glasl 1997) finden sich zahlreiche sozialwissenschaftliche, kontrastive Studien zu kulturellen Unterschieden im Konfliktverhalten (vgl. Kappe 1996, Nader 1997, 2002). Darüber hinaus sind innerhalb der gesprächsanalytischen Forschung insbesondere kulturkonstrastive Studien zu Unterschieden im Argumentationsverhalten entstanden (vgl. Olbertz-Siitonen o. J., Lenz 1990, Gruber 1996, Gruber 1998, Gruber 2001, Grimshaw 1990a, Grimshaw 1990b, Nothdurft 1997, Günthner 2000, Eadie/Nelson 2001). Diesen kontrastiven Studien zu kulturell unterschiedlichem Konfliktverhalten stehen interaktionstheoretisch orientierte Ansätze zum Konfliktverhalten in interkulturellen Kontaktsituationen, bzw. zum Verhalten bei interkulturell bedingten Konflikten gegenüber (vgl. Isajiw 2000, 268 Hier hat auch die ansonsten eher inhaltsorientierte Kommunikationsforschung den maßgeblichen Einfluss von Emotionen auf interaktives Handeln erkannt (vgl. Fiehler 1990, Jones 2001). 241

120 Bergmann 2001, Lindemann 2002). So spricht sich beispielsweise Rost-Roth für eine dringend erforderliche weitere Erforschung konfliktorientierter interkultureller Kommunikation aus: Hier muss die Forschung versuchen, mit den sich verändernden Migrations- und Kontaktbewegungen einigermaßen Schritt zu halten. Und wenn Untersuchungen zur IK [interkulturellen Kommunikation; D.B.] nicht völlig an der Wirklichkeit vorbeilaufen möchten, müssen sie auch in der Lage sein, offene Konflikte einzubeziehen. Erst dann können VS [Verständigungsschwierigkeiten; D. B.] in ihrer ganzen Tragweite erfasst werden. (Rost-Roth 1994: 39). Kulturell bedingte Konflikte können auf individueller Ebene entstehen, bzw. als solche interpretiert werden. Wolfgang Nieke geht jedoch bereits auf einer Makroebene davon aus, dass alle Kulturen mit dem universalen Problem der Bewältigung von Kulturkontakt konfrontiert sind. Dabei sind für Nieke längerfristig nur Konkurrenz oder Konflikt als Formen des Kontakts denkbar. Konkurrenzsituationen entstehen dann, wenn die betroffenen Kulturen als gleichwertig angesehen werden, Konflikte dagegen entstehen Nieke zufolge, wenn die Kulturen ungleich bewertet werden. 269 Vor diesem Hintergrund erweitert Nieke Huntingtons Metapher sogar zu einem ständigen Kampf der Kulturen (Nieke 1995: 67) aus. 270 Als kulturell bedingte Konflikte sollten darüber hinaus Konflikte verstanden werden, in denen Aspekte der Interkulturalität selbst auf unterschiedliche Art und Weise eine Rolle spielen. So geht beispielsweise Schramkowski 2001 davon aus, dass zu Beginn einer interkulturellen Mediation häufig nicht klar sei, ob in ihr nun ein interkultureller Konflikt behandelt werde oder nicht: In manchen Fällen gingen die Konfliktparteien selbst von Kultur als der Konfliktursache aus oder sie gehen von einer anderen Konfliktursache aus, wohingegen sich kulturelle Einflüsse während der Mediation als tatsächliche Ursachen herausstellen können Interkulturelle Konflikte als Form von Machtungleichgewichten Anja Weiß fasst interkulturelle Konflikte als Sonderform von Konflikten innerhalb von Machtungleichgewichten auf (vgl. Weiß 2001a, 2001b). Anhand von 269 Eine Konkurrenz zwischen Kulturen kann nur entstehen, wenn anerkannt ist, dass diese Kulturen grundsätzlich gleichwertig sind. Alle Formen der Auseinandersetzung auf der Grundlage von Definitionen einer Ungleichwertigkeit nehmen die Form von Konflikten an. (Nieke 1995: 67). 270 Der Normalfall ist der von Konkurrenz und Konflikt der Kulturen, der über kurz oder lang zur Dominanz einer oder einiger weniger zu Lasten der weniger durchsetzungsfähigen führt. Es dürfte deshalb nicht übertrieben sein, von einem steten und ständigen Kampf der Kulturen zu sprechen. (Nieke 1995: 67). 242 empirischen Beispielen zeigt sie, dass Angehörige dominierter Minderheitenkulturen im interkulturellen Kontakt angesichts ihres Diskriminiertwerdens häufig moralischen Druck ausüben, gegen den Angehörige dominanter Kulturen argumentativ nicht bestehen können. Letztere bewerten die Agitation der Minderheitenkulturen daher häufig als übertrieben und fühlen sich gezwungen, den Konflikt eskalieren zu lassen, da sie sich nicht mehr anders moralisch rechtfertigen können. Die so entstehende Perspektivendivergenz entzündet sich an der Tatsache, dass die Diskriminierung von den Angehörigen der dominanten Kultur nicht so permanent erlebt und erfahren wird wie von den Dominierten. Entgegen dem häufigen Vorwurf Angehöriger der dominierenden Kultur, die dominierte Kultur verhalte sich nicht rational, sondern unfair, stellt die Autorin fest, dass Vertreter beider Kulturen rational handeln: Den Dominierten bleibt nur das Verweisen auf ihre Diskriminierung, da ihnen keine weiteren argumentativen Mittel zur Verfügung stehen Zu einem Modell interkultureller Konflikte: Interkulturalität als Konfliktursache oder -manifestation Werner Nothdurft führt in der Einleitung zu den unter seiner Leitung durchgeführten gesprächsanalytischen Studien zu Schlichtungsverfahren einen Konfliktbegriff ein, der auf eine größtmögliche sprachwissenschaftliche Operationalisierbarkeit ausgerichtet ist (vgl. Nothdurft 1997). Dabei verwirft Nothdurft Definitionen, die Konflikte anhand ihrer Ursachen (z. B. als Sachkonflikte, Zielkonflikte oder Beziehungskonflikte (vgl. Kap , Abb. 3, sowie Altmann/Fiebiger/Müller 1999: 31f) zu kategorisieren versuchen, da diese Kriterien keine Auswirkungen auf die Art der Manifestation eines Konfliktes in der Interaktion haben. Nothdurft konzentriert sich entsprechend lediglich auf unterschiedliche Konfliktmanifestationen, die sich mit gesprächsanalytischen Begriffen beschreiben lassen. Angesichts der Fragestellung der vorliegenden Arbeit scheint dieser Vorschlag als Ergänzung zu bereits bestehenden Konfliktdefinitionen nutzbringend zu sein, um mit seiner Hilfe mögliche Rollen von Kultur und von kulturellen Einflüssen in Konflikten in interkulturellen Kontexten beschreiben zu können. Aus der Unterscheidung der Definitionen von Kultur als Konfliktursache gegenüber kulturellen Aspekten als Formen der Konfliktmanifestation lässt sich im Hinblick auf interkulturell bedingte Konflikte eine sinnvolle Arbeitsdefinition ableiten. Demnach könnten Konflikte, die aufgrund kultureller Unterschiede in der Kommunikation entstanden sind (und diese Definition würde der zeichen- und handlungstheroretischen Annahme von interkulturellen Missverständnissen als Konfliktursachen ge- 271 Zur Rolle von Macht im Verständigungsprozess vgl. auch den Abschnitt zur Wissenssoziologie Schröers und Bourdieus (vgl. Kap ). 243

121 mäß der Ausführungen in Kapitel 4.2 Rechnung tragen), von Konflikten unterschieden werden, deren Ursache nicht kulturell bedingt ist, die jedoch erst aufgrund kultureller Unterschiede in der Kommunikation eskalieren. Im ersteren Fall wäre also schon die Konfliktursache selbst in der Kommunikation zu suchen, im zweiten Fall dagegen ist die Konfliktursache außersprachlich und führt lediglich zu einer kommunikativen Eskalation. Die Konfliktursache muss dann selbst nicht interkulturell bedingt sein, der Konflikt eskaliert jedoch aufgrund interkultureller Unterschiede in der Kommunikation. In diesem Fall käme zum ursprünglichen Konflikt quasi noch ein zweiter, aufgrund interkultureller Unterschiede in der Kommunikation bedingter Konflikt hinzu. Dementsprechend lassen sich im Rahmen dieser Studie vier unterschiedliche Konfliktformen herausarbeiten, die sich jeweils aus der Kulturbedingtheit oder unabhängigkeit von Konfliktmanifestation und Konfliktursache ergeben und die auf der folgenden Seite in Tabelle 2 zusammengefasst dargestellt werden. Konfliktmanifestation Kulturbedingt (d.h. kulturell verschieden) nicht kulturbedingt (d.h. in beiden Kulturen gleich oder intrakulturell) 244 kulturbedingt 1. Ein Konflikt hat kulturelle Ursachen und wird kulturell unterschiedlich ausgetragen, so dass es zu einem zusätzlichen Konflikt der Kategorie (2) kommt (Konfliktursache sind dann kommunikative Unterschiede). 3. Die Konfliktursache ist zwar kulturbedingt, aber die Austragungsformen sind nicht kulturbedingt (oder zumindest verschlimmern die Austragungsformen den Konflikt nicht. Konfliktursache nicht kulturbedingt 2. Die Konfliktursache ist nicht kulturbedingt, aber der Konflikt wird kulturell unterschiedlich ausgetragen, so dass es zu einem zusätzlichen Konflikt dieser Kategorie kommt (Grund für eine Eskalation sind dann kommunikative Unterschiede). 4. Die Konfliktursache ist nicht kulturbedingt, und die Konfliktmanifestationen sind auch nicht kulturell verschieden. Tabelle 2: Konfliktformen nach kulturbedingten vs. nicht-kulturbedingten Konfliktursachen und manifestationen Dabei ist davon auszugehen, dass alle vier Formen in Konflikten, in denen Personen aus unterschiedlichen Kulturen teilnehmen, auftreten können. Die Aufgabe dritter Personen in diesen Fällen könnte unter anderem darin bestehen, herauszufinden, wie ein relevanter Konflikt angesichts dieser Kriterien gelagert ist. Eine derartige Kategorisierung könnte darüber hinaus zu unterschiedlichen Methoden des Fremdverstehens in Beziehung gesetzt werden, so dass Aussagen darüber, welche Fremdverstehenskompetenz im Falle welcher Konfliktkonstellationen erforderlich ist, getätigt werden könnten. Nimmt man an, dass interkulturelle Differenzen aus Sicht der Forschung zur interkulturellen Kommunikation grundsätzlich sowohl aufgrund unterschiedlicher, der Kommunikation zugrunde liegender kultureller Werte und Normen als auch aufgrund unterschiedlicher kommunikativer Stile zustande kommen können, so ließe sich im Rahmen der vorliegenden Studie das Abbildung 4 veranschaulichte Modell zur Rolle kultureller Unterschiede in Konflikten vorschlagen. So können interkulturelle Einflüsse sowohl auf der Ebene der Normen und Werte als auch auf der Ebene kommunikativer Stile als ursprüngliche Konfliktursache auftreten oder im Verlauf der Konfliktbearbeitung zu deren Eskalation beitragen. Angesichts dieses Überblicksmodells muss jedoch im Auge behalten werden, dass diese Annahmen über die Existenz aller erwähnten Konfliktformen nicht von allen in der Forschungsliteratur vorfindbaren Definitionen geteilt werden. So gehen beispielsweise Liebe/Gilbert 1996 nur dann von einem interkulturellen Konflikt aus, wenn in der Konfliktbearbeitung deutlich wird, dass kulturelle Einflüsse sich tatsächlich auf den Konfliktverlauf auswirken. 272 Mögliche Rollen kultureller Unterschiede und kommunikativ bedingter kultureller Unterschiede in Konflikten hinzugezogene, eskalationsfördernde Faktoren Unterschiedliche kulturelle Normen, Werte, Welterfahrungen KONFLIKT oder Unterschiedliche kulturelle Normen, Werte, Welterfahrungen Unterschiedliche kommunikative Stile (u.a. Konfliktaustragung) und/oder Unterschiedliche kommunikative Stile (u.a. Konfliktaustragung) Abbildung 4: Mögliche Rollen kultureller Unterschiede und kommunikativ bedingter kultureller Unterschiede in Konflikten. 272 Vgl. aber auch die vier Konzepte zu den Besonderheiten interkultureller Mediationen von Liebe und Gilbert (vgl. Kap. 3.4). 245

122 Die ledigliche Herkunft der Konfliktparteien aus verschiedenen kulturellen Kontexten reicht dagegen nicht aus. 273 Silbey und Merry beziehen sich in ihrer Studie dagegen auf ein Community Mediation-Programm in den USA, in dem die Mediatoren davon ausgehen, dass die an sie herangetretenen Konflikte hauptsächlich auf Kommunikationsproblemen basierten. 274 Demnach finden sich auch in der Mediationspraxis Herangehensweisen, sie Konflikte als reine Kommunikationskonflikte auffassen und sich schon früh von den klassischen konflikttheoretischen Modellen abgewendet haben. Kulturuniversale Konfliktmodelle wie beispielsweise das Harvard-Konzept von Fisher und Ury (vgl. Fisher/Ury 1996) gehen dagegen davon aus, dass es zwischen interkulturellen und intrakulturellen Konflikten keine strukturellen Unterschiede gibt (vgl. Liebe/Gilbert 1996: 5) Zu einer Systematik unterschiedlicher Verständigungsebenen Während der Prozess gegenseitigen Verstehens in unserem Alltagsverständnis als eine zielgerichtete Handlung zu einem Zugewinn an Verstehen aufgefasst wird, kann der Prozess der Verständigung an dieser Stelle als eine permanent gleich bleibende Kooperationsarbeit aufgefasst werden: Im Sinne der gegenseitig unterstellten Perspektivenübernahme gehen die Interaktionspartner von Beginn an von einer im Verlauf der Interaktion gleich bleibend hohen Bereitschaft zur Verständigung aus. Während das Ausmaß gegenseitigen Verstehens also im Verlauf einer Interaktion anwachsen kann, sollte eine eventuell auch nur imaginär unterstellte Verständigungsbasis in einer Interaktion immer schon vorhanden sein und aufrechterhalten werden. Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich unterschiedliche Ebenen der Verständigung induzieren, die offenbar untereinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. So hat der Forschungsüberblick gezeigt, dass Verständigung beispielsweise über das Kriterium von Machtverhältnissen hergestellt werden kann: Werden Machtverhältnisse (seien es Machtgleichgewichte oder ungleichgewichte) von allen Interaktionspartnern akzeptiert, so scheint auch eine weitere Verständigung in der Interaktion möglich und sichergestellt zu sein. 276 Darüber hinaus kann Verständigung offenbar über eine inhaltliche Ebene hergestellt werden, zu der auch die Aushandlung kultureller Inhalte gezählt werden kann. So baut beispielsweise ein Großteil der klassischen Verständigungstheorien in den Bereichen der Phänomenologie und der Hermeneutik auf der Annahme eines Verstehens und daraus gefolgerter Verständigung über Inhalte auf. 277 Komplementär scheint jedoch auch eine Herstellung von Verständigung über die Ebene von Emotionen möglich (vgl. Fiehler 1990, Liedke 1998, House 2000, Jones 2001). Schließlich lassen sich Arbeiten zusammenfassen, die eine Verständigung auf der Ebene von sozialen und situativen Rollen beschreiben. So beschreibt beispielsweise Angela Keppler die Rolle der Mutter in Familientischgesprächen als traditionelle Rolle einer initiativ deeskalierend arbeitenden Drittpartei. 278 Interessant erscheinen dabei die kommunikativen Strategien, die Keppler in der Mutterrolle identifiziert, und die den Prinzipien der Mediation in erstaunlicher Weise ähneln: So nimmt die Mutter nicht an der inhaltlichen Debatte teil, sondern konzentriert sich allein auf die Gesprächsführung. Zugleich bleibt sie neutral oder zumindest allparteilich. Keppler zufolge muss diese Rolle nicht nur von der Mutter übernommen, sondern auch von 273 Zunächst stellt sich die Frage, ob sich aus der Analyse eines Rollenspiels überhaupt Schlussfolgerungen ableiten lassen, die verallgemeinernd ein Verfahren der interkulturellen Mediation beschreiben können. Deshalb möchten wir an dieser Stelle daran erinnern, dass die Pilotphase lediglich explorativen Charakter haben sollte und ihre hier vorgestellten Ergebnisse nur dazu dienen sollten, begründete Hinweise zu liefern, in welcher Richtung bei der Hauptstudie weiterzuforschen wäre. Zweifellos handelt es sich bei einem Rollenspiel um eine Simulation, und deren Authentizitätsgrad ist mit Recht zu hinterfragen. Andererseits erlaubt ein Rollenspiel Erkenntnisse, gerade auch im Hinblick auf die sich verfeinernden Fragestellungen und Infragestellungen der gemachten Beobachtungen, die bei einer reinen Feldforschung nicht zugänglich gemacht werden können, ohne die Akteure und die gemachten Interaktionen massiv zu beeinflussen und damit die Ergebnisse zu verzerren. (Liebe/Gilbert 1996: 17). 274 The program staff and mediators assume that the barrier to settlement is difficulty in communication, not an underlying conflict of interest between the parties which somehow needs to be compromised or negotiated (Silbey/Merry 1986: 10). 275 Dort heißt es, dass interkulturelle Verhandlungen und Mediation ist eine von einer dritten Partei strukturierte Verhandlung sich de facto nicht von monokulturellen Verhandlungen unterscheiden (Liebe/Gilbert 1996: 5) Vgl. die Ausführungen zur Kritischen Diskursanalyse in Kap sowie zu Machtungleichgewichten in der interkulturellen Kommunikation in Kap Angela Keppler dagegen sieht eine Aushandlung von Verständigung auf einer inhaltlichen Ebene in Alltagsgesprächen als eine Ausnahme an: Diskussionen unter Familienmitgliedern sind Kontroversen, bei denen es den Beteiligten gelingt, bei der Sache zu bleiben. (Keppler 1995: 104). 278 So hat die Mutter in den Unterhaltungen bei Tisch einen großen Einfluss auf die Gesprächssteuerung. Sie schlägt Themen vor, gibt Anregungen oder lenkt in bestimmten (interaktiv brisanten) Situationen das Interesse um. Dazu gehört aber auch, dass ihre Anregungen und Vorschläge meist bereitwillig aufgenommen und weiterverfolgt werden [...]. Die Mutter ergreift nur selten explizit für eine Seite Partei; sie ist mehr mit der Steuerung der Gespräche überhaupt und im Konfliktfall mit der Vermittlung disparater Positionen beschäftigt. Mutter Schmidt hat damit in ihrem Gesprächsverhalten eine sehr traditionelle Rollenauffassung übernommen die Frau und Mutter als ausgleichendes und anregendes, zugleich aber, gerade auf diese ausgleichende Art, auch dirigierendes Mitglied im Ensemble der Familie. (Keppler 1995: 134). 247

123 den restlichen Familienmitgliedern akzeptiert und angenommen werden, um eine deeskalierende Funktion ausfüllen zu können. 279 Vor diesem Hintergrund kann eine Arbeitsdefinition der Begriffe Irritation und Konflikt erfolgen: Als Irritation kann nun in diesem Zusammenhang eine Situation verstanden werden, in der die Störung einer Verständigungsebene den Verständigungsprozess in einer weiteren oder mehreren anderen Verständigungsebenen beeinträchtigt. Als Konflikt darf darüber hinaus eine Irritation bezeichnet werden, bei der die emotionale Verständigungsebene Ursache der Irritation ist oder von ihr beeinträchtigt wird, so dass emotionale Irritationen schließlich verständigungshindernd wirken. Irritationen als Beeinträchtigung einer der genannten Ebenen der Verständigung von Macht, Inhalten, Emotionen und Rollen führen zu Beeinträchtigungen der Verständigung auf vielen oder sogar allen weiteren Ebenen. Konflikte kommen in diesem Sinne dann zustande, wenn eine Irritation der Verständigung einer Ebene zu einer globalen Beeinträchtigung der interpersonalen Verständigung geführt hat. Diese Dependenzen seien in Abbildung 5 zu dem in dieser Studie entwickelten Verständigungsmodell schematisch dargestellt. Während bei der Eskalation eines Konflikts die Störung einer einzelnen Ebene der Verständigung Störungen auf weiteren Ebenen nach sich zieht und auf diese Weise gleichsam von einer Folgereaktion gesprochen werden kann, können derartige Annahmen für den Prozess der Wiederherstellung bislang nur angenommen werden: So kann nicht mit Sicherheit gefolgert werden, dass eine Wiederherstellung von Verständigung auf einer einzelnen Ebene auch die Wiederherstellung von Verständigung auf allen weiteren Ebenen zur Folge hat. Zumindest kann jedoch von einzelnen Auswirkungen ausgegangen werden: So wird beispielsweise eine Wiederherstellung von Verständigung auf einer emotionalen Ebene sicherlich auch positive Auswirkungen auf eine kooperativere gemeinsame Arbeit an der Wiederherstellung von Verständigung auf weiteren Ebenen haben. Im Hinblick auf eine Systematisierung von Strategien triadischer Verständigungsförderung in interkulturellen Kontaktsituationen kann daraus geschlossen werden, dass grundsätzlich eine Verständigungsarbeit auf allen Ebenen der Wiederherstellung einer allgemeinen Verständigung zuträglich sein kann. Daraus könnte beispielsweise auch gefolgert werden, dass Drittpersonen nicht unbedingt primär und zuerst an einer Wiederherstellung der Verständigungsebene arbeiten müssen, die in einem Konfliktfall als erste gestört worden war. Stattdessen kann davon ausgegangen werden, dass dritten 279 Vgl. ähnliche Ergebnisse zur gegenseitigen Zuschreibung und Akzeptanz diskursiver Rollen bei Koole/ten Thije Personen in interkulturellen Konfliktsituationen prinzipiell Strategien aller Ebenen möglicher Verständigung zur Verfügung stehen. 4.4 Didaktik zur Vermittlung interkulturellen Fremdverstehens Auf der Grundlage der festgestellten Grenzen und Chancen interkulturellen Fremdverstehens liegen bereits eine Vielzahl von Didaktisierungen vor, mit deren Hilfe die interkulturelle und kommunikative Kompetenz von Individuen geschult und verbessert werden soll. Auch in diesem Bereich der Didaktisierung werden die Grenzen und Chancen interkultureller Verständigung jeweils anhand des jeweils zugrunde liegenden theoretischen Konzepts interkulturellen Verstehens festgemacht. Einige Ansätze aus diesem Bereich seien in diesem Abschnitt exemplarisch vorgestellt und diskutiert. Sie bilden ein Bindeglied zwischen den bislang vorgestellten Themenfeldern dieser Arbeit und dem nachfolgenden zentralen Kapitel zur Modellbildung interkultureller Mediation: Didaktisierungen interkultureller Kompetenz in Form von kognitiven Lehrmaterialien und angewandten Trainings sind jeweils aus unterschiedlichen Problemerfahrungen und wahrnehmungen interkultureller Verständigung motiviert. Diese Problemerfahrungen scheinen jeweils Idealvorstellungen interkultureller Verständigung zuwiderzulaufen. Um dieses Kompetenzdefizit zu schließen, werden Didaktisierungen entwickelt, die auf der Grundlage analytisch beschriebener Verständigungsschwierigkeiten einzelne Kompetenzen identifizieren und diese vermitteln. Auf ähnliche Weise wird auch das induktive Modell interkultureller Mediation gedacht: ausgehend von einzelnen Problemerfahrungen werden mögliche Bearbeitungsstrategien entwickelt, die eventuell die Grenzen der Verständigung durch eine triadische Bearbeitung noch weiter hinausschieben können. Ähnlich wie die bislang vorgestellten empirischen Untersuchungsbereiche zu Problemstellungen in der interkulturellen Kommunikation können eventuell auch bereits didaktisierte Ansätze aus der Literatur im Hinblick auf eine Möglichkeit der Integrierbarkeit von Formen triadischer Verständigungsförderung überprüft werden. Bernd Müller-Jacquier sieht die größte Aufgabe interkultureller Trainings darin, Trainingsteilnehmern Fremdheitserfahrungen zu vermitteln, die diese nicht selbst erlebt haben (vgl. Müller 1995: 43). Diese Fremdheitserfahrungen müssen anschließend erklärt und so vermittelt werden können, dass die Teilnehmer die Handlungsmotive einer Fremdkultur zu verstehen glauben. Insofern erscheint diese Zielstellung von einer doppelten Erschwernis belastet: 249

124 Sowohl beim Zusammenbruch als auch beim Wiederaufbau von Verständigung sind theoretisch alle Kombinationen und Reihenfolgen der unterschiedlichen Einflüsse denkbar. Hier stünde eine empirische Überprüfung der Quantität und der Proportionalität des Auftretens unterschiedlicher Einflüsse aus. Derartige Didaktisierungen werden vorrangig für interkulturelle Kontakte in Unternehmenskontexten produziert und angeboten. 280 Mittlerweile stehen jedoch unzählige Trainingsvarianten für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexte zur Verfügung, deren theoretische Konzeptionen in einer exemplarischen, aber dennoch repräsentativen Auswahl in den folgenden Abschnitten vorgestellt und ausgewertet werden sollen: 281 Abbildung 5: Formen der gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Ebenen der Verständigung und Formen der Wiederherstellung von Verständigung nach Konfliktfällen. Zunächst muss eine nicht existente Fremdheitserfahrung simuliert werden, die dann im Anschluss auch noch mit Hilfe erfolgreicher Strategien des Fremdverstehens bearbeitet werden soll. Interkulturelle Trainer müssen also zunächst ein Problemfeld konstruieren, das sie dann im Anschluss auch wieder lösen müssen. Müller-Jacquier definiert Didaktisierungen des Fremdverstehens demnach wie folgt: Als Didaktisierung des Fremdverstehens werden alle Versuche bezeichnet, mit denen Menschen auf die Begegnung mit Fremdem und auf den Umgang mit Fremden vorbereitet werden, einschließlich der retrospektiven Analyse von Eigenerfahrungen in kulturellen Überschneidungssituationen. (Müller 1995: 46) 250 Verständigung über Macht Verständigung über Kultur Verständigung über Inhalte Verständigung über Emotionen Verständigung über Rollen Innerhalb eines Zustands der Verständigung wird Verstehen innerhalb weniger turns interaktiv ausgehandelt und damit der Zustand der Verständigung aufrecht erhalten. Veständigung kann wiederhergestellt werden durch dyadische oder triadische Interaktion. Entsprechende Versuche können zu vier unterschiedlichen Ergebnissen führen: 1. dyadisch erfolgreich 2. dyadisch verschlechternd 3. triadisch erfolgreich 4. triadisch verschlechternd Wird Verständigung auf einer Ebene nicht erreicht oder gestört, so hat dies Auswirkungen auf alle oder einige andere Ebenen, die dann auch gestört werden. Es kommt zu einer Konflikteskalation Multiperspektivität durch Innen- und Außenperspektive (Bredella) Anknüpfend an Überlegungen, die denen zur mehrfachen Perspektivität Ram Adhar Malls ähneln, entwerfen Bredella et al. ein didaktisches Konzept für den interkulturell sensibilisierten Fremdsprachenunterricht (vgl. Bredella et al sowie Bredella 2002). Bredella et al. unterscheiden zu diesem Zweck zunächst zwischen einer Innenperspektive (vgl. Bredella et al. 2000: XIX-XX) und einer Außenperspektive (vgl. Bredella et al. 2000: XX-XXVII). In der Ausgangsposition betrachtet der Beobachter seine eigene Position aus der Innenperspektive, die des Fremden aus der Außenperspektive. Zu einem erfolgreichen Fremdverstehen ist es jedoch Bredella et al. zufolge nicht nur erforderlich, das Fremde aus dessen eigener Innenperspektive und das Eigene aus einer Außenperspektive betrachten zu können. Darüber hinaus müsse sich der Beobachter darüber bewusst sein, dass dieser Perspektivenwechsel selbst bereits schon zu einer Modifikation des Eigenen und des Fremden führt. Außerdem kann dieser Perspektivenwechsel synchron und mit ähnlichen Effekten auch von einem fremden Gegenüber vollzogen werden. Denkbar sei des Weiteren eine Schaffung neuer Perspektiven im Form einer dritten Position zwischen dem Eigenen und dem Fremden (vgl. Bredella et al. 2000: XXIX) sowie das Ausweichen auf eine Metaebene (vgl. Bredella et al. 2000: XXVI-XXVII). Dieser Aufruf zur Bewusstmachung der Multiperspektivität und ihrer Auswirkungen weist Ähnlichkeiten zum Ansatz der analogischen Hermeneutik Malls auf. Zwecks einer didaktischen Umsetzung plädieren Bredella et al. für eine permanente Auseinandersetzung mit Kulturvergleichen. Für den Erkenntnisprozess zuträglich erachten sie ein kulturvergleichendes Ausgehen von Gemeinsamkeiten, das dann schrittweise in eine präzise Benennung von kulturellen Unterschieden übergehen solle (vgl. Bredella et al. 2000: XL-XLI). Fremdsprachenlernern sollte Bredella et al. zufolge auf diese Weise nicht etwa als skriptartiges Handlungswissen einer Zielkul- 280 Zur Geschichte des Fachs Interkulturelle Wirtschaftskommunikation vgl. Bolten 1999 und Reuter Alternativ zeichnet Wierlacher eine parallele Geschichte der Didaktik im Rahmen der interkulturellen Germanistik nach (vgl. Wierlacher 2000b). 281 Vgl. die Überblicke zu Methoden und Anwendungsbereichen bei Fantini/Smith 1997, Gannon/Poon 1997 und Sue

125 tur vermittelt werden, sondern vielmehr die Fähigkeit zum Erkennen unterschiedlicher kultureller Perspektiven, zum souveränen Wechsel zwischen den Perspektiven und zur schrittweisen Annäherung von Innen- und Außenperspektive vermitteln. Eine empirische Umsetzung leistet Mark Bechtel in seiner in Bredellas Graduiertenkolleg entstandenen Dissertation (vgl. Bechtel 2003). Bechtel hat über mehrere Semester einen deutsch-französischen Sprachkurs geleitet, in dem die Studenten den Lernstoff in Form von Tandem-Gesprächen bearbeitet haben. Bechtel unterstellt, dass das Ziel von Tandemgesprächen in der Herstellung einer gemeinsamen Perspektive auf den Gesprächsgegenstand liegt. Dabei verfügen der deutschsprachige und der französischsprachige Partner jeweils über unterschiedliche Innen-, bzw. Außenperspektiven. Eine gegenseitige Übernahme der Perspektiven sieht Bechtel dann vollzogen, wenn die Sprecher jeweils versuchen, die Innenperspektive ihres Gegenübers diskursiv nachzuvollziehen. Dieses Konzept des sprachlichen Nachvollzugs stimmt überein mit der Mediationstechnik des Loopens (vgl. Kap. 3.3): auch hier wird versucht, aktiv die Innenperspektive des Anderen einzunehmen Linguistic Awareness of Cultures (Müller-Jacquier) Bernd Müller-Jacquier hat mit seinem Konzept der Linguistic Awareness of Cultures (LAC) die kulturkontrastiven Untersuchungs- und Trainingsmethoden, die zuvor meist auf kulturanthropologische Bereiche angewendet wurden, für die Vermittlung sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse kontrastiver Forschung fruchtbar gemacht. So basieren Müller-Jacquiers Didaktisierungen vielfach auf so genannten Critical Incidents, auf als Episoden erfassten Erfahrungen zu Irritationen in einer Fremdkultur. Der Prozess der Episodisierung setzt demnach immer dann ein, wenn Individuen Erlebnisse als Abweichungen von Normen interpretieren (vgl. Kap ). Müller-Jacquier hält derartige Critical Incidents für ungeeignet für die Vermittlung fremdkulturellen Wissens, da bereits ihre Inhalte auf Interpretationen der Personen beruhen, die sie erlebt haben. Diese Interpretationen werden dann von den anhand von Critical Incidents lernenden Personen ein zweites Mal interpretiert. Die in interkulturellen Trainings erarbeiteten Erklärungen für Critical Incidents sind Müller-Jacquier zufolge demnach weder die des Trainees für das tatsächliche Erlebnis, noch die des erlebenden Subjekts selbst, sondern lediglich Interpretationen einer Interpretation von Fremdwahrnehmung (vgl. Müller 1995: 48). Vor diesem Hintergrund knüpft Bernd Müller-Jacquier mit seinem sprachwissenschaftlich fundierten Trainingsmodul Linguistic Awareness of Cultures (LAC) an die bereits vorhanden kulturvergleichenden Trainingsmethoden des Culture Assimilators an (vgl. Müller-Jacquier 2000) und präzisiert damit eine Möglich- 252 keit der didaktischen Umsetzung des bislang skizzierten Ansatzes. Anhand des Studiums von Critical Incidents, sowie anhand von deren Erklärungen sollen Individuen für das Erkennen von Kontextualisierungshinweisen einer fremden Kultur sensibilisiert werden. Die Inhalte herkömmlicher Culture Assimilators dagegen vermittelten Müller-Jacquier zufolge lediglich die dem Kommunikationsverhalten zugrunde liegenden psychologischen Interaktionsvoraussetzungen und vernachlässigten eine konkrete Beschreibung der kommunikativen Umsetzung sowie der situativen Kontextualisierung (vgl. Müller-Jacquier 2000: 20-21). Auf ähnliche Weise argumentieren Sarangi und Roberts, dass Kommunikation in derartigen Trainings als Einbahninformationsfluss betrachtet werde, zu dessen Ausführung es mehrerer Fertigkeiten bedarf, die im Rahmen der genannten Trainings jedoch voneinander getrennt eingeübt werden (vgl. Sarangi/Roberts 1999: 2-3). Müller-Jacquier knüpft hier zwar methodologisch an das Konzept des Culture Assimilators an, vermittelt jedoch auf diese Weise Wissen über die unterschiedliche Ausprägung sprachlicher Kontextualisierungshinweise. Dabei werden möglichst viele Ebenen der sprachlichen Analyse berücksichtigt, die von einzelnen Wortbedeutungen über Sprechhandlungen, Diskursabläufe und Themen bis hin zu stilistischen Mitteln wie Direktheit und Indirektheit sowie der Wahl eines sprachlichen Registers reichen. Hans Jürgen Heringer hat eine Trainingsmethode entwickelt, die ebenfalls auf der Analyse von critical incidents basiert. Heringer zufolge müssen diese relevanten Situationen jedoch aus der Perspektive eines der Beteiligten betrachtet werden können, anstatt durch einen dritten, zeitversetzten Analysten (vgl. Heringer 2000: 34). Heringer empfiehlt daher, dass die Trainingskandidaten anhand eines allgemeinen Schemas dazu angeleitet werden, einen selbst erlebten critical incident zu untersuchen. Heringer hat dazu einen Fragekatalog entwickelt, an dem sich Trainees orientieren können, um ein Ereignis aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten. Zugrunde liegt hier darüber hinaus auch ein explizites Konfliktverständnis (vgl. Heringer 2000: 39): Heringers Herangehensweise ähnelt der der Mediation, bei der auch die Möglichkeit struktureller Konflikte in Betracht gezogen wird, die auch mit Hilfe einer hohen kommunikativen Kompetenz nicht lösbar gewesen wären Allgemeine Kommunikationstrainings Neben Didaktisierungen zur Verbesserung der interkulturellen Kompetenz finden sich insbesondere zahlreiche Methoden zur Didaktisierung einer allgemeinen Kommunikationskompetenz, 282 die jedoch gegenwärtig meist auf psychologischen 282 Für eine kritische Bestandsaufnahme der Ratgeberliteratur zur Verbesserung von Kommunikationskompetenz vgl. Antos

126 Annahmen und Konzepten basieren. 283 Gisela Brünner bemängelt hier, dass gesprächsanalytische Konzepte in der Trainingspraxis so gut wie keine Beachtung finden. 284 Michael Becker-Mrotzek problematisiert die Funktionsweise des Wissenstransfers in gesprächsanalytisch fundierten Kommunikationstrainings, indem er nach Wegen der Vermittlung fragt, mit denen Expertenwissen über Kommunikation so an Laien vermittelt werden kann, dass diese auch tatsächlich ihr kommunikatives Verhalten entsprechend ändern (vgl. Becker-Mrotzek 2001). Becker-Mrotzek geht davon aus, dass viele Kommunikationsprobleme nicht aus einer mangelhaften Kommunikationsfähigkeit der beteiligten Personen heraus entstehen, sondern dass diese Personen Handlungsroutinen an unzweckmäßiger Stelle anwenden. Becker-Mrotzek bemüht eine Annäherung aus der Kognitionswissenschaft, nach der Erlebnisse immer mit einer emotionalen und einer sachlichen Komponente im menschlichen Gedächtnis abgespeichert werden. Auf der Basis vergangener Erlebnisse formieren sich anschließend Routinen, mit denen zukünftige, als ähnlich eingeschätzte Situationen schneller bewältigt werden können. Dieses Vorgehen nach Routinen ist grundsätzlich kognitiv sehr entlastend, kann aber zur Belastung werden, wenn die Situation fehleingeschätzt wurde und daher unzweckmäßige Routinen angewendet werden. Besonders relevant ist dies für den Fall von Konflikten: Entscheidungssituationen werden gelegentlich als Konflikt und damit als emotional belastend wahrgenommen. Trifft die Person später auf eine ähnliche Situation, kann sie emotionalen Ärger empfinden, obwohl gar kein Konflikt vorliegt. Eine kooperative Lösung der Situation wird somit verhindert. Becker-Mrotzek führt ein Transkriptbeispiel aus der betrieblichen Kommunikation an, bei dem Personen in einer Entscheidungssituation in einen Beziehungskonflikt geraten, obwohl es sich um einen Sachkonflikt handelt. Der Sachkonflikt wird nicht erkannt und kann nicht gelöst werden, weil die Personen zusätzlich auf der Beziehungsebene konfligieren (vgl. Becker-Mrotzek 2001). Becker-Mrotzek geht dabei davon aus, dass unzweckmäßige Routinen als Ausnahme von der Regel interpretiert werden. Die betroffenen Personen sehen keinen Grund, eine für einen Fall gefundene, erfolgreiche neue Lösung als neue Routine in ihr Handlungsrepertoire aufzunehmen. Müller-Jacquier zufolge suchen Personen 283 Für einen sehr ausführlichen Überblick über unterschiedliche Formen von Kommunikationstrainings vgl. Brünner 2000: 255ff sowie für gesprächsanalytisch fundierte Trainings im Besonderen Reuter 2003b. Exemplarisch für sozialpsychologisch orientierte Trainingsformen vgl. Losche Das Wissen über Sprache und Kommunikation stammt im Wesentlichen aus der Psychologie, oft aus popularisierenden Darstellungen. Soweit wissenschaftliche Theorien und Ergebnisse herangezogen werden, geschieht dies eher eklektisch. Dies birgt die Gefahr einer Unterwerfung unter kurzfristig wechselnde modische Strömungen. (Brünner 2000: ). 254 dagegen so lange nach einer neuen Lösung für eine problematische Situation, bis sie diese gefunden haben, und nehmen diese sie dann auch tatsächlich in ihr Langzeitgedächtnis auf (vgl. Müller 1995: 45). Überträgt man die Annahmen von Becker-Mrotzek auf Wege triadischer Verständigungsförderung, so könnten dritte Personen eventuell auf derartige, verfehlte Situationseinschätzungen hinweisen oder dazu beitragen, diese bewusst zu machen. Dritte Personen können möglicherweise die konkrete Situation gegenüber von den Interaktionspartnern erinnerten Routinen leichter unterscheiden, da sie diese spezifischen Routinen gar nicht kennen. Dritte Personen könnten in diesem Sinne aufgrund ihrer Unbeteiligtheit Handlungen von Interaktionspartnern erkennen, die sich nicht optimal für die Bearbeitung einer gegebenen Situation eignen, und diese als Routinen entlarven. 4.5 Synopse: Quellen induktiver Konzepte interkultureller Mediation Bereits eine erste strukturelle Gegenüberstellung der Lösungsangebote deduktiver Konzepte interkultureller Mediation mit Problemstellungen aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation hat zu Beginn dieses Kapitels darauf hingewiesen, dass offenbar ein Großteil der Problemstellungen mit diesen Vorgehensweisen gar nicht erfasst und bearbeitet werden kann: Anstelle von eskalierten Konflikten, wie sie von der herkömmlichen Konfliktmediation bearbeitet werden, manifestieren sich Schwierigkeiten in der interkulturellen Kommunikation sehr viel häufiger in Form kleinerer kommunikativer Irritationen, die sich erst im späteren Verlauf zu Konflikten und Streitangelegenheiten auswachsen können. Anstelle eines institutionalisierten und professionellen Mediators, wie ihn deduktive Konzepte interkultureller Mediation vorschlagen, wäre für diese Kontexte ein spontaner Laien-Mediator erforderlich, der Irritationen und Missverständnisse in der Kommunikation zwischen zwei Personen erkennt und eine Verständigungsförderung aktiv intervenierend vorantreibt. Dabei werden vermittelnde Drittpersonen in diesen Kontexten wahrscheinlich nicht auf eine professionelle Mediatorenkompetenz zurückgreifen können und sie werden in der Situation der Irritation spontan reagieren müssen. Ein diskursanalytisch inspirierter Überblick über eine repräsentative Auswahl von Studien aus der Vielfalt empirischer Forschungsarbeiten innerhalb der Sprachund Kommunikationswissenschaften hat diese Ausgangshypothese bestätigt: Interkulturell bedingte Problemstellungen werden zumindest von der Forschung in subtilen Aspekten der Fehl- und Misskommunikation vermutet und gesucht, die den Interaktionspartnern selbst häufig nicht bewusst sind. Daraufhin wurden die in diesem Sinne vorgestellten Forschungsarbeiten auf Möglichkeiten der Integration von 255

127 Konzepten triadischer Verständigungsförderung überprüft, um Einblicke in exemplarische Formen einer induktiv konzipierten interkulturellen Mediation erhalten zu können. Kulturkontrastiven Studien konnten in diesem Zusammenhang nur wenige Aussagen abgerungen werden, was eventuell an der marginalen Auseinandersetzung dieser Studien mit dem Verlauf tatsächlicher interkultureller Kontaktsituationen liegen mag. Erst interaktionstheoretisch orientierte Studien verfügen dagegen über begriffliche Instrumentarien, die eine Einbettung von Handlungen dritter Personen in einem Detailliertheitsgrad zulassen, der für eine Beschreibung konkreter Strategien erforderlich ist. Sprach- und kommunikationswissenschaftliche Studien, die meist mittels eines zeichen- oder handlungstheoretisch begründeten Kulturbegriffs operieren, ermöglichen in diesem Kontext vielfach die Herleitung von Strategien für Drittpersonen, in denen eine verständigungsfördernde Wirkung durch ein Bewusstmachen, ein Umgehen oder ein Erklären kulturbedingter Unterschiede in der Kommunikation erzielt werden kann. In unterschiedlichen Studien aus gleich mehreren methodologischen Herangehensweisen wurde dabei Strategien des Reformulierens, des Paraphrasierens, des Wiederholens und des Rekontextualisierens eine besondere Bedeutung für die Herstellung von Verständigung beigemessen. Derartige Erkenntnisse korrelieren mit theoretischen Überlegungen zum Fremdverstehen, das durch Strategien der Perspektiven- oder Rollenübernahme konzipiert wird, sowie mit Plädoyers aus der Mediationsforschung und praxis für Reformulierungstechniken, die unter Termini wie denen des Spiegelns oder Loopens firmieren. Dritte Personen scheinen in diesen Kontexten als Außenstehende insbesondere durch ihre weitreichendere Gelegenheit zur Beobachtung und Analyse von Gesprächsverläufen sowie durch ihre emotionale Neutralität im Fall von gesichtsbedrohenden Handlungen in dyadischen Interaktionen zusätzliche Kompetenzen in Interaktionen einzubringen, die eine Ausweitung der Grenzen interkultureller Verständigung begründet vermuten lassen. Zusätzlich zu den Erkenntnissen über Formen induktiver interkultureller Mediation aus zeichen- und handlungstheoretisch fundierten Ansätzen wurden anschließend sozialpsychologische Studien herangezogen, die neben der Schwierigkeit der Herstellung von Verständigung aufgrund kommunikationstheoretisch begründeter Aspekte eine konfliktorientierte Komponente des Verständigungsprozesses aufgezeigt haben. Demnach führen häufig bereits gegenseitige Kollektivwahrnehmungen zu Vermeidungs- und Verweigerungsstrategien in interkulturellen Kontaktsituationen, so dass nicht einmal mehr eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit kommunikativen Verstehensschwierigkeiten bestünde. In diesem Zusammenhang wurde ein Modell entwickelt, das eine Unterscheidung zwischen der kulturellen Bedingtheit von Konfliktursachen und der kulturellen Bedingtheit von kommunikati- ven Konfliktaustragungsformen ermöglicht hat. Darüber hinaus konnten auf dieser Grundlage die Begriffe von Irritation und Konflikt definitorisch voneinander unterschieden werden: Während Irritationen die Folgen einzelner kommunikativer Missverständnisse auf einer einzelnen Ebene der Verständigung bezeichnen, kann dann von einem Konflikt gesprochen werden, wenn eine anfängliche Irritation auch auf weiteren Verständigungsebenen Irritationen ausgelöst hat, so dass es zu einem sukzessiven Zusammenbruch der Verständigung kommen kann. Verständigung wird dabei konzipiert als ein kooperativer und fortlaufender Zustand, der eine gegenseitige Zusicherung von Vertrauen und Kooperationsbereitschaft impliziert, und auf dessen Grundlage gegenseitiges Verstehen aufgebaut und immer wieder neu ausgehandelt werden kann. Diese Verständigungsgrundlagen können auf unterschiedlichen Ebenen, wie beispielsweise einer inhaltlichen, einer kulturspezifischen oder einer emotionalen Ebene hergestellt und aufrechterhalten werden, so dass eine triadische Verständigungsförderung wahlweise auf den unterschiedlichen Ebenen mit den jeweils zur Verfügung stehenden Strategien vorangetrieben werden kann. Zuletzt hat ein Überblick über Konzepte interkultureller Trainings und Didaktisierungen gezeigt, welche Kompetenzen und welche Arten von Handlungsanweisungen in diesem Rahmen bereits für eine dyadische Verständigungsförderung formuliert worden sind. Entsprechend kann auch hier über Effektivitätsgewinne derartiger Strategien nachgedacht werden, wenn diese von Drittpersonen im interkulturellen Kontakt ausgeübt werden. Nachdem im dritten Kapitel dieser Arbeit Formen deduktiv konzipierter Mediation vorgestellt und kritisiert worden sind und diese im vierten Kapitel von Formen induktiv konzipierter triadischer Verständigungsförderung erweitert worden sind, soll im fünften Kapitel an einem grundlegenden Modell triadischer interkultureller Verständigungsförderung gearbeitet werden. Im Vorfeld werden in diesem Zusammenhang theoretische Überlegungen zu und empirische Beschreibungen von Formen triadischer Interaktion angestellt werden

128 5 Vorschlag eines grundlegenden Modells interkultureller Mediation Die vorangegangenen Kapitel haben ausgehend von Überlegungen zu kulturellen Idealen interkulturellen Kontakts zunächst die derzeit propagierten, deduktiven Formen interkultureller Mediation dahingehend überprüft, inwieweit sie den Bedürfnissen dieser Ideale gerecht werden. Demgegenüber wurde anschließend ein Überblick über festgestellte Grenzen interkultureller Verständigung in der empirischen Forschung gegeben. Im folgenden Kapitel soll abschließend ein Modell möglicher Formen interkultureller Mediation entworfen werden, in dem die bereits genannten deduktiven Formen durch an dieser Stelle entwickelte, induktive Formen komplementiert werden. Deduktive Formen interkultureller Mediation gehen von Mediation als einem gegebenen Instrument zur Bearbeitung von Konflikten aus. Angewendet auf interkulturell bedingte Situationen werden lediglich geringfügige Modifikationen an diesem Grundmodell vorgenommen. Eine Gegenüberstellung der Reichweite derartiger deduktiver Konzepte interkultureller Mediation mit den Problemstellungen interkultureller Kommunikation hat gezeigt, dass die Bemühungen interkultureller Mediation offenbar an einem Teil der Problemstellungen interkultureller Kommunikation vorbeilaufen, bzw. sich nicht immer zu deren Bearbeitung eignen. Diesen Defiziten soll eine induktiv gedachtes Ergänzung von Formen interkultureller Mediation Rechnung tragen: Ausgehend von den festgestellten Problemstellungen interkultureller Kommunikation soll überlegt werden, wie eine triadische Förderung von Verständigung jeweils beschaffen sein müsste, und welche Bedingungen sie erfüllen müsste, um die Grenzen dyadischer Verständigung wenn auch nur geringfügig hinauszuschieben. Am Ende dieses Kapitels findet sich in diesem Sinne ein Vorschlag zu einer Zusammenfassung deduktiver und induktiver Konzepte interkultureller Mediation als systematische Sammlung kommunikativer Strategien und Vorgehensweisen, deren sich dritte Personen in interkulturellen Kontaktsituationen sowie institutionelle Mediatoren bei Bedarf potentiell bedienen können. Dieses Kapitel beginnt zunächst mit einer Erfassung bereits vorliegender Ansätze zur triadischen Kommunikation und Interaktion in den Sozialwissenschaften, um die Bandbreite empirisch feststellbarer und damit als realisierbar annehmbarer Formen triadischer Interaktion erfassen zu können. Daran angeschlossen werden theoretische Überlegungen zu Bedingungen triadischer Kommunikation sowie des Helfens und der Verantwortung in Interaktionen, um vor diesem Hintergrund potentielle Motivationen, Interessen und Bedürfnisse von Drittpersonen absehen zu können. Zuletzt wird vor dem Hintergrund zu Überlegungen früherer Modellbildungen in vergleichbaren Kontexten ein synoptisches Modell zu Formen 259

129 triadischer Verständigungsförderung vorgeschlagen, in dem die für eine entsprechende Erforschung relevanten Wissenschaftsbereiche zueinander in Beziehung gesetzt werden. 5.1 Die Alltäglichkeit triadischer Interaktion in Konflikten Autoren von Arbeiten zu deduktiven Konzepten interkultureller Mediation wie beispielsweise David Augsburger (vgl. Augsburger 1992) scheinen eine ihrer grundlegenden Aufgaben zunächst in der Popularisierung des Mediationsgedankens zu sehen: Als Verfechter eines zunächst gesellschaftlich noch relativ unbekannten Verfahrens versucht Augsburger mögliche Vorbehalte und Berührungsängste mit Mediation zu antizipieren und abzubauen: 285 Indem er mit Hilfe zahlreicher Beispiele die Omnipräsenz triadischer Interaktionsstrukturen in der Alltagskommunikation nachzuweisen versucht, 286 will Augsburger dem Gegenstand der Mediation das Konnotat der Fremdheit nehmen. 287 Abstrahierend beschreibt Augs- 285 Am Beispiel des Bandes von Ausgburger zeigt sich ein Paradox im Umgang westlicher Gesellschaften mit Mediation: Im dritten Kapitel dieser Arbeit wurde Mediation als von westlichen Gesellschaften favorisiertes Verfahren zur Konfliktbearbeitung dargestellt. Diese angenommenen gesellschaftlichen Konsense dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in westlichen Gesellschaften davon unberührt wesentliche Vorbehalte von Seiten potentieller Konfliktparteien gegenüber Mediation als einer möglichen Bearbeitungsform in ihrer Situation bestehen. Wenngleich sich auch Individuen im Kontext gesellschaftlicher Konsense für einen häufigeren Einsatz von Mediation aussprechen, schrecken sie häufig dennoch vor einer eigenen Teilnahme an einem solchen Verfahren als Konfliktpartei zurück. Dies mag jedoch weniger auf das Mediationsverfahren als auf eine allgemeine menschliche Tendenz zur Vermeidung von Konflikteskalationen zurückzuführen sein. Mediation kann in diesem Sinne als strukturierte und konstruktiv angeleitete Konflikteskalation verstanden werden. 286 Ähnliche rhetorische Strategien wurden bereits im Rahmen von Tabudiskursen untersucht. Die Präsentation von gesellschaftlich als ungewöhnlich wahrgenommenen Phänomenen als Alltäglichkeiten gilt dabei als Strategie der Euphemisierung (vgl. hierzu auch die empirische Arbeit von Ursula Wrobel zu ähnlichen Tabudiskursen in der US-amerikanischen und der deutschen Pharmaziewerbung: Wrobel 2003). 287 In beinahe missionarischem Eifer im Hinblick auf eine Akzeptanzförderung des Mediationsverfahrens in den USA strengt Augsburger sogar einen Verweis auf alttestamentliche Erzählungen aus der christlichen Bibel an: Demnach habe Gott einen ersten Konflikt zwischen Adam und Eva durch seine triadische Intervention gelöst. Vergleichen dieser Art kann jedoch höchstens eine Unterhaltungsrolle beigemessen werden. Auch Augsburger strengt beispielsweise keine Überlegungen darüber an, ob biblische Erzählungen in diesem Fall die Gebräuchlichkeit triadischer Konfliktbearbeitungsformen zu Zeiten der Verschriftlichung des Alten Testaments wiederspiegeln könnten (vgl. Augsburger 1992: 152). 260 burger die Idee der Mediation als eine Form kommunikativer Triangulation (vgl. Augsburger 1992: 143), unter der er die Transformation einer dyadischen in eine triadische Interaktionssituation versteht. Etymologisch ist der Begriff der Triangulation dem lateinischen Verb triangulare entlehnt, was wörtlich übersetzt dreieckig machen bedeutet. 288 Augsburger macht dabei darauf aufmerksam, dass Formen der Triangulation hier verstanden in einem sehr weit gefassten Sinne omnipräsent seien: Ihmzufolge kann bereits immer dann von einer Triangulation der Kommunikation gesprochen werden, wenn zwei Personen über eine dritte Person (auch in deren Abwesenheit) sprechen. So kommen Triangulationen beispielsweise sehr häufig in einer Form der Alltagskommunikation vor, die sich zu Deutsch umgangssprachlich unter den Begriffen des Klatsch und Tratsch (vgl. engl. gossip; Augsburger 1992: 152) fassen lässt. Gossip versteht Augsburger demnach als eine Form dyadischer Kommunikation, die mindestens einer der beiden Interaktionspartner dazu dient, Problemstellungen der eigenen interpersonalen Beziehung zu einer dritten Person gemeinsam mit dem Gesprächspartner aufzuarbeiten. Augsburger zufolge können Gespräche des Klatsch und Tratsch demnach eine informelle Form triadischer Konfliktbearbeitung in der Alltagskommunikation darstellen. Er folgert daraus, dass sich triadische Interaktion offenbar in besonderem Maße zur Konfliktbearbeitung eigne und sie sich aus diesem Grund in vielen Gesellschaften bereits als Form der Alltagskommunikation etabliert habe. Aus Sicht institutionalisierter Mediation und deren Idealen in westlichen Gesellschaften kritisiert Augsburger jedoch, dass diese Art der Triangulation einer der Konfliktparteien zunächst zwar eine mentale Erleichterung verschaffe, darüber hinaus jedoch nur zur Verfestigung ihrer eigenen Position im Konflikt beitrage und somit nur von bedingtem Nutzen für eine konstruktive Konfliktbearbeitung sei (vgl. Augsburger 1992: 153). Augsburger geht des Weiteren davon aus, dass Formen triadischer Konfliktbearbeitung weltweit betrachtet gegenüber dyadischen Formen quantitativ präferiert werden: The use of the third-party process is the most frequent methodology in the third world, while the Western, ex-soviet, and Eastern European worlds tend to utilize direct confrontation and negotiation in resolving interpersonal differences. (Augsburger 1992: 152) Augsburger zufolge führen Triangulationen im alltäglichen Konfliktverhalten jedoch in den meisten Fällen zu einer Koalitionenbildung, so dass zwei Personen ei- 288 In der Gegenwart werden sowohl das Substantiv Triangulation als auch das Verb triangulieren vorrangig in den Fachsprachen der Geodäsie, der Architektur und des Gartenbaus verwendet. Unter einer Triangulation wird hier ein Vermessungsverfahren bezeichnet, bei dem einzelne räumliche Punkte in Dreiecksverhältnisse zueinander gebracht werden (vgl. Brockhaus 1999). 261

130 ner außenstehenden Person gegenüberstehen (vgl. Augsburger 1992: 155). Strategien der Triangulation dienten in diesem Fall nur als Strategie der Transformation: Durch eine kurzzeitige Etablierung einer Triade wird es der Person, die diesen Prozess initiiert, möglich, eine alte, problembeladene dyadische Beziehung aufzulösen und eine neue, unbelastete dyadische Beziehung mit einer dritten Person einzugehen. Augsburger geht hier davon aus, dass in Konfliktsituationen die betroffenen dyadischen Beziehungen häufig aufgelöst werden, indem beide Interaktionspartner mit Hilfe von Triangulationen in neue, intakte dyadische Beziehungen fliehen. Die Dyade mit dem Konfliktgegner wird dabei zumindest temporär aufgelöst. 289 So versteht Augsburger den Prozess der Triangulation als genuinen Bestandteil der Konflikteskalation: sobald sich in harmonischen Beziehungen Konflikte abzeichnen, beginnen die Konfliktparteien laut Augsburger, Drittpersonen hinzuzuziehen. Augsburger folgert aus diesem Aspekt, dass Konflikte in vielen Fällen auf mehreren, sehr unterschiedlichen sozialen Ebenen zugleich ausgetragen werden oder dass sie andere gesellschaftliche Ebenen zumindest beeinflussen. Triangulationen dieser Art tendierten Augsburger zufolge dazu, zu erstarren und unbeweglich zu werden. Im Sinne einer Konflikteskalation verhärten sich Positionen, und Komplexitäten werden von den Beteiligten nicht mehr wahrgenommen. Augsburger plädiert in diesem Sinne für eine Unterscheidung von verfestigten Triaden, die Konfliktverläufe zur Eskalation oder zum Erstarren bringen können, gegenüber temporären Triaden, die bewusst gebildet worden sind, um Konflikte im Sinne einer Mediation konstruktiv bearbeiten zu können. Augsburger leitet daraus eine kulturelle Universalie ab, die er triadischen Konflikthelfern aller Kulturen als Kompetenz unterstellt: Kompetente und professionelle Mediatoren zeichneten sich demnach dadurch aus, dass sie es verstehen, temporäre und bewusste Triaden zu bilden, die nur dem Ziel dienen, einen Konflikt effektiv zu bearbeiten, und die anschließend wieder aufgelöst werden können (vgl. Augsburger 1992: ). In weiteren Forschungsarbeiten zu Formen triadischer Interaktion scheint darüber hinaus das bereits im Hinblick auf Augsburgers Argumentationen erwähnte Phänomen der Dyadenbildung in triadischen Situationen von zentralem Interesse zu sein: Insbesondere Modelle zur triadischen Interaktion, die auf mathematischen oder spieltheoretischen Grundlagen aufbauen, fokussieren häufig die Entstehung derartiger Dyaden in triadischen Situationen. Arbeiten wie die von Theodore Caplow (vgl. Caplow 1968) und Kenneth Pike (vgl. Pike 1975) verfahren jedoch rein deskriptiv und liefern keine Interpretationen oder Erklärungen für diese beobachtete Tendenz der Dyadenbildung in triadischen Situationen. Aus der im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits im zweiten und dritten Kapitel hinzugezo Vgl. hier auch Walton 1969 sowie Gulliver genen diskursanalytisch orientierten Sicht auf Diskurse innerhalb der Wissenschaften ließe sich jedoch vermuten, dass diese Tendenz zur Erforschung einer Dyadenbildung in Triaden ein implizites und ein allgemeines Verständnis von triadischen Konstellationen in Interaktionen widerspiegelt: Demnach sind Triaden nicht nur kaum oder nur unter sehr viel komplexeren Bedingungen wissenschaftlich untersuchbar als dyadische Situationen, 290 sondern von den Forschenden scheint darüber hinaus unterstellt zu werden, dass triadische Situationen auch von den beteiligten Personen tendenziell nicht oder kaum handhabbar seien. In diesem Rahmen scheint angenommen zu werden, dass triadische Situationen von den Beteiligten wahrscheinlich grundsätzlich mit Strategien angegangen werden, die es ermöglichen sollen, eine Triade auf Dyaden zu reduzieren (vgl. Caplow 1968). Derartige Strategien der Dyadisierung von Triaden beschreibt beispielsweise Kenneth L. Pike (vgl. Pike 1975) nach den Kriterien und aus der Perspektive der Kinetik, indem er Parallelen zur Beschreibung von Sprecherwechseln in triadischen Situationen zieht. Pike erläutert an drei unterschiedlichen Skizzen, die allesamt jeweils drei Personen in Alltagssituationen darstellen, dass bereits aus der Körperhaltung der Personen sowie aus ihrer Körperstellung zueinander erkennbar ist, welche beiden der drei Personen zuvor eine Dyade gebildet haben, bzw. weiterhin eine Dyade in der Triade bilden. Pike geht dabei davon aus, dass diese kinetisch orientierten Beobachtungen einzelner Bilder insbesondere retrospektive Aussagen über Interaktionen erlauben, die der triadischen Situation zeitlich vorgelagert sind. Denkbar sind ihmzufolge jedoch auch Situationen, in denen zukünftige Dyaden auf ähnliche Weise markiert werden (vgl. Pike 1975: 390). Dabei stellt Pike fest, dass sich stilisierte Zeichnungen, wie die von ihm angeführten, exemplarischen Skizzen, zwar auf eine recht einfache Weise interpretieren lassen, dass Fotografien von Alltagssituationen (So untersucht Pike beispielsweise Standbilder aus Videos mit Interaktionen seiner Studierenden.) dagegen kaum eindeutige Interpretationen zulassen. 290 Zu konversationsanalytischen Überlegungen zu Interaktionen mit unterschiedlichen Personenzahlen vgl. Schegloff

131 264 Figure 1 (Pike 1975: 394): Figure 2 (Pike 1975: 394): Figure 3 (Pike 1975: 394): In figure 1 the three persons can be indicated by AB- C, in which A and B are closer to each other than to C; their shoulders touch, and are parallel; C faces more front, straddling the bicylce, but preserves the old axis (an I-thou relation) by the shoulder position (Pike 1975: 389). In figure 2 we again have AB-C, but with A and B not in contact with each other; their shoulders are parallel as they jog past C, whose shoulders are at right angles to them both. (Pike 1975: ). In figure 3 AB-C is again signalled, but all three are looking away from each other toward a different object, which is in view in the picture. Nevertheless, the derivational history of the embedded immediate constituents of the former relationship is preserved by the closeness, plus the linking of hands of A and B (Pike 1975: 390). Abbildung 6: Formen der kinetischen Dyadenbildung in triadischen Situationen nach Kenneth Pike (vgl. Pike 1975: 394). Pike erklärt dies damit, dass die unterschiedlichen kinetischen Signale, die zusammen eine eindeutige Interpretation ermöglichen, im Alltagshandeln meist zeitlich versetzt nacheinander hervorgebracht werden, so dass sie in der Regel nicht alle zugleich auf einem Foto sichtbar werden können. Auf diesen Annahmen aus der Kinetik aufbauend stellt Pike darüber hinaus die Hypothese auf, dass auch verbale Sprecherwechsel in triadischen Situationen nach einem ähnlichen Schema verlaufen. 291 So enthielten beispielsweise Interaktionen einer Person aus einer internen Dyade mit einer dritten Person immer auch Hinweise auf und Bekräftigungen der bestehenden Dyade. Pike zufolge treten die Personen aus der Dyade dabei als Einheit gegenüber der dritten Person auf. Anstelle einer Ich-Du-Achse (vgl. engl. I-thou-axis; Pike 1975: 392) stehen die Personen nach Pike in einem Verhältnis von Plural-Subjekten und Plural-Objekten zueinan- 291 Before B speaks to C, in the most useful of various formalisms given which generate the terminal I-thou axes, B must first reply to A, reinforcing the recognition of the earlier presence of the A-B axis before the development of the B-C axis. (Pike 1975: 390). der. Pike suggeriert damit, dass die triadische Situation von den Beteiligten auf eine Dyade reduziert wird. Während Arbeiten zur Mediation demnach offenbar einem Legitimationsdruck genüge zu tun versuchen, indem sie Anhaltspunkte für die Omnipräsenz triadischer Interaktion in der Alltagskommunikation suchen, scheinen deskriptive Arbeiten aus den Sozialwissenschaften eher eine Unwahrscheinlichkeit von Triaden in Alltagsinteraktionen sowie eine allgemeine Tendenz zur Dyadisierung von Triaden zu konstatieren. Eine derartige Annahme spräche für die Künstlichkeit triadischer Interaktion in Alltagssituationen: Es müsste dann davon ausgegangen werden, dass triadische Interaktionen in der Alltagskommunikation (zumindest westlicher Kulturen, denn nur auf diese können sich die hier referierten Arbeiten empirisch stützen) nicht vorkommen, bzw. dass ihr Zustandekommen von den Interaktionspartnern sogar strategisch vermieden und unterbunden wird. Ungeachtet der Debatten über die Alltäglichkeit vs. die Künstlichkeit triadischer Situationen spricht sich jedoch auch Augsburger lediglich für eine bewusste Herstellung temporärer Triaden aus, mit denen eine dyadische Verständigung gefördert werden solle. Bewusste Triadisierungen dieser Art sollen in den folgenden Abschnitten im Blick behalten werden und im Hinblick auf Bedingungen ihres Eintretens und ihrer Potentiale zur Verständigungsförderung in Alltagssituationen untersucht werden. Aufgrund mangelnder Forschungsbelege zu triadischen Situationen im interkulturellen Kontakt sollen entsprechende Überlegungen an dieser Stelle zunächst anhand intrakultureller Triaden erläutert und später im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf interkulturelle Kontexte untersucht werden. 5.2 Ethische Bedingungen triadischer Intervention Im Gegensatz zu deduktiven Konzepten interkultureller Mediation implizieren induktive Konzepte, dass dritte Personen potentiell auch aktiv in den Verständigungsprozess intervenieren und somit die Triangulation der Dyade initiieren müssen. Um entsprechende Formen und Bedingungen triadischer Verständigungsförderung präzise beschreiben zu können, erscheinen daher auch Überlegungen dazu erforderlich, unter welchen Umständen dritte Personen in Alltagssituationen zu einer Intervention bereit sind, welche Motivationen sie eventuell von einer Intervention abhalten und welche Aspekte sie zu einer Intervention motivieren. Eine erste wichtige Grundunterscheidung findet sich hierzu bei Urs Thurnherr, der zwischen einer Sollensethik und einer Strebensethik als Formen ethischen Denkens trennt (vgl. Thurnherr 2000). Thurnherr zufolge haben sich ethische Debatten der vergangenen 200 Jahre größtenteils auf den Bereich der Sollensethik konzentriert, 265

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