RECOVERY IN DER PRAXIS
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- Falko Tiedeman
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1 RECOVERY IN DER PRAXIS Prof. Dr. Michael Eink Hochschule Hannover Eink, Recovery 1
2 1. WAS IST RECOVERY? Recovery, ein Wort, das man in Deutschland nur umschreiben kann mit Begriffen wie Genesung, Besserung, Erholung oder Wiedergewinnung, steht für eine Bewegung von Psychiatrie-Erfahrenen Hintergrund dieser Bewegung, die zuerst im englischen Sprachraum entstand, waren Langzeitstudien, die zeigten, dass Genesung auch von schwerer psychischer Erkrankung möglich ist. Schulz, M. / Prins, S. 2012, S Eink, Recovery 2
3 2. WAS IST RECOVERY? Für Psychiatrie- MitarbeiterInnen bedeutet Recovery eine Form psychiatrischer Dienstleistung, deren Schwerpunkte die Partizipation der Nutzerinnen und Nutzer, die Vermittlung von Hoffnung und die Ausrichtung auf die Stärke des einzelnen Menschen sind. Burr, C. u.a.: Recovery in der Praxis. Psychiatrie Verlag, Bonn 2012, S. 14 Entwicklung aus den Beschränkungen der Patientenrolle hin zu einem selbstbestimmten, sinnerfüllten Leben. Amering, M. / Schmolke, M.: Recovery. Das Ende der Unheilbarkeit. Psychiatrie Verlag, Bonn 2012, S Eink, Recovery 3
4 3. WAS IST RECOVERY? In der Recovery- Diskussion ist es nicht gelungen eine einheitliche Definition festzulegen. Einerseits gibt es ein symptomorientiertes, rehabilitatives Verständnis von Recovery, bei dem es um Gesundung und die Erhöhung sozialer Funktionsfähigkeit geht. Beim anderen, personenorientierten Ansatz ist das Ziel ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes Leben führen zu können. Hier wird Recovery nicht als Ergebnis, sondern als lebenslanger Prozess verstanden. Profis hätten sich dabei (auch von gut gemeintem) Paternalismus zu verabschieden. Vgl. Burr u.a. 2012, S. 10f Eink, Recovery 4
5 IST RECOVERY NEU? Empowerment Trialog Anthropologische Psychiatrie Inklusion Eink 2012, frei nach Abderhalden u.a. 2012, S.251 & Richter u.a. 2012, S. 219f Subjektorientierung Stimmenhörer Ex-In-Bewegung Eink, Recovery 5
6 ZWISCHENFAZIT Viele Aspekte des Recovery-Konzeptes sind nicht wirklich neu. Recovery könnte uns aber helfen echte Qualitätskriterien für die Praxis zu entwerfen Eink, Recovery 6
7 VORBEHALTE PROFESSIONELLER HELFERINNEN GEGENÜBER RECOVERY Nichts Neues Machen wir schon immer Esoterisches Pathos Verleugnung von Chronizität und Behinderung Etikettenschwindel mit Worthülse Eink, Recovery 7
8 HOFFNUNG Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Karl Valentin Eink, Recovery 8
9 HOFFNUNG Recovery heißt nicht: Dass alles gut ausgeht. Einiges wird nie mehr gut, und man muss lernen, es zu akzeptieren und damit zu leben. In der Literatur heißt das Behinderung Dass alles besser wird. Das Stigma, das mit der Erkrankung Hand in Hand geht, macht wütend. Wenn man sein eigenes Leben mit dem anderer vergleicht, merkt man, was man alles verpasst hat und dass es für viele Dinge zu spät ist, sie zu korrigieren oder rückgängig zu machen. Boevink 2012, S Eink, Recovery 9
10 HOFFNUNG Fachleute können nicht Hoffnung vermitteln, wie Kühe Milch geben. Sie können jedoch hoffnungsvoll sein Hoffnung unterscheidet sich von Optimismus. Optimismus ist oberflächlich und abgedroschen Hoffnung bedeutet etwas anderes. Deegan 2012, S Eink, Recovery 10
11 MACHT Belastende life-events Menge, Dauer, Intensität Kognitive Verarbeitung Attribuierung, subjektive Bedeutsamkeit Hilflosigkeit subjektiv erwartet Nichtkontrolle Depression (Erlernte Hilflosigkeit, nach Seligman 1975) Eink, Recovery 11
12 MACHT Wenn ein Klient denkt, dass all seine Anstrengungen umsonst sind, er keine Kontrolle über seine Situation hat, das Team ihm nicht zuhört und entscheidet, wo und mit wem er wohnt, wann er aufstehen und ins Bett gehen muss, entsteht ein tiefes Gefühl von Hoffnungslosigkeit, das wir Profis als Negativsymptome werten und mit einer ungünstigen Prognose verbinden. Deegan, ref. N. Amering / Schmolke 2012, S Eink, Recovery 12
13 MACHT Teufelskreis Gebot statt Angebot Betroffener wird zu Medikament Gedrängt Psychiatrieerfahrener kann keine eigene Entscheidung treffen, fügt sich der Anordnung Arzt vermittelt: Sie sind selbst schuld. Ich hab Ihnen doch gesagt, dass sie das Medikament nicht absetzen sollen. Psychiatrieerfahrener setzt Medikament ab, sobald er nicht mehr unter dem Einfluss des Arztes steht Sehr hohe Krisengefahr, da Absetzversuch unter sehr ungünstigen Bedingungen stattfindet: keine Unterstützung, zu rasches Absetzen, keine Selbsthilfestrategien zuvor erarbeitet Erneute Krise Knuf, A.: Empowerment in der psychiatrischen Arbeit. Bonn Eink, Recovery 13
14 MACHT Die Grundhaltung der Therapeuten muss dialektisch sein, einerseits individuelle Beeinträchtigungen wahrnehmen, andererseits die Ressourcen der Klienten sehen und spiegeln. (vgl. Linehan 1996) Am Anfang hatten die Profis das Gefühl, Recovery bedeutet absolute Freiheit. Dass Patienten sagen, wo es langgeht, so ein bisschen Anarchie. Aber das ist gar nicht so. Im Gegenteil: Eigentlich total bodenständig. Klientin, zit. N. Burr u.a. 2012, S Eink, Recovery 14
15 SINN Das Gefühl der Sinnhaftigkeit (Antonovsky 1997) entscheidet maßgeblich darüber, ob jemand seine Handlungsmöglichkeiten ausschöpft und Ressourcen zur Gesundung entfaltet Eink, Recovery 15
16 SINN KOHÄRENZSINN: DAS HERZSTÜCK DER SALUTOGENESE Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist. Der Kohärenzsinn beschreibt eine geistige Haltung: Meine Welt ist verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehensdimension). Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Bewältigungsdimension). Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinndimension) Eink, Recovery 16
17 SINN Von wegen Psychiatrie als Kunst der geduldigen Begleitung : Im Diagnosemanual DSM-3 war festgelegt, dass eine Depression zu diagnostizieren ist, wenn nach einem schweren Verlust ein Mensch noch nach einem Jahr trauert, im DSM-4 wurde zwei Monate abgewartet, im Entwurf zum neuen DSM-5 soll eine Trauerreaktion noch zwei Wochen dauern dürfen, bevor eine Depression zu diagnostizieren ist. Vgl. Nuber, Psychologie Heute, 6/ 2012, S Eink, Recovery 17
18 SINN Praxisaufgaben: Home Treatment, überall normale Dinge mit normalen Leuten an normalen Orten möglich machen Demokratisierung der Rollenentwürfe mit Psychose- Foren, Behandlungsvereinbarungen, Verhandlungskultur, etc. Peer-Support, Ex-In-Förderung, Peers als Mitarbeiter Eink, Recovery 18
19 SINN Wenn die Aussage des US-Gesundheitsministeriums stimmt, dass in der psychiatrischen Versorgung eine >Revolution< nötig ist, dann wird diese Revolution darin bestehen, die Rolle des Menschen mit einer schweren Erkrankung neu zu denken. Amering / Schmolke 2012, S Eink, Recovery 19
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