Tipps zur Quelleninterpretation
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- Katja Baum
- vor 6 Jahren
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1 Dr. Uwe Fraunholz, BZW/A517 Tel.: Sprechstunde: Di, und nach Vereinbarung Tipps zur Quelleninterpretation I. Was sind Quellen? Prinzipiell können alle historischen Materialien, aus denen man Erkenntnisse ziehen kann, zu Quellen werden. Droysen bezeichnet in seiner Historik alles und jedes, was die Spur von Menschengeist und Menschenhand an sich trägt als potentielle Quelle. Doch nicht jeder Text, der Kenntnisse über die Vergangenheit vermittelt, ist in jedem Fall eine Quelle. So ist Ulrich Wehlers Deutsches Kaiserreich für die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs keine Quelle, sondern Literatur, die geschichtliche Zustände auf der Basis von Quellen und Literatur anderer Historiker interpretiert. Für andere Fragestellungen wie die Geschichte der Sozialgeschichte in der Bundesrepublik oder die Biographie Wehlers kann der gleiche Text aber sehr wohl als Quelle verwendet werden. Quelle und Literatur sind Gegenbegriffe, deren Zuordnung immer von der Fragestellung abhängig ist. II. Quelleneinteilung 1. Entsprechend der äußeren Form - Sachquellen (Artefakte): Gebrauchsgegenstände, Bauwerke, Siedlungen, Kunstwerke... - Abstrakte Quellen: Institutionen, Bräuche, Sprachen... - Schriftliche Quellen: Akten, Urkunden, Briefe, Dichtung, Publizistik, Geschichtsschreibung Nach der Nähe zum Ereignis - Primärquelle -Sekundärquelle 3. Nach den inneren Eigenschaften einer Quelle/ Bewusstsein des Urhebers (Droysen) 1
2 - Überrest: Alles was unmittelbar von den Begebenheiten übrig geblieben ist. Alles was unabsichtlich, ohne auf die Nachwelt ausgerichtete Tendenz überliefert ist. - Tradition: Alles was von den Begebenheiten übrig geblieben ist, hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche Auffassung. Traditionsquellen beruhen auf einer bewussten Auswahl der Autoren und enthalten Wertungen, die nicht explizit gemacht werden müssen. III: Systematische Arbeitsschritte zur Quelleninterpretation 1. Formale Struktur 2. Erschließung des unmittelbar mitgeteilten Inhalts (Dekodierung) 3. Kritik und Überprüfung des Erkenntniswertes (Interpretation) 4. Reflexion und Problematisierung des historischen Sachverhalts 2
3 1. Formale Struktur: Textform (Flugblatt, Zeitungsartikel, Privatbrief, Urkunde, Akte, Chronik, Traktat) und deren Konsequenz (verbindlicher Rechtsakt, unverbindliche Empfehlung, literarische Tradition) Verfasser des Textes (beteiligter Zeuge oder Außenstehender) absichtliche oder zufällige Überlieferung Primär- oder Sekundärquelle Zeit und Ort der Entstehung Adressat (Öffentlichkeit?) Spontane oder rückschauende Berichterstattung Sprachliche Merkmale Aufbau und Gliederung 2. Erschließung des unmittelbar mitgeteilten Inhalts (Dekodierung) Intentionen des Autors, Zweck (Kodifikation, Information, Propaganda, Manipulation) Worin wird die Zeit- und Standortgebundenheit des Autors deutlich? Worin zeigt sich seine Tendenz, seine Interessenlage? Aufbau des Gedankengangs, Logik der Gesamtaussage (Erkennen evtl. logischer Widersprüche oder Sprünge, können Begründungen, Folgerungen, Aussagen des Autors nachvollzogen werden?) Aufgestellte Thesen Schlüsselwörter und Kernstellen des Textes Inhalt (Welches sind die wichtigsten Stellen und Hauptaussagen?) In welchem Zusammenhang stehen die einzelnen Aussagen mit der Gesamtaussage? Wie wirken sie gegenseitig aufeinander und wie bedingen sie sich? 3
4 3. Kritik und Überprüfung des Erkenntniswertes (Interpretation) Aus der Kritik erwächst die quellengerechte Interpretation. Bei der konkreten historischen Arbeit kann man mit folgenden Fragen (die je nach Fragestellung und Text modifiziert werden können ) an einen Text herangehen. Wirken sich - und wenn ja wie - folgende Umstände und Tatsachen auf das Berichtete aus: Gewichtung der Quellenaussagen: Sachaussagen (geben lediglich Fakten an, ohne Ausweis von Zusammenhängen und Wertungen), Sachurteile: geben Zusammenhänge, enthalten sich aber einer Wertung), Werturteile: geben eine politische, ethische, religiöse Beurteilung von Personen, Handlungen, Ereignisse, Institutionen, Ideen) Zuverlässigkeit des Autors, individuelle Persönlichkeitsmerkmale (Charakter, Intelligenz, Beobachtungsgabe), soziale Herkunft und Stellung, Weltanschauung und Wertmaßstäbe, Beruf, Bildung, Erfahrungshorizont Verhältnis des Autors zu Geschehnissen, beteiligten Personen und Empfänger (Standpunkt, Perspektive) Inwieweit ist der Aussagewert der Quelle durch die Ausrichtung an den Adressaten bestimmt? Inwiefern werden Zugeständnisse an die Aufnahmefähigkeit und das Bildungsniveau des Empfängers gemacht? Historischer Zusammenhang (Vergleich mit anderen Quellen und gesicherten Erkenntnissen, Fakten, in welchem überlieferungsmäßigen und geschichtlichen Zusammenhang steht der Text? Deckt sich die Darstellung mit Bekanntem? Wie ist das Verhältnis der Aussagen des Textes über bestimmte Sachverhalte zu der anderer Quellen? Einordnung in historischen Zusammenhang und Wertung) Entstehungsmilieu (Zeitpunkt, politisch, soziale und wirtschaftliche Situation), Anlass, situativer Kontext (welche Vorgänge gehen dem Berichteten voraus? Ist das Berichtete durch einen Auftraggeber veranlasst?) Meinungsbildung, Manipulation oder Verzicht auf Kommentar? Mögliche Bedeutungsveränderungen und -verschiebungen 4
5 4. Reflexion und Problematisierung des historischen Sachverhalts Nach der Überprüfung des historischen Erkenntniswertes folgt die über eine Interpretation des vorgegebenen Textes hinausgehende Reflexion der dargestellten Sachverhalte. Sicherlich lassen sich in vielen Fällen Interpretation und problematisierende Reflexion nicht scharf voneinander trennen, nur sollte man sich methodisch bewusst sein, dass es sich um einen Unterschied handelt. Problematisierung Aktualisierbarkeit der Quelle Gibt es heute noch offene Probleme, Unstimmigkeiten in diesem Zusammenhang? Kann der Text durch gegenwärtige Probleme erweitert werden? Welche Alternativen gab es? Historische Bedeutung der Quelle, Einordnung in langfristigen Zusammenhang Begründetes Gesamturteil 5
6 IV. Zum Umgang mit Bildern Wer hat das Bild wann hergestellt? um welche Art Bild handelt es sich (Zeichnung, Gemälde, Lithographie, Stich, Aquarell, Fotografie...) Ausschnitt oder Vollbild? Originalmaße heutiger Aufbewahrungsort Erwin Panofsky: dreistufiges Interpretationsschema: 1. vorikonographische Beschreibung: tatsachen- und ausdruckshafte Aussagen, faktische Bedeutung und emotionaler Gehalt 2. ikonographische Analyse: Ableitung des Themas aus historisch vermittelten Motiven, Symbolgehalte 3. ikonologische Interpretation: Kunstwerk als Ausdruck der politischen und sozialen, geistigen, religiösen und kulturellen Bedingungen und Ideen seiner Entstehungszeit, Kunstwerk als Dokument, Entstehungsbedingungen und Funktion eines Bildes im sozialen Kontext 6
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