Leitfaden für die Beschaffungen von agilen IT Projekten

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1 Leitfaden für die Beschaffungen von agilen IT Projekten Autoren: Thomas Molitor, Stephan Sutter (swissict Fachgruppe Lean, Agile, Scrum ) Version: V0.91 Datum: Nutzen des Leitfadens Der Leitfaden soll Beschaffungsstellen stellen wie auch Anbietern einen Weg aufzeigen, wie IT Vorhaben, die agile realisiert werden wollen, vor dem Zuschlag gestaltet werden müssen. Der Pfeil in Abbildung 1, stellt die Konzepte dar, die vor der Ausschreibung schreibung beachtet werden müssen, um später agil vorgehen zu können. Ohne diese frühe Abstimmung, wird die Abschreibung kein gutes agiles Vorgehen in der Realisierung unterstützen können. Der Leitfaden zeigt weiter die wesentlichen Aspekte auf, um ein agiles Projektvorgehen vertraglich sichern und zielführend umsetzen zu können. Abbildung 1 2 Motivation und Kontext Die in diesem Abschnitt beschriebenen Herausforderungen und Problemstellungen in IT Vorhaben haben uns dazu motiviert aufzuzeigen, dass sich mittels einem agilen Projektvorgehen vieles verbessern lässt. Grundvoraussetzung ist eine Beschaffung, die eine agile Realisierung des Vorhabens will und auch zulässt.

2 2.1 Komplexität Die Planung von IT Vorhaben kann grundsätzlich als komplex beschrieben werden und erfordert viel Erfahrung und den richtigen Umgang mit dauernden Veränderungen. Dies unterstreicht die Tatsache, dass schlussendlich nur 45% der Funktionalität/Features einer Software genutzt wird. Dazu kommt, dass nur 30% der Gesamtkosten ten einer Software in der Bauphase anfallen, die restlichen 70% in der darauf folgenden Wartungsphase. Dies bedeutet, dass die eingesetzten Ressourcen während eines IT-Vorhabens sehr gezielt eingesetzt werden sollten, um die Komplexität zu überwinden, um damit nur die effektiv nötigen Funktionalitäten bereitzustellen und somit die zukünftigen Wartungskosten zu reduzieren. Abbildung 2 Die Agilität begegnet dieser Herausforderung mit den geeigneten Massnahmen. Die Komplexität wird gebrochen, indem in vielen kleinen Iterationen (Zyklen), fortlaufend Feedback von allen Beteiligten verarbeitet wird. Damit wird erreicht, dass man sich immer auf das Wesentliche konzentriert und einen viel höheren Kundennutzen erzielt. Die Idee dieses Beschaffungs-Leitfadens besteht darin, dass die Beschaffung auf eine agile Realisierung des Vorhabens ausgerichtet wird. Dabei liegt der Fokus auf einer partnerschaftlichen Risikoverteilung, die mit einer agilen Projektführung und einem kooperativen Vertrag umgesetzt wird. 2.2 Weshalb braucht es ein partnerschaftliches Kooperationsmodell? Ein gutes Beispiel hierfür ist das T5 agreement (T5), mit dem ein konstruktives Klima für den Bau des Flughafen Terminal 5 von Heathrow geschaffen wurde. Von 2002 bis 2006 wurde sehr effektiv und effizient gearbeitet, da alle Beteiligten nur auf den gemeinsamen Erfolg incentiviert wurden (target costing) wechselte der neue Besitzer das Modell auf ein klassisches Fixpreis-Partnermanagement mit Fokus auf Kostensenkungen. Die Konsequenzen wurden bald ersichtlich, die Eröffnung verzögerte sich und die nicht funktionierende Gepäckabfertigung machte T5 leider weltberühmt. Der Vorteil eines partnerschaftlichen Modells liegt in der partnerschaftlichen Vertrauensbasis, die eine höhere Effektivität und Effizienz bieten als Modelle, die sich vornehmlich rechtlich und kommerziell absichern und weniger Fokus auf das gegenseitige Vertrauen legen. Denn schliesslich können komplexe Vorhaben nur mit gegenseitigem Vertrauen erfolgreich realisiert werden.

3 2.3 Wie schneiden agile Methoden im Vergleich zu klassischen Methoden bezüglich ihren Projekterfolgen ab? Abbildung 3 Iterationen von einer bis vier Wochen Dauer schaffen ein fehlertolerantes Klima. In den durchschnittlich vier bis zehn Zyklen eines agilen Vorgehens erhält ein Projektteam viel schneller Feedback und kann schneller lernen. Solche Projekte sind grundsätzlich zielführender (effektiver) und können erfolgreicher umgesetzt werden, wie die Auswertungen im Vergleich zum traditionellen Vorgehen zeigen. 3 Zielgruppen Agile Methoden müssen von einer Organisation erlernt werden. Der Leitfaden geht davon aus, dass die Beschaffungstelle und der Anbieter fit für die Realisierung und die Projektführung eines Vorhabens mit agilen Methoden sind. Oder dass sie bereit sind, sich dafür fit zu machen, bzw. den Nachweis erbringen, agile Projekte bereits erfolgreich umgesetzt zu haben 4 Ihre Herausforderungen Sie haben mit einem der folgenden Probleme zu kämpfen und sehen in einem agilen und partnerschaftlichen Projektvorgehen einen erfolgsversprechenden Lösungsansatz: Abbruch von IT Projekten Kostenüberschreitungen der IT Projekte Zeitdruck bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben, bei der nicht alle Anforderungen vorgängig in der nötigen Qualität erarbeitet werden können oder vorliegen Ungleiche Risikoteilung zwischen Auftraggeber und Anbieter Offen bleibt für Sie jedoch die Frage, wie die dafür nötige Beschaffung und vertragliche Absicherung erfolgen soll. Dieser Leitfaden bietet Ihnen nachfolgend einen konkreten Lösungsvorschlag.

4 5 Lösungsvorschlag Damit nach der Ausschreibung ein Projektteam die richtigen Rahmenbedingungen für ein agiles Projektvorgehen vorliegen hat, müssen folgende Konzepte erarbeitet und vor, während und nach der Ausschreibung angewandt werden. 5.1 Projektstruktur Der Paradigmenwechsel in agilen Projekten erfolgt durch einen kurzen Planungshorizont von einigen Monaten statt Jahren und kurzen Zyklen resp. Iterationen, die in eins bis vier Wochen die jeweils wichtigsten Features (Funktionen) umsetzen. Heute erlauben die meisten Projekt- und Vorgehensmodelle (HERMES 5, PMI, Open UP, u.a.) iterative Elemente. Iterationen stellen jedoch erhöhte Anforderungen an die Maturität und erfordern eine intensivere Zusammenarbeit von Auftraggebern, Projektleitung, Architektur, Entwicklung usw., damit in jeder Iteration eine abgeschlossene und vom Auftraggeber abnehmbare Geschäftsfunktionalität geliefert werden kann. Anstelle der rein vertikalen Gliederung eines Projekts in zeitliche Phasen empfiehlt sich eine horizontale Gliederung in Features vorzunehmen, bei der so viele Phasen wie nötig durchlaufen werden. Zu Beginn des Vorhabens ist im Rahmen einer Studie ein Gesamtkonzept als «Big Picture» auf Stufe «WAS» in guter Qualität zu erarbeiten. Darauf folgt eine kurze aber intensive Design- Phase «WIE», um eine saubere Grundlage für die ersten Iterationen bereitstellen zu können. Die darauf folgende Realisierungs-Phase, die in horizontale Iterationen geschnitten wird, liefert dabei kontinuierlich lauffähige IT-Lösungen, die einen Geschäftsnutzen bieten. Die Prioritäten sind so zu wählen, dass Risiken reduziert oder hoher Geschäftsnutzen in früheren Iterationen bearbeitet werden. Die letzte Iteration wird mit Vorzug für Restanzen und Stabilisierungen reserviert. Abbildung Der Mehrwert von Iterationen Das Projekt und die vom Projekt betroffene Organisation lernen laufend, die Komplexität wird dank der verbesserten Transparenz sichtbar und erfahrbar gemacht. Das Projektteam und die Führung können in dieser fehlertoleranten Umgebung effektiver und effizienter Konzipieren und Realisieren, en, weil in den Folgeiterationen korrigiert werden kann. Dank den früheren ren Feedbacks aus der Organisation verbleiben noch Iterationen um auf Unvorhersehbares reagieren zu können. 5.3 Beschaffungsmodell Um den oben beschriebenen agilen Ablauf umsetzen zu können, könnte die Beschaffung folgendermassen gestaltet werden:

5 1. Es wird ein Lastenheft «WAS» erstellt und mit den Konzepten aus dem agilen Vertragsmodell (siehe agile.agreement) abgestimmt, damit diese in den Anforderungen integriert werden können. 2. Die geeigneten Anbieter auswählen. Dies erfolgt über die Beschaffung mit einem selektiven Verfahren. Ziel dieses Beschaffungsschrittes ist, die Anzahl der Anbieter überschaubar zu halten und sensitive Informationen nur den 3 bis 5 bestgeeigneten Anbietern zugänglich machen zu müssen. 3. Erarbeiten des Pflichtenhefts «WIE» durch die selektierten Anbieter und evtl. Nachweis der technischen Fähigkeiten und der Zusammenarbeitsformen mit dem Projektteam durch einen PoC (Proof of Concept). 4. Der Zuschlag umfasst einen Grundauftrag (z.b. Setup und erstes Feature-Set) und alle weiteren Optionen (z.b. die noch nicht detaillierten Anforderungen, weitere Feature- Sets, usw.). Damit kann die Beschaffungskonformität weiterhin bewahrt und gleichzeitig die nötige Flexibilität für ein agiles Vorgehen eingeräumt werden. Es gibt auch die Praxis, weitere freihändige Zuschläge in diesem Kontext anzukündigen. 5.4 Das agile.agreement das Vertragsmodell Dieses Vertragsmodell fördert und nutzt, im Gegensatz zu traditionellen Verträgen, die Prinzipien und Vorteile von agilem Vorgehen. Gleichzeitig vermag das agile.agreement es aber auch, einen festen Kostenrahmen und fixen Liefertermin zu definieren, zu steuern und letztendlich einzuhalten. Dazu stehen eine Reihe von Vertragsmechanismen zur Verfügung, die gemeinsam (Auftraggeber und Lieferant) angewendet werden müssen: Steuerung des Leistungsumfangs: Was bringt die jeweilige Anforderung wirklich? Eine Anforderung muss einen echten Geschäftswert bieten, andernfalls ist sie überflüssig. Überflüssiges wird radikal angegangen, indem der Leistungsumfang ständig vereinfacht kompensiert reduziert eliminiert wird. Umgang mit Unsicherheit: Unsicherheit gehört zu jedem Projekt. Essentiell jedoch ist, dass man sie transparent macht und gemeinsam festgelegt, wie man damit umgehen will. Dafür wird ein zusätzlicher Rucksack (safety charge) definiert, der nur für zukünftige Änderungen reserviert ist. Ein entsprechender Mechanismus stellt sicher, dass der safety charge auch bis zum Ende des Projekts ausreicht. Umgang mit Risiken: Auch diese gehören zu jedem Projekt und der Umgang damit, insbesondere wenn sie wirtschaftliche Auswirkungen haben, muss geregelt sein. Eine faire Verteilung bei Eintritt eines Risikos gilt es gemeinsam festzulegen. Förderung einer schnellen Umsetzung: Um eine möglichst rasche resp. zielführende Projektfertigstellung erreichen zu können, wird insbesondere dieses Ziel, bei Erfolg incentiviert. Sicherung der Kostenwahrheit: Eine zu Beginn des Projekts erstellte Aufwandsschätzung (SOLL) durch den Beschaffer soll zu ab der Realisierung periodisch mit dem IST plus Restaufwand überprüft werden. Ziel ist eine möglichst rasche Ermittlung der effektiven Kosten (Wahrheit), um auf die daraus gewonnen Erkenntnisse gemeinsam reagieren zu können. 5.5 Der agile.codex das partnerschaftliche Kooperationsmodell Das Prinzip der partnerschaftlichen Kooperation beinhaltet zwölf Grundsätze, die eine optimale Zusammenarbeit in einem agilen Projekt fördern. Gemeinsam (Auftraggeber und Lieferant) ist zu beschreiben, wie der jeweilige Grundsatz erfolgreich erreicht werden kann. Gleichzeitig legen diese Grundsätze auch die Mitwirkungspflichten der jeweiligen Parteien fest. 1. Alles geht ums Liefern 2. Offen für Änderungen 3. Liefere in Iterationen 4. Aktive Zusammenarbeit

6 5. Vertraue dem Einzelnen 6. Kommuniziere von Angesicht zu Angesicht 7. Nur funktionierende Software zählt 8. Nachhaltige Entwicklungsgeschwindigkeit 9. Qualität ist eine Geisteshaltung 10. Keep it simple & stupid (KISS) 11. Selbstorganisation fördert Produktivität und Innovation 12. Lerne aus der Vergangenheit 5.6 Vertragsverhandlungen nach dem agile.agreement Nach der Ausschreibung finden die Evaluation und die Vertragsverhandlung statt. Das agile.agreement beschreibt die benötigten Elemente um ein auf agiler Projektführung basierendes Vorhaben vertraglich sichern zu können, ohne die Flexibilität der Agilität aufgeben zu müssen. 5.7 Projektführung im Rahmen des agile.agreement Die Projektdurchführung stellt nun sicher, dass die vertraglichen Ziele des Grundauftrags sowie die Optionen partnerschaftlich und agil durchgeführt werden. Die Auftraggeber werden laufend im Rahmen der agilen Interaktionen in den Projektfortschritt involviert und können anhand der Feedbacks aus der Organisation und evtl. technischen Herausforderungen für jede Iteration die Prioritäten justieren. Im Zentrum steht das partnerschaftliche Kooperationsmodell (agile.codex), das die Mitwirkungspflichten beider Parteien (Auftraggeber und Lieferant) festlegt. Das agile.agreement hilft so den Leistungsumfang, den Umgang mit Unsicherheiten und Risiken unter Sicherung der Kostenwahrheit und der Förderung einer schnellen Umsetzung auszubalancieren. 6 Community zum Thema Beschaffungen von agilen IT Projekten Möchten Sie weitere Unterlagen zum diesem Thema einsehen, der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen oder mit uns und Gleichgesinnten über das Thema diskutieren? Treten Sie unserer Community auf dem folgenden Portal bei: Auf dem Portal sind die aktuellen Kontaktpersonen genannt. Jährlich werden zudem Informationsveranstaltungen organisiert. Die entsprechenden Ankündigungen entnehmen Sie dem swissict Newsletter (Registrierung: