Briefe vom Eichhorn an die Ameise
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- Helmut Kranz
- vor 6 Jahren
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Transkript
1 dtv Reihe Hanser
2 Eines Tages schreibt Eichhorn einen Brief an seine Freundin, die Ameise. Der Brief klettert von der Buche herunter, läuft durch den Schnee und klopft an das Fenster der Ameise. Setz dich", sagt die Ameise. Möchtest du etwas Süßes?" Das klingt gut, und so schreibt die Ameise etwas Süßes oben auf den Brief und etwas Warmes unten auf den Brief. Nach einer Weile kehrt der Brief wieder zu Eichhorn zurück. Als er ihn gelesen hat, bittet er den Brief, ihn unters Kopfkissen legen zu dürfen. Diese und 25 weitere Briefgeschichten erzählen mit Witz und Fantasie von Freundschaft und Fürsorge. Toon Tellegen, geboren 1946, wird in seiner Heimat Holland von Kindern und Erwachsenen mit Begeisterung gelesen. In der Reihe Hanser erschien bereits sein Buch,Richtig dicke Freunde' mit Illustrationen von Wiebke Oeser (dtv 62061). Axel Scheffler, geboren 1957 in Hamburg, lebt und arbeitet in London. Er zählt international zu den bekanntesten und erfolgreichsten Illustratoren aus Deutschland.
3 Toon Teilegen Briefe vom Eichhorn an die Ameise Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler Mit Bildern von Axel Scheffler Deutscher Taschenbuch Verlag
4 Die Übersetzung wurde gefördert vom Ncdcrlands Literair Produktie- en Vertalingenfonds in Amsterdam. Das gesamte lieferbare Programm der Reihe Hanser und viele andere Informationen finden Sie unter Ungekürzte Ausgabe In neuer Rechtschreibung 3. Auflage Juli 2007 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München für den Text: 1996 Toon Tellegen für Illustration und Gestaltung: 2000 Albin Michel Jeunesse, Paris Die Texte wurden entnommen aus:,brieven aan niemand anders.` (Em. Querido's Uitgeverij, Amsterdam, 1996) 2001 der deutschsprachigen Ausgabe: Carl Hanser Verlag München Wien Umschlaghild: Axel Scheffler Satz: Lihro, Kriftel Druck und Bindung: Firmengruppe APPL, aprinta druck, Wemding Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in German.y ISBN
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7 Liebe Schnecke, darf ich Sie einladen, einmal mit mir zu tanzen, und zwar oben auf Ihrem Haus? Nur ein paar Schritte? Das ist mein größter Wunsch. Ich werde sehr vorsichtig sein, damit wir nicht durch Ihr Dach brechen. Das verspreche ich. Aber ganz sicher kann man natürlich nie sein. Elefant 7
8 Lieber Elefant, vielen Dank für Ihren Brief. Später möchte ich bestimmt einmal mit Ihnen auf meinem Dach tanzen. Da bin ich mir fast sicher. Ich glaube, dass ich sehr gut tanzen kann. Aber vorläufig passt es mir leider nicht so gut. Schnecke
9 Eines Tages, im Winter, schrieb Eichhorn einen Brief an die Ameise: Liebe Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, liebe Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, Ameise, liebe Ameise, liebe Ameise, Ameise. Eichhorn Das war ein seltsamer Brief und Eichhorn wusste nicht, warum er ihn geschrieben hatte. Aber er zog dem Brief eine Jacke an und setzte ihm eine Mütze auf, denn es war kalt. Er erklärte ihm, wie er gehen musste, und machte die Tür auf. Der Brief trat vorsichtig hinaus, kletterte die Buche hinunter, lief durch den Schnee und klopfte ans Fenster der Ameise. Wer ist da?", fragte die Ameise. Der Brief', sagte der Brief.
10 Der Brief?", sagte die Ameise und machte erstaunt die Tür auf. Ich bin für Sie", sagte der Brief. Er machte eine kleine Verbeugung und nahm die Mütze ah. Die Ameise betrachtete ihn von allen Seiten und öffnete ihn vorsichtig. Ich werde dich erst mal lesen", sagte sie. Das ist gut", sagte der Brief. Als die Ameise den Brief gelesen hatte, rieb sie sich die Hände und sagte: Setz dich, Brief, setz dich. Möchtest du irgendwas?" Na ja", sagte der Brief zögernd. Das weiß ich eigentlich nicht." Etwas Süßes?", fragte die Ameise. Das ist gut!", sagte der Brief und raschelte vor Vergnügen. 10
11 Die Ameise nahm ihren Stift und schrieb etwas Süßes oben auf den Brief und nach einigem Nachdenken auch etwas Warmes unten auf den Brief. Sie selbst nahm ein bisschen Honig. Der Brief knisterte vor Vergnügen und seine Ecken bogen sich um. Lange saßen sie beieinander und die Ameise stand ab und zu auf und schrieb etwas auf den Rand des Briefes. Als es dunkel wurde, verabschiedete sich der Brief. Es schneite und langsam stapfte er durch den Schnee zurück zur Buche, stieg hinauf und schob sich selbst unter Eichhorns Tür durch. So, so", sagte Eichhorn. Du bist wieder da." Ja", sagte der Brief, und während sich Eichhorn über ihn beugte, erzählte der Brief ihm alles, was er bei der Ameise erlebt hatte, und schließlich auch das, was die Ameise von ihm, von Eichhorn hielt. Was denn?", fragte Eichhorn. Lies doch", sagte der Brief. Eichhorn las, und als er den Brief ausgelesen hatte, fragte er ihn, ob er ihn unter sein Kopfkissen legen dürfe. 11
12 12 Das ist gut", sagte der Brief. Draußen stürmte es, Eichhorns Haus knarrte und die Schneeflocken fielen immer dichter. Die Welt wurde weißer und weißer. Aber Eichhorn und der Brief wussten das nicht. Sie schliefen und träumten von Worten und von süßer Tinte.
13 Eichhorn, ich gehe weg und komme nie mehr zurück. Du denkst natürlich: Ja, ja, das sagt sie immer. Aber jetzt ist es wirklich so! ICH KOMME NIE MEHR ZURÜCK. Wenn du hier wärst, würdest du sehen, wie ich diesen Brief schreibe. Mit großer Entschiedenheit So heißt das. Mit großer Entschiedenheit teile ich dir mit, dass ich weggehe und nie mehr zurückkomme. Mein Entschluss steht fest. Wenn dieser Brief fertig ist, ziehe ich los. Wenn du diesen Brief liest, bin ich schon weit weg. Wenn du mir noch etwas mitgeben willst für unterwegs, muss es sofort sein. Sonst ist es zu spät. Honig oder so. Aber keinen großen Topf. Den kann ich ja nicht tragen. Nur wenn es Rahmhonig ist, darf es ruhig ein großer Topf sein, denn aus einem großen Topf kann ich zwei kleinere machen. 13
14 14 Oder ein Kistchen Puderzucker, das geht auch. Jedenfalls sollte es was Süßes sein. Bevor ich weggehe, komme ich noch kurz vorbei und hole es ab. Und wenn es doch zu groß ist zum Mitnehmen, dann ist das nicht schlimm. Dann essen wir so viel, bis es klein genug ist. Zu klein ist schlimmer. Denn was kann man tun, wenn etwas zu klein ist? Aber danach, Eichhorn, danach gehe ich weg... Bis gleich. Ameise
15 Eines Morgens, früh im Sommer, wurde ein Briefchen unter Eichhorns Tür durchgeweht. Eichhorn, ich bin auf dem Weg zu dir. Aber ich habe mich verirrt. Elefant 15
16 Leib Eichhorn las den Brief ein paar Mal, dachte lange nach und schrieb dann: Elefant, wo hast du dich verirrt? Eichhorn Das ist eine seltsame Frage, dachte Eichhorn. Aber ihm fiel nichts Besseres ein und er schickte den Brief fort. Nicht lange danach kam ein Brief zurück. Eichhorn, in einem Baum. Elefant Als Eichhorn diesen Brief gelesen hatte, schaute er aus dem Fenster und sah den Elefant oben auf der Spitze der Eiche schwanken. Schnell schrieb e Elefant, warte einen Moment. Ich komme gleich. Eichhorn 16
17 Aber dieser Brief erreichte den Elefanten erst unterwegs von der Eiche nach unten und er las ihn gerade noch, bevor er mit einem enormen Krachen auf dem Boden landete. Kurz darauf schlug er die Augen auf und zählte mit seinem Rüssel die Beulen auf seinem Kopf. Eins, acht, hundert, zählte er. Durch den Sturz war er zu benommen, um richtig zu zählen. Eichhorn beugte sich über ihn. 17
18 18 Ich war auf dem Weg zu dir", flüsterte der Elefant. Ja", sagte Eichhorn. Er setzte sich neben den Elefanten ins Gras. Ich wollte...", stöhnte der Elefant. Möchtest du mit mir tanzen?" Eichhorn schwieg. Möchtest du nicht?", fragte der Elefant und drückte sein Gesicht in den Boden. Doch", sagte Eichhorn. Ich will schon." Sehr vorsichtig zog er den Elefanten hoch. Sie legten sich gegenseitig einen Arm um die Taille und fingen an zu tanzen. Es war eigentlich mehr ein Schwenken als ein Tanzen, denn der Elefant bekam seine Füße nicht hoch. Aber er war sehr glücklich und rief ab und zu fröhlich: Au!"
19 Eichhorn saß an seinem Tisch und wollte einen Brief schreiben. Aber er wusste nicht, an wen. Lieber... schrieb er schon einmal. Dann dachte er gründlich nach und legte seinen Stift hin. Ein leichter Wind kam auf. Das Fenster stand offen und das leere, weiße Blatt Papier raschelte ungeduldig. Ja, ja, Brief, dachte Eichhorn. Mir fällt bestimmt gleich jemand für dich ein. Er runzelte die Augenbrauen und dachte plötzlich: Kann man eigentlich auch einen Brief an einen Brief schreiben? Das war ein seltsamer Gedanke. Es war, wie wenn man sich im Schlaf auf die Schulter schlägt und sagt: Eichhorn... nicht schlafen... Seine Gedanken knarrten und stolperten übereinander. Er dachte: Die Ameise sagt, man kann an jeden einen Brief schreiben, sogar an den Regen oder an eine Hitzewelle oder an die Nacht. Er nahm seinen Stift wieder in die Hand und schrieb: 19
20 Lieber Brief, ich bin Eichhorn. Aber das weißt du natürlich schon. Es ist sehr seltsam, an dich zu schreiben, denn du wirst immer größer, während ich schreibe. Und wenn ich neu anfange, bist du auf einmal wieder ganz klein. Deshalb weiß ich nicht, wie du genau bist. Übrigens, was ist genau? Er härte kurz auf zu schreiben. Das ist schon ein sehr komischer Brief, dachte er. Er kniff die Augen zu. Wie soll ich ihn eigentlich schicken? Und wie wird der Brief sich selbst lesen? Zusammengefaltet? Oder glatt 20
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