FORUM AM SONNTAG. Heute bleibe ich bei mir Über die Fähigkeit, allein zu sein Von Doris Weber. Sonntag, 22. April 2018, Uhr und 17.

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1 FORUM AM SONNTAG Sonntag, 22. April 2018, Uhr und Uhr Heute bleibe ich bei mir Über die Fähigkeit, allein zu sein Von Doris Weber Redaktion: Florian Breitmeier Norddeutscher Rundfunk Religion und Gesellschaft Rudolf-von-Bennigsen-Ufer Hannover Tel.: 0511/ Unkorrigiertes Manuskript - Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.

2 O-Ton (Dagmar Borchers): Ich bin gern allein. Ich bin immer gern allein gewesen. Schon als Jugendliche. Ich weiß, dass ich in der Abiturzeit stundenlang spazieren gegangen bin, dass mir das richtig ein Bedürfnis war. Wo man auch gut allein sein kann, das ist beim Joggen. Eine wunderbare Form des Alleinseins. Man kann in die Gegend gucken. Und Musik hören alleine finde ich auch schön. Es gibt viele, viele Sachen, die man allein machen kann, um zur Ruhe zu kommen. Das hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. Dagmar Borchers lehrt Philosophie an der Universität Bremen. Alleinsein ist für sie ein beglückender Zustand. Zur Ruhe kommen. Alle Reize abschalten. Für eine gewisse Zeit keinen Menschen um sich zu haben. Das ist wunderbar: O-Ton (Dagmar Borchers): Erfahrungen des zur Ruhekommens, sich Kennenlernens, seine Gedanken fließen lassen, Ideen haben, sich mit Dingen auseinandersetzen. Auch natürlich Stimmungen aushalten, die man hat und denen man ja so gut entfliehen kann, wenn man eben nicht allein ist. Das hat Heidegger ja so schön beschrieben in Sein und Zeit, dass wir eigentlich immer eine Tendenz haben, bestimmten Stimmungen, Erkenntnissen, Einsichten auszuweichen, dass wir, wenn wir allein sind, diese Flucht nicht mehr machen und in diesem Erfahrungsraum ankommen weil man eben Erfahrungen machen kann, die man nur allein mit sich machen kann. Wer allein ist, ist auch im Geheimnis, immer steht er in der Bilder Flut, ihrer Zeugung, ihrer Keimnis, selbst die Schatten tragen ihre Glut. Gottfried Benn liebte das Alleinsein. Den Rückzug in die Welt seiner eigenen Gedanken. Das war für ihn eine Voraussetzung für schöpferische Tätigkeit. In diesem Sinne ist Alleinsein eine Lebenskunst, die schon in der Antike gerühmt wurde. Aristoteles bezeichnet den Menschen zwar als ein soziales Tier, dennoch fordert er, in dem Wechselspiel zwischen Innenwelt und Außenwelt, zwischen dem öffentlichem Diskurs und intimer Zwiesprache mit sich selbst, eine Balance zu finden. Die Fähigkeit, allein zu sein, ist für Aristoteles eine Lebensaufgabe, die immerwährend geübt werden sollte. O-Ton (Dagmar Borchers): Ich glaube, dass Menschen, die nicht allein sein können, auch nicht wirklich gut mit andern Menschen zusammen sein können. Denn in der Fähigkeit, mit sich allein zu sein, liegt auch Freiheit, und wenn man diese Freiheit nicht hat, dann ist man ja mehr oder weniger gezwungenermaßen mit andern Menschen zusammen als Getriebener, und das ist ein Moment von Unfreiheit, von Zwanghaftigkeit im Zusammensein mit 2

3 anderen Menschen, und das ist auch Abhängigkeit. Und Abhängigkeit als Grundlage von Beziehung ist immer problematisch. Guten Tag. Darf ich sie etwas fragen? Wie war es, als Sie heute Morgen in den Spiegel schauten? Wer blickte Ihnen da entgegen? Kannten Sie den oder die? Ich weiß, das ist ein abgedroschener Scherz, aber wie so oft bei solchen Dingen ist ja auch was Wahres dran. Merkwürdig ist es schon, eine erschreckende Erfahrung sogar, sich selbst fremd zu sein, gänzlich fremd. Vielleicht weil die tiefen Ringe unter den Augen auf Abgründe verweisen, von denen wir nichts wissen wollen, ohne sie im Moment der Besinnung völlig leugnen zu können. Der Mann, der solche unangenehmen Fragen stellt, heißt Wilhelm Schmid, ein Philosoph der Lebenskunst. Er sagt: Wer sich selbst nicht mag, wer seinen eigenen Launen und Stimmungen wenig Verständnis entgegen bringt, der kann nicht mit sich allein sein, weil er es bei sich selbst nicht aushält. In diesem Fall, empfiehlt der Philosoph, hilft nur eines: der konsequente Rückzug in das eigene Ich, ein klärendes Selbstgespräch unter zwei Augen. Alleinsein ist jetzt angesagt. Ruhe. Langsamkeit. Kein Stimmengewirr, das von draußen in uns eindringt. Sich im eigenen Inneren aufsuchen und bei sich bleiben. Das Selbstgespräch hat Vorrang vor dem Gespräch mit allen anderen. Diese Freundschaft mit sich selbst gehört zu den vortrefflichsten Gütern, die ein Mensch erwerben kann, denn sie trägt wesentlich dazu bei, dass wir es gut mit uns aushalten. Heute gehe ich nicht aus. Heute bleibe ich bei mir, dort, wo ich mich zu Hause fühle. Wehe dem, der sich fremd in seinem eigenen Hause fühlt. Er hat nichts mehr, wohin er sich zurückziehen kann, er verletzt die Freundschaft mit sich selbst, seinem teuersten Freund, und das könnte sich bitter rächen, denn es gibt Augenblicke, in denen der Umgang mit dem eigenen Ich der einzig tröstliche ist. Wir müssen eine positive Selbstbezogenheit kultivieren, fordert Heiko Ernst in seinem Beitrag Ganz bei sich sein in der Zeitschrift Psychologie Heute. Die Rehabilitation des Alleinseins steht an. Heiko Ernst nennt dafür gewichtige Gründe: Ohne die Gelegenheit und ohne die Fähigkeit in uns zu gehen und von Zeit zu Zeit für sich und ganz bei sich zu sein, können wir kein stabiles Selbst entwickeln. Das Alleinseinkönnen ist die notwendige Voraussetzung für Selbsterkenntnis und Selbstregulierung, für seelisches Wachstum und Kreativität. Mehr noch: Gute und dauerhafte Beziehungen gelingen nur, wenn wir unser tief verwurzeltes Bedürfnis nach Gemeinschaft und Kontakt in Balance bringen zur ebenso wichtigen Alleinzeit. Ein Mangel an Alleinzeit macht uns auf lange Sicht unzufrieden, unglücklich und krank. Viele Zeitkrankheiten allen voran Depressionen und Hyperaktivität entstehen, weil wir permanent von den Wünschen und Zumutungen der Mitmenschen umzingelt sind. Aus Erschöpfung und Zeitmangel kommen wir nicht mehr dazu, uns mit uns selbst zu beschäftigen. 3

4 Alleinzeit nennt Heiko Ernst den gesunden Zustand des Alleinseins, den der moderne Mensch dringend benötigt, damit seine Persönlichkeit nicht verkümmert. Wir leben heute im online-modus, schreibt Heiko Ernst weiter, wir sind ständig erreichbar und vernetzt, wir verweigern die Arbeit der Selbsterkenntnis und meiden die Konfrontation mit unseren wahren Gefühlen. Lieber fliehen wir in die Geschäftigkeit, sind rastlos auf der Suche nach neuen Reizen. Der Sozialpsychologe Kenneth Gergen hat für die Befindlichkeit des Stand-by-Menschen, der immer und allem jederzeit zur Verfügung steht, den Begriff des übersättigten Selbst geprägt. Die schier unbegrenzten Kontaktmöglichkeiten der Kommunikationsgesellschaft wollen genutzt sein und vernichten Lebenszeit und Lebensgefühl. Selbst auf dem einsamsten Gipfel kramt der Bergsteiger sein Handy aus dem Rucksack, um seinen Leuten daheim zu berichten, dass er nun auf einem Felsen sitzt. Als ich vor ein paar Wochen durch eine gewaltig schöne Schlucht auf Kreta wanderte, sagte ein Freund zu mir: diesen Weg kann man nur mit Andacht gehen. Es war eine heilige Stille, Adler kreisten lautlos über unseren Köpfen. Wir setzten uns auf einen Felsen und verharrten stumm in dieser grandiosen Landschaft. Es gibt Augenblicke, in denen sich das Sprechen verbietet, weil nur in der Stille der Klang der Welt zu hören ist. Wir schwiegen. Wir waren ganz bei uns. Fünf Minuten oder fünf Stunden, ich weiß es nicht mehr. An diesem Ort war Ewigkeit - bis einer kam und alles zerstörte. Einer dieser geschwätzigen Selbstredner latschte durch die Schlucht und brüllte: Waas, hörst Du mich? Ich bin hier in so einem verfluchten Loch, warte mal, ich klettere ein bisschen höher, dann habe ich wieder ein Netz... Er stolperte grußlos an uns vorbei und verunreinigte diesen für uns gesegneten Ort mit seinem akustischen Müll. Warum scheuen wir das Alleinsein und sehnen uns gleichzeitig danach? Eine Antwort darauf mag sein, dass mit dem Alleinsein die beängstigende Vorstellung vom sozialen Ausgestoßensein und schmerzender Einsamkeit verbunden ist. Es lohnt sich, diese falsche Sicht zu revidieren und die Furcht vor dem Alleinsein zu überwinden, denn gerade die Selbstbesinnung, die bewusste Betrachtung des eigenen Innenlebens, ermächtigt uns, ein autonomes Individuum zu werden. Studien weisen darauf hin, dass die Anfälligkeit für Sekten, autoritäre Führer und Personen, die manipulieren und Missbrauch mit der Psyche anderer treiben, umso größer ist, je geringer die Fähigkeit ausgebildet wurde, sich mit sich selbst und den eigenen Gefühlen zu beschäftigen. Ein Mensch, der bei sich ist, hat Kontrolle über sich, ist mit sich eins. Ein Mensch, der außer sich ist, ist trostlos, gar untröstlich und benötigt Trost durch die anderen. Er ist einsam, sagt Rolf Haubl, Professor für Soziologie in Frankfurt. Ein Ziel der Lebenskunst ist es deshalb, das eigene Leben so zu führen, dass man bei sich bleibt, sich nicht verliert, zumindest nicht dauerhaft, sondern immer wieder zu sich findet; dass man Alleinsein sucht und Einsamkeit meidet. Aber wie findet ein Mensch dauerhaft diesen Trost bei sich selbst? Rolf Haubl spricht aus eigener Erfahrung: 4

5 O-Ton (Rolf Haubl): Ich bin ein Großmutterkind. Meine Großmutter ist für mich eine der zentralen Personen gewesen und es gibt bis heute, obwohl sie lange, lange, lange tot ist, Momente, wo ich, wenn ich in dieser Weise trostbedürftig bin, mich an Situationen erinnere, die für mich prägend geworden sind, die mit meiner Großmutter verbunden sind. Das ist nicht etwas, was ich in dem Sinne bewusst aufrufe, sondern in solchen Situationen fallen mir über-raschenderweise solche Situationen ein und wo das der Fall ist, da sagen wir, wir treten in Kontakt mit unseren guten inneren Objekten. Und Menschen, die das nicht haben, die nicht auf solche Objekte zurückgreifen können, die eine Lebensgeschichte haben, wo es niemals ein solches Objekt gegeben hat, die sind tatsächlich in einer existentiellen Art und Weise einsam, und zwar eben auch dann, wenn sie in Gesellschaft sind, weil diese inneren Bilder, die lassen sich nicht einfach durch äußere Geselligkeit ersetzen. Doch ein Mensch, der ohne diese inneren Bilder aufgewachsen ist, muss nicht zwangsläufig zur lebenslänglichen Einsamkeit verurteilt sein. Immer ist Anfang. Dieser Satz gilt. Im Laufe eines Lebens ereignen sich vielleicht liebende Begegnungen, die eine Kindheitsgeschichte relativieren. Und auch in therapeutischen Prozessen kann es zu heilsamen Erfahrungen kommen, bei denen sich tröstende innere Bilder entwickeln. Wer diese inneren Bilder aufrufen kann, der ist vielleicht allein aber nicht einsam, sagt der Sozialpsychologe Rolf Haubl, denn er verfügt über die Fähigkeit, vereinzelt zu sein, ohne sich unerträglich einzeln zu fühlen. O-Ton (Rolf Haubl): Wir wissen dank des genialen Kinderanalytikers Donald W. Winnicott, wie diese Fähigkeit des Alleinseins sich entwickelt, wovon sie abhängt. Man könnte sagen: Nur Menschen, die von früh an die Erfahrung gemacht haben, dass sie sicher gebunden sind, dass sie auf eine Welt getroffen sind, die sie erwartet hat, wo die Eltern und die anderen Erwachsenen in der Lage waren, die eigenen Bedürfnis zu verstehen und adäquat zu befriedigen, nur dadurch entsteht eine Sicherheit, die es mir erlaubt in die Welt hinauszugehen, die Welt zu explorieren, die Welt mir anzugucken, auch Risiken einzugehen und vor allem ermöglicht es mir, mit mir selbst zu sein, bei mir zu sein unabhängig von den andern. Eine klassische Situation: Das kleine Kind spielt. Die Mutter ist zwar anwesend, jedoch räumlich deutlich von ihm entfernt. Es ist ganz bei sich, versunken in seine Handlung, es nimmt die Außenwelt nicht war. Hat Zeit und Raum vergessen und sich selbst. O-Ton (Rolf Haubl): Ein Kind, was von früh an verunsichert ist, was von früh an seine Welt erlebt, als eine, die nicht auf es gewartet hat, sondern die permanent seine Bedürfnisse falsch versteht und falsch befriedigt, dieses Kind ist so innerlich in Panik, es ist innerlich so außer sich, dass es nicht in der Lage ist, allein für sich zu spielen. Solche Kinder sind die, die permanent zur Mutter gucken. Was hält jetzt wohl die Mutter davon, was ich mache?... 5

6 dann sieht man Mütter, die ihre Kinder von vorne herein mit einem evaluierenden bewertenden Blick anschauen: spielt das Kind gut? Ist das, was es da macht, womöglich auch für seine spätere Karriere förderlich? Dann greift sie womöglich ein und gibt dem Kind für sein spielen Ziele vor, die das Kind eigentlich gar nicht hat. Und wenn ein Kind permanent in der Kontinuität seines Seins, wie Winnicott das nennt, unterbrochen wird, dann erlernt es eben nicht, allein zu sein. Es lernt, permanent darauf zu gucken, wie die andern das finden, was ich gerade tue. Einsame Menschen tragen Masken, hinter denen sie ihre Angst verbergen, von den anderen nicht anerkannt zu werden. Es sind die bunt geschminkten Gesichter einer Eventgesellschaft, in der man sprüht vor Vergnügen, gesellig ist, kommunikativ, fit und stets in Partylaune. Heute spricht man von dem Phänomen des Massenindividualismus. Das Leben als Großveranstaltung, dabei sein ist alles. Wer hingegen bei sich sein will, wer sich zurückzieht, Aus- und Alleinzeiten sucht, gilt schnell als versponnen, introvertiert, als merkwürdiger Eigenbrötler. O-Ton (Rolf Haubl): Und nun könnte man ganz deutlich machen, dass wir in einer spätmodernen Gesellschaft leben, die sehr stark durch Beschleunigungsprozesse charakterisiert ist. Alles muss in immer kürzerer Zeit zu einem Ergebnis führen. Und da könnte die Psychoanalyse ganz altmodisch sagen, das ist aber womöglich für ganz viele eine Überforderung, weil wir alle so etwas haben wie unser Eigen-Tempo, unsere eigene Zeit. Und wenn diese Eigen-Zeit nicht realisiert wird, wenn wir in unseren Entwicklungsprozessen zu sehr beschleunigt werden, wenn es Normtabellen gibt, ab wann ein Kind trocken zu sein hat, ab wann es aufstehen kann und die ersten Worte sprechen kann, dann wird eine Normalisierung betrieben, die aber auf Beschleunigung setzt. Und diese Fähigkeit, allein zu sein, ist auch eine Fähigkeit, das Leben zu entschleunigen. Das ist auch eine Fähigkeit, die damit verbunden ist, die nennen wir Gelassenheit Rolf Haubl berichtet in diesem Zusammenhang auch von dem Glück, allein sein zu können. Es ist ein Glück, sich jederzeit aus dem Getriebe der Welt zurückziehen zu können, innere Räume aufsuchen zu können, in denen ich den Erwartungen der anderen nicht ausgesetzt bin oder diese für eine kurze Zeit zurückweise. Es ist ein Glück, in Distanz treten zu können zu dem, was mich tagtäglich fordert, was mich schiebt und womöglich überfordert. Menschen, die gut mit sich allein sein können, haben die Freiheit, den Übergang von Vereinzeltsein und Geselligsein selbst zu gestalten. Mit dieser Fähigkeit sind weitere Fähigkeiten verbunden, die auch als Tugenden gelten. Allen voran die Gelassenheit und die mit ihr verschwisterte Geduld. Wer Geduld hat, sagt Rolf Haubl, kann warten. Der Gelassene fühlt sich nicht gezwungen, sofort auf jeden Reiz zu reagieren, sondern nimmt sich Zeit, um die Dinge zu sondieren und sich zu besinnen. Wer gelassen ist, trägt in sich auch die Gewissheit, soziale Anerkennung zu erhalten und diese nicht zu verlieren, auch wenn er sich erlaubt, seine eigenen Orte aufzusuchen, in denen er ganz bei sich sein kann. Und 6

7 schließ-lich, wer gelassen ist, kann auch andere lassen, so, wie sie sind. Man fühlt sich wohl in der Gegenwart eines Menschen, der gut mit sich allein sein kann: O-Ton (Rolf Haubl): Man könnte sagen, der ist in der Art und Weise, wie er kommuniziert, freier. Er wird die Möglichkeit haben, unkonventionell zu kommunizieren, er wird die Möglichkeit haben, kritisch zu sein, er wird die Möglichkeit haben, es länger auszuhalten, mit anderen in Differenz zu sein. Das sind alles Fähigkeiten, die man ihm zuschreiben kann jemand der allein ist, hat auf dem Hintergrund dieser inneren Bilder auch die Gewissheit, dass Konfliktstrecken enden, dass es einen Punkt geben wird, wo er sich selbst wiederfinden kann, während jemand, der einsam ist, der hat diese von Angst und Panik besetzte Vorstellung, dass er eben die anderen verlieren wird, oder dass er die anderen überhaupt nicht erreicht. Und was er in der Regel ausblendet ist dieser Mechanismus; dass er dadurch die anderen überhaupt erst vertreibt. Und der Einsame ist in diesem Sinne asozial, weil er die Sozialität nur in einer einzigen Art und Weise verstehen kann, nämlich, von andern bewertet zu werden und darauf getrimmt zu werden, so zu sein, wie die andern es wollen. Diese Fähigkeit, sich zurückzuziehen, ist eine Fähigkeit, im eigenen Innenleben immer wieder Suchprozesse in Gang zu setzen, wo man auf solche positiven Erfahrungen kommt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Einsam ist jeder Busch und Stein. Kein Baum sieht den andern. Jeder ist allein. Voll von Freunden war mir die Welt. Als noch mein Leben licht war, Nun, da der Nebel fällt, Ist keiner mehr sichtbar. Ein Gedicht von Hermann Hesse, das uns lehrt, nichts zu beschönigen, oder, wie Rolf Haubl warnt, das Alleinsein zu idealisieren. Die Fähigkeit, allein zu sein, ist kein einmaliges Geschenk, sie bleibt eine Aufgabe, die ein Leben lang geübt werden will zuweilen unter großen Schmerzen. Doch sie kann uns beistehen, sie kann uns helfen, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, weil wir durch die Gewissheit, gut mit uns allein sein zu können, auch an Autonomie und innerer Sicherheit gewinnen. Aber sie tröstet nicht darüber hinweg, dass es Stunden gibt voll berstender Einsamkeit. Der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky nennt die Einsamkeit eine Bestie, die mit ihren Krallen das Herz zerreißt. Er hat diese dunkle Kraft leidvoll erfahren, als seine Frau Dorothee Soelle starb: O-Ton (Fulbert Steffensky): 7

8 Es ist zunächst Einsamkeit da. Krachende Einsamkeit. Ja. Das hat auch äußere Gründe, dass die Figuren des Lebens verschwinden. Früher, als ich mit meiner Frau zusammen gelebt habe, da hatte das Leben bestimmte Figuren: Wir gingen morgens um sechs Schwimmen und mittags um eins Essen. Wir sind spazieren gegangen und so weiter wenn die weg-fallen, dann kommt man zunächst in die krachende Einsamkeit. Und man geht wie ein Tier im Käfig. Das gehört zu jeder Trauer, wie ein Tier im Käfig gehen. Es kann sein, ja sicher, wenn es ein Leben mit einem Stück Fülle war, dann ist der Käfig vielleicht nicht das allerletzte, obwohl er lange bleibt. Also ich würde nicht sagen, das Leben war reich und es trägt mich jetzt über meine Einsamkeit hinweg, überhaupt nicht. Nichts trägt über den Schmerz hinweg, soll es vielleicht auch gar nicht, weil sonst die Bewältigung nicht käme oder der Schmerz entwichtigt würde. Wahrlich, keiner ist weise, Der nicht das Dunkel kennt, Das unentrinnbar und leise Von allen ihn trennt. Seltsam, im Nebel zu wandern! Leben ist einsam sein. Kein Mensch kennt den anderen, Jeder ist allein. O-Ton (Fulbert Steffensky): Und es bleibt geboren aus der Kraft des Zusammenlebens vielleicht ein Stück Fähigkeit, allein zu sein, und ein größeres Stück Wehmut, weil man weiß, wie schön es war, zusammen zu sein, nicht einsam zu sein. Es ist wahr, es bleibt die Kraft der Versöhntheit im Alleinsein. O-Ton (Dagmar Borchers): Wir sind ja im Grunde genommen allein, also im existenzialistischen Sinn. Wir müssen unser Leben allein leben, das kann uns niemand abnehmen und damit müssen wir ganz alleine klar kommen. Wir haben vielleicht Lebensgefährten, Familie, Freunde, aber im Kern sind wir natürlich allein. Und das ist die Ambivalenz aus einerseits Gesellschaft suchen, Gesellschaft haben wollen, andere Menschen dringend brauchen, und zugleich aber im Kern allein zu sein und das Leben allein bewältigen zu müssen. So bleiben wir, wie es die Bremer Philosophin Dagmar Borchers sagt: Einsame im existenziellen Sinn. Hinausgeworfene. Niemand schläft unseren Schlaf. Das Leben gestalten müssen wir ganz allein. Wir können uns jedoch ein inneres Haus einrichten, eines, in dem wir gern wohnen, in das wir frei ein- und ausgehen, in dem wir Gäste empfangen, ein Haus, in dem wir ganz bei uns selbst sein dürfen. Wenn dies gelingt, so Fulbert Steffensky, gibt es auch eine Schönheit im Alleinsein. O-Ton (Fulbert Steffensky): 8

9 Es ist ein wundervolles Bild, wenn ein Mensch sich morgens gegen die Geschäfte hinsetzt und sagt, ich bin still, ich atme Stille. Das ist eine Schönheit, ja das ist es: Nicht eine Hilfe, eine Nützlichkeit, sondern eine Schönheit, wenn ein Mensch beten kann still, still sein kann, Musik hören kann, eine Schönheit. Jede Schönheit ist eine Lebenshilfe, es ist eine Würde, die man sich anmaßt, der eigenen Getriebigkeit zu entsagen, eine Würde, die man sich anmaßt, der Geschäften zu entsagen. Das hat etwas mit Schönheit zu tun. Und Schönheit heilt immer. 9