DAS RECHT DER LEHRLINGSBESCHÄFTIGUNG. Teil 1 - Die Beendigung von Lehrverhältnissen. Dr. Andreas Gattinger
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1 DAS RECHT DER LEHRLINGSBESCHÄFTIGUNG Teil 1 - Die Beendigung von Lehrverhältnissen Dr. Andreas Gattinger April 2014
2 DAS RECHT DER LEHRLINGSBESCHÄFTIGUNG TEIL 1 Die Beendigung von Lehrverhältnissen
3 Diese Broschüre ist im WKO-Shop der WKO Oberösterreich erhältlich. T I F E wko-shop@wkooe.at W Kostenbeitrag: für Mitglieder der Wirtschaftskammern: EUR 14,50 (inkl. USt) für Nicht-Mitglieder: EUR 18,50 (inkl. USt) Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck auch auszugsweise nur mit Quellenangabe und nach vorheriger Rücksprache. Trotz sorgfältiger Prüfung der Beiträge in dieser Broschüre sind Fehler nicht auszuschließen, und die Richtigkeit des Inhalts ist daher ohne Gewähr. Eine Haftung des Verlages oder des Autors ist ausgeschlossen. Bestellnummer: ISBN: IMPRESSUM: Medieninhaber, Verleger: BgA WKO-Shop der WKO Oberösterreich Herausgeber: Service-Center der WKO Oberösterreich Hessenplatz 3, 4020 Linz Autor: Dr. Andreas Gattinger Herstellung: Graphik-Druck Neudorfhofer GesmbH, 4360 Grein Stand: April 2014
4 INHALTSVERZEICHNIS A. Einleitung... 1 B. Überblick über die Beendigungsmöglichkeiten von Lehrverträgen... 3 C. Auflösung des Lehrvertrages während der Probezeit Grundlagen zur Probezeit Schriftformgebot der Probezeitauflösung Beginn und Dauer der Probezeit Probezeit und Berufsschule Neue Probezeit bei Wechsel des Lehrberufes oder des Lehrbetriebs... 8 a) Wechsel des Lehrbetriebs... 8 b) Anderer Lehrberuf im selben Lehrbetrieb... 8 c) Verwandter Lehrberuf im selben Lehrbetrieb Diskriminierende Probezeitauflösung Meldepflichten des Lehrberechtigten Rücktritt vom Lehrvertrag D. Einvernehmliche Auflösung des Lehrvertrages Grundlagen zur einvernehmlichen Auflösung Schriftformgebot Belehrungspflicht durch Arbeitsgericht oder Arbeiterkammer... 11
5 E. Ausbildungsübertritt Ausbildungsübertritt Was ist das? Verpflichtendes Mediationsverfahren Verfahrensschritte des Ausbildungsübertritts a) Mitteilung über die Absicht einer außerordentlichen Auflösung b) Auswahl des Mediators c) Durchführung des Mediationsverfahrens d) Ende des Mediationsverfahrens e) Ausspruch der außerordentlichen Auflösung Zusammenfassung der durchzuführenden Schritte im Mediationsverfahren Stolpersteine im Mediationsverfahren a) Berechnung des konkreten Lehrmonats b) Ablehnung des Mediationsverfahrens und Widerruf c) Verlängerung des Mediationsverfahrens d) Schriftformgebote Ausbildungsübertritt des Lehrlings F. Entlassung des Lehrlings Abschließende Aufzählung der Entlassungsgründe Schriftformgebot Gebot der Unverzüglichkeit Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung Widerruf der Entlassungserklärung... 26
6 6. Entlassungsgründe a) Vertrauensunwürdigkeit und Haft b) Beleidigung, Bedrohung, Verleitung zum Ungehorsam c) Beharrliche Vernachlässigung von Pflichten d) Abträglicher Nebenerwerb, Pfusch, Geheimnisbruch e) Unbefugtes Verlassen des Lehrplatzes f) Unfähigkeit, den Lehrberuf zu erlernen g) Pflichtverletzung im Ausbildungsverbund Besonderer Bestandsschutz für Lehrlinge? a) Lehrling = Betriebsrat/Jugendvertrauensrat b) Lehrling = schwanger c) Lehrling = Zivil- oder Präsenzdiener Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Entlassung a) Wahlmöglichkeit des Lehrlings b) Wahlmöglichkeit 1 Fortbestand des Lehrverhältnisses c) Wahlmöglichkeit 2 Schadenersatzanspruch G. Vorzeitiger Austritt des Lehrlings Überblick Voraussetzungen eines rechtswirksamen Austritts Abschließende Aufzählung der Austrittsgründe Rechtsfolgen eines rechtsunwirksamen Austritts Bekanntgabe des Austrittsgrundes Zum Schriftformgebot + Gebot der Unverzüglichkeit Austrittsgründe a) Gesundheitsgefährdung... 45
7 b) Pflichtenvernachlässigung durch den Lehrberechtigten oder Ausbilder c) Inhaftierung des Lehrberechtigten d) Faktische Unfähigkeit des Lehrberechtigten zur Pflichterfüllung e) Verlegung des Betriebssitzes f) Verwendung im Betrieb der Eltern g) Aufgabe des Lehrberufes h) Pflichtverletzung im Ausbildungsverbund H. Gesetzliche Auflösungsgründe Fälle der automatischen Beendigung von Lehrverhältnissen a) Tod des Lehrlings b) Tod des Lehrberechtigten + Fehlen eines Ausbilders c) Verweigerung der Eintragung + Löschung des eingetragenen Lehrvertrages d) Vorzeitige Ablegung der Lehrabschlussprüfung e) Rechtliche Unmöglichkeit der Lehrvertragsfortsetzung Wiedererlangung der rechtlichen Fähigkeit zu Lehrlingsausbildung Faktische Unmöglichkeit der Lehrvertragsfortsetzung Entgeltanspruch des Lehrlings bei Nichtigkeit des Lehrverhältnisses... 55
8 I. Das Lehrzeugnis a) Lehrzeugnis nur auf Verlangen? b) Anspruch bei jedem Endigungsgrund? c) Inhalte des Lehrzeugnisses d) Kosten des Lehrzeugnisses J. Exkurs: Die Auswirkungen einer Insolvenz auf das Lehrverhältnis Fortbetriebsrecht des Insolvenzverwalters Insolvenz rechtliche Unmöglichkeit der Lehrvertragsfortsetzung Austrittsrecht des Lehrlings im Insolvenzfall Kündigungsentschädigung bei vorzeitigem Austritt des Lehrlings... 59
9
10 A. Einleitung Das Arbeitsrecht der Lehrlingsbeschäftigung unterscheidet sich in vielen Bereichen und Details vom Arbeitsrecht für ausgelernte Arbeiter und Angestellte. Der Grund liegt darin, dass sich der Lehrberechtigte durch Abschluss eines Lehrvertrages nicht nur zur zeitgerechten Zahlung der Lehrlingsentschädigung verpflichtet, sondern seine Hauptaufgabe im Wesentlichen in der fachlichen Ausbildung des Lehrlings liegt. Dem gegenüber besteht die Hauptpflicht des Lehrlings nicht nur in der Erbringung von Arbeitsleistungen, sondern auch in der Aneignung der Fertigkeiten und Kenntnisse des jeweiligen Lehrberufes. Der Lehrling erfüllt seine Pflichten durch Arbeitsleistungen im Lehrbetrieb sowie dem Besuch der Berufsschule. Diese dem Lehrvertrag zu Grunde liegenden Besonderheiten rechtfertigen, dass der Gesetzgeber das Arbeitsrecht der Lehrlingsbeschäftigung in einem eigenen Gesetz - dem Berufsausbildungsgesetz - verankert hat. Sind Lehrlinge minderjährig, ist darüber hinaus das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen zu beachten. Das Recht der Lehrlingsbeschäftigung wird in 4 Broschüren aufgearbeitet: Teil 1 es werden die Möglichkeiten der Auflösung eines Lehrverhältnisses, die Pflicht zur Ausstellung eines Lehrzeugnisses sowie die Auswirkungen einer Insolvenz des Lehrberechtigten auf das Lehrverhältnis dargestellt. Teil 2 es werden praxisrelevante Herausforderungen in Zusammenhang mit der Behaltezeit nach Ende des Lehrverhältnisses dargestellt. Weiters bildet die Pflicht zur allfälligen Nachlehre bei nicht anrechenbaren Fehlzeiten sowie die 1
11 Auswirkungen einer Schwangerschaft auf das Lehrverhältnis eines Lehrlings bzw. auf den Arbeitsvertrag während der Behaltezeit einen Schwerpunkt. Teil 3 Darstellung des besonderen Arbeitszeitrechts für Jugendliche. Teil 4 der letzte Teil setzt sich mit der Berufsschulpflicht und deren Auswirkungen auf das Lehrverhältnis auseinander. Abschließend erfolgt ein Überblick über die Rechtsfolgen eines Krankenstandes während der Lehrzeit. Das Recht der Lehrlingsbeschäftigung ist sehr umfang- und facettenreich. Eine abschließende Darstellung dieses Rechtsthemas ist weder möglich noch sinnvoll, weshalb der Schwerpunkt dieser Broschürenreihe darin liegt, dem Leser einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Beschäftigung von Lehrlingen zu geben. Diese Broschüre kann eine persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen, weshalb empfohlen wird, juristischen und praktischen Rat bei den jeweiligen Experten der Lehrlingsstellen sowie den Rechtsabteilungen der jeweils zuständigen Wirtschaftskammer einzuholen. 2
12 B. Überblick über die Beendigungsmöglichkeiten von Lehrverträgen Lehrverhältnisse sind befristete Arbeitsverhältnisse, die grundsätzlich mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit enden. Lehrverhältnisse stehen unter einem starken Bestandschutz, da eine Beendigung vor Ablauf der Lehrzeit nur in den ausdrücklich im Berufsausbildungsgesetz genannten Fällen möglich ist: Einseitige Auflösung durch den Lehrberechtigten oder Lehrling während der Probezeit (Probezeitauflösung); Einvernehmliche Auflösung; Einseitige vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund durch den Lehrberechtigten (Entlassung); Einseitige vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund durch den Lehrling (vorzeitiger Austritt); Fälle, in denen das Lehrverhältnis von Gesetzes wegen endet (gesetzliche Endigungsgründe); Außerordentliche Auflösung durch Ausbildungsübertritt durch den Lehrberechtigten oder Lehrling. 3
13 ACHTUNG: Lehrverhältnisse sind nicht kündbar, da im Gesetz die Möglichkeit zur Aufkündigung eines Lehrverhältnisses schlichtweg nicht vorgesehen ist. Weder die Kündigung durch den Lehrling noch durch den Lehrberechtigten kann das Lehrverhältnis rechtswirksam beenden. Erklärt der Lehrling in Unkenntnis dessen seine Kündigung, ist dies zu hinterfragen und entsprechende Klarstellungen einzuholen, ob der Lehrling aus dem Lehrverhältnis austreten wollte oder nicht. Den Eltern bzw. sonstigen Erziehungsberechtigten des Lehrlings kommt selbst auch dann kein eigenständiges Auflösungsrecht zu, wenn der Lehrling noch minderjährig ist. 4
14 C. Auflösung des Lehrvertrages während der Probezeit 1. Grundlagen zur Probezeit Innerhalb der Probezeit kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling, ohne Angabe von Gründen sowie ohne Einhaltung einer Frist, das Lehrverhältnis auflösen. Sinn und Zweck der Probezeit ist, dass einerseits der Lehrberechtigte die Möglichkeit hat, den Lehrling als Person und in seinem Verhalten kennenzulernen und ihn auf seine Eignung für den Lehrberuf zu prüfen, bevor das Lehrverhältnis nur noch aus ganz bestimmten Gründen gelöst werden kann. Andererseits soll auch der Lehrling ausreichend Zeit haben, die Wahl seines Lehrberufes und die damit verbundene Berufsentscheidung zu überprüfen. 2. Schriftformgebot der Probezeitauflösung Die Probezeitauflösung ist nur dann wirksam, wenn sie schriftlich erfolgt. Schriftform erfordert die Unterschrift des Erklärenden. Eine Auflösungserklärung per SMS oder reicht nicht aus. Ist der Lehrling minderjährig, müssen beide Elternteile bei einer Probezeitauflösung durch den Lehrling schriftlich zustimmen. Bei volljährigen Lehrlingen ist die Zustimmung der Eltern nicht erforderlich. Eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ist nicht erforderlich. 5
15 3. Beginn und Dauer der Probezeit Während in Angestellten- und Arbeitsverträgen eine Probezeit von höchstens 1 Monat vereinbart werden kann, dauert die Probezeit bei Lehrverhältnissen zwingend 3 Monate. Die Probezeit gilt auch dann, wenn sie nicht gesondert vereinbart wurde. Die Vereinbarung einer kürzeren oder auch längeren Probezeit, etwa auch in Form einer vorab vereinbarten Schnupperlehre, ist nicht zulässig. Die Probezeit beginnt mit dem Tag, an dem der Lehrling in die fachliche Ausbildung und Verwendung eingetreten ist und endet mit 24 Uhr des letzten Kalendertages der Probezeit. Beispiel: Beginnt ein Lehrverhältnis am 15.9., so endet die Probezeit am um 24 Uhr. Die schriftliche Auflösungserklärung muss spätestens am letzten Tag der Probezeit dem Lehrling bereits zugegangen sein. Die postalische Aufgabe am letzten Tag der Probezeit reicht nicht, wenn das Schriftstück erst am nächsten Tag und damit außerhalb der Probezeit zugestellt wird. Beispiel: Das Lehrverhältnis beginnt am Die Probezeit endet am 9.8. um 24 Uhr. Der Lehrberechtigte schickte am 9.8. um 23:50 Uhr ein von ihm unterfertigtes Fax an den Lehrling, in dem er die Probezeitauflösung erklärt. Der Lehrling hat erst am nächsten Tag das Fax gesehen und gelesen. Erklärungen, die zur Unzeit ausgesprochen werden, gelten erst am nächsten Tag als zugegangen. Die Auflösungserklärung ging daher außerhalb der Probezeit zu. Der Lehrling hat die Wahl am Lehrverhältnis festzuhalten oder die an sich unwirksame Auflösungserklärung gegen sich wirken zu lassen und Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) zu begehren. 6
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