Pädagogische Psychologie I Schwerpunkt Übersicht: Soziale Beziehungen im Überblick. Prof. Dr. Catherine Walter-Laager 28.

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1 Pädagogische Psychologie I Schwerpunkt Übersicht: Soziale Beziehungen im Überblick Prof. Dr. Catherine Walter-Laager 28. Februar 2013

2 Pflichtlektüre für den Block soziale Beziehungen Wild & Lorenz (2009). Familie. Kunter & Pohlmann (2009). Lehrer. Kessels & Hannover (2009). Gleichaltrige. In: Elke Wild & Jens Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer (Kap ) Vertiefungsmöglichkeiten: Siehe jeweilige Literaturverzeichnisse

3 Ablauf Der Mensch ist ein soziales Wesen Der Mensch lebt in sozialen Netzwerken Entwicklung von sozialen Beziehungen Gemeinschaften verschiedener Art

4 Der Mensch ist ein soziales Wesen 4

5 Motivationssysteme Welches sind die Antriebssysteme des Körpers? Welchen Zwecken dienen diese Antriebsaggregate? Bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war man auf Substanzen gestossen, die zum Verlust des Antriebs führen (Neuroleptika): ^ Bei Operationen beruhigte sie die schmerzgeplagten Patienten ^ Bei psychisch beeinträchtigten Patienten senkte sie die Erregung (Bauer, 2006)

6 Motivationssysteme Welches sind die Antriebssysteme des Körpers? Welchen Zwecken dienen diese Antriebsaggregate? Später stiess man darauf, dass es auch Antriebsaggregate gibt, die ein unbändiges Streben entfalten (bspw. bei Suchtkranken). Beide Systeme haben ihren Sitz im Mittelhirn und sind über Nervenbahnen mit anderen Regionen des Hirns verbunden ^ Um Infos zu erhalten ^ Impulse weiter zu geben (Bauer,, 2006)

7 Motivationssysteme Welches sind die Antriebssysteme des Körpers? Welchen Zwecken dienen diese Antriebsaggregate? 3 Stoffe wirken motivierend und wirken gegenseitig aufeinander ein: ^ Dopamin: Gefühl des Wohlbefindens, Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft mit positiver Auswirkung auf die Bewegungsfähigkeit ^ Endogene Opioide: wohltuender Effekt auf das Ich-Gefühl, die emotionale Gestimmtheit und die Lebensfreude ^ Oxytozin: Ist sowohl Ursache als auch Wirkung von Bindungserfahrungen. Es stabilisiert vertrauensvolle Beziehungen auch rückwirkend. Oxytozin hat ein Glücks- und Genusspotential. Es entsteht durch zärtliche Interaktionen. (Bauer, 2006, S. 28ff./44ff.)

8 Motivationssysteme Welchen Zwecken dienen diese Antriebsaggregate? ^ Soziale Anerkennung ^ Erleben positiver Zuwendung ^ Erfahrung von Liebe Wenn die Aussicht auf Zuwendung besteht, springt das Motivationssystem an, wenn keine Chance besteht, ist das Gegenteil der Fall (bei längerer Isolation werden «Gene abgeschaltet») (Bauer, 2006, S. 33ff.)

9 Einige Belege Jeffrey Lorberbaum zeigte, dass das Weinen ihrer Kinder Mütter hochgradig aktiviert Das Ausmaß der mütterlichen Zuwendung korreliert mit der Menge des ausgeschütteten Dopamins. Wird die Ausschüttung durch Neuroleptikum bei der Mutter gehemmt oder durch eine Droge ersatzbefriedigt, bleibt ihr Fürsorgeverhalten aus. Liebe aktiviert das Motivationssystem besonders effektiv (elterliche, kindliche oder auch sexuelle) (Bauer, 2006, S. 40ff.)

10 Weiterführende Hinweise Auch Musik scheint dem Motivationssystem zu gefallen, es löst eine Reaktion im Dopamin-System aus Humor verbindet Zärtlichkeit bzw. das ausgeschüttete Oxytozin führt zu körperlicher und psychischer Entspannung, was den Blutdruck senkt und Angst dämpft Menschen die uns zu guten Gefühlen verhelfen, werden vermisst Fehlende Zuwendung in der Frühphase hinterlässt negative Spuren im Motivationssystem (Bauer, 2006, S. 43f.)

11 Stressforschung mit Biomarkern Watamura et.al. (2003) untersuchten 20 Babys (M=10,8 Monate) und 35 Kleinkindern (M=29,7 Monate) jeweils um 10 bzw. 16 Uhr. Ergebnisse: ^ In der Situation der Kinderbetreuung stieg bei 35% der Babys und 71% der Kleinkinder das Cortisol über den Tag an ^ In der Situation zu Hause reduzierte sich bei 71% der Babys sowie bei 64% der Kleinkinder der Cortisolspiegel ^ Als sozial ängstlich eingestufte Kinder, hatten in der Kinderbetreuungssituation generell höhere Cortisolwerte und einen höheren Tagesanstieg (Buchebner-Ferstl, Dörfler & Kinn, 2009)

12 Stressforschung mit Biomarkern Gerhardt (2004) konnte zeigen, dass Kinder mit guter, responsiver Betreuung über mehr Cortisolrezeptoren im Hippocampus verfügen Die stressreduzierende Wirkung von Zärtlichkeit lässt sich auch bei erwachsenen Paaren nachweisen Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder in Betreuungseinrichtungen generell höhere Cortisolwerte haben als Kinder in häuslicher Betreuung (Buchebner-Ferstl, Dörfler & Kinn, 2009)

13 Stressforschung mit Biomarkern Sims et. al. (2005) konnte an einer Gesamtstichprobe von 117 australischen Kindern zwischen drei und sechs Jahren zeigen, dass diejenigen Kinder, die in qualitativ hochwertiger Betreuung waren, ^ im Laufe des Tages einen Abfall an Cortisol aufwiesen, während die schlechter betreuten Kinder im Tagesverlauf einen Anstieg verzeichneten. (Buchebner-Ferstl, Dörfler & Kinn, 2009)

14 Stressforschung mit Biomarkern Untersuchung des Zusammenhangs von Cortisolwerten (N=172 viereinhalbjährigen Kindern) und den Einschätzungen der Kinder durch Mütter, Väter und Lehrer eineinhalb Jahre später bezüglich sozioemotionaler Anpassungsfähigkeiten Ergebnis: Die Cortisolwerte mit viereinhalb Jahren konnten als Indikatoren der Einschätzung der Mütter und der Lehrer für sozialverträgliches Verhalten und soziale Aufmerksamkeit fungieren (Buchebner-Ferstl, Dörfler & Kinn, 2009)

15 Der Mensch lebt in sozialen Netzwerken 15

16 Die Tragödie vom Donnerpass Eine Gruppe von Menschen will 1846 die Sierra Nevada durchqueren. Sie bleiben vor einem Pass stecken, da der Wintereinbruch sehr früh ist. Wer starb? ^ Alleinstehende Männer (12 von 15) ^ Alleinreisend ^ Ältere oder kranke Familienmitglieder; Kleinkinder à Je grösser die Familie umso mehr /länger überlebte man (Schirrmacher, 2006, S. 7ff.)

17 Demographische Veränderungen In den 80er/90er-Jahren kamen europäische Länder zu Wohlstand, da ^ die Kinder und somit Kosten abnahmen ^ durch wenig ältere Menschen auch nicht all zu hohe Kosten entstanden In dem Gefühl von «Aufschwung» stiegen die Ansprüche und das Vertrauen in den Wohlfahrtsstaat In der Zwischenzeit hat sich das Generationenverhaltnis gedreht: Wenige Junge müssen mehrere Generationen älterer Menschen tragen (Schirrmacher, 2006, S. 34ff.)

18 Auf wen kann man in Krisen vertrauen Im Jahr 1973 gab es ein Feuer in einem großen Vergnügungszentrum mit einem gewaltigen Hotelkomplex. Der Psychologe Jonathan Sime beforscht das menschliche Verhalten in Krisensituationen. Seine These war: Totale Desorientierung verbunden mit dem Überlebenskampf des Einzelnen. Ergebnisse: ^ Freundesgruppen verloren sich bzw. suchten sich nicht ^ Familien suchten sich und nahmen alle mit (Schirrmacher, 2006, S. 40ff.)

19 Auf wen kann man in Krisen vertrauen (Schirrmacher, 2006, S. 49)

20 (Schirrmacher, 2006, S. 69)

21 Entwicklung von sozialen Beziehungen 21

22 Der Begriff «Bindung» Der Begriff der Bindung beschreibt die Tendenz eines Säuglings, die Nähe zu bestimmten Personen zu suchen und sich in ihrer Gegenwart sicher zu fühlen (Atkinson et al., 2001, S. 91) Dabei hat Bindung die Funktion, das Überleben zu gewährleisten oder noch genauer: die Grundbedürfnisse Ernährung, Pflege, Schutz und Fortbewegung zu sichern. Findet ein Kleinkind bei seinen Bezugspersonen Sicherheit, bildet dies eine optimale Ausgangslage für Exploration (vgl. Bischof-Köhler, 1998, S. 331ff.; Zimbardo & Gerrig, 2003, S. 486f.).

23 Bindungstheorie Bindungsmuster sind keine Persönlichkeitsmerkmale. Erfahrungen führen zu einem inneren Arbeitsmodell Die Aufgabe der Arbeitsmodelle besteht darin, Ereignisse in der Wirklichkeit vorauszusehen und das eigene Verhalten vorausschauend zu planen Das Arbeitsmodell und Bindungsmuster determiniert neue Beziehungen nicht. Bspw. beim Kitabesuch erschienen unterschiedlich sicher gebundene Kinder gleich hoch belastet (Ahnert, 2008)

24 Fremde Situation (etwas einfacht; Mutter (M) setzt Baby (B) zu Spielzeug. Fremde Frau (F) sitzt im Raum auf einem Stuhl und spricht kurz mit M (1 Min.). F beschäftigt sich mit B. M verlässt Raum. F bleibt auf ihrem Stuhl, außer wenn B weint. M kommt herein und nimmt B hoch. M setzt B zum Spielzeug. F geht und danach verlässt M ebenfalls den Raum. B für 3 Min. allein. F betritt den Raum, passt Verhalten dem des Babys an (z. B. trösten oder mitspielen). M öffnet Tür, bleibt kurz stehen, hebt denn B hoch. F verlässt den Raum

25 Bindungsmuster Bindungsmuster Sichere Bindung (ca. 45%) Unsicher vermeidende Bindung (ca. 28%) Beschreibung Halten eine angemessene Balance zwischen Nähe zur Bezugsperson und explorativem Verhalten. Pseudounabhängigkeit von der Bezugsperson; wirken auf Außenstehende eher unauffällig; leiden dennoch. Verhalten in der Testsituation Irritiert, wenn die Bezugsperson Raum verlässt; beruhigen sich aber schnell wieder; Spielen im Raum auch mit Testerin; begrüßen Bezugsperson bei der Wiederkehr, sind leicht zu beruhigen. Wirken bei der Trennung mit der Bezugsperson unbeeindruckt; spielen eher mit Testerin als mit Bezugsperson; bei Wiederkehr der Bezugsperson ignorieren sie diese oder lehnen sie ab.

26 Bindungsmuster Bindungsmuster Unsicher ambivalente Bindung (ca. 7%) Desorganisierte Bindung (ca. 20%) Beschreibung Diese Kinder verhalten sich sehr anhänglich an die Bezugsperson. Zeigen Zeichen von Desorientierung und der Fluktuation verschiedener Bindungsstrategien. Verhalten in der Testsituation Bei Trennung deutlich irritiert; sie zeigen Kontaktsuche, Gefühlsausbrüche mit Anklammern, auch Verweigerung bei der Wiedervereinigung mit der Bezugsperson; dabei sind sie nur schwer zu beruhigen. Zeigen Kombinationen aus verschiedenen Bindungstypen und bizarre Verhaltensweisen; erstarren, im-kreis-drehen, intensive Suche nach Nähe bei starker Ablehnung der Nähe.

27 Bindungstheorie Wenn Kinder eine sichere Bindung haben, fühlen sie sich in der Regel liebens- und beschützenswert Positive Bindungserfahrungen werden durch fünf Eigenschaften beschrieben: ^ Positive Zuwendung: Es besteht zwischen dem Kind und der Erzieherin eine liebevolle und emotional warme Kommunikation ^ Sicherheit vermittelt eine Bezugsperson, indem sie während Tätigkeiten des Kindes verfügbar bleibt ^ Erkundung/Explorationsunterstützung ^ Unterstützung und Information: Bei schwierigen Aufgaben assistiert die Erzieherin (Ahnert, 2007, Ahnert & Gappa, 2010)