Diversität in der Pflegekinderhilfe: Strukturelle Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen
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- Stefanie Keller
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1 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Strukturelle Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Fachtagung «Gute Bedingungen für Pflegekinder. Von der Forschung für die Praxis» Universität Siegen, 14. September 2011 Fachstelle Dr. phil. Yvonne Gassmann Bederstrasse 105a CH-8002 Zürich
2 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 2
3 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 3
4 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Gelingen der Pflegebeziehung Kontinuität? «Diskontinuität» 40-50% (Stichprobe: Kanton Zürich) Folie 4
5 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Gelingen der Pflegebeziehung Dauer? 19.2 J. 11% Pflegeverhältnisse dauern unerwartet lange 4.9 J. 8.3 J. 38% 13.5 J. In vielen Fällen übernehmen Pflegeeltern eine Lebensaufgabe 24% 26% Folie 5
6 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Gelingen der Pflegebeziehung Norm? Eine Frage normativer Erwartungen Gelingende Pflegebeziehungen: Integration des Pflegekindes in die Pflegefamilie Fördern können und selber in der Begegnung mit dem Pflegekind wachsen (Pflegeelternperspektive) Nicht unempfindlich gegenüber Belastungen, aber widerstandsfähig Gelingen ist in Pflegebeziehungen viel stärker von der Dynamik und den Prozessen beteiligter «Systeme» abhängig als von inhaltlichen Zielen (Belastungs-Ressourcen-Balance) Folie 6
7 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Alltagsbewältigung: Beispiele > Immer wieder stand ich völlig gelöst im Alltag auch gegenüber Pascal (z.b. nach WE bei seinen Eltern). Und bald merkte ich wieder, dass der Alltag nur mit besonderen Anstrengungen, Überlegungen, Feingefühl und bewusstem Handeln zu bewältigen ist. Um meine Gedanken zu ordnen und abzulegen, schrieb ich vieles nieder. So fühlte ich mich weniger belastet. > Über Jahre war das Zusammenleben (die Stimmung) in der Familie geprägt von Marcos dominanten Verhalten (immer am reden, behaupten, Widerreden, Widerstand für alles, was zusammen gemacht werden musste [ ]. Jetzt hat sich Marco sehr beruhigt und sein Verhalten hat sich sehr verändert, ist angenehmer geworden [ ]. Folie 7
8 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? These I Umplatzierungen erfolgen ungeplant und plötzlich! Chronifizierte Schwierigkeiten können durch eine Umplatzierung nicht gemildert werden. An der Kontinuitätsorientierung festhalten, denn Diskontinuität produziert weitere Ohnmacht!
9 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Zeit(un)gerechte Beendigung? nachfolgender Aufenthaltsort Rückkehr in die Herkunftsfamilie Heim / andere Pflegefamilie Selbstständiger Haushalt Total Zeitgerechtigkeit der Beendigung geplant und nicht überraschend / plötzlich ungeplant und überraschend / plötzlich Total
10 (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? Abbrüche: Beispiele > Weil Timo nur noch Rückschritte machte, uns als Familie gefährdete (Feuer im Zimmer), musste er von einem Tag auf den anderen in ein Time-out. Dort stürzte er noch tiefer. > Hannes hatte eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Affektsteuerung, war konzentrationsschwach und verlor schnell den Überblick. Durch seine Impulsivität geriet er in Verdacht, gemeingefährlich zu sein und wurde ausgeschult [ ]. Ich wünschte mir mehr Unterstützung für Hannes in seiner schwierigen Situation statt «Kriminalisierung» und Schulausschluss + Schulheim. > Sven ist nach vielen Delikten und einer schweren Körperverletzung [ ] im Gefängnis. Die Massnahme für junge Erwachsene wird wahrscheinlich nicht weitergeführt, weil er nicht will. Folie 10
11 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 11
12 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Adoptionsbeziehung (1) Pflegemutter Miriam entwickelt sich ganz normal. Sie ist gut integriert in der Klasse und ist sehr beliebt [ ]. Da wir Miriam adoptiert haben, ist sie für uns wie eine leibliche Tochter das Verhältnis zu ihr ist ganz normal Tochter Mutter / Tochter Vater [ ]! Miriam fragt fast nie von ihrer leiblichen Mutter und Vater wenn sie jedoch Fragen hat, beantworte ich sie natürlich und wir werden ihr helfen, ihre leibliche Mutter zu finden. - Gelingende und betont unproblematische Beziehungen - Erfolgte Adoption - Rechtliche Elternschaft - Soziale Elternschaft - Kaum/Keinen Kontakt zur Herkunftsfamilie = Adoptionsbeziehung Folie 12
13 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Adoptionsähnliche Pflegebeziehung (2) Pflegevater Wir haben keine leiblichen Kinder, zwei grössere Pflegekinder und ein kleines Adoptivkind leben mit uns. Alle Kinder sind seit sehr klein bei uns. Wir betrachten uns als «normale» Familie. Nur ein Kind hat noch Kontakt zu den Eltern. Pflegekind Ich bin froh so eine gute Pflegefamilie zu haben sie ersetzen meine leiblichen Eltern von A- Z. - Gelingen der Pflegebeziehung - Soziale Elternschaft - Pflegeeltern ersetzen die Herkunftseltern - Abwesenheit der Herkunftseltern - Häufig schwerbehinderte Pflegekinder = Adoptionsähnliche Pflegebeziehung Folie 13
14 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Kontinuitätsorientierte Pflegebeziehung (3) Pflegekind [Ich] trug von klein auf den Nachnamen meiner Pflegefamilie. Seit ich 16 bin, heisse ich offiziell amtlich registriert wie meine Pflegefamilie. Pflegemutter Vanessa hatte von Anfang an regelmässigen Kontakt zur leiblichen Mutter. Ihren leiblichen Vater kannte sie nur dem Namen nach. Freunden gegenüber spricht sie nicht von ihnen. Mit der Mutter meidet sie jeglichen Kontakt (die Mutter ist sehr kompliziert und sehr unbeholfen). Vanessa geniert sich ihrer. Die Mutter meldet sich hin und wieder telefonisch, auch bei uns. - Gelingen der Pflegebeziehung - Herkunftsfamilie wird weitgehend ersetzt - Bedeutsamer Bezug zu mind. einem Herkunftselternteil - Keine Rückkehroption - Oft bei Grosseltern = Kontinuitätsorientierte Pflegebeziehung Folie 14
15 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Pflegebeziehung mit «schwierigem» Pflegekind (4) Pflegemutter Tim erlebte ich von seine[n ersten] Lebenswoche[n] bis nach seinem 6. Geburtstag als ein Kind mit einer breiten Entwicklungsgeschichte. Auch bedingt durch die ersten Lebensjahre. Tim war als Säugling deprimiert und benötigte grosse Aufmerksamkeit, Ruhe, Körperkontakt und Geduld. Im Kontakt mit anderen Erwachsenen, auch ihm fremden Menschen, war er leider immer distanzlos und anhänglich [ ]. Wir liessen uns später scheiden [ ]. Trotzdem durfte Tim bei mir bleiben. Die Lebensumstände wurden jedoch schwieriger und immer mehr «wohlmeinende + gutdenkende» (Freunde) mischten sich in die Beziehung zwischen Tim und mir ein [ ]. Das Ziel damals war von der Behörde so erklärt worden, dass die Herkunftsfamilie zuerst drogenfrei werden muss. Obwohl sie heute gesund ist, konnte Tim nicht zu ihr zurück [ ]. Die Heimleiterin instrumentalisierte Tim sehr stark und arbeitete manipulativ. Sie sorgte dafür, dass der Kontakt zwischen [ihm] und mir abrissen. Bis heute werden meine Fragen, wo sich Tim befindet, nicht beantwortet. Folie 15
16 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Pflegebeziehung mit «schwierigem» Pflegekind (4) - Abbruch der Pflegebeziehung - Verhaltens- oder Persönlichkeitsschwierigkeiten des Pflegekindes - Schwierige Umstände (Pflegefamilie, Herkunftsfamilie, Fachpersonen) - Orientierungslosigkeit («zwischen Stühlen und Bänken») - Umplatzierungen in Einrichtungen, von einer Fachperson initiiert - Ressourcen der Pflegefamilie bleiben ungenutzt = Pflegebeziehung mit «schwierigem» Pflegekind Folie 16
17 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Sozialpädagogische Grossfamilienbeziehung (5) Pflegemutter Da wir eine [viel]-köpfige (Gross)Familie waren, war es uns möglich, leichter mit Problemen umzugehen, da alle Kinder ungefähr die gleichen Probleme durchlebt haben. Vieles wurde auch unter den Kindern ausdiskutiert. Wir funktionierten einfach als einheitliche Familie. Das Wort «Pflegekinder» wurde nie ausgesprochen. Es fühlten sich einfach alle als Geschwister. Pflegevater Er ist immer ein angenehmes, ausgeglichenes Kind gewesen. Ist sehr ehrgeizig, die seiner Meinung nach fehlende schulische Bildung («nur» Realschule) nachzuholen. Wir hätten uns auch bei den eigenen Kindern nicht mehr gewünscht oder von ihnen erwartet. Er war einfach immer ein lässiger, aufgestellter Knabe. -Gelingen der Pflegebeziehung - Normalität - Ressource (Pflege-)Geschwister - Erfahrung mit vielen Pflegekindern - professionelles Selbstverständnis = Sozialpädagogische Grossfamilienbeziehung Folie 17
18 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Pflegebeziehung mit umfassenden Herkunftsfamilienkontakten (6) Pflegemutter Lia war unser Enkelkind. Da unsere Tochter sehr jung war bei der Geburt von Lia, lebte sie zu Hause und machte eine Ausbildung. Für Lia war es normal, zwei Mamis zu haben, sie fühlte sich rundum wohl in der Grossfamilie [ ]. Sobald unsere Tochter gegen Abend nach Hause kam, kam Lia in ihre Obhut. Auch nachts und am Wochenende trug sie die Verantwortung. Wir sprachen oft zusammen über unsere Vorstellung über die Beziehung zu Lia und zueinander. - Gelingen der Pflegebeziehung - Engagement der Pflegeeltern, Kontakt zur Herkunftsfamilie zu pflegen - Betonte Wertschätzung der Herkunftseltern und Ergänzung - Beitrag zur Stabilisierung der Beziehungen in der Herkunftsfamilie - Pflegekinder sind in zwei Familien integriert = Pflegebeziehung mit umfassenden Herkunftsfamilienkontakten Folie 18
19 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Beispiel Pflegebeziehung auf Zeit (7) Pflegemutter Lars hat sich gut (fast normal) entwickelt. Die Mutter gründete eine «neue» Familie [ ]. Der Vater mit psychischen Schwierigkeiten machte sein Bestes für Lars. Wir boten Schonraum und plötzlich wollten alle Lars bei sich haben. So liessen wir los, um [ihn] nicht noch mehr zu zerteilen Als Kind entwickelte er sich gut. Er hatte in der Steiner Schule keinen Notendruck [ ]. Das Pflegeverhältnis entstand aus der Nachbarschaft / Tagesmutter und war nur für ½ bis 1 Jahr geplant (Entziehungskur der Mutter). Es wurden 5 Jahre daraus. Die Mutter lebte zu Beginn des Pflegeverhältnisses mit Lars bei ihrer Mutter. So hatte [er] keine «Herkunftsfamilie» sondern 3 Orte: beim Vater, bei Oma mit Mutter, Pflegefamilie. -Gelingen der Pflegebeziehung - Regelmässige Besuche/Kontakte der beiden Familien - Sich ergänzende Familien - Nur zeitweilige Einschränkung der Erziehungsfähigkeit - Erfolgte Rückkehr - Oft Wochenpflegarrangement = Pflegebeziehung auf Zeit Folie 19
20 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Typisierte Pflegebeziehungen: ein ganzes Spektrum Folie 20
21 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen These II Dauerpflege mit oder ohne Besuchskontakte erlaubt in vielen Fällen lange Pflegebeziehungen und den Verbleib des Pflegekindes in der Pflegefamilie bis zur Selbstständigkeit. Wochenpflege mit per Definition festgelegten Kontakten des Pflegekindes zu seiner Herkunftsfamilie erlaubt in vielen Fällen einen Aufbau elterlicher Kompetenzen, kürzere Pflegeverhältnisse und eine Reintegration des Pflegekindes in seine veränderte Herkunftsfamilie. Folie 21
22 (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen Dauer- oder Wochenpflege? Drei Verbleibgruppen rückgeführte umplatzierte verbleibende oder selbstständig gewordene Total Pflegeverhältnisart Dauerpflege Wochenpflege 12 (17%) 12 (63%) Total Folie 22
23 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 23
24 (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben Folie 24
25 (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben Pflegekinder: Verletzt belastet schwierig? > «schwierig» ist dimensional, nicht kategorial > Die Grenzen sind fliessend (Ermessensspielraum) = Es geht um eine Belastungs-Ressourcen-Balance: 1. Leidensdruck des Kindes, der Pflegefamilie 2. Ressourcen der Pflegfamilie, des Kindes 3. Bewältigung der wichtigsten Entwicklungsaufgaben (Soziale Kontakte, pflegekindspezifische Aufgaben, Schulleistungen? ) «Risikokombination» > «Schwierige-Kinder» machen oft Erfahrungen, die den Selbstwert beeinträchtigen. Sie fühlen sich oft unsicher oder minderwertig > Pflegekinder müssen zusätzliche Anforderungen bewältigen, um Selbstsicherheit (Identität) zu erlangen = «Pflegekindzufriedenheit» fördern Folie 25
26 (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben These III Pflegekindzufriedenheit ist die relevante pflegekindspezifische Entwicklungsaufgabe. Sie stellt die wichtigste Voraussetzung dar zur Bewältigung von allgemeinen Entwicklungsaufgaben. Normative Aufgaben bedürfen der vorangehenden Verarbeitung der Inpflegegabe als kritisches Lebensereignis. Nur Pflegekindern, welche die erfahrene Diskontinuität ins eigne Selbst integrieren konnten, gelingt eine sichere Identitätsbildung. Folie 26
27 (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben Kuchendiagramm zur Entwicklung der Pflegekinder Pflegekindzufriedenheit fördert Selbstsicherheit (67%), Soziale Kompetenz (66%), Freundschaft (47%) und Handlungsfähigkeit (32%) Folie 27
28 (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben Pflegekindzufriedenheit: Beispiele > Meiner Meinung nach WERDEN Pflegekinder mit genauso viel Liebe erzogen/ aufgezogen, wie «normale». Ich denke es liegt nicht an einer Pflegefamilie, ob ich mich nun so mag wie ich bin. Ich glaube viele Pflegekinder brauchen das nur als Vorwand um ihr (wegen anderen Gründen) ev. nicht so tolles Leben zu rechtfertigen. [ ] Ich denke vielen Kindern würde es wie mir mehr helfen in einer guten Pflegefamilie zu wohnen, als in einer verkrachten Familie! > In meiner Situation konnte ich kein besseres Leben bis jetzt haben. > Meine Pflegefamilie ist für mich meine richtige Familie und ich könnte mir keine besseren Eltern vorstellen. Ich bin glücklich auch wenn meine richtige Mutter manchmal Terror macht. Folie 28
29 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 29
30 (4) Die Praxis in der Schweiz Pflegekindschaftsrecht > Verdingkinderwesen bis 1948 > Hilfswerk Kinder der Landstrasse «Endlich sind wir zur Einsicht gekommen, es müsse trotz Geldmangel, trotz schlechter Erfahrungen, trotz Angst vor erblicher Anlage versucht werden, wenigstens die Kinder zu retten. Wir sind überzeugt, dass mit Geduld und Liebe doch eine Anzahl der armen Wesen zu brauchbaren Menschen erzogen werden könnten [ ]. Die Stiftung Pro Juventute möchte den Versuch wagen; durch Presse will sie eine weitere Öffentlichkeit für dieses praktische Fürsorgewerk interessieren und sie hofft bestimmt, dass ihr Appell nicht ungehört verhallen wird [ ].» Dr. Alfred Siegfried, am Sonntag, in der NZZ > Kindsrecht: 1978, Art. 316 ZGB Bewilligungspflicht (Art. 11 BV, Art. 20 UN-KRK) > Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern, PAVO, 1978 > Totalrevision der PAVO: KiBeV, Entwürfe 2009/10 Folie 30
31 (4) Die Praxis in der Schweiz Kinderbetreuungsverordnung KiBeV Die lehnt die Kinderbetreuungsverordnung KiBeV (2. Entwurf 2010) ab, denn diese geht von falschen Annahmen zur Situation von Pflegekindern aus. Hauptanliegen: > Eine eigene Verordnung für den Vollzeitbereich (Aspekt der Elternschaft, Lebensmittelpunkt, Kindesschutz, Definition Pflegekind) > Die Aufnahme des Kriteriums «Kindesschutz» das Pflegekind als freiwilliger oder behördlicher Kindesschutzfall (Subsidiaritätsprinzip = «nur» circa 40% Obhutsentzüge/Bevormundungen) > Die Gleichstellung von verwandten und nicht verwandten Pflegeeltern (70% «gewachsene» Pflegebeziehungen) > Die Erteilung kindbezogener Bewilligungen (sozialräumlich nahe Unterbringungen, eventuell mit flankierenden Massnahmen) Folie 31
32 (4) Die Praxis in der Schweiz Zivilrechtlicher Kindesschutz: Subsidiaritätsprinzip > Art. 307 ZGB Geeignete Massnahmen > Art. 308 ZGB Beistandschaft > Art. 310 ZGB Aufhebung der elterlichen Obhut > Art. 311 ZGB Entzug der elterlichen Sorge Folie 32
33 (4) Die Praxis in der Schweiz Bundesgerichtsentscheid: Keine Rückgabe eines Pflegekindes Das Bundesgericht hat den Antrag einer Mutter abgelehnt, die ihr Kind aus einer Pflegefamilie herausnehmen und wieder bei sich haben wollte. In seiner Begründung schreibt das Gericht: «Es sind die Bedürfnisse des Kindes hinsichtlich Stabilität und Kontinuität der Beziehungen zu berücksichtigen. Es gilt zu vermeiden, dass ein Kind, das längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt hat und dort stark verwurzelt ist, durch eine unverhoffte Umplatzierung in seiner weiteren seelisch-geistigen und körperlichen Entwicklung ernsthaft gefährdet wird. Eine solche Gefahr droht, wenn sich das Kind wirklich in die Familie der Pflegeeltern integriert hat und diese seine Hauptbezugspersonen geworden sind.» (BGer 5A_196/2010 vom 10. Mai 2010) Folie 33
34 (4) Die Praxis in der Schweiz Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht ab 1. Januar 2013 > Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als interdisziplinäre Fachbehörde (Jurist/-in, Sozialarbeiter/-in, Pädagoge/-in oder Psychologe/-in) > Art. 314abis ZGB: Anordnung einen Vertretung des Kindes insbesondere bei Verfahren der Unterbringung des Kindes bzw. Umgangskontakten > Bisher: Möglichkeit der unabhängigen Rechtsvertretung für Kinder in gerichtlichen und behördlichen Verfahren Folie 34
35 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die (idealtypische) Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 35
36 (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder Gute Bedingungen für Pflegekinder (Zusammenfassung) 1. Umplazierungen vermeiden 2. Indikationsgerechte Arrangements (Wochenpflege planen) 3. Pflegekindzufriedenheit fördern 4. Vielfalt würdigen und ermöglichen (Support im Prozess)
37 Diversität in der Pflegekinderhilfe: Übersicht 1. Teil (1) Gelingende Pflegebeziehungen geeignete Pflegefamilien? (2) Eine Typisierung von Pflegebeziehungen (3) Allgemeine und pflegekindspezifische Entwicklungsaufgaben 2. Teil (4) Die Praxis in der Schweiz (5) Gute Bedingungen für Pflegekinder (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Folie 37
38 (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen These IV Pflegekinderhilfe bedarf einer organisatorischen und rechtlichen Rahmung, bei der unterschiedliche Pflegefamilien ihre Berechtigung haben. Gewachsene, traditionelle und vernetzte Pflegeformen verdienen viel Anerkennung und sind eine unverzichtbare Ressource. Fixe Regeln, generelle Unterstützungs- oder Schulungsmassnahmen für Pflegefamilien nach dem «Giesskannenprinzip» können authentische pflegefamiliale Formen der Beziehungsgestaltung und Alltagsbewältigung unterminieren. Situationsangepasste und ressourcenorientierte reflexive und selbstreflexive Strategien der beteiligten Fachpersonen sind grundlegend für (Lebens-)Qualität und Kontinuität in der Pflegekinderhilfe. Folie 38
39 (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Eine prozessorientierte Haltung für die Praxis (Begleitmodell) Folie 39
40 (6) Fazit: Vielfalt und Wandelbarkeit von Pflegeverhältnissen Wichtige Prozesselemente (1) 1. Indikationsfrage klären/sich informieren (Exploration, Individualität, Spezifität, Legitimation, Subsidiarität, Transparenz ) 2. Passung kommunikativ optimieren (70% «Gewachsene», unterschiedliche Anliegen, Anwaltschaft, Verbalisierung, spezifischer Auftrag ) 3. Individuelle Pflegeform und Perspektiven definieren («Wochenpflege plus», Zeit gewinnen, Reintegration, verbindliche Aufforderung, Beziehungskontinuität ) 4. Institutionalisierte Beratung bei «Bedarf» anbieten/beanspruchen (nicht unermüdlich, Vertrauensbasis, spezifisches Fachwissen, Belastungsgrenzen, Zusammenarbeitsstrukturen, Rechtzeitigkeit ) Folie 40
41 Wichtige Prozesselemente (2) 1. Ressourcenwissen nutzen (Ressourcen erkennen, kommunizieren, koordinieren, Interessen reflektieren, Partizipation, Intervision und Supervision ) 2. Normative Überzeugungen reflektieren (Familienbilder und Pflegefamilienideologien, «Bauernregeln», Wertorientierung, Offenheit und Neinsagen ) 3. Geteilte Verantwortung wahrnehmen (Zuständigkeit, Helfer- und Netzwerkkonferenzen, Entscheidungskompetenzen und Koordination der Entscheidungen ) 4. Veränderungen ermöglichen ( statt aufgeben, Entlastung, Umplatzierungen vermeiden, sich über Rechte informieren, neue Risiken kalkulieren, Beziehungskontinuität sichern ) Folie 41
42 Allerbesten Dank für Ihr Interesse! (ab 30. September neu) Pflegeeltern und ihre Pflegekinder. Empirische Analysen von Entwicklungsverläufen und Ressourcen im Beziehungsgeflecht (Waxmann, 2010) Netz Die Zeitschrift für den Pflegekinderbereich (Netz 2/2011 Diversität Vielfältige Pflegebeziehungen und Pflegeverhältnisse) Folie 42
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