Liebe Gemeinde! Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 1 von 6
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- Hella Engel
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1 Rolf Theobold Solidarität der Sünder - oder Empathie statt Empörung Predigt über Mt. 3, Januar 2014, Paulus- und Lukaskirche überarbeitete Predigt vom 12. Januar 1997 St. Martin und St. Clemens Liebe Gemeinde! Vielleicht kennen Sie das auch: manchmal steige ich unter die Dusche, nicht nur, um den äußeren Schmutz abzuwaschen, sondern auch, um mir seelisch Erleichterung zu verschaffen. Es ist dann, als würde mit dem heißen Wasserstrahl ein wenig auch all das von mir abgewaschen, was mich gerade belastet und bedrückt oder ärgert. Und tatsächlich fühle ich mich nach einer solchen Dusche oft tatsächlich etwas erleichtert. Und manchmal würde ich das - im übertragenen Sinn - auch gerne bei anderen tun. Wenn mir an anderen etwas aufstößt, wenn ich bei anderen Menschen ungerechtes oder unfaires Verhalten feststelle, dann würde ich ihnen gerne mal eine Dusche verpassen, zumindest aber den Kopf waschen. Ich bin sicher, Sie kennen dieses Gefühl auch. Sich selber von seelischem Schmutz reinigen und anderen einmal den Kopf waschen, das sind genau die beiden Motive, die wir bei der Taufe des Johannes vorfinden. Johannes ist an den Jordan gegangen, um den Menschen dort mit seinen scharfen Worten den Kopf zu waschen. Er ist in seiner Wortwahl nicht gerade bescheiden. Über die allzu selbstsicheren Vertreter der etablierten Religion ergeht eine heiße Dusche: "Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Frucht der Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 1 von 6
2 Buße." (Mt. 3, 7) Und tatsächlich, es kommen viele Menschen zu Johannes an den Jordan, um sich von ihm den Kopf waschen zu lassen, und nicht nur den Kopf, vor allem das Herz und die ganze Seele. Menschen, die im Wasser des Jordan all den Schmutz loswerden wollen, der sich in ihrer Seele angesammelt hat und der ihnen zur drückenden Last wurde. Und nun geschieht etwas ganz Sonderbares, etwas, das den ersten Christen große Schwierigkeiten bereitet hat, und das sie, fast widerwillig, trotzdem überliefert haben. Jesus, der, wie die Bibel sagt, von keiner Sünde wusste, Jesus, der von den Christen als 'Sohn Gottes' geglaubt wurde, der kommt an den Jordan. Was hat er dort zu suchen? Was wird er dort wohl tun? Hören Sie die Geschichte, wie Matthaus sie uns überliefert hat: Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. (Mt. 3, 13-17). Jesus tut tatsächlich das Unerhörte: er stellt sich in eine Reihe mit den Sündern. Als hätte er, wie sie, eine mit Schuld befleckte Seele, eine Seele, die der Reinigung bedarf. Das Unverständnis darüber kommt in den Worten Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 2 von 6
3 zum Ausdruck, die Matthäus dem Johannes in den Mund legt. "Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?" Im Grunde ist das die Frage der Gemeinde, für die Matthäus sein Evangelium schreibt: Wie kann es sein, dass der, den wir als den Sohn Gottes glauben, sich wie jeder x-beliebige Sünder am Jordan taufen lässt? Wie kann das sein? Das kann doch eigentlich nicht sein! - Doch, sagt Jesus, es kann sein und es muss sein. Und zwar darum, dass die Gerechtigkeit erfüllt werde. Jetzt müsste eigentlich die Verwirrung komplett sein. Johannes hat im Namen der kommenden Gerechtigkeit Gottes den Sündern den Kopf gewaschen. Und nun sagt Jesus: wasch auch mir den Kopf, dann erst wird die Gerechtigkeit erfüllt. - Wie ist das zu verstehen? Jesus hat aramäisch gesprochen. Und Aramäisch ist sehr eng verwandt mit dem alttestamentlichen Hebräisch. In dieser Sprache und in der entsprechenden Vorstellungswelt bedeutete Gerechtigkeit nicht, dass man einer übergreifenden und absoluten Rechtsnorm Genüge tut. Diese Vorstellung prägt zwar unser heutiges Verständnis von Gerechtigkeit, stammt aber nicht aus der Bibel sondern eher von der römischen Rechtsphilosophie. Alttestamentlich und damit auch jesuanisch ist ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bedeutet hier die Angemessenheit des Verhaltens in einer zweiseitigen Beziehung. Oder anders ausgedrückt: Gerechtigkeit heißt, einem konkreten Gegenüber gerecht zu werden. Indem Jesus sich taufen lässt, nimmt er diesen Gerechtigkeitsbegriff bei seiner Wurzel: Und das geschieht nicht, indem er ein Urteil über die Sünder fällt, sondern indem er sich ihnen zur Seite stellt. Das geschieht nicht, indem nun auch Jesus den Sündern den Kopf wäscht, sondern Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 3 von 6
4 dadurch, dass er mit ihnen mitfühlt. Das geschieht nicht, indem er die Menschen von außen beurteilt, sondern indem er gleichsam in ihre Haut schlüpft, um sie von innen heraus zu verstehen. Erst dadurch widerfährt ihnen Gerechtigkeit, und darum stellt sich Jesus in eine Reihe mit den schuldig gewordenen Menschen. Damit beginnt er seine Wirksamkeit. Und damit macht er deutlich: hier ist mehr als Johannes. Denn nicht über Johannes ging der Himmel auf, sondern über diesem Jesu, der sich mit den Sündern solidarisch erklärte, über ihm geht der Himmel auf. Im Grunde musste sich Johannes von dieser radikal solidarischen Haltung Jesu beschämt fühlen. Trotzdem empfindet Jesus für diesen eifrigen Kämpfer der Gerechtigkeit 1 große Anerkennung, allerdings mit einer Einschränkung. Jesus hat sich später einmal mit folgenden Worten über ihn geäußert: "Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er." (Mt. 11, 11) Wenn jemand, wie Johannes, sich packen lässt von der Leidenschaft für Gerechtigkeit, und wenn jemand dafür in direkter und offener Konfrontation deutliche Worte findet, ja, wenn jemand selbst Königen die ungeschminkte Wahrheit sagt und damit Kopf und Kragen riskiert, dann gebührt ihm die ganze Achtung Jesu. Die aufrichtige und engagierte Empörung über Ungerechtigkeit ist seiner 1 Johannes hat offensichtlich die 'hebräische' Gerechtigkeit eher so verstanden, dass die Menschen Gott nicht gerecht werden. Jesus aber verändert die Perspektive, und fragt, wie kann ich - im Auftrag Gottes - den Menschen gerecht werden - gerade den schuldig gewordenen Menschen. Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 4 von 6
5 Meinung nach das Höchste, was Menschen von sich aus in Sachen Gerechtigkeit zustande bringen. Aber der Himmel wird über dieser Form der Gerechtigkeit niemals aufgehen. Das haben viele noch so gut gemeinte revolutionäre Bewegungen zum Teil recht bitter erfahren müssen. Wer hingegen, und sei es nur ansatzsweise und anfangsweise, jene andere Form der Gerechtigkeit praktiziert, eine Gerechtigkeit, die sich an die Seite der Schuldigen stellt, die im größten Sünder noch ein verletztes Menschenkind erkennen kann, der hat Zugang gefunden zur Gerechtigkeit des Himmelreiches. Was heißt das nun für mich, wenn ich mal wieder jemanden den Kopf waschen möchte. Wie kann ich jemanden, über den ich mich empöre, im Sinne Jesu gerecht werden. Indem ich es Jesus gleich tue: ich stelle mich an die Seite des "Sünders". Ich versuche einmal von meiner eigenen Empörung oder auch meiner eigenen Kränkung abzusehen und versuche statt dessen, den anderen zu verstehen - und zwar von innen heraus. Dann werde ich erkennen, - dass hinter lautstarkem Auftreten nur allzu oft ein schwaches Selbstbewusstsein mühsam und ungeschickt um Geltung ringt, - dass hinter einer übergriffigen und distanzlosen Bemerkung die Sehnsucht nach echtem menschlichen Kontakt verborgen liegt, - dass hinter arrogantem Verhalten ein unsicheres Wesen sich zu verstecken sucht, - dass hinter Wichtigtuerei der sehnliche Wunsch nach echter Annerkennung steckt, - ja dass selbst ein Verbrechen oft nichts anderes ist ein Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 5 von 6
6 stummer Schrei einer kranken, verletzten und verhärteten Seele. Wenn ich im Geiste Jesu, mich in dieser Weise an die Seite der Sünder stelle, dann weicht die Empörung oft von ganz alleine einem solidarischen Verständnis und einem echten Mitgefühl. Das heißt nicht, dass ich nicht mehr beim Namen nenne, was ich für unrecht halte oder mich für Gerechtigkeit in einem äußeren Sinne einsetze. 2 Aber wenn ich einen Menschen von innen her verstehe, dann werden meine Worte anders ausfallen. Ich werde darauf verzichten, dem andern den Kopf zu waschen, weil ich sehe und erkenne, wie sehr der andere zutiefst auf die Liebe und Güte, auf das Verständnis und das Erbarmen Gottes angewiesen ist. - Genauso wie ich auch! Ja, wie ich auch. Nicht als leidenschaftlich Gerechte, und dabei allzu schnell Selbstgerechte, sondern als miteinander barmherzige und solidarische Sünder werden wir einander wirklich gerecht. Erst in einer Reihe mit den Sündern erfahren wir so etwas wie den offenen Himmel. Erst als Menschen, die in ihrer Schuld und Unvollkommenheit, verständnisvoll und gütig miteinander umgehen, werden wir zu Söhnen und Töchtern Gottes, die sein Wohlgefallen finden. - Amen. 2 Mit der damit gegebenen Spannung hat Luther mit seiner sog. Zwei-Reiche- Lehre sich gedanklich auseinandergesetzt. Erstellt von Rolf Theobold Pr.(Solidarität der Sünder, Wdh) Seite 6 von 6
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