Ethik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
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- Viktoria Giese
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1 Ethik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Kurs 11 Aufbaucurriculum KJPD St. Gallen Dr. med. Sibille Kühnel, Praxis Aufwind 9450 Altstätten
2 Ethik Mehrzahl der Ärzte kennt ethische Schwierigkeiten im klinischen Alltag Häufigste Fragestellungen: Therapieentscheidungen treffen, wenn kein klarer Patientenwille vorliegt Entscheid für oder gegen lebenserhaltende Massnahmen Sterbehilfe Uneinigkeit zwischen den Beteiligten über therapeutische Entscheidungen Konflikte zwischen ethischen Verpflichtungen (wie: Autonomie des Patienten respektieren und bestmögliche Behandlung realisieren) Umgang mit limitierten Ressourcen bei expandierenden technischen Möglichkeiten, Apparatemedizin Unter- oder Überversorgung, Ungleichbehandlung (bestimmter Gruppen) Manipulation von Erbmaterial Organverpflanzung etc. Reiter Theil 2005 und 2008
3 Ethik- Begriffsklärung Ethik ist eine Theorie der Moral Moral ist Gesamtheit der relevanten Normen und Wertvorstellungen in einem konkreten sozialen Kontext und/oder für eine bestimmte Person Ethik befasst sich mit der Reflexion von Werten Werte benennen Wertekonflikt aufdecken Werte einordnen Gegenstand Gesamtheit der Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs der Menschen
4 Ethik-Begriffsklärung Aufgaben Fragen nach dem Inhalt und den Gründen der Moral, reflektiert Verhältnis zwischen unterschiedlichen Werten Ethikdiskurs Beitrag zum Verständnis warum wir moralisch sein sollen Beitrag zu guten Entscheidungen Voraussetzungen für die Ableitung von Handlungsrichtlinien: Was soll ich tun? (I. Kant) Reflexion der Konsequenzen von Handlungen und der Interessenslagen der an den Handlungen Beteiligten Keine Lösungsanleitungen es kann mehr als einen vertretbaren Weg geben Keine allgemein verbindlichen Regeln Kein Rezeptbuch
5 Ethische Grundsatzpositionen Utilitarismus (Mill, Bentham) Zweck des Sittlichen Handelns ist zum Glück der Meisten beizutragen Konsensethik (Habermas) Jede Entscheidung ist legitim, die sich auf den aufgeklärten Konsens aller Beteiligten stützen kann. Seins- und Vollkommenheitsethik (Jonas) Das individuelle Sein steht im Mittelpunkt. Das Sein ist steigerbar. Schopenhauers Moralformel Verletze niemanden, hilf soviel du kannst allen (Verletzungsverbot/Verbot primärer Gewalt, Hilfsangebot)
6 Medizinische Ethik Die Medizinische Ethik beschäftigt sich mit den sittlichen Normsetzungen, die für das Gesundheitswesen gelten sollen Sie hat sich aus der ärztlichen Ethik entwickelt, betrifft aber alle im Gesundheitswesen tätigen Personen, Institutionen und Organisationen Als grundlegende Werte gelten das Wohlergehen des Menschen, das Verbot zu schaden ( Primum non nocere ) und das Recht auf Selbstbestimmung der Patienten (Prinzip der Autonomie), allgemeiner das Prinzip der Menschenwürde
7 Was ist richtiges und gutes Handeln im Gesundheitswesen? Medizinethik Befasst sich mit Fragen nach dem moralisch Gesollten, Erlaubten und Zulässigen im Umgang mit menschlicher Krankheit und Gesundheit (Schoene Seifert) Traditionelle ethische Orientierung Persönliche Haltung des Arztes Hippokrates Standes- und Berufsethik (Tugendethik) erlässt die Standesordnung, Grundsätze der ärztlichen Tätigkeit, definiert Berufspflichten
8 Was ist richtiges und gutes Handeln im Gesundheitswesen? Fachliche Leitlinien, EbM Rechtliche Grundlagen (Straf- und Zivilrecht, BV, UN- Kinderrechte) Nicht ausreichend weil Interdisziplinarität- u.u. unterschiedliche Werthaltungen Komplexität Strukturierung von Entscheidungsfindungsprozessen nötig Weitere Moralische Prinzipien 4 Prinzipien Ansatz Beauchamp und Childress
9 Ethik im medizinischen Alltag Ethisches Vorgehen ist nicht autoritär Ist kein unverbindlicher Meinungsaustausch Ist keine x-beliebige Mehrheitsmeinung Nicht einfach Pluralismus (gibt zu wenig Orientierung) Keine hierarchisch-dogmatische Wertordnung Übernimmt Verantwortung für die Qualität des Prozesses und die solide Bewertung der Argumente
10 Ethik im medizinischen Alltag Wo und wie findet sie statt? Ethisch basierte Richtlinien Ethischen Entscheidungsfindungsverfahren Ethik-Foren Hausethiker, Ethik-Konsil (Bsp. KJP Basel) Ethik Komitees
11 Hippokrates Grundsätzliche Hilfsbereitschaft Anwendung des Könnens zum Wohle der Menschen Schutz des menschlichen Lebens Achtung der Patienten aufgrund seiner Würde Fortbildungspflicht
12 4 Prinzipien Ansatz Beauchamp und Childress Respekt vor der Autonomie der Patienten (respect for autonomy) Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit, Respekt der Wertvorstellungen der Patienten, informed consent Schadensvermeidung (nonmaleficience) Bsp. Chemotherapie > Dilemma Fürsorge vs. Schadensvermeidung Hilfestellung und Fürsorge (beneficence) Verpflichtung zu aktivem Handeln, das das Wohl des Patienten fördert Dilemma Fürsorge vs. Schadensvermeidung; Fürsorge vs. Autonomie Gleichheit und (Verteilungs-)gerechtigkeit (justice)
13 Ethik im medizinischen Alltag Ethische Entscheidungsfindungsmodelle Integratives Stufenmodell Systematischer Perspektivenwechsel Ulmer Modell der sequenzierten Fallanalyse 7 Schritte ethischer Urteilsbildung Bochumer Arbeitsbogen
14 Integratives Stufenmodell (Reiter Theil) Prozess des Zuhörens und Verstehens Fragen stellen und klären Dilemma/Ethikfokus herausarbeiten Interpretieren, bewerten, Perspektiven wechseln Analysieren, Pro/Contra abwägen Ethische Dimension der unterschiedlichen Optionen verstehen Übersehenes oder Irrtümer artikulieren Schlussfolgern Empfehlungen machen Argumente und Prinzipien vertreten Insistieren oder Einspruch erheben
15 Systematischer Perspektivenwechsel Perspektive des Anderen einnehmen als Grundlage des Verstehens Das Vorherrschen einzelner Perspektiven kann Wahrnehmung verzerren Durch die systematische Variation der Perspektiven sollen die relevanten Bedürfnisse, Rechte und Pflichten der Beteiligten erhellt werden Ideales Ziel der Unparteilichkeit oder abwechselnden Mehrparteilichkeit Entscheidungsgerechtigkeit: wenn alle die an der Entscheidung teilhaben, unabhg. von ihrer tatsächlichen Position mit den Folgen einverstanden sein können. Reiter Theil 2005
16 Sequenzierte Fallanalyse-Ulmer Modell Erkennen und Benennen von ethischen Konfliktsituationen Differenzieren zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Konfliktsituationen Abwägen und Bewerten unterschiedlicher Handlungsoptionen Entwicklung von Problemlösestrategien und Suche nach individueller Lösung im konkreten Fall Reflexion über das eigene Wertesystem Reflexion über unterschiedliche Wertesysteme
17 7 Schritte ethischer Urteilsbildung (Baumann Hölzle) 1. Problem Analyse 2. Kontext Analyse 3. Definition des ethischen Dilemmas 4. Mehr als drei Verhaltensoptionen 5. Rechtliche und ethische Aspekte der Verhaltensoptionen 6. Klimaklärung und Entscheid 7. Evaluation des Entscheides
18 Aufträge und Besonderheiten in der Psychiatrie ethische Dilemmata Psychiatrie als gesellschaftliche Institution Zuordnung von 2 Aufträgen Versorgung, individuelle Hilfestellung Institution der gesellschaftlichen Kontrolle, die individuelle Repression einschliessen kann Spezifische Beziehungsmuster Arzt-Patient Urteilsunfähigkeit, Einwilligungsfähigkeit Widersprüchlichkeit, Konfliktpotential
19 Aufträge der KJP ethische Dilemmata Versorgung, individuelle Hilfestellung, fachlichen Behandlungsauftrag realisieren Realisierung eines gesellschaftlichen Schutzbedürfnisses inkl. Repression Das Kindeswohl (nicht das Wohl der Eltern) steht im Zentrum der Bemühungen aller Beteiligten Kindeswohl ist gewahrt, wenn das Kind sich gesund und natürlich in Freiheit und Würde körperlich, geistig, moralisch, seelisch und sozial entwickeln kann (UN-KRK) Sicherung der Grundrechte Kinderrechte Elternrechte Aufsichtspflicht gegenüber Minderjährigen
20 Ethische Probleme in der KJP Grundsätze: Respekt vor Autonomie, Gebot der Schadensvermeidung, Verpflichtung zur Hilfe Konflikte zwischen Zielbestimmungen der einzelnen Personen - Kind, Eltern, Therapeuten Wer gibt die Therapieziele vor? Behandlungen gegen den Wunsch der Eltern u/o der Kinder; Kindeswohlgefährdung Einleitung von Kesb Massnahmen gegen den Willen
21 Ethische Probleme in der KJP Stg. des Sozialverhaltens und der Emotionen > Fremdplatzierung gegen den Willen der Mutter angeordnet > Abbruch der Behandlung PTSD nach sex. Missbrauch > verweigerndes oppositionelles Verhalten inkl. Nahrungsverweigerung erfordert direkte Interventionen wie Festhalten, Sondenernährung. Besonderes Problem für männl. Stationspersonal Zwangsstörung > Stationäre Einweisung gegen den Willen des Jugendlichen Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. Alkholkranker Vater, Gewalt zwischen den Ke > Trennung der Ke oder Fremdplatzierung gegen den Willen aller Beteiligten.
22 Fazit Oft hoch komplexe Konstellationen Ethische Dilemmata häufig in den Bereichen Fürsorge Autonomie Schadensvermeidung Auswirkungen einer Entscheidung haben u.u. emotionale, familiäre, berufliche, ökonomische, soziale Folgen, die mit berücksichtigt werden müssen.
23 Danke für Ihre Aufmerksamkeit
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