Versuch "Viskosimetrie an Polyelektrolytlösungen"
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- Elisabeth Eberhardt
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1 Versuch "Viskosimetrie an Polyelektrolytlösungen" 1. Aufgabenstellung Es soll die Konzentrationsabhängigkeit der reduzierten Viskosität verschiedener Polymer- bzw. Polyelektrolytlösungen in destilliertem Wasser bzw. in einer Salzlösung bestimmt werden. Stichworte: Konformation von Polymeren, Polyelektrolyte, Debye-Hückel-Theorie, Viskosität, Kapillarviskosimeter, Regressionsanalyse 2. Theorie Grundlagen der Viskosimetrie Die zentrale Größe der Rheologie ist die Viskosität. Sie wird üblicherweise als Scherviskosität definiert: Befindet sich eine viskosen Flüssigkeit zwischen einer ruhenden und einer mit der Geschwindigkeit v x bewegten Platte, so ist die Kraft pro Fläche, die man zum Ziehen der bewegten Platte benötigt, proportional zum Geschwindigkeitsgradienten (der Scherrate). F A = dv x =. dy Einheit der Viskosität ist 1 Pa s = 10 Poise. Für Lösungen in einem Lösungsmittel mit der Viskosität 0 sind folgende Definitionen gebräuchlich: relative Viskosität rel = / 0 spezifische Viskosität sp = 0 / 0 = rel 1 reduzierte Viskosität (pro Konzentration c) r = sp /c Grenzviskosität (Extrapolation auf kleine Konzentrationen, geringe Scherraten) [ ]= lim r c 0, 0 Einfache Flüssigkeiten, bei denen die Viskosität unabhängig von der Scherrate ist, nennt man Newtonsche Flüssigkeiten. Viele Polymerlösungen zeigen eine deutliche Abhängigkeit der Viskosität von der Scherrate bzw. der Zeit, worauf hier aber nicht näher eingegangen wird. Für die Messung haben sich verschiedene Viskosimeter etabliert: Kapillarviskosimeter (nach Ostwald bzw. nach Ubbelohde) Kapillarviskosimeter sind nur für Messungen an Newtonschen Flüssigkeiten geeignet. Gemessen 1
2 wird die Zeit t, die ein definiertes Flüssigkeitsvolumen V braucht, um durch eine Kapillare (Radius r, Länge l) mit der Druckdifferenz Dp zu fließen. Sie ist gegeben durch das Hagen-Poiseuille-Gesetz (siehe Lehrbücher der Physik oder physikalischen Chemie) zu t= 8 l V p r 4. Das Kapillarviskosimeter wird mit dem reinen Lösungsmittel (Viskosität 0, Dichte 0, Durchlaufzeit t 0 ) kalibriert, dann ergibt sich rel = 0 t t 0. Das Ostwald-Viskosimeter besteht aus einem U-Rohr, in dessen einem Schenkel sich die Kapillare befindet. Es sind zwei Markierungen angebracht. Es wird die Zeit gestoppt, in der der Meniskus von der oberen auf die untere Markierung fällt. Die Problematik beim Ostwald-Viskosimeter besteht darin, daß die Druckdifferenz sich während der Zeit durch die fallende Flüssigkeitssäule bzw. die steigende Säule im anderen Schenkel ändert. Daher muß man zum Vergleich verschiedener Proben immer mit dem gleichen Flüssigkeitsvolumen arbeiten. Eine Verbesserung ist das Ubbelohde-Viskosimeter, bei dem am unteren Ende der Kapillare ein weiteres Rohr angesetzt ist, in dem Normaldruck herrscht. Da hier die Durchlaufzeit unabhängig vom Volumen ist, können leichter Konzentrationsreihen durch Verdünnen und Mischen im Viskosimeter durchgeführt werden. Weitere wichtige Viskosimetertypen sind Kugelfallviskosimeter und Rotationsviskosimeter. Mit den letzteren lassen sich auch nicht-newtonsche Flüssigkeiten vermessen. Mikroskopische Hydrodynamik Unterschiedliche Typen von Rotationsviskosimetern Die Viskosimetrie hat sich als Standardmethode zur Vermessung von Polymer- und Kolloidlösungen etabliert. Da die Viskosität auf dem hydrodynamischen Strömungsverhalten kleiner Teilchen beruht, können wichtige Aussagen über die Form und die Größe von Teilchen gemacht werden. Die Theorie der mikroskopischen Hydrodynamik geht auf Stokes und Einstein zurück. Stokes leitete die Formel für die Reibungskraft einer Kugel in einer Flüssigkeit her F R =6 v R, wobei v die konstante Geschwindigkeit und R den Radius der Kugel beschreibt. Auf Grundlage des Stokes'schen Gesetzes konnte Einstein in seiner Dissertation aus dem Jahre 1905 zeigen, daß für die relative Viskosität in Abhängigkeit vom Volumenbruch 2 von gelösten kugelförmigen Teilchen folgende Beziehung gilt: 2
3 rel = , und zwar unabhängig von der Größe der Teilchen (!). Mit Hilfe eines Ausdrucks für den Diffusionskoeffizienten D= k T 6 R gelang es Einstein dabei, den hydrodynamischen Radius von Molekülen zu berechnen und damit eine Aussage über die Größenordnung von Molekülen zu erhalten (Titel der Dissertation: "Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen"). Glücklicherweise sind nicht alle Teilchen feste Kugeln, sondern z.b. auch statistische Knäuel oder auch Stäbchen. Hier zeigt sich, daß die Grenzviskosität, also die Extrapolation zu kleinen Molenbrüchen, sehr wohl von der Größe der Teilchen abhängt. Man kann die Abhängigkeit vom Molekulargewicht empirisch in einem Skalengesetz ausdrücken, und zwar [ ]=K M. Diese Gleichung ist unter vielen Namen bekannt, vollständig müßte sie Staudinger-Mark-Houwink- Kuhn-Sakurada-Gleichung heißen. Sie ist ein Beispiel für ein empirisches Skalengesetz, das typisch für die Physikalische Chemie der weichen Materie ist. Um herauszufinden, wie die Grenzviskositätszahl mit dem Molekulargewicht skaliert, muß man die Meßwerte doppeltlogarithmisch auftragen. Aus der Steigung erhält man den Skalierungsexponenten. Der theoretische ermittelbare Skalierungsexponent ist abhängig von der Teilchengestalt, und zwar gilt =0 : Kugel =0.5 : Gauß-Knäuel, nicht frei durchspült =1 : Gauß-Knäuel, frei durchspült =2 : Stäbchen Für Kugeln ergibt sich also immer noch die Unabhängigkeit vom Molekulargewicht. Auf diese Weise läßt sich nun experimentell durch Auftragung der Grenzviskosität gegen das Molekulargewicht die Gestalt von Kolloidpartikeln bestimmen. Meistens wird die Viskosimetrie jedoch verwendet, um Molekulargewichte im Vergleich zu Kalibrierstandards zu bestimmen. Praktische Ermittlung der Grenzviskositätszahl Für die Ermittlung der Grenzviskositätszahl gibt es mehrere Verfahren. Im Allgemeinen sinkt die reduzierte Viskosität mit abnehmender Konzentration auf nichtlineare Weise, und die unterschiedlichen Extrapolationsformeln versuchen, die Meßdaten so gut als möglich zu linearisieren. Die wichtigsten empirischen Formeln lauten r =[ ] [ ] 2 k H c... lg r =lg [ ] [ ]k M c... r =[ ] [ ]k SB sp... (Huggins) (Martins) (Schulz-Blaschke) Die Konzentration gibt man bei Polymeren immer als Massenkonzentration an (g/l). 3
4 Polyelektrolyte Polyelektrolyte sind Polymere, die auf ihren Monomereinheiten Ladungen tragen. Sie zeichnen sich durch ein ganz besonderes Viskositätsverhalten aus, den sogenannten Polyelektrolyteffekt: Mit abnehmender Konzentration steigt die reduzierte Viskosität anstatt zu sinken. Dies kann dadurch begründet werden, daß durch zunehmende Verdünnung die Gegenionen die Ladungen auf der Polymerkette nicht mehr abschirmen. Dadurch stoßen sich sich die Ladungen stärker ab, und es kommt zu einer Konformationsänderung von einer geknäuelten Form in eine gestreckte Form. Sind genügend Gegenionen vorhanden, zum Beispiel in einer konzentrierten Salzlösung, unterbleibt der Effekt. Über das Abschirmungsverhalten von Ladungen in Elektrolytlösungen kann man sich in Lehrbüchern der Physikalischen Chemie informieren (Debye-Hückel-Theorie). Für Polyelektrolyte ist es sehr schwierig, eine Grenzviskosität anzugeben. Für die Konzentrationsabhängigkeit der reduzierten Viskosität kann man als empirische Formel die von Fuoss und Strauss aufgestellte Beziehung r = A 1 B c verwenden und auf kleine Konzentrationen extrapolieren. Dazu trägt man 1/ r gegen c auf und bestimmt den Achsenabschnitt als 1/[ ]. Die Richtigkeit des Verfahrens wird jedoch immer noch diskutiert und ist Gegenstand aktueller Forschung auf diesem Gebiet. Polyelektrolyte besitzen eine große Bedeutung: Die meisten Biopolymere sind Polyelektrolyte und Polyelektrolyte sind Bestandteile vieler Kosmetika als Verdickungsmittel (Haargele usw.) 3. Experimentelles Kapillarviskosimeter Zur Messung der Viskosität wird ein Ostwald-Viskosimeter verwendet. Zur Kalibrierung wird die Durchlaufzeit des reinen Lösungsmittels gemessen. Dazu wird das Viskosimeter mit genau 5 ml Lösungsmittel (Meßpipette!) gefüllt und im Thermostaten auf 25 C temperiert (5 min). Dann wird das Viskosimeter aus dem Wasserbad gehoben, mit dem Saugball die Kapillare gefüllt und die Messung gestartet. Die Zeit, die der Meniskus braucht, um von der oberen zur unteren Markierung zu laufen, wird gestoppt. Jede Messung wird mindestens zweimal durchgeführt. Frage: Welchen Vorteil hat ein Ubbelohde-Viskosimeter, bei dem am unteren Ende der Kapillare ein weiteres Rohr nach oben angesetzt ist? Zur Herstellung der Lösungen wird eine Stammlösung mit Konzentration C angesetzt (100 ml) und eine Konzentrationsreihe von 0.1 C, 0.2 C, 0.3 C, 0.5 C, 0.7, 1 C hergestellt. Da Polymere sich sehr langsam lösen, sollten die Stammlösungen einen Tag im voraus angesetzt werden. Man verwende, wenn nichts anderes gesagt wird, entionisiertes Wasser. Für Polyelektrolytuntersuchungen wird als Lösungsmittel eine M NaCl-Lösung bzw. eine 1 M Na 2 SO 4 -Lösung angesetzt (250 ml). 4
5 Ostwald-Viskosimeter Auswertung Zur Auswertung müssen Sie Kurven anfitten, d.h. eine Regressionsanalyse durchführen. Allgemein geht man nach dem Prinzip der kleinsten Fehlerquadrate vor, d.h. für eine angenommene Funktion f(x), die eine Anzahl an Parametern A 1, A 2,... enthält, müssen die Parameter so gewählt werden,daß N 1 y i f x i 2 minimal wird. Für einen linearen Zusammenhang zwischen x und y ergeben sich daraus die Formeln für die lineare Regression, die Sie aus dem Grundpraktikum kennen und die Sie hier verwenden können. Im allgemeinen Fall kann aber auch das Verhalten nichtlinear sein. Hier müssen spezielle Algorithmen zur Bestimmung der Parameter verwendet werden. In kommerziellen Fitprogrammen implementiert sind z.b. der Gauß-Newton-Algorithmus oder, häufiger, der Levenberg Marquardt-Algorithmus. Unabhängig, welchen Fit man durchführt, muß man entscheiden, welche Qualität ein solcher Fit hat. Als erstes gilt es zu beurteilen, wie genau die Parameter ermittelt werden können. Dazu berechnet man zuerst die Standardabweichung des Fits, die sich aus der Fehlerquadratsumme ergibt: 2 y = 1 y N m i f x i 2 m ist die Anzahl der Parameter, für die lineare Regression ist m = 2. Die Standardabweichung ist eine Schätzung für die Streuung der einzelnen y i -Werte um den wahren Wert und beschreibt die Breite einer angenommenen Gaußverteilung. Die Fehler der einzelnen Parameter ergeben sich nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz zu A A 2 = [ y 2 2 y i ] (Frage: Welche Formeln ergeben sich für die Standardabweichungen von Steigung und Achsenabschnitt im Fall einer linearen Regression?) Ein wichtiges Maß für die Qualität des Gesamtfits ist Pearsons Korrelationskoeffizient r. Für lineare Probleme ergibt er sich als Quotient von Kovarianz und den Quadratwurzeln der Varianzen von x und y. x i x y i y r= x i x 2 y i y 2 5
6 Statt r wird häufig auch das Bestimmtheitsmaß r 2 angeben. Je näher r 2 bei 1 liegt, desto besser ist der Fit. Eine sehr wichtige Aussaage liefert auch der Residuenplot. Als Residuum bezeichnet man die Größe y i f x i. Wird diese Größe gegen x aufgetragen, erhält man eine Übersicht über systematische Abweichungen der Meßwerte von der angenommenen Kurvenform. Nur wenn die Residuen gleichmäßig um 0 streuen, liefert die angenommene Funktion eine gute Beschreibung der experimentellen Werte. Geben Sie Standardabweichungen der Parameter (z.b. Steigung und Achsenabschnitt), Korrelationskoeffizienten und Residuenplot bei allen Fits an. 4. Aufgabenstellung 1. Bestimmen Sie die Grenzviskositätszahl einer Lösung von Polyvinylpyrrolidon in Wasser bei 30 C. Verwenden Sie eine Probe mit angegebenem Molekulargewicht M w = (Stammlösung C = g/cm 3 ). Wie wird die Konzentrationsabhängigkeit der reduzierten Viskosität am besten beschrieben? Wenden sie zur Beantwortung dieser Frage drei unterschiedliche Fitmethoden (Huggins, Martins, Schulz-Blaschke) an und beurteilen Sie, welcher Fit besser paßt. Vergleichen Sie mit der Grenzviskosität, die sich aus Literaturwerten (s.u.) errechnen läßt. 2a. Bestimmen Sie die reduzierten Viskositäten einer Konzentrationsreihe von Carboxymethylcellulose in Wasser (Stammlösung C = g/cm 3 ). Wie verhält sich hier die Konzentrationsabhängigkeit der reduzierten Viskosität? Welchen Fit wählen Sie zur Beschreibung? Führen Sie den gleichen Versuch durch, indem Sie zum Ansetzen der Lösungen M NaCl- Lösung statt entionisiertes Wasser verwenden. Wie verhält sich jetzt die Konzentrationsabhängigkeit? Führen Sie eine geeignete Kurvenanpassung durch. Stellen Sie die Ergenisse beider Meßreihen in einem gemeinsamen Graphen dar. alternativ: 2b. Bestimmen Sie die reduzierten Viskositäten einer Konzentrationsreihe von Poly(dimethyldiallylammoniumchlorid (Polyquat 40 U50 05: M n ca. 8000, 40%ige Lösung in Wasser, Katpol Chemie) in Wasser (Stammlösung C = g/cm 3 ). Wie verhält sich hier die Konzentrationsabhängigkeit der reduzierten Viskosität? Welchen Fit wählen Sie zur Beschreibung? Führen Sie den gleichen Versuch durch, indem Sie zum Ansetzen der Lösungen 1 M Na 2 SO 4 - Lösung statt entionisiertes Wasser verwenden. Wie verhält sich jetzt die Konzentrationsabhängigkeit? Führen Sie eine geeignete Kurvenanpassung durch. Stellen Sie die Ergenisse beider Meßreihen in einem gemeinsamen Graphen dar. 6
7 Tabellierte Daten für die Mark-Houwink-Gleichung (nach Lechner, Gehrke, Nordmeier 1 bzw. Kulicke-Clasen 2 ): T/ C K/(cm 3 /g) a Polystyrol / Toluol Polyvinylalkohol / Wasser Poly(methylmethacrylat) / Aceton Polyvinylpyrrolidon / Wasser Carboxymethylcellulose / M NaCl-Lsg Carboxymethylcellulose / 0.05 M NaCl-Lsg Carboxymethylcellulose / 0.2 M NaCl-Lsg Literatur H.-D. Dörfler, Grenzflächen und kolloid-disperse Systeme, Springer, Berlin 2002 M.D. Lechner, K. Gehrke, E.H. Nordmeier, Makromolekulare Chemie, 3. Aufl., Birkhäuser Verlag, Basel 2003 P.C. Hiemenz, R. Rajagopalan, Principles of colloid and surface chemistry, M. Dekker, New York 1997 S.F. Sun, Physical Chemistry of Macromolecules, J. Wiley & Sons, New York 1994 G.P. Matthews, Experimental Physical Chemistry, Clarendon Press, Oxford 1985 E. Meister, Grundpraktikum Physikalische Chemie, vdf, Zürich 2000 W.-M. Kulicke, C. Clasen, Viscosimetry of Polymers and Polyelectrolytes, Springer 2004 J.R. Taylor, Fehleranalyse, VCH, Weinheim 1988 P.R. Bevington, D.K. Robinson, Data reduction and error analysis for the physical sciences, 2nd. Ed., McGraw-Hill, New York,
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