Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118
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1 Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 Dres. iur. Thomas Ender und Erich Rüegg Rechtsanwälte und Notare Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 188 1
2 Der Werkvertrag: Begriff Art. 363 OR lautet: «Durch den Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung.» Herstellungspflicht des Unternehmers: Geschuldet ist ein Arbeitserfolg: Ein Werk, nicht ein «Werkeln»! Der geschuldete Arbeitserfolg besteht verschuldensunabhängig! Unterschied zum Auftrag: Unternehmer im Werkvertrag: Arbeitserfolg; Beauftragter: Sorgfältige Arbeit im Hinblick auf einen Erfolg Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 2
3 Erscheinungsformen des Werkvertrags Bauwerkvertrag: Der geschuldete Arbeitserfolg ist ein Bauwerk. Bauwerk: Arbeitserfolg, der nach dem konkreten Bauwerkvertrag geschuldet ist (z.b. Strassenbelag, Malerarbeit; nicht zwingend das ganze funktionale Bauwerk). Es gibt auch unkörperliche Werke: Erstellung von Plänen; Vermessung von Land; Erstellung eines Gutachtens Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 3
4 Hauptpflicht des Unternehmers: Herstellung und Ablieferung des Werkes Grundsatz: Persönliche Ausführung oder Ausführung unter der Leitung des Unternehmers. Ausnahme: Keine persönliche Ausführung/Leitung, wenn es auf die Eigenschaften des Unternehmers nicht ankommt. Ablieferungstermin; Bestellungsänderung: Vereinbarte Bestellungsänderung; Einseitige Bestellungsänderung. Art. 84 Abs. 1 SIA-Norm 118: Der Besteller hat das Recht zu einseitigen Bestellungsänderungen, sofern der Gesamtcharakter des Werkes gewahrt bleibt Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 4
5 Exkurs: Vertragliche Formvorbehalte für Mehrvergütungen (z.b. Bestellungsänderungen) Beispiel KBOB-Werkvertrag (Bund): «Stellt eine Weisung des Bauherrn oder die Abgabe geänderter Pläne nicht eine Konkretisierung der ursprünglich vereinbarten Leistung, sondern eine Bestellungsänderung dar, so macht der Bauherr den Unternehmer darauf ausdrücklich aufmerksam. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist der Unternehmer aber der Auffassung, eine ihm erteilte Weisung oder die ihm übergebenen, geänderten Pläne stellten eine Bestellungsänderung dar, so teilt er dies dem Bauherrn vor Inangriffnahme der Arbeiten schriftlich mit.» Beispiel EIPB 118 (Interessengemeinschaft professioneller privater Bauherren): «Mehrvergütungen aller Art (z.b. aufgrund von geltend gemachten Bestellungsänderungen (mitsamt Leistungen, Terminen und Preisen), Regiearbeiten, Bauablaufstörungen, Erschwernissen, etc.) werden vom Bauherrn nur dann geleistet, wenn sie vom Unternehmer unverzüglich, spätestens jedoch vor Inangriffnahme der entsprechenden Leistungen dem Bauherrn schriftlich angezeigt und offeriert wurden und die entsprechende Offerte vom Bauherrn schriftlich angenommen wurde. Liegt keine solche Anzeige bzw. Offerte seitens des Unternehmers vor, so darf der Bauherr davon ausgehen, dass von ihm allenfalls erteilte Weisungen lediglich eine Konkretisierung der ursprünglichen, vereinbarten Leistung darstellen.» Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 5
6 Hauptpflicht des Bestellers: Pflicht zur Leistung der Vergütung Festpreis Pauschalpreis Globalpreis Einheitspreis Übernahme ohne feste Vergütung Vergütung nach Aufwand ( cost plus fee ) Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 6
7 Exkurs: Vollständigkeitsklauseln Grosser Ärger für den Unternehmer, aber grundsätzlich durchsetzbar: Vernünftige (enge) Auslegung im Zweifelsfall: Eingeschlossen sind Leistungen, die der Besteller in seiner Leistungsbeschreibung unbewusst ausgelassen hat und der Unternehmer tatsächlich erkannte oder nach dem von ihm objektiv zu erwartenden Sachverstand hätte erkennen können. Beispiel: «Der Unternehmer hat die vertraglich geschuldeten Leistungen vollständig zu erfüllen. Vollständig bedeutet, dass damit alle Leistungen umfasst werden, die erforderlich sind, um den mit diesem Vertrag (und seinen Vertragsbestandteilen) dargelegten Leistungsumfang vollständig zu erbringen und das Bauwerk zum vorgesehenen Zweck und mit der vorgesehenen Qualität nutzen zu können. Das gilt insbesondere auch für Leistungen, die in diesem Vertrag (und seinen Vertragsbestandteilen) nicht oder nicht vollständig umschrieben sind, der Unternehmer jedoch deren Erforderlichkeit aufgrund des von ihm zu erwartenden Sachverstandes erkennen konnte.» Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 7
8 Exkurs: Unterzeichnete Regierapporte Die SIA-Norm 118 statuiert eine Rapportpflicht (Art. 47 SIA-Norm 118): Beweisvorschrift (keine Formvorschrift): Keine Verwirkung, falls nicht rapportiert wird. Unterzeichneter Regierapport geniesst tatsächliche Vermutung der Richtigkeit und dass der ausgewiesene Aufwand nötig war: Der Besteller hat das Recht auf Gegenbeweis Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 8
9 Wie fest ist ein Festpreis? Grundsatz (Art. 373 Abs. 1 OR): Festpreis gilt auch dann, wenn der Unternhmer mehr Arbeit oder grössere Auslagen gehabt hat als vorgesehen war. Ausnahme (Art. 373 Abs. 2 OR): Keine Bindung an Festpreis bei nicht voraussehbaren oder beidseitig nicht angenommenen ausserordentlichen Umständen, die die Fertigstellung hindern oder übermässig erschweren. Teuerung Baustahl (KBOB, Preisänderungen im Bauwesen): Indexstand Januar 2004: 121; Indexstand Mai 2004: 186.1; Preissteigerung von ca. 53 % in vier Monaten! Massgebend ist das Verhältnis zwischen Gesamtleistung und Gesamtvergütung! Keine grosse Praxisrelevanz von Art. 373 Abs. 2 OR (ausserordentliche Umstände) wegen zu harscher Voraussetzungen. Fazit: Feste Preise sind wirklich (sehr) fest! Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm 118 9
10 Der Mangel: Begriff Vertragsabweichung; Relativer Tatbestand: Abweichung des abgelieferten Werkes von seiner Sollbeschaffenheit. Juristischer Begriff (nicht notwendigerweise Übereinstimmung mit dem technischen Begriff). Erscheinungsformen: Fehlende vereinbarte (zugesicherte) Eigenschaft; Fehlende vorausgesetzte Eigenschaft: Normalbeschaffenheit; Gebrauchstauglichkeit Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
11 Exkurs: Wer muss den Mangel beweisen? Falls OR gilt: Der Besteller muss beweisen: Sachverhalt, der dem Mangel zu Grunde liegt (z.b. welche Farbe wurde tatsächlich verwendet); Vertragsabweichung (z.b. es war vertraglich eine andere Farbe geschuldet). Falls die SIA-Norm 118 zur Anwendung kommt: Während der zweijährigen Rügefrist («Garantiefrist»): Der Besteller muss den Sachverhalt, der dem Mangel zu Grunde liegt, beweisen; Der Unternehmer muss beweisen, dass dieser Sachverhalt keine Vertragsabweichung (Mangel) darstellt (Art. 174 Abs. 3 OR); Nach Ablauf der zweijährigen Rügefrist: Beweislastverteilung gemäss OR Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
12 Die Mängelrechte Verschuldensunabhängig Wandelung Minderung Nachbesserung Bei Verschulden Recht auf Ersatz des Mangelfolgeschadens Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
13 Das Wandelungsrecht Rücktrittsrecht (mit rückwirkender Kraft); Voraussetzungen (Art. 368 Abs. 1 und 3): Unbrauchbarkeit; Unzumutbarkeit; Keine unverhältnismässigen Nachteile für die Entfernung bei unbeweglichen Bauwerken. Für den Bauwerkvertrag kaum praxisrelevant! Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
14 Das Minderungsrecht Herabsetzung der Vergütung; Relative Methode: ü ü ä ä Theorie: Wahrung des «Deals» durch relative Methode. Praxis: Zwei tatsächliche Vermutungen: Vereinbarter Preis = Wert des mängelfrei gedachten Werkes; Minderwert = Verbesserungskosten Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
15 Das Nachbesserungsrecht Unentgeltliche Verbesserung des mangelhaften Werkes; Einschränkung: Keine übermässige Kosten: Massgebend ist das Verhältnis zwischen den Nachbesserungskosten und dem Nutzen, den die Mängelbeseitigung für den Besteller hat; Die Nachbesserungskosten können die Höhe des Werklohnes übersteigen. «Behelfslösung»: Keine Annahmepflicht des Bestellers; Aber: Auswirkungen auf das Kosten-/Nutzenverhältnis: Unter Umständen verliert der Besteller sein Nachbesserungsrecht und kann nur noch Minderung verlangen. Art. 169 Abs. 1 SIA-Norm 118: Der Besteller hat zunächst nur das Recht, vom Unternehmer die Nachbesserung zu verlangen (vertragliches primäres Nachbesserungsrecht des Unternehmers), unter Verwirkungsfolge im Verletzungsfall Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
16 Das Recht auf Ersatz des Mangelfolgeschadens Ursache in einem Mangel; Aber nicht im Mangel selbst begründet; Der Mangelfolgeschaden verbleibt trotz Wandelung, Minderung oder tadelloser Nachbesserung; Der Mangelfolgeschaden kommt zum Mangel hinzu: Er tritt ausserhalb des Mangels auf; Beispiele: Mietzinsausfall, Mietzinsherabsetzung, Gutachterkosten; Haftung nur bei Verschulden des Unternehmers: Beweislastumkehr gemäss Art. 97 OR: Der Unternehmer muss beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft; Objektiver Verschuldensbegriff Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
17 Die Prüfungs- und Rügepflicht des Bestellers Art. 367 Abs. 1 OR: «Nach Ablieferung des Werkes hat der Besteller, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich ist, dessen Beschaffenheit zu prüfen und den Unternehmer von allfälligen Mängeln in Kenntnis zu setzen.» Folgen der Verletzung dieser Pflichten sind fatal: Unwiderlegbare Vermutung der Genehmigung des Werks! Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
18 Die Rügepflicht im Besonderen Pflicht des Bestellers, den Unternehmer von Mängeln in Kenntnis zu setzen; Pflicht zur Sofortrüge: Nach Bundesgericht 7 Tage (bzw. bei Mängeln, die sich verschlimmern, noch rascher)! Art. 172 Abs. 1 SIA-Norm 118: Rügefrist («Garantiefrist») von zwei Jahren, während der Mängel aller Art jederzeit gerügt werden können (Art. 173 Abs. 1 SIA-Norm 118). Substanziierungspflicht: Der Unternehmer muss erkennen können, was beanstandet wird; Formfrei (also auch mündlich) möglich Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
19 Verjährung Grundsatz für unbewegliche Werke: Verjährungsfrist von 5 Jahren ab Abnahme; Ausnahme: 10 Jahre bei absichtlicher Verschweigung des Mangels; Rechtsnatur der Verjährung: Einrede (Forderung geht nicht unter, ist aber bei Erhebung der Einrede der Verjährung rechtlich nicht mehr durchsetzbar); Verjährungseinredeverzicht; Unterbrechung der Verjährung: Qualifizierte Rechtsverfolgung: Betreibungsbegehren; Klage; Achtung: Bei vertraglich vereinbartem Nachbesserungsrecht (SIA-Norm 118) genügt Betreibungsbegehren nicht (keine Geldforderung)! Achtung: Weit verbreiteter Irrtum bis hoch hinauf in die «Teppichetagen»: Blosse Geltendmachung eines Rechts (z.b. Verlangen der Nachbesserung, Mahnung) wirkt nicht verjährungsunterbrechend! Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
20 Anwendungsfall «Belagsbuckel» Altlastenrecht 20
21 Sachverhalt Ein Investor plant und erstellt ein Versicherungssicherheitszentrum; Er zieht hierfür einen Generalunternehmer bei; Dieser wiederum zieht einen Strassenbauer für die Erstellung der Pisten bei Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
22 «Schadensbild» I Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
23 «Schadensbild» II Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
24 «Schadensbild» III Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
25 Wie ging es weiter Der Strassenbauer holt ein (Privat-)Gutachten ein (ohne Mitwirkung des Anwaltes); Der Strassenbauer zieht einen Anwalt bei und lädt ihn zu einer Besprechung ein; Anlässlich der Besprechung wird dem Anwalt erklärt: Gemäss Gutachten war die Schlacke mit Magnesiumrückstanden verunreinigt; Wasser, das durch den Belag versickert, hat mit dem Magnesium reagiert; Diese Reaktion erzeugte aufsteigende Gase, die die Belagsbuckel verursacht haben. Der Anwalt flucht (innerlich) und hat Schweissausbrüche. Warum? Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
26 Vertragsbeziehungen Bauherr GU Strassenbauer Werkvertrag (SIA-Norm 118) Schlacken- Lieferant Kaufvertrag Stahlwerk Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
27 Wie ging es weiter Der Strassenbauer verlangte vorsorgliche Beweisführung beim zuständigen Gericht; Das gerichtliche Gutachten bestätigt das Privatgutachten: Ursache ist die verunreinigte Schlacke; Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
28 Wer haftet wem für was? Der GU verlangt vom Strassenbauer den Totalersatz des Belages: Wie ist die Rechtslage? Der Strassenbauer möchte auf den Schlackenlieferant regressieren: Wie ist die Rechtslage? Der Strassenbauer überlegt sich auch, ob er gegenüber dem Stahlwerk Ansprüche geltend machten kann: Wie ist die Rechtslage? Der Bauwerkvertrag unter besonderer Berücksichtigung der SIA-Norm
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