Unternehmensstrafrecht: Fälle wie Von Roll und Schweizerhalle Gestern, Heute und Morgen
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1 Prof. Dr. Marcel Alexander Niggli Fürsprecherin und Notarin Natalia Schmuki Unternehmensstrafrecht: Fälle wie Von Roll und Schweizerhalle Gestern, Heute und Morgen Handout zum Vortrag gehalten an der Weiterbildungsveranstaltung SEBWK am 30. November 2004 in Bern Universität Freiburg Beaureagard Freiburg 026/
2 Niggli/Schmuki: Unternehmensstrafrecht. Gestern, heute, morgen 2 Per 1. Oktober 2003 sind die Art. 100 quater und 100 quinquies StGB in Kraft getreten. Auch ein Jahr nach der Inkraftsetzung des Unternehmensstrafrechts gibt es dazu noch keine Judikatur. Trotz fehlender Praxis (dieses Fehlen kann Ergebnis von Zufall oder Zurückhaltung sein) sind Beiträge mit sogenanntem Praxisbezug erwünscht. Deshalb wird nachfolgend aufgrund theoretischer bzw. hypothetischer Überlegungen Praxisrelevanz konstruiert, ausgehend vom Bundesgerichtsentscheid Von Roll aus dem Jahre 1996 (BGE 122 IV 103 ff.). 1. Von Roll gestern Der Von-Roll AG Gerlafingen wurden kurz nach dem Ende des Krieges zwischen dem Irak und Iran Beziehungen zum Irak vermittelt, der mit der Herstellung weitreichender Geschütze beschäftigt war. Am 13. November 1988 schloss ein Ministerium in Bagdad mit der Von-Roll AG einen Vertrag über die Lieferung von Hydraulikzylindern und Kolbenstangen im Wert von über 5 Millionen Franken ab. Am 30. Mai 1989 folgte ein Vertrag der Von-Roll mit diesem Ministerium über Endstücke und Konsolen im Betrag von knapp 2 Millionen Franken. Ein dritter Vertrag vom 13. November 1989 bezog sich auf Hydraulikzylinder, Gleitlager-Gehäuse, Lagerhäuser und Pivot-Trommel-Gehäuse von über eineinhalb Millionen Franken. Die Von-Roll führte einen grossen Teil des Auftrags mit 18 Lieferungen aus. Die 19. und 20. Lieferung wurden auf dem Flughafen Frankfurt am Main aufgehalten, was die Lieferantin anfang Mai aus einem Telegramm erfuhr, in welchem vom Kriegswaffenkontrollgesetz die Rede war. Am 10. Mai 1990 wurde die 21. Lieferung auf dem Güterbahnhof Bern aufgehalten. Die Bundesanwaltschaft leitete eine Strafverfolgung wegen Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz ein. 1 Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG (Fassung 1972) 2 Wer vorsätzlich a. ohne entsprechende Bewilligung oder entgegen den in einer Bewilligung festgesetzten Bedingungen und Auflagen Kriegsmaterial herstellt Kriegsmaterial beschafft Kriegsmaterial vertreibt, die Beschaffung und den Vertrieb von Kriegsmaterial vermittelt, Kriegsmaterial einführt, ausführt oder durchführt.; wird mit Gefängnis oder mit Busse bis zu 500'000 Franken bestraft 1 Sachverhaltszusammenfassung übernommen aus: HANS WIPRÄCHTIGER: Strafbarkeit des Unternehmers. Die Entwicklung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, in: AJP 7/2002, S. 758 f. 2 AS 1973, 112
3 Niggli/Schmuki: Unternehmensstrafrecht. Gestern, heute, morgen 3 Art. 19 Abs. 2 alt KMG 3 Der Geschäftsherr oder Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, untersteht den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten. Art. 19 Abs. 3 alt KMG Ist der Geschäftsherr oder Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene eine juristische Person, so findet Abs. 2 auf die schuldigen Organe, Organmitglieder, geschäftsführenden Gesellschafter oder tatsächlich leitenden Personen Anwendung. Gestützt auf diese Bestimmungen aus dem alten Kriegsmaterialgesetz wurde unter anderen Personen der Konzernleiter der Von-Roll AG, F., wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das alte KMG zu einem Monat Gefängnis und zu einer Geldbusse von Fr. 25'000. verurteilt (sog. strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung). Gemäss Bundesgerichtsentscheid liess sich nicht nachweisen, dass Konzernleiter F um das Irakgeschäft als solches oder gar um den wahren Verwendungszweck (zur Herstellung der sogenannten Supergun ) der hergestellten Teile gewusst hätte (BGE 122 IV 126). Eine Passage aus den Erwägungen des Bundesgerichts: Die Anklage wirft dem Angeklagten F. vor, es seien keinerlei organisatorische Bemühungen erkenntlich, Kriegsmateriallieferungen, z.b. durch das Werk Bern, frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Der Angeklagte hat anerkannt, dass in der Von Roll keine solchen Vorkehren getroffen worden sind. Seiner Ansicht nach war dies nicht nötig, da die Von Roll nicht mit Waffen handelte, und zudem wäre jedenfalls nicht er als Konzernchef zum Erlass entsprechender Weisungen verpflichtet gewesen. Es mag zutreffen, dass die Von Roll keine Waffen herstellt. Sie stellt jedoch Waffenbestandteile für schweizerische Stellen her.ein Unternehmen, das in der Stahlproduktion tätig ist und Bestandteile für Kriegsmaterial herstellt, ist verpflichtet, Sicherheitsvorkehren zu treffen, die nach Möglichkeit von vornherein Widerhandlungen gegen das KMG im Betrieb ausschliessen. Dies ist aus Art. 19 Abs. 2 KMG herzuleiten. Vor allem aber besteht für ein solches Unternehmen die Pflicht, die nötigen organisatorischen Vorkehren zu treffen, damit bei einem konkreten Verdacht, die Herstellung und die Ausfuhr von in seinen Betrieben hergestellten Produkten könnte gegen das KMG verstossen, die Zulässigkeit der Produktion und der Ausfuhr unverzüglich überprüft und ein bereits in Angriff genommenes Geschäft nicht einfach abgewickelt wird, wie wenn nichts geschehen wäre.in einem grösseren Unternehmen wie der Firma Von Roll dürfte die Verantwortung für eine genügende Organisation mehrere Personen treffen. In erster Linie dürfte die entsprechende Pflicht beim gesamten Verwaltungsrat liegen, der sich jedenfalls objektiv seiner Verantwortung nur entschlagen kann, wenn er das Problem der hinreichenden Organisation im Rahmen der zulässigen Grenzen an eine andere Stelle delegiert hat. Vorliegend ist jedoch einzig zu prüfen, ob die Pflicht jedenfalls auch den Angeklagten F. traf. Diese 3 AS 1973, 113
4 Niggli/Schmuki: Unternehmensstrafrecht. Gestern, heute, morgen 4 Frage ist zu bejahen. Er war nicht nur als Konzernchef, sondern insbesondere auch als derjenige, der in der obersten Leitung für den Rechtsdienst verantwortlich war, verpflichtet, eine Organisation durchzusetzen, wie sie hier umschrieben wurde. Diese Pflicht traf ihn schon lange vor der Anhaltung der Lieferung in Frankfurt. Er hat gegen diese ihm obliegende Pflicht verstossen und zwar, wie das Bundesgericht im Zweifel annimmt, fahrlässig, weil er sich darüber nicht hinreichende Gedanken gemacht hat. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob er aufgrund der Presseberichte im April 1990 (vgl. z.b. NZZ vom 14.4.: Eine Superkanone für Saddam Hussein?, NZZ vom 17.4.: Rätselraten über die irakische Superkanone ) hätte hellhörig werden müssen (BGE 122 IV 126 f.). 2. Von Roll heute Von-Roll als Leading Case? Der Fall Von-Roll wird immer wieder als Paradebeispiel herangezogen, um die Einführung der Unternehmensstrafbarkeit zu legitimieren. Offenbar sollen Fälle wie Von Roll künftig durch das Unternehmensstrafrecht besser gelöst werden können. Was hat es damit auf sich? Schliesst das Unternehmensstrafrecht hier tatsächlich eine Lücke? Falls ja: wodurch? Falls nein: schafft es allenfalls neue Lücken und welche? Ist das Bundesgericht in BGE 122 IV 103 ff. (wie teilweise behauptet wird) tatsächlich in Anwendung der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung und in Überstrapazierung der Auslegung oder weil in Beweisnot geraten zu weit gegangen? Könnte der Fall Von-Roll in Anwendung des heute geltenden Art. 100 quater StGB und/oder des heute geltenden Kriegsmaterialgesetzes dogmatisch transparenter begründet werden? Und: In welchem Verhältnis stehen die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung und das Unternehmensstrafrecht zueinander? Art. 100 quater StGB Strafbarkeit 1 Wird in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen und kann diese Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden, so wird das Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen zugerechnet. In diesem Fall wird das Unternehmen mit Busse bis zu 5 Millionen Franken bestraft. 2 Handelt es sich dabei um eine Straftat nach den Artikeln 260 ter, 260 quinquies, 305 bis, 322 ter, 322 quinquies oder 322 septies, so wird das Unternehmen unabhängig von der Strafbarkeit natürlicher Personen bestraft, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehren getroffen hat, um eine solche Straftat zu verhindern. 3 Das Gericht bemisst die Busse insbesondere nach der Schwere der Tat und der Schwere des Organisationsmangels und des angerichteten Schadens sowie nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens. 4 Als Unternehmen im Sinne dieses Artikels gelten:
5 Niggli/Schmuki: Unternehmensstrafrecht. Gestern, heute, morgen 5 a. juristische Personen des Privatrechts; b. juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der Gebietskörperschaften; c. Gesellschaften; d. Einzelfirmen. Art. 37 des geltenden Kriegsmaterialgesetzes 4 verweist bei Widerhandlungen gegen das KMG in Geschäftsbetrieben auf Art. 6 des Verwaltungsstrafrechtsgesetzes vom 22. März Art. 6 VStR III. Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben, durch Beauftragte u. dgl. 1. Regel 1 Wird eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit oder sonst in Ausübung geschäftlicher oder dienstlicher Verrichtungen für einen andern begangen, so sind die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar, welche die Tat verübt haben. 2 Der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene, der es vorsätzlich oder fahrlässig in Verletzung einer Rechtspflicht unterlässt, eine Widerhandlung des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters abzuwenden oder in ihren Wirkungen aufzuheben, untersteht den Strafbestimmungen, die für den entsprechend handelnden Täter gelten. 3 Ist der Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene eine juristische Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit, so wird Absatz 2 auf die schuldigen Organe, Organmitglieder, geschäftsführenden Gesellschafter, tatsächlich leitenden Personen oder Liquidatoren angewendet. Wäre die Von-Roll AG heute schuldig der Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz? Falls ja: Welches sind die möglichen Rechtsgrundlagen und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Was ergibt eine strukturierte und systematische Prüfung des Sachverhaltes nach den Kriterien des strafrechtlichen Deliktaufbaus? Welche Probleme stellen sich den praktisch Tätigen bei der Prüfung des Falles von Roll aus heutiger Sicht? 4 SR SR 313.0
6 Niggli/Schmuki: Unternehmensstrafrecht. Gestern, heute, morgen 6 3. Von Roll morgen Befriedigt die Lösung Von Roll heute? Falls ja: Warum? Falls nein: Was ist vorzukehren und auf welcher Ebene? Gibt es Tipps für praktisch Tätige im Umgang mit dem Unternehmensstrafrecht? Freiburg, 15. Oktober 2004 M. A. Niggli Natalia Schmuki
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