Arbeitsrecht Ausgabe 4/2007
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- Götz Baum
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1 Arbeitsrecht Ausgabe 4/2007 I. Neue Entscheidungen 1. Konzernweite Weiterbeschäftigung vor außerordentlicher Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers BAG vom , 8 AZR 538/06 Bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gehört das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zum wichtigen Grund im Sinne des 626 Abs. 1 BGB. Anders als bei der ordentlichen Kündigung reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber darlegt, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei infolge des Wegfalls seines Arbeitsplatzes nicht mehr möglich. Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, dass er sich erfolglos auch um eine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bemüht hat. Das gilt nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch dann, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widersprochen hat. Die Entscheidung des BAG zeigt deutlich die Schwierigkeiten bei der Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen. Im konkreten Fall war der Kläger bereits seit vielen Jahren im Wege der Personalgestellung bei einem Tochterunternehmen beschäftigt. Das BAG hat es nicht für ausreichend erachtet, dass der Arbeitgeber seinen Betrieb vollständig eingestellt und sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt hat. Er hätte sich um eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers im Wege der Personalgestellung bemühen müssen. Unklar ist, ob das BAG dem Arbeitgeber unabhängig von dieser Fallgestaltung die Verpflichtung auferlegt, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine im Wege der Personalgestellung zu verwirklichende Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen. Auf der Linie dieser Entscheidung liegt auch das Urteil des BAG vom 10. Mai 2007 (2 AZR 626/05), wonach die Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers unzulässig ist, wenn der Arbeitgeber tariflich verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer bei Wegfall seines Arbeitsplatzes die Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Konzern zu verschaffen und ein solcher freier Arbeitsplatz besteht.
2 2. Zur Zulässigkeit arbeitsvertraglicher Versetzungsklauseln BAG vom , 9 AZR 433/06 Eine Versetzungsklausel in einem vorformulierten Arbeitsvertrag, nach der sich der Arbeitgeber das Recht vorbehält, den Arbeitnehmer entsprechend seiner Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen Tätigkeit zu betrauen oder auch an einem anderen Ort zu beschäftigen, stellt keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des 307 Satz 1 BGB dar. Die Versetzungsklausel muss die Gründe für die Änderung des Beschäftigungsorts nicht benennen. Der 9. Senat des BAG hat zum dritten Mal über die Konsequenzen der AGB-Kontrolle für Versetzungsklauseln entschieden. Durch Urteil vom 11. April 2006 (9 AZR 557/05) hat das BAG die Zulässigkeit der formularmäßigen Zuweisung eines anderen Arbeitsgebiets (Lokalredaktion) bei gleichbleibender Tätigkeit (Redakteur) mit der Einschränkung bejaht, dass die Festlegung unter Wahrung der Interessen des Arbeitnehmers zu erfolgen hat. Am 9. Mai 2006 (9 AZR 424/05) hat das BAG entschieden, eine Änderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit (Controller statt Personalsachbearbeiter) sei unzulässig, wenn aus der Klausel nicht hervorgeht, dass die neue Tätigkeit im Verhältnis zur bisherigen Position des Arbeitnehmers gleichwertig sein muss. Mit dem vorliegenden Urteil erklärt das BAG die Zuweisung eines anderen Arbeitsorts für zulässig, sofern bei der Ausübung des Direktionsrechts die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Insoweit hält das BAG den Zusatz entsprechend seiner Leistungen und Fähigkeiten für ausreichend. Eines darüber hinausgehenden Hinweises auf die Gleichwertigkeit der Tätigkeit bedarf es nicht. Eine weitreichende Versetzungsklausel in einem Formulararbeitsvertrag kann etwa lauten: Der Mitarbeiter wird als in eingestellt. Der Arbeitgeber behält sich vor, unter Berücksichtigung der Interessen des Mitarbeiters, (a) dem Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit andere seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Aufgaben zuzuweisen, (b) den Mitarbeiter an einen anderen Arbeitsort zu versetzen und/oder (c) dem Mitarbeiter eine andere seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zuzuweisen, sofern diese im Verhältnis zur bisherigen Tätigkeit mindestens gleichwertig ist. Eine derartige Erweiterung des Direktionsrechts ist für den Arbeitgeber mit dem Nachteil verbunden, dass sich bei einer betriebsbedingten Kündigung die Sozialauswahl erheblich ausweitet. 2
3 3. Geschlechtsbezogene Benachteiligung beim Abschluss besser dotierter Arbeitsverträge mit männlichen Arbeitnehmern BAG vom , 9 AZR 943/06, PM Nr. 62/07 Bietet der Arbeitgeber männlichen Mitarbeitern eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen an und führt dies dazu, dass zusammen mit bereits in der Vergangenheit besser gestellten Mitarbeitern alle männlichen Beschäftigten einen besseren Vertrag als weibliche Mitarbeiter haben, darf er den weiblichen Mitarbeitern den Abschluss eines solchen verbesserten Vertrages nicht verweigern. Er kann sich insbesondere nicht darauf berufen, ihm fehlten die finanziellen Mittel, weitere Vertragsverbesserungen zu verkraften. Dieser Einwand hätte die vom Geschlecht losgelöste Auswahlentscheidung erfordert, welchen Mitarbeitern ein verbesserter Vertrag angeboten werden soll. Die Entscheidung ist von Bedeutung für die Abgrenzung zwischen individueller Vertragsfreiheit und allgemeinem Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie könnte zu einer Einschränkung des bisherigen Grundsatzes führen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht für individuell vereinbarte Löhne und Gehälter gilt und der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer besser stellt (so z. B. auch BAG vom , 5 AZR 713/00). Um die Folgen der Entscheidung für die Unternehmen beurteilen zu können, müssen die Entscheidungsgründe abgewartet werden. Es ist jedoch zu befürchten, dass der Spielraum der Unternehmen, mit einzelnen Mitarbeitern individuell dotierte Verträge auszuhandeln, in Zukunft weiter eingeschränkt wird. 4. Schadensersatz bei fehlender Information über Unfallversicherungsschutz BAG vom , 8 AZR 707/06, PM Nr. 58/07 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Arbeitnehmer zu informieren, wenn er zu ihren Gunsten eine Unfallversicherung abschließt und der Versicherungsvertrag den Arbeitnehmern einen Direktanspruch auf Versicherungsleistungen gegen die Versicherung einräumt. Im einzelnen sind die Arbeitnehmer über die Existenz der Versicherung und die wesentlichen Vertragskonditionen zu informieren, um sie in die Lage zu versetzen, die Ansprüche fristgerecht geltend zu machen. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach und versäumt der Arbeitnehmer aufgrund der fehlenden Aufklärung die für die Geltendmachung von Ansprüchen bestehenden Fristen, haftet der Arbeitgeber für den dadurch entstehenden Schaden. Das Urteil betrifft die arbeitsvertragliche Fürsorge- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers bei Gruppenunfallversicherungen. Angesichts der Höhe der drohenden Schadensersatzansprüche müssen Arbeitgeber, die zugunsten ihrer Mitarbeiter eine Gruppenunfallversicherung abschließen oder abgeschlossen haben, zukünftig sorgfältig aufklären und unterrichten. Sie sollten sich die durchgeführte Information (Zeitpunkt und Inhalt) möglichst schriftlich von den Arbeitnehmern bestätigen lassen. 3
4 5. Auflösung des Arbeitsvertrags durch Geschäftsführer-Dienstvertrag BAG vom , 6 AZR 774/06 Schließt ein Arbeitnehmer mit dem Unternehmen, in dem er beschäftigt ist, einen schriftlichen Geschäftsführer-Dienstvertrag, wird vermutet, dass sein bis dahin bestehendes Arbeitsverhältnis einvernehmlich endet. Dem steht nicht die sog. Unklarheitenregelung bei vorformulierten Vertragsbedingungen entgegen ( 305c Abs. 2 BGB), der schriftliche Geschäftsführer-Dienstvertrag wahrt das Schriftformerfordernis des 623 BGB für Auflösungsverträge. Mit der Entscheidung steht fest, dass die Formvorschrift des 623 BGB keine ausdrückliche Aufhebung des Arbeitsvertrags verlangt. Bereits mit Beschluss vom (5 AZB 25/96) hat das BAG entschieden, es spreche eine Vermutung dafür, dass die Parteien eines Geschäftsführer-Dienstvertrags ein zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis aufheben wollen. Seit 1. Mai 2000 ist für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber die Wahrung der Schriftform ( 623 BGB) erforderlich. Ob der Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrags insoweit genügt, war bislang unklar. Das Urteil schafft Rechtssicherheit, jedoch nur für die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation: Den Geschäftsführer-Dienstvertrag hat ein geschäftsführender Gesellschafter unterzeichnet. Ob der Arbeitsvertrag wirksam aufgehoben ist, wenn in einer GmbH keiner der Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer ist, ist weiterhin unklar. Für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines zum Geschäftsführer bestellten Arbeitnehmers ist grundsätzlich der Geschäftsführer zuständig, für den Abschluss des Geschäftsführervertrags die Gesellschafterversammlung bzw. der Aufsichtsrat. Zwar spricht vieles dafür, dass die Gesellschafter im Wege der Annexkompetenz auch für die Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zuständig sind (Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. 2007, Rn. III 83 f.). Zur Minimierung von Risiken ist es in solchen Fällen bis zu einer höchstgerichtlichen Entscheidung aber nach wie vor empfehlenswert, den alten Arbeitsvertrag in einer separaten Urkunde ausdrücklich aufzuheben. 6. Freiwilligkeitsvorbehalt bei laufender Leistungszulage unzulässig BAG vom , 5 AZR 627/06 Es war allgemein anerkannt, dass Gratifikationen (Weihnachts- und Urlaubsgeld, Jubiläumszuwendungen) einem Freiwilligkeitsvorbehalt unterstellt werden können. Die Arbeitnehmer haben dann trotz Gewährung der Leistung keinen Anspruch für die Zukunft. Unklar war, ob laufende Arbeitsentgelte als freiwillige Leistung vereinbart werden können. Das BAG hat für laufende Leistungen lediglich entschieden, dass ein Widerrufsvorbehalt zulässig ist, wenn Voraussetzungen und Umfang der vorbehaltenen Änderungen erkennbar sind, der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst unter 25 bis 30% liegt und der Tariflohn nicht unterschritten wird ( , 5 AZR 364/04; , 5 AZR 721/05). 4
5 Nunmehr stellt das BAG klar, dass ein Freiwilligkeitsvorbehalt bei einer monatlich zu zahlenden Leistungszulage unwirksam ist. Die Umdeutung in einen Widerrufsvorbehalt ist nicht möglich. Die Entscheidung greift die bereits zuvor im Schrifttum geäußerten Bedenken gegen Freiwilligkeitsvorbehalte auf. Unklar ist, ob für vor der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 geschlossene Arbeitsverträge Vertrauensschutz zu gewähren ist. Für die Zukunft müssen Musterarbeitsverträge auf jeden Fall an die geänderten Anforderungen angepasst werden. Freiwilligkeitsvorbehalte sollten durch Widerrufsvorbehalte ersetzt werden. Was künftig für Jahressonderleistungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) gilt, ist offen. Die Urteilsgründe deuten darauf hin, dass das BAG Freiwilligkeitsvorbehalte auch bei diesen Leistungen künftig ablehnt. 7. Widerspruch gegen unbefristetes Arbeitsverhältnis ist vor Ablauf der Befristung zulässig BAG vom , 7 AZR 501/06, PM Nr. 53/07 Ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt gemäß 15 Abs. 5 TzBfG auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist, mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird. Der Arbeitgeber kann den Eintritt der Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses verhindern, wenn er der Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer unverzüglich widerspricht ( 15 Abs. 5 TzBfG). Das BAG hat nunmehr entschieden, dass der Widerspruch gegen die Befristung auch schon längere Zeit vor Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags im Zusammenhang mit Verhandlungen über eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erklärt werden kann. Lehnt der Arbeitgeber zwei Monate vor dem vereinbarten Vertragsende die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ab, ist darin zugleich ein Widerspruch gegen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu sehen, der das Entstehen eines nach 15 Abs. 5 TzBfG fingierten Arbeitsverhältnisses verhindert. Die Entscheidung ist für Arbeitgeber sehr erfreulich. Bereits in der Vergangenheit hat das BAG zu 625 BGB (stillschweigende Verlängerung des Dienstverhältnisses) entschieden, dass der Widerspruch konkludent und vor Ablauf der Dienstzeit erklärt werden kann (BAG vom , 2 AZR 497/61; vom , 7 AZR 65196; vom , 7 AZR/99). Mit der vorliegenden Entscheidung überträgt das BAG diese Rechtsprechung auf 15 Abs. 5 TzBfG. 8. Angleichung der Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang zulässig BAG vom , 5 AZR 420/06 Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist anwendbar, wenn der Arbeitgeber seiner Stammbelegschaft freiwillig eine Gehaltserhöhung gewährt, nicht aber den im Zuge 5
6 eines Betriebsübergangs übernommenen Arbeitnehmern. Die Anpassung der unterschiedlichen Bedingungen der beiden Arbeitsgruppen ist ein sachlicher Grund, der die Differenzierung bei der Gehaltserhöhung rechtfertigt. Die Entscheidung erleichtert eine Angleichung der Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergängen. 613a Abs. 1 BGB ordnet einen Eintritt des Betriebserwerbers in die Arbeitsbedingungen des veräußernden Unternehmens an. Häufig gelten deshalb nach Betriebsübergängen für die übergegangenen Arbeitnehmer andere Arbeitsbedingungen als für die Stammbelegschaft des Betriebserwerbers. Die Unterschiede stören nicht nur das Betriebsklima, sondern führen auch zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand. Um dies zu vermeiden, hat der Betriebserwerber nunmehr die Möglichkeit der Angleichung der Arbeitsbedingungen. Er ist hierzu aber nicht verpflichtet (BAG vom , 5 AZR 517/04). 9. Betriebliches Eingliederungsmanagement ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für krankheitsbedingte Kündigung BAG vom , 2 AZR 716/06, PM Nr. 54/07 Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber nach 84 Abs. 2 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Ob die Durchführung des Eingliederungsmanagements Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist, war seit Einführung des 84 Abs. 2 BGB umstritten. Nach Auffassung des BAG handelt es sich nicht um eine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung. Jedoch trifft den Arbeitgeber bei Unterlassen des Eingliederungsmanagements eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der betrieblichen Auswirkungen der Fehlzeiten. Auch kann sich der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung ohne vorheriges Eingliederungsmanagement nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen Einsatzmöglichkeiten bekannt. Um Risiken zu begrenzen, sollte der Arbeitgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung das betriebliche Eingliederungsmanagement durchführen (Einzelheiten bei Bauer/Röder/Lingemann, Krankheit im Arbeitsverhältnis, 3. Aufl., 2006, S. 100 ff.). 10. Kleine dynamische Bezugnahme gilt auch nach Betriebsteilübergang BAG vom , 4 AZR 765/06, 4 AZR 767/06, PM Nr. 63/07 Bezugnahmen auf Tarifverträge einer bestimmten Branche in ihrer jeweils geltenden Fassung (sog. kleine dynamische Klausel) binden den Erwerber eines Betriebsteils nach dem 6
7 Bundesarbeitsgericht auch dann, wenn sein Betrieb einer anderen Branche angehört und dort allgemeinverbindliche Tarifverträge zu beachten sind. In zwei parallelen Verfahren forderten Reinigungsmitarbeiterinnen Lohn, Urlaub und andere tarifliche Leistungen nach den Regeln des öffentlichen Dienstes. Die Arbeitsverträge verwiesen auf die Tarifbedingungen für den öffentlichen Dienst in ihrer jeweils gültigen Fassung. Eine der Klägerinnen war gewerkschaftlich organisiert. Der Betriebsteil wurde auf ein Reinigungsunternehmen übertragen, das dem fachlichen Geltungsbereich der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für die Gebäudereinigung unterfiel. Diese Tarifverträge enthielten für die Klägerinnen ungünstigere Arbeitsbedingungen. Das BAG hat den Klägerinnen einen vertraglichen Anspruch auf Leistungen nach den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst in der jeweils gültigen Fassung zugestanden. Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechungsänderung zu Bezugnahmeklauseln, die der 4. Senat mit der Entscheidung vom 18. April 2007 umgesetzt hat (vgl. Gleiss News Arbeitsrecht Ausgabe 3/2007, I. 4.). Zuvor ist das BAG der Regel gefolgt, dass eine dynamische Verweisung grundsätzlich als Gleichstellungsabrede zu verstehen ist und daher beim Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers entgegen ihrem Wortlaut zu einer lediglich statischen Weitergeltung des Tarifvertrags führt. Am 18. April 2007 hat das BAG hiervon abweichend festgestellt, dass eine Gleichstellungsabrede nur noch anzunehmen ist, wenn sich der Zweck der Gleichstellung von nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern aus dem Wortlaut des Vertrags ergibt. Fehlt es an einem Hinweis auf eine Gleichstellungsabrede, bleibt die dynamische Wirkung der Bezugnahmeklausel trotz Wegfalls der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers erhalten. Arbeitnehmer haben einen fortwährenden Anspruch auf Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils geltenden Fassung. Entsprechend der geänderten Rechtsprechung ordnet das BAG die dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge des öffentlichen Dienstes den vertraglichen Vereinbarungen zu, an die der Erwerber des Betriebsteils nach 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden ist. Dies gilt auch für gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer. Das Aufeinandertreffen des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags im Erwerberbetrieb einerseits und des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrags löst das BAG nach dem Günstigkeitsprinzip ( 4 Abs. 3 TVG) und gibt dem günstigeren vertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag den Vorrang. Die Geltung verschiedener Tarifverträge nach Betriebsübergängen wird in Zukunft häufig unvermeidbar sein. Für den Arbeitgeber wird das in der Regel mit höheren Kosten und einem gesteigerten Verwaltungsaufwand verbunden sein. 7
8 11. Namensliste nach Abschluss des Interessenausgleichs möglich BAG vom , 2 AZR 304/06, PM 47/07 Die gesetzliche Vermutung des 1 Abs. 5 KSchG, dass bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste Kündigungen durch betriebliche Erfordernisse bedingt sind, greift auch dann ein, wenn die Betriebspartner erst nach Abschluss eines Interessenausgleichs eine Namensliste erstellen. Die Namensliste muss von beiden Betriebspartnern unterzeichnet sein und ausdrücklich auf den zuvor vereinbarten Interessenausgleich Bezug nehmen. Nicht erforderlich ist ein Hinweis in dem Interessenausgleich auf die Absicht der Betriebspartner zum nachträglichen Abschluss einer Namensliste. Die Entscheidung ermöglicht den Betriebspartnern, einen bereits geschlossenen Interessenausgleich nachträglich um eine schriftliche Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer zu ergänzen. Bereits nach der bisherigen Rechtsprechung war das Schriftformerfordernis gewahrt, wenn die Namensliste nicht im Interessenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist. Zudem hat das BAG bereits in einem früheren Urteil entschieden, dass die Namensliste auch getrennt vom Interessenausgleich erstellt werden kann, sofern der Interessenausgleich und die Namensliste wechselseitig aufeinander verweisen (BAG vom , 2 AZR 111/02). II. Gesetzesänderung Beitragsfreiheit der betrieblichen Altersversorgung Am 8. August 2007 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung vorgelegt. Mit dem Gesetzentwurf wird die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung bis zur Höhe von 4 % der Beitragsbemessungsgrenze über das Jahr 2008 hinaus unbefristet fortgesetzt. Beschäftigte können danach wie bisher Teile ihres Einkommens für die betriebliche Altersversorgung steuer- und sozialabgabenfrei ansparen. Außerdem wird das Lebensalter für die Unverfallbarkeit von arbeitgeberfinanzierten Betriebsrentenanwartschaften vom 30. auf das 25. Lebensjahr abgesenkt. Bislang konnten Arbeitnehmer die Anwartschaften aufgrund von rein arbeitgeberfinanzierten Zusatzversorgungen trotz 5-jährigen Bestehens verlieren, wenn sie vor Erreichen des 30. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden. Ob sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch Änderungen ergeben, bleibt abzuwarten. 8
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