LWL-Landesjugendamt Westfalen
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- Werner Koch
- vor 7 Jahren
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1 LWL-Landesjugendamt Westfalen HZE Jahrestagungen in Dortmund am und Münster am Standortbestimmung der betriebserlaubniserteilenden Stelle im LWL-Landesjugendamt Westfalen Inobhutnahme und Unterbringung: Was brauchen Kleine Kinder? Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den unterschiedlichen Aussagen und Blickwinkeln zu den aufgeworfenen Fragestellungen zum Thema bleibt mir nur ein Fazit: Kleine Kinder brauchen große Hilfen! Denn, kleine Kinder fordern uns heraus: - in der Qualität familialer Bereitschaftsbetreuung, - in der Qualität von Vater/Mutter-Kind-Angeboten, - in einer zielorientierten und zeitlich strukturierten Hilfeplanung, - in einer begleitenden Arbeit mit der Herkunftsfamilie, - in einer bindungsorientierten Pädagogik und - in überschaubaren stationären Settings. Gestatten Sie mir, bevor ich weiter auf die Inhalte der heutigen Tagung eingehe, einen kurzen Blick auf die mir vorliegenden Daten zur Anzahl der kleinen Kinder in Westfalen-Lippe. Es sind ausgewählte Daten aus den Jahresmeldungen der Einrichtungen an das LWL-Landesjugendamt. Hierbei handelt es um Stichtagszahlen der Belegung am Jahresende Sie geben somit keine Auskunft darüber wie viele Kinder sich insgesamt im Jahr 2010 in den Einrichtungen befanden. Gleichwohl lassen sich im Vergleich mit den Vorjahreszahlen Entwicklungen und Tendenzen verdeutlichen. Demnach befanden sich 905 Kinder unter 6 Jahren am in Einrichtungen der Erziehungshilfe (einschließlich MU-Kind-Einrichtungen). Hier ist erneut ein leichter Anstieg zum Vorjahr um 63 Kinder oder um 9 % zu verzeichnen.
2 Mit den vorliegenden Daten der Einrichtungen lässt sich auch eine Zuordnung der Hilfen nach den Rechtsgrundlagen vornehmen: Dabei ist besonders bemerkenswert, dass die Anzahl der Kinder in Einrichtungen der Heimerziehung - jedoch nach der Rechtsgrundlage 19 SGB VIII (gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder) - mit 321 (303) Kindern doppelt so hoch ist wie in Spezialeinrichtungen der Vater-Mutter-Kind-Betreuung. Es wird deutlich, dass sich Jugendhilfeeinrichtungen seit einigen Jahren zunehmend dieser Aufgabe, der Mutter- Kind-Betreuung stellen. Sei es im Einzelfall oder in Gruppenform, mit einem speziellen Konzept. Ebenso bemerkenswert ist fast eine Verdoppelung der Inobhutnahmen von 51 auf 96 Kinder. Dies betrifft die Altersgruppe der 1 bis unter 3- jährigen als auch die Altersgruppe der 3 bis 6-jährigen. Hier bestätigt sich der allgemeine Trend einer Zunahme an Inobhutnahmen auch bei den kleinen Kindern. Nach 34 SGB VIII (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform) wurden 281 (278) Kinder unter 6 Jahren und davon 47 unter 3 Jahren in und durch Heimeinrichtungen betreut. Die Zahl der Hilfen nach dieser Rechtsform ist somit zum Vorjahr konstant. Dies entspricht der Tendenz der Jugendhilfestatistik NRW der Universität Dortmund, die bereits vorgestellt wurde. Die übrigen Rechtsformen der Betreuungen von Kindern unter 6 Jahren weisen mit 44 Kindern seelisch behinderte Kinder sowie vereinzelt kleine Kinder in Tagesgruppen und behinderte Kinder mit einer Eingliederungshilfe aus. Beachtlich gestiegen ist in den vergangenen Jahren auch die Anzahl der 6- bis unter 9-jährigen Kinder in Einrichtungen der Erziehungshilfe mit über belegten Plätzen zum Jahresende in Westfalen-Lippe. Deshalb sollte auch diese Altersgruppe zukünftig stärker in der Konzeptentwicklung und Angebotsgestaltung in den Blick genommen werden. Nun jedoch zu den fachlichen Inhalten der heutigen Veranstaltung: Mit der Entdeckung der Bedeutung und Notwendigkeit der emotionalen Versorgung von Kleinkindern durch René Spitz in den 40er Jahren wissen wir um die Schlüsselbegriffe zur Entwicklung von Beziehung und zur Bewertung der fachlichen Qualität. Als Begriffe in der fachlichen Debatte wurden auch heute benannt: Kontinuität Verlässlichkeit Vermeidung von negativen Reizen Vorhersehbarkeit Berechenbarkeit Exploration Feinfühligkeit Ermutigung Bindung Selbstwirksamkeit Nähe/Distanzregulation etc.
3 Was sind oder sollten die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen für die Gestaltung von Angeboten für junge Kinder in der stationären Erziehungshilfe sein? 1. Jede Trennung eines Kindes aus seinem bisherigen Umfeld muss unter bindungsrelevanten Aspekten bewertet werden. Es bedarf der Abwägung zwischen den Risiken, die mit der Trennung verbunden sind und den Risiken, die sich aus der Entscheidung für die neue Situation ergeben. Diese Diskontinuitäten im Leben der Kinder beinhalten das Risiko, die Entwicklungschancen unabsichtlich und manchmal sogar unauffällig zu ruinieren. 2. Entscheidungen sind darauf auszurichten, so früh wie möglich eine langfristige Perspektive zu finden und nicht durch ein mehrfaches Experimentieren oder durch verzögerte familiengerichtliche Verfahren Chancen auf Kontinuität und damit auf Entwicklung zu versäumen. Aussagen zu Standardsetzungen der Landesjugendämter in der stationären Betreuung kleiner Kinder müssen sich an diesen Erkenntnissen orientieren. Sie dürfe keine isolierten Schreibtischüberlegungen sein, sondern Konsequenzen aus der Beschäftigung mit dem Thema: - in Wissenschaft (z. B. durch Praxisentwicklungsprojekte wie dem der Diakonie Rheinland/Westfalen mit der Fachhochschule Münster, deren Ergebnisse s von Prof. Dr. Hansbauer vorgestellt wurden) - in der Forschung - hier insbesondere der Entwicklungspsychologie und der Bindungsforschung - und - der Kenntnisse gesellschaftlicher Entwicklungen und deren mögliche gravierende Auswirkungen auf kleine Kinder und ihren Chancen für das Aufwachsen und der gesellschaftlichen Teilhabe. Stichworte sind hier u. a.: Milieubedingte Störungen durch Armut, Vernachlässigung und Missbrauch. Frau Prof. Dr. Ziegenhain hat in ihrem Beitrag verdeutlicht, welche Gefahren für kleine Kinder bestehen, wenn Bindungspersonen selber die Quelle von Belastung und Stress sind. Standards ergeben sich somit zwangsläufig, wenn wir die Bedarfe und Bedürfnisse kleiner Kinder in den Mittelpunkt stellen und Entscheidungen beim Aufbau von Betreuungssystemen daraus ableiten. Strukturelle Standards haben sich den fachlichen Bedarfen und Notwendigkeiten unterzuordnen bzw. müssen deren Stütze bilden. So verstehe ich die Aufgabe Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen. Dabei ist mir klar, dass Leistungsanbieter und öffentliche Jugendhilfe als Kostenträger auch immer den realen Widersprüchen zwischen fachlich wünschenswertem, faktisch umsetzbarem und der Aushandlung von Leistung, Qualität und Entgelt bei begrenzten Mitteln ausgesetzt sind und die Gefahr besteht in die eine oder andere Richtung gezogen zu werden.
4 So berichtet jüngst eine Einrichtungsleiterin gegenüber dem LWL- Landesjugendamt Westfalen: Wir wollten ein neues Angebot für kleine Kinder machen, um auf die zunehmenden Anfragen der Bezirkssozialarbeiter zu reagieren. Mit der Leitung des Jugendamtes war jedoch keine Verständigung für ein Kleinkindangebot zu erzielen. Eine Woche später stand ein Sozialarbeiter des Jugendamtes jedoch erneut mit einem 2-jährigen Kind vor unserer Tür. Was sollten wir machen? Wir haben es aufgenommen, ist schließlich unser Hauptbeleger. (Zitatende) Was also sind, oder sollten die Orientierungen der Landesjugendämter als Erlaubnisbehörden in NRW für die Einrichtungsträger und Jugendämter in der stationären Angebotsgestaltung für kleine Kinder sein? In Angeboten zum kurzfristigen, also nicht dauerhaften Aufenthalt bei Inobhutnahme, Clearing, Diagnose etc. sollten Jungen und Mädchen von 0 bis einschließlich 3 Jahre: möglichst ausschließlich im Rahmen von sozialpädagogischen Lebensgemeinschafts- bzw. familienanalogen Formen - mit der entsprechenden, auf die Zielgruppe ausgerichteten Begleitung durch einen Träger - mit geringster Platzzahl betreut werden. Schichtdienstbetreuung ist hier auszuschließen. Nach einer Resolution der Vereinten Nationen (2010) in den Leitlinien für alternative Formen der Betreuung von Kindern sollte eine alternative Betreuung für Kleinkinder, insbesondere Kinder unter 3 Jahren in einem familiären Umfeld stattfinden. Hier hat das Modell der Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaften in NRW in den vergangenen Jahren mit maximal 2 Plätzen einen stetigen Anstieg erfahren und könnte stärker in Angebote für diese Altersgruppe als Betreuungsform eingebunden werden. Jungen und Mädchen ab 4 Jahre können (neben den familienanlogen Betreuungsformen) in kleinen Gruppen mit max. 6 Plätzen - mit einer Dienstplangestaltung, die den Kindern eine hohe Mitarbeiterbzw. Mitarbeiterinnenkonstanz garantiert (feste Kräfte für den Tagund Nachtdienst) - mit spezieller Gruppenkonzeption betreut werden. Dies gilt auch, wenn eine dauerhafte Fremdunterbringung als Perspektive erkennbar ist.
5 Grundsätzlich sollen Jungen und Mädchen nicht vor dem Alter von 7 Jahren dauerhaft in einer Schichtdienstgruppe aufgenommen werden. Wer jemals in einer Schichtdienstgruppe gearbeitet hat oder dort tätig ist, weiss um die negativen Implikationen, insbesondere auf kleine Kinder, die diese Betreuungsform, mit sich bringen kann. Was brauchen wir aber noch außer einem strukturierten Rahmen in der Betreuung kleiner Kinder unter 6 Jahren? Wir brauchen: besonders qualifizierte sozialpädagogische Formen von Lebensgemeinschaften und überschaubare Angebote, Angebote die durch die Trägerstruktur mit den Möglichkeiten einer Einrichtung verknüpft und unterstützt werden, kreative Ideen, um ausreichende Angebote zu rekrutieren und die vorhandenen Hindernisse zu überwinden, spezifische Fort- und Weiterbildung der Kräfte zu Besonderheiten der jungen Kinder und der mit der Aufnahme und Begleitung verbundenen möglichen Schwierigkeiten, Anforderungen und Bedarfe Es bedarf einfach mehr als adäquates Elternverhalten. (Prof. Ziegenhain), konzeptionell eingeplante Unterstützungssysteme für die einzelnen Angebote, die Entwicklung einer Kultur zur Gestaltung der Übergänge zwischen einzelnen Lebensorten unter Berücksichtigung der bindungsrelevanten Aspekte. Zur Umsetzung dieser Ansprüche und Konsequenzen brauchen wir (bzw. die kleinen Kinder): Sie! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern Richter und Richterinnen in den Familiengerichten Fachkräfte in den ambulanten und stationären Angeboten der Erziehungshilfe und in der Beratung Die Landesjugendämter NRW suchen den Dialog. Als betriebserlaubniserteilende Stelle werden wir jedoch Einrichtungen gezielt ansprechen, wenn diese Kleinkinder betreuen, dafür aber keine Konzeption entwickelt haben und somit auch keine Erlaubnis für deren Aufnahme besitzen. Der im April mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege und einigen Einrichtungsanbietern begonnene Dialog, über adäquate Betreuungsformen und die erforderlichen Rahmenbedingungen wird fortgesetzt, um gerade kleinen Kindern Entwicklungschancen zu eröffnen und das zu ermöglichen, was John Bolby als das gefühlstragende Band bezeichnet, das über Raum und Zeit miteinander verbindet, nämlich Bindung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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