Bachelor-Prüfung Arbeitsrecht I vom 6. Juni 2011

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1 Bachelor-Prüfung Arbeitsrecht I vom 6. Juni 2011 Vorbemerkungen: Damit die Kandidatinnen und Kandidaten die Chance hatten, Wissenslücken zu kompensieren, wurden viele unterschiedliche Fragen gestellt und entsprechend viele Punkte offeriert, so dass man auch mit erheblich weniger als der maximalen Punktezahl noch ein gutes Ergebnis erzielen konnte. 32 Teilnehmende haben die Note 6 erreicht. Weitere statistische Angaben finden sich in der Notenskala. Texte in [eckigen Klammern] bilden alternative Antworten, die auch akzeptiert wurden. Die Lösungen ergeben sich grösstenteils unmittelbar aus dem Gesetz oder aus dem Lehrbuch Portmann/Stöckli, 2. Auflage. Die entsprechenden Stellen im Buch sind mit einem Hinweis auf die jeweiligen Randnoten in blauer Schrift bezeichnet (N). Aufgabe 1 a) In der Regel 2 bis 3 Werktage, bei Arbeitgebern mit komplexer Entscheidungsstruktur [als juristische Personen] ca. 1 Woche; (Begründung:) Bei längerem Zuwarten wird angenommen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei zumutbar, ergibt sich aus der (bundesgerichtlichen) Rechtsprechung [nicht aus dem Gesetz] (N 770) 7 b) Ja. (Alternativer Rechtsbehelf:) Vertragsanfechtung [vergleichbarer Begriff], (Vorauss.:) der wichtige Grund bildet zugleich die Grundlage eines Willensmangels, Art. 23 ff. OR oder Irrtum/Täuschung oder Art. 31 OR, (allerdings meistens mit) exnunc-wirkung [vergleichbare Umschreibung], (wegen der Sonderbestimmung von) Art. 320 Abs. 3 OR (N 771, 117, 128) 6 c) Ja, wenn die a.o. Kündigung auf einem wichtigen Grund beruht [Art. 337 OR] und dieser Grund nicht derselbe ist, der zum Anlass für die ordentliche Kündigung genommen wurde (N 776) 3 d) Kündigung aus wichtigem Grund [unter den Vorauss. von Art. 337 OR] mit Sozialfrist [mit verkürzter Frist] (N 746) 3 e) Entfristete Kündigung [Herabsetzung der Kündigungsfrist auf Null] während der Probezeit, Art. 335b Abs. 2 OR, im ersten Dienstjahr (durch GAV), Art. 335c Abs. 2 OR (N 758) 5 (24 Punkte) 1

2 Aufgabe 2 a) Art. 336 Abs. 2 lit. a OR, missbräuchliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den AG, wenn sie ausgesprochen wird, weil der AN einem Arbeitnehmerverband nicht angehört Art. 356a Abs. 1 OR, Begründung: Unzulässigkeit des Verbandszwangs oder 1 Beispiel: Absperrklauseln (Closed-shop-Klauseln, Union-shop-Klauseln, Maintenance of Membership-Klauseln), Differenzierungsklauseln (Vorzugsklauseln, Spannklauseln, Ausschlussklauseln), Exklusivvertragsklauseln [Alternative: Art. 356b Abs. 2 OR Nichtigerklärung von unangemessenen Anschlussbedingungen] (N 1028 f.) 4 b) Vereinigungsgarantie, Bestandesgarantie, Betätigungsgarantie (N 1015 f.) 3 c) Rechtliche Eigenschaft [Rechtsmacht, Fähigkeit], Gesamtarbeitsverträge abschliessen zu können, Rechtsfähigkeit [juristische Person], Gegnerunabhängigkeit, Unabhängigkeit von Dritten, Freiwilligkeit der Vereinigung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen (N 1077 ff.) 7 d) normative (Bestimmungen) (N 1115) Konsens der Einzelvertragsparteien [Einbezug/Übernahme durch AG und AN/in EAV] (N 1118) Verbandsmitglieder [Verbandsmitgliedschaft], Angeschlossene [Anschluss], (die Vertragsgebundenen durch) Allgemeinverbindlicherklärung [AVE], (die Vertragsgebundenen durch) Gesetz [Art. 333 Abs. 1bis OR] (N 1089) Öffnungsklausel (N 1120) Günstigkeitsprinzip (N 1121) 8 e) primär die Arbeitnehmervertretung, sekundär die Arbeitnehmer Art. 333a OR [Konsultation bei Betriebsübergang/Betriebsübernahme], Art. 335f OR [Konsultation bei Massenentlassung] 6 (28 Punkte) 2

3 Aufgabe 3 (Frage der) Betriebsübernahme [Betriebsübergang, Betriebsübertragung] 1 Voraussetzungen, Art. 333 Abs. 1 OR: Vorliegen eines Betriebs, geg.: Restaurant ist (offensichtlich) ein Betrieb; Übertragung [überträgt], geg.: eine direkte Übertragung des Betriebs [eine Vereinbarung des Übergangs] zwischen altem und neuem AG ist (nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung) nicht erforderlich, Ablösung von B. durch C. aufgrund der Pachtverträge genügt; keine Ablehnung des Übergangs durch AN, geg.: keine Anhaltspunkte für Ablehnung ersichtlich; Identität des Betriebs muss gewahrt bleiben, d.h. dessen Zweck, Organisation und individueller Charakter müssen bleiben oder d.h. der Erwerber muss gleiche/gleichartige Geschäftstätigkeit weiterführen, gute Begründung (französische/italienische Küche) (N 616 f.) 13 (Hier relevante) Rechtsfolge (N 621): Variante 1: falls alle Voraussetzungen (insb. Identität) bejaht wurden: solidarische Haftung von bisherigem AG und Erwerber [Haftung des Erwerbers], Art. 333 Abs. 3 OR [Art. 333 Abs. 1 OR], die Beschränkung inbezug auf die Fälligkeit bereitet hier keine Probleme, C. ist gegenüber D. verpflichtet, den Lohn für April und Mai nachzuzahlen Variante 2: falls eine Voraussetzung (insb. Identität) verneint wurde: es fehlt an einer Haftungsgrundlage für den neuen AG, insb. greift nicht die Rechtsfolge von Art. 333 Abs. 3 OR [Art. 333 Abs. 1 OR], die Beschränkung inbezug auf die Fälligkeit ist hier irrelevant, C. ist gegenüber D. nicht verpflichtet, den Lohn für April und Mai nachzuzahlen 4 (18 Punkte) 3

4 Aufgabe 4 (N 520 f.) a) rechtlich: weil das Gesetz einen Lohn für die Ferien vorschreibt [Ferienlohngebot], Art. 329d Abs. 1 OR (Hinweis: aus dem Satzteil ausserhalb der Ferien im Sachverhalt ergibt sich, dass Ferien gewährt werden und daher kein Problem von Art. 329d Abs. 2 OR vorliegt), sozialpolitisch: weil befürchtet wird, dass der AN bei Ferienbeginn den Ferienlohn bereits ausgegeben hat und dadurch zum Arbeiten gezwungen wird [Vereitelung des Erholungszwecks] 4 b) Berechnung des Ferienlohns erweist sich als schwierig oder bei unregelmässiger oder kurzer Beschäftigung, der Lohnzuschlag wird in den einzelnen Lohnabrechungen gesondert ausgewiesen, der Lohnzuschlag wird in einem allfälligen schriftlichen Arbeitsvertrag gesondert ausgewiesen 3 c) der Ferienlohn muss nachgezahlt werden, ohne dass der AG die bezahlten Lohnzuschläge zurückfordern kann [zusätzlich zu bereits erbrachten Abgeltungsleistungen] 3 d) AN ab vollendetem 20. Altersjahr haben grundsätzlich Anspruch auf 4 Wochen Ferien pro Dienstjahr, Art. 329a Abs. 1 OR, geg.: der konkrete AN ist 61 Jahre alt, die Proportion beträgt somit 48 Wochen Arbeit zu 4 Wochen Ferien (48:4 = 12:1 = 100:8,33), d.h. der Lohnzuschlag muss 8,33% betragen 5 e) (gemäss Art. 329d Abs. 1 OR) hat der AG dem AN für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn zu entrichten, nach der Rechtsprechung müssen daher Zusatzleistungen einbezogen werden, falls sie regelmässig und während einer gewissen Dauer erbracht werden 3 (18 Punkte) 4

5 Aufgabe 5 a) Kündigungsschutz, weil der AN Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend macht, Art. 336 Abs. 1 lit. d OR, Rachekündigung (N 692) 3 b) Chancen sind gut, da die Gerichtspraxis von einem (sehr) weiten Begriff des Anspruchs ausgeht; da der Anspruch nicht bestehen, sondern nur nach Treu und Glauben geltend gemacht werden muss (N 692) 5 c) Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Anspruch auf Entschädigung [Rechtsverletzungsbusse], Art. 336a OR (N 700 f.) 4 d) gegen die Kündigung beim Kündigenden schriftlich Einsprache erheben längstens [spätestens] bis zum Ende der Kündigungsfrist, Art. 336b Abs. 1 OR, (bei gültiger Einsprache und fehlender Einigung) Klage anhängig machen [klagen] innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Art. 336b Abs. 2 OR 6 e) sachlicher (Kündigungsschutz) (N 686 f.) 2 f) ja, Gesetz enthält keine entsprechende Einschränkung (anders als Art. 336c OR) (N 686 f.) 2 (22 Punkte) 5

6 Aufgabe 6 a) (Frage der) Lohnfortzahlung bei Verhinderung des AN 1 Voraussetzungen: Art. 324a Abs. 1 OR, Verhinderungsgrund in der Person des AN, geg.: Krankheit; Unmöglichkeit [Unzumutbarkeit] der Arbeitsleistung [Arbeitsunfähigkeit], geg.: nicht arbeiten konnte (gemäss Sachverhalt); ohne Verschulden des AN, geg.: mangels abweichender Angaben im Sachverhalt; Ablauf der Karenzfrist [sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist], geg.: A. steht seit 11 Monaten im Dienst von X. Diese Voraussetzungen gelten auch für Beschäftigte im Stundenlohn 11 Rechtsfolge: der Arbeitgeber hat den (darauf entfallenden) Lohn zu entrichten für eine beschränkte Zeit, Art. 324a Abs. 1 OR, diese beträgt im ersten Dienstjahr grundsätzlich drei Wochen, Art. 324a Abs. 2 OR, A. steht seit 11 Monaten im Dienst von X. und somit im ersten Dienstjahr, die Erfolgsaussichten für A. stehen somit gut 7 b) Für Feiertage (für den Karfreitag) besteht nach den schweizerischen Gesetzen keine allgemeine Lohnzahlungspflicht [ohne Arbeit kein Lohn], was sich auf Beschäftigte im Stundenlohn auswirkt (N 496) 3 Eine Berufung auf Art. 7 lit. d des (von der Schweiz ratifizierten) Uno-Pakt I hängt davon ab, ob man diese Bestimmung als unmittelbar anwendbar betrachtet [selfexecuting], gute Begründung (hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Norm oder Hinweis auf Ablehnung durch das Bundesgericht) (N 496) 4 Die Erfolgsaussichten für A. stehen somit gut/schlecht (je nach Antwort zuvor) 1 (27 Punkte) 6

7 Aufgabe 7 notwendig entstehende Auslagen, Art. 327a Abs. 1 OR, geg.: zu leistende Beträge des AN aus der Zusatzkarte [Geschäftskreditkarte] (N 529) 4 Abreden, dass der AN die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise selbst zu tragen habe, sind nichtig, Art. 327a Abs. 3 OR, geg.: Abrede der solidarischen Haftung des AN mit Wirkung im Konkurs des AG 3 es stellt sich die Frage, ob sich der AN auch gegenüber der Bank auf diese arbeitsvertraglichen Bestimmungen berufen kann 2 gute Begründung (nein wegen Art. 145 Abs. 1 OR oder ja, weil der Bank das Arbeitsverhältnis bekannt war bzw. ja unter Hinweis auf Anerkennung durch das Bundesgericht) 2 Die Bank wird somit Erfolg haben/nicht Erfolg haben (je nach Antwort zuvor) 1 (12 Punkte) 7

8 Aufgabe 8 a) Kündigung zur Unzeit [Zeitlicher Kündigungsschutz] 1 Art. 336c Abs. 1 lit. b OR, Ablauf der Probezeit, Art. 335b Abs. 2 OR, geg.: die Probezeit darf höchstens 3 Monate betragen; kein Verschulden AN, geg.: mangels abweichender Angaben im Sachverhalt; Krankheit, geg.: krankheitshalber (gemäss Sachverhalt); Verhinderung an der Arbeitsleistung [Arbeitsunfähigkeit], geg.: arbeitsunfähig (gemäss Sachverhalt); Sperrfrist ab 2. bis und mit 5. Dienstjahr beträgt (maximal) 90 Tage 11 Art. 336c Abs. 2 (Halbsatz 2) OR, Kündigung vor Beginn der Sperrfrist, geg.: Kündigung am 13. Juni, Beginn der Sperrfrist am 1. Juli; Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, aufgrund des Worts fristgemäss ist von einer einmonatigen Kündigungsfrist auszugehen (was nach Art. 335c Abs. 2 OR durchaus möglich ist), geg.: Beginn der Sperrfrist am 1. Juli, Ablauf der Kündigungsfrist später; (beim zeitlichen Kündigungsschutz gilt die) Rückrechnung der Kündigungsfrist, die (rückgerechnete) Kündigungsfrist läuft hier vom 1. Juli bis 31. Juli (31 Tage); es wird die ganze Krankheitsdauer [ganze Sperrfrist] berücksichtigt, da sie vorliegend weniger als 90 Tage beträgt, die Sperrfrist läuft hier vom 1. Juli bis 12. Juli (12 Tage); die Kündigungsfrist läuft nicht, solange sie sich mit der Sperrfrist überschneidet [= der Ablauf der Kündigungsfrist wird unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt], der Stillstand [die Unterbrechung] dauert hier also vom 1. Juli bis 12. Juli (12 Tage); die (verlängerte) Kündigungsfrist endet somit am 12. August, (Begründung:) 31 Tage ab 13. Juli oder die im Juli nicht nutzbaren 12 Tage werden im August angehängt 14 Art. 336c Abs. 3 OR, Geltung eines Endtermins, hier ist mangels anderer Angabe das Ende eines Monats als Termin anzunehmen, Art. 335c Abs. 1 OR, das Arbeitsverhältnis endet somit am 31. August 5 b) Die Lohnzahlungspflicht endet am 31. August, falls die AN auch im August [während der Verlängerung ] gearbeitet hat oder ihre Arbeitsleistung angeboten hat [im Verzug des AG oder Art. 324 OR], andernfalls am 31. Juli wegen des Grundsatzes ohne Arbeit kein Lohn [Art. 82 OR] 5 (36 Punkte) 8