"Jeder Spitzenwinzer nimmt Maß an Bordeaux"

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1 Seite 1 von 6 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, , Nr. 16, S. 47 "Jeder Spitzenwinzer nimmt Maß an Bordeaux" Der Deutsche Stephan Graf von Neipperg hat in Frankreich die Weinwelt revolutioniert. Wir trinken mit ihm zwei seiner Tropfen und Bordeaux-Blends aus aller Welt. Von Peter Badenhop Graf von Neipperg, Sie sind ein berühmter Mann in der Weinwelt. Sie besitzen sechs namhafte Güter im Bordelais und sind auch in Bulgarien und Südafrika aktiv. Wie stellen Sie sich Leuten vor? Ich sage immer: Ich bin ein armer Winzer. Wobei das auch schiefgehen kann: In China habe ich mich als armer Winzer vorgestellt, und da hat einer der Herren seine Hand zurückgezogen und mir erklärt, dass er armen Leuten nie die Hand gibt. Und wie stellen Sie sich dort seither vor? Als Wein-Unternehmer? Einfach als Winzer. Aber natürlich bin ich auch Geschäftsmann. Denn man kann nicht über Jahre einen Betrieb führen und damit nicht rentabel sein. Aber die Basis ist der Weinbau, und wenn ich in ein Weingut oder einen Weinberg investiere, dann schaue ich immer zunächst auf das Terroir und frage mich: Was kann ich aus diesem Boden machen? Wissen Sie, das Terroir ist alles. Dann kommen die Pflanzungen. Da schaue ich genau, zum Beispiel wie alt sie sind, welche Klone verwendet wurden, wie die Wurzelung aussieht. Und auf dieser Grundlage treffe ich meine Entscheidung. Jetzt klingen Sie tatsächlich wie ein Winzer. Als Sie 1984 mit 26 Jahren in Bordeaux angefangen haben, waren Sie noch keiner. Nun, ich war ausgebildeter Betriebswirt und habe, bevor ich die Güter übernahm, die mein Vater Anfang der Siebziger gekauft hatte, an der Weinbauschule in Montpellier Önologie studiert. Aber wir gehörten nicht zu den Leuten, die in einem früheren Leben reüssiert haben und dann mit viel Geld ins Bordeaux kommen. Ich musste immer mit den Banken arbeiten und gut wirtschaften, da kam mir meine Wirtschaftsausbildung zugute.

2 Seite 2 von 6 Wie haben die alteingesessenen Bordeaux-Winzer auf Sie reagiert? Es ist wohl nicht alltäglich, dass ein deutsches Adelsgeschlecht ein paar Châteaus übernimmt. Also, Adelsgeschlecht ist für Bordeaux immer gut, denn auf Adel stehen die Bordelaiser. Sie haben schließlich ihren eigenen Korkadel. So gesehen, passte das ganz gut zusammen. Außerdem hatte ich den Startvorteil, dass ich in Paris Politik und Betriebswirtschaft und später in Montpellier Weinbau studiert und so eine französische Bildungsgeschichte hatte. Schließlich hat mir sehr geholfen, dass ich eine wunderschöne Frau habe - das imponiert Franzosen immer. Überzeugt haben Sie aber mit Ihren Weinen, zum Beispiel mit dem Canon La Gaffelière. Trinken wir ein Glas von dem 2000er? Selbstverständlich. Die Reben für diesen Wein stehen auf einem Lehm-Ton-Kalkboden mit Sandanteilen: Das ist das Königreich des Cabernet Franc, der hier nach dem Merlot einen großen Anteil hat. In der Nase ist er sehr würzig und duftig, im Mund konzentriert, voll und doch elegant. Ist das typisch für Saint-Émilion? Typisch für Saint-Émilion-Weine mit viel Cabernet Franc. Man merkt sofort, welches unerhörte Alterungspotential dieser Wein hat. Der hat noch viele gute Jahre vor sich. Man sagt, Sie seien ein Revolutionär gewesen, als Sie Mitte der Achtziger auf Canon La Gaffelière anfingen. Ja, ich sehe vielleicht nicht so aus, aber wir haben tatsächlich einiges anders gemacht. Ich habe einen Betrieb geerbt, auf dem 20 Jahre lang massiv Herbizide, Insektizide und Kunstdünger eingesetzt worden waren. Da war kein Leben mehr im Boden. Das Terroir, von dem wir heute sprechen, das gab es gar nicht mehr. Ich habe mir gesagt: Das kann es nicht sein, eine solche Landwirtschaft will ich nicht betreiben. Sie sind ein Öko-Revolutionär? Na ja, ich bin eigentlich nur zurückgegangen zu der traditionellen Art, Wein zu machen. Ich erkläre es Ihnen: Wonach schauen die großen Bordeaux-Sammler? Sie schätzen die zwanziger und dreißiger Jahre, die Vierziger und die super Fünfziger, noch die Jahrgänge Anfang der Sechziger - und dann kommt die Katastrophe. Da kam der halbgebildete Ingenieur in seinem weißen Kittel und sagte dem armen Winzer mit der Baskenmütze und dem Baguette unterm Arm: Du Vollidiot, warum bringst du noch

3 Seite 3 von 6 immer deinen Humus in den Weinberg? Ich gebe dir 300 Kilo Kunstdünger. Die kannst du mit dem Trecker ausfahren, und schon hast du weniger Arbeit, mehr Produktion und mehr Qualität. - Das mit der Arbeit und der Produktion hat gestimmt, aber die Qualität war ein Desaster. Wenn Sie im Krankenhaus künstlich ernährt werden, dann brauchen Sie irgendwann keinen Magen mehr - genauso geht es der Pflanze mit Kunstdünger. Es dauert sehr lange, diese Entwicklung zurückzudrehen. Es gibt die schöne Geschichte von dem Pfarrer, der von der Kanzel gegen Sie wetterte, weil Sie so viele Trauben wegwarfen, um die Erträge radikal zu reduzieren. Ja, das stimmt. Wir haben damit angefangen, was heute alle Winzer tun, nämlich kranke, schlechte und überschüssige Trauben schon frühzeitig aus dem Stock herauszuschneiden, damit die übrigen sich besser entwickeln können. Ist Bordeaux noch immer das Maß aller Dinge in der Weinwelt? Sie können sich drehen, wie Sie wollen: Jeder Spitzenwinzer in der Welt nimmt irgendwann Maß an Bordeaux. Aus den klassischen Bordeaux-Reben Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon werden auch anderswo große Weine gekeltert. Der sogenannte Bordeaux-Blend ist sehr populär. Ja, aber erstens sind diese Blends oft sehr unterschiedlich - schon innerhalb des Bordeaux: Im Médoc dominiert der Cabernet Sauvignon, bei uns in Saint-Émilion und in Pomerol dagegen der Merlot. Und zweitens werden diese Weine aus Italien, Südafrika oder Kalifornien nie genauso sein wie die Tropfen im Bordeaux, sondern eigenständig. Wollen wir mal einen Italiener trinken, einen 2000er Sassicaia? Gut, der ist natürlich sehr vom Cabernet Sauvignon geprägt. Hm, er riecht nach dunklen Beeren, Holz und Gewürzen, am Gaumen ist er saftig und süß, zum Ende hin aber ein bisschen kurz. Trotzdem ist es ein guter Wein, einer der wenigen gelungenen Italiener dieser Art. Da würde mich im direkten Vergleich der Südafrikaner interessieren, den Sie mitgebracht haben. Kanonkop Paul Sauer, ebenfalls mit Cabernet-Sauvignon-Schwerpunkt und kleineren Anteilen von Cabernet Franc und Merlot. Der riecht geradezu süßlich und ist auch im

4 Seite 4 von 6 Mund süß... Und sehr kurz und vordergründig. Außerdem schmeckt man den Alkohol. Also, den Wein hätte man schon getrunken haben sollen. Aber das ist ein 2009er. Oh! Gut, dann er hat einfach ein ganz anders Profil, als es mir vorschwebt. Sie selbst haben auch ein Projekt in Südafrika. Ich unterstütze in der Nähe von Kapstadt eine gute Freundin, Ingrid von Essen, und ihr Weingut Capaia. Dort machen wir auch einen Wein aus diesen Trauben. Die ganz große Tiefschichtigkeit haben wir noch nicht geschafft, aber dafür sind die Reben auch noch zu jung. Doch Capaia hat ein enormes Potential, an dem man noch extrem feilen kann. Auch in Bulgarien sind Sie aktiv. Ein tolles Projekt, das Weingut Bessa Valley. Wir haben 2001 angefangen, an den thrakischen Hügeln zu pflanzen, und inzwischen kommen wir auch dort zu Weinen, die extrem komplex sind. Aber warum auch nicht? Die Bulgaren haben schließlich 3800 Jahre Weinbau-Geschichte hinter sich. Dort machen wir ebenfalls Bordeaux-Blends, wegen der Kalkböden mit Schwerpunkt Merlot. Aber auch Syrah wächst in dieser Gegend sehr gut. Wir haben dort noch viel vor, aber entscheidend ist, dass wir mit Bassa Valley nie das schaffen werden, was wir in Bordeaux machen. Bulgarien wird immer Bulgarien bleiben, und Südafrika wird Südafrika bleiben. Auch Kalifornien wird nicht Bordeaux - warum auch? Ein gutes Stichwort: Ich habe hier noch einen Monte Bello 2000 von Ridge Vineyards in Kalifornien. Oh, das ist natürlich eine andere Liga. Das ist einer der größten kalifornischen Blends überhaupt. Überwiegend Cabernet Sauvignon und weniger Merlot, sehr reif, Töne von Dörrfrüchten, tief, konzentriert und unendlich lang. Ein toller Wein, aber eben kein Bordeaux - und das wollen die Leute von Ridge ja auch gar nicht. Ich sage mal so: Das ist eine seriöse Interpretation eines Bordeaux-Blends in Kalifornien. Kann man solche Weine planen und mit viel Geld quasi erkaufen? Mit Geld allein geht es natürlich nicht. Das Wichtigste sind die Lage der Weinberge und die Pflanzungen, dann kommen die Spezialisten, die Weinmacher. Aber auch die können

5 Seite 5 von 6 aus einer schlechten Lage und Reben keinen großen Wein machen - schon gar nicht, wenn die Reben erst ein paar Jahre alt sind. Die Zeit spielt eine enorme Rolle. Pierre Lurton von Château Cheval Blanc hat mal zu mir gesagt: "Weißt du, Stephan, es sind nur die ersten 200 Jahre, die kompliziert sind." Das hat mich dann natürlich enorm beruhigt. Mit Ihrem La Mondotte haben Sie aber keine 200 Jahre gebraucht. Den machen wir erst seit Und doch ist er einer der berühmtesten Bordeaux überhaupt und wurde gleich im ersten Jahrgang von Starkritiker Robert Parker mit 98 von 100 Punkten bewertet. Na ja. Wollen wir ein Glas vom 2009er trinken? Der hat von Parker sogar 100 Punkte bekommen. Da sperre ich mich nicht. Wir haben hier Merlot und Cabernet Franc, viel reife rote Waldfrucht, aber auch Würze und weiche Tannine, große Komplexität und vor allem Tiefe. Ich möchte eine konzentrierte Attacke im Mund haben, aber auch dieses ganz Tiefe. Und dafür braucht man extrem alte Rebstöcke. Unsere haben ein Durchschnittsalter von 50 Jahren und liefern einen Riesen-Wein - aber einen, den man verstehen kann. Meine Weine haben am Anfang eine sehr gute Struktur, eine gute Basis, doch die löst sich im Laufe der Zeit auf und integriert sich. Sie sprechen von Harmonie? Genau das, was wir uns im Leben wünschen, wollen wir doch auch im Wein haben. Wenn ich als Winzer nicht irgendwann zur Harmonie finde, ist doch alles Quatsch. Sprechen wir über Geld. Sind Bordeaux-Weine generell überteuert? Ich würde sagen, sie sind bis zu einem sehr hohen Niveau eher unterteuert. Darüber kommen die Weine, die enorm vom China-Hype profitiert und total abgehoben haben. Da ging es vor allem um große Namen und Geschichten. Das spricht nicht für diese Kundschaft. Nein, das ist für viele reiche Chinesen wie ein neues Spielzeug gewesen. Aber so ein Boom ist nicht nachhaltig. Wir kommen langsam zu einer normalen Situation, in der es

6 Seite 6 von 6 nicht in erster Linie um Marken, sondern um Geschmack geht. Und da haben auch arme Winzer wie Sie wieder eine Chance. So ist es. Kastentext: TRINKEN WIR NOCH EIN GLAS? Bildunterschrift: "Nur die ersten 200 Jahre sind kompliziert": Graf von Neipperg produziert Weine von Weltruhm. Foto Wonge Bergmann Alle Rechte vorbehalten Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf