Schwierige Gespräche. Wolf Langewitz Psychosomatik Innere Medizin USB
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- Frank Hertz
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1 Schwierige Gespräche Wolf Langewitz Psychosomatik Innere Medizin USB
2 750 adult patients; pre-visit: PRIME-MD, SF6. post-visit: satisfaction (Rand-9), unmet expectations and trust. After each visit, clinicians rated encounter difficulty using the Difficult Doctor-Patient Relationship Questionnaire J Gen Intern Med 2011: 26(6):588 94
3 Das obere Quartil der Ärzte berichtet von 15 bis 100% (!) Patienten, die frustrierend sind Prediktoren sind auf Seite der Ärzte - Jünger als 40 Jahre - Mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiten - Eine höhere Anzahl von Patienten mit psychosozialen Problemen oder Substanz-Missbrauch - Höherer Arbeitsstress - Höhere Depression- und Angstscores BMC Health Services Research 2006, 6:128 doi: /
4 Take Home Message 2013 Der schwierige Patient ist häufig Der schwierige Arzt ist häufig Wenn die beiden aufeinander treffen, wird es mühsam!
5 Verschiedene Zugangswege Wir untersuchen die Literatur zur Frage: Was charakterisiert ein schwieriges Gespräch? Meistens antworten etablierte und erfahrene Ärzte mit: «Wenn ich mit [.] reden muss» [.] = der schwierige Patient! Man stellt aber auch fest, dass der schwierige Patient für Arzt A nicht der schwierige Patient für Arzt B ist. D.h., jeder von uns findet irgendwann einen Modus, um mit manchen schwierigen Patienten umzugehen, und dann gibt es das schwierige Gespräch nicht mehr!
6 Alternativer Zugangsweg Wir untersuchen Berichte von Studierenden, die erst noch Ärzte werden wollen Wir hoffen, dass sie noch keine Techniken etabliert haben, um mit schwierigen Patienten umgehen zu können. Dann sollte es das schwierige Gespräch in seiner Reinkultur geben. Wir schauen die Rapporte der Studierenden an und fragen: «Was macht dieses Gespräch schwierig?»
7 Instruktion: Schreiben Sie über eine Begegnung mit einem Patienten, der für Sie ein schwieriger Patient/der Ihnen fremd war. Lernziele sind: 1. Genaues Beobachten von Begegnungen mit Patienten 2. Genaues Beschreiben der Situationen 3. Eigenständiges Nachdenken über die Begegnungen 4. Schlussfolgerungen für zukünftige Kontakte mit Patienten
8 Vorgeschichte: Eine Patientin hatte berichtet, dass sie seit dem Morgen zunehmende ziehende Schmerzen im rechten Unterbauch hätte, die sich letztlich als eine gravierende Komplikation erwiesen, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit einer nicht korrekt durchgeführten Hysterektomie standen. Eindruck: Die Patientin wirkt in der Wahrnehmung der Studierenden verstört, sie schreibt: Im Laufe des Gesprächs stellte ich fest, dass es der Patientin immer schwerer fiel zu reden. Es wurde sehr schnell klar, dass sie die ganze Geschichte mit der verpfuschten Hysterektomie und den ganzen Folgen nicht nur physisch, sondern auch psychisch belasten. Sie war eine sehr sympathische und freundliche Patientin.
9 Der Kommentar der Studentin In der Reflektion schreibt die Studentin: «Das Gespräch mit Frau B. war mir in dem Sinne fremd, da ich mich sehr ahnungslos fühlte, wie ich mich in solch einer Situation verhalten sollte. Es war das erste Mal, dass ich mit einem Patienten Kontakt hatte, dem es sichtlich so schlecht ging. Ich fühlte mich sehr unsicher während des Gesprächs und wusste nie so recht, wie ich ihr am besten helfen könnte. Ich hatte Angst, irgendetwas Falsches zu sagen. Wenn es ein Freund oder Bekannter wäre, stellt man es sich nicht so schwer vor. Doch wie tröstet man eine fremde Person?»
10 Eine andere junge Studentin berichtet von einem noch jüngeren Patienten, der bereits beim gemeinsamen Gespräch zu Dritt mit dem Hausarzt verunsichert und peinlich berührt wirkt. Er stellt sein Problem so lässig wie möglich dar: Ich hab da so einen Bollen am Arsch! Während der Hausarzt die Beschwerden weiter abklärt, registriert die Studentin: Ich höre gar nicht recht hin, bin damit beschäftigt, wieder meine verloren gegangene Professionalität zurückzuerobern! Durch diese Gedanken hindurch trifft sie unvorbereitet der Auftrag des Hausarztes: Gut, dann schau du dir das doch mal an, während ich s mir notiere.
11 Der Kommentar der Studentin In der Reflektion stellt sie fest, dass, obwohl eine Analthrombose ja an sich gar nichts Peinliches sei, es ihr dann doch schrecklich peinlich war, als ich bemerkte, wie peinlich es ihm war. Sicherlich bemerkte dies der Patient, was die Sache eher noch unangenehmer machte. Überhaupt fühle ich mich meist etwas gehemmter bei Patienten in meinem Alter. Vielleicht weil ich ihnen ausserhalb der Praxis anders begegnen würde, kollegialer, freundschaftlicher.
12 Noch ein Beispiel Als ich diesen Patient antraf, dachte ich vorerst, dass das grösste Problem seine extreme Polymorbidität sei, habe aber sofort gemerkt, dass es noch viel schwieriger war, mit ihm zu sprechen. Ich glaube, dass der Patient Schwierigkeiten hatte mit mir zu sprechen, weil er mich nicht kannte. Es war das erste Mal, dass er mich sah, und deshalb sehr misstrauisch mir gegenüber. Meiner Meinung nach sah er mich nicht wie ein echter Arzt, sondern eher wie ein Kind, das viele Fragen stellt. Der Gesprächsverlauf war deshalb sehr mühsam und es war äusserst schwierig, mit ihm einen echten Dialog aufzubauen.
13 Gemeinsamkeiten Es geht um den Unterschied zwischen Gesprächen im Privatleben und professionellen Gesprächen in der Identität der Ärztin. Schwierig sind sie, weil das, was sich im Privatleben selbstverständlich ergibt, hier nicht funktioniert. Ich wüsste, wie ich eine Freundin trösten würde Ich würde über so etwas mit meinem Kollegen wahrscheinlich gar nicht sprechen Weil meine Rolle für den Patienten (und für mich?) unklar ist
14 Schwierige Gespräche sind Gespräche, in denen die Studierenden noch nicht wissen, welche professionelle Haltung sie einnehmen sollen Ihnen fehlt eine professionelle Identität, die sie ihrer privaten Identität entgegensetzen könnten Neue Phänomenologie bietet für diese Identität den Begriff der Fassung an
15 Hermann Schmitz Die Fassung einer Person ist das, was man verliert, wenn man die Fassung verliert In der Fassung identifiziert sich der Mensch mit etwas, das eindeutiger ist als er selbst. Dabei handelt es sich teils um die Berufs- und Familienrolle, mehr aber noch um das, was der Psychiater Jürg Zutt Innere Haltung genannt hat (Schmitz loc. cit.). Schmitz in Der Leib, Seite 45f,;De Gruyter, 2011
16 Verschiedene Fassungen Eine Person hat verschiedene Fassungen, was leicht einzusehen ist, wenn man sich überlegt, was einen selbst als Vater/Mutter, als Supervisor, als Lehrer, als Ehepartner als klinisch tätigen Arzt aus der Fassung bringen könnte oder noch mit der eigenen Fassung vereinbar ist.
17 Herausforderungen für die professionelle Identität Professionelle Identität muss sich dann bewähren, wenn man selber ergriffen wird von Regungen, die am eigenen Leib angreifen. Die Grenze, die in diesem Moment touchiert wird, ist die eigene Fassung: «Wenn man den anderen am eigenen Leibe spürt, wenn man sich von ihm eigentümlich berührt fühlt, dann ist es im Wesentlichen die eigene Fassung, an die er gerührt hat.»
18 Starre und flexible Fassung «Wer sich nicht rühren lässt, wer seine Fassung starr festhält, sieht am andern vorbei. Wer sie schwingungsfähig hält und bereit ist, sie auch einmal aufs Spiel zu setzen, kann ihr über den, mit dem er zu tun hat, [ ] mehr entnehmen als durch blosse Beobachtung.» Dies bedeutet auch, dass eine allzu flexible Fassung, die man vielleicht leichtfertig auf s Spiel setzt, dazu führt, dass man schlagartig, aber tiefgreifend, die Fassung verliert.
19 Fassung und Ausbildung Ein Lernziel für Studierende könnte sein, Erfahrungen mit der Belastbarkeit der eigenen Fassung zu machen: wer erlebt, dass z.b. Tränen in den Augen oder Anklänge von Wut nicht dazu führen, dass man die Fassung verliert, traut sich in emotional intensivere Situationen hineinzugehen Die Alternative besteht im Abwiegeln: vorschneller Trost oder Gegenargumente liefern
20 Schlussfolgerung Schwierige Gespräche entstehen mit Patienten und Angehörigen und Kollegen, die mich an die Grenze meiner (beruflichen) Fassung bringen. Geduldiges Ausharren in einer Fassung (als Grossvater) erlaubt keine Voraussage für die Geduld im Umgang mit Studierenden oder Kollegen Das erklärt die Wandlung des guten und verlässlichen Kollegen zum gefürchteten Chef!
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