Pluralismus und Mainstream in der VWL eine persönliche Stellungnahme
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- Ingelore Auttenberg
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1 Pluralismus und Mainstream in der VWL eine persönliche Stellungnahme Markus Pasche Schon lange gibt es Kritik an der VWL, vor allem am sog. Mainstream. Diese Kritik wurde insbesondere nach der globalen Finanzkrise 2008 deutlich stärker, da diese Krise von Ökonomen nicht vorhergesehen wurde und von Kritikern als Zeichen dafür gewertet wird, dass Ökonomen ein übergroßes Vertrauen in (Finanz-) Märkte und generell in das Funktionieren des Kapitalismus haben. Die Krise wird auch als Scheitern einer neoliberalen Ideologie gesehen, die eng mit dem Mainstream verbunden sei. Aber auch unabhängig von der Finanzkrise gibt es vielerlei Kritik. So wird oft Folgendes behauptet: Die VWL ist zu realitätsfern. Sie beschäftigt sich mit hochabstrakten Modellen perfekter Märkte im Gleichgewicht und unterstellen perfekt rationales Verhalten, was es so in der Realität nicht gibt. Die VWL reflektiert nicht die eigenen normativen Grundlagen und wird so ideologisch. Dabei ist der Mainstream stark mit der politischen Position des Neoliberalismus verbunden, der für viele Übel dieser Welt verantwortlich ist. Der Mainstream betont zu sehr die Vorzüge von Märkten und setzt zu sehr auf individuelle Anreize und das einzelne Individuum. Er propagiert Globalisierung und Wachstum. Die Einbettung in einen gesellschaftlichen Kontext, die natürliche Umwelt und das Gemeinwohl kommen zu kurz. Die VWL setzt zu sehr auf mathematische Methoden. Formale Eleganz zählt mehr als praktischer Erkenntniswert und Relevanz. Der Mainstream verdrängt alternative Sichtweisen innerhalb der VWL und ist auch nicht offen gegenüber anderen Disziplinen wie z.b. der Psychologie oder der Soziologie. Dementsprechend ist die Lehre zu wenig pluralistisch, zu wenig kritisch gegenüber dem Mainstream, und ist eher eine ideologische Indoktrination, sie schafft kein kritisches Bewusstsein. Als alternative Sichtweisen innerhalb der VWL werden oft genannt: Institutionenökonomik, (Post-) Keynesianismus, Marxismus, Feministische Ökonomik, Ökologische Ökonomik, Evolutorische Ökonomik, Verhaltensökonomik, Österreichische Schule u.a.m. 1
2 Für einen Einführungskurs in die VWL muss ich solche Kritik ernst nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass ich all die Kritikpunkte in dieser Form teile oder die genannten alternativen Sichtweisen explizit als Mainstream-Alternativen in die Vorlesung einbeziehe. Ich werde im Folgenden kurz benennen, was ich von der Kritik halte, und wie sich das in der Veranstaltung niederschlägt: Der sog. Mainstream wird mal mit der Neoklassik assoziiert, mal mit der Neukeynesianischen Makroökonomik, d.h. es ist vielen Kritikern gar nicht klar, was genau man da kritisiert. Vor allem wird enorm unterschätzt, welchen Pluralismus es innerhalb dieses Mainstreams gibt. Institutionenökonomik, Public Choice, Verhaltensökonomik u.a.m. sind längst keine randständigen Gebiete mehr, sondern Teil eines breit gefassten heterogenen Mainstreams. Auch in der Lehre. Die abstrakten und scheinbar realitätsfernen Annahmen und die formal-mathematische Analyse sind Ausdruck einer Methodologie, die darauf abzielt, empirisch testbare Aussagen aus Annahmen abzuleiten. Jede Art der Erkenntnisgewinnung ist stets Reduktion von Komplexität, und jede Art der Erkenntnisgewinnung setzt gewisse Begriffe, Konzepte, Annahmen voraus, hat also normative Grundlagen. Ich bin sehr dafür dies deutlich zu machen und kritisch zu reflektieren. Aber VWL- Veranstaltungen sind kein philosophisches Pro-Seminar in Wissenschaftstheorie, so dass methodologische Dinge eher en passant angesprochen werden. Generell stelle ich mich gegen die schiere Behauptung, dass die VWL blind gegenüber ihren normativen Grundlagen sei. Die Vorstellung, man könne Modelle oder Theorien mit der Realität vergleichen ist prä-wissenschaftlich, denn die sog. Realität können wir nur durch die Brille bestimmter Modelle bzw. empirischer Methoden erkennen. Die VWL arbeitet heutzutage fast immer evidenz-basiert, d.h. unter Verwendung empirischer Methoden. Es geht ihr nicht um die Modelle als solche. Die VWL stellt keineswegs ausschließlich die Vorzüge des Marktes heraus, sondern untersucht Eigenschaften aller empirisch vorfindbaren Mechanismen, mit denen Gesellschaften ökonomische Probleme zu lösen versuchen. Die Theorien des Marktversagens sind seit langem Teil des Mainstreams. Es ist auch nicht richtig, dass gesellschaftliche Voraussetzungen oder Gemeinwohl oder Verteilungsfragen nicht reflektiert werden, oder das ständiges Wachstum propagiert wird. Was die Annahme der perfekten Rationalität betrifft, so liegen hier häufig Missverständnisse vor, 2
3 die an anderer Stelle zu diskutieren sind. Insgesamt erscheinen mir viele inhaltliche Kritikpunkte oft recht vorurteilsbeladen zu sein. Gelegentlich wird mit Vehemenz etwas eingefordert, was der Mainstream schon seit Jahrzehnten eingelöst hat (aber vielleicht nicht gerade in einer Erstsemesterveranstaltung präsentiert wird). Es ist richtig, dass die Ökonomen die Finanzkrise nicht hatten kommen sehen 1. Das kann durchaus auch an dem mangelhaften Verständnis der Finanzmärkte und deren makroökonomische Rolle gelegen haben. Es ist völlig normal, dass der Erkenntnisfortschritt auch durch Krisen oder neue empirische Phänomene vorangetrieben wird. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass die Ökologische Ökonomik, Evolutorische Ökonomik, Feministische Ökonomik usw. präzisere Voraussagen getroffen oder substanzielle Beiträge zum besseren Verständnis der Krise geliefert hätten. Die durch die Krise angestoßenen und enorm gewachsenen Erkenntnisse z.b. zu systemischen Risiken und zur besseren Regulierung der Finanzmärkte würde ich allesamt dem Mainstream zuordnen. Die meisten alternativen (z.b. post-keynesianischen) Krisen-Erklärungen passen nicht zu den empirischen Befunden. Aversion gegenüber Mathematik und Statistik kann kein Grund sein, deren Verwendung als Erkenntniswerkzeuge zu diskreditieren. Mathematik als Sprache, in der man die Argumentation fasst, zwingt zu einer gewissen Strenge und Folgerichtigkeit, und sie ist auch wichtig, um empirisch testbare Aussagen zu erhalten (und entsprechende Tests zu formulieren). Mathematik schult ungemein die ökonomische Intuition (übrigens auch bei heterodoxen Ansätzen) statt diese zu unterdrücken. Rein verbale und empirisch kaum überprüfbare Aussagen müssen sich viel eher der Kritik stellen, ins Ideologische abzudriften. Die Verdrängung neuartiger Sichtweisen ist in der Fachliteratur nicht zu beobachten. Zwar ist richtig und auch kritisch zu sehen! - dass es für neuartige Ansätze schwierig ist, in die Top-Journals zu kommen. Das bedeutet nicht, dass alternative Sichtweisen nicht publiziert und nicht beachtet würden. Man muss allerdings auch sagen, dass nicht alles, was alternativ, kritisch oder neu ist, auch einen hohen Erkenntniswert hat. Die mangelnde Rezeption kann auch an mangelnder Qualität liegen statt an der angeblichen Ignoranz des Mainstreams, der verschwörungstheorieartig jede Alternative unterdrückt. Der enorme Publikationsdruck hat m.e. gera- 1 Wobei es durchaus seriöse Makroökonomen gibt, die deutlich vor 2008 auf die Risiken finanzieller Instabilität durch Überschuldung hingewiesen haben. 3
4 de zu einem Abbau von Berührungsängsten mit neuen und andersartigen Ideen geführt, weil man sich so neue Nischen erschließen kann. Ideengeschichtlich besteht durchaus eine Verbindung zum Liberalismus, dessen Neuinterpretation im Kontext moderner Gesellschaften, die durch eine Mischung kollektiver Mechanismen und Marktmechanismen geprägt ist, Neo-Liberalismus genannt wird. Das ist weder synonym zu Neoklassik noch zu Kapitalismus. Nebenbei bemerkt ist der geforderte Pluralismus im Sinne des Wettbewerbs der Ideen und Hypothesen ein geradezu konstitutives Merkmal neoliberalen Denkens. Die Vorlesung wird nicht die genannten alternativen Sichtweisen (Ökologische Ökonomik, Evolutorische Ökonomik etc.) neben den Mainstream stellen, zumindest nicht explizit. Das hat Gründe: Ich stelle mich diesem übergroßen Bedürfnis nach Etikettierung entgegen. Es trainiert das Denken in Schubladen. Die überwältigende Mehrheit der Studierenden würde dann nämlich tabellarische Gegenüberstellungen unterschiedlicher Sichtweisen lernen. Das ist das Gegnteil einer akademischen aufgeklärten Herangehensweise. Das Denken in Denkschulen - zumindest in einem so frühen Stadium des Studiums ist m.e. kontraproduktiv. Es erweckt den Eindruck als sei wissenschafliches Denken jenseits etikettierter Schablonen nicht möglich. Argumente erhalten plötzlich eine (De-) Legitimation, weil sie von Vertretern dieser oder jener Schule kommen, die meist eine normative Konnotation haben (ein neoklassisches Argument ist schlecht weil Mainstream, ein feministisches ist gut). Das ist das Gegenteil von Aufklärung. Es ist besser, sich kritisch mit Begriffen, Annahmen und Methoden auseinanderzusetzen unabhängig aus welcher Schule - und sich so ganz nebenbei einen spielerischen Zugang zum ökonomischen Denken zu verschaffen. Und dazu eigent sich der (breit gefasste) Mainstream als Übungsvorlage m.e. recht gut. Es ist eine Einführung in die VWL. Sichtweisen anderer Disziplinen auf denselben Erkenntnisgegenstand (z.b. Marktwirtschaft, Arbeitsverhältnisse) mögen auch sehr interesant sein, aber hier wird nun mal eine spezifisch ökonomische Denk- und Herangehensweise vorgestellt. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass in der Vorlesung der Pluralismus innerhalb des breit gefassten Mainstreams vorkommt, ohne dass darauf ständig explizit hingewiesen wird (klassische, neoklassiche und keynesianische Elemente, Institutionenökonomik/Public Choice, Verhaltensökonomik, Ungleichgewichtsökonomik,... ). 4
5 Der Diskurs um den angeblich mangelnden Pluralismus und dem Verharren in einem überholten Mainstream ist mir persönlich zu ideologisch geprägt und wird oft mit moralischer Überheblichkeit und Herablassung seitens der Kritiker geführt. Ich kenne diesen Diskurs, werde diesem aber in der Einführungsveranstaltung keinen wesentlichen Raum geben. Wer an diesen Fragen Interesse hat, kann mich gerne persönlich ansprechen. 5
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