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Transkript:

Christian Becker, Rechtsanwalt, Wilhelm Rechtsanwälte, Düsseldorf, www.wilhelm-rae.de Die Warenkreditversicherung nachteilige Folgen bei Überschreiten des äußersten Kreditziels? (gleichzeitig Besprechung OLG Koblenz vom 15. Januar 2010, 10 U 376/09) 1. EINLEITUNG Viele Unternehmen gewähren ihren Kunden einen Warenkredit. Das Unternehmen räumt seinen Kunden nach Fakturierung der erbrachten Leistungen ein Zahlungsziel von einigen Wochen oder sogar Monaten ein. Für den Kunden ist ein langfristiges Zahlungsziel ein wirtschaftlicher Vorteil. Das kreditgebende Unternehmen übernimmt das wirtschaftliche Risiko, mit seiner Forderung bei einer zwischenzeitlich eintretenden Zahlungsunfähigkeit des Kunden auszufallen. Zur Absicherung dieses Ausfallrisikos schließen die kreditgebenden Unternehmen Warenkreditversicherungsverträge ab. Die kreditgebenden Unternehmen erwarten vom Warenkreditversicherer den Ausgleich der nicht bezahlten und somit ausgefallenen Forderungen abzüglich einer vertraglich vereinbarten Selbstbeteiligung. Wie der zu besprechende Fall des OLG Koblenz zeigt, erfüllt sich diese Erwartung nicht immer. 2. SYSTEMATIK DES WARENKREDITVERSICHERUNGSVERTRAGS 2.1 Mantelversicherungsvertrag Der Warenkreditversicherer und das versicherte Unternehmen regeln in einem Mantelvertrag den rechtlichen Rahmen des Warenkreditversicherungsvertrages. Regelmäßig nehmen die Vertragsparteien auf die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Warenkreditversicherung ( AVB WKV ) Bezug. Die AVB WKV regeln u. a. den Umfang des Versicherungsschutzes, den Eintritt des Versicherungsfalls sowie vertragliche Obliegenheiten der Parteien. PARTNERSCHAFT VON RECHTSANWÄLTEN SITZ: DÜSSELDORF AG ESSEN PR 1597

- 2-2.2 Versicherungsschutz für einzelne Kundenbeziehungen durch Limitanträge und Kreditmitteilung Nach Abschluss des Mantelversicherungsvertrages stellt der Versicherungsnehmer bei seinem Warenkreditversicherer für die einzelnen Kunden sogenannte Limitanträge. Der Versicherungsnehmer beantragt hierdurch Versicherungsschutz für ausfallende Forderungen aus einer individuellen Kundenbeziehung. Der Versicherer prüft daraufhin detailliert die Bonität des Kunden und die Versicherbarkeit der Kundenbeziehung. Der Versicherer nennt dem versicherten Unternehmen das Prüfungsergebnis in einer schriftlichen Kreditmitteilung. In dieser Mitteilung erklärt der Versicherer, ob und wenn ja zu welchen Bedingungen er die konkrete Kundenbeziehung versichert. Lehnt der Versicherer die Übernahme des Versicherungsschutzes für die Kundenbeziehung ab, kann dies für den Versicherungsnehmer ein Indiz für die fehlende Solvenz des Geschäftspartners sein. Ggfs. überdenkt der Versicherungsnehmer seine Vertragsbeziehung zum Kunden oder er fordert zur zukünftigen Debitorenabsicherung zusätzliche Sicherheiten (z. B. Bürgschaften). 2.3 Dauer des Versicherungsschutzes Den Beginn und das Ende des Versicherungsschutzes regeln der Rahmenvertrag und die Kreditmitteilung. 2.3.1 Beginn des Versicherungsschutzes Der Beginn des Warenkreditversicherungsvertrages ist im Versicherungsschein zum Rahmenvertrag genannt. Den Beginn des Versicherungsschutzes für eine individuelle Kundenbeziehung nennt der Warenkreditversicherer in der jeweiligen Kreditmitteilung. 2.3.2 Ende des Versicherungsschutzes 2.3.2.1 Ende des Versicherungsschutzes durch Ablauf des Rahmenvertrages Damit der Versicherungsnehmer Versicherungsleistungen beanspruchen kann, muss zum einen die Forderung des Versicherungsnehmers gegen den Kunden während der Laufzeit des Rahmenvertrages entstanden sein.

- 3 - Zum anderen muss der Versicherungsnehmer mit seiner Forderung während der Vertragslaufzeit wegen der im Versicherungsvertrag genannten Gründe (u. a. erfolglose Zwangsvollstreckung gegen den Kunden, Insolvenz des Kunden) ausgefallen sein. Sollte zum Beispiel die den Forderungsausfall begründende Insolvenz des Kunden erst einen Tag nach Ablauf des Rahmenversicherungsvertrages eintreten, bestünde für den Forderungsausfall kein Anspruch auf Versicherungsleistung. 2.3.2.2 Beendigung des individuellen Versicherungsschutzes durch Kreditzielüberschreitung Der Versicherungsschutz für die individuelle Kundenbeziehung kann auch bei Überschreiten und erkennbarem Überschreiten des sogenannten äußersten Kreditziels enden. Das Überschreiten eines Kreditziels ist in der Regel ein Indiz für eine problematische Bonität des Kunden. Das sich daraus ergebende erhöhte Forderungsausfallrisiko wollen Versicherer nicht übernehmen. 7 Ziffer 3 a AVB WKV regelt deshalb Folgendes: Wird das äußerste Kreditziel überschritten oder dessen Überschreitung erkennbar, endet der Versicherungsschutz für Forderungen aus künftigen Lieferungen und Dienstleistungen. Als äußerstes Kreditziel gilt das zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Kunden vereinbarte Zahlungsziel zuzüglich einer gewährten Karenzzeit. Das späteste Zahlungsziel legt der Warenkreditversicherer zuvor im Versicherungsschein zum Rahmenversicherungsvertrag als äußerstes Kreditziel fest. Das äußerte Kreditziel beträgt oft 60 oder 90 Tage. Der Versicherungsnehmer muss seinen Kunden auffordern, innerhalb des vom Versicherer gewährten Zeitraums (äußerstes Kreditziel) offenstehende Forderungen auszugleichen. Abweichende Verlängerungen oder Verkürzungen des Kreditziels für besonders zahlungsfähige oder mit Restzweifeln bedachte Kunden des Versicherungsnehmers regeln die individuellen Kreditmitteilungen. 2.4 Obliegenheiten Im Warenkreditversicherungsvertrag gelten zahlreiche gesondert vereinbarte Obliegenheiten. 2.4.1 Anbietungsobliegenheit Gemäß 3 AVB WKV obliegt es dem Versicherungsnehmer, dem Warenkreditversicherer sämtliche Forderungen gegen alle Kunden zur Übernahme des Versicherungsschutzes anzubieten und ausreichende Versicherungssummen zu beantragen.

- 4 - Dem Versicherungsnehmer ist es also nicht gestattet, dem Versicherer nur zweifelhafte Forderungen gegen einzelne Kunden anzubieten. Ansonsten müsste der Versicherer lediglich das erhöhte Ausfallrisiko des Versicherungsnehmers bezüglich dieser zweifelhaften Forderungen tragen. 2.4.2 Meldeobliegenheit bei Kreditzielüberschreitung Dem Versicherungsnehmer obliegt gemäß 7 Ziffer 2 AVB WKV bei dem Erkennen eines möglichen oder bei tatsächlichem Überschreiten des äußersten Kreditziels die unverzügliche Anzeige dieses Umstandes an den Versicherer. 2.5 Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen Die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung regelt der Versicherungsvertrag im gesetzlich zulässigen Rahmen des 28 VVG 2008. 2.5.1 Gesetzliche Regelung in 28 VVG 2008 Zugunsten der Warenkreditversicherungsnehmer gelten grundsätzlich die Obliegenheitsregelungen der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes aus dem Jahre 2008. Hiernach führen lediglich vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen zur vollständigen Befreiung des Versicherers von seiner Zahlungspflicht (vgl. 28 Absatz 1 Satz 1 VVG 2008). Nach 28 Absatz 2 VVG 2008 wird der Versicherer bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis leistungsfrei (teilweise Leistungsfreiheit). Dies gilt gemäß 28 Absatz 3 VVG 2008 jedoch nicht, wenn die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung eines Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Der Versicherungsnehmer kann dann den sogenannten Kausalitätsgegenbeweis führen. In diesem Fall bleibt die Leistungspflicht des Versicherers trotz schuldhafter Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers vollständig bestehen. 2.5.2 Abweichung von den Regelungen des 28 VVG 2008 in AVB Der Warenkreditversicherer kann mit dem Versicherungsnehmer angemessene nachteilige Abweichungen von der Regelung des 28 VVG 2008 vereinbaren. Der Warenkreditversicherungsvertrag stellt ein Großrisiko dar (vgl. 210 VVG 2008 i.v.m. Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 des EGVVG i.v.m. der Anlage 1 zum VAG). Bei Großrisiken kann zwischen

- 5 - Versicherer und Versicherungsnehmer von der Regelung des 28 VVG 2008 abgewichen werden. Für Großrisikoversicherungsnehmer entfällt jedoch nicht automatisch der Schutz, den der Reformgesetzgeber Versicherungsnehmern durch die abgestufte, verschuldensabhängige Leistungsfreiheit gemäß 28 VVG 2008 gewährt. Abweichende vertragliche Regelungen des Versicherers müssen sich an den gesetzlichen Regelungen zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ( 305 307 BGB) messen lassen. 1 Im Rahmen dieser Kontrolle sind die abändernden AVB am Leitbild der abbedungenen VVG-Regelung auf unangemessene Benachteiligungen zu prüfen. Unangemessene Benachteiligungen des Warenkreditversicherungsnehmers und damit eine Unwirksamkeit von Vertragsklauseln liegen vor, wenn die benachteiligende Klausel vom Kerngehalt einer Regelung des VVG 2008 abweicht. Ein vollständiger formularmäßiger Verzicht auf das Verschuldenserfordernis oder das Fehlen der Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises wäre nach 307 BGB unwirksam. 2 3. ENTSCHEIDUNG DES OLG KOBLENZ ZUR KREDITZIELÜBERSCHREITUNG Das OLG Koblenz befasste sich in seiner Entscheidung vom 15. Januar 2010 mit der Frage, welche Auswirkung eine Kreditzielüberschreitung für die Leistungspflicht des Warenkreditversicherers hat. 3.1 Sachverhalt Die Klägerin nahm bei der Beklagten eine Warenkreditversicherung. Die vertragliche Beziehung zu ihrer Kundin X zeigte die Klägerin der Beklagten mit einem Limitantrag an. Die Beklagte gewährte für die Vertragsbeziehung zur X Versicherungsschutz mit dem äußersten Kreditziel von vier Monaten. Die Kundin X geriet während der Laufzeit des Versicherungsvertrages in Zahlungsschwierigkeiten. Sie begehrte von der Klägerin eine Verlängerung des äußersten Kreditziels für in Rechnung gestellte Forderungen. Die Klägerin gewährte die Verlängerung des Zahlungsziels. Die Klägerin informierte die Beklagte hierüber nicht. Die Klägerin lieferte an die X weitere Waren, welche die Kundin ebenso wie die gestundeten Altforderungen nicht bezahlte. 1 Vergleich Klimke in Prölss / Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage, zu 210 VVG, Rdn. 15 2 Klimke, a.a.o., Rdn. 16

- 6 - Anschließend eröffnete das zuständige Amtsgericht über das Vermögen der X das Insolvenzverfahren. Die Klägerin meldete die nicht bezahlten Forderungen aus der Zeit vor Verlängerung des Zahlungsziels und die danach entstandenen unbezahlten Forderungen bei der Beklagten zum Ausgleich an. Die Beklagte lehnte die Versicherungsleistung wegen Überschreiten des äußersten Kreditziels im Sinne des 7 Ziffer 3 a AVB ab. Eine Differenzierung danach, ob die Forderungen der Klägerin gegen die X vor oder nach der Gewährung des verlängerten Zahlungsziels entstanden sind, nahm die Beklagte nicht vor. 3.2 Entscheidung des OLG Koblenz Vor dem OLG Koblenz konnte die Klägerin einen Teil ihrer Forderungen mit Erfolg durchsetzen. Das OLG Koblenz differenzierte die bei der Beklagten angemeldeten Forderungen danach, ob diese bereits vor der Gewährung der verlängerten Zahlungsziele oder danach entstanden waren. 3.2.1 Forderungen nach der Gewährung verlängerter Zahlungsziele Den Ersatz der Forderungen, welche die Klägerin gegenüber der Kundin X nach der Gewährung verlängerter Zahlungsziele neu begründete, sprach das Gericht der Klägerin wegen Überschreitens des äußersten Kreditziels nicht zu. Das OLG hielt fest, dass der Versicherungsschutz für die Kundenbeziehung der Klägerin zur X mit der Vereinbarung verlängerter Zahlungsziele endete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Überschreitung des äußersten Kreditziels von vier Monaten für die Klägerin erkennbar. Dies führte gemäß 7 Ziffer 3 a AVB WKV zum Ende des Versicherungsschutzes. Das Ende des Versicherungsschutzes schloss zukünftige, also nach der Verlängerung des Zahlungsziels entstehende Forderungen, vom Versicherungsschutz aus. Folglich konnte die Klägerin von der Beklagten keinen Ersatz für den Ausfall von Forderungen verlangen, die nach der Verlängerung der Zahlungsziele neu entstanden. Ob die Klägerin schuldhaft handelte, als sie die verlängerten über das äußerste Kreditziel hinausgehenden Zahlungsfristen gewährte, berücksichtigte das OLG hierbei nicht. Das Gericht wertete die Klausel in 7 Ziffer 3 a AVB WKV als primäre Risikobegrenzung. Solche verschuldensunabhängigen Risikoausschlüsse begrenzen den Versicherungsschutz. Die Rechtsprechung sieht diese Begrenzungen als wirksam an, da Versicherer das zu übernehmende Risiko kalkulierbar halten dürfen.

- 7 - Demnach konnte die Frage, ob die Klägerin bereits bei Abschluss der Vereinbarung schuldhaft den Versicherungsvertrag verletzte, unbeantwortet bleiben. 3.2.2 Forderungen, die bei Abschluss der Stundungsvereinbarung bereits bestanden Das OLG verurteilte die Beklagte zum Ersatz derjenigen ausgefallenen Forderungen, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung bereits im Verhältnis zwischen der Klägerin und der X entstanden waren. 3.2.2.1 Risikoausschluss nicht relevant Die Risikobegrenzung nach 7 Ziffer 3 a AVB WKV steht der Erstattung der Altforderungen nicht entgegen. Die vorgenannte Risikobegrenzung bezieht sich lediglich auf zukünftige Forderungen nach Überschreiten des äußersten Kreditziels oder der Erkennbarkeit des Überschreitens des Kreditziels. Die Altforderungen waren keine zukünftigen Forderungen im Sinne der Klausel 7 Ziffer 3 a AVB WKV. 3.2.2.2 Keine Leistungsfreiheit Weiter verneinte das OLG eine Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach 7 Ziffer 2 AVB WKV für die bereits entstandenen Forderungen. 3.2.2.2.1 Anzeigeobliegenheitsverletzung bejaht Zwar zeigte die Klägerin die Erkennbarkeit des Überschreitens des Kreditziels nach der Stundungsvereinbarung nicht unverzüglich der Beklagten an. Sie verstieß somit zumindest tatbestandlich gegen die Anzeigeobliegenheit gemäß 7 Ziffer 2 AVB WKV. 3.2.2.2.2 Kausalitätsgegenbeweis Ausnahmsweise folgte aus der Obliegenheitsverletzung jedoch keine Leistungsfreiheit des Versicherers. Die Klägerin konnte den Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des 28 Absatz 3 VVG führen. Die Klägerin konnte nachweisen, dass bei rechtzeitiger Anzeige des erkennbaren Überschreitens des Kreditziels weder sie noch die Beklagte Maßnahmen hätten treffen können, die zu einem Ausgleich der Altforderungen durch die X hätten führen können. Wie auch immer die Klägerin sich verhalten hätte, sie wäre stets mit ihren Altforderungen gegen X ausgefallen. Folglich wirkte sich die Verletzung der Obliegenheit durch die Klägerin nicht nachteilig auf die Durchsetzung der bereits entstan-

- 8 - denen Zahlungsansprüche gegen die Kundin X aus. Das Verhalten der Klägerin beeinträchtigte damit nicht den Versicherungsvertrag. Der Versicherungsanspruch blieb für die bereits begründeten Forderungen bestehen. Die Beklagte musste der Klägerin die ausgefallenen Altforderungen erstatten. 4. FAZIT Versicherungsnehmer gehen ein wirtschaftliches Risiko ein, wenn sie Kunden längere Zahlungsfristen gewähren als die äußersten Kreditziele des Warenkreditversicherungsvertrages dies zulassen. Die Versicherungsnehmer verlieren für die Kundenbeziehung den Warenkreditversicherungsschutz. Daher sollten Versicherungsnehmer die Frage, ob sie einem Kunden eine über das äußerste Kreditziel hinausgehende Zahlungsfrist einräumen, wohl überlegen. Entscheiden sich die Versicherungsnehmer zur Gewährung einer verlängerten Zahlungsfrist, sollten sie den Versicherer rechtzeitig informieren und um die Erlaubnis für eine einmalige Überschreitung des Kreditziels bitten. Stimmt der Versicherer dieser einmaligen Überschreitung zu, kann er im Nachhinein keine für den Versicherungsnehmer rechtlich nachteiligen Folgen aus der Überschreitung des Kreditziels herleiten. Christian Becker Rechtsanwalt Fachanwalt für Versicherungsrecht Wilhelm Rechtsanwälte Partnerschaft von Rechtsanwälten Fürstenwall 63 40219 Düsseldorf Telefon: + 49 (0)211 687746-14 Telefax: + 49 (0)211 687746-20 www.wilhelm-rae.de christian.becker@wilhelm-rae.de AG Essen PR 1597