Öffentlich-rechtliche vs. zivilrechtliche Verträge in der Stromwirtschaft

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Transkript:

Öffentlich-rechtliche vs. zivilrechtliche Verträge in der Stromwirtschaft Phyllis Scholl, Bär & Karrer AG VSE Juristentag Bern, 23. November 2016

Einstieg (1/2) Urteil des Bundesgerichts vom 17. April 2015 (4A_582/2014, zivilrechtliche Abteilung) mit Aussage zur Rechtsnatur der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Strombezügern: Bloss Stromlieferverträge mit Endkunden, die von ihrem Recht auf freie Wahl des Stromlieferanten Gebrauch gemacht haben, sind zivilrechtlicher Natur. Urteil 4A_582/2014 seither in mehreren BGer-Urteilen bestätigt. Ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahr 2011 (BGE 137 III 522) geht hingegen noch von der zivilrechtlichen Natur des Vertrags in der Grundversorgung aus. Siehe auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3505/2011 vom 26. März 2012 (Fokus in diesem Urteil war jedoch Frage der Verfügungskompetenz der Swissgrid). www.baerkarrer.ch 2

Einstieg (2/2) Argumentationslinie Bundesgericht in 4A_582/2014: Methodenpluralismus (namentlich Interessens 1 -, Funktions 2 - und Subordinationstheorie 3 ) Netznutzungstarif und Grundversorgungstarif sind von StromVG abschliessend geregelt. Wenn bei Nichteinigung der Vertragsparteien eine Verwaltungsbehörde für den Entscheid einbezogen werden muss (ElCom), ist das Vertragsverhältnis als solches öffentlich-rechtlich. Dienstleistung des Netzbetreibers/Grundversorgers liegt im öffentlichen Interesse und wird vom öffentlichen Recht geregelt. 1 Interessenstheorie: Frage, ob private oder öffentliche Interessen verfolgt bzw. öffentliche Aufgaben erfüllt werden. 2 Funktionstheorie: Norm gehört zum öffentlichen Recht, wenn das von ihr gesteuerte Verwaltungshandeln unmittelbar der Besorgung von Verwaltungsaufgaben dient, es sei denn, das einschlägige Gesetz unterstelle dieses Handeln dem Zivilrecht. Beispiel für Handeln nach Zivilrecht: SBB, in Bezug auf vermögensrechtliche Streitigkeiten. 3 Subordinationstheorie: Gewicht auf die Gleich- oder Unterordnung der Beteiligten bzw. die Ausübung von hoheitlichem Zwang. www.baerkarrer.ch 3

Verwaltungsaufgabe Frage, ob Netzbetrieb und/oder Stromlieferung eine Verwaltungsaufgabe darstellt. Begriff Staatsaufgabe in der Praxis als Synonym verwendet. Nach neuerer Lehre verläuft die Abgrenzung zwischen Staatsaufgaben und Aufgaben der Gesellschaft bzw. Wirtschaft fliessend (vgl. Referat von Herrn Prof. Rütsche). Frage, lässt sich gestützt auf Lehre und Rechtsprechung nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Es lassen sich gute Gründe sowohl für die eine wie auch für die andere Deutung der geltenden Rechtsquellen finden. Gründe für Staatsaufgabe, z.b.: Gewährleistungsverantwortung des Staates Gründe gegen Staatsaufgabe, z.b.: Art. 4 Abs. 2 EnG: "Die Energieversorgung ist Sache der Energiewirtschaft. Bund und Kantone sorgen mit geeigneten staatlichen Rahmenbedingungen dafür, dass die Energiewirtschaft diese Aufgabe im Gesamtinteresse optimal erfüllen kann." Vergleich zur Landwirtschaft Separate Fragen: Unterscheidung noch zwischen Swissgrid und VNB? Abgrenzung je nach Kanton unterschiedlich? www.baerkarrer.ch 4

Argumente für Qualifikation von Rechtsbeziehungen als zivilrechtlich Art. 1 StromVG: StromVG bezweckt Wettbewerb Vertrag kann zivilrechtlich sein, auch wenn zufolge gesetzlicher Vorgaben wenig Raum für privatautonome Ausgestaltung der Rechtsbeziehung bleibt (BVGer, A-3505/2011, E.5.5). Erst im Fall einer ElCom-Verfügung in Bezug auf die Netznutzungstarife und -entgelte wird die Rechtsbeziehung öffentlich-rechtlich (BVGer, A-3505/2011, E.6.3 und 10.2). Regulierung der Netznutzungs- und Grundversorgungstarife ist ex post-regulierung. ElCom agiert bloss auf Antrag oder von Amtes wegen in Einzelfällen (BGE 137 III 522, E.1.5) StromVG gibt bloss Obergrenze für Tarife an (anrechenbare Kosten). Netzbetreiber ist im Rahmen dieser Obergrenze relativ frei in der Ausgestaltung der Tarife (pro Spannungsebene und Kundengruppe müssen die Tarife jedoch einheitlich sein). (BGE 137 III 522, E.1.5) Nicht alle Aspekte des Rechtsverhältnisses zwischen VNB und Endkunde ist von StromVG vorgegeben, z.b. Modalitäten im Fall von Schuldnerverzug sind nicht in StromVG geregelt. Zwar besteht Anschlusspflicht, aber bei Nichtbezahlung kein Kontrahierungszwang. www.baerkarrer.ch 5

Diskussion konkreter Vertragsverhältnisse Netznutzungsvertrag zwischen VNB und Endkunde Energieliefervertrag zwischen VNB und Endkunde in der Grundversorgung Energieliefervertrag zwischen VNB und freien Kunden Bilanzgruppenvertrag zwischen Swissgrid und Bilanzgruppenverantwortlichen www.baerkarrer.ch 6

Implikationen Staatsaufgabe / öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen Zuständigkeit / Rechtsmittelweg: Für alle Art von Streitigkeiten zu Netznutzungsverträgen und Grundversorgungsverträgen nun ElCom zuständig, auch z.b. für Rechtsöffnung bei Schuldnerverzug? Oder sind die kantonalen Verwaltungsgerichte zuständig? Verfügungskompetenz des Netzbetreibers? Zusätzliche Aufsicht, z.b. Finanzkontrolle Grundrechtsbindung gemäss Art. 35 Abs. 2 BV 1 (z.b. Gleichbehandlung) Tarife von MWST befreit? Sind Mitarbeiter von Netzbetreiber Beamte? Herausgabepflicht von Daten gestützt auf StGB? Beschaffungsrecht? Bund/Kantone Staatshaftung? Bund/Kantone Weitere? 1 Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen. www.baerkarrer.ch 7

Schlussgedanke Analog zur Situation der SBB in das StromVG Klärung betreffend vermögensrechtlicher Streitigkeiten aufnehmen: "Vermögensrechtliche Streitigkeiten zwischen Netzbetreiber und Endverbrauchern beurteilt der Zivilrichter. Für die übrigen Streitigkeiten gelten die Vorschriften der Bundesverwaltungsrechtspflege." www.baerkarrer.ch 8