Naturkatastrophen: Pflichtversicherung oder staatliches Handeln?



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Transkript:

Hauptstudium VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE Hauptstudium Naturkatastrophen: Pflichtversicherung oder staatliches Handeln? Prof. Dr. Robert. K. Frhr. v. Weizsäcker / Dr. Bernd Süssmuth / Dipl.-Volksw. Christian Feilcke, München In den letzten Jahrzehnten haben die Schäden durch Naturkatastrophen erheblich zugenommen. Damit stellt sich die Frage, ob diese Risiken noch von privaten Versicherungen getragen werden können. Welche Rolle sollte der Staat hier spielen und lassen sich staatliche Interventionen rechtfertigen? Zu welchen Effizienz- und Verteilungswirkungen würden sie führen? I. Der Markt für Versicherungen Das Zusammentreffen von risikoscheuen Individuen und risikoneutralen Versicherungen ermöglicht beiden Seiten vorteilhafte Geschäfte: Die Versicherung nimmt dem Versicherten die Risiken ab und erhält dafür eine Versicherungsprämie. Abb. 1: Schäden in Mrd. US-Dollar (in Werten von 2005; Quelle: Münchener Rück, Topics Geo 2005) Risikoaversion 1. Risikoscheue Individuen Menschen sind in der Regel risikoscheu. Sie schließen Versicherungen ab, um Lebensrisiken abzusichern. Risikoscheue Individuen wählen stets diejenige Alternative aus, die bei gleichem erwartetem Vermögensvorteil die geringste Unsicherheit aufweist. Ein einfaches Zahlenbeispiel verdeutlicht das: Ein risikoscheues Individuum wird eine sichere Auszahlung von 1.000 Euro einer unsicheren Alternative vorziehen, bei der es mit Wahrscheinlichkeiten von jeweils ½ entweder 4.000 Euro gewinnt oder 2.000 Euro verliert. Beide Alternativen haben einen Erwartungswert von 1.000 Euro. Ein risikoscheuer Mensch würde der unsicheren Alternative sogar eine sichere Auszahlung von weniger als 1.000 Euro vorziehen. Abb. 2 veranschaulicht dies. Abb. 2: Konkave Nutzenfunktion eines risikoscheuen Individuums Ein risikoscheues Individuum besitzt eine konkave Nutzenfunktion. Der Nutzen aus einer sicheren Auszahlung des Erwartungswertes von 1.000 Euro, u(1.000), ist höher als der Erwartungswert des Nutzens aus der unsicheren Alternative, eu(-2.000; 4.000) (vgl. Gravelle/Rees 2004, Kap. 17). Man bezeichnet den sicheren Betrag, der einem risikoscheuen Individuum genauso viel wert ist wie eine unsichere Alternative, als Sicherheitsäquivalent. Das Sicherheitsäquivalent ist durch s gekennzeichnet. Die Differenz zwischen dem Sicherheitsäquivalent und dem Erwartungswert der unsicheren Alternative wird als Risikoprämie bezeichnet. Risikoscheue Individuen sind also bereit, für Sicherheit einen geringeren Erwartungswert ihres Vermögens in Kauf zu nehmen. Je grö- 1111

VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE Hauptstudium ßer der Anteil des erwarteten Vermögens ist, auf den ein risikoscheues Individuum zugunsten von Sicherheit verzichten würde, d.h. je größer die Risikoprämie ist, desto stärker ist die Risikoaversion des Individuums. Risikoneutralität 2. Risikoneutrale Versicherungen Versicherungen sind normalerweise nicht risikoscheu, sondern risikoneutral. Risikoneutrale Akteure sind zwischen einer sicheren und einer mit Unsicherheit verbundenen Auszahlung indifferent, sofern beide Alternativen denselben Erwartungswert aufweisen. Versicherungen sind risikoneutral, wenn bei ihnen das Gesetz der großen Zahl zum Tragen kommt. Danach nähert sich grob gesagt das arithmetische Mittel einer Zufallsfolge immer weiter an den Erwartungswert an, je häufiger das Zufallsexperiment wiederholt wird. Ist die Zahl der Versicherten hinreichend groß und sind die einzelnen Schadensfälle voneinander unabhängige Ereignisse, ist für Versicherungen lediglich der Erwartungswert ihres Gewinns von Bedeutung. Dieser Erwartungswert entspricht der Summe der Versicherungsprämien aller Versicherten abzüglich der erwarteten Schadenssumme der Gruppe der Versicherten. Gemäß dem Gesetz der großen Zahl können die Versicherungen erwarten, dass sich die individuellen Risiken im Durchschnitt ausgleichen und der Erwartungswert der Schadenssumme eine gute Approximation der tatsächlichen Schadenssumme ist. Frage 1: Unter welcher Bedingung kann man annehmen, dass Versicherungen risikoneutral sind? Spielraum für wechselseitig vorteilhafte Geschäfte aufgrund unterschiedlicher Risikopräferenzen 3. Pareto-Verbesserung Ein risikoscheues Individuum zieht einer unsicheren Auszahlung stets den dazugehörigen Erwartungswert vor. Anders eine risikoneutrale Versicherung, die gegenüber beiden Alternativen indifferent ist. Aufgrund dieser unterschiedlichen Risikopräferenzen kann ein Versicherungsvertrag zu einer Pareto-Verbesserung führen. So könnte ein risikoscheuer Versicherungsnehmer eine unsichere Auszahlung an eine risikoneutrale Versicherung abtreten und dafür von der Versicherung den Erwartungswert der unsicheren Auszahlung erhalten. Ein solches Geschäft würde den Versicherungsnehmer besser, die Versicherung jedoch nicht schlechter stellen. Der Versicherungsnehmer könnte seine unsichere Auszahlung auch gegen Auszahlung seines Sicherheitsäquivalents an die Versicherung abtreten. In diesem Fall würde sich die Versicherung besser stellen, ohne dass der Versicherungsnehmer schlechter gestellt wäre. Es käme also in beiden Fällen zu einer Pareto-Verbesserung. Tritt der Versicherungsnehmer eine unsichere gegen eine sichere Auszahlung an die Versicherung ab, die das Sicherheitsäquivalent übersteigt, aber geringer als der Erwartungswert der unsicheren Auszahlung ist, stellen sich sowohl der Versicherte als auch die Versicherung besser. Es ergibt sich also die Möglichkeit eines wechselseitig vorteilhaften Geschäftes zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung. 4. Bedingungen für das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages Eine private Versicherung wird angeboten, wenn (1) das Gesetz der großen Zahl Anwendung findet, d.h. wenn hinreichend viele Menschen durch gleichartige, aber unkorrelierte Risiken bedroht sind, und (2) das Ausmaß des möglichen Maximalschadens kalkulierbar ist. Risiken schwerer Naturkatastrophen 5. Versicherung extremer Risiken Sind diese Bedingungen erfüllt, können sich risikoscheue Individuen zu einer Risikogemeinschaft zusammenschließen und ihre Risiken in einer risikoneutralen Versicherung poolen. Im Falle eines versicherbaren Risikos kann dies für Versicherungsnehmer und für private Versicherer ein vorteilhaftes Geschäft sein, womit sich ein Spielraum für gesellschaftliche Wohlfahrtsgewinne ergibt (vgl. Arrow 1996). Sind jedoch die genannten Bedingungen verletzt, können die betreffenden Risiken nicht (oder nur unvollständig) durch private Versicherungsmärkte versichert werden. Das kann bei Risiken schwerer Naturkatastrophen der Fall sein. So werden beispielsweise von Überschwemmungen weltweit am meisten Menschen betroffen. Dennoch ist die Versicherung dieses Risikos in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern wenig verbreitet. Möglicherweise findet hier das Gesetz der großen Zahl keine Anwendung. Zum einen ist der Anteil der von Überschwemmungen bedrohten Objekte häufig relativ 1112

Hauptstudium VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE klein und zumeist eindeutig identifizierbar. Bei den so genannten guten Risiken, also jenen Objekten, die von einer Überschwemmung kaum oder gar nicht bedroht sind, besteht daher wenig Bedarf für eine Überschwemmungsversicherung, sodass die Risikogemeinschaft letztlich nur für vergleichsweise schlechte Risiken besteht. Zum anderen sind bei schweren Überschwemmungskatastrophen, wie etwa jüngst beim Elbe- und Donau-Hochwasser, in der Regel viele Menschen und Einrichtungen gleichzeitig vom Schaden betroffen, womit die Unabhängigkeit der Schadensfälle nicht gewährleistet ist. Aus der Sicht der Versicherungen ist daher die Zahl der voneinander unabhängigen Einzelrisiken unter Umständen zu gering. Findet das Gesetz der großen Zahl keine Anwendung, sind Versicherungen nicht unbedingt risikoneutral, weshalb der Spielraum für wechselseitig vorteilhafte Geschäfte zwischen Versicherungen und Nachfragern ganz oder teilweise entfällt. Bei Naturkatastrophen ist zudem das finanzielle Ausmaß des Gesamtschadens oft so hoch, dass der mögliche Maximalschaden nicht kalkulierbar ist. Deshalb findet sich möglicherweise kein privater Versicherer, der schwere Naturkatastrophen zu erschwinglichen Versicherungsprämien versichern würde bzw. kein Nachfrager, der bereit wäre, eine risikoadäquate Prämie zu zahlen. Frage 2: Wann findet das Gesetz der großen Zahl bei Naturkatastrophen keine Anwendung? Die Folgen der Staatsintervention II. Ist ein Staatseingriff gerechtfertigt? Sind damit staatliche Interventionen zur Absicherung extremer Risiken notwendig? Derzeit leistet der Staat bei Naturkatastrophen in der Regel Ad-Hoc-Hilfen. Als eine Art letzte Instanz deckt er jene Schäden ab, die nicht durch private Versicherungen gedeckt sind. Staatliche Ad-Hoc-Hilfen sind damit eine Art impliziter Versicherungsschutz, der in der Regel durch Steuern und damit gewissermaßen durch risikounabhängige Versicherungsprämien finanziert wird. Auf diese Weise werden Besitzer wenig gefährdeter Objekte, die unter Umständen überhaupt keinen Versicherungsschutz nachfragen würden, an den Kosten des staatlichen Versicherungsschutzes in Form von Ad-Hoc-Hilfen beteiligt. Die Besitzer stark gefährdeter Objekte profitieren folglich von der erzwungenen Solidarität der Besitzer wenig gefährdeter Objekte. Staatliche Ad-Hoc-Hilfen vermindern systematisch den Anreiz, dass diejenigen, die erhöhten Risiken ausgesetzt sind, Maßnahmen zur Senkung des Schadensrisikos treffen. Auch die Anreize für eine kollektive Prävention werden reduziert, da sich Gemeinden und Länder auf die Hilfe des Bundes verlassen. Dies hat auch Folgen für die Immobilienpreise. Kann davon ausgegangen werden, dass der Staat im Katastrophenfall Ad-Hoc-Hilfen leistet, spiegelt sich die erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit in besonders gefährdeten Lagen nur unvollständig in den Immobilienpreisen wieder. Diese exponierten Lagen werden vielmehr durch staatliche Ad-Hoc-Hilfen künstlich aufgewertet. Da die Immobilienpreise das erhöhte Schadensrisiko nicht voll reflektieren, sind sie in der Regel zu hoch. Diese Preisverzerrung führt zu einer ineffizienten Ressourcenallokation und hat erhebliche Folgen für die Vermögensverteilung. Frage 3: Warum führen staatliche Ad-Hoc-Hilfen im Katastrophenfall zu Verzerrungen der Immobilienpreise? III. Pflichtversicherung Statt im Schadensfall Ad-Hoc-Hilfen zu leisten, könnte der Staat die Versicherung extremer Risiken durch private oder staatliche Versicherungen zur Pflicht machen. Was ist der Vorteil einer Pflichtversicherung gegenüber staatlichen Ad-Hoc-Hilfen? Eine sinnvoll gestaltete Pflichtversicherung bietet die Möglichkeit, die Verzerrungen zu korrigieren, die mit staatlichen Ad-Hoc-Hilfen verbunden sind. Das führt zu Effizienz- und Verteilungseffekten. Allokation der Ressource Land 1. Effizienzwirkungen Die mit staatlichen Ad-Hoc-Hilfen verbundene Ineffizienz und die durch eine Pflichtversicherung erzielbare Effizienzsteigerung lassen sich anhand eines einfachen Beispiels erläutern: Ein als Bauland ausgewiesenes Grundstück liegt direkt am Flussufer. Es ist ei- 1113

VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE Hauptstudium nem hohen Risiko ausgesetzt, da der Fluss in der Vergangenheit immer wieder über die Ufer trat. Für das Bauland gibt es zwei Verwendungsmöglichkeiten: Es können Wohnhäuser oder eine Tennisanlage gebaut werden. Das Bauland kann beliebig für beide Zwecke aufgeteilt werden. Die optimale Aufteilung des Baulands auf beide Verwendungszwecke verlangt eine Angleichung der erwarteten Grenznutzen aus beiden Verwendungszwecken, was gleichbedeutend ist mit einer Angleichung der Grenzzahlungsbereitschaft der jeweiligen Nachfrager. Es sei angenommen, dass eine Überschwemmung bei Wohnhäusern zu einem größeren finanziellen Schaden führt als bei Tennisplätzen. Wohnhäuser sind also mit einem größeren finanziellen Risiko verbunden als die Errichtung einer Tennisanlage. Müssten die Nachfrager des Baulandes diese Schäden im Katastrophenfall selbst tragen oder sich mit risikodifferenzierten Versicherungsprämien dagegen absichern, so würden die Grenzzahlungsbereitschaften die jeweiligen Risiken der beiden Nutzungsalternativen vollständig widerspiegeln. Die Ressource Land würde effizient auf die alternativen Verwendungszwecke aufgeteilt. Antizipation der Ad-Hoc-Hilfe Gehen die Nachfrager jedoch davon aus, dass der Staat im Katastrophenfall Ad-Hoc- Hilfe leistet, wird das erhöhte Risiko bei der Zahlungsbereitschaft nur unvollständig berücksichtigt, womit die Wohnhäuser im Vergleich zur Tennisanlage übermäßig attraktiv werden. Folglich werden ineffizient viele Wohnhäuser oder ineffizient wenig Tennisplätze errichtet (Abb. 3). Abb. 3: Grenzzahlungsbereitschaften für Bauland Wohlfahrtsverlust Die horizontale Achse stellt das insgesamt zur Verfügung stehende Bauland dar. Von links betrachtet bemisst sie das für den Wohnungsbau verwandte Bauland. Von rechts betrachtet bemisst sie das Bauland, auf dem Tennisplätze errichtet werden. Die Kurven spiegeln die Grenzzahlungsbereitschaften für Bauland wider. Hierbei ist GZB W die Grenzzahlungsbereitschaft der Nachfrager, die Wohnhäuser bauen wollen, und GZB T die Grenzzahlungsbereitschaft der Nachfrager, die Tennisplätze errichten möchten. Wenn von staatlichen Ad-Hoc-Hilfen im Katastrophenfall ausgegangen wird, verschiebt sich die Grenzzahlungsbereitschaft der Nachfrager, die Wohnhäuser bauen wollen, nach oben auf GZB W. In diesem Fall spiegelt der Punkt x die Aufteilung des Baulands auf die beiden Verwendungszwecke wider. Durch die Erwartung staatlicher Hilfen im Katastrophenfall kommt es zu einer ineffizienten Allokation der Ressource Land und damit zu einem Wohlfahrtsverlust. Der Wohlfahrtsverlust wird durch das graue Dreieck verkörpert (vgl. Rosen 2005, Kap. 13). Diese Ineffizienz ließe sich beseitigen, wenn der Staat glaubhaft ankündigen würde, künftig auf Ad-Hoc-Hilfen zu verzichten. Individuen müssten sich dann gegen Naturkatastrophen versichern sofern ein privater Versicherungsmarkt entsteht oder dies unterlassen. In beiden Fällen würde das erhöhte Risiko zur Privatangelegenheit und es würde sich vollständig in den Grundstückspreisen widerspiegeln. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Abstandnehmen von staatlichen Ad-Hoc-Hilfen glaubwürdig wäre, da möglicherweise davon ausgegangen wird, dass der Staat bei der nächsten Naturkatastrophe aufgrund des öffentlichen Drucks wieder zu Ad-Hoc-Hilfen gezwungen wird. Genau hier liegt ein wesentlicher Vorteil einer Pflichtversicherung. Nur wenn sichergestellt ist, dass alle betroffenen Bürger gegen die Schäden versichert sind, kann der Staat von Ad-Hoc-Hilfen glaubhaft Abstand nehmen. In diesem Fall stellt sich die Frage nach staatlichen Ad-Hoc-Hilfen gar nicht erst, womit kein öffentlicher Druck entsteht, im Katastrophenfall zu intervenieren. Ähnlich argumentiert Hirshleifer (1953) bei der Versicherung gegen Kriegsschäden. 1114

Hauptstudium VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE Immobilienpreise und Vermögensverteilung Zielkonflikt Differenzierung der Versicherungsprämien 2. Verteilungswirkungen Grundstücke in hochexponierten Lagen werden also durch staatliche Ad-Hoc-Hilfen aufgewertet. Das erhöhte Risiko dieser Lagen wird von allen Steuerzahlern getragen, während der Vorteil einer unter Umständen besonders reizvollen Lage den jeweiligen Besitzern zugute kommt, da sie höhere Preise für ihre Grundstücke erzielen. Möglicherweise haben jedoch die gegenwärtigen Besitzer ihre Grundstücke zu einer Zeit erworben, als man bereits von einem finanziellen Beistand des Staates im Katastrophenfall ausgehen konnte. Diese Besitzer haben dann selbst überhöhte Preise für die Grundstücke bezahlt, womit nicht sie, sondern frühere Grundstücksbesitzer von den erwarteten staatlichen Hilfen im Katastrophenfall profitiert haben. Welche Generation von Grundstücksbesitzern von diesen Erwartungen profitiert hat, hängt also letztlich von dem Zeitpunkt ab, zu dem diese gebildet werden konnten. Die glaubwürdige Abkehr von staatlichen Ad-Hoc- Hilfen im Katastrophenfall etwa durch die Einführung einer Pflichtversicherung hätte also unter Umständen einen impliziten Vermögensverlust auf seiten der Grundstücksbesitzer zur Folge, die nicht von der Politik dieser Ad-Hoc-Hilfen profitiert haben. Damit wird ein solcher Politikwechsel eine Vermögensumverteilung zwischen Generationen von Grundstücksbesitzern bewirken: Die Begünstigung jener Grundstücksbesitzer, die das Glück hatten, Zeitzeugen der Einführung staatlicher Ad-Hoc-Hilfen zu sein, würde letztlich von jenen Grundstücksbesitzern finanziert, die das Pech haben, Zeitzeugen einer Abkehr von dieser Politik zu werden. 3. Pflichtversicherung Die Einführung einer Pflichtversicherung trägt zu einer effizienteren Nutzung der Ressource Land bei, indem sie die Verzerrung der Grundstückspreise korrigiert. Dadurch entfaltet sie aber zugleich (unter Umständen unerwünschte) Verteilungswirkungen zu Lasten der gegenwärtigen Besitzer hochexponierter Grundstücke. Angesichts dieses Konfliktes zwischen Effizienz- und Verteilungseffekten stellt sich die Frage, wie eine Pflichtversicherung gestaltet werden muss. Um die Verzerrung der Grundstückspreise zu korrigieren, muss die Versicherungsprämie von der Risikohöhe und dem Vorsorgeausmaß des Einzelnen abhängen. Damit könnte die Prämie durch die Wahl weniger gefährdeter Standorte und durch entsprechende Schutzmaßnahmen gesenkt werden. Das würde zu Anreizen zu einer kollektiven und individuellen Prävention führen. Die höheren Versicherungsprämien in hochexponierten Lagen würden die Unterhaltskosten der Bewohner erhöhen, was sich in sinkenden Immobilien- bzw. Grundstückspreisen widerspiegeln würde. Zusätzlich könnten Selbstbehalte (ein gewisser Teil des Schadens muss vom Eigentümer selbst getragen werden) in extrem exponierten Lagen eingeführt werden, also für solche Lagen, in denen regelmäßig große Schäden auftreten. Derartige Selbstbehalte sind auch für die Versicherungsnehmer vorteilhaft. So ist bei einem absehbaren Ereignis eine individuelle Rücklagenbildung meist sinnvoller als der Abschluss eines Versicherungsvertrages, da die Versicherten sonst zusätzlich zu den Kosten der Versicherungsleistung die Transaktionskosten bezahlen, die durch den Versicherungskon-trakt entstehen (vgl. Schwarze/Wagner 2003). Eine solche Prämiengestaltung wird dazu führen, dass sich weniger Menschen als bisher in hochexponierten Gegenden ansiedeln. Zur Abfederung der unerwünschten Verteilungseffekte einer Pflichtversicherung schlägt Kunreuther (1968) ein System von Versicherungsprämien vor, das zwischen neuen und bereits bestehenden Immobilien differenziert. Demzufolge sollte für neue Immobilien und für Erweiterungen vorhandener Immobilien eine Prämie erhoben werden, die das Risiko der jeweiligen Lage widerspiegelt. Auch bei bestehenden Immobilien sollte eine vollständig risikodifferenzierte Prämie erhoben werden, allerdings sollte hier eine Übergangsfrist eingeräumt werden, während der ein staatlicher Zuschuss zur Versicherungsprämie gezahlt wird. Er ließe sich deshalb rechtfertigen, da sich eine Abkehr von den Ad- Hoc-Hilfen nicht vorausahnen ließ, als die Immobilien erworben wurden, und die Eigentümer sonst einen erheblichen Vermögensverlust erleiden würden. Ein solcher Zuschuss könnte entweder für eine einheitliche, vorab festgelegte Übergangszeit (z.b. zehn Jahre) gewährt werden, oder für einzelne Objekte so lange ausgezahlt werden, bis der erste erhebliche Versicherungsfall eintritt. Bei ersterem Vorschlag entfiele der staatliche Zuschuss nach Ablauf der Übergangszeit bei sämtlichen Begünstigten, bei letzterem liefe der Zuschuss zeitlich gestaffelt aus je nachdem, wann und wo ein Schadensereignis eintritt. Ein einheitliches Auslaufen würde einen geringeren administrativen Aufwand erfordern, während ein gestaffeltes Ende politisch leichter durchzusetzen sei, da nicht alle Betroffenen gleichzeitig auf die Zuschüsse verzichten müssten. Angesichts der geringe- 1115

VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE Hauptstudium ren Zahl gleichzeitig Betroffener wäre es schwieriger, Druck auf die Regierung auszuüben. Ein weiterer Vorteil des Entfallens staatlicher Zuschüsse in Abhängigkeit vom Eintritt eines Schadensereignisses läge darin, dass dies für die Betroffenen den Anreiz erhöhen würde, hochexponierte Lagen nach Eintritt eines Schadensfalls zu verlassen. Wesentlich ist, dass ihre Entscheidung nicht länger zu Gunsten der bestehenden Immobilie verzerrt werden würde, da für diese ab sofort die volle Versicherungsprämie ohne staatlichen Zuschuss gezahlt werden müsste. Frage 4: Inwiefern könnte eine Pflichtversicherung dazu beitragen, die Verzerrung der Immobilienpreise zu korrigieren? IV. Zusammenfassung Angesichts der zunehmenden Naturkatastrophen stellt sich die Frage, welche Rolle der Staat dabei spielen sollte. Momentan reagiert er bei Naturkatastrophe in der Regel mit Ad-Hoc-Hilfen für die Betroffenen. Werden diese von der Gesellschaft antizipiert, führt dies unter anderem zu einer Verzerrung der Immobilienpreise. Dies ist nicht nur eine ineffiziente Nutzung der Ressource Land, sondern hat auch Auswirkungen auf die Vermögensverteilung. Deshalb empfiehlt sich eine Pflichtversicherung mit je nach Risiko differenzierten Versicherungsprämien als glaubwürdige Alternative zur Politik staatlicher Ad- Hoc-Hilfen. Um die mit der Abkehr von staatlichen Ad-Hoc-Hilfen verbundenen Verteilungseffekte abzufedern, wird ein zeitlich befristeter Zuschuss zu den Versicherungsprämien für bereits bestehende Objekte vorgeschlagen. Literaturempfehlungen: Arrow, K.J.: The Theory of Risk-Bearing. Small and Great Risks. In: Journal of Risk and Uncertainty, Vol. 12 (1996), S. 103-111. Gravelle, H./Rees, R.: Microeconomics. 3. Aufl., Englewood Cliffs 2004. Hirshleifer, J.: War Damage Insurance. In: The Review of Economics and Statistics, Vol. 35 (1953), S. 144-153. Kunreuther, H.: The Case for Comprehensive Disaster Insurance. In: Journal of Law and Economics, Vol. 11 (1968), S. 133-163. Münchener Rückversicherungsgesellschaft: Topics Geo. Jahresrückblick Naturkatastrophen 2005. München 2006. Rosen, H.S.: Public Finance. 7. Aufl., New York 2005. Schwarze, R./Wagner, G.G.: Marktkonforme Versicherungspflicht für Naturkatastrophen Bausteine einer Elementarschadenversicherung. In: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 12, Berlin 2003. Die Fragen werden im WISU-Repetitorium beantwortet. Lösungen des WISU-Check up von Seite 1052: b b,c,d,f b,c a b,d a,b,d b a,c,e,f,g,h c c a a,b b b b,c a a,c a,c,d b,d 1116

WISU-REPETITORIUM fenen Prozess wünschenswert. Art und Bedeutung des Konkurrenzverhältnisses, in dem die Mitglieder untereinander stehen, sollten dabei thematisiert werden. Für die Software-Gestaltung ist die klare Ausrichtung an Funktionalitäten, die eine gleichberechtigte, intensive Kooperation unterstützen, zu überprüfen. Möglicherweise ist z.b. eine stärkere Unterstützung koordinierender Aufgaben im Netzwerk angemessener. Volkswirtschaftslehre/Hauptstudium Fragen und Antworten 1-3 zu Geld- und Fiskalpolitik für größere offene Volkswirtschaften: Erweiterung der IS/LM/ AS/AD-Analyse um den realen Wechselkurs von Prof. Dr. F.L. Sell/Dipl.-Volksw. C. Oberpriller., S. 1103-1110. Volkswirtschaftslehre/Grundstudium Fragen und Antworten 1-4 zu Die ökonomische Analyse des Rechts: Methode und Ansätze von Prof. Dr. M. Leschke/ Dipl.-Volksw. H. Stoeckert., S. 1097-1103. Frage 1: Was sind Externalitäten und wodurch entstehen sie nach Coase? Externalitäten entstehen durch Handlungen, deren Kosten oder Nutzen für andere nicht in die einzelwirtschaftlichen Pläne des Akteurs einbezogen werden. Nach Coase entspringen solche Externalitäten aus Nutzungsrivalitäten um eine knappe Ressource, die nicht über den Marktmechanismus ausgefochten werden (können). So existieren für das knappe Gut keine eindeutig zugewiesenen Verfügungsrechte, was Voraussetzung für einen entsprechenden Markt ist. Frage 2: Wozu dient der vollständige Vertrag? Der vollständige Vertrag simuliert eine vorweggenommene Vereinbarung zwischen rationalen Individuen über einen Schadensfall, die ihre Kosten- und Nutzenkomponenten genau kennen. Der Gesetzgeber bzw. Richter muss überprüfen, wie diese das Problem gelöst hätten. Danach sollte derjenige den Schaden bezahlen, der diesen am kostengünstigsten vermeiden kann (Cheapest Cost Avoider). Bei unvermeidbarem Schaden müsste derjenige den Schaden versichern, der ihn am günstigsten versichern kann (Cheapest Insurer). Bei nicht versicherbarem Schaden hätte derjenige den Schaden zu tragen, dem dies am einfachsten möglich ist (Cheapist Risk Bearer). Frage 3: Welche Faktoren haben laut Becker und Posner Einfluss auf die Begehung einer Straftat? Nach Becker und Posner sind die Strafhöhe und die Aufklärungswahrscheinlichkeit zwei wesentliche Variablen, die das kriminelle Verhalten beeinflussen. Aufgrund des abnehmenden Grenznutzens der jeweiligen Variablen gibt es ein optimales Mischungsverhältnis. Es wird erreicht, wenn sie den gleichen Grenznutzen spenden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei einem optimalen Einsatz der beiden Instrumente Straftaten vollständig vermieden werden können. Erst durch die Abwägung, welche volkswirtschaftlichen Schäden durch die Straftat im Vergleich zu den Kosten ihrer Vermeidung entstehen, kann der Optimalpunkt der Kriminalitätsbekämpfung ermittelt werden. Im Idealfall sind die Grenzkosten der Vermeidung und die Grenzkosten der Straftat gleich hoch. Frage 4: Was versteht man unter einer Gesetzesfolgenabschätzung? Die GFA wird eingesetzt, damit die mit einem Gesetz verfolgten Ziele effizient erreicht werden. Die künftigen Wirkungen einer Regel müssen so weit wie möglich abgeschätzt werden, um bei unerwünschten Folgen nachregulieren zu können. Es gibt drei Arten der GFA: 1. die prospektive GFA, ein vorausschauendes Verfahren zur Folgenabschätzung ex ante, wobei andere Regelungsalternativen als Vergleich herangezogen werden, 2. die begleitende GFA, ein ebenfalls vorausschauendes Verfahren in der Testphase aufgrund eines Gesetzesentwurfs und 3. die retrospektive GFA, ein rückschauendes Verfahren, nachdem eine Rechtsvorschrift in Kraft getreten ist. Frage 1: Welche Wirkung hat ein expansiver monetärer Schock im Falle der kleinen offenen im Gegensatz zur großen offenen Volkswirtschaft? Im Gegensatz zur Geldmengenausweitung bei zinselastischen internationalen Kapitalströmen entsteht durch eine expansive Fiskalpolitik ein Zahlungsbilanzüberschuss, da durch die relativ zum Einkommen große Erhöhung des Zinses die Kapitalströme stärker reagieren als die Güterströme. Die Folge ist ein Devisenangebotsüberschuss, der durch eine Aufwertung der inländischen Währung beseitigt wird. Durch die Aufwertung sinkt der Außenbeitrag und damit das Volkseinkommen. Frage 2: Lässt man Vorprodukte aus dem Ausland zu welche Folgen hat dann die Änderung des realen oder nominalen Wechselkurses für das aggregierte Güterangebot? Da die Unternehmen die Vorprodukte aus dem Ausland mit Devisen bezahlen müssen, folgt aus einer Abwertung der inländischen Währung eine Verteuerung dieser Vorprodukte. Die Unternehmen geben diese Verteuerung an die Nachfrager weiter. Für die Lage der AS- Funktion bedeutet dies, dass die gleiche Angebotsmenge wie vor der Abwertung zu einem höheren inländischen Preis angeboten wird. Die AS-Funktion verlagert sich nach oben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Abwertung des realen Wechselkurses durch eine Änderung des nominalen Wechselkurses oder eine Preissteigerung im Ausland herbeigeführt wird. Frage 3: Welche Wirkung hat ein expansiver monetärer Schock im Falle der kleinen offenen im Gegensatz zur großen offenen Volkswirtschaft? Während im Falle der großen Volkswirtschaft zum einen über die Veränderung des nominalen Wechselkurses, des inländischen Preisniveaus und des Zinssatzes sowie eine Erhöhung des Volkseinkommens ein neues binnen- und außenwirtschaftliches Gleichgewicht erreicht wird, hat die kleine offene Volkswirtschaft langfristig nicht die Möglichkeit, einen anderen als den Weltmarktzins zu wählen. Die Anpassung erfolgt also nur über die durch einen expansiven monetären Schock sowie über den Anstieg des Außenbeitrags ausgelöst durch eine Abwertung der inländischen Währung verursachte Erhöhung der aggregierten Nachfrage. Diese führt über den durch eine Preissteigerung im Inland sinkenden Außenbeitrag und eine sinkende reale Geldmenge zu einem neuen Gleichgewicht mit gestiegenem Volkseinkommen, gestiegenem inländischen Preisniveaus und gestiegenem nominalen Wechselkurs. Insgesamt führt der monetäre Schock zu einem höheren realen Wechselkurs als in der Ausgangssituation. Der Zinssatz verändert sich gegenüber der Ausgangssituation nicht. Volkswirtschaftslehre/Hauptstudium Fragen und Antworten 1-4 zu Naturkatastrophen: Pflichtversicherung oder staatliches Handeln? von Prof. Dr. R.K. Frhr. v. Weizsäcker/Dr. B. Süssmuth/ Dipl.-Volksw. C. Feilcke., S. 1111-1116. Frage 1: Unter welcher Bedingung kann man annehmen, dass Versicherungen risikoneutral sind? Ein Akteur ist risikoneutral, wenn er zwischen einer sicheren und einer mit Unsicherheit verbundenen Alternative indifferent ist, vorausgesetzt, beide Alternativen weisen denselben Erwartungswert auf. Versicherungen sind risikoneutral, wenn bei ihnen das Gesetz der großen Zahl zum Tragen kommt. Grob gesagt bedeutet es, dass sich das arithmetische Mittel einer Zufallsfolge immer weiter an den Erwar- 1123

WISU-REPETITORIUM tungswert annähert, je häufiger das Zufallsexperiment wiederholt wird. Ist die Zahl der Versicherten hinreichend groß ist und sind die einzelnen Schadensfälle voneinander unabhäng, kann die Versicherung erwarten, dass sich die individuellen Risiken im Durchschnitt ausgleichen und der Erwartungswert der Schadenssumme eine gute Approximation der tatsächlichen Schadenssumme darstellt. In diesem Fall ist für die Versicherung lediglich der Erwartungswert der Schadenssumme (bzw. der erwartete Gewinn) von Bedeutung. Frage 2: Wann findet das Gesetz der großen Zahl bei Naturkatastrophen keine Anwendung? Das Gesetz der großen Zahl findet dann keine Anwendung, wenn die Zahl der voneinander unabhängigen Einzelrisiken zu gering ist. Dies kann bei Naturkatastrophen der Fall sein. Zum ist der Anteil der von ihnen bedrohten Objekte i.d.r. relativ klein und zudem eindeutig identifizierbar. Bei jenen Objekten, die von einer Naturkatastrophe kaum oder gar nicht bedroht sind, besteht deshalb wenig Versicherungsbedarf. Zum anderen sind in diesen Fällen meist viele Menschen und Einrichtungen zugleich betroffen, womit die Unabhängigkeit der einzelnen Schadensfälle nicht gewährleistet ist. Frage 3: Warum führen staatliche Ad-Hoc-Hilfen im Katastrophenfall zu Verzerrungen der Immobilienpreise? werden. Die erhöhte Schadenswahrscheinlichkeit in besonders gefährdeten Lagen spiegelt sich dann nur unvollständig in den Grundstückspreisen dieser Lagen wider. Das erhöhte Risiko wird nämlich nicht nur von den Grundstücksbesitzern getragen, sondern auf die Steuerzahler abgewälzt. Da die Grundstückspreise das erhöhte Schadensrisiko nicht voll reflektieren, sind sie in der Regel zu hoch. Frage 4: Inwiefern könnte eine Pflichtversicherung dazu beitragen, die Verzerrung der Immobilienpreise zu korrigieren? Durch eine Pflichtversicherung wird sichergestellt, dass alle von einer Naturkatastrophe betroffenen Bürger gegen die Schäden versichert sind. Nur dann kann der Staat Ad-Hoc-Hilfen glaubhaft abschwören. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Staat bei der nächsten Katastrophe durch öffentlichen Druck erneut zu Ad-Hoc- Hilfen gezwungen wird. Um die Verzerrung der Grundstückspreise zu korrigieren, sollte die Versicherungsprämie vom jeweiligen Risiko des betreffenden Grundstücks abhängen. Da sich durch die erhöhten Versicherungsprämien für besonders gefährdete Lagen auch die Unterhaltskosten der Bewohner erhöhen, sinken die Immobilienpreise. Staatliche Ad-Hoc-Hilfen im Katastrophenfall führen zu Verzerrungen der Grundstückspreise, wenn sie von den Bürgern antizipiert WISU8-9/06 1124