Einstellungen-Beziehungen-Kontakte 7. Bayerischer Selbsthilfekongreß 23.Oktober 2009 Dr. med. Peter Scholze Vorstandsbeauftragter für Patientenorientierung der KVB Verhältnis von Ärzten zu SHG 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 2 1
unterschiedliche Sichtweisen 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 3 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 4 2
Übersicht über die Studien zu Ärzten und SHG bis zum Jahr 2000: Entwicklungsperspektiven der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe im deutschen Gesundheitswesen (Hrsg: Bernhard Borgetto, 2001) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 5 80iger und 90iger Jahre: Anteil von Ärzten, die zu SH-Zusammenschlüssen Kontakt hatten: deutlich unter 50 % Anteil von SHG, die mit Professionellen zusammenarbeiteten: 50 bis 100 % viele SHG kooperieren mit Ärzten nur ein geringer Teil der Ärzte kooperiert mit SHG (Hrsg: Bernhard Borgetto, 2001) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 6 3
Ärzte sehen die Vorteile einer Zusammenarbeit mit SHG vor allem in einer arbeitsteiligen Entlastung und Ergänzung im Bereich der krankheitsbedingten psychosozialen Probleme in der Unterstützung ihrer eigenen Arbeit im eigenen Erfahrungs- und Informationsgewinn durch die Zusammenarbeit mit SHG Bei den direkten Kooperationen überwiegen lose Verknüpfungen und punktuelle Kontakte, dauerhafte Kooperationen bilden eher die Ausnahme (nach Borgetto) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 7 Borgetto resumiert 2001: Weite Teile der professionellen Helfer im Gesundheitswesen - nehmen die Selbsthilfe nicht zur Kenntnis oder - sehen sie nur als letztes Auffangnetz für medizinisch nicht mehr behandelbare Patienten/Klienten an. selbst positiv gegenüber der Selbsthilfe eingestellte Professionelle - unterstützen die Selbsthilfe oftmals vorrangig, um die eigene Arbeit mit ihren Patienten/ Klienten effektiver zu gestalten - und weniger, um chronisch Kranke und Behinderte generell in ihrem Bemühen um Selbsthilfe und Selbstbestimmung zu unterstützen. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 8 4
Dominanz der Ärzte: Kardorff und Leisenheimer sprechen 1999 von einem doppelten Ungleichgewicht, einer hierarchische Beziehung zwischen kranken und gesunden Menschen und einer hierarchischen Beziehung zwischen sog. Laien und Experten 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 9 Rolf Rosenbrock (2001): Trotz verbal bekundeter Kooperationsbereitschaft folgen von Seiten der Professionellen viel zu wenig Schritte. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 10 5
Studie von Wolfgang Slesina et al. 2003/2004: Zusammenarbeit von Ärzten der ambulanten/stationären Versorgung und Selbsthilfegruppen Ziele, Formen, Erfahrungen eine Quer- und Längsschnittstudie. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 11 Die befragten Ärzte betonten, dass SHG eine emotionale und lebensweltliche Hilfe für die Betroffenen sind (67% volle Zustimmung), dass SHG das Krankheits- und Therapieverständnis der Mitglieder sowie die Kompetenz der Betroffenen im Umgang mit der Krankheit verbessern (67% volle Zustimmung) dass SHG zur Patienten-Compliance beitragen (40%) Der Nutzen von SHG für Patienten wird von niedergelassenen Ärzten überwiegend anerkannt. (Wolfgang Slesina et al. 2003/2004) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 12 6
Vorbehalte von Ärzten gegenüber SHG - Kritik wurde insbesondere deutlich an Selbsthilfegruppen, die mit einem festgelegten Meinungsbild behaftet sind, Selbsthilfegruppen, die sich in ärztliche Entscheidungen einmischen, Selbsthilfegruppen, die Patienten bei der Arztwahl beeinflussen Selbsthilfegruppen, die mit einer zu scharfen Rhetorik agieren. (Wolfgang Slesina et al. 2003/2004) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 13 als bedeutsamste Kooperationshemmnisse wurden genannt: Der eigene Zeitmangel 74% Vorbehalte aufgrund unwissenschaftlicher Vorstellungen mancher Gruppen 40% fehlende Abrechnungsmöglichkeit des Kooperationsaufwandes 26% (Wolfgang Slesina et al. 2003/2004) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 14 7
Stand der konkreten Kooperationen Niedergelassene Ärzte, eingebunden in eine feste Beziehung mit Selbsthilfegruppen 11% niedergelassenen Ärzte mit eher anlassbezogener Kommunikation/Interaktion mit SHG 14% niedergelassene Ärzte mit nur indirektem Kontakt zu Selbsthilfegruppen (z.b. auslegen von Info-Material) 11% Niedergelassene Ärzte ohne einen Kontakt zu Selbsthilfegruppen 64% (Wolfgang Slesina et al. 2003/2004) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 15 Bei niedergelassenen Ärzte mit SHG-Kontakt: überdurchschnittlich viele Ärzte im Alter über 50 Jahre, höherer Anteil an Gemeinschaftspraxen sowie höherer Prozentsatz von Internisten, Allgemeinärzten, Gynäkologen und Nervenärzten im Vergleich zur Arztgruppe ohne SHG-Kontakt. (Wolfgang Slesina et al. 2003/2004) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 16 8
KVB-Studie Selbsthilfegruppen im Fokus (Scholze, 2007): Allgemeine Wertung von Selbsthilfegruppen Praxis- netze Einzelpraxen Ich halte SHG für sinnvoll 95% 97% Ich habe bereits einmal mit einer SHG positive Erfahrungen gemacht 71% 65% SHG können mich bei der Betreuung chronisch kranker oder schwieriger Patienten entlasten 77% 92% Konkrete Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen SHG werden in meiner Praxis thematisiert 28% 27% Ich vermittle pro Quartal mehr als zehn Patienten zu SHG 9% 24% Ich bin prinzipiell bereit, ohne Honorar SHG zu beraten 33% 46% 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 17 Vielschichtiger Wandel und Umdenkungsprozess seit 2000: Patientenforum (Partnerschaft BÄK, KBV, Patientenorganisationen, einschl. DAG-SH) seit 2004: Mitberatungsrecht in GBA, Landesausschüssen, Zulassungsausschüssen und Berufungsausschüssen (nach 140f, SGB V) ÄZQ: Projekt Qualitätsverbesserung von Patienteninformationen (www.patienten-informationen.de) und Die gute Arztpraxis 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 18 9
weitere Projekte: Projekt Selbsthilfefreundliche Praxis Projekt Selbsthilfe und Ärzte in Bayern (paritätisch gefördert von Fördergemeinschaft Bay. Krankenkassen und KVB) Fortbildungsveranstaltungen zu Selbsthilfe für Ärzte in Bayern Bayerischer Referentenpool von Ärzten für SHG Arzt-Patienten-Seminare Fehlermanagement, CIRS Bündnis Patientensicherheit 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 19 Patientenvertreter und SH-Organisationen mit unterschiedl. Status (beratend, mit Antragsrecht od. mitentscheidend) bei: Deutsches Forum Prävention Ethikkommissionen der Landesärztekammern Gutachter- /Schlichtungsstellen der Landesärztekammern Gematikbeirat IQWIG-Kuratorium Kommission Off Label Use Health Technology Assessment (HTA) Gesundheitsberichterstattung (GBE) Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfAMP) Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Institut für Arzneimittelverordnung in der GKV (IfA) 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 20 10
Wie können Brückeninstanzen zur Entwicklung einer gemeinsamen Kooperationskultur geschaffen werden??? 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 21 Wolfgang Stark (2001): Die Kooperation von Selbsthilfe-Initiativen und Professionellen lässt sich nach den bisherigen Studien nicht einfach technisch-organisatorisch herstellen. Es bedarf einer Beziehungsgestaltung auf personeller und kultureller Ebene. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 22 11
Argumentatives Spannungsfeld + - SHG verbessern Behandlungsergebnisse Compliance Empowerment Qualität Transparenz Vernetzung Synergie SHG induzieren Anspruchshaltung des Patienten Inkompetente Besserwisserei Pharma-Sponsoring Therapie-Abbrüche 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 23 SHG fördern Emotionales Spannungsfeld + - SHG induzieren Entlastung geteilte Verantwortung Feedback für Arzt Kontakt Vertrauen Partnerschaft Patientenbindung den mündigen Patienten Infragestellung des Arztes Kontrolle Konkurrenz Einengung des ärztlichen Therapiefreiraumes Aufdecken von Behandlungsfehlern 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 24 12
Wichtig: Die Ebene des einzelnen Arztes und der einzelnen Selbsthilfegruppe ist wohl schnell überfordert. Deshalb ist sinnvoll: Die Entwicklung eines institutionalisierten Austausches über Selbsthilfeorganisationen/Selbsthilfeverbände einerseits und Körperschaften/Berufsverbände andererseits. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 25 Adela Litschel (Kooperationsstelle für Selbsthilfeorganisationen, KVB) schlägt hierzu vor: Die Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen und Ärzten in Qualitätszirkeln Die Integration der Selbsthilfe in die Erarbeitung von Leitlinien Die Einbindung von Selbsthilfeverbänden in den Aufbau bzw. Ausbau von Patienten- und Bürgerinformationssystemen Ergänzend: Die Implementierung des Prinzips Selbsthilfe in die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 26 13
Schlussbemerkung I: In den 60er und 70er Jahren sind Selbsthilfe-Initiativen (oftmals) in Opposition zu einem sich rasant veränderten Medizinbetrieb (High-Tech-Medizin) entstanden. Heute ist ein Konsens aller Beteiligter festzustellen: Ärzte und Selbsthilfegruppen sollen nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem Ergänzungsverhältnis zueinander stehen 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 27 Schlussbemerkung II: Den Ärzten muss bewusster werden, dass die Kooperation mit SHG ihnen keine zusätzlichen Belastungen aufbürdet, dass sie über die Kooperation mit SHG einen großen Nutzen im Sinne einer win-win-situation für ihre Arbeit und für ihre Patienten erzielen können und dass ihnen darüber ihre Arbeit auch wieder mehr Spaß machen kann. 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 28 14
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 23.10.2009 Dr.Peter Scholze 31 16