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Transkript:

Manuskript Beitrag: Arm trotz Arbeit Wenn der Vollzeitjob nicht reicht Sendung vom 30. Oktober 2018 von Nathalie Suthor Anmoderation: Es ist ein Dauerzustand, der nicht sein dürfte. Im reichen Deutschland bleiben Menschen arm, obwohl sie arbeiten. Über drei Millionen kommen nur mit mehreren Jobs über die Runden - besonders in den Städten, wo die Mieten hoch sind. Umso wichtiger, dass wir uns mal wieder vor Augen halten, wie es konkret aussieht, wie elend es sich anfühlt, wenn die Arbeitskraft so wenig wert ist, dass eine Vollzeitstelle nicht zum Leben reicht. Nathalie Suthor hat Familie Fellmett im Alltag begleitet, im Alltag als sogenannte Multijobber. Text: Arlette Fellmett kommt gerade aus der Nachtschicht als Heil- und Erziehungspflegerin nach Hause. Ehemann Leif muss gleich zur Arbeit. Die beiden sind Multijobber. Bei uns läuft es manchmal ab wie im Staffellauf, dass ich dann aus dem Nachtdienst rauskomme, mein Mann steht dann am Straßenrand springt ins Auto rein, ich gehe in die Wohnung rein oder halt umgedreht. Ich muss noch die Masken desinfizieren. Kann man Dir helfen? Ne, ich muss erst mal in die Garage, noch Desinfektionszeug holen. Ah, okay.

Arlette Fellmett gibt gleich noch einen Erste-Hilfe-Kurs, ihr Zweitjob. Auch Ihr Mann ist Pfleger und Multijobber. Sein Nebenjob ist heute ausgefallen. Er betreut einen Behinderten, aber die Arbeitszeiten passen häufig nicht. Daher braucht er dringend einen neuen Zusatzjob. Mit einem Zweitjob egal, ob jetzt nun durch Arlette oder durch mich ist ja egal, wo das Geld letzten Endes herkommt, wer das Geld heranbringt, aber durch das Geld, was dann mehr reinkäme, würden wir uns einfach das gewisse Mehr leisten können, das mehr als nur einfach zu wohnen und zu essen. Ich meine, ist ja auch schon eine Menge wert, aber man will halt auch was mehr haben. Und wenn halt was fehlt - braucht wirklich nur die Waschmaschine oder so kaputtzugehen - und dann fehlt wieder was. Nur mit je einem Hauptjob kommen die Fellmetts nicht über die Runden. Zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter leben sie auf knapp sechzig Quadratmetern, mehr ist nicht drin. Wir wohnen also schon sehr eng. In Köln was Passenderes, Größeres zu finden ist fast eine Mammutaufgabe. Gerade bei Geringverdienern frisst die Miete den Großteil des Einkommens. Hätten wir unsere Nebenjobs nicht, dann hätten wir ein Problem. In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl von Multijobbern mehr als verdoppelt. 2017 waren es über drei Millionen. Mehrfachbeschäftigte kommen vor allem aus Berufen, in denen viel Teilzeit gearbeitet wird, und solchen mit niedrigen Löhnen. Das betrifft in erster Linie das Reinigungsgewerbe, aber auch so was wie das Gaststättengewerbe oder eben die Gesundheitsberufe. Bis zu achtmal im Monat gibt Arlette Fellmett nach ihrer Nachtschicht noch Erste-Hilfe-Kurse. Ich bin ein bisschen knapp in der Zeit, wie so häufig, denn ich muss ja immer erst meine Tochter in den Kindergarten bringen, um dann zeitig beim Kunden zu sein. Das ist immer alles ein bisschen eng getaktet, aber das kenne ich ja schon.

Kunden für die Erste-Hilfe-Kurse muss Arlette Fellmett selbst akquirieren. Die Einkünfte aus dieser Nebentätigkeit werden in der Familienkasse dringend benötigt. Es sind ungefähr 700 Euro Maximum, wenn ich die Kapazitäten hier habe, dann sind es ungefähr 700 Euro, die ich rauskriege. Beschäftigte im Pflegebereich wie Arlette Fellmett zählen zu den Geringverdienern. Ich bin immer schon Multijobberin gewesen, das ist für mich was völlig Normales, weil ich immer schon im Gesundheitswesen gearbeitet habe. Jetzt natürlich dadurch, dass ich noch eine Familie habe, ist es kräftezehrender geworden. Ich habe eine kleine Tochter, die möchte ein normales Leben haben, was ich ihr auch gerne geben möchte. Aber ein normales Leben heißt auch, es ist jemand zu Hause, der sich um sie kümmert, der nicht gestresst ist. Und das ist einfach die Grätsche, die wir hinlegen müssen. Millionen Erwerbstätige leben in Deutschland in unsicheren Arbeitsverhältnissen. Zwölf Prozent kämpfen mit dauerhaft prekärer Arbeit. Weitere zwölf Prozent müssen immer wieder um ihre Jobs fürchten und bei 14 Prozent reicht das Geld nicht aus. Das eigentlich wirklich Überraschende an der Sache ist, dass die Erwerbsarmut nicht nachlässt, trotz des Aufschwungs und trotz der steigenden, zumindest in den letzten Jahren steigenden Löhne. Auch bei Familie Fellmett spiegelt sich der wirtschaftliche Aufschwung nicht im Portemonnaie wider. Nicht nur das Geld, auch die Zeit ist knapp. Ich habe drei Jobs gehabt, habe die Nachtwachen-Stelle noch zusätzlich als dritte Stelle gehabt, habe die Erste-Hilfe- Kurse gegeben. Und da hat natürlich die Beziehung zu meiner Tochter unwahrscheinlich stark gelitten. Ich habe ein mordsschlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber. Arlette Fellmett und ihr Mann Leif haben nur eine Tochter - aus finanziellen Gründen. Wir hätten sehr gerne ein zweites Kind, aber wir müssen so viele Kita-Gebühren zahlen, dass wir immer wieder überlegen: Okay, jetzt noch ein zweites Kind, Kita-Gebühren,

wie sollen wir das dann stemmen? Einen städtischen Kinderbetreuungsplatz bekamen die Fellmetts in Köln nicht. Monatlich müssen sie deshalb über 400 Euro für eine private Kita zahlen. Geld, das woanders wieder fehlt. Maispizza. Pizza mit Mais? Ja. Ist das okay, wenn wir das zu Hause machen? Ja. Es war halt früher auch insofern schwierig, weil ihre Freunde und Freundinnen aus der Kita sich auch ganz oft zum Spielen bei bestimmten Esstempeln dann getroffen haben, die haben ja auch mittlerweile alle Spielplätze. Wenn wir dann drin waren, war es dann halt insofern schwierig: Die anderen essen alle, die anderen bekommen alle, die anderen haben ihr Spielzeug, ihre Pommes, warum ich nicht? Und dann plausibel verständlich zu machen in ihrem Verständnis, ne, das geht jetzt nicht. Das war halt nicht immer einfach und auch für sie - glaube ich - nicht immer schön. Relative Armut, so beschreiben Wissenschaftler eine Lebenssituation wie die der Fellmetts. Man muss absolute Armut und relative Einkommensarmut unterscheiden. Bei der absoluten Armut geht es ums schiere Überleben, bei der relativen Armut geht es um das Leben in der Gesellschaft, ob man da mithalten kann oder ob man die finanziellen Mittel dann nicht hat, um mit den anderen um so ein Mainstream-Leben zu führen, bei dem man eben auch mal in die Kneipe gehen kann, bei dem man eben auch mal ins Kino gehen kann. Familie Fellmett fragt sich ständig, ob sie sich das Leben in der Stadt leisten können. Sie haben sich eine Frist gesetzt: die Einschulung von Tochter Greta.

Wenn wir bis zu dem Punkt keine vernünftige, größere Wohnung gefunden haben, die wir uns adäquat leisten können, das heißt, dass wir uns hier auch nicht mit drei Jobs pro Person über Wasser halten müssen, dann werden wir hier wirklich alle Zelte abreißen und ganz woanders hingehen. Um das zu verhindern, müsste der Lohn von Arlette Fellmett spürbar steigen. Hier sehen Experten die Unternehmen in der Pflicht. O-Ton Eric Seils Armutsforscher, Hans-Böckler-Stiftung: In Deutschland hat sich ein großer Niedriglohnsektor entwickelt, dadurch haben sich sehr viele Interessen gebildet, die an diesen Niedriglohnsektor und seinen Erhalt geknüpft sind. Und ich würde eher dazu neigen zu sagen: Okay, wir brauchen höhere Löhne. Die Fellmetts bringt die niedrige Entlohnung nicht nur in finanzielle Schwierigkeiten, sie drückt auch auf die Motivation. Es ist schon sehr frustrierend, vor allem wenn man bedenkt, dass wir Arbeit an Menschen verrichten. Ausgerechnet in Deutschland, das vor wirtschaftlicher Stärke strotzt, ist die Erwerbsarmut stärker gestiegen als in jedem anderen Land in der EU. Abmoderation: Bessere Löhne für Pflegekräfte, das hatten Union und SPD schon im Koalitionsvertrag versprochen. Sie wollten, steht da, "die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken". Nur können sich Familien wie die Fellmetts von bloßen Versprechen gar nichts kaufen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.