Internationale Rahmenvereinbarungen Ein Instrument zur Durchsetzung sozialer Menschenrechte? Prof. Dr. Hans-Wolfgang Platzer, Dr. Stefan Rüb, Workshop QAG1 FoSS, 31.1. 1.2.2013 in Fulda
Forschungskontext Internationale Rahmenvereinbarungen und transnationale vergleichsweise junges, im Wachstum begriffenes Instrument einer transnationalen unternehmensbezogenen Normierung von sozialen und arbeitspolitischen Standards gewerkschaftlicher Handlungsansatz zur Entwicklung globaler unternehmensbezogener Bezugnahme auf den Korpus international kodifizierter sozialer Menschenrechte (v.a. die ILO-Kernarbeitsnormen) Verpflichtung der Unternehmen zur Einhaltung und (dezentralen) Umsetzung dieser Normen Verfahrenregeln zur Überwachung der Vereinbarungen und zur Bearbeitung von Konflikten, die bei der Anwendung und Umsetzung der Normen und Regeln auftreten können.
Forschungskontext Internationale Rahmenvereinbarungen und soziale Menschenrechte Internationale Rahmenvereinbarungen sind empirisches Anschauungsmaterial und theoretisches Reflexionspotential für einen materiellen Teilbereich sozialer Menschenrechte: die sozialen Menschenrechte in der Arbeitswelt (Kernarbeitsnormen). für einen disziplinären Beitrag der Politikwissenschaft (u.a. Global Governance-Forschung). für einen empirisch beobachtbaren Anwendungsfall der Wirkung(smächtigkeit) eines Normen- und Regelsystems zu sozialen Menschenrechten mittels eines Politikansatzes der Private Governance.
Aufbau des Vortrags 1 2 Politische und theoretische Kontextualisierung Quantitative und qualitative Aspekte der Entwicklung und Anwendung Internationaler Rahmenvereinbarungen 3 (Vorläufiges) Resümee hinsichtlich der Tragweite und Wirkungsmächtigkeit des Instruments
Kontextualisierung Internationale Rahmenvereinbarungen und Globalisierungsforschung intensivierte und dynamisierte ökonomische Globalisierung seit den 1980er/1990er Jahren Ära des Dis-Embedding Zunehmende Transnationalisierung der Unternehmen; Stichworte: quantitative Zunahme, Finanzialisierung, transnationale Restrukturierungen Schwächung der Bindungskraft nationaler Regulation und der Integrationsfähigkeit und Stabilität kollektiver Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer sozialen Zähmbarkeit kapitalistischer Wertschöpfungsketten, insbesondere der Durchsetzbarkeit elementarer Arbeits- und Beschäftigungsstandards
Kontextualisierung Global Governance im Bereich der Asymmetrie zwischen marktschaffenden und marktkorrigierenden Regelungen: Politik der Marktöffnung und Handelsliberalisierung ohne entsprechendes Gegengewicht in arbeits- und sozialpolitisch relevanten Feldern Nichtvorhandensein wirksamer arbeits- und sozialpolitischer internationaler Regime Governance without Government als vorherrschende Option der Arbeitsmarktakteure
Kontextualisierung Globalisierung, Global Governance und Internationale Rahmenvereinbarungen (Thesen) Liberalisierung und Globalisierung schwächen die Bindungskraft nationaler Regulation und die Integrationsfähigkeit und Stabilität kollektiver. Entscheidende Frage (im Kontext sozialer Menschenrechte): Inwieweit ist eine soziale Zähmbarkeit transnationaler Wertschöpfungsketten, d.h. die Durchsetzung elementarer ( universeller ) Arbeits- und Beschäftigungsstandards, möglich? TNK werden zum zentralen Ort der Auseinandersetzungen um eine überstaatlich wirksame Erwerbsregulierung. IFAs sind hierfür für Gewerkschaften ein zentrales Instrument. Diese private Selbstregulierung wird durch ein patchwork international-gouvernmental vereinbarter Normen (ILO- Kernarbeitnormen, OECD-Guidelines etc.) politisch flankiert.
Internationale Rahmenvereinbarungen Entstehungsbedingungen Politisierung der neoliberalen Globalisierung / globalisierungskritische Öffentlichkeit (soziale Ungleichheit, soziale Menschenrechte etc.) wachsende Verwundbarkeit von Konzernen durch weltweite NGO-Kampagnen bei Regelverstößen zunehmende Börsenrelevanz der Nachhaltigkeit Konjunktur von CSR-Konzepten, Anstieg der Einführung einseitiger Verhaltenskodizes, Global Compact Window of Opportunity: günstiges Verhandlungsklima für Gewerkschaften, das Handlungsfeld der globalen Normsetzung eigenständig zu besetzen und mittels bilateraler Arrangements (private Selbstregulierung) zu bearbeiten
Internationale Rahmenvereinbarungen Quantitative Entwicklung Quantitative Entwicklung Internationaler Rahmenvereinbarungen 1994 bis 2012 120 100 80 60 40 20 0 vor 2000 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Daten aus Hessler 2012: 326ff. plus eigene Aktualisierung
Internationale Rahmenvereinbarungen Verteilung nach Sitzland der Konzernmutter Deutschland Frankreich Schweden Niederlande Norwegen USA Spanien Italien Dänemark Brasilien Südafrika Schweiz Russland Portugal Neuseeland Malaysia Kanada Japan Indonesien 0 5 10 15 20 25 30 Daten aus Hessler 2012: 326ff. plus eigene Aktualisierung
Internationale Rahmenvereinbarungen Verteilung nach Organisationsbereichen der Globalen Gewerkschaftsverbände 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 EJF/IJF PSI IUL BWI UNI IndustriAll Daten aus Hessler 2012: 326ff. plus eigene Aktualisierung
Internationale Rahmenvereinbarungen Regelungsinhalte Bezugnahme auf internationale Regelwerke (ILO- Konventionen, UN-Menschenrechtserklärung, OECD- Guidelines, Global Compact etc.) Kernbestandteil: ILO-Kernarbeitsnormen darüber hinausgehende soziale Mindeststandards (zu Arbeitssicherheit, gerechtem Lohn, Weiterbildung, Arbeitszeiten, Überstunden etc.) Zulieferklausel (mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad) Aussagen über Rolle der Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen Verfahren des Monitoring und der Streitschlichtung Tendenzielle Zunahme der Regelungssubstanz
Internationale Rahmenvereinbarungen Verfahren der Umsetzung und Überwachung Bekanntmachung und Verbreitung der Vereinbarungsbestimmungen Schaffung effektiver Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung durch externe Agenturen und/oder durch Gewerkschaften und Belegschaftsvertreter/innen vor Ort und/oder durch gemeinsame Ausschüsse oder EBR/WBR auf zentraler Ebene aktive Nutzung der Vereinbarung seitens der Gewerkschaften zu Zwecken des Organizing
Internationale Rahmenvereinbarungen Praxis der lokalen Implementierung Sektor- und Länderspezifika bedeutsam Anwendungserfolge auf einzelne Vereinbarungsbestimmungen beschränkt (selektiv) auf einzelne Unternehmen / Standorte beschränkt (punktuell) Probleme und Defizite Bekanntmachung und Verbreitung defizitär fehlendes Verständnis der lokalen Akteure für Anwendungsmöglichkeiten blockierende Rolle lokaler Akteure (Management und Gewerkschaften) geringer Zugriff auf Peripherie der Wertschöpfungsnetzwerke
Gesamteinschätzung 1 2 3 Debattenkontext Beitrag zur gewerkschaftlichen Organisation und Politik? Beitrag zur Durchsetzung sozialer Menschenrechte? Der Forschungsstand erlaubt nur erste behutsame Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen.
Gesamteinschätzung Allgemeiner Debattenkontext skeptisch-ablehnende Position: Ausdruck einer Privatisierung sozialer Rechte und soziales Feigenblatt einer neoliberalen Globalisierung versus innovative Qualität hervorhebende Position: vertraglich vereinbarte Sozial- und Umweltstandards, die entlang der Zuliefererkette rechtliche und betriebswirtschaftliche Verbindlichkeit und damit normative und substantielle Wirksamkeit entfalten (können) Instrument, um Kernarbeitsnormen an Orten Geltung zu verschaffen, an denen diese ansonsten aufgrund der lokalen politischen Verhältnisse nicht beachtet würden
Gesamteinschätzung Beitrag zur Transnationalisierung gewerkschaftlicher Organisation und Politik? IFAs als dynamischster gewerkschaftlicher Handlungsansatz der Entwicklung globaler Potential noch nicht ausgeschöpft, zugleich: gewerkschaftliche Ressourcenprobleme einer effektiven Umsetzung und Überwachung Aufwertung der Funktionsprofile der GUFs: Anerkennung der GUFs als Dialog- und Verhandlungspartner gegenüber Konzernzentrale Stärkung der Position der GUFs gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen Organizing-Erfolge bislang begrenzt
Gesamteinschätzung Beitrag zur Durchsetzung sozialer Menschenrechte? Beitrag zur Normbildung: IFAs machen Stellenwert grundlegender Sozialstandards sichtbar und bekräftigen deren Legitimität Entwicklungspotential von IFAs noch nicht entfaltet; erste positive Erfahrungen der Durchsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen bislang vornehmlich eurozentristisches Instrument (gewisser Nord-Süd-Paternalismus) Wirksamkeit der Durchsetzung elementarer Arbeits- und Sozialstandards innerhalb der Zulieferketten äußerst begrenzt (bislang und vermutlich auch perspektivisch) ein Instrument mit punktueller und selektiver Wirkung zur Durchsetzung sozialer Menschenrechte in der Arbeitswelt ergänzendes Instrument zu rechtlichen Vorschriften, das politische Lösungen auf internationaler staatlicher Ebene nicht ersetzen kann