Evidenzbasierte Auswahl von Antidepressiva

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Transkript:

Evidenzbasierte Auswahl von Antidepressiva Klaus Lieb Universitätsmedizin Mainz Deutsches Resilienz Zentrum Mainz 1

Die wichtigsten Folien finden Sie spätestens ab Montag auf folgender Homepage: www.unimedizin-mainz.de/psychiatrie unter Klinische Partner/Veranstaltungen Oder: klaus.lieb@unimedizin-mainz.de

Erklärung von Interessenkonflikten K. Lieb Seit 2007 keinerlei persönliche Annahme von Geldern oder anderen Zuwendungen der Industrie Wissenschaftliche Kooperation mit der Industrie in der Durchführung klinischer Studien im Studienzentrum unserer Klinik. 2010 2018: z.b. Kendle Inc., Essex, Norgine, Lilly, Janssen, Pfizer, Boehringer Ingelheim, Hoffmann La Roche u.a. (DRM-Konten der Klinik) Verhaltenstherapeut, Schematherapie Leiter des Fachausschusses Transparenz und Unabhängigkeit der Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft (AkdÄ); Gründungsmitglied von MEZIS e.v. 3

p-wert vs. Effektstärke p-wert: Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines Unterschiedes zwischen zwei Interventionen an Hand des Signifikanzniveaus (p<0,05). Keine Aussage über die Größe und Relevanz des Effekts. Effektstärke: Aussage über die Größe des Effektunterschiedes zwischen zwei Interventionen. Entspricht dem, was man klinisch sieht 0.2: klein 0.5: mittel (klinisch bedeutsam) 0.8: groß 4

Prä-Post-Effekte vs. Behandlungs-Effektstärke Pre-post effect sizes include True effect Placebo effect Spontaneous remission 5

Risiko kleiner Fallzahlen 20 Outcome Category Failure Relative Change in the Odds Ratio 10 6 2 1 0.6 0.2 10 20 40 100 200 400 1000 2000 4000 Decreasing treatment effect Increasing treatment effect Total Number of Randomised Subjects 6

Behandlung von Depressionen mit Antidepressiva Vergleichende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Depressionen Behandlungsalternativen zu Antidepressiva Besonderheiten einzelner Substanzen Empfehlungen: Take home message 7

Behandlungsindikationen für Antidepressiva bei Depressionen (Mittel-) schwere Depressionen (bei leichten Depressionen möglichst zurückhaltend, ggf. Johanniskraut) Wahnhafte Depressionen Bei Patienten-Präferenz oder positiven Erfahrungen in der Vorgeschichte bzw. früheren schweren Episoden ggf. auch schon bei leichterer Ausprägung S3-Leitlinie Depressionen (2015) 8

x x Pharmaindustrie-unabhängige Fortbildung Prof. Lieb Vergleichende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Depressionen Tab. 6.6 Effektstärken und Ranglisten bzgl. Remissionsrate und Verträglichkeit der 14 wichtigsten Antidepressiva (aus Cipriani et al., 2018) Antidepressivum Remissionsrate* Verträglichkeit** Effektstärke*** Amitriptylin 1 13 0,48 Duloxetin 2 11 0,37 Venlafaxin 3 12 0,33 Clomipramin 4 14 0,33 x x x Paroxetin 5 8 0,32 Bupropion 6 10 0,25 Mirtazapin 7 9 0,37 Escitalopram 8 4 0,29 Milnacipran 9 3 0,30 Sertralin 10 7 0,27 Vortioxetin 11 2 0,28 Fluoxetin 12 5 0,23 Agomelatin 13 1 0,26 Citalopram 14 6 0,24 0,24 0,37 Fußnote zur Tabelle: *Rangliste 1 bedeutet, dass mit diesem Medikament die höchsten Remissionsraten erzielt werden können; **Rangliste 1 bedeutet, dass dieses Medikament die wenigsten Therapieabbrecher wegen Nebenwirkungen hat; ***Effektstärken gegen Placebo (s. Kap. 1.5.1). Cipriani et al. (2018) 9

Behandlung von Depressionen mit Antidepressiva Vergleichende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Depressionen Behandlungsalternativen zu Antidepressiva Besonderheiten einzelner Substanzen Empfehlungen: Take home message 10

Wirksame Behandlungsalternativen Diagnose Depression (Mittel)schwere Optionen Depression (keine Leichte Behandlung) Depression Antidepressiva Antidepressiva Antidepressiva Antidepressiva + Beobachtendes low intensity Abwarten interventions Bewegung, Sport Andere Verfahren (Facharzt, Klinik): Lichttherapie, Schlafentzugstherapie, Elektrokonvulsionstherapie (EKT) 11

S3-Leitlinie Unipolare Depression (2015) Leichte Depression Bei einer leichten depressiven Episode kann, wenn anzunehmen ist, dass die Symptomatik auch ohne aktive Behandlung abklingt, im Sinne einer aktivabwartenden Begleitung zunächst von einer depressionsspezifischen Behandlung abgesehen werden. LoE: klinische Expertise, Referenzleitleitlinien Empfehlung 3-7-mod: Hält die Symptomatik einer leichten depressiven Episode nach einer Kontrolle nach spätestens 14 Tagen noch an oder hat sie sich verschlechtert, soll mit dem Patienten über eine Intensivierung der Behandlung gesprochen werden. Als Behandlungsmöglichkeiten stehen beispielsweise zur Verfügung: 0 0 Beratung (Counselling) Psychoedukativ-supportive Gespräche Qualifizierte angeleitete Selbsthilfe z.b. Selbsthilfebücher / Online- Programme Problemlöseansätze (Problem-solving) Psychiatrisch-psychother. bzw. psychosomatische Grundversorgung LoE: klinische Expertise bis Metaanalysen, Referenzleitlinien 12

Wann (eher)? Patientenpräferenz (bei leichten und mittelschweren Depressionen gleich gut wirksam wie AD; bei ambulant behandelbaren schweren Depressionen ebenfalls) Wenn Medikamente nicht ausreichend wirken. Bei schweren Depressionen: Medikamente und kombinieren Bei rezidivierenden Verläufen (gut zur Rückfallverhinderung) S3-Leitlinie Depressionen (2015) 13

Vor- und Nachteile von Pharmakotherapie und Psychotherapeutische Behandlung Pharmakologische Behandlung Behandlung (12 Wochen) 14

S3-Leitlinie Unipolare Depression 2015 Körperliches Training Patienten mit einer depressiven Störung und ohne Kontraindikation für körperliche Belastungen sollte die Durchführung eines strukturierten und supervidierten körperlichen Trainings empfohlen werden. B LoE: mehrere Metaanalysen 15

Entzugssymptome beim Absetzen von Antidepressiva 0-34% der Patienten, v.a. bei SSRI, SSNRIs Unspezifische Symptome: Übelkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen o.ä. Spezifischer: Tachykardien, Myoklonien, Ataxie, Gleichgewichtsstörungen sowie grippeähnlich Symptome und Panikattacken, Depersonalisation, Verwirrtheitszustände u.ä. Wahrscheinlichkeit mit Dauer der Einnahme und Höhe der Dosis erhöht Eher bei Antidepressiva mit kürzerer Halbwertszeit wie z.b. Paroxetin Fava et al. Psychother Psychosom 2015 16

Behandlung von Depressionen mit Antidepressiva Vergleichende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Depressionen Behandlungsalternativen zu Antidepressiva Besonderheiten einzelner Substanzen Empfehlungen: Take home message 17

SSRIs Ersttherapie mit Escitalopram (nicht Citalopram), bei QT-Zeit- Verlängerungsproblemen oder Polypharmazie: eher Sertralin Alternative bei Interaktionsproblemen: Milnacipran (nicht hepatisch metabolisiert) Ältere SSRIs nur in Ausnahmefällen: Fluoxetin (lange HWZ), Fluvoxamin und Paroxetin (CYP450-Interaktionen) Vortioxetin: Ohne Zusatznutzen entbehrlich 18

Mirtazapin Alternative zur Ersttherapie mit SSRI, wenn Sedierung erwünscht ist. Bei unzureichender SSRI-Wirkung ist Kombination evidenzbasiert und besser als fortgesetzte Monotherapie mit SSRI Achtung: Sehr häufig Gewichtszunahme! V.a. bei älteren Patienten häufig Ödeme und Überhang; kann RLS verstärken 19

Andere Entbehrlich: Agomelatin (Valdoxan ) kann zu tödlichen Leberproblemen führen (Leberwertkontrollen!) Bupropion (Elontril ): Einziger NDRI (Nortriptylin nicht mehr verfügbar) Kombination mit SSRI kann sinnvolle Kombination sein (Achtung: CYP2D6-Inhibition!) Von den SNRIs wurde nur für Venlafaxin, nicht aber Duloxetin eine Überlegenheit gegenüber SSRI gezeigt Amitriptylin (Saroten ): Dreifaches Wirkprinzip, stärkste Wirksamkeit bei Depression; bei Schmerz ES=0,53 > Pregabalin (0,27) > Duloxetin (0,23) 20

Behandlung von Depressionen mit Antidepressiva Vergleichende Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva bei Depressionen Behandlungsalternativen zu Antidepressiva Besonderheiten einzelner Substanzen Empfehlungen: Take home message 21

Stufenschema nach Wirksamkeit und Verträglichkeit 1. Stufe: (Johanniskraut); SSRIs - (Es)Citalopram, Sertralin und ggf. Benzodiazepin/niederpotentes Antipsychotikum 2. Stufe: Hochdosiert Venlafaxin (mind. 225, stationär bis 375 mg), aber nicht Duloxetin, oder SSRI-Augmentierung mit Mirtazapin 3. Stufe Lithium, ggf. vorher Umstellung auf trizyklisches Antidepressivum (Amitriptylin) Rangfolge der 2016 am häufigsten verordneten Antidepressiva: Citalopram (290 Mio. DDD) > Venlafaxin (190) > Mirtazapin (180) > Sertralin (133) > Escitalopram (103) 22

Take home - Depression Therapieplanung und monitoring nach Schweregrad Antidepressiva wegen der geringen Effektstärken und ihrer Risiken nicht leichtfertig einsetzen Antidepressiva bei leichten Depressionen vermeiden! Escitalopram und Sertralin als Mittel 1. Wahl Vorsicht bei (Es)Citalopram wegen QT-Zeit-Verlängerungen Agomelatin und Vortioxetin vermeiden Venlafaxin und Amitriptylin nur bei Non-Response auf einen SSRI An Wechselwirkungen denken! Über Entzugssyndrome v.a. bei SSRI und SSNRI aufklären 23