Examinatorium im SPB 8 WS 2018/19 11.1.2019 Kartellrecht in transnationalen Fällen
Sachverhalt Fall 1 Konkurrenten A und B vereinbaren einen Mindestpreis für bestimmte Waren A russisches Unternehmen, B brasilianisches Unternehmen Waren werden nach Deutschland exportiert Andere MS der EU sind nicht betroffen Gemeinsamer Marktanteil in Deutschland: 50 % 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? 2. Welche Kartellbehörden sind für die Anwendung zuständig? 3. In welchem Verhältnis stehen die anwendbaren Kartellrechtsordnungen zueinander?
Lösung Fall 1 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? a) Deutsches Kartellrecht Auswirkungsprinzip, 185 Abs. 2 GWB 185 Abs. 2 GWB: Die Vorschriften des Ersten bis Dritten Teils dieses Gesetzes sind auf alle Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes auswirken, auch wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes veranlasst werden. Ergebnis: Deutsches Kartellrecht anwendbar
Lösung Fall 1 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? b) EU-Kartellrecht: Kommission: folgt ebenfalls dem Auswirkungsprinzip EuGH: In der Vergangenheit keine eindeutige Festlegung, der EuGH hielt formal am Territorialitätsprinzip fest, kam in der Praxis jedoch zu gleichen Ergebnissen, da er nicht auf den Ort der Absprache, sondern auf den Ort der Ausführung abstellte (sog. implementation doctrine ) Intel-Entscheidung (2017): Bezugnahme auf das Kriterium der qualifizierten Auswirkungen zur Begründung der Zuständigkeit der Kommission Anerkennung des Auswirkungsprinzips bezüglich der Frage nach der Anwendbarkeit des EU-Kartellrechts
Lösung Fall 1 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? b) EU-Kartellrecht Weitere Vss. für die Anwendbarkeit: Zwischenstaatlichkeitsklausel (Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels), Art. 101 AEUV Weite Auslegung des TBM Ausreichend, wenn sich das Kartell auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates erstreckt Grund: Kartell hat schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen (EuGH, 13. 7. 1966 Rs. 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 321, 389 Consten und Grundig)
Lösung Fall 1 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? b) EU-Kartellrecht Zwischenstaatlichkeitsklausel, Art. 101 AEUV Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels (als ungeschriebenes TBM) (-), wenn bei Horizontalvereinbarungen der Jahresumsatz der Unternehmen mit den von der Vereinbarung erfassten Waren innerhalb der EU den Betrag von 40 Mio. nicht überschreitet und gemeinsamer Marktanteil der Parteien auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen Märkte in EU höher als 5 % Hier: Von der spürbaren Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ist auszugehen, da hoher Marktanteil in Deutschland (50 %)
Lösung Fall 1 1. Welche europäischen Kartellrechtsordnungen sind anwendbar? b) EU-Kartellrecht Exkurs: Unterscheide: Spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung/De-minimis-Regel Ergebnis: Auch EU-Kartellrecht ist anwendbar
Lösung Fall 1 2. Welche Kartellbehörden sind für die Anwendung zuständig? Hinweis: Zwei verschiedene Kartellrechtsordnungen sind anwendbar Differenzieren zwischen deutschem und europäischem Recht a) Deutsches Recht Allein deutsche Behörden zuständig 48 Abs. 2 S. 1 GWB: Soweit Wirkung über das Gebiet eines Bundeslandes hinausreicht: Grds. Bundeskartellamt zuständig
Lösung Fall 1 2. Welche Kartellbehörden sind für die Anwendung zuständig? b) Europäisches Recht Kommission (Art. 4 VO 1/2003) und nationale Kartellbehörden (Art. 5 VO 1/2003, 48, 50 GWB, hier: Bundeskartellamt) Beachte Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003: Bei Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission entfällt die Zuständigkeit der nationalen Behörden
Lösung Fall 1 3. In welchem Verhältnis stehen die anwendbaren Kartellrechtsordnungen zueinander? Hier: Sowohl 1 GWB als auch Art. 101 AEUV sind anwendbar Art. 3 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003: BKartA muss Art. 101 AEUV parallel anwenden Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 ( 22 GWB): Keine abweichenden Ergebnisse bei der Anwendung von 1 GWB ggü. Art. 101 AEUV Absprachen dürfen auf nationaler Ebene nicht sanktioniert werden, wenn sie auf europäischer Ebene erlaubt sind Nationales Recht muss exakt so angewendet werden wie Unionskartellrecht (Pflicht zur Ergebniskonvergenz) Exkurs: Unterhalb Zwischenstaatlichkeitsklausel: Nur nationales Recht anwendbar keine Bindung an EU-Recht
Sachverhalt Fall 2 Geplante Fusion der beiden großen US-amerikanischen Flugzeughersteller C und D Gemeinsamer weltweiter Umsatz: 20 Mrd. pro Jahr C und D: Verkauf von Flugzeugen u.a. an Lufthansa, Air France und British Airways Lufthansa: Jedes Jahr Kauf von mind. 4 Flugzeugen bei C und bei D (Preis je 80 Mio. ) 1. Welche europäische Kartellrechtsordnung ist anwendbar? 2. Welche europäische Kartellbehörde ist für die Anwendung zuständig?
Lösung Fall 2 1. Anwendbare Kartellrechtsordnung a) Anwendbarkeit der europäischen FKVO? Vss.: Zusammenschluss mit gemeinschaftsweiter Bedeutung, Art. 1 Abs. 1 FKVO Zusammenschluss: Vgl. Art. 3 FKVO Gemeinschaftsweite Bedeutung: Objektive Bestimmung anhand der Aufgreifkriterien (Art. 1 Abs. 2 FKVO): Weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als 5 Mrd. Euro und Gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mind. zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 Mio. Euro Nicht mehr als 2/3 des gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben MS erzielt
Lösung Fall 2 1. Anwendbare Kartellrechtsordnung Voraussetzungen hier (+) Weltweiter Gesamtumsatz: 20 Mrd. C und D jeweils mehr als 250 Mio. in EU erwirtschaftet (4 x 80 Mio. in Deutschland) Nicht mehr als 2/3 des gemeinschaftsweiten Umsatzes in Deutschland erzielt Verkauf von Flugzeugen auch an British Airways und an Air France Problem: Zwei US-amerikanische Unternehmen, Fusion soll außerhalb Europas vollzogen werden Europäisches Recht dennoch anwendbar? Erreichen der Schwellenwerte des Art. 1 FKVO als einzige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der FKVO Ausreichend ist, dass entsprechende Umsätze im Gebiet der EU erzielt werden
Lösung Fall 2 1. Anwendbare Kartellrechtsordnung b) Auch deutsches Fusionskontrollrecht anwendbar? Aufgreifkriterien in 35 GWB ABER: Art. 21 Abs. 3 FKVO/ 35 Abs. 3 GWB: Wenn gemeinschaftsweite Bedeutung allein europäisches Recht anwendbar One-stop-shop-Prinzip Beachte aber: Verweisung möglich, Art. 4 Abs. 4 FKVO, Art. 9 FKVO Dann mitgliedstaatliches Recht anwendbar
Lösung Fall 2 2. Welche Kartellbehörde ist für die Anwendung zuständig? Art. 21 Abs. 2 FKVO: Für die Anwendung der FKVO ist ausschließlich die Europäische Kommission zuständig Das BKartA ist nicht zur Anwendung der FKVO befugt! Aber: Möglichkeit der Verweisung von der Kommission an nationale Behörden Dann nationales Recht anwendbar und nationale Behörde zuständig Verweisung auf Antrag der Fusionsparteien, Art. 4 Abs. 4 FKVO Verweisung auf Antrag eines MS, Art. 9 FKVO
Ergänzende Hinweise: Warum keine Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 Rom II VO bei Fall 1 und 2? Kartellverwaltungsrecht Keine privatrechtliche Streitigkeit (z.b. privater Schadensersatzprozess) An Fallbezug denken: Keine vollständige Prüfung der Voraussetzungen des Art. 101 AEUV bei Frage 1!