Gesundheitsförderung durch Gemeinschaftsverpflegung: im Spannungsfeld zwischen Anforderungen und Erwartungen Prof. Ulrike Arens-Azevedo
Die Themen 1. 2. Ausgangslage Erwartungen 3. Anforderungen 4. Rolle der DGE- Qualitätsstandards 5. Kann Gesundheitsförderung gelingen?
1. Ausgangslage
100 Verbreitung von Übergewicht und Adipositas im Erwachsenenalter Prävalenz (%) 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 BMI: 25-29,9 BMI: 30 und höher 35,6 32,9 29,7 25,9 22,3 23,6 20,0 16,8 13,6 20,7 15,1 17,3 10,5 2,6 5 7,2 8,0 10,4 11,4 12,2 18-19,9 20-24,9 25-29,9 30-34,9 35-39,9 40-44,9 45-49,9 50-54,9 55-59,9 60-64,9 Altersgruppen (Jahre) Quelle Mikrozensus 2013, in 13. DGE- Ernährungsbericht 2016 Frauen Prävalenz (%) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 16,4 BMI: 25-29,9 BMI: 30 und höher 25,1 3,8 6,2 33,3 8,8 39,2 12,1 43,8 46,1 Männer 47,5 14,9 16,7 17,9 48,1 19,0 48,9 49,5 22,5 24,7 18-19,9 20-24,9 25-29,9 30-34,9 35-39,9 40-44,9 45-49,9 50-54,9 55-59,9 60-64,9 Altersgruppen (Jahre)
Situation im Kindesalter Quelle: Schienkiewitz A. et.al.: Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland, Journal of Health Monitoring 3, 2018
Verbreitung von Übergewicht im Kindesalter in Europa nach sozialer Herkunft Quelle: Ahrens W: The I-Family Study Overview and Key Findings, Brussels 2017 6
Übergewicht im Seniorenalter 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 23,6 20,3 21,6 19,4 49,9 37,9 50,8 39,2 Männer 65-69,9 Frauen 65-69,9 Männer 70-74,9 Frauen 70-74,9 BMI 25-29,9 BMI größer gleich 30 16,8 49,5 Männer 75 und älter 17,7 38,7 Frauen 75 und älter Quelle: Mikrozensus 2013 in 13. DGE-Ernährungsbericht 2016
Verbreitung von Unter-, Übergewicht und Adipositas bei älteren Menschen mit Pflegebedarf 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% BMI <18,5 BMI 18,5-24,9 BMI 25-29,9 BMI 30-34,9 BMI >35 03 07 12 12 17 14 22 21 33 34 39 39 36 33 27 32 08 06 03 02 Mann Frau Mann Frau Ältere Menschen in stationären Einrichtungen (ErnSTES-Studie) 2008 Ältere Menschen mit Pflegebedarf in Privathaushalten (ErnSIPP-Studie) 2012 Quelle: DGE-Ernährungsbericht 2008 und 2012
Armut als Ernährungsrisiko - soziale Ungleichheit und Gesundheitssituation Die soziale Schicht hat in allen Altersgruppen einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheitssituation In allen Altersgruppen lässt sich darüber hinaus ein Unterschied im Ernährungsverhalten ausmachen Quelle: KIGGS, DEGS, Mikrozensus
2. Erwartungen
Gemeinschaftsverpflegung aktiver Beitrag zur Gesundheitsförderung Verhaltensprävention Bildung und Information Ernährungssituation Verhältnisprävention Angebot von Speisen und Getränken Veränderungen möglich??
Gemeinschaftsverpflegung aktiver Beitrag zu Gesundheitsförderung Steigerung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit Grundlage für: Prävention ernährungsmitbedingter Erkrankungen Gewöhnung an einen gesundheitsförderlichen Ernährungsstil Förderung von Wohlempfinden und Lebensqualität
Erwartungen (eine Auswahl) Die Berücksichtigung von Ernährungsformen z.b. ethisch bedingt wie vegetarisch/vegan Allergien und Lebensmittel-Intoleranzen religiösen Vorschriften (z.b. Halal) persönlichen Ess- und Speisenvorlieben
3. Anforderungen an die Gemeinschaftsverpflegung
Anforderungen Freier Zugang zum Angebot (ungeachtet der Schichtzugehörigkeit) in allen Lebenswelten Ausgleich (teilweise) von Defiziten bei sozialen Ungleichheiten, die Ursache für unterschiedliche Gesundheitszustände sind Verringerung ernährungsabhängiger Krankheitsrisiken
Anforderungen Hohe Qualität der Dienstleistung (Service, Abläufe) Hohe Qualität der Produkte (Speisen und Getränke) Angemessenes Preis- Leistungsverhältnis u.v.a.m. Komm unikation Ernährungsbildung Nachhaltigkeit Raumgestaltung Personal Qualität der Verpflegung Hygiene Ablauf / Organisation Ernährungsphysiologie Sensorik
4. Rolle der DGE- Qualitätsstandards
Anforderungen im DGE-Qualitätsstandard auf den Punkt gebracht! Qualität der Verpflegung Lebensmittel auf der Basis der LM-Pyramide Speisenplanung auf der Basis der D-A-CH Referenzwerte Steuerung der Prozesse Steuerung der Rahmenbedingungen
Basis: lebensmittelbezogene Empfehlungen Deshalb: Festlegung von Qualität und Häufigkeit von Lebensmittelgruppen im Angebot!
Erreichung der empfohlenen Nährstoffzufuhr bei heterogenen Zielgruppen Männer Altersgruppen von 19 bis 65 Jahre Frauen Durchschnittswert für Männer und Frauen (PAL 1,4) Höherer Wert bei Mineralstoffen und Mittelwert Energie, KH, Fett, Eiweiß Vitaminen Bei unterschiedlichen Berufsschweregruppen: Ausrichtung nach überwiegendem Im Regelfall an den Leichtarbeitern Anteil
Fokussierung auf bestimmte Nährstoffe wie Energieliefernde Nährstoffe Kohlenhydrate Fett Protein Vitamine Vitamin E Vitamin C Thiamin Folat Mineralstoffe Eisen Calcium Magnesium sowie Energie und Ballaststoffe
Unterschiede gibt es zwischen Voll- und Teilverpflegung Bei der Vollverpflegung sollten die D-A-CH Referenzwerte der jeweiligen Zielgruppe im Durchschnitt von 7, bei Teilverpflegung in 20 Verpflegungstagen erreicht werden
Kontinuierliche Verbesserung ist das Kennzeichen der DGE-Qualitätsstandards! Beginn der Überarbeitung 14.11.2018 durch Kick-off Veranstaltung (voraussichtliches Ende: Dez. 2019) Ziele: Aktualisierung der Bewertungen von Lebensmitteln Berücksichtigung aktueller D-A-CH-Referenzwerte Berücksichtigung der Innovations- und Reduktionsstrategie (BMEL) Bewertung und Umsetzung von Erfahrungen mit den Standards durch Anwender und Experten
5. Kann Gesundheitsförderung gelingen?
Ergebnisse aus Studien im Ausland Unterschiedliche Studien konnten zeigen, dass: Durch konsequentes Angebot an Wasser der Konsum von zuckergesüßten Getränken verringert wird Veränderungen im Ernährungsverhalten moderat sind (über einen Zeitraum von 1-2 Jahren) Positive Auswirkungen auf das cardio-metabolische Risiko auch langfristig wahrscheinlich sind Quelle: Rosettie, K L et.al.(2018): Comparative risk assessment of school food environment policies and childhood diets, childhood obesity and future cardiometabolic mortality in the United States, PloS ONE 13 (7): e0200378
Ergebnisse aus Studien im Ausland Standards für die Schulverpflegung führen: zu einem höheren Obstverzehr zu einer reduzierten Aufnahme von Fett (gesamt) und gesättigten Fettsäuren zu einer geringeren Energieaufnahme zu einer reduzierten Salzzufuhr Studien lassen den Schluss zu, dass über die Schulverpflegung das Ernährungsverhalten in und außerhalb der Schule verbessert werden kann. Quelle: Micha R et.al.(2018): Effectiveness of school food environment policies on children`s dietary behaviors: a systematic review and meta-analysis. PLoS ONE 13 (3): e0194555
Ergebnisse aus Studien im Ausland Die meisten Studien erfolgten in der Schul- und Kitaverpflegung, wenige beziehen sich auf die Betriebsverpflegung In letzterer wurden zum Beispiel auch die so genannten DALYs einbezogen (disability adjusted life years safed) Quelle: Public Health England: Healthier and more sustainable catering, A Toolkit for serving food to adults, London 2017 und Strategies for Encouraging Healthier out of home Food provision: Evidence, tools resources, local practice examples and guidance, London 2017, The McKinsey Global Institute: Overcoming obesity Report, London, San Francisco 2014
In Deutschland nur Studien zu Strukturen der GV und Qualität Beispiel Kita n = 691 max. 4 x Frittiertes 96,5 3,5 max. 8x Fleisch/Wurst 55,3 44,7 mind. 4x Fisch 30,7 45,4 23,9 davon mind. 8 x Salat 38,9 35,3 25,8 täglich Gemüse 6,5 85,8 7,7 täglich Kohlenhydratkomponente 37,8 62,2 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% vollständig erfüllt überwiegend erfüllt nicht erfüllt Quelle: 13. DGE-Ernährungsbericht 2016
Fazit Gesundheitsförderung durch Gemeinschaftsverpflegung ist möglich und effektiv! Viele Erwartungen können gedeckt, vegetarische Kostformen und Speisenvorlieben einbezogen werden. Konkrete Anforderungen unterstützen die Gesundheitsförderung, deshalb ist die verbindliche Einführung der DGE-Qualitätsstandards in den unterschiedlichen Lebenswelten zu fordern. Insbesondere im Kindesalter sollte über freie Zugänge zum Verpflegungsangebot nachgedacht werden!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!