6: Schutz des Vermögens (Fortsetzung)



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Transkript:

6: Schutz des Vermögens (Fortsetzung) 5. Organisationsherrschaft. Der Täter hinter dem Täter 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB a) Definition Mittelbarer Täter ist, wer den Tatbestand verwirklicht, indem er sich zur Tatausführung eines anderen als Werkzeugs (sog. Tatmittler) bedient. Der mittelbare Täter als Hintermann übt durch seinen Einfluss Tatherrschaft über den Tatmittler aus, der (regelmäßig) einen deliktischen Defekt aufweist. b) einzelne Fallgruppen aa) Defekt auf der Ebene des Tatbestandes - Werkzeug handelt objektiv tatbestandslos. Durch Irreführung bringt sich das Werkzeug selber um (zb Fall Sirius). - Werkzeug handelt im Tatbestandsirrtum. Durch Irreführung Fehlvorstellung über die Eigentumsverhältnisse. - Werkzeug handelt im graduellen Tatbestandsirrtum Durch Irreführung Zerstörung einer Ming-Vase statt einer Ikea-Vase. KK 63

b) einzelne Fallgruppen (Fortsetzung) bb) Defekt auf der Ebene der Rechtswidrigkeit - Werkzeug handelt gerechtfertigt, die Tat stellt dennoch objektiv Unrecht dar; Polizist nimmt durch Irreführung den Falschen fest, 127 StPO. cc) Defekt auf der Ebene der Schuld - Werkzeug handelt im Verbotsirrtum: Irreführung über das Alter zum straffreien Sexualverkehr. - Werkzeug handelt im Erlaubnisirrtum: Hintermann täuscht A dem Arzt das Vorliegen der Einwilligung vor. - Werkzeug handelt im Nötigungsnotstand: Rowdy M bedroht Professor H mit der Pistole, damit dieser die Fensterscheibe des Rivalen von M einschlägt. KK 64

c) Täter hinter dem Täter kraft organisierten Machtapparats Kennzeichen: Tatmittler weist gerade keinen Defekt auf! Hintergrund: Unrechtsaufarbeitung in totalitären Machtapparaten (NS, DDR) Voraussetzungen an die Organisationsherrschaft (nach h.m.) hierarchische Macht- und Organisationsstruktur: Einbindung des unmittelbar Handelnden (Tatmittler) in das System. Tat läuft innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen regelhaft ab. Der Tatmittler ist austauschbar (Fungibilität). Hintermann kann das System nach seinem Willen bedingungslos lenken. KK 65

c) Täter hinter dem Täter kraft organisierten Machtapparats (Fortsetzung) Ist eine derartige Konstruktion anzuerkennen? Es bestehen drei Möglichkeiten, ein Geschehen zu beherrschen, ohne selbst bei der Ausführung Hand anzulegen: - Zwang - Täuschung - Organisierter Machtapparat, in dem die Befehlsgeber die Befehlsempfänger reibungslos und austauschbar (fungibel) zur Begehung von Straftaten einsetzen können (Bild des Rädchens im Getriebe einer hierarchischen Machtstruktur). Auch hier ist Tatherrschaft gegeben. KK 66

Kriminologische Begründungsansätze für deliktisches Verhalten innerhalb eines Verbandes Neutralisationstechniken (Sykes/Matza) Ablehnung der Verantwortung - Hilflos gegenüber einer Kette von Ereignissen. Berufung auf höhere Instanzen. - Ehre steht über dem Gesetz. Unmittelbar gruppenbedingt Maßgeblichkeit eines konkurrierenden Normensystems Anpassungszwänge Identifikation mit dem Kollektiv Verantwortungsdiffusion und - delegation Fungibilität Neutralisationstechniken innerhalb eines Verbandes Verneinung des Unrechts - Diebstahl als Ausleihen Verdammung der Verdammenden - Polizei ist (selbst) korrupt. Ablehnung des Opfers Opfer hat es verdient. Mittelbar gruppenbedingt opferlose Delikte/Zukunftsdelikte fehlendes Unrechtsbewusstsein aufgrund fehlender sozialer Kontrolle KK 67

c) Täter hinter dem Täter kraft organisierten Machtapparats (Fortsetzung) Frage nach den Alternativen Konstruktion 1: mittäterschaftliche Tatbegehung contra 1: stellt Hintermann und den Ausführenden auf eine Stufe, beide sollen ja Mittäter sein. Errichtet der Organisator aber feste Strukturen mit dem Ziel, dass sich die darin eingebundenen Personen als Rad im Getriebe wieder finden und folglich jederzeit ausgetauscht werden können, dann bildet der Organisator keinen auf Arbeitsteilung gerichteten notwendigen Tatentschluss. contra 2: Eine Mittäterschaft zeichnet sich strukturell durch horizontale Strukturen ( 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich ) aus. Eine mittelbare Täterschaft ist durch vertikale Strukturen ( 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch einen anderen ) gekennzeichnet. Konstruktion 2: Anstiftung eines Mitarbeiters contra: Strukturell ist die Anstiftung ein Versuch, der fehlschlagen kann. Das aber macht ein Machtapparat gerade nicht! Eine durch ein solches Konstrukt entstandene Herrschaft ist kein Produkt des Zufalls. KK 68

d) Sachverhalt (angelehnt an BGH NJW 1998, 767 = wistra 1998, 148) Ralle betreibt in Freiburg ein Geschäft, in dem er Autozubehör vertreibt. Seine Mitarbeiter kaufen den Anweisungen von Ralle entsprechend gebrauchte Autoelektrikteile aus Schrott- und Unfallfahrzeugen, arbeiten diese dann auf und verkaufen sie als neuwertig zu entsprechend neuwertigen Preisen weiter. Diese Preise sind nun deutlich höher, als würden sie sie der Wahrheit entsprechend als gebrauchte Teile verkaufen. Unter solchen Umständen erwirbt die Kundin F ein als neu deklariertes, tatsächlich aber gebrauchtes Steuergerät. Der Preisunterschied zwischen Neuware und gebrauchter Steuerlenkung beträgt 200 Euro. Es bediente ihn der all dies wissende Angestellte Morfeld. KK 69

e) strafrechtliche Würdigung Strafbarkeit des Morfeld nach 263 StGB zu Lasten der F zugunsten des Ralle (+) Morfeld täuscht über Tatsache, dass das Ersatzteil fabrikneu sei. Er erregt einen entsprechenden Irrtum, F verfügt durch den Abschluss des Kaufvertrages über ihr Vermögen und erleidet einen Schaden in Höhe von 200, da dies die Differenz zum niedrigeren Marktwert darstellt. Strafbarkeit des Ralle wegen Betruges 263, 25 Abs. 1 2. Alt. StGB? - keine eigene Handlung Begehung kraft Organisationsherrschaft in mittelbarer Täterschaft? - Problem: kein deliktischer Defekt bei Morfeld KK 70

e) strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) aa) Täter hinter dem Täter auch im Wirtschaftsstrafrecht notwendige Konstruktion? - Lösung des BGH (BGH NJW 1998, 767, 769): denkbar, wenn die Leitung des Unternehmens durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer der Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst, die ihrerseits zu der vom Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führen. KK 71

e) strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) bb) im Grundsatz zutreffend, aber: An die Anordnung und Befehle sind höhere Anforderungen zu stellen, als dies der BGH bislang getan hat. Die Anordnung muss entweder im Grenzbereich zwischen Nötigungsherrschaft oder Irrtumsherrschaft liegen. Oder aber es existiert eine Institution des Unrechts, in der keine Bedenken gegen eine strafrechtswidrige Anordnung zu erwarten sind (infolge greifender Neutralisationstechniken). Die schlichte Aufforderung Begehe ein Urkundendelikt reicht für sich gesehen also nicht aus. Einfachen rechtswidrigen Anweisungen muss der Mitarbeiter widerstehen. Voraussetzung für die Annahme eines organisierten Machapparates ist die Schaffung von Strukturen in dem Wissen, dass Anordnungen und Befehle selbst unterhalb der Schwelle von Drohung und Täuschung autoritativ werden. Einfachen rechtswidrigen Anweisungen muss der Mitarbeiter widerstehen. Nur im umgekehrten Fall funktionalisiert der Hintermann diesen Umstand und macht ihn zu einem tatherrschaftsbegründenden Moment, sofern er eine strafrechtsrelevante Maßnahme anordnet. Unter dieser Prämisse also doch eine Werkzeugqualität des Handelnden gegeben. Zu beachten ist auch, dass eine Bejahung der Strafbarkeit der Unternehmensleitung wegen der Ausnutzung von Rahmenbedingungen durch Organisationsstrukturen, Auswirkungen auf die Annahme eines einheitlichen Lebenssachverhalt und damit auf dieselbe Tat, isd 264 StPO und Art. 54 SDÜ hat (OLG München NJW 2007, 788). Auch um eine weitgehende Nichtverfolgbarkeit zu vermeiden sind daher hohe Anforderungen an die Anordnungen nötig. KK 72

e) strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) cc) Roxin (-): keine Anwendung dieser Rechtsfigur auf das Unternehmensstrafrecht. Argument 1: Nur bei Organisationen, die sich vom Recht gelöst haben, stehen zahlreiche, austauschbare Vollstrecker zur Verfügung. Contra: - Gerade bei der Frage des konkreten Arbeitsplatzes ist eine enorme Handlungsbereitschaft gegeben. - Wieso muss sich eine Organisation vom Recht gelöst haben? Die Behauptung erweist sich als nicht begründet. Auch wäre sonst die Organisierte Kriminalität nicht in jedem Dall ein Machtapparat in dem hier geforderten Sinne. Argument 2: Es greift die Voraussetzung der Fungibilität nicht, denn es muss erwartet werden, dass rechtswidrige (An-)Weisungen nicht befolgt werden (Rechtsordnung und Arbeitsrecht). Contra: Fungibilität ist gegeben, wenn es genügend (potenzielle) Ersatzpersonen für einen ausfallenden Arbeitnehmer (= Rad im Getriebe) gibt. KK 73

e) strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) cc) Roxin (-): keine Anwendung dieser Rechtsfigur auf das Unternehmensstrafrecht (Fortsetzung) Argument 3: Ein Unternehmen kann nicht mit einem Machtapparat gleichgesetzt werden, mit dem wiederum eine auf Machterhalt und Machtzuwachs abzielende kriminelle Organisation mit straffer Organisations- und Befehlsstruktur assoziiert wird. Contra: Machtapparat ist ein Herrschaftsapparat, der aber nicht zwingend kriminell ist. KK 74

f) Sonderproblem des Pflichtdelikts aa) Konstruktion Der unmittelbar Handelnde verwirklicht durch sein Tun ein Sonderdelikt, ohne selbst aber die durch das Sonderdelikt bedingte Tätereigenschaft aufzuweisen im Gegensatz zum Unternehmensführer bzw. dem Unternehmen selbst (hier dann Zurechnung auf den Geschäftsführer mittels 14 StGB). bb) Verständnisfall Der Arbeitsgeber M weist den Sachbearbeiter in der Lohnbuchhaltung U an, die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abzuführen. cc) Lösung der h.m. Mittelbare Täterschaft mittels qualifikationslosen Werkzeugs. Der Sonderpflichtige ist bzgl. der Sonderdelikte stets Täter, ohne dass es auf einen Rückgriff auf die Kriterien der Tatherrschaft ankommen würde. dd) abweichender Ansatz 1 mittelbare Täterschaft mittels qualifikationslosen Werkzeugs. Der Sonderpflichtige besitzt eine normative Tatherrschaft. KK 75

f) Sonderproblem des Pflichtdelikts ee) abweichender Ansatz 2 Ist das Pflichtdelikt ein verhaltensgebundenes Delikt, dann sind zur Bejahung der mittelbaren Täterschaft genau die gleichen Anforderungen zu stellen wie in all den Fällen, in denen keine Pflichtdelikte im Raum stehen. Bei den nicht verhaltensgebundenen Pflichtdelikten ist der Sonderpflichtige unmittelbarer Täter, wenn er einen anderen zur Vornahme der pflichtwidrigen Handlung veranlasst oder sich selbst daran beteiligt. Dies soll z.b. für die Begehung einer Untreue [ 266 Abs. 1 StGB] dadurch gelten, dass ein Vermögensverwalter in den USA einen unbeteiligten Dritten dazu veranlasst, das Geld ins Ausland zu schaffen. KK 76

6. Sozialadäquanz und neutrales berufstypisches Verhalten a) Anwendungsfälle eine kleine Auswahl Angehörige der rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe, Verkäufer (Messer und ähnliches nützliches Totschlagswerkzeug, Service Provider, der einem Inserenten Zugang zum Internet verschafft). b) mögliche Einordnung des Problems aa) im objektiven Tatbestand - professionelle Adäquanz bzw. Sozialadäquanz - erlaubtes Risiko - objektive Zurechnung bb) im subjektiven Tatbestand cc) bei der Rechtswidrigkeit KK 77

6. Sozialadäquanz und neutrales berufstypisches Verhalten (Fortsetzung) c) Sachverhalt (Abwandlung von BGH NStZ 2000, 34, 35): Morfeld möchte Warentermingeschäfte in Form von Optionen vermitteln. Sein System: Er bedient sich hierzu eines Vertriebsnetzes von aggressiven Telefonverkäufern, welche den potentiellen Kunden sodann eine von ihm entworfenen Hochglanzbroschüre samt entsprechendem Vertragsformular zukommen lassen sollen. Die vermittelten Optionen sind weitgehend wertlos, da Morfeld nach seiner Anlagestrategie nur 60 % des eingesetzten Geldes in sehr riskante Optionen investiert. Der hierfür engagierte Werbefachmann Lupix soll den Entwurf der Broschüre optimieren, indem er die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Risiken von WTG allgemein und den Entnahme-Anteil von Morfeld i.h.v. 40 % zutreffend darstellt. Die Broschüren sollen damit insgesamt seriöser erscheinen und sprachlich optimiert werden. Von den Telefonverkäufern und der Anlagestrategie weiß Lupix nicht (im Originalfall jedenfalls nicht prozessual nachweisbar). Aufgrund der gesamten Strategie investiert N 20.000 bei Morfeld und erleidet einen Totalverlust. KK 78

6. Sozialadäquanz und neutrales berufstypisches Verhalten (Fortsetzung) d) aa) Strafbarkeit des Morfeld wegen 263 StGB (+) bb) Strafbarkeit des Lupix wegen Beihilfe zum Betrug nach 263, 27 StGB - Rechtswidrige Haupttat liegt vor. - Hilfeleistung als objektive Förderung liegt vor. - Wissen um wesentliche Elemente der Haupttat und seiner fördernden Handlung liegen auch vor. - Problem: sozial adäquate Handlung? e) Grundlegung Abgrenzung und Abwägung von Handlungssphären des Freiheitsraums des potenziellen Gehilfen von demjenigen des geschützten Rechtsgutsträgers Drei Konkretisierungen (Beihilfe gegeben). große Wertigkeit des zu schützenden Rechtsguts (vgl. den Katalog von 138 als Maßstab) Kollusion mit dem Täter Unterstützender verletzt im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut besondere Sorgfaltspflichten. KK 79

6. Sozialadäquanz und neutrales berufstypisches Verhalten (Fortsetzung) f) subjektivierende Grundsatzentscheidung des BGH Ziele das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und wisse dies der Hilfeleistende, so sei sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. Wisse der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet werde, so sei sein Handeln (grundsätzlich) nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. KK 80

6. Sozialadäquanz und neutrales berufstypisches Verhalten (Fortsetzung) g) Exkurs: Tätigkeit eines Rechtsanwaltes Insbesondere in Zivilrechtsfällen kann es zu der Situation kommen, dass der Rechtsanwalt auch dann zum Vortrag bestimmter Tatsachen gezwungen ist, wenn er an deren Richtigkeit zweifelt. Insoweit handelt er zwar mit dolus eventualis gleichwohl ist hier kein Prozessbetrug anzunehmen, weil sich dieser Zwang zum Vortrag aus prozessualen Gründen ergibt (so zumindest Tiedemann + Volk). Eine ähnliche Wertung mit Hang zu Ansätzen der professionellen Adäquanz nehmen BGH und insbesondere das BVerfG bekanntlich auch bei der Geldwäsche an, bei dem der subjektive Tatbestand eingeschränkt wird. Ansatz ist jeweils das Vertrauensverhältnis Anwalt/Mandant. Bei der Geldwäsche war es zur Durchsetzung verfassungsrechtlich gebotener effektiver Verteidigung (ex. Rechtsstaatsprinzip) geboten. Hierbei ist aber zu beachten, dass 138 I ZPO gerade von einer Wahrheitspflicht seitens der Prozessparteien ausgeht. Zu fragen und kritisch zu bewerten ist daher, woher sich eine gerade umgekehrt lautende Pflicht des Rechtsanwalts ergeben soll, zumal standesrechtlich der falsche Vortrag unzulässig ist. Man könnte allenfalls argumentieren, als Organ der Rechtspflege solidarisiere sich der Anwalt eben gerade nicht mit dem Mandanten, was faktisch aber zweifelhaft erscheint. KK 81

Literatur- und Rechtsprechungshinweise zur Organisationsherrschaft: BGH NStZ 1998, 568 Hefendehl GA 2004, 575 ff. Rotsch NStZ 1998, 491 ff. und NStZ 2005, 13 ff. Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 8. Aufl. (2006) S. 242 ff. Schlösser JR 2006, 102 ff. Schünemann: LK StGB, 25 Rn. 122 ff. zur Sozialadäquanz und neutralem berufstypischen Verhalten: grundlegend BGHSt 46, 107 = BGH wistra 2000, 340 mit Anm. Jäger BGH NStZ 2000, 34 Hillenkamp 32 Probleme aus dem Strafrecht AT 12. Aufl. (2006) 28. Problem: Ist die Unterstützung des Haupttäters durch neutrales Alltagsverhalten als Beihilfe strafbar? Lesch JA 2001, 968 ff. Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht AT Rn 187 ff. KK 82