des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht ev (DIJuF) vom 15. Mai 2015

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Transkript:

FORUM FÜR FACHFRAGEN FORUM FOR EXPERT DEBATES HINWEISE des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht ev (DIJuF) vom 15. Mai 2015 In dem Verfahren 1 BvR 3309/13 wird zu der Frage, ob die Beschwerdeführerin mangels verfassungskonformer Auslegung des 1598a BGB in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 ivm Art. 1 Abs. 1 GG sowie in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK verletzt wird, wie folgt Stellung genommen: I. Keine Möglichkeit zur Abstammungsklärung nach geltendem Recht Die Beschwerdeführerin begehrte 1955 auf dem Klagewege Feststellung der Vaterschaft gegenüber einem Mann, den ihre Mutter als Vater beim Standesamt benannt hatte. Die seinerzeit fehlenden Möglichkeiten der erbbiologischen Abstammungsklärung haben zur Klageabweisung mit einer Begründung geführt, die heute in Anbetracht des medizinischen Fortschritts nicht mehr hinzunehmen wäre. Das geltende Recht ermöglicht der Beschwerdeführerin trotz einer nach heutigem Erkenntnisstand unbilligen Entscheidungsfindung keine Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie kein neues Gutachten vorlegt ( 185 Abs. 1 FamFG, zuvor 641i ZPO). Das Verlangen, an einer genetischen Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung mitzuwirken, lehnt der potenzielle Vater ab. Die Beschwerdeführerin hat auch keinen Anspruch auf Abstammungsklärung nach 1598a Abs. 1 BGB, da dieser ein bereits rechtlich bestehendes Vater-Kind-Verhältnis voraussetzt. Sie hat somit keine Handhabe, ihr Begehr nach Klärung der Abstammung gerichtlich durchzusetzen.

2 Die Ablehnung durch die Fachgerichte erfolgte somit auf Grundlage des geltenden Rechts. Diese Situation lässt sich auch nicht durch eine erweiternde Auslegung der Regelung des 1598a BGB auflösen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG endet die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch träte (vgl BVerfG 16.12.2014 1 BvR 2142/11, mwn). Insbesondere ist die prinzipielle Zielrichtung des Gesetzgebers zu wahren (vgl BVerfG 19.9.2007 2 BvF 3/02). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers, dem biologischen Vater keinen Klärungsanspruch einzuräumen: Der biologische Vater hat hingegen keinen solchen [Klärungs-]Anspruch gegen Mutter und Kind. [Dem] Klärungsinteresse des biologischen Vaters ist durch die bestehenden Möglichkeiten der Vaterschaftsanfechtungsklage nach 1600 BGB und der Vaterschaftsfeststellungsklage nach 1600d BGB ausreichend Rechnung getragen. (BT-Drucks. 16/8219, S. 6; vgl auch BT-Drucks. 16/6561, S. 12). Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen, dass sich der Gesetzgeber auch mit der umgekehrten Situation dem Putativvater als Klärungsverpflichtetem auseinandergesetzt hat. Gleichwohl ergibt sich allein aus der Nichtberücksichtigung dieser Konstellation nicht die Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes im Sinne der Beschwerdeführerin. Denn das Ziel des Gesetzes ist gerade nicht die isolierte Regelung der Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung, sondern die Durchsetzung dieses Rechts zum Zweck des Schutzes der bestehenden Familie. Im Vordergrund steht also wie schon die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt der Schutz der bestehenden Familie: Ein rechtlicher Vater, der Zweifel an seiner Vaterschaft hat, soll nicht gezwungen sein, die Vaterschaft anzufechten, um eine Abstammungsklärung zu erreichen. Es war nicht Ziel des Gesetzgebers, eine allgemeine Regelung zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu schaffen, die alle potenziell Beteiligten miteinbezieht. Die Versagung einer Klärung der biologischen Abstammung greift somit in das grundrechtlich geschützte Recht der Beschwerdeführerin auf Kenntnis der Abstammung ein. II. Grundrechtsverletzung im konkreten Fall 1. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung: Mögliche Diskrepanz zwischen rechtlicher und psychologischer Wertung Wie das BVerfG in seiner Rechtsprechung wiederholt betont hat, ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus verfassungsrechtlicher Perspektive als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders schützenswert. Denn als Individualisierungsmerkmal gehört die Abstammung zur Persönlichkeit, und die Kenntnis der Herkunft bietet dem Einzelnen unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Ergebnisse wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität (BVerfG NJW 1988, 3010; NJW 1989, 891 f; siehe auch NJW 1997, 1769; JAmt 2007, 92; NJW 2013, 1148). Hierzu gehört grundsätzlich auch das

3 Recht, in einem rechtsförmigen Verfahren die Abstammung des Kindes klären und feststellen zu lassen (vgl für den rechtlichen Vater BVerfG 13.2.2007 1 BvR 421/05, JAmt 2007, 92). Wissenschaftliche Erkenntnisse legen eine Diskrepanz nahe zwischen der im juristischen Diskurs zugemessenen herausragenden Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung und der (entwicklungs)psychologisch feststellbaren Bedeutung dieser Kenntnis für die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. So hat bspw eine deutsche Untersuchung des Selbstkonzepts, der Befindlichkeit und der Kompetenzentwicklung von Jugendlichen keine Beeinträchtigung in der Entwicklung in den genannten Bereichen gezeigt, wenn sie mangels persönlicher Kenntnis keine eigenständigen Erinnerungen an ihren Vater haben (Walper/Wendt, Die Bedeutung der Abstammung für die Identitätsfindung und Persönlichkeitsentwicklung in der Adoleszenz: Adoption, Samenspende und frühe Vaterabwesenheit nach Trennung der Eltern, in: Schwab/Vaskovics [Hrsg], Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft. Familienrecht, -soziologie und -psychologie im Dialog. Sonderheft 8 der Zeitschrift für Familienforschung, 2011, S. 211 bis 237 mit ausführlicher Darstellung des Forschungsstandes). 2. Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die Nichteinbeziehung des putativ biologischen Vaters in den Kreis der gem. 1598a BGB Anspruchsverpflichteten sie in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie in ihrem Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens verletzt. Sie will damit aus ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 ivm Art. 1 Abs. 1 GG einen Anspruch auf eine konkrete einfachgesetzliche Ausgestaltung des 1598a BGB herleiten. Zwar stellt 1598a BGB eine einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung dar (BT-Drs. 16/6561, S. 1). Aber nach der Rechtsprechung des BVerfG gibt das Grundgesetz eine konkrete Ausgestaltung des Schutzes des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht vor. Die Reichweite der Schutzpflicht bestimmt sich mit Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und die mit ihm kollidierenden Rechtsgüter andererseits. Zu bestimmen, wie sie konkret erfüllt wird, ist jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, dem hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (BVerfG 13.2.2007 1 BvR 421/05, JAmt 2007, 92). Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ergibt sich daher keine Verpflichtung des Gesetzgebers, einem Kind ein Verfahren zur rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung zur Verfügung zu stellen, mit dem er sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung durchsetzen kann. Die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu einem Vater und/oder einer Mutter sowie umgekehrt einer Mutter und/oder eines Vaters hat grundlegende Bedeutung für Kind und Eltern. Aus ihr ergeben sich nicht nur multiple rechtliche Folgen von Sorge- und Umgangsrecht bis hin zu Unterhaltsansprüchen/ -pflichten und Erbenstellung. In der kindlichen Entwicklung erfährt die gelebte Zuordnung prägende Wirkung mit teilweise existenzieller Bedeutung für das Kind. Es ent-

4 spricht daher den Interessen der Beteiligten einer Eltern-Kind-Zuordnung und schützt deren Grundrechte, wenn der Gesetzgeber durch gesetzliche Vorkehrungen Volatilität vermeidet und Stabilität sichert. Er schützt Persönlichkeitsrechte und die Familie, wenn er sowohl für die Begründung als auch die Aufhebung eines Eltern-Kind- Verhältnisses strenge Voraussetzungen normiert und ihnen (zeitliche) Grenzen setzt. Möglichen ggf grundrechtlich hinterlegten Interessen an einer jederzeitigen sowie für jedermann/jederfrau ermöglichten Feststellung der Abstammungsverhältnisse stehen grundrechtlich schützenswerte Interessen an der Verlässlichkeit bestehender und nichtbestehender Eltern-Kind-Zuordnungen entgegen. Anders als bei bestehenden Eltern-Kind-Verhältnissen birgt das Begehr einer rechtsfolgenlosen biologischen Abstammungsklärung gegenüber Personen außerhalb des engen Eltern-Kind-Verhältnisses eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Die Schwelle für ein Klärungsverlangen wäre wegen der Rechtsfolgenlosigkeit deutlich gesenkt. Der Personenkreis derjenigen, die als vermeintlicher Putativvater zur Mitwirkung verpflichtet werden sollen, wäre gleichzeitig nur bedingt eingrenzbar. Die Grundrechte des (vermeintlichen) biologischen Vaters wären bei einer rechtsfolgenlosen Klärung daher auch in deutlich weitreichenderem Maße betroffen als bei einer Klärung im Zuge des Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft. Für den Putativvater geht es bei der Verwendung seines Genmaterials gegen seinen Willen jedenfalls um Eingriffe in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 ivm Art. 1 Abs. 1 GG), aber auch um eine mögliche Störung seines bestehenden Familienlebens (Art. 6 Abs. 1 GG; vgl Reiche, Heimliche Vaterschaftstests. Eine Untersuchung aus verfassungsrechtlicher Sicht, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, S. 128). Zudem würde mit einer rechtsfolgenlos geklärten biologischen Abstammung ein Schwebezustand geschaffen, der die Frage offen ließe, ob von der einen oder anderen Seite nicht doch später rechtliche Konsequenzen aus den Erkenntnissen abgeleitet werden sollen. Bei der Vaterschaftsanfechtung sind hierfür auch bei einer rechtsfolgenlosen Klärung nach 1598a BGB enge Fristen gesetzt ( 1600b BGB). Dies zu vermeiden, hat der Gesetzgeber vielfältige Möglichkeiten. Aktuell stellt der Gesetzgeber dem Kind mit der Vaterschaftsanerkennung, der gerichtlichen Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft, Verfahren zur Verfügung, die dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Rechnung tragen. Die zusätzliche Möglichkeit einer rechtsfolgenlosen genetischen Abstammungsklärung im Verhältnis der rechtlich bereits zugeordneten Familienmitglieder nach 1598a BGB ist insoweit eine verfassungsrechtlich in dieser Form nicht determinierte deutsche Besonderheit. Dem Institut, das ein weltweites Netzwerk zu Kindesunterhalt und Abstammung mit über 1.500 Expert/inn/en aus über 80 Nationen betreibt, ist keine Rechtsordnung bekannt, in welcher das Familienrecht ebenfalls eine rechtsfolgenlose Abstammungsklärung vergleichbar der deutschen Regelung des 1598a BGB vorsähe (siehe auch DIJuF, Umgangsrechte des biologischen Vaters Europäische Staaten im Vergleich, 2010, zu finden unter www.dijuf.de Projekte Gutachten Umgangsrechte). Weshalb ausgerechnet die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes konkret eine einfachgesetzliche rechtsfolgenlose Abstammungsklärung zwingend fordern sollten, erscheint im Lichte des internationalen Vergleichs nicht einsichtig.

5 Das Postulieren einer verfassungsrechtlich geforderten rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung gegenüber Putativvätern verliert seine Überzeugungskraft insbesondere bei einer Weitung des Blicks über die Sonderkonstellation der Beschwerdeführerin hinaus. Es stellte sich die Frage, ob die Möglichkeit auch einzuräumen wäre, wenn zb das (erwachsene) Kind mittlerweile vom Partner/Ehemann der Mutter adoptiert wurde, wenn es sich um ein eheliches Kind handelt, bei dem die Vermutung einer biologischen Abstammung von einem anderen Mann als ihrem Vater besteht oder wenn mehrere Männer als Väter in Betracht kommen, aber hohe Unsicherheit besteht, ob überhaupt einer von ihnen und, wenn ja, wer der Vater sein könnte. 3. Keine Pflicht zur Ermöglichung einer rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung für die Beschwerdeführerin Im Ergebnis ist der Gesetzgeber auch aufgrund der Grundrechte der Beschwerdeführerin im konkreten Fall nicht verpflichtet, einem Kind gegenüber potenziellen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, rechtsfolgenlos die Klärung der biologischen Abstammungsverhältnisse erzwingen zu können. Er kann zum Schutz klarer Familienverhältnisse die Klärung davon abhängig machen, dass die Feststellung der Vaterschaft begehrt wird. Sein gesetzgeberischer Spielraum ist insoweit verfassungsrechtlich nicht eingeschränkt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit Blick auf Art. 8 EMRK: In Bezug auf die Rechtsposition des Putativvaters führt der EGMR aus, dass es keine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt, wenn der Putativvater anders als die rechtlichen Eltern und das Kind nicht berechtigt ist, ohne Änderung der rechtlichen Stellung des Kindes eine genetische Abstammungsuntersuchung einzufordern. Denn die Entscheidung, der bestehenden familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtmäßigen Eltern Vorrang vor der Beziehung zu dem vermeintlichen biologischen Vater einzuräumen, liegt innerhalb des staatlichen Ermessensspielraums (EGMR 22.3.2012 23338/09). Schließlich verstößt der Nichteinbezug des Putativvaters in den Kreis der Klärungsverpflichteten (und -berechtigten) nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Situation, in der Auskunftsansprüche zur Abstammungsklärung innerhalb einer rechtlichen Eltern-Kind- Zuordnung geltend gemacht werden, unterscheidet sich wie aufgezeigt (III.2.) erheblich von der Situation, in der sich ein Klärungsbegehren gegen einen Dritten richtet. Es fehlt schon an der Gleichartigkeit der Sachverhalte. 4. Verfassungswidrigkeit des Vorenthaltens jeder Möglichkeit der Klärung Vorliegend waren der Beschwerdeführerin allerdings jegliche rechtlichen Möglichkeiten versperrt, über die Abweisung der Klage auf Feststellung der Vaterschaft mit ihrer aus heutiger Sicht nicht hinnehmbaren Begründung hinwegzukommen. Der Ausschluss einer Wiederaufnahmemöglichkeit ohne Vorliegen eines neuen Gutachtens geht schon von seinem Wortlaut her davon aus, dass es bereits zuvor ein Gutachten gegeben hat, dessen Beweiskraft nunmehr durch ein neuerliches Gutachten erschüttert sein könnte. Wenn aber wie im Fall der Beschwerdeführerin niemals ein Gut-

6 achten eingeholt wurde, weil seinerzeit die Blutgruppen- und später genetische Begutachtung noch nicht möglich war oder keine verlässlichen Ergebnisse gebracht hätte, dann kann der Ausschluss der Wiederaufnahme des Verfahrens, wie in 185 FamFG (früher 641i ZPO) vorgesehen, keine sachlichen Gründe für sich beanspruchen, die dem Recht der Beschwerdeführerin auf Kenntnis der biologischen Abstammung entgegengehalten werden könnten. Die Vorenthaltung jeder Möglichkeit einer Klärung der biologischen Abstammung erscheint daher im vorliegenden Fall verfassungswidrig. Allerdings hat die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Familiengericht allein eine rechtsfolgenlose Abstammungsklärung begehrt. Aus der Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 ivm Art. 1 Abs 1 GG kann sie hierauf jedoch, wie dargelegt, keinen Anspruch ableiten. Das BVerfG kann insoweit nicht in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eingreifen und eine solche Möglichkeit aufgrund dieses Einzelfalls statuieren. Es bleibt nach hier vertretener Auffassung die Möglichkeit der Feststellung, dass der Beschwerdeführerin trotz entgegenstehenden Wortlauts des 185 Abs. 1 FamFG aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem Jahr 1955 hat, wenn sie eine solche begehrt.