Lösungsskizze: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I FS 2013. Prof. Dr. iur. Frank Meyer. Lösungsvorschlag



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Transkript:

Lösungsskizze: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I FS 2013 1. Aufgabe: 20 Punkte Prof. Dr. iur. Frank Meyer Lösungsvorschlag Punkte I. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als neuer Eckstein der Zusammenarbeit 3 P - Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auf der europäischen Ebene: Erstmalig Erwähnung fand der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in den Schlussfolgerungen des Rates von Tampere von 1999. Der Grundsatz wurde ausdrücklich als Eckstein der zukünftigen Entwicklung der Zusammenarbeit in Strafsachen bezeichnet und wurde durch das europäische Binnenmarktrecht inspiriert. Die Idee, die dahinten stand war, dass nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene aber auch im Bereich der justiziellen Entscheidungen eine Art des grenzübergreifenden Verkehrs möglich sein soll. Strafjustizielle Entscheidungen sollten danach in anderen Mitgliedstaaten wechselseitig als wirksam und rechtmässig anerkannt werden (trotz etwaiger Unvereinbarkeit mit dem bestimmten nationalen Recht). Ursprünglich war der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung also nicht primärrechtlich verankert. Nach dem Tampere Programm, wurde das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ebenfalls im Haager Programm des Europäischen Rats von 2004 formuliert. II. Anerkennung als Rechtsprinzip 5 P - Heute ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung primärrechtlich ausdrücklich in Art. 67 Abs. 3 und Art. 82 Abs. 1 UA 1 AEUV verankert. Art. 67 Abs. 3 erwähnt die Formen der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, welche zur Entstehung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts führen sollen. Darunter befindet sich im Bereich der Zusammenarbeit in Strafsachen der ausdrücklich genannte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz. - Art. 82 Abs. 1 UA 2 lit. a AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat zum Erlass von Massnahmen, welche Regeln und Verfahren festzulegen sollen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der EU sichergestellt wird. Es handelt sich um eine Bestimmung von Mindestbedingungen, unter

welchen justizielle Entscheidungen in Strafsachen in einem anderen Mitgliedstaat anerkennungsfähig sein sollen. Die Kompetenz zur Bestimmung solcher Mindestbedingungen erstreckt sich auf die Entscheidungen aus sämtlichen Stadien des Strafverfahrens. - Nach Art. 82 Abs. 2 besteht ebenfalls die Möglichkeit der Angleichung der Vorschriften des prozessualen Rechts, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung erforderlich ist. - Weder Art. 82 noch Art. 67 AEUV enthalten jedoch genaue Vorgaben betreffend konkrete Ausgestaltung und Inhalt des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung. Der Grundsatz ist zur Präzisierung auf sekundärrechtliche Konkretisierung angewiesen. III. Umstellung von zweistufigen Verfahrensmodell (Ersuchen Bewilligung) zum einstufigen Modell der gegenseitigen Anerkennung 12 P - Das ursprüngliche und weiterhin überwiegende klassische Modell der Rechtshilfe besteht in einer horizontalen Leistung der Rechtshilfe der ersuchende Staat richtet ein Ersuchen an den ersuchten Staat-> der ersuchte Staat entscheidet über Bewilligung der Rechtshilfe-> der ersuchte Staat übermittelt Beweismittel an den ersuchenden Staat. - Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bezweckt die unmittelbare transnationale Geltung und Bindungswirkung von strafjustiziellen Entscheidungen. - Das auf dem Prinzip der gegenseitiger Anerkennung basierende Model ist also einstufig (Anordnung/Ausführung-Modell). Die strafjustiziellen Entscheidungen sollen in anderen Mitgliedsstaaten ohne Bewilligungserfordernis unmittelbar gelten und (trotz deren etwaiger Unvereinbarkeit mit dem bestimmten nationalen Recht) befolgt werden. Statt der traditionellen horizontalen Leistung der Rechtshilfe besteht die Möglichkeit eines vertikal-unilateralen Durchgriffs in die Rechtssysteme anderer Mitgliedsstaaten. Der eigentliche Gegenstand der Anerkennung kann abhängig von der Art des Instruments unterschiedlich sein (rechtskräftiger Endurteil; Anordnung einer Auslieferung). IV. Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung [Zusatzpunkte] 5 ZP - Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung erfolgt auf der

europäischen Ebene durch Einführung neuer Formen der Zusammenarbeit, die massgeschneidert und auf Lösung eines konkreten Problems (auf Durchführung einer bestimmten Handlung der Rechtshilfe) gerichtet sind. - Im Bereich Auslieferung: bedeutendstes Beispiel der Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist der durch einen Rahmenbeschluss eingeführte Europäische Haftbefehl: faktische Änderung eines klassischen (horizontalen) Auslieferungsverfahrens in ein Übergabeverfahren auf Anordnung des ausstellenden Staates (mit beschränktem Katalog von Auslieferungshindernissen); kein politisches Ermessen des ausführenden Staates; Standardisierung des Auslieferungsverkehrs. - Im Bereich Vollstreckungsrechtshilfe: unionsweite Anerkennung von Geldstrafen, Geldbussen, Einziehungsentscheidungen, freiheitsentziehenden Strafen und Massnahmen aber auch z.b. Überwachungsmassnahmen anstelle der Untersuchungshaft. - Im Bereich Beweisrechtshilfe: vorsorgliche Massnahmen zur Beweissicherung und Instrumente zur Übertragung erlangter Beweismittel; gegenwärtig Versuch der Schaffung eines auf der europäischen Ebene allgemein anerkannten umfassenden Beweiserhebungs- und übertragungsinstruments; Gegenwärtig wird intensiv an einer einheitlichen Europäischen Ermittlungsanordnung gearbeitet; dieses Instrument soll es ermöglichen, alle Arten von zulässigen Beweisen in allen Mitgliedstaaten unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einheitlich zu erheben. V. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Auswirkung auf die zwischenstaatliche Zusammenarbeit und mögliche Herausforderungen [Zusatzpunkte] 5 ZP - Entterritorialisierung der Strafgewalt, wenn die in auf einem Hoheitsterritorium vorgenommenen Hoheitsakte (strafjustizielle Entscheidungen) auf einem fremden Hoheitsgebiet anerkannt und befolgt werden müssen - Hybridisierung des Verfahrens - Gefährdung der Rechte der betroffenen Personen (u.a.) durch neuartige Grundrechtsgefahren und Aufspaltung des Rechtsschutzes.

2. Aufgabe: 20 Punkte I. Vorprüfung 6 P - Im Fall des im Sachverhalt geschilderten Betrugs handelt es sich um keine der Tatkategorien, bei denen die Leistung der Rechtshilfe nach Art. 3 IRSG unzulässig wäre. Es handelt sich ebenfalls um kein Bagatelldelikt nach Art. 4 IRSG. - Herausgabe von Bankunterlagen stellt eine Zwangsmassnahme im Rahmen der kleinen Rechtshilfe dar, bei der nach Art. 64 Abs. 1 IRSG die Erfüllung der Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist im Fall eines Betruges erfüllt. - Die materielle Voraussetzung der Rechtshilfeleistung, die in dem geschilderten Fall genauerer Überprüfung bedarf, ist die Voraussetzung der Verhältnismässigkeit nach Art. 63 Abs. 1 IRSG, insbesondere das Verbot der unerlaubten Beweisausforschung (fishing expedition). II. Unerlaubte Beweisausforschung (fishing expedition) 14 P - Unerlaubte Beweisausforschung liegt vor, wenn den Rechtshilfeersuchen keine hinreichend konkreten, individualisierbaren Verdachtsmomente zugrunde liegen - vielmehr soll erst mit den Beweisen aus den Ersuchen ein Tatverdacht gegen eine bestimmbare Person begründet werden. Eine fishing expedition dient also als ein Vorwand für eine unbestimmte, planlose Suche nach Beweismitteln. 1. Formelle Anforderungen Ob den Rechtshilfeersuchen konkrete und individualisierbare Verdachtsmomente zugrunde liegen, hängt u. A. von dem im Rechtshilfeersuchen geschilderten Sachverhalt vor. Nach Art. 28 Abs. 2 lit. c muss in einem Ersuchen die rechtliche Bezeichnung der Tat aufgeführt werden. Der rechtlichen Bezeichnung ist nach Art. 28 Abs. 3 lit. a IRSG der kurz dargestellte, wesentliche Sachverhalt, der Gegenstand der Strafuntersuchung bildet, beigefügt werden. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der Sachverhalt nicht lückenlos geschildert werden, da es ja gerade Sinn und Zweck des Rechtshilfeverfahrens ist, die Beweise zu finden und Lücken zu schliessen. Im Moment der Rechtshilfeantragsstellung ist eine lückenlose Darstellung des Sachverhaltes für die Behörden des ersuchenden Staates in der Regel noch nicht möglich. Die Sachverhaltsangaben müssen

jedoch die Überprüfung der allfälligen Verweigerungsgründe und die Feststellung, in welchem Umfang Rechtshilfe gewährt werden muss, ermöglichen. Nach Art. 28 Abs. 2 lit. d IRSG wird ebenfalls vorausgesetzt, dass das Ersuchen möglichst genaue und vollständige Angaben über die Person, gegen die sich das Strafverfahren richtet, enthalten soll. Laut der sich auf die Problematik der fishing expeditions beziehenden Rechtsprechung, kann die genügende Darstellung des Sachverhalts und des hinreichenden Tatverdachts ebenfalls durch Bezeichnung eines Verhaltensmusters statt Angabe der Namen der Betroffenen erfolgen. In einem solchen Fall muss das Muster genügend präzis sein und die Identifizierung der konkreten, die Tatbestandsmerkmale einer bestimmten Straftat erfüllenden Personen ermöglichen. 2. Grundsatz der Verhältnismässigkeit - Das Verbot der unerlaubten Beweisausforschung wird nach der h.m. als unmittelbare Folge des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit betrachtet und steht mit diesem Prinzip in direkter Verbindung. Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit muss die vorgenommene Massnahme geeignet, erforderlich, den Betroffenen zumutbar sein, sowie im entsprechenden Verhältnis zu dem zu erreichenden Zweck stehen. Im Fall von einer Massnahme, die im Rahmen der unerlaubten Beweisausforschung unternommen wird, sind diese Voraussetzungen in der Regel nicht erfüllt. I.c. ist der Mechanismus, nach dem die Straftaten begangen werden, bekannt. Es ist bekannt, um welche Delikte es sich handelt und wie die Täter vorgehen. Zudem werden die genauen Dokumente bezeichnet, welche angefordert werden. Allerdings kann das Land A. keinen Verdächtigen nennen. Die Staatsanwälte glauben nur, dass es sich um Nigerianer handelt, haben hierfür allerdings keine Beweise. Die Tatsache, dass die Staatsanwälte aus Land A. aus einer zuverlässigen Quelle wissen, dass die Gruppe Gelder auf einer Genfer Privatbank deponiert haben und glauben, dass es sich um Nigerianer handelt, reicht nicht aus, um hinreichend konkrete, direkt individualisierbare Verdachtsmomente zu begründen. Ein hinreichender Tatverdacht gegen konkrete Personen kann vielmehr möglicherweise erst durch die Dokumente, welche das Land A. anfordert, begründet werden.

Obwohl ein Verhaltensmuster bekannt ist, sind die konkreten Verdachtsmomente aufgrund dieses Musters nicht individualisierbar. Das durch die Behörden des ersuchenden Staates geschilderte Muster, müsste es ermöglichen festzustellen, im Fall von welchem konkreten Nigerianer die Tatbestandsmerkmale des Betruges, u.a. Arglist, vorliegen könnten. In dem konkreten Fall ist es, aufgrund der durch den ersuchenden Staat gelieferten Informationen, nicht möglich dies festzustellen. Es wird nämlich die Übermittlung aller Bankunterlagen der nigerianischen Personen beantragt, wobei ein erforderlicher Konnex zwischen den im Antrag geschilderten Taten und Personen, deren Unterlagen zu übermitteln wären, nicht ersichtlich ist. Vielmehr ist anzunehmen, dass durch die Übermittlung von Unterlagen ebenfalls die Personen betroffen wären, bezüglich derer kein ausreichender sachlicher Konnex mit der Tat besteht. Ebenfalls betreffend die Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist zu bemerken, dass die beantragte Zwangsmassnahme eine unbestimmte Zahl von Personen (alle Personen nigerianischer Staatsangehörigkeit) und eine grosse Zahl von nicht konkret benannten Informationsinhabern (die Genfer Privatbanken) betreffen sollen. Auch der Zeitabschnitt, auf den sich die zu übermittelnden Informationen beziehen sollen, ist wenig bestimmt (2 Jahre). I.c. steht das beantragte Zwangsmittel also nicht im vernünftigen Verhältnis zu dem zu erreichenden Zweck. Im konkreten Fall wäre daher ebenfalls die Konformität mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu bezweifeln. Im Fall des Rechtshilfeantrags des Landes A handelt sich also um unerlaubte Beweisausforschung. 3. Frage des Bankgeheimnisses nach Art. 47 Abs. 1 BankG - Art. 47 Abs. 5 BankG: wenn nach dem geltenden Recht eine Auskunftspflicht gegenüber eine Behörde besteht, entfällt Bankgeheimnis. Im Fall also von einem rechtgemässen gutgeheissenen Rechtshilfeantrag wäre das Bankgeheimnis also kein Hindernis für die Herausgabe von Bankunterlagen an Land A. - Falls der Rechtshilfeantrag wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 2 u. 3 IRSG (d.h. in dem konkreten Fall wegen Vorliegens einer fishing expedition) abzulehnen wäre, wäre der Grund für die Ablehnung das Fehlen der sich aus IRSG ergebenden Voraussetzungen. Bankgeheimnis nach Art. 47 BankG stellt in diesem Fall kein selbstständiges

oder zusätzliches Rechtshilfehindernis dar. Fazit: Aufgrund des Vorliegens der unerlaubten Beweisausforschung kann dem Rechtshilfeantrag des Landes A nach Art. 63 Abs. 1 IRSG nicht entsprochen werden. 3. Aufgabe: 20 Punkte I. A könnte sich gegen die Überstellung mit einem Argument wehren, dass sein Gesundheitszustand ein mögliches Auslieferungshindernis darstellt. - Grundsätzlich ist ein schlechter Gesundheitszustand oder die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung kein Hinderungsgrund für eine Auslieferung. 5 P Die erwähnten Umstände können jedoch zur Folge haben, dass die Vollstreckung der Auslieferung aufgeschoben wird oder nur unter Bedingungen erfolgt. Unter bestimmten Umständen kann ein schlechter Gesundheitszustand der auszuliefernden Person zur Folge haben, dass der Verfolgte der Gefahr der Beeinträchtigung der Menschenrechte aus Art. 3 EMRK (evtl. auch aus Art. 2 u. 8 EMRK) im ersuchenden Staat ausgesetzt würde. In solchem Fall ist der Auslieferungsantrag durch den ersuchten Staat u.u. abzulehnen (EGMR v. 7.7.1989 Soering v. the United Kingdom, Appl. Nr. 14038/88). Gemäss der Rechtsprechung des EGMR hat ein EMRK-Staat als ersuchter Staat in solcher Situation die Pflicht, den Rechtshilfeantrag abzulehnen auch wenn der das Risiko der Menschenrechtebeeinträchtigung in einem ersuchenden Staat, der kein EMRK-Staat ist, bestünde. Das Risiko der Beeinträchtigung muss mit Sicherheit oder mindestens erheblicher Wahrscheinlichkeit feststellbar sein. Es muss sich deshalb um eine reale und individuell-konkrete und nicht bloss abstrakte Gefahr handeln. 3 P Das Bestehen eines Beeinträchtigungsrisikos muss nicht Folge der Umstände sein, für die der ersuchende Staat auf direkte oder indirekte Weise verantwortlich ist. Es kann sich auch um eine Gefahr handeln, die in der betroffenen Person begründet wird und zur Folge hat, dass sich der Zustand des Auszuliefernden im ersuchenden Staat verschlechtert oder dass das Risiko nicht abgeholfen werden kann (EGMR v. 2.5.1997 D. v. the United Kingdom, Appl. Nr. 30240/96); insb. weil der ersuchende Staat nicht über hinreichende Ressourcen zur Abhilfe verfügt. 5 P I. c. könnte deshalb ein Auslieferungshindernis der Gefahr der Beeinträchtigung von Art. 3 EMRK (evtl. auch Art. 2 u. 8 EMRK) im 7 P

ersuchenden Staat in Frage kommen. Im Fall von St. Kitts als ersuchendem Staat handelt es sich um keinen EMRK-Staat. Nichtdestotrotz ist die Schweiz als ersuchter Staat und Konventionsstaat der EMRK nach der oben erwähnten Soering-Praxis verpflichtet, den sich auf dem Gebiet der Schweiz befindenden Verfolgten ebenfalls vor Beeinträchtigungen der Menschenrechte zu schützen, die auf dem Territorium des Nicht-Konventionsstaates stattfinden könnten. In vorliegendem Fall handelt es sich um einen Verfolgten, der an einer schweren, u.u. sogar lebensbedrohlichen Krankheit leidet. Er wird in der Schweiz aus diesem Grund medizinisch versorgt. Eine vergleichbare Versorgung wäre im ersuchenden Staat nicht möglich, da laut dem medizinischen Gutachten auf St. Kitts die Gesundheitspflege mangelhaft ist. Das Gutachten bestätigt ebenfalls, dass dem Verfolgten aus diesem Grund die Gefahr einer erheblichen und sogar lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterung droht. Das Gutachten bestätigt also das reale und individual-konkrete Risiko der Verschlechterung der Gesundheit des Verfolgten im ersuchenden Staat. Die ihm konkret drohende Gesundheitsbeeinträchtigung wäre als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK (evtl. auch Art. 2 u. 8 EMRK) einzustufen. - Falls die Auslieferung aufgrund des Gesundheitszustands von A nicht zulässig wäre, könnte die Schweiz im Rahmen der stellvertretenden Strafverfolgung an Stelle von St. Kitts Strafverfahren gegen A durchführen (Art. 85 Abs. 1 lit. a IRSG). 2 ZP II. Fazit: Der Verfolgte kann sich gegen die Überstellung mit dem Argument wehren, dass ihm im ersuchenden Staat ein reales Risiko der Beeinträchtigung der sich aus Art. 3 EMRK (evtl. auch Art. 2 u. 8 EMRK) ergebenden Rechte droht und das aus diesem Grund das Auslieferungsersuchen abzulehnen ist. 4. Aufgabe: 25 Punkte I. Rechtsgrundlage 2 P - Da zwischen der Schweiz und dem Staat X kein einschlägiger Rechtshilfevertrag besteht, finden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) uneingeschränkt Anwendung. - Die Behörden des Staates X könnten einen Rechtshilfeantrag in Zusammenhang mit dem gegen den ehemaligen Präsidenten Y geführten Strafverfahren stellen und um Herausgabe der zu Sicherungszwecken beschlagnahmten

Vermögenswerte nach Art. 74a Abs. 1 IRSG ersuchen. II. Mögliche Probleme bei der Anwendung des Art. 74a IRSG 13 P - Bei Anwendung von Art. 74a Abs. 1 IRSG sind die allgemeinen materiellen und formellen Voraussetzungen der Rechtshilfe zu beachten. Während der Prüfung des Rechtshilfeantrags des Staates X und des Entscheidens über das Eingehen auf das Begehren können sich insbesondere folgende Probleme ergeben: Defizitäre rechtsstaatliche Strukturen: Grundsätzlich herrscht im Rechtshilfeverkehr der völkerrechtliche Vertrauensgrundsatz. 3 P In Fällen aber, in den die Organisation des ersuchenden Staates den allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsstaatlichkeit nicht entspricht, kann dem Rechtshilfeersuchen eines Staates, der keine rechtsstaatlichen Strukturen aufweist bzw. nicht die Gewähr für ein rechtsstaatliches Verfahren bietet, nicht stattgegeben werden. I.c. handelt sich um ein Land, der sich nach einer Rebellion gegen der bisherigen Regierung in einer Übergangsphase befindet. Die staatlichen Strukturen wurden durch eine Auseinandersetzung erheblich beeinträchtigt. Zwischenfazit: Es bestehen also Hinweise dafür, dass der ersuchende Staat über notwendige rechtsstaatliche Strukturen nicht verfügt. Menschenrechtkonformes Strafverfahren in ersuchenden Staat: Nach Art. 2 lit. a IRSG wird dem Ersuchen nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland den in EMRK und IPBPR enthaltenen Verfahrensgrundsätzen nicht entspricht. 3 P Im Land X wurden die staatlichen Strukturen während der blutiger, mehrjähriger Auseinandersetzung beschädigt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat dies ebenfalls dauerhaften Einfluss auf das Funktionieren der staatlichen Behörden, auch des Gerichtssystems. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten durch die neue, infolge der Rebellion zur Macht gekommene Staatsgewalt initiiert und durchgeführt wird. Zwischenfazit: Unter diesen Umstanden können erhebliche Zweifel betreffend Einhaltung der menschenrechtlichen Verfahrensgrundsätzen bestehen. Möglichkeit der Ablehnung des Rechtshilfeantrags gestützt auf Art. 2 lit. b IRSG (Verfolgung aus politischen Gründen) 2 ZP

Es könnte u.u. argumentiert werden, dass die Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Y wegen der gemeinrechtlichen Delikte durch die neue (aus politischen Gegnern bestehende) Regierung wegen seiner politischen Anschauungen erfolgt. In solchen Fall wäre der Rechtshilfeantrag aufgrund des Art. 2 lit. b IRSG abzulehnen. Anforderungen betreffend Sachverhaltsdarstellung: 3 P Nach Art. 28 Abs. 3 lit. a IRSG muss der Rechtshilfeantrag u. A. eine kurze Darstellung des wesentlichen Sachverhalts enthalten. Die durch den Y begangenen Taten wurden während mehrerer Jahre seiner Amtstätigkeit begangen. Mit grosser Wahrscheinlich sind der Nachweis der Einzeltaten und deren genauere Beschreibung nicht möglich. Zu berücksichtigen ist, dass der Rechtshilfeantrag durch die von dauerhaften Konflikt betroffenen (oder durch die in diesen schwierigen Umstanden neu geschaffenen) Behörden gestellt wird, deren Qualifikation für Stellung eines korrekten Rechtshilfeantrags und erfolgreiche Durchführung eines Rechtshilfeverfahrens nicht ausreichend sein kann. - Aus den oben genannten Gründen kann sich ebenfalls der i.d.r. nach Art. 74a IRSG vorausgesetzte Herkunftsnachweis betreffend die einzuziehenden Vermögenswerte als problematisch oder sogar unmöglich herausstellen. - Für eine Rückerstattung ist gem. Art. 74a Abs. 3 IRSG grundsätzlich ein wirksamer Einziehungsentscheid des ersuchten Staates erforderlich; ein Verzicht auf diese Voraussetzung (sog. early release) ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ausschliesslich bei eindeutiger Sach- und Rechtslage möglich (deliktische Herkunft der Vermögenswerte offensichtlich). 4 P Darüber hinaus wird beim Verzicht auf das Vorliegen eines wirksamen Entziehungsentscheids grundsätzlich vorausgesetzt, dass betreffend den ersuchenden Staat angenommen werden kann, dass im nationalen Verfahren verfahrensrechtliche Anforderungen der EMRK und IPBPR erfüllt sind bzw. beim noch erfolgenden Einziehungsverfahren im ersuchenden Staat erfüllt werden. I.c. ist es nicht bekannt, ob ein Einziehungsentscheid des ersuchenden Staates vorliegt. Selbst in der Situation, wenn ein solcher Entscheid vorhanden wäre, könnten Zweifel bestehen, ob das Verfahren im ersuchenden Staat den Anforderungen des Art. 2 lit. a entspricht. Das Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Y wird durch seine politischen Gegner geführt, die infolge einer Rebellion zu Macht gekommen sind. Es kann auch angenommen werden, dass infolge der

langen und blutigen Auseinandersetzung die staatlichen Strukturen (unterdessen auch die Gerichtsorganisation) betroffen wurden. Unter solchen Umständen besteht ein ernsthaftes Risiko, dass die verfahrensrechtlichen Anforderungen (insbesondere Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Gerichts) nicht erfüllt sind bzw. auch bzgl. einer späteren Einziehungsentscheidung als Teil des Strafverfahrens oder in einem selbständigen Einziehungsverfahren nicht gewahrt würden. - In einer Situation, in der kein Einziehungsentscheid vorhanden ist, wäre das Verzichten auf die Erfüllung der Regelvoraussetzung des Art. 74a Abs. 3 IRSG bzw. der Verzicht auf eine Zusicherung mithin äusserst problematisch und vorliegend eher zu versagen. Ohnehin ist unklar, ob die betreffenden Vermögenswerte überhaupt eindeutig zuzuordnen sind. III. Rückerstattung der Vermögenswerten nach RuVG 10 P - Im Fall der Unmöglichkeit der Herausgabe der Vermögenswerte nach IRSG, könnte subsidiär das Bundesgesetz über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte politisch exponierten Personen (RuVG) Anwendung finden. 1 P - Die Vermögenswerte könnten in Rahmen eines aufgrund dieses Gesetzes durchgeführten Verwaltungsverfahrens unter folgenden Voraussetzungen an den Staat X rückerstattet werden: - Sperrung gemäss Art. 2 RuVG 2 P Frühere vorläufige Sicherstellung der Vermögenswerte im Rahmen der Rechtshilfe Verfügungsmacht über die Vermögenswerte der politisch exponierten Person oder nahestehender Personen Aufgrund des Versagens staatlicher Strukturen keine Möglichkeit der Durchführung eines Rechtshilfeverfahrens Wahrung schweizerischer Interessen spricht für die Sperrung der Vermögenswerten - Einziehung gemäss Art. 5 ff RuVG 5 P Einziehung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens; keine Schwierigkeiten mit Begründung der Schweizer Jurisdiktion (kein Strafverfahren) Klage des EFD vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Einziehung des gesperrten Vermögenswerte erforderlich

Voraussetzungen der Einziehung: Vorherige Sperrung durch den Bundesrat Verfügungsmacht der politisch exponierten Person Unrechtsmässiger Erwerb der Vermögenswerte: Nach Art. 6 Abs. 1 lit. a und b RuVG besteht die Vermutung des unrechtmässigen Erwerbs der Vermögenswerte, wenn 1) während der Ausübung des Amts durch die politisch exponierte Person das Vermögen der Person, deren Verfügungsmacht die Vermögenswerte unterliegen, ausserordentlich stark gestiegen ist und 2) der Korruptionsgrad während der Amtszeit der politisch exponierten Person anerkanntermassen hoch war. Ein konkretes strafbares Verhalten in Zusammenhang mit dem Erwerb der Vermögenswerte muss nicht bewiesen werden. Nach Art. 6 Abs. 2 RuVG kann der Gegenbeweis geführt werden. - Rückerstattung gemäss Art. 8 ff RuVG 2 P Im Unterschied zu IRSG: Rückerstattung nur gebunden für Projekte von öffentlichem Interesse Nach einem zwischen der Schweiz und dem Herkunftsstaat abgeschlossenen Abkommen oder ohne Abschluss des Abkommens im Rahmen der durch den Bundesrat einseitig bestimmten Projekten. 5. Aufgabe: 15 Punkte I. Institut des freien Geleits 3 P - In vorliegenden Fall handelt es sich um einen Zeugen, für den die Gefahr besteht, dass gegen ihn im ersuchenden Staat ein Strafverfahren eingeleitet werden könnte bzw. ihm eine Verhaftung droht, wenn er sich entscheidet in die Schweiz einzureisen, um als Zeuge in einem gegen seinem Gegner geführten Strafverfahren auszusagen. - Um in solchen Fall das Risiko einer Saalverhaftung auszuschliessen, sollte man den Mandanten auf die Notwendigkeit der Erfüllung der Voraussetzungen für Zusicherung eines sog. freien Geleites (safe conduct) hinweisen. Hierbei handelt es sich um ein Institut des Rechtshilferechts, das gewährleisten soll, dass eine in den ersuchenden Staat (als Zeuge/Beschuldigter) vorgeladene Person für die vor der Abreise im ersuchenden Staat begangenen Taten im ersuchenden

Staat nicht belangt bzw. keinen Freiheitsbeschränkenden Massnahmen unterworfen werden darf. Zweck dieses Instituts ist zu gewährleisten, dass durch eine Vorladung einer Person im ersuchenden Staat als Zeuge/Beschuldigter die materiellen und formellen Voraussetzungen der Auslieferung nicht umgegangen werden können. Geschützt werden vor allem die Rechte des Vorgeladenen (keine Möglichkeit des Freiheitsentzugs bei der Umgehung der Auslieferungsvoraussetzungen) sowie auch die Souveränität des ersuchten Staates (Recht des Staates auf Entscheidung über Bewilligung/Nichtbewilligung einer Auslieferung). II. Rechtliche Grundlagen (Art. 12 EÜR; Art. 73 Abs. 1 IRSG) 3 P - Da es sich im Fall bei ersuchtem und ersuchendem Staat um Vertragsparteien des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (EÜR) handelt, findet Art. 12 EÜR Anwendung. - Das freie Geleit wird ebenfalls im Art. 73 Abs. 1 IRSG geregelt, der für Zwecke der Auslegung des Art. 12 EÜR herangezogen werden kann (BGE 104 Ia 462; Urteil des Bundesgerichts vom 14.7.2005 im Verfahren 1S.18/ 2005/ ggs E. 2.4). Nach Art. 12 EÜR darf ein Zeuge, gleich welcher Staatsangehörigkeit, der auf Vorladung vor den Justizbehörden des ersuchenden Staates erscheint, in dessen Hoheitsgebiet wegen Handlungen aus der Zeit vor seiner Abreise aus dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates weder verfolgt noch freiheitsentziehenden oder -beschränkenden Massnahmen unterworfen werden. Nach Art. 73 Abs. 1 IRSG darf eine Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, die in einer Strafsache auf Vorladung hin in der Schweiz erscheint ( qui en vient pour donner suite à une citation ) aus Gründen, die vor ihrer Einreise eingetreten sind, weder verfolgt noch in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt werden. III. Freies Geleit Voraussetzungen und Empfehlungen 9 P a. 6 P - Für die Gewährleistung des freien Geleits nach Art. 12 EÜR ist erforderlich, dass der A durch die Behörden des ersuchenden Staates (schweizerischen Behörden) als Zeuge in dem gegen G vor dem Bezirksgericht Zürich laufenden Strafverfahren vorgeladen wird. Damit Art. 12 EÜR Anwendung findet, muss also die Vorladung als Zeuge auf dem im EÜR vorgesehenen offiziellen

Rechtshilfeweg erfolgen. - Zu vermeiden sind inoffizielle Absprachen/Terminvereinbarungen mit den Behörden des Prozessstaates, die zur Vereinbarung eines Termins der Zeugenaussage unter Umgehung des offiziellen Rechtshilfewegs führen. - Laut der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung bestand zwar der safe conduct-schutz ebenfalls im Fall von Zeugen, die nicht auf dem Rechtshilfeweg vorgeladen worden sind (BGE 104 Ia 448 ff; 1P.289/1995 vom 17. Mai 1995). In Anbetracht der neueren, durch den EGMR bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil des Bundesgerichts vom 14.7.2005 im Verfahren 1S.18/ 2005/ ggs; EGMR vom 21.6.2011 - Adamov v. Schweiz) ist jedoch empfehlenswert auf jegliche informelle Absprachen mit den Behörden des Prozessstaates zu verzichten, da nicht eindeutig abgrenzbar ist, unter welchen Voraussetzungen bei informellen Vorladungen der Schutz des freien Geleits eingreifen sollte. - Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ebenfalls im Fall einer formellen Vorladung als Zeuge durch die Behörden zu beachten, dass für die Anwendung des Instituts des freien Geleits erforderlich ist, dass die Vorladung auf die Adresse im ersuchten Staat erfolgt. In Fällen einer Vorladung auf dem Hoheitsgebiet des Prozessstaates findet Art. 12 EÜR dagegen keine Anwendung (Urteil des Bundesgerichts vom 14.7.2005 1S.18/ 2005/ ggs E. 2.2). Es ist deshalb ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass wenn nach einer früheren Absprache mit den schweizerischen Behörden die Zustellung der Vorladung z.b. auf die inländische Adresse des lokalen Anwalts oder auf eine andere in der Schweiz angegebene Adresse erfolgte, der Schutz des freien Geleits aus Art. 12 EÜR nicht eingreifen würde. Zwischenfazit: Im vorliegenden Fall sollte man dem Mandanten deshalb ausdrücklich empfehlen, sich in die Schweiz zum Zwecke der Aussage in dem gegen seinem Konkurrenten geführten Strafverfahren ausschliesslich dann zu begeben, wenn ihm durch die schweizerischen Behörden auf dem Weg der Rechtshilfe eine Vorladung als Zeuge auf seine Adresse im ersuchten Staat zugestellt wird. b. 3 P - Es ist auch darauf hinzuweisen, dass im Fall einer rechtmässigen Vorladung als Zeuge auf dem Weg der Rechtshilfe für die Anwendung des freien Geleits erforderlich ist, dass die Einreise in den Prozessstaat ausschliesslich für Zwecke der Aussage als Zeuge im Strafverfahren erfolgt. - Der Schutz aus Art. 12 EÜR und Art. 73 Abs. 1 IRSG greift dagegen nicht ein,

wenn neben dem Zweck der Teilnahme am Strafverfahren auch geschäftliche/private Gründen bestehen, aus denen sich der Zeuge in den ersuchenden Staat begibt (Urteil des Bundesgerichts vom 14.7.2005 im Verfahren 1S.18/ 2005/ ggs E. 2.2. ff). Wenn der Zeuge zwar formell vorgeladen worden ist, sich aber ohnehin auch aus geschäftlichen/privaten Gründen auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates befindet, würde eine solche Konstellation ausserhalb des Anwendungsbereichs des freien Geleits fallen, da es sich nicht um eine Situation handeln würde, in welcher der Zeuge durch den ersuchenden Staat auf sein Territorium zwecks Verhaftung herausgelockt wurde. Die Souveränität des Herkunftsstaates wird in solchem Fall ebenso wenig beeinträchtigt wie die Rechte der betroffenen Person, die sich auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates begibt. Letztere muss berücksichtigen, dass sie nach freiwilliger Einreise dem Recht dieses Staates unterliegt und beispielsweise in ein Strafverfahren einbezogen werden kann. IV. Als Alternative zur freien Geleit: Einvernahme per Video- oder Telefonkonferenz - Als Alternative zur Vorladung des A als Zeuge im Verfahren gegen G könnte vorgeschlagen werden, dass die Einvernahme auf Antrag der Schweiz per Videokonferenz stattfindet. 3 ZP - Solche Einvernahme wäre nach schweizerischen Recht möglich, wenn das persönliche Erscheinen des Zeugen nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich ist (Art. 144 StPO). Das Vorliegen diesen Umständen müsste also entsprechen begründet werden. - Da sowohl die Schweiz als auch Bulgarien Vertragsstaaten des EÜR (samt Zusatzprotokoll II) sind, erfolgt die Einvernahme per Videokonferenz aufgrund des Art. 9 des Zusatzprotokolls II zu EÜR. Hier wäre nach Art. 9 Abs. 1 des Zusatzprotokolls II zu EÜR ebenfalls u.a. erforderlich, dass ein persönliches Erscheinen der einzuvernehmenden Person nicht zweckmässig oder möglich erscheint. - Die Einvernahme per Telefonkonferenz nach Art. 10 des Zusatzprotokolls II zu EÜR wäre dagegen nur möglich, wenn solche Form der Einvernahme im schweizerischen Recht vorgesehen wäre. Da es nicht der Fall ist, kann diese Form der Rechtshilfe nach Art. 10 des Zusatzprotokolls II zu EÜR von der Schweiz nicht beantragt werden. Fazit: Die Einreise in den ersuchenden Staat soll deshalb ausschliesslich zur Zwecke der Aussage als Zeuge in dem bestimmten Strafverfahren erfolgen.

Hierauf ist der Betroffene eindringlich hinzuweisen. Es könnte ebenfalls vorgeschlagen werden, dass die Schweiz die Rechtshilfe in der Form von Durchführung der Einvernahme per Videokonferenz beantragt. Insgesamt zu erreichende Punktzahl: 100 (+17 ZP)