Verhältnis zum nationalen Recht Vorrang des Europäischen Rechts verbietet eine Erlaubnis nach nationalem Recht Eingeschränkte Anwendung auch, wenn das Verbot zur Unterbindung europarechtlich zulässiger Vereinbarungen führen würde (EuGH Rs14/68, Walt Wilhelm) Regelung durch die VO 1/2003 Verpflichtung zur parallelen Anwendung beider Bestimmungen (Art 3 Abs1 VO 1/2003) Verbot abweichender Beurteilung auch im Fall einer Freistellung oder fehlender Wettbewerbsbeschränkung nach Art 101 AEUV Im Ergebnis Vorrang der Beurteilung nach Art 101 AEUV KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 91 Nationales Recht 1 KartG enthält eine Verbot, das inhaltlich mit Art 101 AEUV übereinstimmt: 1. (1) Verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle). Die Auslegung und die Beispieltatbestände ( 1 Abs2 KartG) entsprechen der europäischen Regelung des Art 101 AEUV 1 Abs 3 KartG enthält auch die Nichtigkeitsfolge Zulässigkeit unverbindlicher Preisempfehlung ( 1 Abs4 KartG), ansonsten deklarativer Charakter KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 92 1
Nationales Recht Ausnahme ( 2 Abs1 KartG) entspricht Art 101 Abs3 AEUV 2. (1) Vom Verbot nach 1 sind Kartelle ausgenommen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmern a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 93 Nationales Recht Ausnahmen nach 2 Abs2 KartG Z 1 Spürbarkeit ist Art 101 AEUV entsprechend auszulegen Z 2 Buchpreisbindung Z 3 Sog. Genossenschaftsprivileg entspricht Auslegung von Art 101 AEUV (EuGH Rs C-250/92, Gøttrup Klim) Z 4 Landwirtschaftliche Erzeugerbetriebe (entspricht eingeschränkter Anwendung auf Landwirtschaft) Freistellungsverordnungen 3 KartG sieht derartige Verordnungen vor, bisher nicht erlassen Anwendung der europäischen GVO KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 94 2
Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Art 102 AEUV Art 102 AEUV verbietet den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung beherrschende Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben Der Missbrauch muss geeignet sein, den Handel zwischen den MS zu beinträchtigen (Zwischenstaatlichkeitsklausel) vglart 101 AEUV Demonstrative Beispieltatbestände (Art 102 Satz 2 AEUV) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 96 3
Marktmachtkonzept Beherrschende Stellung in Bezug auf einen bestimmten Markt Marktabgrenzung als unabdingbare Voraussetzung Bestimmung des relevanten Markts in sachlicher Hinsicht (Produktmarkt) in räumlicher Hinsicht (räumlich relevanter Markt) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 97 Sachlich relevanter Markt Bedarfsmarktkonzept Austauschbarkeit aus Verbrauchersicht Sachlich relevant ist der Markt, in dem sämtliche Erzeugnisse zusammengefasst sind, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleich bleibenden Bedarfs eignen und mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Maß austauschbar sind (strsp etwa EuGH Rs322/81, Michelin/Kommission). Der sachlich relevante Produktmarkt umfasst alle jene Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die vom Verbraucher hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. (Bekanntmachung der Komm über die Definition des relevanten Marktes im Sinne der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, ABl 1997 C 372/5). KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 98 4
Sachlich relevanter Markt Hinreichenden Grad der Austauschbarkeit zwischen den Erzeugnissen im Hinblick auf die gleiche Verwendung: zbverschiedene hergestellte Vitamine bilden eigene Produktmärkte (EuGH Rs 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission). zbsachlich relevanter Markt der gegenüber Fluggesellschaften erbrachten Reisevermittlerleistungen durch Reisebüros (EuGH Rs C- 95/04 P, British Airways/Kommission) Möglicher Test: Verhalten bei geringfügiger, nicht unerheblicher Preiserhöhung (SSNIP-Test, small substantial nontransitory increase in price) uuweitere Faktoren (etwa Angebotssubstituierbarkeit, vgl dazu Bekanntmachung Komm aao Rz 13 ff) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 99 Räumlich relevanter Markt Innerhalb welchen Gebietssteht das zu prüfende Unternehmen mit anderen Unternehmen (Alternativangeboten) tatsächlich im Wettbewerb? Der räumlich relevante Markt ist das Gebiet, in dem die Produkte/Dienstleistungen angeboten werden und in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten aufgrund spürbar unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen unterscheidet (vgl ua EuGH Rs 27/76, United Brands/Kommission Rz 10/11; Bekanntmachung Komm aao Rz 8). KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 100 5
Binnenmarkt oder wesentlicher Teil Wesentlicher Teil des Binnenmarktes Beurteilung in sachlicher (Umfang der Produktion und des Verbrauchs) und in räumlicher Hinsicht(geographische Ausdehnung) relativ geringer Anteil am Gesamtmarkt reicht aus(vgl EuGH Rs 40 ua/73, Suiker Unie ua/kommission: unter 10% des Gesamtabsatzes) das gesamte Gebiet eines MS (vgl ua EuGH Rs 322/81, Michelin/Kommission), auch wesentliche Teile größerer MS (ua EuGH Rs 40 ua/73, Suiker Unie ua/kommission) einzelne Verkehrsknotenpunkte aufgrund des abgewickelten Verkehrs (bedeutende See- und Flughäfen, ua EuGH Rs C-179/90, Porto die Genova) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 101 Beherrschende Stellung Ausgangspunkt Zweck der Missbrauchsaufsicht Erhaltung wirksamen Wettbewerbs Die wirtschaftlichen Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. (strsp EuGH Rs 27/76, United Brands/Kommission Rz 63/66 ua). Unerheblich ist, auf welche Weise die beherrschende Stellung erlangt wird. KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 102 6
Beherrschende Stellung Kriterien Marktstruktur insbes Marktanteile besonders hohe Anteile begründen idr marktbeherrschende Stellung (> 70-75%) geringe Marktanteile schließen Marktbeherrschung idr aus (< 25 %) zwischen 25 %-70% sind idrzusätzliche Gesichtspunkte zu prüfen weitere Kriterien sind aktueller und potentieller Wettbewerb, Abstand zu Wettbewerbern und Nachfragemacht KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 103 Beherrschende Stellung Kriterien Unternehmensstruktur technologischer Vorsprung, Wirtschafts- und Finanzkraft Marktverhalten Verhalten des Unternehmens, das sich nur als Ausdruck des fehlenden Wettbewerbsdrucks erklären lässt KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 104 7
Missbräuchliches Verhalten Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs Ziele des Vertrags Beispielstatbestände des Art 102 EGV Beherrschende Stellung allein kein Vorwurf an das beherrschende Unternehmen Marktbeherrschende Unternehmen trifft nach der Rspaber eine besondere Verantwortung, den unverfälschten Wettbewerb nicht zu beeinträchtigen. KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 105 Missbräuchliches Verhalten Der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung ist ein objektiver Begriff. Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen. (strsp ua EuGH Rs 85/76, Hoffmann-La Roche Rz 91). KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 106 8
Fallgruppen Ausbeutungsmissbrauch Behinderungsmissbrauch (Marktstrukturmissbrauch) FKVO Die Fallgruppen stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern ergänzen und überschneiden einander. KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 107 Ausbeutungsmissbrauch Unangemessene Preise und Geschäftsbedingungen (Art 102 lita AEUV) Sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung (Art 102 litc AEUV) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 108 9
Unangemessene Preise und Bedingungen Preise Verhältnis zu Kosten Vergleichsmarktkonzept Missbräuchlich ist nur eine starke bzw eindeutige Überhöhung (zbeugh Rs395/87, Ministere Public/Tournier; EuGH verbrs110, 241, 242/88, Lucazeau ua/sacem; ergbehinderungseffekt: EuGH Rs226/84, British Leyland) Geschäftsbedingungen offensichtlich unbillig unter Abwägung der Interessen (vgl etwa EuGH Rs 127/73, BRT/SABAM II) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 109 Sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung Art 102 lit b AEUV nennt die Benachteiligung im Wettbewerb, das Diskriminierungsverbot ist aber nicht darauf beschränkt Art 102 AEUV untersagt nicht jede unterschiedliche Behandlung, sondern es ist auf die sachliche Rechtfertigungabzustellen (unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen): unterschiedliche Kosten, Wettbewerbsbedingungen (zb EuGH Rs 27/76, United Brands; EuGH Rs C-62/86, AKZO) Mengenrabatte, die auf der tatsächlich abgesetzten Menge beruhen (zb EuGHRs40ua/73, Suiker Unie ua) Mit Diskriminierung kann Behinderungsmissbrauch verbunden sein: va Treurabatte: zb EuGH Rs 322/81, Michelin; EuGH Rs C-163/99, Portugiesische Republik) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 110 10
Behinderungsmissbrauch Kampfpreisunterbietung (predatory pricing) Alleinbezugsverpflichtungen und Treurabatte Koppelungsgeschäfte (Art 102 lit d AEUV) Lieferverweigerung KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 111 Kampfpreisunterbietung (predatory pricing) Verdrängung von Wettbewerberndurch niedrige Preise, um die Stellung zu behalten oder zu verstärken LeadingCase: EuGH RsC-62/86, AKZO; vgl auch EuGH RsC-202/07 P, France Télécom: Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten(AVC) sind als missbräuchlich anzusehen. Preise, die über den durchschnittlichen variablen Kosten (AVC), aber unter den durchschnittlichen Gesamtkosten(ATC) liegen, sind missbräuchlich, wenn sie im Rahmen eines Plans festgesetzt werden, einen Mitbewerber zu verdrängen (weitere Nachweise erforderlich). Ebenfalls missbräuchlich kann eine selektive Preissenkungüber den Kosten sein (zbeugh verbrsc-395, 396/96 P, Compagnie maritime belge ua). KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 112 11
Alleinbezugsverpflichtungen und Treuerabatte Verpflichtung von Absatzmittlern ihren gesamten oder einen wesentlichen Teil ihres Bedarfs beim marktbeherrschenden Unternehmen zu decken Missbrauch, da den Abnehmern die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich gemacht wird und anderen Anbietern der Zugang zum Markt versperrt wird (strsp EuGH Rs 85/76, Hoffmann-La Roche; EuG Rs T-65/98, Van den Bergh) Unzulässig sind auch andere Verhaltensweisen, die dieselbe wettbewerbsbehindernde Wirkung haben (Treuerabatte) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 113 Koppelungsgeschäfte Verpflichtung zur Abnahme zusätzlicher Leistungen, die nicht mit dem Hauptgegenstand in Beziehung stehen (vgl Art 102 litd AEUV) Ausbeutungsgesichtspunkte und Behinderungseffekt: Einsetzen der Marktmacht auf einem weiteren nicht beherrschten Markt (EuG Rs T-30/89, Hilti; EuGH Rs C-333/94 P, Tetra Pak; EuG Rs T- 201/04, Microsoft) Voraussetzungen: beherrschende Stellung auf dem Markt der Hauptleistung getrennte relevante Märkte, zb Verpackungsmaschinen und Kartons (Tetra Pak aao), Bolzenschussgeräte, Bolzen und Kartuschen (Hilti aao), Betriebssystem und Media Player (Microsoft aao) die Verknüpfung ist nicht objektiv gerechtfertigt KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 114 12
Lieferverweigerung Elemente des Ausbeutungs- und/oder Behinderungsmissbrauchs Grundsätze Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen: Ein marktbeherrschendes Unternehmen darf die Belieferung eines Abnehmers nicht willkürlich einstellen, abzustellen ist auf objektive sachliche Rechtfertigung (vgl zb EuGH Rs 27/76 United Brands; EuGH Rs 6, 7/73, Commercial Solvents) KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 115 Lieferverweigerung Verpflichtung zur Aufnahme der Belieferung: wenn die Leistung unerlässlich ist, um auf einem bestimmten anderen Markt tätig zu werden, keine objektive sachliche Rechtfertigung für die Leistungsverweigerung besteht und es zur Ausschaltung des Wettbewerbs auf dem nachgelagerten Markt kommt. (Komm, 94/19/EG, Sea Containers/Sea Link, ABl1994 L 15/8; EuGH Rs6, 7/73, Commercial Solvents; zur Unerlässlichkeit insbesondere EuGH Rs C-7/97, Bronner/Mediaprint) essential facility doctrine KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 116 13
Lieferverweigerung Lizenzverweigerung an Immaterialgüterrechten: Im Ausgangspunkt gelten die dargestellten Grundsätze der Leistungsverweigerung. In Abwägung mit der Funktion des Immaterialgüterrechts tritt allerdings ein weiteres Merkmal hinzu: Die Lizenzverweigerung muss die Entstehung eines neuen Produkts oder einer neuen Leistung verhindern, das der Inhaber des Ausschließlichkeitsrechts nicht anbietet und nachdem eine potentielle Nachfrage besteht (EuGH Rs C- 418/01, IMS/NDC; frühere Fallpraxis: EuGH RsC-241, 242/91 P, RTE und ITP/Kommission (Magill); EuGRsT-504/93, Tiercé Ladbroke/Kommission; bereits stark abgeschwächt in Eug Rs T-201/04, Microsoft). KU Europäisches und österreichisches Kartellrecht Seite 117 14