Alltagsrelevante Diagnostik. Dr. Matthias Moriz Klinik am Stein Olsberg

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Transkript:

Dr. Matthias Moriz Klinik am Stein Olsberg

Aphasics probably communicate better than they talk. (Holland 1977, zit. n. Herrmann 1989) Alltagsrelevanz von Diagnostik und Therapie! ICF Struktur / neuro(psycho)physiologische Funktion impairment Aktivitätstyp disability Partizipation psychosoziale Folgen (Isolation / Bewältigung) Lebensqualität Sinnerleben

These 1: Die alltäglichen Auswirkungen einer Aphasie sind schwer vorhersagbar Situation (z.b. Telefon vs. face-to-face-gespräch, Eile vs. Ruhe) Person (Fremder vs. Vertrauter, Einstellung von A und GP, kommunikative Fähigkeiten von GP) Komplexität des Kommunikationsgegenstandes Schwankungen der kommunikativen Effizienz auch innerhalb eines Gesprächs

Korollar aus 1: Die Wirkung der Aphasietherapie in den Alltag von P hinein bleibt unbestimmt Messbarkeit der Sprachfähigkeit i.e.s. Messbarkeit der Kommunikationsfähigkeit qua Aktivitätstyp (klinisches Gespräch, Rollenspiel) Performanz im Alltag wird derzeit kaum bestimmt reelle Kommunikation Partizipation Lebensqualität individuelle Existenz des Patienten aktuell

These 2: Die folgenden Relationen sind nonlinear und multifaktoriell: Sprachfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Partizipation Partizipation Lebensqualität Lebensqualität Sinnerleben

Korollar aus 2: Jede Relationskomponente muss gesondert gemessen werden

These 3: Objektive Notwendigkeit der Optimierung der Kommunikationsfähigkeit von P für den Umgang Dritter mit P Pflege / Angehörige / andere Kliniker / Sonstige ((1) Kommunikationsfähigkeit Partizipation) (2) Kommunikationsfähigkeit P Unterstützbarkeit / Pflegbarkeit / Umgangsmöglichkeiten

Korollar 1 aus 3: Minimalaufgabe der Aphasietherapie ist die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit von P im Alltag (mindestens Pflegeumfeld Familie, Heim etc.)

Korollar 2 aus 3: Die Aphasiologie i.e.s. muss mithin (evaluieren) können die Sprachfähigkeit die Kommunikationsfähigkeit als Aktivitätstyp im Sinne der ICF die Kommunikationsfähigkeit im alltäglichen Gespräch (min. im Pflegeumfeld) Limit

Partizipation, Lebensqualität und Sinnerleben sind für die Aphasiologie i.e.s. zu weit und komplex; sie interagieren ferner mit schwer trennbaren Faktoren aus anderen Bereichen Interdisziplinarität Partizipation evtl. messbar mit soziologischen Verfahren Lebensqualität und Sinnerleben mit psychologischen / subjektwissenschaftlichen Verfahren

Präliminar zu These 4: Formen der aphasiologischen Messung der Kommunikationsfähigkeit: Globale Fremdbeurteilung* auf einer Skala (z.b. FIM, CETI) Gesprächsbasierte Fremdbeurteilung* standardisiertes Interview vs. freies Gespräch diverse Analysemethoden (z.b. ACSI, AAT-Spontansprache, (Varianten der) Konversationsanalyse Rollenspielbasierte Fremdbeurteilung* (z.b. ANELT, Scenario- Test) Selbstbeurteilung durch P Skala und/oder Fragebogen *(durch Profis oder Angehörige)

These 4: Die Konversationsanalyse ist die schlechteste Methode zur Messung der Kommunikationsfähigkeit von P

except for all those other forms, that have been tried from time to time

Korollar 1 aus 4: Aphasiediagnostik und -therapieevaluation erfolgt generell im Hinblick auf P s Kommunikationsfähigkeit generell gesprächsbasiert Empirie: ökologische Validität von gesprächsbasierten vs. rollenspielbasierten Kommunikationsdiagnostiken generell konversationsanalytisch ggf. ohne Transkription (vgl. transkriptionslose Konversationsanalyse als praktikable Variante (Armstrong et al. 2007)) möglichst alltagsnah => Konversationsanalyse bei P zuhause vgl. Auer & Bauer 2008 hier können provisorisch evtl. Angehörigenfragebögen eingesetzt werden die funktional relevanten Phänomene bilden den Ausgangspunkt für eine modellorientierte Interpretation

Der Dom steht in Köln!

Exkurs in die Erkenntnis- und Tugendlehre: Untersuchungen sind der Weg zu den Tatsachen (also den Erscheinungen und ihrem Wesen) (die Tatsachen brauchen wir, um Therapien planen und evaluieren zu können)

wichtige Tugenden von Untersuchungen sind methodische Sauberkeit klinische Praktikabilität

ihre Kardinaltugend aber ist: Gegenstandsadäquatheit

Korollar 2 aus 4: Die Methoden der Aphasiologie zur Evaluation alltäglicher Kommunikationsfähigkeit ist eine Schlüsselfähigkeit der Disziplin wir brauchen eine Task Force zur Optimierung dieser Methoden