Ansprache und Unterstützung Bildungsferner in der beruflichen Weiterbildung Verfasser: Helmut Kuwan / Dajana Baum

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Ansprache und Unterstützung Bildungsferner in der beruflichen Weiterbildung Verfasser: Helmut Kuwan / Dajana Baum 1. Forschungsergebnisse zum Weiterbildungsverhalten und zum Unterstützungsbedarf von Bildungsfernen Wie die Ergebnisse aktueller Repräsentativbefragungen zeigen, gilt in Deutschland für die Beteiligung an beruflicher Weiterbildung noch immer das Matthäus-Prinzip Wer hat, dem wird gegeben. Vor allem Personen mit formal niedriger schulischer oder beruflicher Vorqualifikation nehmen viel seltener als andere an Weiterbildung teil. Obwohl in der mittelfristigen Perspektive der Anteil der Personen ohne beruflichen Abschluss tendenziell zurückgeht, wäre die Vermutung, dass sich dieses Problem in Zukunft zum großen Teil von selbst, also ohne zusätzliche Unterstützung, erledigen wird, ein Trugschluss. Bildungsexperten erwarten eher das Gegenteil: So sieht die Mehrheit der im deutschen Bildungs-Delphi befragten Experten das Risiko eines zunehmenden Knowledge-Gap zwischen Personen, die über immer mehr Wissen verfügen und bildungsfernen Gruppen, die immer mehr den Anschluss verlieren. 1.1. Erfolgsbedingungen und Barrieren für die Ansprache bildungsferner Gruppen Das weitgehend akzeptierte Ziel, bildungsferne Gruppen für eine Teilnahme an Weiterbildung zu gewinnen, ist in der Praxis schwer umzusetzen. Die zentrale Frage lautet: Wie kann man eine Zielgruppe gewinnen, deren Haltung zu Weiterbildung reserviert oder manchmal sogar ablehnend ist? Herkömmliche Ansätze des Bildungsmarketings stehen hier vor einem großen Problem, zumal es die Bildungsfernen nicht gibt, sondern verschiedene Teilgruppen mit spezifischen Bedürfnissen. Trotz dieser Einschränkung lassen sich einige Bedingungen identifizieren, die für eine erfolgreiche Ansprache der meisten Personen aus dieser Gruppe entscheidend sind (vgl. Kuwan 2005). Bei Erwerbstätigen ist hier als erstes die Bereitstellung arbeitsintegrierter Angebote zu nennen, da das Interesse bildungsferner Erwerbstätiger an der Aufnahme einer beruflichen Aus- oder Weiterbildung entscheidend davon abhängt, inwieweit sie glauben, damit für den Arbeitsmarkt relevante Kenntnisse oder Abschlüsse zu erwerben. Die beobachtete Distanz zum Lernen relativiert sich etwas, wenn man informelle berufliche Lernprozesse betrachtet (vgl. Baethge / Baethge-Kinsky 2002). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, durch eine Kombination von Arbeiten und Lernen die Anregungspotenziale der Arbeitssituation für diese Zielgruppe zu nutzen. Wie eine Analyse von Erfolgsbeispielen zeigt, bedarf es dazu dreierlei: eines unterstützenden Lernumfeldes im Betrieb; einer professionellen Unterstützung durch speziell qualifizierte feste betriebliche oder außerbetriebliche Betreuer, die über Erfahrungen im Umgang mit Lernschwierigkeiten verfügen; der Möglichkeit zur Zertifizierung informell erworbener Kenntnisse, die andernfalls bei einem Arbeitgeberwechsel oft nicht verwertet werden können. Eine weitere wichtige Erfolgsvoraussetzung ist eine individuelle, aufsuchende Beratung, die in einer vertrauten, alltäglichen Lebenssituation erfolgen sollte, bei bildungsfernen Erwerbstätigen also z.b. im Betrieb. Eine persönliche Ansprache am Arbeitsplatz ermöglicht es außerdem, den Bezug zur beruflichen Situation zu verdeutlichen und gezielt auf Angst vor Misserfolg einzugehen, die sich bei näherer Betrachtung als eine der zentralen Weiterbildungsbarrieren erweist. Insbesondere ältere Befragte sind sich manchmal unsicher, ob sie mit den Jüngeren in einer Lerngruppe mithalten können. Für bildungsferne Gruppen sollten niedrigschwellige Bildungsangebote konzipiert werden. Dazu gehören vor allem drei Aspekte: ein einfacher, unbürokratischer Zugang zu Beginn einer Maßnahme, keine Eingangsprüfung mit dem Risiko des Scheiterns sowie eine gute Erreichbarkeit des Lernortes. Erforderlich sind außerdem adressatengerechte Maßnahmen, bei denen berufliches Lernen in einer Form erfolgt, die nicht an schulische Misserfolge anknüpft. Dabei kann regelmäßiges Feed-back über

erreichte Fortschritte im Sinne eines persönlichen Coachings eine wichtige Orientierungshilfe sein. Als problematisch erweisen sich Maßnahmen, in denen Erwachsene und Jugendliche gemeinsam lernen. Last not least sind unterstützende Strukturen wichtig. Je nach Zielgruppe lauten hier die Stichworte: ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eine familienorientierte Organisation beruflicher Bildungsangebote mit hoher zeitlicher Flexibilität, gute regionale Erreichbarkeit, eine attraktive Gestaltung von Finanzierungsaspekten sowie spezielle Angebote für Migranten. 1.2 Chancen durch neue Konzepte Wie die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Ansprache bei dieser Zielgruppe nicht in erster Linie im Bildungsmarketing. Chancen ergeben sich primär durch neue Konzepte. Für Erwerbstätige sind vor allem zwei Ansätze zu nennen, die beide in der gewohnten Arbeitsumgebung ansetzen: die modulare berufliche Nachqualifizierung Erwerbstätiger; das Konzept des Bildungs-Coachings. Beim Modell einer modularen beruflichen Nachqualifizierung Erwerbstätiger werden im Prozess der Arbeit erworbene Kenntnisse zertifiziert und mit darauf aufbauenden Modulen kombiniert, die sukzessive bis zu einem anerkannten Berufsabschluss führen. Besonders bedeutsam ist für bildungsferne Personen, die in der Vergangenheit mit Lernen häufig Misserfolgserlebnisse verbinden, dass dieses Konzept relativ rasch erste Erfolgserlebnisse im Lernprozess ermöglicht. Merkmale einer modularen, arbeitsintegrierten beruflichen Nachqualifizierung (1) (2) (3) (4) (5) Basiselemente des Konzepts: Zertifizierung von Kenntnissen, die in der Arbeit erworben wurden (arbeitsintegriertes Angebot) Kombination mit darauf aufbauenden Modulen Ziel: Anerkannter Berufsabschluss Individuelle, aufsuchende Beratung am Arbeitsplatz Niedrigschwelliges Angebot: Lernen in der gewohnten Umgebung am Arbeitsplatz Anknüpfen an vorhandene Kenntnisse Modularisierung erleichtert rasche Erfolgserlebnisse. Arbeitsintegriertes Lernen unterscheidet sich von negativen Schulerfahrungen. Fazit: Kein Patentrezept, aber neue Chancen für "bildungsferne" Erwerbstätige Zielgruppenmarketing in der Weiterbildung, Kloster Benediktbeuern 2005 Helmut Kuwan, München 8 Auch das Konzept des Bildungs-Coachings setzt am Arbeitsplatz an. Bildungs-Coaches können bildungsferne Personen im Betrieb ansprechen und gezielt beraten. Dies setzt genaue Informationen über die Inhalte und den Schwierigkeitsgrad des geplanten Lernprozesses voraus sowie eine realistische Einschätzung, dass die Zielperson in der Lage ist, diese Anforderungen zu bewältigen. Für manche bildungsferne Personen kann dies durch eine Vertrauensperson vermittelte Zutrauen, dass

man die Anforderungen bewältigen wird, ein Anlass sein, den Beginn eines Lernprozesses zumindest einmal zu versuchen, insbesondere dann, wenn die sonstigen Zugangsbarrieren eher gering sind. Durch die Anbindung an die Arbeitsumgebung und die derzeitige Tätigkeit kann außerdem auch besser aufgezeigt werden, dass berufliche Bildung nicht mit früheren, überwiegend negativ besetzten schulischen Bildungserfahrungen gleichzusetzen ist, sondern anwendungsbezogen und anschaulich sein kann. Da ein Lernen in der gewohnten Umgebung Zugangsbarrieren verringert, bietet der Lernort Betrieb in dieser Hinsicht für Erwerbstätige bessere Voraussetzungen als eine außerbetriebliche Trägerschaft. Beide hier skizzierten Modelle scheinen gute Chancen zu bieten, bisher nicht erreichte Zielgruppen anzusprechen, wobei die Reichweite beider Ansätze allerdings auf Erwerbstätige begrenzt bleibt. In einer umfassenderen Perspektive, die auch die Zielgruppe der Nicht-Erwerbstätigen sowie die allgemeine Weiterbildung einschließt, sind diese Konzepte deshalb lediglich als wenn auch wichtige - Bausteine anzusehen, die durch Maßnahmen für andere Zielgruppen zu ergänzen wären. Beispiele hierfür sind die nachfolgend beschriebenen Angebotsentwürfe des Bildungswerkes der Erzdiözese Köln sowie des Bildungszentrums Nürnberg, die sich primär an einen nicht im Berufsleben integrierten Personenkreis wenden. 2. Praxisbeispiele Das Projekt "ImZiel" (Systematische Entwicklung und Implementierung von zielgruppenspezifischen Angebotssegmenten in Einrichtungen der Erwachsenenbildung), in dessen Rahmen die zwei im Folgenden vorgestellten Kursentwürfe für bildungsferne Zielgruppen entwickelt wurden, baut auf der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie "Soziale und Regionale Differenzierung von Weiterbildungsverhalten und Weiterbildungsinteressen" (2001-2003) auf. Basierend auf dem Modell der sozialen Milieus nach Sinus Sociovision (vgl. www.sinus-milieus.de), entstand eine Landkarte des gesamtdeutschen Weiterbildungsmarktes aus Sicht der Adressaten. Die folgende Abbildung zeigt die gegenwärtige Milieustruktur der BRD (Stand: 2004): Ebenso charakteristisch, wie sich die verschiedenen sozialen Milieus in ihren Einstellungen zu Arbeit, Freizeit oder Familie unterscheiden, sind bei ihnen auch unterschiedliche Vorlieben und Abneigungen in Bezug auf Weiterbildung auszumachen. Diese Präferenzen können zu zielgruppen- bzw. milieuspezifischen "Profilen" verdichtet werden. Die Auswahl von Weiterbildungsveranstaltungen variiert sehr stark mit der jeweiligen Milieuzugehörigkeit. Hier setzt das Projekt ImZiel (www.imziel.de) an. In Kooperation mit mehreren großen Weiterbildungsträgern werden derzeit neue Angebotssegmente exemplarisch entwickelt, die auf Weiterbildungsinteressen oder barrieren gezielt zugeschnitten sind.

2.1 Das erste Lebensjahr ein Eltern-Kind-Kurs nach Emmi Pikler für Konsum- Materialisten Das Kurskonzept Das erste Lebensjahr ist ein originäres Produkt des Bildungswerkes der Erzdiözese Köln. Bislang richtet es sich in erster Linie an die Bürgerliche Mitte, den statusorientierten modernen Mainstream. Ziel ist es, die Kursgestaltung an die Bedürfnisse und Ansprüche der Konsum- Materialisten - der stark materialistisch geprägten Unterschicht - anzupassen. Dem tendenziell niedrigen Einkommen in diesem Bevölkerungssegment entsprechend, ist eine Reduktion der Kursgebühren unvermeidbar. Hier müssen auch in Kooperation mit anderen sozialen Diensten alternative Finanzierungsmodelle entwickelt werden. Anvisiert ist, den Betrag pro besuchter Kurseinheit zu erheben und nicht als Pauschalgebühr für den ganzen Kurs im Vorfeld einzuziehen. Bei der Werbung wird auf Schlüsselbegriffe wie einfacher Erziehen - zufriedenes Baby gesetzt, um negativen Bildungserfahrungen entgegenzuwirken und den Nutzen für das tägliche Leben zu betonen. Der Kurs soll von den angesprochenen Müttern als Erleichterung, nicht als zusätzliche Belastung erlebt werden. Geplant ist darüber hinaus ein Aufbrechen der starren Anfangs- und Endzeiten ( offener Treff ). In der Produktklinik, die in Form einer Gruppendiskussion mit weiblichen Angehörigen der Zielgruppe in Köln stattfand, wurde der Kursablauf (Begrüßung im Raum, freies Spielen der Kinder, Beobachtung, Entspannungsphase, Erörterung von Erziehungsfragen, gemeinsames Singen und Spielen von Müttern und Kindern, Abschied) im Einzelnen beurteilt. Insgesamt war die Resonanz sehr positiv. Einige Prämissen mussten jedoch korrigiert werden. So wurde die ausführliche, individuelle Begrüßung jeder einzelnen Mutter mit Kind durch die Kursleiterin zu Beginn des Kurses als kontrollierender Eingriff erlebt. Erst wenn die Phase der Vertrauensbildung abgeschlossen ist, stößt diese Form der Begegnung auf Akzeptanz. Abgelehnt wurde auch der offene Anfang; statt dessen wurde ein gemeinsamer Beginn in Form eines Eingangsliedes mit Nennung der Kindernamen favorisiert. Damit verbunden ist der Wunsch, als Person wahrgenommen und respektiert zu werden. Informationen darüber, wer den Kurs leitet, wie sich die Teilnehmerschaft zusammensetzt, sind wichtig und dienen dazu, Schwellenängste abzubauen. Man will wissen, worauf man sich einlässt. Theoretische Inhalte zu Babypflege, Ernährung, Haushalt etc. sind durchaus gewünscht, dürfen den sozial-kommunikativen Charakter des Kurses jedoch nicht überlagern. In diesem Sinne wurde der neu entwickelte Werbeflyer eindeutig bevorzugt. Die Textlastigkeit des Flyers für die Bürgerliche Mitte und die in ihm enthaltenen Informationen zum Emmi-Pikler-Ansatz hingegen wurden kritisiert: Da hat man das Gefühl, das eigene Kind sei defizitär. Ausschlaggebend für die Zielgruppe, das Kursangebot wahrzunehmen, ist primär die neue Erfahrung der Mutterschaft. Der Eltern-Kind-Kurs, der Basiswissen für das Leben mit dem Kleinkind vermittelt, bietet auf niedrigschwelligem Niveau die Möglichkeit, negative Bildungserfahrungen durch positive Erlebnisse zu ersetzen und auch andere Kursangebote der Einrichtung ins Blickfeld dieser bildungsfernen Zielgruppe zu rücken. 2.2 Erste Hilfe für Haus und Hof ein Hausmeisterlehrgang für Traditionsverwurzelte Der vom Bildungszentrum Nürnberg entwickelte Kurs richtet sich an die Zielgruppe der Traditionsverwurzelten. Im Fokus stehen ältere Langzeitarbeitslose (SGB II, ALG II) und aus dem Berufsleben ausgeschiedene Personen mit handwerklichem Geschick sowie interessierte Heimwerker. Die Teilnehmer sollen befähigt werden, in größeren Wohneinheiten qualifizierte Hausmeisterdienste auszuüben, kleinere Reparaturen durchzuführen sowie Haus und Garten in Abwesenheit der Eigentümer zu versorgen. Der Kurs soll es den Absolventen ermöglichen, sich als Dienstleister allein oder in einer Kooperative selbständig zu machen. In Zusammenarbeit mit mittelständischen Handwerksfirmen werden die theoretischen und praktischen Kenntnisse vermittelt, die für fachgerechte Kleinreparaturen in den Bereichen Elektro-, Sanitär, Heizungsinstallation, Holz- und Maurerarbeiten, Reinigung und Gartenpflege nötig sind. Darüber hinaus werden die Teilnehmer in den Bereichen Existenzgründung,

Steuerliche Grundlagen, Kommunikation und Marketing geschult. Die insgesamt dreimonatige Ausbildung gliedert sich in einen zweimonatigen theoretischen und praktischen Unterrichtsteil, an den sich ein einmonatiges Praktikum bei Hausverwaltungen, Hausmeisterdiensten oder in einem der beteiligten Ausbildungsbetriebe anschließt. Die Bewertung des Kursdesigns im Rahmen der Produktklinik durch die befragten männlichen Traditionsverwurzelten war durchweg positiv. Das inhaltliche Anknüpfen an vorhandene persönliche Fähigkeiten, das didaktische Konzept mit der Betonung haptisch-taktiler Lernreize und dem Einsatz der Vier-Stufen-Methode (Erklären, Vormachen, Mitmachen, Alleine machen) stieß auf breite Zustimmung, da es dem gewohnten informellen Erwerb der eigenen Fertigkeiten durch Mittun und Anleitung während der Arbeit entspricht. Die pragmatische, alltagsorientierte Ausrichtung des Kurses mit dem klar herausgestellten Ziel der beruflichen Verwertbarkeit spricht das milieutypische Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein an. Als problematisch erweisen sich aber auch hier die Teilnehmergebühren, die für 192 Unterrichtseinheiten mit 830 kalkuliert sind. Die Bereitschaft, eigenes Kapital, das Ersparte anzugreifen, ist bei den Traditionsverwurzelten begrenzt, zumal bei knappen finanziellen Ressourcen man scheut das Risiko. Daher bemüht sich das Bildungszentrum Nürnberg um Sponsoren sowie die Aufnahme in die Bildungszielplanung für SGB II. 3. Kurzbeschreibung der Workshopergebnisse Ein gemeinsames Merkmal erfolgreicher Ansätze zur Ansprache von bildungsfernen Personen besteht häufig gerade darin, dass die Zielgruppe nicht direkt von Weiterbildungseinrichtungen angesprochen wird, sondern auf Umwegen. Wegen dieses Billardeffektes gelten die üblichen Gesetze des Bildungsmarketings nur sehr bedingt. Deshalb wurden die allgemeinen Fragestellungen an die Situation der Zielgruppe angepasst und bezogen sich vor allem auf drei Hauptaspekte: 1. Was sind die zentralen Weiterbildungsbarrieren dieser Zielgruppe? 2. Was sind die besonderen Merkmale Erfolg versprechender Ansätze? 3. Wer finanziert bestehende Ansätze? Wer kommt als Finanzier für geplante Ansätze in Frage? Da diese Fragen in Abhängigkeit von der konkreten Zielgruppe variieren, wurde in der Gruppenarbeit anhand von zwei Beispielen (benachteiligte Jugendliche; Alleinerziehende) exemplarisch nach Wegen der Ansprache gesucht. Im Ergebnis lassen sich die zentralen Barrieren mit folgenden Schlagworten umschreiben: Schwellenängste, Perspektivlosigkeit, fehlende Nutzenerwartung in persönlicher und beruflicher Hinsicht, negative Lernerfahrungen, geringe Bildungsaffinität im sozialen Umfeld, familiäre und berufliche Problemakkumulation, Informationsdefizite usw. Erfolg versprechende Ansätze zeichnen sich auch durch eine Balance zwischen praxisorientiertem Fordern und Fördern aus. Die Kosten für Weiterbildungsangebote sollten angesichts tendenziell geringer Haushaltseinkommen niedrig gehalten werden, aber nicht gänzlich entfallen ( Was nichts kostet, ist auch nichts ). Gerade bei bildungsfernen Zielgruppen ist die Mund-zu-Mund-Propaganda ein wichtiges Marketinginstrument. Der Aktivierung des sozialen Umfeldes ( Ich tät mich schon aufraffen, wenn mal jemand mitginge ) sowie der Netzwerkbildung der Betroffenen kommt ebenfalls eine Schlüsselfunktion zu. Bildungsmarketing sollte daher vor allem über indirekte Ansprachewege erfolgen. Als Multiplikatoren kommen dabei verschiedene Gruppen in Frage: persönliche Ansprechpartner bei Ämtern oder öffentlichen Institutionen, bei Verbänden und Vereinen vor Ort usw. Die Finanzierung stellt sich bei Angeboten für diese Zielgruppe als besonders schwierig dar. In Einzelfällen gelingt es, Unterstützung von Sponsoren zu erhalten. Auch durch Beiträge lassen sich in begrenztem Umfang Einnahmen erzielen, doch sollten diese aus den o.g. Gründen niedrig bleiben. Alles in allem handelt es sich hier um ein Segment der Weiterbildung, das trotz aller Anstrengungen zur Verbesserung zielgruppenadäquater Angebote auch mittelfristig auf die Unterstützung durch öffentliche oder private Geldgeber angewiesen und nicht marktfähig sein wird. Auf absehbare Zeit lässt sich eine stärkere Gewinnung bildungsferner Gruppen für die Weiterbildung nur erreichen, wenn diesem Ziel eine hohe Priorität als öffentliche bildungspolitische Aufgabe gegeben wird.

Literaturhinweise Baethge, M./ Baethge-Kinsky, V. (2002): Arbeit die zweite Chance. Zum Verhältnis von Arbeitserfahrungen und lebenslangem Lernen. In: Arbeitsgemeinschaft QUEM (Hrsg.): Kompetenzentwicklung 2002. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur (S. 69-140). Münster/New York/München/Berlin. Barz, H. / Tippelt, R. (2004): Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland, 2 Bde., Bielefeld Kuwan, H.: Weiterbildung von Bildungsfernen.. Empirische Ergebnisse und bildungspolitische Empfehlungen, AMS-Sammelband Wien 2005 (im Erscheinen) Angaben zu den Verfassern: Helmut Kuwan Leiter von Helmut Kuwan, Sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung München. Anschrift: Helmut Kuwan, Sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung München, Clemensstraße 26, 80803 München. Tel. 089/5600-1361; E-Mail: Helmut.Kuwan@HK-Forschung.de Dajana Baum Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Erziehungswissenschaftlichen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Anschrift: Dajana Baum, Heinrich-Heine-Universität, Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement, Universitätsstraße 1, 40225 Düsseldorf. Tel. 0211/81-12085; E-Mail: baumd@phil-fak.uni-duesseldorf.de