DIE PÄDAGOGIK DER UNTERDRÜCKTEN (1970)

Ähnliche Dokumente
Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Kurzreferat: Daniel Neunheuser, Tuan Anh Pham

PÄDAGOGIK DER UNTERDRÜCKTEN NACH PAULO FREIRE PRÄSENTATION VON JASMIN KLEIN UND TALINA MOTZ

Paulo Freire Grundzüge der Pädagogik der Unterdrückten

Das dialogische Prinzip nach Martin Buber Freires Menschenbild Pädagogik der Unterdrückten

Grundzüge der Pädagogik der Unterdrückten von Freire. Von Sophia Fergen und Marlene Wendland

ERKENNEN VON UND UMGEHEN VON PROBLEMEN

PAULO FREIRE GRUNDZÜGE DER PÄDAGOGIK DER UNTERDRÜCKTEN

DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.

Paulo Freire. - Pädagogik der Unterdrückten - Die Beendigung der Kultur des Schweigens in Anwendung bei Flüchtlingskindern

Protokoll vom

Protokoll vom

Die Methode von Paulo Freire

Freires Menschenbild

Dialogisches Prinzip nach Buber. Von Dennis Hölzle und Andreas Kempf

Stundenprotokoll vom Protokollanten: Frederike Göke, Saphira Bartel

Protokoll vom

Zentrale Fragen zu Freires Pädagogik der Befreiung

Protokoll vom

JOURNAL FÜR ENTWICKLUNGSPOLITIK

Eine Welt schaffen, in der es leichter sein wird, zu lieben

Stundenprotokoll Lebensproblemzentrierter Unterricht (Modul 8.2)

Protokoll zu der Sitzung am

UNSERE WERTE UND GRUNDÜBER- ZEUGUNGEN

Protokoll der Sitzung am

Individuen Interessen Interaktion

Sicherer, nicht sinnvoll bezweifelbarer Ausgangspunkt des Denkens: Ich existiere.

Mündigkeit und Urteilsfähigkeit erlangen durch Pioniere der Aufklärung. von Fiona Luginger

UNSER GEMEINSAMES SPIEL:. - DU BIST EIN KIND, - DU BIST EIN TEIL EINER GRUPPE VON MENSCHEN UM DICH. -

Prof. Dr. Mouhanad Khorchide

Vorwort Projekt Erziehung ERSTES KAPITEL: Platon oder: Wo liegt der Anfang der Erziehung?... 19

Inhalt. Vorwort Projekt Erziehung ERSTES KAPITEL: Platon oder: Wo liegt der Anfang der Erziehung?... 19

Individuen Interessen. Interaktion

Uwe Schulz SELBSTBESTIMMUNG UND SELBSTERZIEHUNG DES MENSCHEN

ERZIEHUNG GELINGT. Wenn Sie diese 11 Punkte beachten. Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel. J.W.

KULTURINSTITUT KOLPING. Unser pädagogisches Projekt

Ein Recht auf Arbeit für Kinder!

WINFRIED BÖHM ERNESTO SCHIEFELBEIN SABINE SEICHTER. Projekt Erziehung EIN LEHR- UND LERNBUCH FERDINAND SCHÖNINGH. Paderborn München Wien Zürich

"V -WAS NOCH FEHLT":

Offener Unterricht Das Kind soll als Subjekt erkannt und respektiert werden.

Auseinandersetzung geben möchte, indem im öffentlichen Raum Szenen gespielt werden, von denen allein die Schauspieler wissen, dass sie Theater sind

Religionsunterricht wozu?

Dialogische Prinzipien und Lernmodelle von Buber, Freire, Ruf und Gallin. Lebensproblemzentrierter Unterricht Eva Tracht

"DER GEISTRUF IN DEN RAUM":

DAS WERDEN DES MENSCHEN AM GEGENÜBER FÜR ALLE

Zum Selbstverständnis der (Sport)Pädagogik 1

1 Theoretische Grundlagen

Unser Leitbild. Katholische Kindergärten St. Thomas Morus und St. Johann Ludwigsburg

1. Politik und (Sozial)Pädagogik

Wie Beziehung Kinder und Erwachsene stark macht

Förderung von Selbst- und Sozialkompetenz (2)

NEUE LEBENSGESTALTUNG IN CHRISTUS

Maria Montessoris Pädagogik als religiöse Erziehung

Ich lasse Dich gehen

Warum ist es wichtig, sich selbst zu kennen? Seite 9. Wer bin ich? Seite 11. Wie nehmen wir unsere Umwelt und uns selbst wahr?

Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu". Schein und Wirklichkeit

Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Seminar: Lebensproblemzentrierter Unterricht. Dozentin: Frau Dr. Lütjen

Das Dialogische Lernmodell. bearbeitet von Johanna Franken & Nina Wickel

Klemens Schaupp. Ein spiritueller Übungsweg. echter

DAS DIALOGISCHE LERNMODELL DAS PROFITIEREN DER KINDER VONEINANDER

MARTIN BUBER DAS DIALOGISCHE PRINZIP

Resilienzprofil. Grundhaltungen

3. Modelle und Konzepte der Erwachsenenbildung

Inhalt. I. Historischer Rückblick Die deutsche Pädagogik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

DE-CODER: NACH BARBARA MARCIANIK:

Die Existenzweise des Habens ist wesentlich einfacher zu beschreiben, als die

Eigenschaften der Seele

Leseprobe S. 2, 12-17

Albert Camus Der Mythos von Sisyphos in Thesen

LOVEREVOLUTION DIE KUNST LEBENDIGER BEZIEHUNG

VOM BILD VOM KIND ZUR BEZIEHUNG ZUM KIND

Dialogische Haltung in Zusammenarbeit mit Eltern

KULTURSCHÖPFER:. - "RÜCKSCHRITT" UND "FORTSCHRITT" FINDEN IHREN SINN "IN DER BEOBACHTUNG EINER SICH STETS VERÄNDERNDEN EINHEIT - DER ZEIT.

PÄDAGOGIK / PSYCHOLOGIE

1) direktes Mobbing - körperliche Handlungen - verbale Handlungen geschieht in der Öffentlichkeit

Vielfalt begegnen ein Haus für alle Kinder. Begegnungen und Erfahrungen mit Vielfalt reflektieren

Leitbild der KiTa Aller-Hand der katholischen Kirchengemeinde St. Remigius

Inhaltsverzeichnis. Bibliografische Informationen digitalisiert durch

DENKEN : DIE GROSSEN FRAGEN DER PHILOSOPHIE

Das Fach Praktische Philosophie wird im Umfang von zwei Unterrichtsstunden in der 8./9. Klasse unterrichtet. 1

Leitbild des Max Mannheimer Studienzentrums

Was ist ein systemisches Coaching?

FREIHEIT ZWEI FREIHEITSBEGRIFFE DER TEMPEL DES SARASTRO (1), 34-36

Traumapädagogik als Pädagogik der Selbstbemächtigung von jungen Menschen Wilma Weiß

Protokoll zur Sitzung am Lebensproblemzentrierter Unterricht

PROTOKOLL ZUM SEMINAR LEBENSPROBLEMZENTRIERTER UNTERRICHT

1.3 Gottes Ideal für den Menschen

GESUNDHEIT IST KOPFSACHE

GGWD Gemeinschaft Gebet und Wort Deutschland e. V. Cahenslystr. 9a I Limburg I I

Du kannst dein Leben nicht verlängern noch verbreitern, nur vertiefen. -Gorch Fock

Die Wissenschaft von der Erziehung

ERINNERUNGSKLONE: - FAKT IST UND BLEIBT:

Schulinternes Curriculum für das Fach Philosophie

Ein gemeinsames Führungsverständnis aufbauen

Schulinterner Lehrplan Philosophie

ENTWICKLUNGSLOGISCHE DIDAKTIK. Nach Georg Feuser

Transkript:

DIE PÄDAGOGIK DER UNTERDRÜCKTEN (1970)

Inhalt Zur Person Bankiers-Methode Bewusstseinsentwicklung Problemformulierende Bildung Menschenbild

Zur Person am 19. September 1921 in Recife geboren starb am 2. Mai 1997 in São Paulo Familie war Opfer der Weltwirtschaftskrise Erfahrung des Hungerns Kampf gegen den Hunger wurde zunächst Rechtsanwalt; erkannte: Recht = das Recht der Eigentümer gab den Beruf auf und wurde Lehrer Paulo Freire

Bankiers-Methode. Das Bankiers-Konzept beruht auf der Voraussetzung einer Spaltung zwischen Mensch und Welt: der Mensch ist nur in der Welt, aber nicht mit der Welt oder mit anderen. Der Mensch ist Zuschauer, nicht Neuschöpfer. In dieser Sicht ist der Mensch nicht ein bewusstes Wesen, vielmehr ist er Besitzer eines Bewusstseins: eines leeren Sinnes, der dem Empfang von Einlagen an Wirklichkeit aus der Außenwelt passiv offen steht. (Freire, Pädagogik der Unterdrückten. S. 60f.)

Je vollständiger er die Behälter füllt, ein desto besserer Lehrer ist er. Je williger die Behälter es zulassen, dass sie gefüllt werden, um so bessere Schüler sind sie. [Freire, Pädagogik der Unterdrückten. S. 57] sind von der Wirklichkeit losgelöst, ohne Verbindung zu einem größeren Ganzen, das sie ins Leben rief und ihnen Bedeutung verleihen könnte. Worte sind ihrer Konkretheit entleert und werden zu einem hohlen, fremden und entfremdeten Wortschwall (Freire, Pädagogik der Unterdrückten. S. 57)

Drei Bewusstseinsstufen Bewusstseinsentwicklung in drei Stufen naiv-transitives Bewusstsein semi-transitives Bewusstsein kritisch-transitives Bewusstsein =>Freires Ziel: Bevölkerung soll die dritte Bewusstseinsstufe erreichen

Wenn der Mensch, gleichzeitig auf sich selbst und auf die Welt reflektierend, den Radius seiner Erkenntnis vergrößert, beginnt er seine Beobachtungen auf zuvor durchaus unauffällige Phänomene zu richten (Freire 1985, S. 66)

Es gibt keine andere als politische Pädagogik, und je unpolitischer eine Pädagogik sich versteht, desto gefährlicher sind ihre politischen, ihre herrschaftsstabilisierenden Wirkungen. [ ] Es kann nur darum gehen, welche Politik ein Erzieher macht, die der Unterdrücker oder die der Unterdrückten (Lange 1985, S. 17)

Grundsatz Fereires Pädagogik: Erziehung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein Instrument zur Befreiung des Menschen, oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung seiner Abrichtung für die Unterdrückung (Lange 1985, S. 13)

Die Alternative problemformulierende Bildung bzw. Problemformulierender Dialog Dialog kann nicht existieren, wo es an der tiefen Liebe für Welt und Menschen fehlt (Freire 1985, S.72), wo es keinen [ ]intensiven Glauben an den Menschen, einen Glauben an seine Macht, zu schaffen und neu zu schaffen, zu machen und neu zu machen, Glauben an seine Berufung, voller Mensch zu sein gibt (Freire 1985, S. 74) Demut, Liebe, Hoffnung und Glauben = Grundlagen für einen Dialog in einer horizontalen Beziehung => gegenseitiges Vertrauen Dialog ist die Begegnung zwischen Menschen vermittelt durch die Welt, um sie zu benennen. (Freire 1985, S. 72) Kommunikation =Voraussetzung, die Welt zu verändern

Lernen ist hingegen für Freire nicht das >Fressen< fremden Wissens, sondern die Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation als Problem und die Lösung dieses Problems in Reflexion und Aktion. Lehren ist entsprechend nicht Programmieren, sondern Problematisieren, nicht das Abkündigen von Antworten, sondern das Aufwerfen von Fragen, nicht Einnistung des Erziehers im Zögling, sondern Provokation des Zöglings zur Selbstbestimmung (Lange 1985, S. 14) In der problemformulierenden Bildung entwickeln die Menschen die Kraft, kritisch die Weise zu begreifen, in der sie in der Welt existieren, mit der und in der sie sich selbst vorfinden. Sie lernen die Welt nicht als statische Wirklichkeit, sondern als eine Wirklichkeit im Prozess sehen, in der Umwandlung. (Freire 1985, S. 67)

Bankierskonzept Menschen als beeinfluss-bares u. anpassbares Wesen Erziehung =Akt der Spareinlage Schüler Anlage-Objekte Lehrer verfügt über Wissen Aufgabe des Lehrers =die Köpfe der Schüler mit Inhalten/Wissen anhäufen Der Lehrer als übermittelndes Objekt; Schüler zuhörendes Objekt Das Bankierskonzept ist eine Methode der Unterdrücker, Ziel = Unfähigkeit des Menschen zur Kritik; Anpassung des Menschen an das herrschende System Problemformulierende Bildung Schüler/Mensch als Subjekt; Auffassung der Wirklichkeit als veränderbar Lehrer und Schüler gemeinsam Wissens- und Welterforscher Hauptaufgabe des Lehrers = Anregung der Schüler zum kritischen Denken => Reflexion der Wirklichkeit, Reaktionsfähigkeit u. Fähigkeit der Problemlösung Dialog (Reflexion u. Aktion) guter Unterricht = ausgewogenes Verhältnis zw. Reflexion und Aktion

Menschenbild positives Menschenbild Menschen im Mittelpunkt, seine Gestaltungsfähigkeit Der Mensch als Wesen in Situation Der Mensch als Wesen mit Bewusstsein Der Mensch als Wesen der Praxis Der Mensch als Integrationswesen Der Mensch als Kulturwesen und Schöpfer der Geschichte Der Mensch als Wesen der Freiheit Der Mensch als kommunikatives Wesen

Freiheit wird nur im Kampf errungen, sie wird uns nicht geschenkt. Man muss ihr fortwährend und in Verantwortung auf der Spur bleiben. Freiheit ist nicht ein Ideal, das außerhalb des Menschen angesiedelt wäre, sie ist auch keine Idee, die zum Mythos wird. Sie ist vielmehr die unverzichtbare Bedingung im Kampf um die Erfüllung des Menschen (Freire 1985, S. 34) Mensch in Lebenssituationen immer als Mensch mit anderen, nie isoliert durch Bewusstwerdung wird eigene Menschwerdung erreicht Erreichung der Humanisierung/ Vermenschlichung durch Überwindung der Grenzsituationen

Um die Vermenschlichung zu erreichen was die Eliminierung entmenschlichender Unterdrückung voraussetzt-, ist es absolut notwendig, die Grenzsituationen, in denen Menschen zu Dingen reduziert werden, zu überwinden. (Freire 1985, S. 85)

Quelle Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit, Stuttgart 1985