»Demokratische Prozeduren werden ausgehöhlt«

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Thomas Köller/Eberhard Waiz: CETA & Co. und die Zukunft der Demokratie. Gespräche mit Andreas Fisahn, Hans-Jürgen Blinn und Rainer Plaßmann, ISBN 978-3-945162-03-3, Verlag Neue Aufklärung, Düsseldorf»Demokratische Prozeduren werden ausgehöhlt«prof. Dr. Andreas Fisahn im Gespräch Internationale Verträge wie CETA machen nicht nur inhaltliche Vorgaben für viele Politikfelder, sondern betreffen auch das System der politischen und administrativen Institutionen und Verfahren. Wie verändert das unsere Demokratie und warum könnte CETA sogar gegen das Grundgesetz verstoßen? Darüber gab uns Prof. Dr. Andreas Fisahn Auskuft. Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht sowie Rechtstheorie an der Universität Bielefeld betreut nicht nur eine der vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen CETA. Er hat auch früher bereits gegen den Lissabon-Vertrag und den Europäischen Stabilitätsmechanismus geklagt. Ist er also ein»europafeind«? ANDREAS FISAHN: Nein ich bin kein Europafeind, im Gegenteil. Ich halte Europa für eine ziemlich gute Idee, und diese Idee ist ja auch nicht ohne Grund entstanden. Altiero Spinelli (1907-1986), nach dem der Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel benannt ist, entwickelte sein Konzept eines föderalen Europas während des Zweiten Weltkriegs, im faschistischen Italien, auf einer Gefängnisinsel; und 17

natürlich hat und das ist sicher noch wichtiger auch der Widerstand gegen das Hitler-Regime in Europa die europäische Idee geboren. Ich glaube nur, dass Spinelli und all die anderen sich ihr Europa seinerzeit etwas anders vorgestellt haben, nämlich erstens demokratischer und zweitens deutlich sozialer; doch tatsächlich ist das, was man so als neoliberale Wende bezeichnet, seit den 1970er, 1980er Jahren in Europa zum großen Teil auch über die Europäische Union installiert worden. Da wurde ein bestimmtes Politikkonzept festgeschrieben, mit dem ich erstens nicht einverstanden bin und das sich eben zweitens nicht mehr, oder jedenfalls nur sehr schwer mit demokratischen Mehrheiten ändern lässt. Dadurch wird die Demokratie entleert, nur als leere Hülle übrig gelassen. Das ist das Problem. Das wirtschaftspolitische Demokratiedefizit der Europäischen Union : Inwiefern sind Sie mit ihren Argumenten 2009 bei der Lissabon-Klage denn durchgedrungen? Teilweise war sie ja wohl schon erfolgreich? FISAHN: Teilweise war sie erfolgreich. Die Verfassungsrichter haben gesagt: Die Europäische Union hat in der Tat ein demokratisches Problem. Allerdings haben sie dieses Problem dann sehr formal aufgehängt, nämlich an der Frage, wie viele Unionsbürger jeweils durch einen Europaabgeordneten repräsentiert sind etwa 68 000 im Falle Maltas und 850 000 im Falle Deutschlands, so ungefähr ist das Verhältnis. Das darf in einer repräsentativen Demokratie natürlich nicht sein, weil es gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt, deshalb wurde das vom Gericht moniert. Doch zugleich hat das Bundesverfassungsgericht dieses Problem auch sehr wenig europäisch, sondern 18

eher national gelöst, indem es nämlich entschied, dass der Bundestag wegen dieser ungleichen Repräsentation das in letzter Instanz demokratisch verantwortliche Organ sein, das heißt informiert werden müsse, um kontrollieren zu können. Ich bezweifle sehr, dass das funktioniert. : Sie hätten sich gewünscht, dass der Lissabonner Vertrag substantieller auch die demokratischen und sozialen Aspekte berücksichtigt. FISAHN: Genau. Die sozialen Aspekte werden in den europäischen Verträgen wenig berücksichtigt und diese Verträge sind auch nicht offen formuliert. Die EU wird auf eine Wirtschaftsordnung festgelegt, und zwar auf eine sehr spezielle, nämlich eine angebotsorientierte oder»neoliberale«wirtschaftsordnung. Diese ist durch parlamentarische Mehrheiten nicht zu ändern. Doch auf dieses Problem für die Demokratie ist das Bundesverfassungsgericht ganz wenig eingegangen. Meines Erachtens ist es unvereinbar mit einer demokratischen Verfassung, eine offene Marktwirtschaft festzuschreiben, aber genau dies tun die EU-Verträge. Die Aussage des Grundgesetzes ist: Über die Verfasstheit der Wirtschaft wird demokratisch entschieden. : Wo ist Europa denn da vom Weg abgekommen? Könnte man das ganz kurz skizzieren oder müssten wir dazu ein eigenes Interview führen? Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm hat ja vor allem die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) betont. 1 Dieser habe das europäische Recht 1963 und 1964 erst für direkt gültig erklärt, und dann sogar für vorrangig vor dem nationalen Recht, auch vor dem nationalen Verfassungsrecht. Dabei sei es gar nicht als echte Verfassung, sondern nur als Instrument der Herstellung eines gemeinsamen Marktes konzipiert worden. FISAHN: In der Tat hat der EuGH die Vorreiterrolle in der Transformation zur neoliberalen Verfasstheit der EU übernommen oder in der euphemistischen Ausdrucksweise der 19

Apologeten formuliert: Der EuGH war Motor der Integration. Richtig ist, dass die Vorschriften, die der EuGH Ende der 1970er Jahre und in den 80ern aufgriff, um Europa zu verändern, schon in den Römischen Verträgen geschlummert haben. In den Römischen Verträgen von 1957 findet sich schon die Warenverkehrsfreiheit in der heutigen Form als»verbot mengenmäßiger Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung«. Die Maßnahme gleicher Wirkung hat es in sich. Spezifische nationale Regulierungen wurden damit gekippt, wie zum Beispiel das deutsche Reinheitsgebot des Bieres. Es schotte den deutschen Markt gegen Heineken und Co. ab und habe deshalb die gleiche Wirkung wie die mengenmäßige Beschränkung. Wenn Adenauer das 1957 gewusst hätte, hätte er den Vertrag wohl nicht unterschrieben, schätze ich. Das ist passive Revolution, eine Umwandlung der Verfassung von oben. Mit der neoliberalen Wende wurde diese Entwicklung auch von der Politik aufgegriffen und mit dem 1992 unterzeichneten Maastricht-Vertrag wurde sie zur Quasi-Wirtschaftsverfassung in Europa. Die Verfassungsklage gegen CETA : Nun vertreten Sie die Verfassungsklage von Marianne Grimmenstein gegen CETA. 2 Welche verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeiten machen Sie geltend? Investorschutz FISAHN: Das sind im Wesentlichen vier. Der erste Punkt ist der Eigentums- oder Investorschutz nach Kapitel 8 des CETA-Vertrags... 20

: Demnach sollen ausländische Investoren die Vertragsstaaten auf nicht unerhebliche Schadenersatzzahlungen vor eigens einzurichtenden Schiedsgerichten außerhalb des deutschen und europäischen Rechtssystems verklagen können, 3 sofern sie zum Bespiel geltend machen,»indirekt enteignet«4 oder nicht»fair und gerecht behandelt«5 worden zu sein was immer das genau heißt... FISAHN: Richtig, ja. Aber warum sehe ich darin nun einen Verstoß gegen Verfassungsrecht? Erstens sind Schiedsgerichte eine Sache nationaler Kompetenz, nicht von EU- Kompetenz, denn in den EU-Verträgen findet sich, abgesehen von der Institutionalisierung des EuGH, keine Kompetenz zur Ordnung des Gerichtswesens. Und zweitens werden diese Schiedsgerichte andere Ergebnisse produzieren als das Bundesverfassungsgericht und auf dieser Ebene würde ich das ansiedeln: nicht auf der der Instanzgerichte, etwa des Bundesgerichtshofs, sondern auf der Ebene des Bundesverfassungsgerichts, weil nämlich die Schadenersatzforderungen sehr hoch sind und der Investor zudem gegen Gesetze klagen kann, sofern er nur irgendwie geltend macht, dass sie gegen den Eigentumsschutz verstoßen könnten. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem»nassauskiesungsbeschluss«vom 15. Juli 1981 entschieden, dass eine Norm, die den verfassungsmäßigen Eigentumsschutz verletzt, zurückzunehmen ist, aber keinen Schadenersatz begründet. Die nach CETA einzurichtenden Investitionsschiedsgerichte verfahren also nach der genau entgegengesetzten Maxime»Dulde und liquidiere«: Die Rechtsverletzung bleibt bestehen, begründet aber Schadenersatzforderungen. Und so können sich die Investoren unter CETA aussuchen: Wähle ich»dulde und liquidiere«, also will ich Schadenersatz? Dann gehe ich vor ein CETA- Schiedsgericht. Oder möchte ich die Norm zu Fall bringen? Dann rufe ich das Bundesverfassungsgericht an. Die Wahl 21

der Rechtsfolge ist zwingend verbunden mit der Wahl des Richters oder des Gerichtes, vor dem ich als Investor meinen Anspruch geltend machen will. Da kann es, aufgrund der Zusammensetzung des Gerichtes, zu einer sehr unterschiedlichen Praxis kommen. Der Investor kann also den Richter aussuchen und er kann die Rechtsordnung aussuchen und insofern auch die angestrebten Ergebnisse. Das verstößt meines Erachtens ziemlich deutlich gegen das Rechtsstaatsprinzip. Andere Bürger können das nämlich nicht und es ist nicht einzusehen, warum die anders behandelt werden sollen als kanadische Konzerne. Vorsorgeprinzip FISAHN: Zweiter Punkt das Vorsorgeprinzip. Das steht im Grundgesetz in Artikel 20 a, 6 da sind sich alle ziemlich einig. Und es steht auch ausdrücklich in den europäischen Verträgen. 7 In CETA heißt es jetzt, dass den Handel behindernde Gesetze oder Maßnahmen erlaubt sind, sofern sie dem Schutz von Umwelt oder Gesundheit dienen das klingt also zunächst einmal wunderbar: Man verbietet die Einfuhr von BSE-Fleisch oder Hormonfleisch, oder von Chlorhühnchen, oder was da sonst alles diskutiert wird, und begründet das mit dem Gesundheitsschutz. Doch jetzt muss man etwas genauer hinschauen, denn nach dem Vorsorgeprinzip wäre es möglich, zu sagen: Die Behandlung von Fleisch mit Chlor zur Desinfektion könnte gefährlich sein, weil Rückstände davon am Fleisch hängen bleiben und verzehrt werden. Wir wissen es nicht so genau, das müssen wir erst noch testen. Oder es gibt vielleicht schon Indizien dafür, dass es langfristig zu diesen oder jenen Schäden führt. Aber wir wissen es eben nicht; und weil wir es nicht wissen, verbieten wir es vorsorglich. Abstrakt formuliert: Das 22

Vorsorgeprinzip berechtigt dazu, ein Produkt, ein Verfahren oder eine Maßnahme zu verbieten, weil sie mit Risiken verbunden ist, aber Ungewissheit darüber besteht, ob und wann diese Risiken in welcher Höhe eintreten. Dieses Vorsorgeprinzip findet sich in CETA nun aber nirgendwo. 8 Stattdessen wird dort, etwa in Kapitel 5, ständig auf das SPS-Übereinkommen 9 der Welthandelsorganisation WTO 10 verwiesen. SPS steht für englisch Sanitary and Phytosanitary Measures, also»sanitäre und Phytosanitäre Maßnahmen«, das sind Maßnahmen, die die Gesundheit und das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen betreffen. Nun regelt dieses SPS-Abkommen der WTO: Entsprechend begründete Einfuhrverbote von Waren sind nur dann zulässig, wenn wissenschaftlich exakt nachgewiesen ist, dass Schäden entstehen. 11 : Also das Gegenteil des Vorsorgeprinzips. FISAHN: Richtig. Das ist genau das Gegenteil des Vorsorgeprinzips, denn das knüpft ja an Ungewissheit an und hier wird nun wissenschaftlich exakte Beweisbarkeit, also der Ausschluss jeder Ungewissheit verlangt. Einmal führt das Nichtwissen dazu, dass man vorsorglich verbietet, und einmal dazu, dass man nicht verbieten darf. : Jetzt sagt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE 12 aber, das Vorsorgeprinzip sei dennoch im SPS-Abkommen verankert, weil dessen Artikel 5.7 vorübergehende Maßnahmen ohne wissenschaftliche Grundlage durchaus erlaube und eine unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip ergriffene Maßnahme zugleich nichts anderes als eine solche vorübergehende, und damit zulässige Maßnahme darstelle. Auch nach Entscheidungen des EuGH wie des Bundesverfassungsgerichts könne das Vorsorgeprinzip nämlich nicht so weit gehen, ein Produkt ohne jegliche Anhaltspunkte einfach so zu verbieten. Insofern sei das Vorsorgeprinzip»Teil des wissenschafts- 23