Die Kunst der Verhandlung Kurs-Skript - Wahrnehmungen
Herzlich willkommen zur dritten Lektion Ihres Kurses. In dieser Lektion werden Sie mehr über Ihre Wahrnehmung lernen. Welche Filter sind in unserem Wahrnehmungsvorgang aktiv und sorgen dafür, dass jeder Mensch eine ganz eigene Wahrnehmung ein und derselben Situation hat? Und natürlich werden wir uns immer wieder die Frage stellen, wie sich dies auf den Verhandlungsverlauf auswirkt und wie Sie dafür sorgen können, dass Wahrnehmungsunterschiede den Erfolg Ihrer Verhandlung nicht gefährden. Viel Spaß wünscht Ihnen Ihr Lernseinfach-Team Bitte nutzen Sie das vorliegende Skript begleitend zum Videotutorial der. Hier finden Sie die im Tutorial vermittelten Inhalte schriftlich aufbereitet sowie die zugehörigen Übungen. 1
Die Wahrnehmung in der Verhandlungssituation Schon in der letzten Lektion zum Thema der Einstellungen haben wir über die Bedeutung der Wahrnehmungen gesprochen, die unseren Einstellungen zugrunde liegen. Und natürlich haben nicht nur unsere Wahrnehmungen im Vorfeld der Verhandlung einen Einfluss auf ihren Verlauf, sondern auch und vor allem unsere Wahrnehmungen und die Wahrnehmungen unseres Verhandlungspartners während der Verhandlungs. Um zu verstehen, wie die menschliche Wahrnehmung funktioniert, und inwiefern sie Einfluss auf den Verhandlungsverlauf und das Ergebnis hat, wollen wir uns mit einigen Grundlagen der Wahrnehmungspsychologie beschäftigen. Die Grundidee zur Wahrnehmung ist dabei folgende: Immer wenn 2 Menschen sich in einer Situation z.b. einer Verhandlung befinden, werden sie die Situation ganz unterschiedlich wahrnehmen. Man könnte so weit gehen zu sagen: Jeder Mensch kennt nur die Karte, nicht jedoch das Gebiet. oder auch Jeder Mensch konstruiert seine eigene Wirklichkeit. Dies liegt an den menschlichen Wahrnehmungsvorgängen und den sogenannten Wahrnehmungsfiltern, die dafür sorgen, dass nur ein Teil der wahrnehmbaren Reize einer Situation bewusst wahrgenommen werden. Und es liegt an den sehr unterschiedlichen internen Repräsentationen, also unseren internen Speicherungen, erlebter Situationen. Erleben Sie diese Vorgänge durch einige Experimente am Beispiel Ihrer eigenen Wahrnehmung und entscheiden Sie am Ende dieser Lektion, ob auch Sie sagen: Jeder Mensch kennt nur die Karte, niemand kennt das Gebiet. Und wenn Sie mit uns einer Meinung sind, lassen Sie uns dann schauen, wie Sie trotz dieser Eigenheit der menschlichen Wahrnehmung eine erfolgreiche Verhandlung führen können. 2
Physiologie der menschlichen Wahrnehmung Betrachten Sie zum Anfang dieses Kapitels das folgende Bild: Wahrscheinlich kennen Sie diese optische Täuschung. Was wir nicht wissen ist: Haben Sie die junge Frau von hinten gesehen mit der Feder auf dem Kopf und dem Schleier im Haar oder die alte Frau mit Kopftuch und kräftiger Nase im Profil? Diese einfache optische Täuschung verdeutlicht, dass wir uns selbst bei unserem vertrauenswürdigsten Sinneskanal, dem Sehen, nicht sicher sein können, ob wir alle das Gleiche sehen. Und genauso verhält es sich auch in der Kommunikation: Wir können nie sicher sein, ob jeder das Gleiche verstanden hat. 3
Wahrnehmungsfilter: Die Sinnesorgane Tatsächlich stellen unsere Sinneskanäle den ersten Filter für unsere Wahrnehmung dar. Filter 1: Menschliche Sinne VAKOG Als Menschen sind wir auf unsere Sinnesorgane angewiesen, um Reize aus der Umgebung wahrnehmen zu können. Diese Wahrnehmungskanäle sind: V A K O G visuell (über die Augen) auditiv (über die Ohren) kinästhetisch (über den Körper, z.b. Druck, Temperatur) olfaktorisch (über die Nase) gustatorisch (über die Zunge) Dies führt dazu, dass wir bestimmte Reize nicht wahrnehmen können, da sie außerhalb unseres Wahrnehmungsbereiches liegen, wie z.b. ultraviolettes oder Infrarotlicht, das Magnetfeld der Erde oder Frequenzbereiche außerhalb des menschlichen Hörvermögens. Da diese Filter aber für alle Menschen gleich ist, führt er zuerst einmal zu gleichen Startbedingungen in einer Verhandlungssituation. 4
Wahrnehmungsfilter: Individuell bevorzugte Wahrnehmungskanäle Tatsächlich unterscheidet sich die Wahrnehmungen der einzelnen Personen aber doch sehr deutlich voneinander, unter anderem deshalb, weil jeder Mensch bevorzugte Wahrnehmungskanäle hat. So ist der eine ein ausgeprägtes Augentierchen, der andere hört eher auf das gesprochene Wort. Filter 2: Bevorzugte Sinneskanäle Diese unterschiedlichen Vorlieben in der Aufnahme und Speicherung von Reizen aus der Umwelt führt zum einen dazu, dass Reize anderer Kanäle weniger differenziert wahrgenommen werden. Zum anderen beeinflussen diese Präferenzen aber auch unsere interne Repräsentation, also unsere interne Speicherung der Situation. 5
Der ine sieht in der Erinnerung eher ein Bild, der zweite hört eher Stimmen und Gesprächsteile, der nächste fühlt sich förmlich körperlich in die Situation zurückversetzt. Interessanterweise kann man diesen bevorzugten Kanal auch in der Sprache der Menschen ausmachen. Ein stark visuell ausgerichteter Typ wird eher Ausdrücke wie das kann ich mir vorstellen oder das sehe ich nicht so benutzen, während zum Beispiel ein stark auditiver Typ eher das sagt mir nichts oder das müssen Sie mir erzählen benutzen würde. Wenn Ihr Verhandlungspartner und Sie also unterschiedliche Lieblings-Wahrnehmungskanäle haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie Dinge unterschiedlich differenziert oder sogar manche Anteile des Gesprächs gar nicht bewusst wahrnehmen. So kann es tatsächlich sein, dass Sie etwas erklären und Ihr Verhandlungspartner es nicht hört oder Sie etwas zeigen oder vorführen und Ihr Verhandlungspartner es nicht sieht. Was bedeutet dies für Sie? Für Sie kann es sehr interessant sein, mehr über Ihren bevorzugten Wahrnehmungskanal zu wissen. Denken Sie dazu zum Beispiel einfach einmal an einen vergangenen Urlaub: Sehen Sie eher die Bilder? Hören Sie die Töne, Sprachen, Musik? Oder fühlen Sie sich hineinversetzt in die Urlaubswelt und spüren die Temperatur, den Wind usw.? Dies kann Ihnen schon einen Ansatzpunkt für Ihre eigene Präferenz geben. Und dies hilft Ihnen zu erkennen, wie Sie selbst gut Informationen aufnehmen. Wenn Sie eher visuell geprägt sind, helfen Ihnen eher Bilder. Bei einer mehr auditiven Ausrichtung ist es eher das gesprochene Wort, das zu Ihrem Verständnis beiträgt. Und bei stärker kinästhetisch geprägten Menschen ist es häufig hilfreich, die Dinge selbst zu tun, selbst noch einmal zusammenzufassen oder darüber zu reden am besten beim Gehen. Und Sie haben dann einen Anhaltspunkt, wie Sie häufig Inhalte vermitteln nämlich passend zu Ihrem eigenen bevorzugten Wahrnehmungskanal. Ihr bevorzugter Wahrnehmungskanal hilft Ihnen, Informationen schnell aufzunehmen und dauerhaft zu verankern. Was bedeutet dies für eine Verhandlung? Da Sie den bevorzugten Wahrnehmungskanal Ihres Verhandlungspartners in der Regel nicht kennen, ist es hilfreich, die Sinne möglichst breit anzusprechen. Erklären Sie, unterstützen Sie das Erklärte mit Bildern und lassen Sie Ihren Verhandlungspartner wenn möglich etwas ausprobieren oder das Thema aus seiner Sicht zusammenfassen. 6
Wie wichtig die Kombination möglichst vieler Wahrnehmungskanäle für eine erfolgreiche Informationsvermittlung ist, zeigt Ihnen die folgende Grafik (in Anlehnung an eine Studie der American Audiovisual Society): Wie viel der vermittelten Inhalte werden in Abhängigkeit vom genutzten Kanal aufgenommen? Für ein besseres gemeinsames Verständnis in der Verhandlung ist es sinnvoll, möglichst viele unterschiedliche Wahrnehmungskanäle beim Verhandlungspartner anzusprechen. 7
Wahrnehmungsfilter: Individuelle Tilgung, Verzerrung und Verallgemeinerung Die von einer Person wahrgenommene Informationen aus der Außenwelt werden durch weitere individuelle Filter verändert. So führen Ihre eigenen Erfahrungen aus Ihrem bisherigen Leben zur Entstehung von Einstellungen, Werten und Überzeugungen. Diese bilden dann die Basis für den sehr individuellen Vorgang der Tilgung, Verzerrung und Verallgemeinerung. Lernen Sie diese Vorgänge in Ihrer eigenen Wahrnehmung kennen. Bitte schauen Sie sich auf YouTube den Film Whodunnit an. Es handelt sich um eine kurze englische Kriminalszene, bei der Experiment der Kommissar den Mörder sucht. Achten Sie bitte darauf, ob Sie selbst auch den Mörder dingfest machen können. Stoppen Sie dazu den Film nach der Frage des Kommissars How observant were you? und notieren Sie Ihre Beobachtungen, bevor Sie sich das Ende des Films anschauen. https://www.youtube.com/watch?v=ubnf9qneqla Was ist Ihnen aufgefallen? 8
Auswertung (Bitte erst nach dem Experiment lesen!): Wahrscheinlich ist es Ihnen so gegangen wie uns und vielen anderen Menschen auch: Durch unsere Konzentration auf den Kommissar und die Frage nach dem Mörder sind Ihnen wahrscheinlich auch keine oder nur wenige Veränderungen in der Szene aufgefallen. Diesen Vorgang nennt man Tilgung. Es bedeutet, dass wir immer bestimmte Informationen aus der Vielzahl der Reize selektieren und damit nur einzelne Reize bewusst wahrnehmen. Viele andere Informationen haben wir zwar unbewusst aufgenommen, können uns aber nicht mehr bewusst an sie erinnern. Filter 3: Tilgung Es entsteht also eine ganz individuelle und reduzierte Erinnerung an die ursprünglich wahrnehmbare Szene. In einer Verhandlung wissen Sie also nie, welche der besprochenen oder gezeigten Informationen tatsächlich bewusst von Ihrem Gesprächspartner wahrgenommen wurden und welche nicht. Bitte versuchen Sie nun das folgende Rätsel zu lösen: Dr. Müller wohnt in Bremen und hat einen Bruder in Berlin, Professor Müller. Dieser Professor Müller in Berlin hat aber keinen Bruder in Bremen. Wie kann das sein? Experiment 9
Auswertung (Bitte erst nach dem Experiment lesen!): Die Lösung ist im Nachhinein einfach: Dr. Müller aus Bremen ist kein Mann, sondern eine Frau. Damit hat Professor Müller aus Berlin keinen Bruder in Bremen, sondern eine Schwester. Wieso funktioniert dieses Rätsel bei so vielen Menschen? Vermutlich liegt der Schlüssel in einem weiteren üblichen Vorgang in unserem Gehirn, der Verallgemeinerung. Wir sehen etwas einige Male und wenden das dort Wahrgenommene dann in allen ähnlichen Fällen an häufig unbewusst. In unserem Rätsel kann es sein, dass Sie viele Menschen männliche Doktoren in Ihrem Leben kennengelernt haben, und Ihr Gehirn daraus automatisch die Verallgemeinerung macht: Doktor ist männlich. Und damit ist Dr. Müller aus Bremen für unser Gehirn automatisch ein Mann. Filter 4: Verallgemeinerung Wenn ich also einige Häuser gesehen habe, die einen Zaun vor dem Garten hatten, kann es sein, dass mein Gehirn die Verallgemeinerung trifft: Alle Häuser haben Zäune, und auch dann einen Zaun ergänzt, wenn ich gar keinen gesehen habe. Achten Sie in der Verhandlung also bitte darauf, wann Sie oder Ihr Gesprächspartner (unzulässig) verallgemeinern. Hinweise in der Sprache sind Ausdrücke wie man, immer, nie oder jeder, z.b. in Aussagen wie Das tritt bei uns nie auf!. Prüfen Sie dann bitte bewusst, ob diese Aussage auf Ihre konkrete Situation zutrifft. 10
Haben Sie im Videotutorial schon das Experiment der Montagsmaler gemacht? Wenn nicht, dann holen Sie das jetzt bitte nach, bevor Sie weiterlesen. Experiment Vermutlich haben Sie schon sehr schnell aus einzelnen Teilen das gesamte Bild rekonstruiert. Dies ist eine der hervorragenden Leistungen unseres Gehirns, und diese Fähigkeit ist absolut notwendig, um nicht jedes Mal jedes einzelne Detail wahrnehmen zu müssen, um das große Ganze zu erkennen. Denken Sie an den Schwanz des Säbelzahntigers, der aus dem Busch schaute. In diesem Fall war es für die Gesundheit des Menschen absolut wichtig, dass sein Gehirn automatisch die Ergänzung machte: Dann ist auch ein ganzer Tiger im Busch (auch wenn ich ihn nicht sehe). Auch die Lesbarkeit des Wirrwarr-Textes zeigt uns diese Fähigkeit des Gehirns: Experiment D1353 M1TT31LUNG Z31GT D1R, ZU W3LCH3N GRO554RT1G3N L315TUNG3N UN53R G3H1RN F43H1G 15T! 4M 4NF4NG W4R 35 51CH3R NOCH 5CHW3R, D45 ZU L353N, 483R M1TTL3W31L3 K4NN5T DU D45 W4HR5CH31NL1ICH 5CHON G4NZ GUT L353N, OHN3 D455 35 D1CH W1RKL1CH 4N5TR3NGT. D45 L315T3T D31N G3H1RN M1T 531N3R 3NORM3N L3RNF43HIGKEIT. 8331NDRUCK3ND, OD3R? DU D4RF5T D45 G3RN3 KOP13R3N, W3NN DU 4UCH 4ND3R3 D4M1T 83G315T3RN W1LL5T. Durch unsere Erfahrungen in der deutschen Sprache und ihrer Satzstruktur, sind wir in der Lage, diese eigentlich unsinnigen Zeichen sinnvoll zu ergänzen und zu interpretieren. Unser Gehirn ergänzt also Informationen aus anderen Situationen und reichert die aktuell wahrnehmbaren Reize damit an. Diesen Vorgang nennen wir Verzerrung. 11
Filter 5: Verzerrung Wir ergänzen also aus der Erinnerung Informationen, die wir mit dem gerade Erlebten gedanklich in Verbindung bringen ohne es tatsächlich wahrgenommen zu haben. Häufig sind unsere Ergänzungen sinnvoll, es gibt aber auch falsche Ergänzungen, die unser Gehirn unbewusst vornimmt und die wir dann rückblickend unter Umständen als tatsächliche Wahrnehmungen erinnern. Stellen Sie in der Verhandlung deshalb bitte immer sicher, dass ihr Verhandlungspartner das verstanden hat, was Sie vermitteln wollten und nicht gedanklich etwas anderes kreiert hat. Wahrnehmungsfilter: Emotionale Färbung Bitte machen Sie bei den im Videotutorial genannten Begriffen einen Strich in der folgenden Tabelle bei + für eine eher positive Reaktion und bei für eine eher negative Reaktion. Vielleicht finden sich einzelne Begriffe auch eher im neutralen Bereich (0) wieder. Emotionale Reaktion auf genannte Begriffe + 0 - Experiment 12
Wie dieses keine Expermient zeigt, erfolgt Wahrnehmung immer inhaltlich und emotional zugleich. Die emotionale Einfärbung usnerer Wahrnehmung können wir nicht beeinflussen. Sie erfolgt automatisch. Bei nur geringem Ausschlag in den positiven oder negativen Bereich bemerken wir diese interne Bewertung gar nicht, erst bei stärkeren Ausschlägen wird uns die emotionale Beteiligung bewusst. Und starke emotionale Ausschläge führen dazu, dass unsere Wahrnehmung sich stärker auf die Informationen fokussiert, die diese Emotionen ausgelöst haben, während andere wahrnehmbare Reize selektiert werden. Starke Emotionen (in beide Richtungen) sorgen also für eine bessere Erinnerung. Filter 6: Emotion Die emotionale Einfärbung der Wahrnehmung ist nicht vermeidbar, aber wir können Sie uns stärker bewusst machen. 13
Kommen wir nun zu unserem letzten Experiment: Bitte beschreiben Sie mit ein paar Stichworten, ein Mitglied Ihrer Experiment Familie, einen Freund oder eine aktuell berühmte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Beschreibung in Stichworten Die meisten Menschen nutzen in einer Beschreibung häufig Interpretationen und Bewertungen statt objektivierbarer Wahrnehmungen. So sagen Sie vielleicht: Die Person hat lange Haare. Dies ist eine Interpretation und hängt von Ihrer Vergleichsperson ab. Vergleichen Sie mit Kojak oder mit Rapunzel? Objektivierbar und damit durch jeden nachmessbar wäre eine Haarlänge von 18.75 cm. Genau ist es mit Aussagen wie: Die Person ist offen und freundlich. Wie kommen Sie dazu, das zu sagen? Welche objektivierbare Wahrnehmung hat Sie zu dieser Aussage geführt? Ist es die Art zu Lächeln, ist es die Art, Menschen direkt anzuschauen, wenn die Person mit anderen spricht oder ist es etwas, was diese Person zu Ihnen gesagt hat? Tatsächlich könnte ein anderer Mensch, der andere Erfahrungen mit dieser Person gemacht hat zu einer völlig anderen Interpretation kommen. Wie Sie sehen, wird Wahrnehmung also immer in starkem Maße interpretiert und ist damit subjektiv. 14
Zusammenfassend können wir aus den Experimenten ableiten: Wahrnehmung ist immer + selektiv + situativ/ kontextabhängig + ergänzend + emotional eingefärbt und bewertet = subjektiv Schauen wir uns dazu noch einmal an, wie die einzelnen Wahrnehmungsfilter die ursprünglich verfügbare Information verändert haben: Verblüffend, nicht wahr? Das führt uns noch einmal zu unserer anfänglichen Behauptung zurück: Menschen besitzen nur eine individuelle Landkarte vom Gebiet. Niemand kennt DIE Wahrheit. Wenn wir dieser Aussage folgen, bedeutet dies für die Verhandlung, dass es für eine erfolgreiche Verhandlung nötig ist, unsere Landkarte mit den Landkarten unserer Gesprächspartner abzugleichen. Das Ziel ist es, sich über einen möglichst großen gemeinsamen Abschnitt zu verständigen, mit dem Sie gut arbeiten können. Lassen Sie uns nun schauen, wie dieser Abgleich in der Kommunikation stattfindet. 15
Abgleich der Landkarten in Verhandlungssituationen Die eigene Landkarte erklären Um Missverständnisse in der Verhandlung zu vermeiden, stellen Sie bitte sicher, dass Ihr Verhandlungspartner alle relevanten Informationen von Ihnen genauso versteht wie Sie. Erklären Sie ihm dazu Ihre Landkarte der relevanten Informationen: Sagen Sie ganz konkret, was Sie wahrgenommen haben: Was haben Sie gehört und gesehen? Und versuchen Sie, in Ihrer Kommunikation Wahrnehmung von Interpretation zu trennen. Indem Sie zuerst mitteilen, was Sie (objektivierbar) wahrgenommen haben und welche Schlüsse Sie daraus gezogen haben, geben Sie Ihrem Verhandlungspartner die Möglichkeit, Ihre Interpretation zu korrigieren oder zu ergänzen. Sind Sie zum Beispiel von einem Kunden zu einem Meeting eingeladen, um ihm Ihr Produkt vorzustellen, könnet sich das so anhören: Vielen Dank, dass Sie mich heute eingeladen haben, um mein Produkt vorzustellen. Das lässt mich vermuten, dass mein Angebot für Sie grundsätzlich interessant ist. Die Landkarte des Verhandlungspartners erkunden Für ein gutes Verhandlungsergebnis sollten Sie genauso darauf achten, die Landkarte Ihres Verhandlungspartners möglichst genau kennenzulernen. Bringen Sie dazu in Erfahrung, was er wahrgenommen hat und welche Schlüsse er daraus zieht. Im Beispiel könnte es sein, dass Ihr Kunde auf Ihren Gesprächseinstieg antwortet: Das stimmt, ich habe Sie eingeladen, weil ich neugierig auf Ihr Produkt bin. Aber da sind schon noch einige Fragen offen, nämlich. Die beste Möglichkeit, um die Landkarte des Verhandlungspartners zu erkunden besteht darin, möglichst viele Fragen zu stellen. Und zwar nicht nur am Anfang des Gesprächs, sondern während der gesamten Verhandlung. Stellen Sie immer dann Fragen, wenn Sie merken, dass das Gespräch stockt oder Sie selbst Unklarheiten oder Unschärfen wahrnehmen. Manchmal ist es nur ein vages Gefühl des Nebels, das Ihnen anzeigt, dass eine klärende Frage angebracht ist, um die Landkarte des anderen besser zu verstehen. Genau mit diesen Fragen werden wir uns auch intensiv in der nächsten Lektion 4 auseinandersetzen. Dort geht es nämlich unter anderen darum, die Interessen des Verhandlungspartners bezüglich des Verhandlungsgegenstandes zu klären. Nehmen Sie sich vorher aber noch Zeit für die folgenden Übungen, um zu trainieren, Wahrnehmung bewusst von Interpretation zu trennen. 16
Wahrnehmungsübungen Objektive Wahrnehmung oder Interpretation? Übungen Auf unserer Lernplattform finden Sie unterhalb des Skriptes von ein Quiz (Knopf: Quiz machen). Beantworten Sie die Quizfragen in unserer Lektion, um zu testen, ob Sie objektive Wahrnhemungen von Interpretationen unterscheiden können. Von der Aussage zur Wahrnehmung Nun wird es noch ein wenig kniffliger. Finden Sie eine mögliche Wahrnehmung, die den Sprecher zu dieser ausgesprochenen Interpretation ver führt haben könnte! Was konkret könnte beobachtbar gewesen sein? Beschreiben Sie dabei ganz konkret, was der Sprecher in der Situation eventuell gesehen oder gehört haben könnte. Aussage Wenn du so wenig lernst, dann kannst du nie dein Abitur machen! Wahrnehmung Sie hört mir nie zu! Du bist einfach zu nachgiebig! Der Kollege Meier ist echt keine Leuchte! Du verschleuderst noch unser ganzes Geld! Er redet immer ohne Punkt und Komma! Kinder sind einfach Störenfriede! Du bist unzuverlässig Sie nutzt mich aus! Ihr eigener Favorit? 17
Interpretations-Quiz Bitte finden Sie einen Partner, der die Übung mit Ihnen gemeinsam macht. Erklären Sie ihm vorher den Unterschied zwischen Interpretation und objektivierter Wahrnehmung. (Die Übung macht noch mehr Spaß in zwei Gruppen und mit Zeitvorgabe) Finden Sie jeder (jede Gruppe) 10 Bewertungen bzw. Interpretationen und schreiben Sie diese auf. Nun beginnt A und nennt seine erste Interpretation. B muss innerhalb von 30 Sek. eine passende Beobachtung benennen. Der Satzanfang kann lauten: Ich nehme an, Du hast gesehen (gehört, gefühlt), dass. Wenn A mit der Antwort einverstanden ist, stellt B seine erste Interpretation vor und A findet die passende Wahrnehmung. (Achtung: Es muss nur irgendeine objektive Wahrnehmung sein. Nicht die Richtige ) Ihre Interpretationen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Die Übungen stammen mit freundlicher Genehmigung des Junfermann Verlags und der Autorin aus dem Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation von Ingrid Holler. 18
Hintergrund und Literatur des vorliegenden Kurses Der vorliegende Kurs basiert auf den (Forschungs-) Erkenntnissen, Gedanken und Ideen von: Friedemann Schulz von Thun, Paul Watzlawik, Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton, Marshall Rosenberg, Ingrid Holler, Rolf Dobelli und Werber Stangl. Wir bedanken uns bei allen für Ihre Arbeit, Ihre Gedanken und Anregungen! Literatur: Dobelli, Rolf: Die Kunst des klaren Denkens 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, Carl Hanser Verlag München, 2011 Holler, Ingrid: Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation, Paderborn: Junfermann Verlag, 2012 Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton: Das Harvard Konzept Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse, Campus-Verlag, 2015, 25. Auflage Schulz v. Thun, Friedemann: Miteinander reden: 1-3, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1981-1998 Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit Wahn. Täuschung. Verstehen, München: Piper Verlag, 1995 http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/psychotherapie/systemisches-fragen.shtml (Stand vom 27.09.2017) Bildnachweis: Alle Fotos von www.pixabay.com. Kein Nachweis der Bildquelle erforderlich. 19