Gläubigerschutz bei Auslandsgesellschaften. - Eine Untersuchung zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts unter Geltung der Gründungstheorie



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Transkript:

Gläubigerschutz bei Auslandsgesellschaften - Eine Untersuchung zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts unter Geltung der Gründungstheorie Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg vorgelegt von Florian Streiber aus Hamburg

Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Dekan: Erstgutachter: Zweitgutachter: Prof. Dr. Walter Perron Prof. Dr. Hanno Merkt LL.M. Prof. Dr. Gerhard Hohloch Tag der mündlichen Prüfung: Freiburg, d. 15./16. Juli 2008 Erscheinungsjahr 2008 (Bearbeitungsstand Februar 2007)

Inhaltsübersicht Einleitung... 6 A. Allgemeine Einführung in die Problematik... 6 B. Gegenstand und Ziel der Arbeit... 11 C. Themenbegrenzung... 13 D. Gang der Untersuchung... 15 Erster Teil: Internationales Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit. 17 Kapitel 1: Die Auslandsgesellschaft im Internationalen Privatrecht... 17 A. Der Anknüpfungsgegenstand... 18 I.) Zuzugskonstellationen... 19 II.) Wegzugskonstellationen... 20 B. Die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts... 21 I.) Sitztheorie... 22 1.) Inhalt und Zielsetzung... 23 2.) Der effektive Verwaltungssitz... 24 II.) Gründungstheorie... 26 III.) Vermittelnde Ansätze... 29 1.) Überlagerungstheorie... 30 2.) Differenzierungslehre... 31 3.) Kombinationslehre... 31 C. Der Umfang des Gesellschaftsstatuts... 32 Kapitel 2: Die Behandlung von Auslandsgesellschaften nach bisherigem deutschen IPR... 34 A. Internationale Regelungen... 36 I.) Überblick... 36 II.) Deutsch-amerikanischer Rechtsverkehr... 38 B. Zuzugskonstellationen... 40 I.) Gründung einer Auslandsgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz... 40 II.) Sitzverlegung ins Inland... 41 III.) Rechtsfolgen der Nicht-Anerkennung... 43 1.) Strukturelle Einordnung der Auslandsgesellschaft... 44 2.) Handelndenhaftung... 45 3.) Gesellschafterhaftung... 46 C. Wegzugskonstellationen... 47 I.) Gründung einer deutschen GmbH mit ausländischem Verwaltungssitz... 47 II.) Sitzverlegung ins Ausland... 49 D. Zusammenfassende Bewertung... 50

2 Kapitel 3: Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von von Auslandsgesellschaften... 52 A. Die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43, 48 EG... 52 I.) Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit... 53 II.) Der Inhalt der Niederlassungsfreiheit... 55 III.) Die Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit56 B. Die Rechtsprechung des EuGH... 57 I.) Die Entscheidung Kommission/Frankreich... 58 II.) Die Entscheidung Segers... 59 III.) Die Entscheidung Daily Mail... 61 1.) Die Entscheidung des EuGH... 61 2.) Die Reaktion in Literatur und Rechtsprechung... 62 IV.) Die Entscheidung Centros... 63 1.) Die Entscheidung des EuGH... 63 2.) Die Reaktion der Literatur... 65 3.) Die Reaktion der Rechtsprechung... 66 V.) Die Entscheidung Überseering... 67 1.) Die Entscheidung des BGH vom 1. Juli 2002... 68 2.) Die Entscheidung des EuGH... 69 3.) Die Reaktion der Literatur... 70 4.) Die Reaktion der Rechtsprechung... 72 VI.) Die Entscheidung Inspire Art... 74 1.) Die Entscheidung des EuGH... 74 2.) Die Reaktion der Literatur... 76 3.) Die Reaktion der Rechtsprechung... 78 C. Zusammenfassung... 80 Kapitel 4: Die aktuelle Behandlung von Auslandsgesellschaften im deutschen IPR... 82 A. Zuzugskonstellationen... 82 I.) Die Behandlung von EG-Auslandsgesellschaften... 83 1.) Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit... 84 2.) Keine Anwendung der deutschen Kapitalaufbringungs- und... -erhaltungsregeln... 85 3.) Keine Haftung der Gesellschaftsorgane nach deutschem... Sachrecht... 86 II.) Die Behandlung von Auslandsgesellschaften aus Drittstaaten... 87 1.) Die Behandlung von US-Auslandsgesellschaften... 87 2.) Die Behandlung von Auslandsgesellschaften aus sonstigen Drittstaaten... 88 B. Wegzugskonstellationen... 90 C. Zusammenfassende Ergebnisse... 92

3 Zweiter Teil: Die Anwendbarkeit nationaler Gläubigerschutzregelungen auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften... 93 Kapitel 5: Die Notwendigkeit nationaler Gläubigerschutzbestimmungen bei Auslandsgesellschaften... 94 A. Gläubigerschutz im deutschen GmbH-Recht... 95 I.) Kapitalaufbringung und -erhaltung... 95 II.) Insolvenzantragspflicht... 96 III.) Haftungsregelungen... 97 IV.) Zwischenergebnis... 98 B. Gläubigerschutz durch das Gründungsrecht... 98 I.) Geringer präventiver Gläubigerschutz durch fehlendes II.) Mindestkapital... 99 Normenmangel durch das Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz... 100 1.) Das Auseinanderfallen von Gesellschafts- und Insolvenzstatut...... 101 2.) Die territorial beschränkte Staatsaufsicht... 103 III.) Kein ausreichender Gläubigerschutz durch Publizität... 104 C. Ergebnis... 106 Kapitel 6: Das nationale Gläubigerschutzrecht am Beispiel der Durchgriffshaftung... 108 A. Erscheinungsformen und methodischer Ansatz der Durchgriffshaftung. 109 I.) Erscheinungsformen der Durchgriffshaftung... 110 II.) Die Durchgriffstheorien... 110 B. Die klassischen Fallgruppen der Durchgriffshaftung... 113 I.) Vermögensvermischung... 114 II.) Materielle Unterkapitalisierung... 115 III.) Konzernhaftung... 118 C. Die Existenzvernichtungshaftung... 121 I.) Der Haftungsgrund... 123 1.) Binnenhaftungskonzepte... 123 2.) Das Durchgriffskonzept des BGH... 124 II.) Die Haftungsvoraussetzungen... 126 1.) Der Eingriffstatbestand... 127 a.) Qualifizierter Vermögensentzug... 127 b.) Subjektive Merkmale... 130 2.) Insolvenz der Gesellschaft... 131 3.) Vorrangverhältnis der 30, 31 GmbHG... 132 a.) Abgrenzung der 30, 31 GmbHG von der Existenzvernichtungshaftung... 132 b.) Die konkrete Anwendung des Vorrangverhältnisses durch den BGH... 133 III. Die Rechtsfolge... 135

4 Kapitel 7: Die Anwendung nationaler Gläubigerschutzbestimmungen nach derzeitigem Kollisionsrecht... 138 A. Die Qualifikation der Durchgriffshaftung... 139 I.) Deliktsrechtliche Qualifikation der Durchgriffshaftung... 141 II.) Insolvenzrechtliche Qualifikation der Durchgriffshaftung... 144 III.) Zwischenergebnis... 145 B. Die Anwendung der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungstheorien auf die Durchgriffshaftung... 145 I.) Sitztheorie... 146 II.) Gründungstheorie... 146 1.) Ordre Public... 147 2.) Gesetzesumgehung... 149 3.) Sonderanknüpfungen... 150 III.) Vermittelnde Theorien... 152 C. Ergebnis... 153 Dritter Teil: Eigener Lösungsansatz Das gesellschaftsrechtliche Außenhaftungsstatut... 154 A. Ausgangslage... 154 B. Vorüberlegungen... 155 Kapitel 8: Die europarechtlichen Vorgaben für eine neue gesellschaftsrechtliche Anknüpfungstheorie... 157 A. Die primärrechtlichen Vorgaben des Europarechts... 157 I.) Der kollisionsrechtliche Gehalt der Niederlassungsfreiheit... 158 II.) Der Umfang der Niederlassungsfreiheit... 161 1.) Die tatbestandliche Einschränkung der Grundfreiheiten... 163 2.) Die tatbestandliche Einschränkung der Niederlassungsfreiheit165 B. Die sekundärrechtlichen Vorgaben des Europarechts... 167 C. Zusammenfassende Ergebnisse... 168 Kapitel 9: Die kollisionsrechtlichen Vorgaben für eine neue gesellschaftsrechtliche Anknüpfungstheorie... 170 A. Umfang und Einschränkung der Gründungsanknüpfung in den USA... 172 I.) Umfang der Gründungsanknüpfung... 173 II.) Einschränkungen der Gründungsanknüpfung... 175 1.) Rechtsprechung... 176 2.) Outreach-Statutes... 177 3.) Domestication... 178 B. Bewertung... 178 C. Zusammenfassende Ergebnisse... 180

5 Kapitel 10: Das gesellschaftsrechtliche Außenhaftungsstatut... 182 A. Umfang eines gesellschaftsrechtlichen Residualstatuts... 183 I.) Gesellschaftsrechtliche Außenhaftungsansprüche... 184 1.) Vermögensvermischung... 186 2.) Materielle Unterkapitalisierung... 187 3.) Existenzvernichtungshaftung... 188 II.) Die Vereinbarkeit einer gesellschaftsrechtlichen Außenhaftung mit Inspire Art... 189 B. Schlussfolgerungen... 190 I.) Verhältnis zum allgemeinen Gesellschaftsstatut... 191 II.) Auswirkungen für im Inland ansässige Auslandsgesellschaften... 192 C. Zusammenfassende Ergebnisse... 194 Vierter Teil: Ergebnisse und Zusammenfassung... 196 A. Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit in Thesen... 196 B. Zusammenfassung... 200 Abkürzungsverzeichnis... 202 Literaturverzeichnis... 206

6 Einleitung A. Allgemeine Einführung in die Problematik Die GmbH ist in Deutschland die am weitesten verbreitete Gesellschaftsform, deren Zahl sich nach wie vor im Steigen befindet. 1 Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen besteht ein großes Bedürfnis nach einer flexiblen und praktikablen Möglichkeit der Haftungsprivilegierung für die hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen Personen. Diesem Bedürfnis hat die GmbH in ihrer über 100-jährigen Bestehensgeschichte seit Einführung im Jahre 1892 bisher Rechnung getragen. Dabei hat diese Gesellschaftsform nicht nur die deutsche Wirtschafts- und Unternehmenskultur nachhaltig geprägt und beeinflusst, sondern war auch Vorbild bei der Implementierung einer entsprechenden Gesellschaftsform in ausländischen Rechtsordnungen. 2 Mittlerweile kennen weit über 100 Länder der Welt eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. 3 Die GmbH deutschen Vorbilds wird daher vielfach schlagwortartig als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Exportschlager deutscher Rechtskultur bezeichnet. Trotz dieser Erfolgsgeschichte ist die deutsche GmbH jüngst in zunehmendem Maße in die Kritik geraten. Der GmbH nach geltendem Recht wird vorgeworfen, sie sei unflexibel und überreguliert 4, zudem sei das Erfordernis eines Mindeststammkapitals weder zeitgemäß noch diene es überhaupt in substantiellem Maße der Absicherung von Gläubigern. 5 Wesentlich forciert wurde diese Debatte durch die seit 1999 ergangene Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften innerhalb Europas in Sachen 1 2 3 4 5 Nach Schätzungen von Kornblum ist die Zahl der in Deutschland existierenden GmbHs zwischen 2002 und 2006 von ca. 950.000 auf über 1.000.000 angestiegen, vgl. Kornblum, GmbHR 2007, 2, 32; Ders., GmbHR 2006, 28, 37; Ders., GmbHR 2005, 39, 48 sowie Ders., 2003, 1157, 1173. Überblick bei Lutter, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 49 ff. Lutter, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 49, 76; seit den 1990er Jahren zählen dazu auch Russland und China, vgl. Ders., GmbHR 2005, 1, 2. Vgl. Bayer, BB 2003, 1271, 1273; Happ, ZHR 2005, 6 ff; Kallmeyer, GmbHR, 2004, 377 ff; Koegel, GmbHR 2003, 1225 ff; Kulms, ZVglRWiss 2003, 272 ff; Meilicke, GmbHR 2003, 793, 897 ff; Westermann, GmbHR 2005, 4 ff. Vgl. Blaurock, FS Raiser, 2005, S. 3, 15 ff; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 ff; Heidinger, DNotZ 2005, 97, 103 ff; Mülbert, Der Konzern 2004, 151, 154 ff sowie zur Bedeutung des Mindeststammkapitals aus rechtsökonomischer Sicht Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433 ff.

7 Centros 6, Überseering 7 und Inspire Art 8. Nach diesen wegweisenden Entscheidungen hat jeder Mitgliedstaat Gesellschaften eines anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe ihres Heimatrechts im Inland anzuerkennen. Hierdurch hat die deutsche GmbH ihr bisheriges Monopol als Vehikel einer unternehmerischen Betätigung mit Haftungsbeschränkung in Deutschland verloren. Ungeachtet der Frage, ob es einen echten Wettbewerb der Gesellschaftsrechte überhaupt geben kann 9, muss sich die GmbH nunmehr der Konkurrenz ausländischer Gesellschaftsformen stellen und sich an diesen messen lassen. So steht deutschen und ausländischen Unternehmern durch die gewährte Rechtsformwahlfreiheit neben der GmbH eine Vielzahl verschiedener Gesellschaftsformen für eine wirtschaftliche Betätigung zur Verfügung. Die werbende Tätigkeit ausländischer Gesellschaften in Deutschland stellt nicht nur ein mögliches Zukunftsszenario dar, sondern ist bereits gelebte Rechtstatsächlichkeit. In der Praxis ist bereits seit längerer Zeit ein Anstieg der am deutschen Rechtsverkehr teilnehmenden Auslandsgesellschaften zu beobachten. Wie zu erwarten war, hat sich diese Tendenz nach Überseering und Inspire Art noch verstärkt. Über die Medien werden einer breiten Öffentlichkeit die vermeintlichen Vorteile einer ausländischen Gesellschaft näher gebracht, allem voran in Form einer private company limited by shares (Ltd.) englischen Rechts oder einer niederländischen Besloten Vennootschap (B.V.). 10 Gerade wegen des im Vergleich zur deutschen GmbH geringeren Mindestkapitals scheinen solche Auslandsgesellschaften für viele Unternehmensgründer attraktiver zu sein. 11 Eine überregionale Zeitung bringt die landläufig vorherrschende Meinung des Vergleichs einer Ltd. mit der GmbH wie folgt auf den Punkt: Schneller, unbürokratischer, preiswerter. 12 Während sich größere Unternehmen bei der Verwendung 6 EuGH NJW 1999, 2027 ff - Centros. 7 EuGH NJW 2002, 3614 ff - Überseering. 8 EuGH NJW 2003, 3331 ff - Inspire Art. 9 So ausdrücklich Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2233; Grundmann, ZIP 2004, 2401, 2404; Westermann, ZIP 2005, 1849, 1849 jeweils m. w. N.; kritisch noch Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 560. Vgl. auch dessen Ausführungen zum Problem der Vergleichbarkeit verschiedener Rechtssysteme Merkt, ZGR 2004, 305, 316. 10 Vgl. zur B.V. Efferink/Ebert, GmbHR 2004, 880 ff sowie zur englischen Ltd. Ebert/Levedag, GmbHR 2003, 1337 ff. 11 Vgl. die Übersicht bei Wachter, GmbHR 2005, 717 ff. Dabei werden vielfach die nicht unerheblichen Folgekosten aus einem erhöhten Verwaltungs- und Beratungsaufwand übersehen, vgl. dazu Heidinger, DNotZ 2005, 97, 100; Kallmeyer, DB 2004, 636, 637; Werner, GmbHR 2005, 288, 294. 12 Welt am Sonntag v. 16.11.2003, S. 35.

8 ausländischer Rechtsformen noch zurückhalten 13, entscheiden sich gerade Kleinunternehmer immer häufiger für eine ausländische Gesellschaftsform. Unterstützt wird diese Entwicklung durch das Angebot zahlreicher Dienstleistungsunternehmen, die über das Internet Komplettlösungen für eine Limited-Gründung zu Festpreisen anbieten. 14 Mangels einer offiziellen statistischen Auswertung sind verlässliche Angaben über die genaue Anzahl in Deutschland domizilierender Auslandsgesellschaften nicht möglich. 15 Nach Schätzungen dürfte die Zahl der hier ansässigen Auslandsgesellschaften jedoch bereits in die Tausende gehen. 16 Neben der gewährten Rechtsformwahlfreiheit und der sich daraus ergebenden Möglichkeit des societas shopping innerhalb Europas haben die Entscheidungen des EuGH eine weit darüber hinausgehende ordnungspolitische Ausstrahlwirkung mit Folgen für das gesamte deutsche und ausländische Gesellschaftsrecht. So geht es in diesem Zusammenhang nicht nur um die Frage nach der rechtlichen Behandlung von Auslandsgesellschaften, sondern ebenso um die Frage nach einem effizienten und wirksamen Gläubigerschutzkonzept überhaupt. Nach traditioneller kontinentaleuropäischer Sichtweise, die auch dem deutschen Recht zugrunde liegt, wird Gläubigerschutz vornehmlich über das Gesellschaftsrecht, insbesondere in Form der gesetzlichen Kapitalschutzregeln, gewährleistet. 17 Danach erlangen die Gesellschafter das Privileg der Haftungsbeschränkung erst durch Leistung einer Mindeststammeinlage, die in der Gesellschaft zu verbleiben und späteren Gläubigern als Haftungsfonds zu dienen hat. Demgegenüber obliegt dem Gesellschaftsrecht nach anglo-amerikanischem Verständnis vornehmlich die 13 Bücker, F.A.Z. v. 08.10.2003, S. 21. 14 Als Beispiele seien zu nennen: www.go-limited.de ; www.limited24.de ; www.limited4you.de. 15 Weder das Statistische Bundesamt noch ausgewählte Handelskammern oder die DIHK halten entsprechende Statistiken vor. Ebenso wenig werden Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz außerhalb Großbritaniens vom britischen Gesellschaftsregister statistisch erfasst, vgl. Westhoff, ZinsO 2004, 289, 289. Auch den deutschen Justizstatistiken ist die Anzahl der Zweigniederlassungen (ausländischer) Gesellschaften nicht zu entnehmen, Kornblum, GmbHR 2006, 28, 39. 16 Hirte spricht von zweiwöchentlich ca. 7.000 Limited-Gründungen, Hirte, GmbHR 2003, R 421 ebenso Kleinert/Probst, DB 2003, 2217, 2218, was jedoch überhöht sein dürfte. S. dazu Happ, ZHR 169 (2005), 6, 7, der eine Zahl von 165 Eintragungen von Limiteds beim AG Berlin Charlottenburg in den letzten 19 Monaten nennt (gemeint sind wohl Eintragungen von Zweigniederlassungen gem. 13d HGB ff). Siehe auch die Erhebung bei Westhoff, GmbHR 2006, 525 ff. Nach eigenen Angaben des Limited-Beraters und Marktführers in diesem Segment Go Ahead soll sich die Zahl von Limited-Gründungen in Deutschland auf monatlich 1.000 belaufen, vgl. www.go-limited.de. 17 S. genauer in Kapitel 5.

9 Regelung der inneren Organisation der Gesellschaft. Gläubigerschutz ist vielmehr vornehmlich dem Insolvenzrecht sowie der Eigeninitiative der Gläubiger überantwortet, unterstützt durch kapitalmarktrechtliche Informationspflichten und eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter. 18 Im Rahmen der derzeitigen rechtspolitischen Diskussion sprechen sich nunmehr vermehrt Stimmen für eine grundsätzliche Reform des geltenden Kapitalschutzsystems aus. 19 Auf europäischer Ebene sorgen die Vorschläge der SLIM-Initiative sowie der High Level Group für weiteren Reformdruck. Vor diesem Hintergrund stehen nicht nur das deutsche GmbH-Recht, sondern das gesamte kontinental-europäische Gläubigerschutzsystem durch gesetzlichen Kapitalschutz vor weitreichenden und einschneidenden Strukturveränderungen. In ersten Reaktionen hat Spanien eine neue Gesellschaftsform, die sog. Blitz-GmbH geschaffen 20, die innerhalb von 48 Stunden gegründet werden kann. Hierdurch soll gerade dem Kleingewerbe die Gründung einer Kapitalgesellschaft so leicht und kostengünstig wie möglich gemacht werden. Die Gründung erfolgt mittels eines einzigen elektronischen Dokuments unter Wahl einer vom Gesetz vorgegebenen Mustersatzung. 21 Fast gleichzeitig hat Frankreich mit dem Ziel einer Deregulierung sein GmbH-Recht geändert, um das Gründungsverfahren ebenfalls schneller und kostengünstiger zu gestalten. 22 Auch dort ist die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung per Internet innerhalb von 24 bis 48 Stunden möglich. Als wesentliche Neuerung hat der Gesetzgeber zudem in Abkehr der bisherigen Tradition der kontinental-europäischen Kapitalaufbringungsregelungen gänzlich auf das Erfordernis eines Mindestkapitals verzichtet. 23 18 Vgl. zum anglo-amerikanischen Gläubigerschutzkonzept die Ausführungen von Merkt, ZGR 2004, 305, 312 ff. 19 Blaurock, FS Raiser, 2005, S. 3, 15 ff; Grunewald/Noack GmbHR 2005, 189 ff; Mülbert, Der Konzern 2004, 151, 154 ff. 20 Sociedad Limitada Nueva Empresa (SLNE), eingeführt durch Gesetz Nr. 7/2003 v. 01.04.2003, abgedruckt im spanischen Staatsanzeiger BOE (Boletín Oficial del Estado) Nr. 79/6586, S. 12979. 21 Vgl. im Einzelnen zur SLNE Fröhlingsdorf, RIW 2003, 584 ff; Irujo, RIW 2004, 760 ff; Vietz, GmbhR 2003, 26 ff; Bascopé/Hering, GmbHR 2005, 609 ff. 22 Loi pour l Initiative Economique, Loi nr. 2003-721 v. 01.08.2003, abgedruckt im Journal Officiel Nr. 179 v. 05.08.2003, S. 13449. 23 S. allgemein zu den Änderungen der S.A.R.L. in Frankreich Meyer/Ludwig, GmbHR 2005, 346 ff; Dies., GmbHR 2005, 459 ff; Reca/Hoffmann, GmbHR 2004, 1070 ff; Becker, GmbHR 2003, 706 ff, 1120 ff. Auch in Italien wurde zum 01.01.2004 die italienische s.r.l. umfassend reformiert. Allerdings entspricht die reformierte italienische GmbH in weiten Teilen der (traditionellen) deutschen GmbH, so dass von einer Reform im Sinne einer umfassenden Deregulierung wie in Frankreich oder Spanien nicht gesprochen werden kann. S. zur Reform der italienischen s.r.l. Lorenzetti/Strnad, GmbHR 2004, 731 ff.

10 Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich zwischenzeitlich zu einer Änderung des GmbHG entschieden und einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen - MoMiG vorgelegt. 24 Hiernach soll unter anderem das Mindeststammkapital von 25.000 auf 10.000 abgesenkt und dadurch die Kapitalaufbringung bei der Gesellschaftsgründung erleichtert werden. 25 Weiterhin soll es deutschen GmbHs durch Streichung des 4a Abs. 2 GmbHG ermöglicht werden, eine ausschließliche Geschäftstätigkeit auch außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes zu entfalten. 26 Daneben sollen weitere Veränderungen im GmbH-Recht vorgenommen werden, um die GmbH-Beteiligung flexibler und fungibler zu gestalten und einer missbräuchlichen Verwendung der GmbH in der Krise entgegenzuwirken. Schließlich soll mit Einführung des elektronischen Handelsregisters auch in Deutschland die GmbH-Gründung in wenigen Tagen möglich sein. 27 Durch diese Maßnahmen erhofft sich der Gesetzgeber, die Rechtsform der GmbH besser gegen Missbräuche zu schützen und deren Attraktivität gegenüber konkurrierenden ausländischen Rechtsformen zu steigern. 28 Auch wenn hierdurch anders als in Spanien oder Frankreich vorerst keine umfassende Reform des GmbH-Rechts vorgenommen, sondern das traditionelle Haftkapitalsystem im Kern beibehalten wird, sind beginnende Änderungen im herkömmlichen deutschen Gläubigerschutzsystem unverkennbar. Aufgrund dieser Veränderungen lässt sich beim Gläubigerschutz eine Verschiebung des kontinental-europäischen Kapitalschutzsystems in Richtung zum angloamerikanischen Modell der kapitalmarktrechtlichen Publizität beobachten. Abgerundet wird diese Entwicklung in Deutschland durch die neuere Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff (sog. Vulkan- Doktrin) 29, wonach die Haftung des GmbH-Gesellschafters auf ein neues, konzernunabhängiges Fundament gestellt wird. Die Durchgriffshaftung hat sich damit zu einer eigenständigen Säule des Gläubigerschutzes fortentwickelt. 30 24 Gesetzentwurf mit Begründung ist abrufbar unter www.bmj.bund.de/media/archive/1236.pdf. S. zudem die hierzu ergangenen Anmerkungen von Noack, DB 2006, 1475 ff; Seibert, ZIP 2006, 1157 ff. 25 Begr. Ref-E, S. 37. 26 Begr. Ref-E, S. 37. 27 Vgl. Seibert, ZIP 2006, 1157, 1159. 28 Begr. Ref-E, S. 33. 29 BGHZ 149, 10 - Bremer Vulkan; BGHZ 150, 61 - L-Kosmetik; BGHZ 151, 181 - KBV. 30 S. hierzu genauer in Kapitel 6.

11 Ob und inwieweit sich die deutsche GmbH durch die anstehenden Deregulierungsmaßnahmen gegenüber ausländischen Gesellschaften als ernst zu nehmende Alternative wird weiterhin behaupten können, bleibt abzuwarten. Der Anfang vom Ende der deutschen GmbH 31 dürfte zwar mit Fortschreiten dieses Weges vorerst abgewendet sein. Auf die Beurteilung dieser Entwicklung kann und soll vorliegend jedoch nicht näher eingegangen werden. Ungeachtet der weiteren Reformen im Bereich des deutschen GmbH-Rechts steht jedoch fest, dass die ausländische GmbH in der deutschen Rechtstatsächlichkeit angekommen ist, und der nationale Rechtsanwender mit ihr umzugehen hat. Da die Wahl für eine Auslandsgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz gerade auch davon motiviert ist, nationalen gesetzlichen Regelungen zu entgehen, wurde eine solche Gesellschaft bislang oft als Scheinauslandsgesellschaft, Briefkastengesellschaft oder Billig-GmbH bezeichnet, was terminologisch in Zukunft zu überdenken sein wird. 32 Dennoch bleibt weiterhin die Frage zu klären, ob der inländische Rechtsverkehr gegenüber derartigen Gesellschaften ausreichend geschützt ist, insbesondere wie ein effizienter Gläubigerschutz gewährleistet werden kann. Dieser, nach Überseering und Inspire Art um so aktueller gewordenen Frage, soll im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen werden. B. Gegenstand und Ziel der Arbeit Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage eines ausreichenden Gläubigerschutzes bei Auslandsgesellschaften. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist die kollisionsrechtliche Entscheidung, welches nationale Sachrecht auf derartige Gesellschaften angewandt wird, d.h. welchem Gesellschaftsstatut sie unterliegen. Im Internationalen Gesellschaftsrecht stehen sich traditionell zwei gegenläufige Grundkonzeptionen gegenüber. Während die Sitztheorie zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts auf den tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft abstellt, ist nach der Gründungstheorie das Recht maßgebend, nach welcher die Gesellschaft gegründet wurde. Die bislang ganz herrschende Meinung in Deutschland ist von der Geltung der Sitztheorie ausgegangen, so dass Gläubigerschutz durch die Anwendung des 31 Hirte, F.A.Z. v. 22.01.2003, S. 19. 32 S. dazu in Kapitel 1 unter Punkt A. I.

12 nationalen (Gesellschafts-)Rechts gewährleistet war. Nach Überseering und Inspire Art hat sich mittlerweile im Schrifttum die Auffassung durchgesetzt, dass die Sitztheorie in traditioneller Anwendung nicht (mehr) mit der in Art. 43, 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. 33 Überwiegend wird von einer europarechtlich vorgegebenen Geltung des ausländischen Gesellschaftsstatuts ausgegangen, wovon auch gesellschaftsrechtliche Gläubigerschutzregelungen umfasst seien. 34 Auch der BGH judiziert mittlerweile in diese Richtung. 35 In Deutschland hat sich damit zumindest im Hinblick auf EG-Auslandsgesellschaften faktisch die Gründungstheorie durchgesetzt. 36 Noch nicht abschließend geklärt ist jedoch, in welchem Ausmaß dies der Fall ist und bis wohin die Gründungsanknüpfung reicht. Nach der in der deutschen IPR-Dogmatik herrschenden Lehre vom gesellschaftsrechtlichen Einheitsstatut sollen alle gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Regelungen einheitlich anzuknüpfen sein. 37 Demnach wollen etliche Stimmen im Schrifttum nach diesem Alles-oder-Nichts-Prinzip den Gläubigerschutz gänzlich dem ausländischen Gesellschaftsstatut überlassen. Eine Anwendung inländischer Regelungen solle allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das ausländische Recht im konkreten Fall Schutzlücken aufweise. 38 Andere wiederum versuchen der alleinigen Maßgeblichkeit des Gründungsrechts dadurch zu entgehen, dass die dem Gläubigerschutz dienenden Haftungstatbestände dem Delikts- 39 oder Insolvenzrecht 40 zugeordnet werden. Schließlich werden Lösungsmodelle über den ordre public vorgeschlagen. 41 Bereits diesem kurzen Überblick lässt sich entnehmen, dass die derzeitige Diskussion von einer einheitlichen Beurteilung der Gläubigerschutzproblematik weit entfernt ist. Nimmt man die unterschiedlichen Auffassungen zur Behandlung 33 Exemplarisch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1209. S. zudem die ausführlichen Schrifttumsnachweise in Kapitel 3 und 4. 34 Exemplarisch Paefgen, ZIP 2004, 2253 ff; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 ff. 35 BGHZ 154, 185; BGH NJW 2005, 1648. 36 So heißt es in der Standardkommentierung zum bürgerlichen Recht Palandt: im Bereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 und 48 EG ist daher jetzt von der Gründungstheorie auszugehen, Palandt/Heldrich, Komm. z. BGB, Anh zu EGBGB 12 Rdn. 6. 37 Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 16;.v. Bar, IPR, Bd. II, Rdn. 622. 38 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 173 ff; Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2257. 39 Bayer, BB 2003, 2357, 2365; Horn, NJW 2004, 893, 899; Meilicke, GmbHR 2003, 793, 806; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 667 ff; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588. 40 Fischer, ZIP 2004, 1477 ff. 41 Paefgen, DB 2003, 487, 489.

13 von Auslandsgesellschaften aus Drittstaaten mit in den Blick 42, erscheint das derzeitige deutsche Internationale Gesellschaftsrecht dem Betrachter eher als Flickenteppich als eine stringente Regelungsmaterie. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, auf Grundlage der nunmehr für maßgeblich gehaltenen Gründungstheorie ein für alle im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften geltendes Gläubigerschutzkonzept zu entwickeln. Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass im anglo-amerikanischem Rechtskreis, wo auch die Gründungstheorie vorherrschend ist, die Reichweite des Gesellschaftsrechts sehr viel enger beurteilt wird, als dies nach traditioneller deutscher Sichtweise der Fall ist. Anders formuliert sind nach dortigem Verständnis Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutzrecht voneinander zu trennen. 43 Dieser Grundgedanke soll auf das deutsche Kollisionsrecht übertragen und in das durch europarechtliche Vorgaben predeterminierte System eingefügt werden. Dabei soll eine Neueingrenzung bzw. Ergänzung des Gesellschaftsstatuts vorgenommen werden, um so Möglichkeiten für eine residuale Sitzanknüpfung im Sinne eines effektiven Gläubigerschutzes aufzuzeigen. 44 Bei diesem Vorgehen sind neben den kollisions-, insbesondere auch die europarechtlichen Vorgaben der EuGH- Rechtsprechung zu beachten, da sich jedes kollisionsrechtliche Modell an der Niederlassungsfreiheit messen lassen muss. C. Themenbegrenzung Eine Untersuchung zum Gläubigerschutz bei Auslandsgesellschaften steht im Spannungsverhältnis zwischen Kollisions-, Europa- und nationalem Gesellschaftsrecht. Zum Zwecke der Fokussierung auf den zu untersuchenden Fragenkomplex bedarf es einer Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, verbunden mit einer Abgrenzung gegenüber angrenzenden Regelungsmaterien. Aus diesem Grund sollen neben dem Schutz nationaler Gläubigerinteressen andere Gruppeninteressen ausgespart werden, allem voran die Interessen der mit einer 42 Einige Literaturstimmen befürworten auch im Hinblick auf Gesellschaften aus Drittstaaten eine generelle Gründungsanknüpfung, vgl. Behrens, IPRax 2003, 193, 205; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 930, während andere Literaturstimmen für diese Fälle an der Sitztheorie - jedenfalls vorerst - festhalten wollen, vgl. beispielsweise Ebke, JZ 2003, 927, 930. 43 Bitter, WM 2004, 2190, 2199; Horn, NJW 2004, 893, 899; Merkt, ZGR 2004, 305, 312. 44 Soweit ersichtlich, wird ein solch grundlegender Ansatz in der aktuellen Diskussion kaum diskutiert; einzig diese Richtung andeutend Bitter, WM 2004, 2190, 2200.

14 Auslandsgesellschaft in Kontakt tretenden Arbeitnehmer und Minderheitsgesellschafter. Ausgespart bleiben damit insbesondere die vieldiskutierten Fragen zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern und abhängigen Unternehmen sowie zur Unternehmensmitbestimmung 45. Ausgenommen bleiben überdies umwandlungsrechtliche 46 sowie steuerrechtliche Fragestellungen, inklusive möglicher Mechanismen zum Schutz des nationalen Fiskus. Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind Auslandsgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland. Deshalb soll lediglich die Möglichkeit einer Anwendung nationaler Gläubigerschutzregelungen auf diese Gruppe von Auslandsgesellschaften erörtert werden. Gleichwohl wird die Rechtslage in Bezug auf eine deutsche GmbH mit ausländischem Verwaltungssitz aus Gründen der Vollständigkeit am Rande ergänzend dargestellt. Die Darlegungen zum Gläubigerschutz beziehen sich allein auf die Gesellschaftsform der GmbH bzw. auf eine der GmbH vergleichbare ausländische Gesellschaftsform. Das nationale Aktienrecht bleibt schon deshalb ausgenommen, weil sich eine Aktiengesellschaft wegen der erhöhten Gründungsanforderungen und im Vergleich zur GmbH komplexeren Struktur weniger gut für Umgehungskonstellationen der beschriebenen Art eignet und deshalb in der Praxis als Vehikel der Rechtsformwahlfreiheit bisher keine Rolle gespielt hat. 47 Der Gläubigerschutz nach nationalem Recht wird schließlich nur hinsichtlich der Haftung des GmbH-Gesellschafters im Sinne der sog. echten Durchgriffshaftung ausführlich dargestellt und auf das zu entwickelnde Gläubigerschutzkonzept angewendet. Dargestellt werden die als Ausnahme zur Haftungsprivilegierung diskutierten Fallgruppen der (echten) Durchgriffshaftung einschließlich der neuen Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff. Ausgenommen bleiben 45 S. zur Unternehmensmitbestimmung bei Auslandsgesellschaften Bayer, AG 2004, 534 ff; Müller- Bonanni, GmbHR 2003, 1235 ff; Sandrock, AG 2004, 57 ff; Thüsing, ZIP 2004, 381 ff, Veit, AG 2004, 14 ff. 46 Das LG Koblenz hat mit Beschluss v. 16.09.2003 (abgedruckt in ZIP 2003, 2210) dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit von 1 UmwG mit der Niederlassungsfreiheit zur Vorabentscheidung vorgelegt. S. dazu die Anmerkungen von Kloster, GmbHR 2003, 1413 ff. Mittlerweile hat der EuGH mit Urteil vom 13.12.2005 die entsprechende Regelung des UmwG für mit Art. 43, 48 EG unvereinbar erklärt, s. EuGH ZIP 2005, 2311. Mit den Auswirkungen der jüngeren EuGH-Rspr. auf grenzüberschreitende Umwandlungen befassen sich u.a. auch Dorr/Stukenborg, DB 2003, 647 ff; Koppensteiner, Der Konzern 2006, 40 ff; Paefgen, GmbHR 2004, 463 ff; v. Busekist, GmbHR 2004, 650 ff. Zur vom Rat am 14.09.2005 verabschiedeten Verschmelzungsrichtlinie s. Neye, ZIP 2005, 1893 ff; Wiesner, DB 2005, 91 ff sowie zur Rspr. in Österreich öogh IPRax 2004, 128 m. Anm. Doralt, NZG 2004, 396 ff; Paefgen, IPRax 2004, 132 ff. 47 Ulmer, JZ 1999, 662, 662.

15 hingegen das Eigenkapitalersatzrecht sowie vornehmlich an die Geschäftsführerstellung anknüpfende Haftungstatbestände, wie beispielsweise die Insolvenzverschleppungshaftung. Dieses Vorgehen stellt in Rechnung, dass die Durchgriffshaftung sowohl international als auch mittlerweile nach deutschem Recht eine eigenständige Säule des Gläubigerschutzes darstellt, so dass sich die gefundenen Ergebnisse auf andere Gläubigerschutzregelungen übertragen lassen. D. Gang der Untersuchung Der ERSTE TEIL der Arbeit beginnt mit einer Erörterung der für Auslandsgesellschaften maßgeblichen kollisionsrechtlichen Grundlagen (Kapitel 1). Daran anschließend wird die bisherige Behandlung von Auslandsgesellschaften nach traditionellem deutschen Kollisionsrecht dargestellt (Kapitel 2). Im weiteren Verlauf folgt eine Darstellung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Auslandsgesellschaften innerhalb Europas und deren Auswirkung auf das Internationale Gesellschaftsrecht (Kapitel 3). Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Darstellung der bisher ergangenen EuGH-Rechtsprechung sowie deren Bewertung durch die nationale Rechtsprechung und Literatur gelegt. Die eigene Würdigung der EuGH-Rechtsprechung mit den sich daraus ergebenden Folgerungen für das Internationale Gesellschaftsrecht erfolgt im dritten Teil der Arbeit. Abgeschlossen wird der erste Teil mit einer Darstellung der derzeitigen Behandlung von Auslandsgesellschaften im Sinne einer aktuellen Bestandsaufnahme zum Stand des Internationalen Gesellschaftsrechts in Deutschland (Kapitel 4). In TEIL ZWEI der Arbeit wird zunächst das nationale Gläubigerschutzkonzept im GmbH-Recht dargestellt und erläutert, warum weiterhin ein Bedürfnis für eine Anwendung nationaler Gläubigerschutzregelungen bei im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften besteht (Kapitel 5). Daran anschließend erfolgt eine Erörterung und Darstellung des nationalen Gläubigerschutzrechts am Beispiel der (echten) Durchgriffshaftung unter besonderer Berücksichtigung der neuen BGH- Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff (Kapitel 6). Hierauf aufbauend soll im Abschlusskapitel des zweiten Teils der Arbeit dargelegt werden, dass mit den bisher vertretenen Anknüpfungstheorien eine Anwendung der nationalen Gläubigerschutzregelungen auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften vor

16 dem Hintergrund der neuen EuGH-Rechtsprechung nicht erreicht werden kann (Kapitel 7). Zum Schutz der inländischen Gläubiger soll daher im DRITTEN TEIL der Arbeit ein neues kollisionsrechtliches Anknüpfungsmodell für im Inland ansässige Auslandsgesellschaften entwickelt werden, welches den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften gerecht wird. Hierfür sind zunächst die europa- und kollisionsrechtlichen Vorgaben für ein solches Modell herauszuarbeiten (Kapitel 8 und 9). In Kapitel 10 wird aus diesen Vorgaben das gesellschaftsrechtliche Außenhaftungsstatut entwickelt und dargelegt, dass die im zweiten Teil der Arbeit erörterten Fallgruppen der Durchgriffshaftung unter Anwendung des gesellschaftsrechtlichen Außenhaftungsstatuts auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften angewendet werden können. Abgeschlossen wird die Arbeit in TEIL VIER mit einer Darstellung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen und einer abschließenden Zusammenfassung.

17 Erster Teil: Internationales Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit Kapitel 1: Die Auslandsgesellschaft im Internationalen Privatrecht Das Internationale Privatrecht (IPR) bestimmt die maßgebliche Privatrechtsordnung bei Sachverhalten mit Auslandsberührung, vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Abgesehen von international vereinheitlichten IPR-Regeln handelt es sich hierbei um rein nationales Recht, was in Deutschland in den Art. 3 ff. EGBGB geregelt ist. Das Internationale Privatrecht besteht aus Kollisionsnormen, die mit Hilfe bestimmter Anknüpfungspunkte das in der Sache anzuwendende Recht bezeichnen. 48 Dabei soll diejenige Rechtsordnung zur Anwendung berufen werden, mit welcher der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist. Die durch eine Kollisionsnorm bei einem bestimmten Fragenkomplex zur Anwendung berufenen (nationalen) Sachnormen bilden das sog. Sachstatut (Vertragsstatut, Deliktstatut, Insolvenzstatut usw.). 49 Nach dem IPR hat in Fällen mit Auslandsberührung auch die Ermittlung des auf gesellschaftsrechtliche Fragen anwendbaren Rechts zu erfolgen. Die sich damit beschäftigende Teildisziplin des IPR wird als Internationales Gesellschaftsrecht bezeichnet. Das Internationale Gesellschaftsrecht liefert als Gesellschaftskollisionsrecht die Anknüpfungsmomente, anhand derer die Rechtsordnung zu ermitteln ist, zu der eine Gesellschaft die engsten Verbindungen aufweist 50, das sog. Gesellschaftsstatut bzw. die lex societatis. Nach dem Gesellschaftsstatut richten sich grundsätzlich alle gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere die Bestimmung des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts, die Anerkennung 51 der Verbände als Rechtssubjekte und - 48 Kegel/Schurig, IPR, 2000, 1 II; v. Hoffmann/Thorn, IPR, 2005, 1 Rdn. 3 f. 49 Palandt/Heldrich, Komm. z. BGB, Einl v EGBGB 3 Rdn. 1. 50 Kindler, Münchener Komm z. BGB, IntGesR Rdn. 1. 51 S. zum Begriff der Anerkennung genauer unter Punkt C.

18 hiermit zusammenhängend - die Mobilität von Gesellschaften (Sitzverlegung über die Grenze). 52 Das nach dem Gesellschaftsstatut maßgebende Recht ist zwingend, so dass es weder durch Satzung noch durch Vereinbarung der Gesellschafter durch ein anderes Recht ersetzt werden kann. 53 Der Festlegung der nationalen Rechtsordnung, der eine Gesellschaft untersteht, kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für den Bereich des Gläubigerschutzes, wenn dieser wie in Deutschland im Wesentlichen im materiellen Gesellschaftsrecht geregelt ist. 54 Im ersten Kapitel sollen daher die für den Untersuchungsgang maßgeblichen kollisionsrechtlichen Grundlagen herausgearbeitet werden. Hierzu sollen nach kurzer Darstellung der relevanten Anknüpfungsgegenstände (dazu unter Punkt A.) die in der Literatur diskutieren Anknüpfungsmöglichkeiten für das Gesellschaftsstatut erörtert werden, wobei die Vereinbarkeit der jeweiligen Anknüpfungstheorie mit dem Europarecht vorerst ausgeklammert bleiben soll (dazu unter Punkt B.). Abgeschlossen wird das erste Kapitel mit einer Darlegung von Umfang und Reichweite des Gesellschaftsstatuts nach traditionellem Verständnis (dazu unter Punkt C.). A. Der Anknüpfungsgegenstand Das Internationale Gesellschaftsrecht bestimmt die für eine Gesellschaft maßgebliche Rechtsordnung. Dabei umfasst der Begriff Gesellschaft eine Vielzahl von in der Rechtstatsächlichkeit anzutreffender Gebilde und Personenvereinigungen. Nach dem Gesellschaftsstatut richtet sich insbesondere die Behandlung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge bei juristischen Personen des Privatrechts, allem voran bei den Kapitalgesellschaften GmbH und AG. Dasselbe gilt für rechtsfähige Vereine und Stiftungen. 55 Um einen kollisionsrechtlichen Entscheidungseinklang zu gewährleisten, sind nach herrschender Meinung grundsätzlich auch sonstige Personenvereinigungen und 52 K. Schmidt, GesR, 2002, 1 II 8. 53 Sandrock, RIW 1989, 505, 506. Nach der Gründungstheorie haben die Gesellschafter freilich mittelbar die Möglichkeit, durch die Wahl eines bestimmten Gründungsrechts eine ihnen genehme Rechtsordnung auszuwählen, s. zur Gründungstheorie genauer unter Punkt B. II. 54 Vgl. genauer im zweiten Teil der Arbeit. 55 Kindler, Münchener Komm z. BGB, IntGesR Rdn. 295.

19 Vermögensmassen den juristischen Personen gleichgestellt, die nach ihrem Personalstatut nicht rechtsfähig sind. 56 Dies gilt namentlich für die Personenhandelsgesellschaften des HGB, die kollisionsrechtlich wie juristische Personen zu behandeln sind. 57 Auch die BGB-Gesellschaft soll für die Bestimmung des Anknüpfungskriteriums wie eine Kapitalgesellschaft zu behandeln sein, sofern es sich nicht um einen reine Gelegenheits- oder Innengesellschaft handelt. 58 Wie in der einleitenden Themenbegrenzung dargestellt, befasst sich die vorliegende Untersuchung mit Fragen des Gläubigerschutzes bei Auslandsgesellschaften in Form einer GmbH, so dass andere Gesellschaftsformen nachfolgend außer Betracht bleiben. Ausgehend von dem zu untersuchenden Anknüpfungsgegenstand der inoder ausländischen GmbH kann es abhängig vom tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft zu zwei unterschiedlichen Grundkonstellationen mit Auslandsberührung kommen. Danach ist zwischen Zuzugs- und Wegzugskonstellationen zu unterscheiden. I.) Zuzugskonstellationen In Zuzugsfällen sind die folgenden zwei Grundsachverhalte zu unterscheiden: (1) Eine nach ausländischem Recht gegründete GmbH hat ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von Anfang an in Deutschland. (2) Der tatsächliche Verwaltungssitz einer nach ausländischem Recht gegründeten GmbH wird später nach Deutschland verlegt (sog. grenzüberschreitende Sitzverlegung). Bei jedem Zuzugsfall ist zudem nach der Herkunft der ausländischen Gesellschaft zu differenzieren, und zwar danach ob die Gesellschaft nach dem Recht eines - EG-Mitgliedstaats oder eines - Nicht-EG-Mitgliedstaats (sog. Drittstaat) gegründet wurde. Im Gegensatz zu Gesellschaften aus Drittstaaten können sich nur EG-Auslandsgesellschaften auf die europarechtlichen Grundfreiheiten berufen, so 56 Palandt/Heldrich, Komm. z. BGB, Anh zu EGBGB 12 Rdn. 21. 57 BGH NJW 1967, 36 ff; OLG Frankfurt/M. IPRax 1986, 373 ff; Ahrens, IPRax 1986, 355, 357; Lange, IPRax 1998, 438, 440; Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 746. 58 Vgl. v. Bar, IPR, Bd. II, 1991, 5 Rdn. 645.

20 dass die Anwendung des nationalen Rechts in diesen Fällen mit dem Europarecht in Einklang stehen muss. Typischerweise entfalten ausländische Gesellschaften in Zuzugskonstellationen ihre wirtschaftliche Betätigung ausschließlich oder weit überwiegend im Inland. Dabei wird die wirtschaftliche Betätigung rein formal entweder über eine Haupt- oder über eine Zweigniederlassung der Gesellschaft betrieben. In terminologischer Hinsicht hat man bisher bei Gesellschaften ausländischer Rechtsform mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland von sog. Scheinauslandsgesellschaften bzw. Pseudo-Foreign-Corporations gesprochen 59, um das Auseinanderfallen von Gründungsstaat und Ort der wirtschaftlichen Betätigung auch begrifflich zu kennzeichnen. Hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt sich die traditionell reservierte Haltung der deutschen Rechtsprechung und Lehre gegenüber einer Anerkennung von im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften. 60 Spätestens seit dem EuGH-Urteil in Sachen Inspire Art lässt sich jedoch nach dem derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts die rechtliche Zulässigkeit der Verwendung einer Auslandsgesellschaft zum Zwecke der wirtschaftlichen Betätigung im Inland im Grundsatz nicht mehr bestreiten. Die nunmehr zu klärende Frage ist allein dahin zu stellen, bis zu welchem Umfang eine Anerkennung zu erfolgen hat bzw. ob, und wenn ja, welche Normen des nationalen Sachrechts in diesen Konstellationen weiterhin zur Anwendung berufen sein können. Eine begriffliche Pauschalpönalisierung dieser Gesellschaften sollte deshalb in Zukunft unterbleiben. Im Rahmen dieser Arbeit wird daher lediglich der wertneutrale Begriff Auslandsgesellschaft verwendet. II.) Wegzugskonstellationen Gegenüber Zuzugsfällen haben Wegzugsfälle bislang eine weitaus geringere praktische Bedeutung erlangt. Gleichwohl sind auch bei Wegzugskonstellationen im Grundsatz zwei Sachverhalte zu unterscheiden: 59 Vgl. Kindler, NJW 1999, 1993, 1993. Ebenso lassen sich Begriffe wie Briefkastengesellschaften, Kindler, NJW 2003, 1073, 1073; Werner, NZG 1999, 387, 387 Billig-Gesellschaften, Altmeppen, NJW 2004, 97, 97; K. Schmidt, GesR, 2002, 1 II 8. in der Literatur finden. 60 So formulieren Kegel/Schurig, 2000, IPR 17 II., S. 503, ihre Haltung gegenüber solchen Gesellschaften mit dem Satz: Wenn Sitz und Satzung auseinandergehen, ist meist etwas faul.

21 (1) Eine deutsche GmbH hat ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von Anfang an im Ausland. (2) Eine deutsche GmbH verlegt ihren tatsächlichen Verwaltungssitz später ins Ausland. Auch bei den Wegzugskonstellationen kann weiterhin unterschieden werden, ob der Wegzug in einen - EG-Mitgliedstaat oder einen - Nicht-EG-Mitgliedstaats (sog. Drittstaat) erfolgt. Eine solche Unterscheidung wird bei Wegzugskonstellationen in Rechtsprechung und Literatur allerdings kaum vorgenommen, da nach dem bisherigen Stand der EuGH-Rechtsprechung dem Sitzstaat in Wegzugskonstellationen weitaus größere Gestaltungsspielräume zugebilligt werden. 61 Je nach Kombination ergeben sich unterschiedliche Zuzugs- und Wegzugskonstellationen, für die eine einheitliche Gläubigerschutzlösung im Rahmen dieser Arbeit gefunden werden soll. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass neben diesen beiden Fallgruppen noch eine dritte Fallgruppe von Auslandsgesellschaften zu berücksichtigen ist. Hierunter lassen sich alle Gesellschaften fassen, die in einem (ausländischen) Staat A gegründet wurden, aber aus einem zweiten (ausländischen) Staat B heraus verwaltet werden. Diese Gesellschaften haben daher weder ihren Verwaltungs- noch ihren Satzungssitz im Inland. Da diese Fallgruppe in der Rechtstatsächlichkeit bislang keine erkennbaren Probleme bereitet hat noch Gegenstand einer kontrovers geführten wissenschaftlichen Diskussion gewesen ist 62, soll sie in den weiteren Ausführungen nicht näher berücksichtigt werden. B. Die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts Das EGBGB enthält keine Regelung, nach welchem Anknüpfungskriterium die lex societatis einer Gesellschaft zu ermitteln ist. Die Regeln zum Vertragsstatut sind 61 Siehe dazu genauer in Kapitel 3. 62 Vgl. Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 451.

22 nicht anwendbar, da Art. 37 Nr. 2 EGBGB Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen [...] ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Art. 27 ff. EGBGB ausnimmt. Auch eine umfassende staatsvertragliche oder gemeinschaftsrechtliche Regelung ist bisher nicht in Kraft getreten. Die dogmatische Bestimmung des Heimatrechts einer Gesellschaft ist vielmehr seit jeher Rechtsprechung und Lehre überlassen. Anders als bei natürlichen Personen kann bei juristischen Personen für die Anknüpfung des Personalstatuts nicht auf die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt werden. Während im 19. Jahrhundert noch viele Anknüpfungspunkte diskutiert wurden (z.b. Ort der Kapitalzeichnung, Gründungsort, Staatsangehörigkeit der Gesellschafter oder Ort der Betriebsstätte), werden heute im Wesentlichen nur noch zwei Kriterien herangezogen, der effektive Verwaltungssitz und der Ort der Gründung und Registrierung. 63 Die Kernfrage des Internationalen Gesellschaftsrechts geht damit dahin, ob das für eine Gesellschaft maßgebliche Recht nach dem Ort zu beurteilen ist, in dessen Geltungsbereich sie gegründet wurde (sog. Gründungs- oder Inkorporationstheorie), oder ob das Ortsrecht des effektiven, d.h. tatsächlichen Hauptverwaltungssitzes zur Anwendung berufen ist (sog. Sitztheorie). 64 Ergänzt werden diese beiden klassischen Anknüpfungstheorien durch vermittelnde Ansätze, wie beispielsweise die von Sandrock entwickelte Überlagerungstheorie, Zimmers Kombinationslehre oder Grasmanns Differenzierungslehre. 65 I.) Sitztheorie Herrschende Anknüpfungstheorie in Kontinentaleuropa war bislang die Sitztheorie. 66 Hiernach wird zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts an den tatsächlichen (effektiven) Sitz der Hauptverwaltung der Gesellschaft angeknüpft. Gesellschaftsstatut ist damit zwingend - unabhängig vom statuarischen Sitz - das in dem Staat geltende Recht, in dem sich der tatsächliche Verwaltungssitz der 63 Vgl. Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 18. 64 Vgl. Kropholler, IPR, 2004, 55 I. 65 Siehe genauer unter Punkt B. III. jeweils mit Nachweisen. 66 Neben Deutschland folgten ihr bislang auch Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Spanien, Polen, Griechenland und die Türkei, vgl. Kindler, Münchener Komm z. BGB, IntGesR Rdn. 489.

23 Gesellschaft befindet. 67 Dabei gilt die Sitztheorie als allseitige Kollisionsnorm für Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland ebenso wie für solche mit Verwaltungssitz im Ausland 68, weshalb eine Gesellschaft nach dieser Anknüpfungsregel gerade auch dann dem Sitzrecht unterliegt, wenn sie nach ausländischem Recht gegründet wurde. 1.) Inhalt und Zielsetzung Nach der Sitztheorie ist für eine wirksame Gründung erforderlich, dass die einschlägigen Vorschriften des Gründungsstaats eingehalten wurden und darüber hinaus die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im Land der Inkorporation hat. 69 Andernfalls liegt mangels Einhaltung der Gründungsvorschriften des kollisionsrechtlich maßgeblichen Sitzstaats keine wirksame Gründung vor. Fehlerhafte Gründungen sollen nach dieser Sichtweise ohne gesetzliche, behördliche oder gerichtliche Akte vermieden und korrigiert werden. 70 Zwangsläufige Konsequenz ist, dass eine Gesellschaft ausländischen Rechts im Inland nicht wirksam gegründet werden kann. 71 Bei einer späteren Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes sind wegen der Wandelbarkeit der Sitzanknüpfung und des sich daraus ergebenden Statutenwechsels das Kollisions- und Sachrecht sowohl des Wegzugs- als auch des Zuzugsstaats zu beachten. 72 Eine identitätswahrende Sitzverlegung ist nur möglich, wenn beide Rechtsordnungen die Sitzverlegung zulassen und den Fortbestand der Gesellschaft bejahen. 73 Demnach darf das Sachrecht des Wegzugsstaats die Gesellschaft einerseits nicht zur Auflösung zwingen. Andererseits darf der Zuzugsstaat sachrechtlich keine Neugründung der Gesellschaft verlangen, sondern muss eine Anpassung der fremden Gesellschaft an das eigene Gesellschaftsrecht ermöglichen. Diese Bedingungen sind im Verhältnis zwischen zwei Sitztheoriestaaten regelmäßig nicht erfüllt. 74 67 Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 26. 68 Ebenroth/Sura, RablsZ 43 (1979), 315, 328. 69 BGHZ 97, 269, 271 f; Ebenroth/Sura, RablsZ 43 (1979), 315, 322; Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 32. 70 Vgl. Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 43. 71 S. dazu genauer in Kapitel 2. 72 Roth, ZEuP 1994, 5, 20; Staudinger/Großfeld, Komm. z. BGB, IntGesR Rdn. 606. 73 Vgl. BGHZ 97, 269, 271 f; BayObLG DB 1982, 894; OLG Nürnberg IPRax 1985, 342; BayObLG WM 1992, 1371. 74 S. genauer in Kapitel 2.