Universität Bayreuth. Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionspapiere



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Transkript:

Universität Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionspapiere AMNOG-Schiedsstelle: Schlichter oder Richter? Schiedsamtliche Preisermittlung bei neuen Arzneimitteln jenseits von Angebot und Nachfrage Dieter Cassel* und Volker Ulrich** Diskussionspapier 03-14 Juni 2014 ISSN 1611-3837 *Universität Duisburg-Essen **Universität Bayreuth Korrespondenzadresse: Universität Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl VWL III, insb. Finanzwissenschaft 95440 Bayreuth Telefon: +49-921-556300 Fax: +49-921-55-6302 E-Mail: volker.ulrich@uni-bayreuth.de

2 Abstract AMNOG-Schiedsstelle: Schlichter oder Richter? Schiedsamtliche Preisermittlung bei neuen Arzneimitteln jenseits von Angebot und Nachfrage Within three months of market authorization of a new pharmaceutical, the G-BA assesses recognition of any additional benefit claimed over the appropriate comparator. After another three months, the G-BA passes a resolution based on the benefit assessment. In particular it contains statements on the extent of additional benefit, patient groups eligible for treatment, requirements for quality-assured administration, and the cost of treatment with the pharmaceutical. This resolution includes the G-BA's decision on the pricing procedure for the new medicine. Within six months, if additional benefit is proved, the Central Federal Association of Health Insurance Funds and the pharmaceutical company negotiate the reimbursement price paid by the sickness funds. If no agreement is reached, an arbitration board determines the reimbursement price using European pricing levels as its standard. By the end of 2013 the arbitration panel finished the arbitration proceedings just in two cases (Sativex with a marginal and Zelboraf with a significant additional benefit), resulting in corresponding reimbursement prices. The applied methods and criteria raise reasonable doubts on the economic adequacy of the arbitration procedure. After 3 years of new legislation the German reimbursement price falls in 86 % of cases below the average European price level. In 40 % of Cases the level is even below the minimum European price. Therefore, the politically decided AMNOG procedure must be designed in such a manner as to minimize, if not avoid, undesirable consequences. The difficulties for the negotiations intended by the AMNOG regarding reimbursement amounts or prices of innovative medicinal products with a major additional benefit are in part based on a conflict of interest that is difficult to resolve: While the health funds demand innovative and high-quality pharmaceutical care at the lowest prices (cost containment paradigm), the pharmaceutical industry expects to be compensated for production and marketing costs as well as irretrievably lost R&D expenses (sunk costs) for its innovative pharmaceuticals (cost coverage paradigm). The consequences of such a slowed down and selective innovation and marketing process for novel pharmaceuticals with a major additional benefit as compared to previous therapy standards are borne by the patients. Many of them will have to wait even longer in the future, and many will have to wait in vain for effective pharmacotherapies. Under this aspect, the Governance structure of the AMNOG should been put to the test in order to better balance cost containment and cost coverage interests.

3 1 AMNOG-Schiedsverfahren: rechtliche Grundlagen und ökonomische Probleme Mit dem am 1.1.2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat Deutschland eine bemerkenswerte und folgenreiche Pharmawende eingeleitet: Während bis dahin der Hersteller den von ihm bei der Markteinführung gesetzten Preis seiner patentgeschützten Arzneimittel-Innovation ohne jede Nutzenbewertung von den Kostenträgern (GKV, PKV, Beihilfe) erstattet bekam, unterliegt er nun einer nutzenbasierten Preisregulierung, die dem Prinzip Money for Value im Patentmarkt umfassend Geltung verschaffen soll. 1 Nach 130b (1) SGB V hat dazu der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) mit dem Hersteller eines neuen Wirkstoffs, dem zuvor auf Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ein Zusatznutzen testiert wurde, einen Erstattungsbetrag (EB) als Rabatt auf seinen Abgabepreis zu vereinbaren. 2 Kommt es innerhalb von 6 Monaten zu keiner Einigung, setzt eine Schiedsstelle innerhalb von drei Monaten den Vertragsinhalt fest und entscheidet damit insbesondere über die Höhe des Erstattungsbetrages ( 130b (4) SGB V). Die vereinbarten wie auch die von der Schiedsstelle gesetzten Erstattungsbeträge haben hierzulande Bindungswirkung für alle Kostenträger, so dass es in Deutschland erstmals verbindliche Einheitspreise für die seit Geltung des AMNOG neu in Verkehr gebrachten Patentarzneimittel mit anerkanntem Zusatznutzen gibt. Das AMNOG selbst macht nur spärliche inhaltliche Vorgaben zur Preisfindung in den Rabattverhandlungen: In 130b (1) Satz 1 wird als deren Grundlage nur der Beschluss des G- BA über das Ausmaß des Zusatznutzens nach 35a (3) SGB V genannt. Dies wird von der Schiedsstelle und vom GKV-SV als Aufgabe verstanden, den festgestellten Nutzenvorteil eines neuen Wirkstoffs gegenüber einer Zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) zu monetarisieren, d. h. in Geld auszudrücken und in den EB einfließen zu lassen. Dass dabei auch die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel sowie die tatsächlichen Abgabepreise in anderen europäischen Ländern gewichtet nach den jeweiligen Umsätzen und Kaufkraftparitäten zu berücksichtigen sind, ergibt sich insbesondere aus 130b (9) SGB V. Hiernach hatten GKV-SV und die maßgeblichen Pharmaverbände eine Rahmenvereinbarung (RV) zu treffen, die entsprechende Grundlagen und Kriterien der Preisfindung enthalten sollte. Sie ist allerdings erst nach langwierigen Verhandlungen und einem Spruch der Schiedsstelle im Frühjahr 2012 in Kraft getreten. 3 Seitdem bildet sie die Grundlage für die Ermittlung aller Erstattungsbeträge, enthält aber für Arzneimittel mit einem festgestellten Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) widersprüchliche Formulierungen: 1 Ungeachtet dessen unterlagen patentgeschützte Arzneimittel bislang diverser nachfrageseitiger Regulierungen, die sich jedoch primär auf die verordneten Mengen bezogen. Mit dem AMNOG wurde nun zusätzlich eine Preisregulierung eingeführt, mit der das Regulierungssystem des Arzneimittelmarkts noch komplexer geworden und die Gefahr einer folgenschweren Überregulierung weiter gestiegen ist. Siehe Cassel/Wille 2009, S. 85 ff.; Wille 2014, S. 252 ff. 2 Arzneimittel-Innovationen, die aus Sicht des GB-A keinen Zusatznutzen haben, werden entweder einer bestehenden Festbetragsgruppe zugeordnet oder erhalten einen zwischen GKV-SV und Hersteller zu vereinbarenden EB zuerkannt, der aber nicht zu höheren Jahrestherapiekosten als die Zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT) führen darf ( 130b (3) SGB V). Sie sind deshalb nicht Gegenstand dieses Beitrages, wenngleich im Falle des vereinbarten EB die Schiedsstelle ebenfalls angerufen werden kann ( 130b (4) SGB V). 3 Die RV kam erst am 19.3.2012 nach einer Entscheidung der Schiedsstelle in der Kontroverse um den Länderkorb für die nach 130b (9) Satz 3 SGB V heranzuziehenden europäischen Vergleichspreise zustande.

4 Während 4 (1) RV den Gesetzeswortlaut wiedergibt, nach dem der EB generell als Rabatt auf den ApU also von oben nach unten im Top-down-Verfahren zu vereinbaren ist ( 130b (1) Satz 2 SGB V), soll nach 5 (2) RV der EB bei Präparaten mit vorteilhaften Wirkstoffen durch einen Zuschlag auf die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie d. h. von unten nach oben im Bottom-up-Verfahren gefunden werden. 4 Dieser Zuschlag soll sich nach dem Ausmaß des Zusatznutzens und den im AMNOG bereits genannten sonstigen Kriterien zur Vereinbarung des Erstattungsbetrages richten. Diese werden in 6 (1)-(4) RV präzisiert (siehe Box 1), ohne jedoch anzugeben, auf welche Weise und in welchem Ausmaß sie preisbestimmend sein sollen. Dies ist allerdings auch solange nicht erforderlich, wie die Erstattungsbeträge auf dem Verhandlungswege zwischen Anbieter (Hersteller) und Nachfrager (GKV-SV) zustande kommen. Tatsächlich finden die Verhandlungen aber nicht in einem wettbewerblichen Austauschprozess, sondern in Form eines bilateralen Monopols statt, in dem die Verhandlungsstärke der beiden Marktparteien allesentscheidend ist und das Ergebnis folglich zur reinen Machtfrage wird. Dabei hängt ihre Durchsetzungsmacht ganz wesentlich vom rechtlich vorgegebenen Prozedere (z. B. Bottom-up- statt Top-down-Verfahren) einerseits und den vorgegebenen Vereinbarungskriterien (z. B. Zusatznutzen gegenüber der ZVT als zulässiges, Forschungs- und Entwicklungskosten derzeitiger und künftiger Forschungsprojekte und deren Ausfallrisiko als unzulässiges Kriterium) sowie deren Interpretation und Bewertung andererseits ab. 5 Hinzu kommt, dass der GKV-SV auch noch über ein Nachfragemonopol bei allen neu eingeführten innovativen Arzneimitteln verfügt, das durch seine öffentlich-rechtliche Stellung nicht bestreitbar ist. Das gibt ihm darüber hinaus die Möglichkeit, sich dauerhaft auf professionelle Verhandlungsteams zu stützen, die von Mal zu Mal erfahrener agieren und dadurch rasch Lerneffekte realisieren. Dagegen kann der einzelne Hersteller meist nur sporadisch verhandeln und ist schon von daher taktisch kaum versiert. Zwar verfügt auch er über ein Monopol, das sich aber nur auf das Angebot seines patentgeschützten Wirkstoffs bezieht und zwangsläufig mit Ablauf des Patentschutzes endet. Außerdem ist seine ohnehin nur temporäre Monopolstellung dem globalen Innovationswettbewerb ausgesetzt, also jederzeit durch neue, bessere Präparate bestreitbar. 4 Aus der Widersprüchlichkeit dieser Formulierungen könnte man den Schluss ziehen, dass die Vertragsparteien auch zwischen den beiden Verfahren wählen könnten, zumal das Bottom-up-Verfahren erst auf Drängen des GKV- SV und im offenen Widerspruch zum AMNOG-Wortlaut in die RV Eingang gefunden hat. Wie noch zu zeigen ist, sind die beiden Verfahren keineswegs ergebnisneutral: Das Bottom-up-Verfahren begünstigt nämlich das Interesse an möglichst niedrigen Erstattungsbeträgen und wird nicht von ungefähr vom GKV-SV bisher als Standardverfahren durchgesetzt. Aus Sicht der Pharmaverbände war es wohl ein gravierender Fehler, dem Bottom-up-Verfahren in 5 (2) RV überhaupt zuzustimmen. Siehe dazu Cassel/Heigl 2013, S. 21 ff. 5 Siehe hierzu den erhellenden Diskurs um die Schattenseiten der Preisfindung zwischen Dieter Cassel und Manfred Zipperer im Anschluss an das 4. Thieme-Forum: Market Access & Health Economics am 6. November 2013 in Berlin. In: Cassel/Zipperer 2013; sowie Ohne Verfasser 2014.

5 Box 1: Kriterien zur Vereinbarung des Erstattungsbetrages ( 6 Rahmenvereinbarung) Kriterien zur Vereinbarung eines Erstattungsbetrages nach 130 Abs. 1 SGB V sind: (1) der Beschluss des G-BA über die Nutzenbewertung nach 35a Abs. 3 SGB V mit den darin getroffenen Feststellungen gemäß 20 Abs. 3 des 5. Kapitels der Verfahrensordnung des G- BA insbesondere zum Zusatznutzen des Arzneimittels im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, zur Anzahl der Patienten bzw. Abgrenzung der für die Behandlung in Frage kommenden Patientengruppen, zu den Therapiekosten auch im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie und zu den Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung. (2) ergänzend zu dem Beschluss die Nutzenbewertung nach 35 a Abs. 2 SGB V und das vom pharmazeutischen Hersteller erstellte Dossier nach 35 a Abs. 1 Satz 3 SGB V einschließlich der gemäß 4 Abs. 4 Satz 2 AM-NutzenV nachgereichten und vom G-BA berücksichtigten Unterlagen. Maßgeblich ist die jeweils auf der Internetseite des G-BA veröffentlichte Fassung der Nutzenbewertung und des Dossiers ( 9 Abs. 1 AM-NutzenV). Der pharmazeutische Unternehmer reicht nicht veröffentlichte Teile des Dossiers (Dokumente aus Modul 5 mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen) im Einzelfall nach, wenn die Vertragsparteien einvernehmlich hierfür im Laufe der Verhandlungen begründeten Bedarf feststellen. (3) die von dem pharmazeutischen Unternehmer gemäß 3 Abs. 2 mitgeteilten tatsächlichen Abgabepreise in anderen europäischen Ländern (Anlage 2). (4) die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel. Die Jahrestherapiekosten bestimmen sich entsprechend 4 Abs. 8 Satz 3 und 4 der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung. Vergleichbare Arzneimittel sind für das Anwendungsgebiet zugelassene Arzneimittel, deren Zweckmäßigkeit sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergibt. Sie sind vorrangig zu bestimmen aufgrund einschlägiger Studien, die wissenschaftlich einwandfrei durchgeführt worden sind und vergleichbare Aussagen zum Erfolg der Behandlung machen. Sofern solche Studien nicht vorliegen, ist auf den Konsens der einschlägigen nationalen und internationalen Fachleute (z.b. Ärzte, Wissenschaftler) abzustellen. Quelle: Rahmenvereinbarung 2012, S. 10 f.

6 Dies alles sind Governance -Defekte des AMNOG, die in ihrer Gesamtheit die Verhandlungsposition des Herstellers schwächen und eine asymmetrische Machtverteilung im Bargaining-Prozess um angemessene Erstattungsbeträge nach sich ziehen. 6 Unter diesen Umständen muss ein erfolgreich verhandelter EB nicht schon deshalb sachgerecht sein, weil ihm beide Seiten zugestimmt haben, sie ihn Dritten gegenüber nicht zu begründen brauchen und ihn selbst gerichtlich nicht anfechten können. Mehr noch: Die Wahrscheinlichkeit, dass Verhandlungen ergebnislos abgebrochen werden und Hersteller ihre vorteilhaften Innovationen wieder vom Markt nehmen müssen ( Opt-out ), weil sie nach der bestehenden Rechtslage zwar in Deutschland zugelassen, aber ohne EB hier nicht marktfähig sind, wächst im Einzelfall mit der Schiefe der Schlachtordnung. Da hierin zu Recht ein gravierendes AMNOG- Versagen zu Lasten der Patienten gesehen würde, hat der Gesetzgeber für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen eine weisungsunabhängige Schiedsstelle geschaffen, um gleichsam durch eine letzte Ausfahrt 7 noch zu retten, was zu retten ist. Sie wird nach 130b (5) und (6) SGB V vom GKV-SV und den maßgeblichen Bundesverbänden der pharmazeutischen Unternehmer nach dem Muster bereits bestehender Schiedsstellen bzw. Schiedsämter ( 89 und 129 (7)-(10) SGB V) im GKV-System gebildet und untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums der Gesundheit (BMG). Damit gehört sie zu den Entscheidungsinstanzen der GKV, die als Konfliktlösungsorgane unter Einbeziehung von Vertretern der Vertragsparteien widerstreitende Interessen ausgleichen sollen. 8 Ihre hervorgehobene Rechtsstellung konkretisiert sich auch personell durch die Besetzung der stimmführenden Ämter des unparteiischen Vorsitzenden und seiner beiden ebenfalls unparteiischen Stellvertreter mit drei pensionierte Juristen, die am 1.7.2011 für 4 Jahre berufen wurden. 9 Dies ist materiell von Bedeutung, weil die Entscheidungen der AMNOG-Schiedsstelle die Rechtswirkung einer vertraglichen Vereinbarung haben 10 und damit subsidiär Fakten schaffen, die für die Vertragsparteien von enormer wirtschaftlicher Tragweite sind; denn anderenfalls hätten sie sich ja geeinigt und wären nicht vor die Schiedsstelle gezogen. Nach 130b (4) SGB V hat sie nämlich beim Scheitern der Verhandlungen den Vertragsinhalt d. h. gemäß 130b (1) und (3): den Erstattungsbetrag, die Anforderungen an die Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verordnung und die Anerkennung der Verordnungen als Praxisbesonderheiten festzusetzen. Und da sich die Schiedsstelle hierbei nicht an die (wirtschaftlichen) Argumente und Positionen der Vertragsparteien gebunden fühlt, sondern nach eigenem Schiedsermessen zu entscheiden beansprucht, und diese Entscheidungen 6 Siehe z. B.: Schlander/Jäcker/Völkl 2013; Cassel/Heigl 2013; Sattelmeier/Prenzler/Frank 2013; Vorderwülbecke 2013; Cassel, 2014. 7 So der Anfang des Titels Letzte Ausfahrt AMNOG-Schiedsstelle eines Beitrages von Gerhard Schulte, einem der stellvertretenden Vorsitzenden der AMNOG-Schiedsstelle, den er wohlweislich mit der Empfehlung schließt, die vorletzte Ausfahrt nicht zu verpassen (Schulte 2013, S. 169). 8 Schulte 2013, S. 160. 9 Der Vorsitzende und seine Stellvertreterin waren zuvor Bedienstete des BMG, und einer der Stellvertreter kam aus dem BKK-Landesverband Bayern. Ihre Dienstzeit beträgt 4 Jahre, die der weiteren 4 Mitglieder (je 2 benannt vom GKV-SV und dem jeweils betroffenen Hersteller) immer nur für ein Schiedsverfahren. 10 Schiedssprüche sind gerichtlich nachprüfbare Verwaltungsakte und haben hinsichtlich der Vereinbarung nach 130b (1) SGB V reine Ersatzfunktion, was sich auch darin zeigt, dass sich die Konfliktparteien jederzeit während des Schiedsverfahrens und nach einem ergangenen Schiedsspruch mit abweichendem Ergebnis rechtswirksam einigen können. Vgl. Zipperer 2013, S. 5.

7 fachgerecht zu begründen hat, müsste sie dazu auch und vor allem hinsichtlich ihrer neutralen Mitglieder ökonomisch kompetent besetzt sein oder sich auf einschlägige externe Expertisen stützen können. 11 Gerade das Letztere ist aber schier unmöglich, weil der Schiedsspruch innerhalb von 3 Monaten zu ergehen hat und diese Frist kaum ausreichen dürfte, in wichtigen Fragen valide Beurteilungen oder gar substanzielle Gutachten einzuholen. 12 Ein ganz anderer, aber nicht minder bedeutender Aspekt des Schiedsverfahrens ist die Frage, an welche Entscheidungsverfahren und -kriterien sich die Schiedsstelle bei der Ermittlung des EB gebunden fühlt. Der Gesetzgeber bestimmt explizit in 130b (4) Satz 2 SGB V: Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes. Daraus kann sicherlich nicht geschlossen werden, dass der Beschluss des G-BA über den Zusatznutzen im Verhältnis zur ZVT 13 für die Preissetzung der Schiedsstelle irrelevant ist, bildet doch die nutzenbasierte Preisfindung bei Arzneimittel-Innovationen den unabdingbaren Kern des AMNOG. Höchst fraglich ist aber, ob es einerseits mit dem Willen des Gesetzgebers und andererseits mit dem beanspruchten Schiedsermessen der Schiedsstelle vereinbar ist, die Grundlagen und Kriterien der ja nur privatrechtlich getroffenen Rahmenvereinbarung ( 5 und 6 RV; Box 1) gänzlich unverändert und ausschließlich als rechtsverbindlichen Entscheidungsdeterminanten zu übernehmen statt sie, wie in der Gesetzesbegründung verlangt, als einen bloßen Orientierungsrahmen zu sehen, der die Entscheidungen gerade nicht determinieren soll. Das betrifft insbesondere das Bottom-up-Verfahren und die Jahrestherapiekosten der ZVT als Preisbasis der Aufschlagskalkulation, die kritisch zu hinterfragen wären. Schließlich wäre auch zu klären, welche Rolle die Schiedsstelle bei der Festsetzung des EB nach dem Willen des Gesetzgebers spielen sollte und nach dem Selbstverständnis ihrer unparteiischen Mitglieder tatsächlich spielt. Die Verweise in 130b (5)-(6) SGB V auf das Schiedswesen nach 89 (3) und 129 (9)-(10) SGB V geben hierfür nur wenig her, weil sie personelle und finanzielle Aspekte betreffen. Immerhin kann man den entsprechenden Regelungen aber sinngemäß entnehmen, dass Schiedsämter und -stellen die Einigung der streitenden Vertragsparteien im Sinne einer Konfliktlösung zum Ziel haben. Hiernach hätte sich die AMNOG-Schiedsstelle als Schlichter bzw. Mediator zu verstehen, der unter Würdigung aller Unterlagen und Argumente zwischen den kontroversen Positionen vermittelt und seine 11 Siehe Zipperer 2013, S. 10; Schulte 2013, S. 167. 12 Hierzu schreibt Schulte zutreffend (2013, S. 161): Die unparteiischen Mitglieder der Schiedsstelle sind wie auch Richter in der Regel keine Sachverständigen, soweit es sich um wissenschaftliche Sachverhalte handelt. Gerade deswegen kann bei bestimmten entscheidungserheblichen Fragen auf sachverständige Begutachtung nicht grundsätzlich verzichtet werden. Allerdings scheint hier (im AMNOG; die Verf.)der Grundsatz Gründlichkeit vor Schnelligkeit umgekehrt zu sein. Paradebeispiel hierfür ist der unbedarfte Umgang mit der Monetarisierung des Zusatznutzens eine Frage, die einerseits von der Schiedsstelle zu beantworten sei, andererseits aber nicht abschließend von ihr beantwortet werden könne. Vgl. Schulte 2013, S. 167; siehe auch Zipperer 2013, S. 11. 13 Bei Orphan Drugs gelten allerdings bemerkenswerte Besonderheiten: Ausgehend von der gesetzlichen Vorgabe in 35a (1) Satz 10 SGB V, hat der G-BA in seiner Sitzung vom 15. März 2012 festgelegt, dass das Verfahren der Nutzenbewertung von Orphan Drugs dahingehend modifiziert wird, dass bei ihnen keine eigenständige Festlegung einer ZVT ansonsten rechtlich verbindliche Grundlage der Nutzenbewertung durch den G-BA erfolgt, weil der Zusatznutzen eines Orphan Drug durch die Zulassung bereits als belegt gelte. Das Ausmaß des Zusatznutzens wird bei diesen Arzneimitteln also ausschließlich auf der Grundlage der Zulassungsstudien bewertet.

8 Entscheidung am Ende innerhalb jener Spanne fällt, die kontrovers bleibt. 14 Wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, deuten die Ergebnisse der beiden einzigen bisher um die Höhe des EB geführten und abgeschlossenen Schiedsverfahren (Sativex und Zelboraf ; Box 2) aber darauf hin, dass sich die Schiedsstelle eher als Richter versteht, der ungeachtet der (wirtschaftlichen) Positionen der Konfliktparteien unter rein rechtlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles und in juristisch penibler Einhaltung der vermeintlich eindeutig vorgegebenen Verfahren und Kriterien Erstattungsbeträge festsetzt, die von ihm jenseits von Angebot und Nachfrage rein synthetisch generiert sind. Um hierfür den Nachweis zu führen, werden im nachfolgenden 2. Kapitel zunächst die Vorgehensweise und Ergebnisse der Preisermittlung für Sativex und Zelboraf, soweit es anhand der öffentlich zugänglichen Schiedssprüche möglich ist,15 dargestellt und analysiert. Da die synthetische Vorgehensweise der Schiedsstelle nicht zuletzt wegen der in beiden Fällen trotz unterschiedlicher Nutzenvorteile erstaunlich niedrigen und relativ dicht beieinander liegenden Erstattungsbeträge einerseits und der nachträglichen Einigung der Konfliktparteien bei Zelboraf und Sativex 16 auf einen höheren als den geschiedsten Erstattungsbetrag andererseits höchst fragwürdig erscheint, wird sie im 3. Kapitel inhaltlich und methodisch einer ökonomischen Analyse unterzogen. Dabei wird gezeigt, dass eine Monetarisierung des Zusatznutzens im Rahmen des Schiedsstellenverfahrens die Messung der Zahlungsbereitschaft der Patienten für innovative Arzneimittel voraussetzen würde, was aber die arithmetische Zusammensetzung des Erstattungsbetrages aus einzelnen Komponenten nicht leisten kann. Deshalb wird im abschließenden 4. Kapitel vorgeschlagen, dass sich die Schiedsstelle nicht weiter als autonomer Preisfinder begreifen sollte, sondern als Schlichter mit dem Ziel, doch noch Verhandlungslösungen zu erreichen oder erforderlichenfalls einen Erstattungsbetrag festzulegen, der angebots- und nachfrageseitige Interessen sachgerecht berücksichtigt. Diese Reformoption ist ohne Revision der entscheidungsrelevanten Grundlagen und Kriterien der Preisvereinbarungen in 5 und 6 RV möglich. Allerdings würden Anpassungen die Umsetzung dieses Vorgehens erleichtern, weshalb hierfür ebenfalls Reformoptionen aufgezeigt werden. 14 Dies scheint Zipperer (2013, S. 24) als amtierender Vorsitzender der AMNOG-Schiedsstelle mit der Folie Schiedsstelle fördert Einigung der Verhandlungspartner anzudeuten, seine Einlassungen im bereits erwähnten Interview (Cassel/Zipperer 2013, S. 19ff.) sprechen jedoch ein andere Sprache. 15 Das Schiedsverfahren selbst ist gemäß der am 25.2.2012 vom BMG genehmigten Geschäftsordnung der AMNOG- Schiedsstelle vertraulich. 16 bei Sativex hat der pharmazeutische Unternehmer den Rabattvertrag, der auf ein Jahr Laufzeit geschiedst worden war, nach Ablauf dieses Zeitraums gekündigt und mit dem GKV Spitzenverband neu verhandelt. Hierbei könnte ggf. noch eine Rolle gespielt haben, dass der pharmazeutische Unternehmer die seinerzeit noch anhängige Klage gegen den Schiedsspruch zurückgenommen hat.

9 Box 2: Bisherige Verfahren der AMNOG-Schiedsstelle Schiedsspruch zur Rahmenvereinbarung vom 8.3.2012 Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Bromfenac (Yellox) vom 30.8.2012, Klage des Unternehmens Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Boceprevir (Victrelis): Einigung in mündlicher Verhandlung am 9.1012 Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Trobalt (Retigabin) vom 7.2.2013 Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Sativex (Cannabis Sativa) vom 6.3.2013. Klage des Unternehmens zurückgenommen Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Zelboraf (Vemurafenib) vom 29.5.2013. Einigung nach Schiedsspruch Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Fycompa (Perampanel) vom 28.11.2013. Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhaltes für Crizotinib (Xalkori) ab 24.10.2013 beendet durch Einigung Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Dapagliflozin (Forxiga) ab 6.12.2013 Beendigung durch Einigung Laufendes Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Galvus/Jaira/Xiliarx (Vildagliptin) seit 1.4.2014 Laufendes Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Eucreas/Icandra/Zomarist (Vildagliptin/Metformin) seit 1.4.2014 Laufendes Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für BindRen (Colestilan) seit 1.4.2014 Laufendes Schiedsverfahren zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Constella (Linaclotid) seit 17.4.2014 Quelle: Zipperer 2013, S. 13, mit Erläuterungen auf S. 15-20. 2 Schiedsstelle als Richter: Preisermittlung bei Sativex und Zelboraf Die Analyse der beiden Schiedssprüche zu Sativex und Zelboraf erweist sich trotz ihres beachtlichen Umfangs als nicht ganz einfach, weil innerhalb der Dokumente mit verschiedenen Preisbasen argumentiert wird: Die Rede ist von Jahrestherapiekosten, Kosten von Packungsgrößen oder DDD-Kosten und dies noch differenziert nach Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU), GKV-Kosten und Netto-bzw. Brutto-Wert (d.h. mit oder ohne MwSt.). Daher können sich je nach gewählter Preisbasis unterschiedliche Abschlagshöhen ergeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regeln der Preisfestlegung stetigen Änderungen

10 unterworfen sind 17. Weiterhin bestanden anfangs Unterschiede in der Rechtsauffassung zwischen BMG und GKV-SV einerseits und den Apothekern und Großhändlern sowie der pharmazeutischen Industrie andererseits über die korrekte Definition des Erstattungsbetrages und davon abhängig der Bemessung der Handelsspannen von Großhändlern und Apothekern sowie der MwSt. 18 Die nachfolgende Analyse beruht auf folgenden Angaben und Berechnungsmodi (vgl. auch die Tabellen 1 und 2): Das Präparat Sativex (Wirkstoff: Extrakt aus Cannabis Sativa; Hersteller Almirall Hermal) wurde vom G-BA mit einem Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen bewertet. Sein EB wurde im Vergleich zum Einführungspreis um 77% gesenkt (16% gesetzlicher Rabatt nach 130a SGB V und 61% AMNOG-Rabatt - Preisbasis: Abgabepreis pharmazeutischer Unternehmer (ApU) vor Abzug des gesetzlichen Rabatts). Dieser Preis ist der aus der Lauer Taxe ermittelbare bisherige Erstattungsbetrag (ApU Rabatte = Erstattungsbetrag). Hieraus ergeben sich die GKV-Kosten, die auch für die internationale Preisreferenzierung (IRP) relevant sein dürften. Davon zu unterscheiden ist die Nettobelastung des Herstellers. Da dieser den Rabatt beim Vorsteuerabzug der MwSt. geltend machen kann, vermindert sich seine Netto-Belastung. 19 Allerdings verringert sich hierdurch nicht die Entlastung der GKV; vielmehr trägt einen Teil der GKV-Einsparungen der Steuerzahler. 20 Für Zelboraf (Wirkstoff: Vemurafenib; Hersteller: Roche) wurde der Preis um 62 % gesenkt (16% gesetzlicher Rabatt und 46% AMNOG-Rabatt Preisbasis ApU vor Abzug des gesetzlichen Rabatts). Da die gesetzlichen Abschläge nicht abgelöst wurden, hätte der Gesamtrabatt hier ab dem 01.01.2014 nur noch 52% betragen (6% Rabatt nach 130a SGB V und 46% AMNOG-Rabatt). Roche hatte lediglich einen Ausgleich für den Ausfall des Rabatts nach 130a SGB V ab 01.01.2014 angeboten. Gemäß Schiedsspruch waren dies 8,4%. Dies gleicht jedoch den entfallenen Rabattbetrag von 10% insofern aus, als die MwSt. berücksichtigt wird (10% / 1,19 = 8,4%). Im Vergleich zu Sativex ist die Höhe des von der Schiedsstelle festgelegten Rabatts auch insofern bemerkenswert, weil Zelboraf vom G-BA einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen bekam und damit das bis zu diesem Zeitpunkt wohl am besten bewertete Präparat war. 21 Aus den Tabellen wird ersichtlich, dass die bisherigen Schiedsergebnisse signifikant näher an den Vorstellungen des GKV-SV als an denen der pharmazeutischen Unternehmer liegen. Die beiden Schiedssprüche basieren auf einem synthetischen Vorgehen, das eine monetäre Teilbewertung und Zusammenführung der in 5 und 6 der RV aufgelisteten Komponenten zur Ermittlung der Erstattungsbeträge vorsieht: Monetarisierung des Zusatznutzens, 17 Änderung des Apothekenzuschlags, Absenkung des Zwangsrabatts zum 01.01.2014 von 16% auf 6% und wieder Erhöhung zum 01.04.2014 auf 7%, Veränderung des Apothekenrabatts etc. 18 Das 14. SGB V-Änderungsgesetz (vgl. Deutscher Bundestag 2014), das am 20. 2.2014 vom Bundestag beschlossen wurde, sieht vor, dass der Erstattungsbetrag, den Kassen und Hersteller ausgehandelt haben, künftig als Abgabepreis bezeichnet werden soll und nicht mehr der Listenpreis. 19 Vgl. BFH, Urteil vom 28.5. 2009, Az. V R 2/08. 20 Bei der PKV ist dagegen nach Auffassung des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) kein entsprechender Vorsteuerabzug möglich. Vgl. BMF, Schreiben vom 27.07.2012, IV D 2-S 7200/08/10005. 21 Die Schiedsstelle versendet ihre Schiedssprüche auf Anfrage, zudem können sie eingesehen werden. Obwohl sich der Hersteller von Zelboraf noch während des Schiedsverfahrens mit dem GKV-SV auf einen geringeren Rabatt geeinigt hatte hat die Schiedsstelle ihren Spruch zugänglich gemacht.

11 Ermittlung der Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel und Berücksichtigung der tatsächlichen Abgabepreise in 15 europäischen Ländern gemäß Anlage 2 zur RV, soweit sie nach Angaben der Hersteller vorliegen. 22 Tabelle 1a: Rabatte für Sativex und Zelboraf (GKV-Sicht) Sativex Zelboraf Rabatt-Angebot Hersteller 1 36,0% 16,0% Rabatt-Forderung GKV-SV 1 72,2% 58,5% Rabatt Schiedsspruch 1 77,5% 62,1% Rabatt-Nachverhandlung 2 57,4% 46,3% 1 (AMNOG-Rabatt inkl. MwSt. + 130a-SGB-V-Rabatt inkl. MwSt.)/ApU. Preisstand Sativex : 01.06.2013 2 Nach Schiedsspruch neu verhandelt (Berechnung gemäß Lauer-Taxe, Preisstand 01.04.2014). Quelle: Eigene Berechnungen. Tabelle 1b: Rabatte für Sativex und Zelboraf unter Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs (Hersteller-Sicht) Sativex Zelboraf Rabatt-Angebot Hersteller 1 30,3% 13,4% Rabatt-Forderung GKV-SV 1 60,7% 49,2% Rabatt Schiedsspruch 1 65,1% 52,1% Rabatt-Nachverhandlung 2 48,3% 38,9% 1 (AMNOG-Rabatt exkl. MwSt. + 130a-SGB-V-Rabatt exkl. MwSt.)/ApU. Preisstand Sativex : 01.06.2013 2 Nach Schiedsspruch neu verhandelt (Berechnung gemäß Lauer-Taxe, Preisstand 01.04.2014). Quelle: Eigene Berechnungen. Dabei werden die Komponenten nach Jahrestherapiekosten mit Geldbeträgen in Euro bewertet, gewichtet und addiert (siehe die Berechnung am Beispiel Zelboraf in Tabelle 2). 23 Vor diesem Hintergrund hat eine Diskussion eingesetzt, ob ein solches synthetisches Vorgehen zur Ermittlung der Erstattungsbeträge - d.h. die Festlegung auf gewichtete Teilbeträge als Preiskomponenten und ihre Aufsummierung im Sinne eines Algorithmus - die Ergebnisse des Schiedsverfahrens praktisch determiniert. Der Gesetzgeber hat daraufhin in 130b (4) Satz 2 SGB V im Rahmen des Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer 22 Zum Vorgehen der Schiedsstelle im Detail siehe Schulte 2013, S. 7f. 23 Vgl. Schiedsstelle 2013, S. 24. Diese Vorgehensweise hat die Schiedsstelle vom GKV-SV übernommen. Das Vorgehen der Schiedsstelle unterscheidet sich von dem des GKV-SV lediglich darin, dass bestehende Ermessensspielräume in der Systematik etwas anders genutzt werden. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass der Nutzen anders monetarisiert und die Gewichte anders verteilt wurden (vgl. Schiedsstelle 2013).

12 Vorschriften 24 folgende Konkretisierungen für Entscheidungen der Schiedsstelle vorgenommen: Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: Mit der Regelung wird klargestellt, dass der Schiedsstelle dabei, ebenso wie den Vertragsparteien, ein eigener Entscheidungsspielraum zusteht. Die Rahmenvereinbarung stellt für die Vertragspartner und die Schiedsstelle einen Orientierungsrahmen dar, determiniert die Entscheidung jedoch nicht im Sinne eines konkret vorgegebenen Entscheidungsalgorithmus. 25 Tabelle 2: Synthetische Vorgehensweise der Schiedsstelle bei Zelboraf Bewertungskategorien Bewertung in Jahrestherapiekosten Gewichtung Ergebnis Zusatznutzen 40.000,00 0,50 20.000,00 Vergleichbare Arzneimittel 85.000,00 0,35 29.750,00 Int. Preisvergleich 101.511,30 0,15 15.226,71 SUMME 1,00 64.976,71 Jahrestherapiekosten auf der Basis ApU* 120.450,00 (100 %) (-55.473,29 )** (-46,1 %)** Quelle: Schiedsstelle (2013), S. 24. Schiedsspruch wegen: Antrag auf Festsetzung des Vertragsinhaltes für Zelboraf (Wirkstoff: Vemurafinib) nach 130b Abs. SGB V Verfahren 130b-SSt. 1-13,. * ApU ohne Berücksichtigung gesetzlicher Herstellerrabatte. ** Abschlag als Differenz zwischen Bewertungsergebnis der Schiedsstelle und den ApU-Jahrestherapiekosten in und in % der ApU- Jahrestherapiekosten. Quelle: Eigene Berechnungen. Die Schiedsstelle hat jedoch wiederholt versichert, dass sie insbesondere mit ihrer Gewichtung keinem Algorithmus folge, da sie innerhalb der gewählten Grundstruktur d. h. bei der Synthese des Erstattungsbetrages durch Addition gewichteter Teilbeträge ihr Ermessen uneingeschränkt ausübe. Das von ihr gewählte Verfahren sei von seiner Anlage her jedoch notwendig, um gerichtlichen Überprüfungen Stand halten zu können und um die getroffenen Entscheidungen transparent zu machen. 26 Zudem könne nur so die Gleichbehandlung der pharmazeutischen Unternehmer gewährleistet werden. 27 Daher verwundert es nicht, wenn der Vorsitzende der Schiedsstelle erklärt, dass die oben genannte Klarstellung des Gesetzgebers keinerlei Auswirkungen auf die Schiedspraxis habe, da bereits bislang die neuen gesetzlichen 24 Deutscher Bundestag 2013a. 25 Deutscher Bundestag 2013b, S. 32. 26 Die Schiedsstelle leitet aus diesen Gewichtungsunterschieden allerdings keinen Algorithmus ab, der den drei Kriterien oder zumindest einem von ihnen einen für alle Schiedsverfahren gleichen Wert zuordnet. Ein solcher Algorithmus ergibt sich weder aus 130b SGB V noch aus der AM-NutzenV oder der RahmenV zu 130b SGB V und ist durch sie auch nicht vorgegeben. Schiedsstelle 2013, S. 21. 27 Vgl. Schulte 2013, S. 8.

13 Vorgaben eingehalten wurden. Es gebe eben keinen Algorithmus oder Automatismus, bei dem oben bestimmte Daten eingespeist würden und unten ein bestimmter Preis herauskomme. Vielmehr übe die Schiedsstelle im Rahmen der gewählten Grundstruktur an vielen Stellen Ermessen aus. So seien die Prozentgewichte der einzelnen Elemente der Preisfindung nicht fix, sondern würden fallweise im Ermessen der Schiedsstelle angepasst. 28 Aus ökonomischer Perspektive entscheidend ist jedoch, ob die synthetische Vorgehensweise die Schiedsergebnisse insoweit determiniert, dass die Erstattungsbeträge bei gegebenen Ausgangsdaten (Zusatznutzen, Kosten der Vergleichstherapien und internationale Vergleichspreis) nur in einem kleinen Ergebnis-Fenster liegen können und das Ermessen nur vergleichsweise geringe Auswirkungen auf das Ergebnis hat. Es geht also darum, ob und inwieweit das synthetische Vorgehen der Schiedsstelle ihr grundsätzlich vorhandenes und ausgeübtes Ermessen dominiert. Dies scheint zumindest in den beiden hier diskutierten Schiedssprüchen zu Zelboraf und Sativex der Fall zu sein: Beide Ergebnisse liegen deutlich näher an den Vorstellungen des GKV-SV, als an denen der pharmazeutischen Unternehmer (Tabellen 1a und 1b)). Dies lässt vermuten, dass die synthetische Vorgehensweise strukturell den GKV-SV bevorteilt und daher für den vom Gesetzgeber gewünschten Interessenausgleich nicht geeignet ist. Beide Ergebnisse liegen weit unter den ermittelten europäischen Vergleichspreisen (Tabelle 3). Auch wenn nur der Zusatznutzen entscheidend gewesen wäre, hätten die Erstattungsbeträge ebenfalls jeweils deutlich näher bei den Forderungen des GKV-SV und unter den europäischen Vergleichspreisen gelegen. Die Schiedsstelle hat erklärt, dass die Prozentgewichte zwar nicht fest seien, aber nur innerhalb bestimmter Intervalle schwanken dürften. Tabelle 3: Vergleich der Therapiekosten im In- und Ausland Zelboraf Sativex Gewichtete europäische Preise 101.511,38 4.752,61 Geschiedste GKV-Kosten 64.976,71 1.874,20 Differenz 36.534,67 (- 36%) 2.2878,42 (- 61%) Quelle: Eigene Berechnungen. Grundsätzlich bleibt zu hinterfragen, ob die bisherige Vorgehensweise der Schiedsstelle bei der Festlegung des Erstattungspreises unter ökonomischen Gesichtspunkten angemessen erscheint. Im Kern läuft sie darauf hinaus, dass internationale Vergleichspreise, wie auch immer im 28 Die Schiedsstelle ist der Auffassung, dass je nach Fallgestaltung diese Anteile unterschiedlich sein können, wenngleich in aller Regel der auf den Zusatznutzen entfallende Anteil eine zentrale Rolle spielen wird Schiedsstelle 2013, S.21. Angesichts dieser Einlassungen der Schiedsstelle fragt man sich, warum die Diskussion um den Algorithmus überhaupt hat aufkommen können.

14 Einzelfall ihre konkrete Gewichtung aussieht, additiv und nur mit einem Teilbetrag in die Berechnung des Erstattungsbetrags eingehen. Ökonomisch gesehen können internationale Vergleichspreise aber allenfalls als Mindest- oder Richtpreise fungieren, nicht aber mit einem Anteil von x% als Komponente in die Preisbildung eingehen. Nach welchem kohärenten Algorithmus sollen die drei Komponenten denn zu einem Erstattungsbetrag zusammengeführt werden? Was soll beispielsweise bei sich widersprechenden Ergebnissen geschehen? Die Idee des Bottom-up-Verfahrens bzw. der Vorschlag Preise für Arzneimittel-Innovationen als Zuschläge auf Grenzkosten einzuführen, beruht letztlich auf einer unvollständigen Analyse des Marktversagens im Arzneimittelmarkt. Eine gewisse statische Ineffizienz als Folge zu hoher Preise im Vergleich zum Preiswettbewerb im statischen Modell der vollständigen Konkurrenz für innovative Präparate ist letztlich der Preis für eine angestrebte dynamische Effizienz, d.h. die Ermöglichung der künftigen Versorgung der Versicherten/Patienten mit innovativen Arzneimitteln, für welche der pharmazeutische Hersteller zunächst die Risiken von Forschung und Entwicklung trägt bzw. vorfinanziert. Die Umsetzung von Kostenpreisen bedeutet dagegen einen erheblichen dirigistischen Eingriff, dessen negative Folgen die des eigentlich zu korrigierenden Marktversagens (Preismonopole bei Arzneimitteln mit patentgeschützten Wirkstoffen) übersteigen dürfte 29. 3 Synthetisches Vorgehen bei der Preisermittlung der Schiedsstelle: Mission impossible Aus volks- und betriebswirtschaftlicher Sicht ist es problematisch, den von privatwirtschaftlich tätigen Unternehmen festgelegten Arzneimittelpreis synthetisch nach einer begrenzten Zahl sachlich unzusammenhängender Kriterien nachfrageseitig ermitteln zu wollen. Bei forschenden Pharmaunternehmen handelt es sich i.d.r. um komplexe, international operierende Mehrproduktunternehmen mit teuren und langwierigen Risikoinvestitionen. Ihr erwarteter Gewinn ergibt sich aus dem erwarteten Umsatz abzüglich der erwarteten Kosten. Der erwartete Gewinn bestimmt wiederum unter Berücksichtigung der produktspezifischen Forschungs-, Entwicklungs- und Vermarktungsrisiken den Anreiz, neue Arzneimittel überhaupt zu entwickeln. Der Umsatzprognose liegen dabei u. a. bestimmte Annahmen einer internationalen Preisstruktur zu Grunde. Diese Umsatzprognose wird durch die synthetisch ermittelten deutschen Preise bzw. Erstattungsbeträge erheblich verändert, wenn diese so massiv wie bisher von jenen Herstellerabgabepreisen abweichen, die auf den gegebenen internationalen Preisstrukturen basieren. Erschwerend kommt hinzu, dass in Europa zirkuläre Preissysteme bestehen. Das heißt, dass gesenkte Preise in Deutschland über die internationale Preisreferenzierung die Preise in den meisten anderen europäischen Ländern ebenfalls unter Druck setzen und dadurch Kellertreppeneffekte auslösen können 30. Eine Preisermittlung, die auf diese Besonderheiten der Preisbildung von Arzneimittel-Innovationen nicht ausreichend Rücksicht nimmt, wird zu tiefgreifenden Verwerfungen führen. Die Schiedsstelle befindet sich auf einer Mission impossible, wenn sie sich weiterhin als autonomer nationaler Preisfinder begreift. Vielmehr sollte sie sich eher als Schlichter oder Mediator zwischen den nachfrage- und 29 Siehe Schlander/Jäcker/Völkl 2013, S.589. 30 Siehe Tuomi et al. 2014, S. 26ff.

15 angebotsseitigen Verhandlungspositionen verstehen und ihre Entscheidungen auch unter Würdigung der industriespezifischen Rahmenbedingungen und Folgewirkungen treffen. Vergleichspreise: Preisgrenze statt Preiskomponente Die additive Verknüpfung der von der Schiedsstelle ausgemachten drei Kriterien in Form von Prozentgewichten ist weder rechtlich zwingend noch ökonomisch überzeugend. Nirgendwo, weder im Gesetz noch im Rahmenvertrag ist eine solche additive Verknüpfung vorgegeben. Selbst wenn man der Schiedsstelle in der Einschätzung folgt, dass sie neben den gesetzlich vorgegebenen Kriterien Kosten der Vergleichstherapien und internationale Vergleichspreise das Ausmaß des Zusatznutzens als Hauptkriterium zu beachten habe, sind der Gesetzesbegründung nach auch industrieökonomische Kriterien bei der Preisfindung anwendbar. Darüber hinaus sind auch nicht-additive Verknüpfungen der erfassten Kriterien möglich, vor allem aber ökonomisch adäquater bzw. überlegen. Möchte man die synthetische Preisfindung der Schiedsstelle nicht komplett über Bord werfen, sondern pragmatisch so variieren, dass zumindest auch den industrieökonomischen Belangen Rechnung getragen wird, böte sich die folgende Herangehensweise an: Unter der Nebenbedingung, dass der kaufkraftgewichtete europäische Preiskorb gemäß 130b (9) SGB V und die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel nicht unterschritten werden, wird auf den so ermittelten Preis ein prozentualer Zuschlag in Abhängigkeit vom Ausmaß des vom G-BA festgestellten Zusatznutzens aufgeschlagen. Die Hauptbedingung Ausmaß des Zusatznutzens würde dabei durch prozentuale Aufschläge entweder auf die gewichteten europäischen Preise oder die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel ermittelt, je nachdem welche Nebenbedingung bindend ist bzw. die andere dominiert. Dabei wäre der prozentuale Aufschlag umso höher anzusetzen, je größer das Ausmaß des Zusatznutzens ist. Beispielsweise könnte bei nur geringem Zusatznutzen ein Aufschlag von 0% bis 10% auf die gewichteten europäischen Preise oder die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel erfolgen. Bei einem beträchtlichen Zusatznutzen könnte der Aufschlag zwischen 10% und 20% liegen und bei einem erheblichen Zusatznutzen über 20%. Bei einem nicht quantifizierbaren Zusatznutzen erfolgt die Festlegung des Aufschlags einzelfallbezogen. Bei der Bewertung der hier vorgeschlagenen Aufschläge gilt es zu beachten, dass die deutsche Wirtschaftskraft etwa 10% über der Wirtschaftskraft der europäischen Referenzländer liegt und somit ein 10- prozentiger Preiszuschlag praktisch die Nulllinie markieren würde. Welcher Aufschlagswert in den Intervallen jeweils genommen wird, könnte die Schiedsstelle in jedem Einzelfall nach sachgerechtem Ermessen entscheiden. Hier könnte beispielsweise der Anteil der Patientengruppen mit Zusatznutzen eine Rolle spielen. Das Ausmaß der Ergebnissicherheit würde jedoch im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis nicht preissenkend oder preiserhöhend berücksichtigt. Auf das Präparat Zelboraf angewendet, ergäben sich z. B. die in Tabelle 4 dargestellten Ergebnisse.

16 Tabelle 4: Alternative Ermittlung des Erstattungsbetrags am Beispiel Zelboraf Bewertungskategorien Vergleichbare Arzneimittel Bewertung in Jahrestherapiekosten bzw. in % 85.000,00 Int. Preisvergleich 101.511,30 Zusatznutzen + 15% Nebenbedingung bzw. Kriterium Gewichtung P AM P INT und P AM P VAM P AM P INT und PAM PVAM. Beträchtlicher ZN für die gesamte Patientenpopulation Nebenbedingung erfüllt? Ergebnis nein 0,00 0,00 ja 1,00 101.511,30-0,15 15.226,70 SUMME 116.738,00 Differenz: ApU (ohne 7% 120.450,00 3.712,00 Herstellerrabatt) (- 3,1%)** ApU (mit 7% Herstellerrabatt) Differenz: 11.883,66 (- 9,9%)** 108.566,34 * ApU ohne Berücksichtigung gesetzlicher Herstellerrabatte. ** Abschlag als Differenz zwischen Bewertungsergebnis der Schiedsstelle und den ApU-Jahrestherapiekosten in und in % der ApU- Jahrestherapiekosten. P AM = Preis des Arzneimittels bei Wahl des Preis des vergleichbaren Arzneimittels bzw. des Int. Vergleichspreises; P INT = Gewichteter Preis des int. Preisniveaus; P VAM = Preis der/des vergleichbaren Arzneimittels Quelle: Eigene Berechnungen. Hiernach beliefen sich die erstattungsfähigen Therapiekosten auf 116.738,99 und lägen damit deutlich über dem in Tabelle 2 ausgewiesenen Schiedsspruch für Zelboraf (64.976,71 ). Zusammen mit dem gesetzlichen Herstellerrabatt, dessen Ablösung unterstellt ist, ergäbe sich hiernach für ein Präparat mit einem beträchtlichen Zusatznutzen wie Zelboraf für das gesamte bewertete Patientenkollektiv ein Rabatt in Höhe von 9,9% auf den ApU 31. Wenngleich diese Vorgehensweise unter ökonomischen Aspekten dem Preisfindungskonzept der Schiedsstelle überlegen erscheint, ist auch sie letztlich synthetisch und muss sich folglich die oben vorgebrachte grundsätzliche Kritik an der additiven Komponentenverknüpfung entgegenhalten lassen. Darüber hinaus könnte man einwenden, dass die hier vorgeschlagene 31 Preisstand 01.04.2014.

17 Berechnungsweise die Bedeutung des Zusatznutzens nicht ausreichend würdigt und mit den Kosten vergleichbarer Arzneimittel und den europäische Vergleichspreisen Kriterien betont, die den patientenorientierten Wert eines Arzneimittels nicht, zumindest aber nicht hinreichend Rechnung tragen. Zumindest dem letzten Argument ist jedoch entgegen zu halten, dass in jede Preisermittlung auch Wertüberlegungen eingehen: In praktisch jedem europäischen Land gibt es nämlich Preisregulierungen auf der Basis von Nutzen-Bewertungen (z.b. Frankreich) oder Kosten-Nutzen-Bewertungen (z.b. England). Wieder andere Länder betreiben internationale Preisreferenzierung und importieren so die Bewertungen anderer Länder. Die Kosten vergleichbarer Arzneimittel und europäische Vergleichspreise beinhalten damit indirekt auch Aussagen über den Wert eines Arzneimittels. Durch die frühe Nutzenbewertung wird diese Werthaltigkeit auf Übereinstimmung mit den deutschen (Wert-)Vorstellungen überprüft. Arzneimittel ohne Zusatznutzen fallen auf Festbetragsniveau bzw. das Preisniveau der ZVT. Wird dagegen ein Zusatznutzen anerkannt, wird damit die im europäischen Vergleichspreis enthaltene Wertaussage ebenfalls vom Grundsatz her für Deutschland akzeptiert, was aufgrund der unterschiedlichen Regulierungen in einzelnen europäischen Ländern nicht unbedingt mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland harmoniert. Natürlich lässt sich auch die hier vorgeschlagene alternative Berechnungsmethode für den Erstattungspreis kritisieren bzw. genauso wie das Vorgehen der Schiedsstelle nicht zwingend aus dem Gesetz ableiten. Sie ist einer umfassenden und dynamischen Kosten-Nutzen-Analyse über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg unterlegen. Sie weist aber einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Vorgehensweise der Schiedsstelle auf: Sie wirkt richtungweisend auf die Preisverhandlungen von GKV-SV und pu zurück, die jedem Schiedsverfahren vorgelagert ist, indem die Verhandlungsparteien die Vorgehensweise der Schiedsstelle im Ergebnis antizipieren und sich dementsprechend um einen Interessenausgleich auf dem Verhandlungswege bemühen werden. Die jetzige Vorgehensweise der Schiedsstelle entkoppelt dagegen den deutschen Preis weitgehend von den europäischen Vergleichspreisen, da dieser als rechnerische Komponente und das i.d.r. auch nur mit einem kleinen Gewicht von unter 25% - in die Berechnung eingeht. Dies führt dazu, dass der deutsche Preis z. B. bei Zelboraf und Sativex statt oberhalb, wie es der ökonomischen Logik entspräche, sogar unterhalb des europäischen Durchschnittspreises liegt. In der Gesetzesbegründung zum AMNOG wurde angenommen, dass durch die AMNOG- Regulierung eine Angleichung deutscher Erstattungsbeträge an den europäischen Durchschnitt erfolgen werde (vgl. Deutscher Bundestag 2010, S. 38). Statt einer Angleichung lässt sich nach drei Jahren AMNOG nunmehr beobachten, dass das deutsche Erstattungsniveau den europäischen Durchschnitt in der Regel unterschreitet. So liegen 86 Prozent der deutschen Erstattungsbeträge unter dem europäischen Mittel. In 40 Prozent der bisher verhandelten Fälle liegt das deutsche Erstattungsniveau sogar unter dem niedrigsten europäischen Vergleichspreis (vgl. VFA 2014, S.17). Deutschland ist somit innerhalb kürzester Zeit zum Niedrigpreisland im europäischen Vergleich geworden. Eine derartige inverse Preisstruktur wird über kurz oder lang negative Effekte auf den Zugang der Patienten zu innovativen Arzneimitteln in Deutschland haben. Immer wieder zu hörende Vermutungen, dass es sich kein Unternehmen leisten könne, den deutschen Markt zu meiden, können hier nicht überzeugen. Diese Sichtweise verkennt, dass

18 erhebliche Preissenkungen in Deutschland direkte oder indirekte negative Preissenkungseffekte in einer Vielzahl von Ländern auch über Europa hinaus - nach sich ziehen werden. Bis zum 15.04.2014 haben in sieben Fällen die pharmazeutischen Unternehmer bereits eingeführte Produkte wieder vom Markt genommen. 32 Zudem werden zunehmend Präparate verspätet eingeführt. Erste Hersteller führen bereits manche Präparate offenbar gar nicht mehr in Deutschland ein. 33 Auch werden die Hersteller die Entwicklungen in Deutschland aufmerksam beobachten und ihre Launch-Strategien darauf einstellen, beispielsweise indem sie in Deutschland nicht mehr oder verspätet einführen. Zusatznutzen: Monetarisierung als Willkürakt Für die Ermittlung des Erstattungsbetrags monetarisiert die Schiedsstelle nach eigenem Bekunden das Ausmaß des Zusatznutzens. 34 Gänzlich im Dunkeln bleibt jedoch, wie sie dabei vorgeht, da hierfür eine kardinale Nutzenmessung erforderlich wäre, die theoretisch wie praktisch auf rational kaum überwindbare Schwierigkeiten stößt. Die Nutzentheorie stellt ein formales Instrumentarium zur Verfügung, um einzel- und gesamtwirtschaftliche Entscheidungsprozesse darzustellen und zu analysieren. Ein zentraler Unterschied besteht zwischen der ordinalen und der kardinalen Nutzenmessung 35. Die ordinale Nutzenmessung trifft lediglich Aussagen über die Rangfolge von Güterbündeln. Ordinale Nutzenwerte sind ein praktisches Hilfsmittel, um Werte, die durch eine Präferenzordnung bestimmt sind, darzustellen bzw. zu repräsentieren. Kennt man die Nutzenwerte der 32 Vgl. BPI 2013, S.4. Dies betrifft die Wirkstoffe Aliskiren/Amlodipin, Linagliptin, Mikrobielle Collagenase aus Clostridiumhistolyticum, Retigabin, Linaclotid und Perampanel. Der BPI argumentiert hier, dass der Zusatznutzen den vom Markt zurückgezogenen Präparaten oft aus formalen Gründen verweigert wurde. Er weist darauf hin, dass in Fachkreisen oft auch andere Bewertungen vorzufinden seien. Insbesondere interessant ist der Wirkstoff Retigabin. Hier haben die AOKen kurz nach dem Marktrückzug erklärt, ihre Patienten über Einzelimporte versorgen zu wollen. Die Firma Eisai gab in einer Pressemittelung vom 25. Juni 2013 bekannt, dass das Unternehmen Fycompa (Perampanel) in Deutschland vorübergehend außer Vertrieb setzen wird. Dies ist dann nach Trobalt (Retigabin) das zweite Antiepileptikum. Die Firma konnte die im Rahmen des AMNOG getroffene Beurteilung, dass für dieses Medikament und ersten Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse gegenüber einer nicht sinnvollen Vergleichstherapie kein Zusatznutzen belegt sei, nicht akzeptieren. In ihrer Pressemitteilung weist Eisai darauf hin, dass die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) sich einig seien, dass das Verständnis des G-BA, dass neue Antiepileptika mit einzelnen Substanzen verglichen werden sollen, auf die Situation bei therapierefraktärer Epilepsie nicht angewandt werden kann. Hier sollte ein Zusatznutzen anhand der Wirksamkeit bei nicht auf Standardtherapien ansprechenden Patienten beurteilt werden. Die genannten Organisationen bestätigen nach Angaben von Eisai auch, dass neue Epilepsiemedikamente benötigt werden, die helfen, die Anfallsituation und die Verträglichkeit für die Patienten zu verbessern. 33 Bei mindestens 3 Präparaten lag zum Untersuchungszeitpunkt (Februar 2013) die Markteinführung 6 Monate nach der Zulassung. Weitere elf Präparate wurden trotz Erstzulassung im 2ten Halbjahr 2012 bis zum Februar 2013 bislang in Deutschland erst gar nicht in Verkehr gebracht. Diese Entwicklung spricht dafür, dass beispielsweise kleine und mittelständische Unternehmen später einführen müssen, da sie nicht in der Lage sind, ein Dossier fristgerecht einzureichen. Andere Unternehmen scheinen aus Angst vor zu niedrigen Preisen den deutschen Markt bereits zu meiden. Vgl. Dintsios 2013, Folie 27 und 28. 34 Vgl. Schulte 2013, S. 8. 35 Siehe. Varian 2011, S.57 ff.

19 Alternativen, so kann man durch einen Vergleich ihrer Größe beurteilen, wie der Wertvergleich zweier Alternativen der Rangfolge nach ausfällt. Häufig reicht ein solcher qualitativer Vergleich nicht aus. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Entscheidungen geht, deren Konsequenzen nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können oder wenn man Nutzenvergleiche zwischen verschiedenen Personen durchführen möchte. Das gilt auch, wenn man den Nutzen von Therapien oder Medikamenten mit der Zahlungsbereitschaft in Geldeinheiten messen möchte, wie es die Monetarisierung des Zusatznutzens vorsieht. 36 Sie verlangt vielmehr eine kardinale Nutzenmessung: Die kardinale Nutzentheorie geht davon aus, dass Nutzen grundsätzlich messbar ist und zwischen verschiedenen Menschen bzw. Gruppen auch verglichen werden kann. Diese Theorie ist eine Ausformulierung des Utilitarismus, einer philosophischen Denkrichtung, die im 19. Jh. u.a. von John Stuart Mill und Jeremy Bentham begründet wurde. 37 Wenn die Nutzenbewertung verschiedener Menschen verglichen werden kann, kann man den Nutzen als Bewertungsergebnis nicht nur addieren, sondern auch gegeneinander abwägen. 38 Zumindest im Alltag scheinen wir gewillt zu sein, im Sinne der kardinalen Nutzentheorie den Schaden einer Person mit dem Nutzen einer anderen Person zu saldieren bzw. Nutzen zu monetarisieren. Die offene Frage lautet aber, wie konkret Nutzen, Schaden oder Lebensqualität gemessen werden soll? In der modernen Gesundheitsökonomie wird der Nutzen mit einem allgemeinen aussagekräftigen Maß wie dem QALY oder der Zahlungsbereitschaft in Geldeinheiten gemessen. Das erfordert aber, dass man versucht, die Präferenzen der Bevölkerung im Hinblick auf die Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsverbesserungen zu ermitteln. In anderen Ländern gibt es hierzu schon umfangreiche Erfahrungen mit derartigen Erhebungen. 39 Diesen Weg hat die Schiedsstelle aber nicht eingeschlagen. Im Mittelpunkt ihres Vorgehens steht ein Verfahren, das einen Zusammenhang zwischen drei formal festgelegten Komponenten (Zusatznutzen, Vergleichstherapie und internationale Preise) und dem Erstattungsbetrag im Sinne einer Aufschlagskalkulation unterstellt. In diese Aufschlagskalkulation geht der Zusatznutzen monetarisiert ein, ohne dass die Schiedsstelle die konkreten Berechnungsschritte offenlegt. Auch wenn das hier zu bewertende Monetarisierungskonzept der Schiedsstelle im Dunkeln bleibt, insbesondere auch sein Bezug zur ökonomischen Theorie, lassen sich doch einige Leitplanken erkennen: 40 Es wird ein linearer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Zusatznutzens (ggf. abgestuft nach Ergebnissicherheit: Anhaltspunkt, Hinweis, Beleg) und dem Erstattungsbetrag unterstellt. Ausgangspunkt der Erstattungsbetrags-Strecke ist der Preis der Zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) in der Situation ohne Zusatznutzen. 36 Siehe Kliemt 2005, S. 89. 37 Siehe Winkelhake 2011, S. 3. 38 Siehe Winkelhake 2011, S. 4. 39 Siehe Breyer 2010, S. 213. 40 Siehe Schulte2013, S. 8.

20 Endpunkt der Erstattungsbetrags-Strecke ist ein nicht näher definierter optimaler Preis in der Situation (eines Beleges) eines erheblichen Zusatznutzens. 41 Dieses Konzept ist somit rein formal. Ihm fehlt die ökonomische Begründung. Weiterhin berücksichtigt es in keiner Weise, die Funktion von Preisen in marktwirtschaftlichen Systemen. Es berücksichtigt auch nicht die Wirkungen, die dieses Monetarisierungskonzept auf die Anreize zur Forschung und Entwicklung hat. Es fehlen zudem Überlegungen, wie sich die Monetarisierung auf die Gesetzesziele optimale Patientenversorgung und Anreiz zur Innovation auswirkt. Wie bereits ausgeführt, ist zudem der Preisvergleich von innovativen Arzneimitteln mit anerkanntem Zusatznutzen mit patentfreien Generika ökonomisch unbefriedigend. Wenn man auf Vergleiche mit der ZVT nicht verzichten möchte, so könnte dieser wie folgt ausgestaltet werden: Ermittlung des Preises der ZVT zum Zeitpunkt der Markteinführung des ursprünglichen Originalarzneimittels. Inflationierung des Einführungspreises des ehemaligen Originalarzneimittels beispielsweise mit dem aus der Literatur bekannten Forschungskosteninflator (ca. 7% p.a.) und Berücksichtigung sinkender Erfolgsraten. 42 Viele alte generische ZVT haben breite Zulassungen oder sind für mehrere Indikationsgebiete zugelassen, während heute der Trend bei den Zulassungsbehörden dahin geht, enge Zulassungen zu erteilen. Insofern können bei der ZVT i.d.r. ganz andere Verordnungsvolumina generiert werden. Auch diese unterschiedliche Mengenkomponente müsste bei einem Preisvergleich berücksichtigt werden. 4 Schiedsstelle als Schlichter: Verhandlungslösungen als Reformoption In verschiedener Hinsicht bestehen somit erhebliche Bedenken, ob die Ausgestaltung des Schiedsstellenverfahrens zur Erfüllung der Gesetzesziele geeignet ist. Die momentane Vorgehensweise der Schiedsstelle, Preise im Pharmamarkt mehr oder weniger synthetisch zu ermitteln, ist vor allem juristisch durch das Streben nach Rechtssicherheit im Anfechtungsfall getrieben, doch ökonomisch in keiner Weise begründbar. Letzteres gilt insbesondere für den Versuch, den Zusatznutzen ohne jede nutzentheoretische Basis quasi im freien (Ermessens-) Raum zu monetarisieren und den in Geldeinheiten bemessenen Nutzenvorteil als Preiskomponente in den Erstattungsbetrag einzurechnen. Darüber hinaus darf die Wertigkeit vorteilhafter Arzneimittel-Innovationen mit Blick auf die Deckung ihrer F&E-Kosten nicht additiv 41 Schulte äußerte als eine Möglichkeit für den optimalen Preis die Zuweisung für die jeweilige Erkrankung im Morbi-RSA zu wählen (2013). 42 Die methodisch vergleichbare Studie von DiMasi et al. 2003, S.180 f. zu den Forschungskosten für neue Wirkstoffe zeigt einen starken Anstieg der Forschungskosten im Zeitverlauf. Sie nennen Kostensteigerungen im Bereich von 7% p.a. Munos (2009, S. 963) setzt sogar einen Wert von über 8% an, zusätzlich zur Inflation von über 3%. Dieser Vergleich ist auch ein wichtiges Ziel weiterer Studien von DiMasi et al. (2005, S. 1035). Da die Datengrundlage der DiMasi-Studie inzwischen mehr als ein Jahrzehnt alt ist, dürfte die Schätzung der 802 Mio. Dollar F&E-Kosten in Höhe von 802 Mio. Dollar für ein neues Medikament inzwischen eine Untergrenze darstellen. Diese These wird auch durch Studien gestützt, die zudem noch eine geringere Erfolgswahrscheinlichkeit berücksichtigen (z.b. 11.5% nach Munos 2009, S. 963, 8% nach Paul et al. 2010, S. 205, und eine Verschlechterung von 10% auf 5% nach Arrowsmith2012, S. 17).