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Transkript:

Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH Tel: 0561-4001128 0221-3597-550 Fax: 0561-4001128 0221-3597-555 e-mail: dralexander.gagel@arcor.de schian@iqpr.de AZ 10-02-08-02 April 2005 Forum B Schwerbehindertenrecht und Fragen des betrieblichen Gesundheitsmanagements Diskussionsbeitrag Nr. 1/2005 Stärkung des Kündigungsschutzes durch 84 Abs. 1 und 2 SGB IX (Würdigung des Beitrags von Wiebke Brose, DB 2005, S. 390-394.) von Dr. Alexander Gagel Thesen 1. 84 Abs. 1 und 2 SGB IX enthält zugleich eine Konkretisierung des Kündigungsschutzgesetzes. 2. Dabei erfasst Abs. 1 nur schwerbehinderte Arbeitnehmer, Abs. 2 hingegen alle Beschäftigten. 1. Kündigungsschutz bei Arbeitsunfähigkeit Wir haben bereits in dem Diskussionsbeitrag B 5-2004 dargestellt, dass 84 Abs. 2 SGB IX Auswirkungen auf den Kündigungsschutz hat, weil ohne ein Eingliederungsmanagement die Kündigung oft nicht ultima ratio ist. Wir werden demnächst diese Zusammenhänge an konkreten Fällen analysieren. Außerdem haben wir die Besonderheiten erläutert, die sich bei schwerbehinderten Arbeitnehmern durch die Vorschaltung des Integrationsamts ergeben (Diskussionsbeitrag B 5-2004 Seite 5). Neuerdings hat Wiebke Brose, Forschungsinstitut für Deutsches und Europäisches Sozialrecht der Universität zu Köln, diese Auffassung in einer gründlichen Untersuchung untermauert (Der Betrieb 2005, 390, 391 ff.) Sie hat die Bedeutung des Eingliederungsmanagements nach 84 Abs. 2 SGB IX für die Ausfüllung des ultima-ratio-prinzips im Kündigungsschutzrecht untersucht und sich unserer Auffassung angeschlossen.

Dabei kommt sie zu der Schlussfolgerung: Der Gesetzgeber hat mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement die Anforderungen an die krankheitsbedingte Kündigung weiter verschärft. 84 Abs. 2 SGB IX zeigt Wirkungen über das SGB IX hinaus; das betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für die krankheitsbedingte Kündigung. 2. Von 84 Abs. 2 SGB IX erfasster Personenkreis 84 Abs. 2 SGB IX erfasst, wie der Wortlaut deutlich erkennen lässt, alle Beschäftigten. Er beschränkt sich nicht auf schwerbehinderte Arbeitnehmer. Diese Bedeutung haben wir bereits in den Diskussionsbeiträgen B 4-2004 und B 5-2400 hervorgehoben. Demgegenüber wird von der Autorin Brose in dem oben zitierten Aufsatz (Der Betrieb 2005, 390) eine gegenteilige Auffassung vertreten, die sie aus der Systematik des Gesetzes und dem Fehlen hinreichender Anhaltspunkte in den Materialien herleitet. Dieser Auffassung können wir indes nicht folgen, da sie die äußere Systematik des Gesetzes überbewertet und Hinweise aus der Entwicklung des 84 Abs. 2 SGB IX außer Acht lässt. Zunächst einmal ist allerdings zu begrüßen, dass die Autorin uns insoweit folgt, dass der Wortlaut des Gesetzes für eine Einbeziehung aller Beschäftigten spricht. Die Einbeziehung aller Arbeitnehmer des Betriebes folgt einmal aus der Wahl des Wortes Beschäftigte. Desgleichen ergibt sich aus dem Wortlaut eine Differenzierung zwischen den Verfahren für schwerbehinderte Arbeitnehmer und andere Beschäftigte. Dies ist auffällig im Hinblick auf 84 Abs. 1 SGB IX, wo durchgängig davon ausgegangen wird, dass die Regelung nur schwerbehinderte Arbeitnehmer betrifft. Demgegenüber wird in 84 Abs. 2 die Kontaktaufnahme mit der Schwerbehindertenvertretung als Besonderheit für den Fall erwähnt, dass Schwerbehinderte betroffen sind. Wenn, wie Brose meint, hier nur dem Umstand Rechnung getragen werden sollte, dass nicht jeder Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung hat, so fragt man sich, warum dann 84 Abs. 1 nicht entsprechend angepasst wurde. Man versteht dann auch nicht, warum die Interessenvertretung an erster Stelle genannt wird. Schließlich ist auch die Differenzierung bei der Hinzuziehung der gemeinsamen Servicestelle und des Integrationsamts nicht erklärbar, wenn die Vorschrift nur für schwerbehinderte 2

Arbeitnehmer gelten soll; die Zuziehung des Integrationsamts in allen Fällen wäre solchenfalls die allein logische Folgerung. Es kann also unter Berücksichtigung von Wortlaut und Aufbau der Vorschrift davon ausgegangen werden, dass das Eingliederungsmanagement für alle Arbeitnehmer des Betriebes vorgesehen ist, die mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung dieses Geltungsumfangs in den Materialien ist so erstaunlich nicht, wie die Autorin Brose meint; denn in der Fassung des 84 Abs. 2 SGB IX, die vor dem 1. Mai 2004 galt, war ausdrücklich bestimmt, dass das dort schon rudimentär vorgesehene Eingliederungsmanagement auch für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen entsprechend anzuwenden sei ( 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX a.f.); in diesem Fall trete an die Stelle der Schwerbehindertenvertretung die zuständige Interessenvertretung im Sinne des 93 SGB IX ( 84 Abs. 2 Satz 3 a.f.). Schon diese Grenzziehung ging weit über den Kreis schwerbehinderter Arbeitnehmer hinaus; sie erfasste auch alle weniger schwer behinderten Arbeitnehmer und zudem diejenigen, denen eine Behinderung überhaupt erst droht. Die ausdrückliche Einbeziehung aller Beschäftigten in Fällen längerer oder häufiger Arbeitsunfähigkeit ist demgegenüber kein so bedeutsamer Schritt, dass es verwundern müsste, in den Materialien hierzu keine Ausführungen zu finden. Zumindest ist dieses Fehlen dann nicht so signifikant, dass daraus für die Auslegung Folgerungen gegen den Wortlaut gezogen werden können. Insgesamt bleibt somit als Stütze der Auffassung von Brose nur noch die Systematik des Gesetzes übrig. Auch dieses Argument reicht indes nicht, von den Folgerungen aus dem Wortlaut abzuweichen. Die Autorin meint, 84 Abs. 2 könne sich nur auf schwerbehinderte Arbeitnehmer beziehen, weil sich die Vorschrift in Teil 2 des SGB IX Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht) - befinde. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Durchbrechung der äußeren Systematik, das heißt der Einordnung von Vorschriften in textliche Zusammenhänge. Auch das ist so ungewöhnlich nicht, wie z.b. aus der Diskussion um 2 SGB III (Fassung ab 1.1.1998) zu ersehen ist (betr. 3

Regelung kündigungsschutzrechtlicher Fragen im SGB III; s. dazu Bepler in Gagel, SGB III, Stand 1.8.2001, 2 Rz. 37 und 36). Die innere Systematik, das heißt die Vereinbarkeit von 84 Abs. 2 SGB IX mit sonstigen Vorschriften des SGB IX wird nicht in Frage gestellt. Es gibt keine Auswirkungen, die die Wirkung anderer Vorschriften in Frage stellen können. Die äußere Systematik des Gesetzes ist umso weniger tragfähig, als wie schon dargelegt wurde der Gesetzgeber diese Systematik bereits in 84 Abs. 2 alter Fassung durchbrochen hatte und ihm dies schließlich jederzeit auch freisteht. Als Fazit kann damit festgehalten werden, dass weder die Systematik des Gesetzes noch das Fehlen von Ausführungen zum erfassten Personenkreis in den Materialien es ausschließt, dass sich 84 Abs. 2 SGB IX seinem Wortlaut entsprechend auf alle Beschäftigten bezieht. 3. Verstärkung des Kündigungsschutzes auch durch 84 Abs.1 SGB IX 84 Abs. 1 SGB IX bezieht sich auf alle Schwierigkeiten schwerbehinderter Arbeitnehmer, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können, soweit nicht 84 Abs. 2 SGB IX eingreift (s. dazu Diskussionsbeitrag B 5-2004). Das Gesetz regelt ein dem gesetzlichen Kündigungsschutz vorgelagertes Verfahren, das ausloten soll, ob es Möglichkeiten gibt, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern. Dies gilt für alle Arten von Kündigungen, seien sie nun betriebsbedingt, personenbedingt oder verhaltensbedingt (soweit sie nicht auf Zeiten der Arbeitsunfähigkeit beruhen; hierfür gilt Abs. 2; s. dazu Diskussionsbeitrag B 4-2004 S. 6f.). Das Verfahren nach 84 Abs. 1 SGB IX muss deshalb vor den sonstigen Mechanismen des Kündigungsschutzes eingeleitet und so lange betrieben werden bis der Arbeitgeber sich zur Kündigung entschließt. Erst dann kommt die Anhörung des Betriebsrats ( 102 BetrVG), der Schwerbehindertenvertretung ( 95 Abs. 2 SGB IX) und des Integrationsamts ( 85 SGB IX) in Betracht. Man könnte bereits hier die Auffassung vertreten, dass die Anhörung des Betriebsrats nicht wirksam erfolgen kann, wenn eine Erörterung und Prüfung der Schwierigkeiten nach 84 Abs. 1 SGB IX noch nicht stattgefunden hat. Dem Integrationsamt wäre das Recht einzuräumen, je nach Lage des Falles den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung ohne weitere Prüfung abzulehnen (s. dazu Diskussionsbeitrag B 5-2004, S.5). 4

Die Verpflichtung zur Einleitung dieses Verfahrens trifft den Arbeitgeber; der Arbeitnehmer kann es aber auch von sich aus einfordern. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung, die auf die Einhaltung der Pflichten des Arbeitgebers zu wachen haben ( 95 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX), sind ebenfalls berechtigt die Einleitung zu fordern. Der Sinn dieser Regelung ist es, im Frühstadium einer Gefährdung des Arbeitsplatzes die Gefahr abzuwenden, weil dann meist noch mehr Möglichkeiten gegeben sind und eine Verständigung leichter ist. Auch diese Möglichkeiten bieten einen Kündigungsschutz. Da das ultima-ratio-prinzip bei allen Arten von Kündigungen gilt (vgl. ErfK-Ascheid, 5. Aufl., 1 KSchG Rz. 121), ist deshalb das Unterlassen eines Verfahrens nach 84 Abs. 1 KSchG auch bei anderen Kündigungsarten unter dem ultima-ratio-gesichtspunkt zu würdigen. Wir werden darauf in einem gesonderten Diskussionsbeitrag näher eingehen. Rechtsprechung hierzu: Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern v. 9. 10. 2003 2 M 105/03 (s. Rundschreiben der Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertretungen des Bundes und der Länder). Dort wird ausgeführt, dass die Verletzung des Präventionsgebots nach 84 SGB IX einer Kündigung entgegensteht. Wir möchten Sie auch auf die Sammlung aller bisher erschienenen Diskussionsbeiträge im Internet unter www.iqpr.de aufmerksam machen und Sie herzlich einladen sich an der Diskussion durch eigene Beiträge und Stellungnahmen zu beteiligen. 5