Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen. Beschluss

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Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Geschäftszeichen: 1 Ausl. A 3/15 (2 Ausl. A 3/15 GenStA) (C-404/15 EuGH) Beschluss in der Auslieferungssache gegen den ungarischen [ ], geboren am [ ] in [ ], wohnhaft [ ], Beistand: Rechtsanwältin [ ] hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schromek, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Marx und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Schnelle am 12. September 2016 beschlossen: I. Dem europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Verbindung mit Art. 104 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs (EuGH-VerfO) folgende ergänzenden Fragen zur Vorabentscheidung in dem Verfahren Pál Aranyosi (C-404/15 ) vorgelegt:

2 1. Sind Art. 1 Abs. 3, Art. 5 und Art 6 Abs. 1 des Rahmenbeschluss des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) so auszulegen, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat bei einer Auslieferungsentscheidung zum Zweck der Strafverfolgung die echte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Verfolgten im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufgrund der Bedingungen seiner Inhaftierung lediglich in der ersten Haftanstalt auszuschließen hat, in die der Verfolgte nach der Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat aufgenommen wird? 2. Hat der Vollstreckungsstaat bei der Entscheidung auch die echte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Verfolgten aufgrund der Bedingungen seiner Inhaftierung für die Unterbringung bei sich daran anschließender Strafhaft im Fall der Verurteilung auszuschließen? 3. Hat der Vollstreckungsstaat diese Gefahr für den Betroffenen auch für den Fall möglicher Verlegungen in andere Haftanstalten auszuschließen? II. Das Verfahren über die Entscheidung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt. GRÜNDE [1] I. Der ergänzenden Nachfrage im Vorabentscheidungsersuchen Pál Aranyosi (C- 404/15) liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die ungarischen Justizbehörden ersuchen mit den Europäischen Haftbefehlen vom 04.11.2014 (Nr. 33.Bny.911/2014/2) und vom 31.12.2014 (Nr. 21.Bny.1059/2014/2) des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts M. um die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn zum Zwecke der Strafverfolgung. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 23.07.2015 den Gerichtshof um Vorabentscheidung in der vorliegenden Auslieferungssache ersucht. Der Gerichtshof hat auf die Vorlagefragen das Urteil vom 05.04.2016 (C-404/15 und C-659/15 PPU) verkündet. Hinsichtlich des Sachverhalts bis zum Erlass des Urteils wird auf das dem Urteil vorangegangene Verfahren verwiesen. [2] Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil klargestellt, dass aufgrund eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich eine Auslieferungspflicht besteht, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aber nicht zu einer unmenschlichen oder er- 2

3 niedrigenden Behandlung des Verfolgten führen darf (Rn. 91-95). In seinem Urteil stellt der Gerichtshof dar, welche Anhaltspunkte es in Ungarn für menschenunwürdige Haftbedingungen gibt. Er führt weiter aus, dass es Aufgabe des Vollstreckungsstaats ist, die Gefahr einer solchen Behandlung durch weitere Ermittlungen auszuschließen. [3] Dementsprechend hat der Senat mit Verfügung vom 14.04.2016 die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, zusätzliche Informationen einzuholen. Hierauf übermittelte das ungarische Justizministerium mit Schreiben vom 27.05.2016 eine Auskunft des Landeskommandanten der Landeskommandantur des Strafvollzugs in Budapest. In dieser Auskunft wird dem ungarischen Justizministerium mitgeteilt, welche Haftbedingungen in der Haftanstalt S. bestehen (z.b. 4,14 qm Bewegungsfläche/Häftling/Zelle; Belegung zu 100%; keine Überbelegung; abgetrennte Toiletten und Waschmöglichkeiten; jahreszeitentsprechende Beheizung und Belüftung der Zellen; Beschäftigungsmöglichkeiten; Rauchmöglichkeiten bei Bedarf; Angaben zur Gesundheitsversorgung; Arbeitsbeschäftigungsmöglichkeiten; Angaben zu Zwangsmitteln; Angaben zur Bekleidung). [4] Mit Schreiben vom 30.05.2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft Bremen beantragt, nunmehr über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft sei in dem Antwortschreiben auch ohne ausdrückliche Garantie die konkludente Zusicherung zu sehen, dass der Verfolgte in der Haftanstalt S. sowohl für die Dauer etwaiger Untersuchungshaft als auch ggf. einer Strafhaft inhaftiert werden würde. [5] Der Senat hat sich diesem Verständnis der Mitteilungen der ungarischen Behörden nicht anschließen können. Im Vorlageverfahren ist deutlich geworden, dass völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen nur von solchen Stellen abgegeben werden können, die nach innerstaatlichem Recht dafür zuständig und dazu befugt sind. Ob die ungarische Landeskommandantur für Strafvollzug eine solche Stelle ist, blieb offen. Deren Schreiben richtet sich an das ungarische Justizministerium und versteht sich als Informationsschreiben an diese ungarische Behörde. Ausstellende Behörde der beiden Europäischen Haftbefehle ist der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts M.. Dieser Ort liegt ca. 400 km von S. entfernt. Der Senat hat den ungarischen Behörden deshalb durch die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 28.06.2016 folgende weitere Fragen übermitteln lassen: Werden sowohl die Untersuchungshaft und im Falle einer Verurteilung des Betroffenen auch die Strafhaft durchgängig in dem beschriebenen Gefängnis von S. vollzogen oder ist eine Verlegung auch in andere Haftanstalten möglich, etwa zur Durchführung des Verfahrens vor dem Gericht in M.? 3

4 Falls andere Haftanstalten in Frage kommen wird gebeten, diese zu benennen und die Haftbedingungen entsprechend den Fragen aus der Anfrage vom 19.04.2016 zu konkretisieren. Welche ungarischen Gesetze ermöglichen den durchgehenden Vollzug von Untersuchungs- und Strafhaft in S.? [6] Das Justizministerium von Ungarn antwortete mit Schreiben vom 21.07.2016 und legte das Schreiben der Landeskommandantur des Strafvollzugs Zentrale Hauptabteilung Lieferung und Registration vom 18.07.2016 vor. Danach sei es nicht ausgeschlossen, dass es zum Abbruch der geplanten Unterbringung in der Landesstrafvollzugsanstalt S. komme. Es bleibe aber auch im Fall einer Überstellung bei den Inhaftierungsgarantien, die im Antwortschreiben vom 20.05.2016 gegeben worden seien. Im Übrigen blieben die Fragen des Senats unbeantwortet. [7] Mit Schreiben vom 08.08.2016 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft Bremen erneut, die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung für zulässig zu erklären. [8] Der Verfolgte hatte Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Sein Rechtsbeistand hat beantragt, den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft abzuweisen. [9] II. Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefrage für den Erlass seiner Entscheidung, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Ungarn für zulässig zu erklären, für erforderlich. Sie ist entscheidungserheblich, ohne dass einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs ersichtlich oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig wäre, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe (vergleiche BVerfG, Beschlüsse vom 22.09.2011 2 BvR 947/11, StraFo 2011, 498 Rn. 14 und vom 28.01.2013 2 BvR 1561-1564/12, juris, Rn. 178). Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung hängt von einer Auslegung des Rahmenbeschluss des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) ab. Vor einer Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 lit.a, Abs. 3 AEUV, Art. 104 Abs. 2 EuGH-VerfO eine ergänzende Nachfrage zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs vom 05.04.2016 zu stellen. [10] 1. Da der Verfolgte sich mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt hat, hat der Senat gemäß der 29, 32 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden. Nach den vorliegenden Informationen verstößt die Auslieferung gegen 73 IRG. Danach ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Entsprechend ist nach 4

5 jüngster Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Auslieferung für unzulässig zu erklären, wenn diese fundamentalen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung oder dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard auf dem Gebiet der Menschenrechte widersprechen würde (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 2 BvR 2735/14, BeckRS 2016, 40930 Tz. 59 ff. = StV 2016, 220 = EGRZ 2016, 33 = NJW 2016, 1149 = JuS 2016, 373). Zwar ist einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Fall der Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden (BVerfG aao Rn. 59-75). [11] 2. In diesem Sinn hat der Europäische Gerichtshof im Rahmen des hiesigen Vorabentscheidungsersuchens mit Urteil vom 5.04.2016 (C-404/15 und C-659/15 PPU) klargestellt, dass der in Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses verankerte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens die Mitgliedstaaten zur Beachtung eines Europäischen Haftbefehls verpflichtet. Lediglich die abschließend im Rahmenbeschluss aufgezählten Zurückweisungsgründe dürfen zur Ablehnung der Überstellung führen. Außerdem kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nur an eine der in Art. 5 des Rahmenbeschlusses erschöpfend aufgeführten Bedingungen geknüpft werden (vgl. bereits EuGH, Urteil vom 16.07.2015-37/15 PPU, zitiert nach juris Rn. 36 m.w.n.). Allerdings ist unter außergewöhnlichen Umständen eine Beschränkung der Grundsätze der gegenseiteigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaten möglich (Rn. 80). Außergewöhnliche Umstände können darin liegen, dass das in Art. 4 der EU-Grundrechtecharta aufgestellte Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung verletzt wird (Rn. 91-95). Die vollstreckende Justizbehörde hat daher zu prüfen, ob objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben vorliegen, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat belegen (Rn. 89). In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt sein wird. Dazu können nach Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses unter Beachtung der Frist des Art. 17 Nachfragen an die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats gestellt werden. Werden die Informationen erteilt und stellt das Gericht im Vollstreckungsstaat fest, dass eine echte Gefahr im oben genannten Sinn besteht, ist die Voll- 5

6 streckung des Haftbefehls aufzuschieben (Rn. 92-98). Es ist dann darüber zu befinden, ob der Auslieferungshaftbefehl aufrechterhalten werden kann. Kann aber letztlich das Vorliegen einer echten Gefahr nicht (innerhalb einer angemessenen Frist) ausgeschlossen werden, muss die vollstreckende Justizbehörde darüber entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu beenden ist. (Rn. 104). [12] 3. Nach den Erkenntnissen des Senats bestehen im Auslieferungsstaat objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben, die das Vorliegen systemischer Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat belegen. Nach der aktuellen Auskunftslage kommt der Senat zu der Überzeugung, dass beachtliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verfolgte bei einer Auslieferung Haftbedingungen ausgesetzt sein könnte, die Art. 3 EMRK und die Grundrechte des Verfolgten und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union niedergelegt sind, verletzen würden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 10.03.2015 Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse verurteilt (EGMR, Urteil vom 10.03.2015 Application nos. 14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13 Varga u.a./ungarn). Auch aus dem Bericht des Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarates vom 30.04.2013 (CPT/inf (2014) 13 im Folgenden: CPT-Bericht) ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Haftbedingungen, denen der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Ungarn ausgesetzt wäre, nicht den völkerrechtlichen Mindeststandards entsprechen. [13] 4. Der Senat hat daher entsprechend den Vorgaben in den Entscheidungsgründen des Urteils des Gerichtshofs vom 05.04.2016 mit Verfügung vom 14.04.2016 die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, zusätzliche Informationen über die Bedingungen der Inhaftierung des Betroffenen im Ausstellungsstaat einzuholen. Hierauf wurden die Haftbedingungen in der Haftanstalt S. (Ungarn) mitgeteilt. Diese entsprechen den zu stellenden Anforderungen. Aus dem Antwortschreiben vom 20.05.2016 ging nicht hervor, ob die Inhaftierung in dieser Haftanstalt für den Betroffenen garantiert werde. Auf erneute Nachfrage seitens der Generalstaatsanwaltschaft vom 13.06.2016 wurde nunmehr mitgeteilt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zum Abbruch der Inhaftierung in der Landesstrafvollzugsanstalt S. komme. Es bestehe auch die Möglichkeit einer Überstellung in eine andere Strafvollzugsanstalt. Mögliche andere Haftanstalten wurden jedoch nicht angegeben. [14] 5. Die Entscheidung in dieser Sache hängt daher maßgeblich von der Frage ab, wie weit die Verantwortung und damit die Erkenntnispflicht des Vollstreckungsmitgliedstaates bei einer Auslieferungsentscheidung zum Zweck der Strafverfolgung reicht. Sie könnte sich auf die Prüfung beschränken, ob in der ersten Haftanstalt, in die der Ver- 6

7 folgte nach der Überstellung an den Ausstellungsmitgliedsstaat gelangt, die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung für die Untersuchungshaft auszuschließen ist. Sie könnte sich weitergehend aber auch darauf erstrecken, ob sich diese Gefahr auch für alle anderen Haftanstalten ausschließen lässt, in die der Verfolgte gelangen könnte, sei es zum Zwecke der Untersuchungshaft oder zum Zwecke einer eventuell im Falle einer Verurteilung nicht auszuschließenden Strafhaft. Im vorliegenden Falle ist zu besorgen, dass der Verfolgte jedenfalls für die Durchführung des Verfahrens in M. in eine dortige Haftanstalt verlegt wird. Ob er dann im Falle seiner Verurteilung für die gesamte Vollzugsdauer in die Haftanstalt S. aufgenommen wird, ist nach den erteilten Auskünften wohl möglich aber keineswegs sicher. Dr. Schromek Dr. Marx Dr. Schnelle 7